MLWerke | 1842 | Marx/Engels

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/ Friedrich Engels - Werke. (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 1. Berlin/DDR. 1976. S. 28-77.
1,5. Korrektur
Erstellt am 30.08.1999

Karl Marx

Debatten über Preßfreiheit und Publikation der Landständischen Verhandlungen

Von einem Rheinländer

Vierter Artikel

[»Rheinische Zeitung« Nr. 125 vom 5. Mai 1842]
[»Rheinische Zeitung« Nr. 128 vom 8. Mai 1842]
[»Rheinische Zeitung« Nr. 130 vom 10. Mai 1842]
[»Rheinische Zeitung« Nr. 132 vom 12. Mai 1842]
[»Rheinische Zeitung« Nr. 135 vom 15. Mai 1842]
[»Rheinische Zeitung« Nr. 139 vom 19. Mai 1842]


[»Rheinische Zeitung« Nr. 132 vom 12. Mai 1842]

|50|Von dem Standpunkte der Idee aus versteht es sich von selbst, daß die Preßfreiheit eine ganz andere Berechtigung hat als die Zensur, indem sie selbst eine Gestalt der Idee, der Freiheit, ein positiv Gutes ist, während die Zensur eine Gestalt der Unfreiheit, die Polemik einer Weltanschauung des Scheines gegen die Weltanschauung des Wesens, eine nur negative Natur ist. Nein! Nein! Nein! ruft unser Redner dazwischen. Ich tadle nicht die Erscheinung, ich tadle das Wesen. Die Freiheit ist das Verruchte an der Preßfreiheit. Die Freiheit gibt die Möglichkeit des Bösen. Also ist die Freiheit böse.

Böse Freiheit!

»Er hat sie erstochen im dunklen Hain,
Und den Leib versenket im tiefen Rhein!«

Aber:

»Diesmal muß ich zu dir reden,
Herr und Meister, hör' mich ruhig!«

Existiert etwa im Lande der Zensur nicht die Preßfreiheit? Die Presse überhaupt ist eine Verwirklichung der menschlichen Freiheit. Wo es also Presse gibt, gibt es Preßfreiheit.

Im Lande der Zensur hat zwar der Staat keine Preßfreiheit, aber ein Staatsglied hat sie, die Regierung. Abgesehen davon, daß die offiziellen Regierungsschriften vollkommene Preßfreiheit haben, übt nicht der Zensor |51| täglich eine unbedingte Preßfreiheit aus, wenn auch nicht direkt, so indirekt?

Die Schriftsteller sind gleichsam seine Sekretäre. Wo der Sekretär nicht die Meinung des Prinzipals ausdrückt, streicht dieser das Machwerk. Die Zensur schreibt also die Presse.

Die Querstriche des Zensors sind für die Presse dasselbe, was die geraden Linien - die Kuas - der Chinesen für das Denken sind. Die Kuas des Zensors sind die Kategorien der Literatur, und bekanntlich sind die Kategorien die typischen Seelen des weiteren Inhalts.

Die Freiheit ist also so sehr das Wesen des Menschen, daß sogar ihre Gegner sie realisieren, indem sie ihre Realität bekämpfen; daß sie als kostbarsten Schmuck sich aneignen wollen, was sie als Schmuck der menschlichen Natur verwarfen.

Kein Mensch bekämpft die Freiheit; er bekämpft höchstens die Freiheit des andern. Jede Art der Freiheit hat daher immer existiert, nur einmal als besonderes Vorrecht, das andere mal als allgemeines Recht.

Die Frage hat jetzt erst einen konsequenten Sinn erhalten. Es fragt sich nicht, ob die Preßfreiheit existieren solle, denn sie existiert immer, Es fragt sich, ob die Preßfreiheit das Privilegium einzelner Menschen oder ob sie das Privilegium des menschlichen Geistes ist? Es fragt sich, ob das Unrecht der einen Seite sein soll, was das recht der anderen ist? Es fragt sich, ob die »Freiheit des Geistes« mehr Recht hat als »die Freiheit gegen den Geist«?

Wenn aber die »freie Presse« und die »Preßfreiheit« als Verwirklichung der »allgemeinen Freiheit« zu verwerfen sind, so sind es Zensur und zensierte Presse noch mehr als Verwirklichung einer besonderen Freiheit, denn wie kann die Art gut sein, wenn die Gattung schlecht ist? Wenn der Redner konsequent wäre, so müßte er nicht die freie Presse, sondern die Presse verwerfen. Nach ihm wäre sie erst dann gut, wenn sie kein Produkt der Freiheit, d.h. kein menschliches Produkt wäre. Zur Presse überhaupt wären also entweder nur die Tiere oder die Götter berechtigt.

Oder sollen wir etwa - der Redner wagt es nicht auszusprechen - göttliche Inspiration in der Regierung und in ihm selbst unterstellen?

Wenn eine Privatperson sich göttlicher Inspiration rühmt, so gibt es in unseren Gesellschaften nur einen Redner, der sie amtlich widerlegt, der Irrenarzt.

Die englische Geschichte hat aber wohl zur Genüge dargetan, wie die Behauptung der göttlichen Inspiration von oben die Gegenbehauptung der göttlichen Inspiration von unten erzeugt, und Karl der Erste stieg aufs Schafott aus göttlicher Inspiration von unten.

|52| Unser Redner aus dem Ritterstande geht zwar dahin fort, wie wir später hören werden, Zensur und Preßfreiheit, zensierte Presse und freie Presse als zwei Übel zu schildern, aber er kömmt nicht dazu, die Presse überhaupt als das Übel zu bekennen.

Im Gegenteil! Er teilt die ganze Presse in die »gute« und in die »schlechte« Presse ein.

Von der schlechten Presse wird uns das Unglaubliche erzählt, daß die Schlechtigkeit und die möglichste Verbreitung der Schlechtigkeit ihr Zweck sei. Wir übergehen, daß Redner unserer Leichtgläubigkeit zuviel zutraut, wenn er verlangt, wir sollten auf sein Wort an eine Schlechtigkeit von Profession glauben. Wir erinnern ihn nur an das Axiom, daß alles Menschliche unvollkommen ist. Wird daher nicht auch die schlechte Presse unvollkommen schlecht, also gut, und die gute Presse unvollkommen gut, also schlecht sein?

Aber der Redner zeigt uns die Kehrseite. Er behauptet, daß die schlechte Presse besser als die gute sei, denn die schlechte befinde sich stets in der Offensive die gute in der Defensive. Nun hat er uns aber selbst gesagt, daß die Entwicklung des Menschen erst mit dem Tode endet. Er hat allerdings nicht viel damit gesagt, er hat nichts damit gesagt, als daß das Leben mit dem Tode endet. Wenn aber das Leben des Menschen Entwicklung ist und die gute Presse stets in der Defensive ist, »sich nur abwehrend, zurückhaltend und festigend« verhält, opponiert sie damit nicht kontinuierlich gegen die Entwicklung, also gegen das Leben? Entweder ist also diese gute defensive Presse schlecht, oder die Entwicklung ist das Schlechte, wodurch denn auch die vorherige Behauptung des Redners, daß der Zweck der »schlechten Presse möglichste Verbreitung schlechter Grundsätze und möglichste Förderung schlechter Gesinnungen« sei, ihre mystische Unglaublichkeit in der rationalen Interpretation verliert; die möglichste Verbreitung von Grundsätzen und die möglichste Förderung der Gesinnung sei das Schlechte an der schlechten Presse.

Das Verhältnis der guten und schlechten Presse wird noch sonderbarer, wenn uns Redner versichert, daß die gute Presse ohnmächtig und die schlechte allmächtig sei; denn die erstere sei ohne Wirkung auf das Volk, während die letztere unwiderstehlich wirke. Die gute Presse und die ohnmächtige Presse sind dem Redner identisch. Will er nun behaupten, daß das Gute ohnmächtig oder daß das Ohnmächtige gut sei?

Er stellt dem Sirenengesang der schlechten Presse die nüchterne Stimme der guten gegenüber. Mit nüchterner Stimme läßt sich doch wohl am besten und effektvollsten singen. Der Redner scheint nur die sinnliche Hitze der Leidenschaft, aber nicht die heiße Leidenschaft der Wahrheit, nicht den |53| siegesgewissen Enthusiasmus der Vernunft, nicht das unwiderstehliche Pathos der sittlichen Mächte kennengelernt zu haben.

Unter die Gesinnungen der schlechten Presse subsumiert er »den Stolz, der keine Autorität in Kirche und Staat anerkennt«, den »Neid«, der die Abschaffung der Aristokratie predigt, und anderes, worauf wir später eingehen werden. Einstweilen begnügen wir uns mit der Frage, woher der Redner dies Isolierte als das Gute weiß? Wenn die allgemeinen Mächte des Lebens schlecht sind, und wir haben gehört, daß das Schlechte das Allmächtige, das auf die Massen Wirkende ist, was und wer ist noch berechtigt, sich für gut auszugeben? Es ist dies die hochmütige Behauptung: Meine Individualität ist das Gute, die paar Existenzen, die meiner Individualität zusagen, sind das Gute, und die böse schlechte Presse will das nicht anerkennen. Die schlechte Presse!

Hat der Redner gleich im Beginn den Angriff auf die Preßfreiheit in einen Angriff auf die Freiheit verwandelt, so verwandelt er ihn hier in einen Angriff auf das Gute. Seine Furcht vor dem Schlechten zeigt sich als eine Furcht vor dem Guten. Er fundiert die Zensur also auf eine Anerkennung des Schlechten und eine Verkennung des Guten, oder verachte ich etwa einen Menschen nicht, dem ich vorher sage, daß sein Gegner im Kampfe siegen muß, weil er selbst zwar ein nüchterner Gesell und ein sehr guter Nachbar, aber ein schlechter Held sei, weil er zwar geweihte Waffen trage, aber sie nicht zu führen wisse, weil zwar ich und er, wir beide, von seiner Vollkommenheit vollkommen überzeugt seien, aber die Welt nie diese Überzeugung teilen werde, weil es zwar gut um seine Meinung, aber elend um seine Energie stehe?

Sosehr nun die Distinktion[en] des Redners von guter und schlechter Presse alle Widerlegung überflüssig gemacht haben, indem sie sich in ihren eigenen Widersprüchen verschlingen, so dürfen wir doch die Hauptsache nicht außer acht lassen, daß der Redner die Frage ganz falsch gestellt hat und das zum Grunde macht, was er begründen sollte.

Wenn man von zwei Arten der Presse sprechen will, so müssen diese Unterschiede aus dem Wesen der Presse selbst, nicht aus Rücksichten, die außerhalb ihrer liegen, genommen sein. Zensierte Presse oder freie Presse, eine von beiden, muß die gute oder die schlechte Presse sein. Eben darüber wird ja debattiert, ob die zensierte Presse oder die freie Presse gut oder schlecht sind, d.h. ob es dem Wesen der Presse entspricht, eine freie oder unfreie Existenz zu haben. Die schlechte Presse zur Widerlegung der freien Presse machen, ist behaupten, daß die freie Presse schlecht und die zensierte gut sei, was eben zu beweisen war.

|54| Niedrige Gesinnungen, persönliche Schikanen, Infamien teilt die zensierte Presse mit der freien Presse. Das bildet also nicht ihren Gattungsunterschied, daß sie einzelne Produkte von dieser oder jener Art erzeugen; auch im Sumpfe wachsen Blumen. Es handelt sich hier um das Wesen, um den inneren Charakter, der zensierte Presse und freie Presse scheidet.

Die freie Presse, die schlecht ist, entspricht dem Charakter ihres Wesens nicht. Die zensierte Presse mit ihrer Heuchelei, ihrer Charakterlosigkeit, ihrer Eunuchensprache, ihrem hündischen Schwanzwedeln verwirklicht nur die inneren Bedingungen ihres Wesens.

Die zensierte Presse bleibt schlecht, auch wenn sie gute Produkte erzeugt, denn diese Produkte sind nur gut, insofern sie die freie Presse innerhalb der zensierten darstellen, und insofern es nicht zu ihrem Charakter gehört, Produkte der zensierten Presse zu sein. Die freie Presse bleibt gut, auch wenn sie schlechte Produkte erzeugt, denn diese Produkte sind Apostate von der Natur der freien Presse. Ein Kastrat bleibt ein schlechter Mensch, wenn er auch eine gute Stimme hat. Die Natur bleibt gut, wenn sie auch Mißgeburten hervorbringt.

Das Wesen der freien Presse ist das charaktervolle, vernünftige, sittliche Wesen der Freiheit. Der Charakter der zensierten Presse ist das charakterlose Unwesen der Unfreiheit, sie ist ein zivilisiertes Ungeheuer, eine parfümierte Mißgeburt.

Oder bedarf es noch des Beweises, daß die Preßfreiheit dem Wesen der Presse entspricht und die Zensur ihm widerspricht? Versteht es sich nicht von selbst, daß die äußere Schranke eines geistigen Lebens nicht zum inneren Charakter dieses Lebens gehört, daß sie dieses Leben verneint und nicht bejaht?

Um die Zensur wirklich zu rechtfertigen, hätte der Redner beweisen müssen, daß die Zensur zum Wesen der Preßfreiheit gehört; statt dessen beweist er, daß die Freiheit nicht zum Wesen des Menschen gehört. Er verwirft die ganze Gattung, um eine gute Art zu erhalten, denn die Freiheit ist doch wohl das Gattungswesen des ganzen geistigen Daseins, also auch der Presse? Um die Möglichkeit des Bösen aufzuheben, hebt er die Möglichkeit des Guten auf und verwirklicht das Schlechte, denn menschlich gut kann nur sein, was eine Verwirklichung der Freiheit ist.

Wir werden also die zensierte Presse so lang für die schlechte Presse halten, als uns nicht bewiesen wird, daß die Zensur aus dem Wesen der Preßfreiheit selbst hervorgeht.

Aber selbst angenommen, die Zensur sei mit der Natur der Presse zusammen geboren, obgleich kein Tier, viel weniger ein geistiges Wesen, mit |55| Ketten auf die Welt kommt, was folgte daraus? Daß auch die Preßfreiheit, wie sie von offizieller Seite existiert, daß auch die Zensur der Zensur bedürfe. Und wer soll die Regierungspresse zensieren außer der Volkspresse?

Zwar meint ein anderer Redner, das Übel der Zensur werde dadurch aufgehoben, daß es verdreifacht wird, daß die Zensur unter Provinzialzensur und die Provinzialzensur wieder unter Berliner Zensur gestellt und daß die Preßfreiheit einseitig und die Zensur vielseitig gemacht würde. So viel Umschweife, um zu leben! Wer soll die Berliner Zensur zensieren? Also zu unserem Redner zurück.

Gleich im Anfange hatte er uns dahin belehrt, daß aus dem Kampfe zwischen guter und böser Presse kein Licht hervorgehen werde, aber, können wir jetzt fragen, will er nicht den nutzlosen Kampf permanent machen? Ist nach ihm selbst der Kampf zwischen Zensur und Presse nicht ein Kampf zwischen guter und schlechter Presse?

Die Zensur hebt den Kampf nicht auf, sie macht ihn einseitig, sie macht aus einem offenen Kampf einen versteckten, sie macht aus einem Kampfe der Prinzipien einen Kampf des gewaltlosen Prinzips mit der prinziplosen Gewalt. Die wahre, im Wesen der Preßfreiheit selbst gegründete Zensur ist die Kritik; sie ist das Gericht, das sie aus sich selbst erzeugt. Die Zensur ist die Kritik als Monopol der Regierung; aber verliert die Kritik nicht ihren rationalen Charakter, wenn sie nicht offen, sondern geheim, wenn sie nicht theoretisch, sondern praktisch, wenn sie nicht über den Parteien, sondern selbst eine Partei, wenn sie nicht mit dem scharfen Messer des Verstandes agiert, sondern mit der stumpfen Schere der Willkür, wenn sie die Kritik nur ausüben, nicht ertragen will, wenn sie sich verleugnet, indem sie sich gibt, wenn sie endlich so unkritisch ist, ein Individuum für die Universalweisheit, Machtsprüche für Vernunftsprüche, Tintenflecke für Sonnenflecke, die krummen Striche des Zensors für mathematische Konstruktionen, und Schläge für schlagende Argumente zu versehen?

Im Verlauf der Darstellung haben wir gezeigt, wie die phantastische, salbungsvolle, weichherzige Mystik des Redners in die Hartherzigkeit einer kleinlich-pfiffigen Verstandespragmatik und in die Borniertheit eines ideenlosen Erfahrungskalkül umschlägt. In seinem Räsonnement über das Verhältnis von Zensurgesetz und Preßgesetz, Präventiv- und Repressivmaßregeln überhebt er uns dieser Mühe, indem er selbst zur bewußten Anwendung seiner Mystik fortgeht.

»Präventiv- oder Repressivmaßregeln, Zensur oder Preßgesetz, das sei es, worum es sich allein handle, wobei es jedoch nicht unzweckmäßig wäre, die Gefahren etwas näher ins Auge zu fassen, welche auf der einen oder auf der anderen Seite beseitigt werden |56| müßten. Während die Zensur dem Übel vorbeugen wolle, wolle das Preßgesetz die Wiederholung durch Strafe verhüten. Unvollkommen, wie jede menschliche Einrichtung, würden beide bleiben; welche am wenigsten, das sei hier die Frage. Da es sich um rein geistige Dinge handle, so würde eine Aufgabe, und zwar die wichtigste bei beiden, nie zu lösen sein. Es sei die, eine Form zu finden, welche die Absicht des Gesetzgebers so klar und bestimmt ausdrücke, daß Recht und Unrecht scharf getrennt und jede Willkür beseitigt erscheine. Was ist aber Willkür anderes als Handeln nach individueller Auffassung? Und wie sind die Wirkungen individueller Auffassungen zu beseitigen, da wo es sich um rein geistige Dinge handelt? Eine Richtschnur zu finden, so scharf gezeichnet, daß sie die Notwendigkeit in sich trage, sie in jedem einzelnen Falle im Sinne des Gesetzgebers anwenden zu müssen, das sei der Stein der Weisen, der bis dahin nicht gefunden wurde und auch schwerlich zu finden sein dürfte; und somit sei die Willkür, wenn man das Handeln nach individueller Auffassung hierunter verstehe, von Zensur wie von Preßgesetz unzertrennlich. Wir hätten also beide in ihrer notwendigen Unvollkommenheit und in deren Folgen zu betrachten. Wenn die Zensur manches Gute unterdrücken werde, so werde das Preßgesetz vieles Böse zu verhindern nicht imstande sein. Doch die Wahrheit lasse sich auf die Dauer nicht unterdrücken. Je mehr Hindernisse ihr in den Weg gelegt würden, um desto kühner verfolge sie ihr Ziel, um desto geläuterter erreiche sie dasselbe. Aber das böse Wort gleiche dem griechischen Feuer, unaufhaltbar, nachdem es das Wurfgeschoß verlassen, unberechenbar in seinen Wirkungen, weil ihm nichts heilig und unauslöschlich, weil es in dem Munde, wie in dem Herzen der Menschen Nahrung und Fortpflanzung fände.«

Der Redner ist nicht glücklich in seinen Vergleichen. Eine poetische Exaltation überfällt ihn, sobald er die Allmacht des Bösen schildert. Schon einmal hörten wir dem Sirenengesang des Bösen die Stimme des Guten machtlos, weil nüchtern, entgegenschallen. Nun wird das Böse gar zum griechischen Feuer, während der Redner für die Wahrheit gar keinen Vergleich hat, und fassen wir für ihn seine »nüchternen« Worte in einen Vergleich, so wäre die Wahrheit zum höchsten der Kieselstein, der so lichtere Funken sprüht, je mehr man ihn schlägt. Ein schönes Argument für die Sklavenhändler, aus dem Neger die Menschheit herauszupeitschen, eine treffliche Maxime für den Gesetzgeber, Repressivgesetze gegen die Wahrheit zu geben, damit sie desto kühner ihr Ziel verfolge. Der Redner scheint erst Respekt vor der Wahrheit zu haben, sobald sie naturwüchsig wird und sich handgreiflich demonstriert. Je mehr Dämme ihr der Wahrheit entgegenwerft, eine um so tüchtigere Wahrheit erhaltet ihr! Immer zugedämmt!

Doch lassen wir die Sirenen singen!

Die mystische »Unvollkommenheitstheorie« des Redners hat endlich ihre irdischen Früchte getragen; sie hat ihre Mondsteine uns an den Kopf geworfen; betrachten wir die Mondsteine!

|57| Alles ist unvollkommen. Zensur ist unvollkommen, Preßgesetz ist unvollkommen. Ihr Wesen ist damit erkannt. Über das Recht ihrer Idee ist nichts weiter zu sagen, uns bleibt nichts übrig, als vom Standpunkte der allerniedrigsten Empirie aus einen Wahrscheinlichkeitskalkül anzustellen, auf welcher Seite die meisten Gefahren sind. Es ist ein rein zeitlicher Unterschied, ob Maßregeln dem Übel selbst durch die Zensur oder der Wiederholung des Übels durch das Preßgesetz vorbeugen.

Man sieht, wie der Redner durch die hohle Phrase von der »menschlichen Unvollkommenheit« den wesentlichen, inneren, charakteristischen Unterschied von Zensur und Preßgesetz zu umgehen und die Kontroverse aus einer Prinzipienfrage in die Jahrmarktsfrage umzuwandeln weiß, ob mehr blaue Nasen bei dem Zensur- oder bei dem Preßgesetz davonzutragen sind?

Wenn aber Preßgesetz und Zensurgesetz entgegengestellt werden, so handelt es sich zunächst nicht um ihre Konsequenzen, sondern um ihren Grund, nicht um ihre individuelle Anwendung, sondern um ihr allgemeines Recht. Montesquieu lehrt schon, daß die Despotie in der Anwendung bequemer sei als die Gesetzlichkeit, und Machiavelli behauptet, daß das Schlechte für die Fürsten von besseren Konsequenzen sei als das Gute. Wenn wir daher nicht das alte jesuitische Sprüchlein bewahrheiten wollen, daß der gute Zweck - und selbst die Güte des Zwecks bezweifeln wir - schlechte Mittel heiligt, so haben wir vor allem zu untersuchen, ob die Zensur ihrem Wesen nach ein gutes Mittel sei.

Der Redner hat recht, wenn er das Zensurgesetz eine Präventivmaßregel nannte, sie ist eine Vorsichtsmaßregel der Polizei gegen die Freiheit, aber er hat unrecht, wenn er das Preßgesetz eine Repressivmaßregel nennt. Sie ist die Regel der Freiheit selbst, die sich zum Maß ihrer Ausnahmen macht. Die Zensurmaßregel ist kein Gesetz. Das Preßgesetz ist keine Maßregel.

Im Preßgesetz straft die Freiheit. Im Zensurgesetz wird die Freiheit bestraft. Das Zensurgesetz ist ein Verdachtsgesetz gegen die Freiheit. Das Preßgesetz ist ein Vertrauensvotum, das die Freiheit sich selbst gibt. Das Preßgesetz bestraft den Mißbrauch der Freiheit. Das Zensurgesetz bestraft die Freiheit als einen Mißbrauch. Es behandelt die Freiheit als eine Verbrecherin, oder gilt nicht in jeder Sphäre für Ehrenstrafe, unter polizeilicher Aufsicht zu stehen? Das Zensurgesetz hat nur die Form eines Gesetzes. Das Preßgesetz ist ein wirkliches Gesetz.

Das Preßgesetz ist wirkliches Gesetz, weil es positives Dasein der Freiheit ist. Es betrachtet die Freiheit als den normalen Zustand der Presse, die Presse als ein Dasein der Freiheit und tritt daher erst in Konflikt mit dem Preßvergehen als einer Ausnahme, die ihre eigene Regel bekämpft und sich |58| daher aufhebt. Die Preßfreiheit setzt sich als Preßgesetz durch, gegen die Attentate auf sich selbst, d.h. gegen die Preßvergehen. Das Preßgesetz erklärt die Freiheit für die Natur des Verbrechers. Was er also gegen die Freiheit getan, hat er gegen sich selbst getan, und diese Selbstverletzung erscheint ihm als Strafe, die ihm eine Anerkennung seiner Freiheit ist.

Weit entfernt also, daß das Preßgesetz eine Repressivmaßregel gegen die Preßfreiheit wäre, ein bloßes Mittel, um vor der Wiederholung des Verbrechens durch die Strafe abzuschrecken, so müßte vielmehr der Mangel einer Preßgesetzgebung als die Ausschließung der Preßfreiheit aus der Sphäre der rechtlichen Freiheit betrachtet werden, denn die rechtlich anerkannte Freiheit existiert im Staate als Gesetz. Gesetze sind keine Repressivmaßregeln gegen die Freiheit, so wenig wie das Gesetz der Schwere eine Repressivmaßregel gegen die Bewegung ist, weil es zwar als Gravitationsgesetz die ewigen Bewegungen der Weltkörper treibt, aber als Gesetz des Falles mich erschlägt, wenn ich es verletze und in der Luft tanzen will. Die Gesetze sind vielmehr die positiven, lichten, allgemeinen Normen, in denen die Freiheit ein unpersönliches, theoretisches, von der Willkür des Einzelnen unabhängiges Dasein gewonnen hat. Ein Gesetzbuch ist die Freiheitsbibel eines Volkes.

Das Preßgesetz ist also die gesetzliche Anerkennung der Preßfreiheit. Es ist Recht, weil es positives Dasein der Freiheit ist. Es muß daher vorhanden sein, und wenn es nie zur Anwendung kommt, wie in Nordamerika, während die Zensur, so wenig wie die Sklaverei, jemals gesetzlich werden kann, und wenn sie tausendmal als Gesetz vorhanden wäre.

Es gibt keine aktuellen Präventivgesetze. Das Gesetz präveniert nur als Gebot. Tätiges Gesetz wird es erst, sobald es übertreten wird, denn wahres Gesetz ist es nur, wenn in ihm das bewußtlose Naturgesetz der Freiheit bewußtes Staatsgesetz geworden ist. Wo das Gesetz wirkliches Gesetz, d.h. Dasein der Freiheit ist, ist es das wirkliche Freiheitsdasein des Menschen. Die Gesetze können also den Handlungen des Menschen nicht prävenieren, denn sie sind ja die inneren Lebensgesetze seines Handelns selbst, die bewußten Spiegelbilder seines Lebens. Das Gesetz tritt also vor dein Leben des Menschen als einem Leben der Freiheit zurück, und erst, wenn seine wirkliche Handlung gezeigt hat, daß er aufgehört, dem Naturgesetz der Freiheit zu gehorchen, zwingt es ihn als Staatsgesetz, frei zu sein, wie die physischen Gesetze nur dann erst als ein Fremdes gegenübertreten, wenn mein Leben aufgehört hat, das Leben dieser Gesetze zu sein, wenn es erkrankt ist. Ein Präventivgesetz ist also ein sinnloser Widerspruch.

Das Präventivgesetz hat daher kein Maß in sich, keine vernünftige Regel, denn die vernünftige Regel kann nur aus der Natur der Sache, hier der |59| Freiheit, genommen sein. Es ist maßlos, denn wenn die Prävention der Freiheit sich durchsetzen will, so muß sie so groß sein wie ihr Gegenstand, d.h. unbeschränkt. Das Präventivgesetz ist also der Widerspruch einer unbeschränkten Beschränkung, und wo es aufhört, ist nicht durch die Notwendigkeit, sondern durch den Zufall der Willkür die Grenze gesetzt, wie die Zensur täglich ad oculos demonstriert |vor Augen führt|.

Der menschliche Leib ist von Natur sterblich. Krankheiten können daher nicht ausbleiben. Warum wird der Mensch erst dem Arzte unterworfen, wenn er erkrankt, und nicht, wenn er gesund ist? Weil nicht nur die Krankheit, weil schon der Arzt ein Übel ist. Durch eine ärztliche Kuratel wäre das Leben als ein Übel und der menschliche Leib als Objekt der Behandlung für Medizinalkollegien anerkannt. Ist der Tod nicht wünschenswerter als ein Leben, das bloße Präventivmaßregel gegen den Tod? Gehört freie Bewegung nicht auch zum Leben? Was ist jede Krankheit als in seiner Freiheit gehemmtes Leben? Ein perpetuierlicher Arzt wäre eine Krankheit, an der man nicht einmal die Aussicht hätte, zu sterben, sondern zu leben. Mag das Leben sterben: der Tod darf nicht leben. Hat der Geist nicht mehr Recht als der Körper? Allerdings hat man dies oft dahin interpretiert, daß den Geistern von freier Motion die körperliche Motion sogar schädlich und daher zu entziehen sei. Die Zensur geht davon aus, die Krankheit als den normalen Zustand, oder den normalen Zustand, die Freiheit, als eine Krankheit zu betrachten. Sie versichert der Presse beständig, daß sie krank sei, und mag diese die besten Proben ihrer gesunden Leibeskonstitution geben, sie muß sich behandeln lassen. Aber die Zensur ist nicht einmal ein literater Arzt, der je nach der Krankheit verschiedene innere Mittel anwendet. Sie ist ein Chirurg vom Lande, der nur ein mechanisches Universalmittel für alles kennt, die Schere. Und sie ist nicht einmal ein Chirurg, der meine Gesundheit bezweckt, sie ist ein chirurgischer Ästhetiker, der alles für überflüssig an meinem Körper hält, was ihm nicht gefällt, und abrasiert, was ihn widrig affiziert; sie ist ein Quacksalber, der den Ausschlag zurücktreibt, um ihn nicht zu sehen, ohne Sorge, ob er sich nun auf die edleren inneren Teile wirft.

Ihr haltet es für Unrecht, Vögel einzufangen. Ist der Käfig nicht eine Präventivmaßregel gegen Raubvögel, Kugeln und Stürme? Ihr haltet es für barbarisch, Nachtigallen zu blenden, und euch dünkt keine Barbarei, mit spitzen Zensurfedern der Presse die Augen auszustechen? Ihr haltet es für despotisch, einem freien Menschen wider Willen die Haare zu schneiden, |60| und die Zensur schneidet den geistigen Individuen täglich ins Fleisch, und nur herzlose Körper, Körper ohne Reaktion, devote Körper, läßt sie als gesunde passieren!


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