MLWerke | 1842 | Marx/Engels

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/ Friedrich Engels - Werke. (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 1. Berlin/DDR. 1976. S. 28-77.
1,5. Korrektur
Erstellt am 30.08.1999

Karl Marx

Debatten über Preßfreiheit und Publikation der Landständischen Verhandlungen

Von einem Rheinländer

Dritter Artikel

[»Rheinische Zeitung« Nr. 125 vom 5. Mai 1842]
[»Rheinische Zeitung« Nr. 128 vom 8. Mai 1842]
[»Rheinische Zeitung« Nr. 130 vom 10. Mai 1842]
[»Rheinische Zeitung« Nr. 132 vom 12. Mai 1842]
[»Rheinische Zeitung« Nr. 135 vom 15. Mai 1842]
[»Rheinische Zeitung« Nr. 139 vom 19. Mai 1842]


[»Rheinische Zeitung« Nr. 130 vom 10. Mai 1842]

|41|Der Redner aus dem Ritterstande, zu dem wir jetzt kommen, polemisiert nicht gegen die Völker, sondern gegen die Menschen. Er bestreitet in der Preßfreiheit die menschliche Freiheit, im Preßgesetz das Gesetz. Bevor er auf die eigentliche Frage über Preßfreiheit eingeht, nimmt er die Frage über unverkürzte und tägliche Publikation der Landtagsdebatten auf. Wir folgen ihm, Schritt vor Schritt.

»Dem ersten der Anträge auf Veröffentlichung unserer Verhandlungen sei genügt.« »In die Hände des Landtags sei es gelegt, von der erteilten Erlaubnis einen weisen Gebrauch zu machen.«

Eben das ist das punctum quaestionis |der fragliche Punkt|. Die Provinz glaubt, daß der Landtag erst in ihre Hände gelegt ist, sobald die Veröffentlichung der Debatten nicht mehr der Willkür seiner Weisheit überlassen, sondern eine gesetzliche Notwendigkeit geworden ist. Wir müßten die neue Konzession als einen neuen Rückschritt bezeichnen, wenn sie so zu interpretieren, daß die Publikation der Willkür der Landstände anheimfällt.

Privilegien der Landstände sind keine Rechte der Provinz. Vielmehr hören die Rechte der Provinz gerade da auf, wo sie zu Privilegien der Landstände werden. So hatten die Stände des Mittelalters alle Rechte des Landes in sich absorbiert und wendeten sie als Vorrechte gegen das Land.

Der Staatsbürger will das Recht nicht als Privilegium wissen. Kann er für ein Recht halten, neue Privilegierte zu alten Privilegierten hinzuzufügen?

Die Rechte des Landtags sind auf diese Weise nicht mehr Rechte der Provinz, sondern Rechte wider die Provinz, und der Landtag selbst wäre das |42| der Provinz am meisten entgegenstehende Unrecht mit der mystischen Bedeutung, für ihr größtes Recht gelten zu sollen.

Wie sehr nun der Redner aus dem Ritterstande dieser mittelaltrigen Auffassung des Landtags verfallen ist, wie rückhaltlos er das Privilegium des Landstandes gegen das Recht des Landes verficht, wird der Verfolg seiner Rede beweisen.

»Die Ausdehnung dieser Erlaubnis« (der Publikation der Debatten) »könne nur aus der inneren Überzeugung, nicht aber aus äußeren Einwirkungen hervorgehen.«

Eine überraschende Wendung! Die Einwirkung der Provinz auf ihren Landtag wird als ein Äußeres bezeichnet, dem die Überzeugung der Landstände als zartsinnige Innerlichkeit gegenübersteht, deren höchstirritable Natur der Provinz zuruft: »Noli me tangere!« |»Rühr mich nicht an!«| Um so denkwürdiger ist diese elegische Floskel von der »inneren Überzeugung« gegenüber dem rauhen, äußerlichen, unberechtigten Nordwind der »öffentlichen Überzeugung«, als der Antrag gerade darauf geht, die innere Überzeugung der Landstände äußerlich zu machen. Allerdings finden wir auch hier Inkonsequenz. Wo es dem Redner füglicher scheint, in den kirchlichen Kontroversen, provoziert er auf die Provinz.

»Wir«, fährt der Redner fort, »würden sie« (die Publikation) »eintreten lassen, da, wo wir es für zweckmäßig erachten, und sie beschränken, da, wo uns eine Ausdehnung zwecklos oder gar wohl schädlich erschiene.«

Wir werden tun, was wir wollen. Sic vob, sic iubeo, stat pro ratione voluntas. |Ich will's, also befehl' ich's; statt des Grundes genüge der Wille.| Es ist vollständige Herrschersprache, die allerdings im Munde eines modernen Standesherrn einen rührenden Beigeschmack hat.

Wer sind »wir«? Die Landstände. Die Veröffentlichung der Debatten ist für die Provinz und nicht für die Stände, aber Redner belehrt uns des Besseren. Auch die Publikation der Verhandlungen ist ein Privilegium der Landstände, die das Recht haben, wenn sie es passend finden, ihrer Weisheit das vielstimmige Echo des Preßbengels zu geben.

Der Redner kennt nur die Provinz der Landstände, nicht die Landstände der Provinz. Die Landstände haben eine Provinz, worauf das Privilegium ihrer Tätigkeit sich erstreckt, aber die Provinz hat keine Landstände, durch welche sie selbst tätig wäre. Allerdings hat die Provinz das Recht, unter vorgeschriebenen Bedingungen, sich diese Götter zu machen, aber gleich nach der Schöpfung muß sie, wie der Fetischdiener, vergessen, daß es Götter ihres Händewerkes sind.

|43| Es ist dabei unter anderem nicht abzusehen, warum eine Monarchie ohne Landtag nicht mehr wert ist als eine Monarchie mit Landtag, denn ist der Landtag nicht die Repräsentation des Provinzialwillens, so hegen wir zur öffentlichen Intelligenz der Regierung mehr Vertrauen als zur Privatintelligenz von Grund und Boden.

Wir haben hier das sonderbare, vielleicht im Wesen der Landtage gegründete Schauspiel, daß die Provinz nicht sowohl durch als mit ihren Stellvertretern zu kämpfen hat. Nach dem Redner hält der Landtag nicht die allgemeinen Rechte der Provinz für seine einzigen Privilegien, denn in diesem Falle wäre die tägliche unverkürzte Publikation der Landtagsverhandlungen ein neues Recht des Landtags, weil des Landes, sondern vielmehr soll das Land die Vorrechte der Landstände für seine einzigen Rechte halten; warum nicht auch die Vorrechte irgendeiner Beamtenklasse und des Adels oder der Priester!

Ja, unser Redner spricht unverhohlen aus, daß die Vorrechte der Landstände in dem Maße abnehmen, als die Rechte der Provinz zunehmen.

»Ebenso wünschenswert es ihm erscheine, daß hier in der Versammlung Freiheit der Diskussion stattfände und ein ängstliches Abwägen der Worte vermieden würde, ebenso notwendig erscheine es ihm zur Erhaltung dieser Freiheit des Wortes und dieser Unbefangenheit der Rede, daß unsere Worte zurzeit nur noch von denjenigen beurteilt würden, für die sie bestimmt seien.«

Eben weil die Freiheit der Diskussion, schließt der Redner, in unserer Versammlung wünschenswert ist - und welche Freiheiten wären uns nicht wünschenswert, wo es sich von uns handelt - eben darum ist die Freiheit der Diskussion in der Provinz nicht wünschenswert. Weil es wünschenswert ist, daß wir unbefangen sprechen, ist es noch wünschenswerter, die Provinz in der Gefangenschaft des Geheimnisses zu erhalten. Unsere Worte sind nicht für die Provinz bestimmt.

Man muß den Takt anerkennen, womit der Redner herausgefühlt hat, daß der Landtag durch die unverkürzte Publikation seiner Debatten aus einem Vorrecht der Landstände ein Recht der Provinz würde, daß er, unmittelbar Gegenstand des öffentlichen Geistes geworden, sich entschließen müßte, eine Vergegenständlichung des öffentlichen Geistes zu sein, daß er, in das Licht des allgemeinen Bewußtseins gestellt, sein besonderes Wesen gegen das allgemeine aufzugeben hätte.

Wenn aber der ritterliche Redner persönliche Privilegien, individuelle, dem Volke und der Regierung gegenüberstehende Freiheiten für die allgemeinen Rechte versieht und damit unstreitig den exklusiven Geist seines Standes treffend ausgesprochen hat, so interpretiert er dagegen den Geist der Provinz aufs allerverkehrteste, wenn er nun ebenfalls ihre allgemeinen Forderungen in persönliche Gelüste umwandelt.

|44| So scheint der Redner eine persönlich-lüsterne Neugier der Provinz auf unsere Worte (sc. der landständischen Persönlichkeiten) zu unterstellen.

Wir versichern ihn, daß die Provinz keineswegs neugierig ist auf »die Worte« der Landstände als einzelner Personen, und nur »solche« Worte können sie mit Recht »ihre« Worte nennen. Vielmehr verlangt die Provinz, daß die Worte der Landstände sich verwandeln sollen in die öffentlich vernehmbare Stimme des Landes.

Es handelt sich davon, ob die Provinz ein Bewußtsein über ihre Vertretung haben soll oder nicht! Soll zu dem Mysterium der Regierung das neue Mysterium der Vertretung hinzukommen? Auch in der Regierung ist das Volk vertreten. Die neue Vertretung desselben durch die Stände ist also rein sinnlos, wenn nicht eben darin ihr spezifischer Charakter besteht, daß hier nicht für die Provinz gehandelt wird, sondern daß sie vielmehr selbst handelt; daß sie hier nicht repräsentiert wird, sondern vielmehr sich selbst repräsentiert. Eine Repräsentation, die dem Bewußtsein ihrer Kommittenten entzogen ist, ist keine. Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Es ist der sinnlose Widerspruch, daß die Funktion des Staates, die vorzugsweise die Selbsttätigkeit der einzelnen Provinzen darstellt, sogar ihrem formellen Mitwirken, dem Mitwissen entzogen ist, der sinnlose Widerspruch, daß meine Selbsttätigkeit die mir unbewußte Tat eines anderen sein soll.

Eine Publikation der Landtagsverhandlungen aber, die der Willkür der Landstände anheimgefallen ist, ist schlechter als gar keine, denn wenn der Landtag mir gibt, nicht was er ist, sondern was er für mich scheinen will, so nehme ich ihn als das, als was er sich gibt, als Schein, und es ist schlimm, wenn der Schein gesetzliche Existenz hat.

Ja selbst die tägliche unverkürzte Veröffentlichung durch den Druck, heißt sie mit Recht unverkürzt und öffentlich? Ist es keine Verkürzung, die Schrift dem Wort, Schemata den Personen, die papierne Aktion der wirklichen Aktion zu substituieren? Oder besteht die Öffentlichkeit nur darin, daß die wirkliche Sache dem Publikum referiert, und nicht vielmehr darin, daß sie dem wirklichen Publikum referiert wird, d.h. nicht dem imaginären lesenden, sondern dem lebendigen gegenwärtigen Publikum?

Nichts ist widersprechender, als daß die höchste öffentliche Aktion der Provinz geheim sei, daß die Gerichtstüre zu Privatprozessen der Provinz offensteht und daß sie in ihrem eigenen Prozesse vor der Tür stehenbleiben muß.

Die unverkürzte Publikation der Landtagsverhandlungen kann daher in ihrem wahren konsequenten Sinne nichts anderes sein als die volle Öffentlichkeit des Landtags.

|45| Unser Redner geht im Gegenteil dahin fort, den Landtag als eine Art Estaminet zu betrachten.

»Auf eine langjährige Bekanntschaft sei bei den meisten von uns das gute persönliche Einvernehmen gegründet, in welchem wir uns trotz der verschiedensten Ansichten über die Sachen befänden, ein Verhältnis, welches sich auf die neu Eintretenden vererbe.«

»Gerade dadurch seien wir am meisten imstande, den Wert unserer Worte zu würdigen, und würde dies um so unbefangener geschehen, je weniger wir äußeren Einflüssen eine Einwirkung gestatteten, die nur alsdann von Nutzen sein dürfte, wenn sie uns in der Gestalt eines wohlmeinenden Rates zur Seite treten, nicht aber in Gestalt eines absprechenden Urteils, eines Lobes oder Tadels, auf unsere Persönlichkeit durch die Öffentlichkeit einzuwirken suchen.«

Der Herr Redner spricht zum Gemüt.

Wir sind so familiär zusammen, wir parlieren so ungeniert, wir wagen so genau den Wert unserer respektiven Worte, sollten wir unsere so patriarchalische, so vornehme, so bequeme Stellung durch das Urteil der Provinz alterieren lassen, die unseren Worten vielleicht weniger Wert beimißt?

Da sei Gott für. Der Landtag verträgt den Tag nicht. In der Nacht des Privatlebens ist uns heimlicher zumute. Wenn die ganze Provinz das Vertrauen hat, ihre Rechte einzelnen Individuen anzuvertrauen, so versteht es sich von selbst, daß diese einzelnen Individuen so herablassend sind, das Vertrauen der Provinz zu akzeptieren, aber es wäre wirkliche Überspanntheit, zu verlangen, sie sollten nun Gleiches mit Gleichem vergelten und vertrauensvoll sich selbst, ihre Leistungen, ihre Persönlichkeiten, dem Urteil der Provinz hingeben, die ihnen erst ein Urteil von Konsequenz gegeben hat. Jedenfalls ist es wichtiger, daß die Persönlichkeit der Landstände nicht durch die Provinz, als daß das Interesse der Provinz nicht durch die Persönlichkeit der Landstände gefährdet werde.

Wir wollen auch billig sein, auch huldvollst. Wir, und wir sind eine Art Regierung, wir erlauben zwar kein absprechendes Urteil, zwar kein Lob, zwar keinen Tadel, wir erlauben der Öffentlichkeit keinen Einfluß auf unsere persona sacrosancta |geheiligte Person|, aber wir gestatten wohlmeinenden Rat, nicht in dem abstrakten Sinne, daß er es für das Land wohlmeine, sondern in dem voller tönenden, daß er eine passionierte Zärtlichkeit für die landständischen Personen, eine besondere Meinung von ihrer Vorzüglichkeit besitze.

Zwar könnte man meinen, wenn die Öffentlichkeit unserem guten Einvernehmen, so müsse unser gutes Einvernehmen der Öffentlichkeit schädlich sein. Allein diese Sophistik vergißt, daß der Landtag der Tag der Landstände |46| und nicht der Tag der Provinz ist. Und wer vermöchte dem schlagendsten aller Argumente zu widerstehen? Wenn die Provinz verfassungsmäßig Stände ernennt, um ihre allgemeine Intelligenz zu repräsentieren, so hat sie sich selbst eben damit alles eigenen Urteils und Verstands völlig begeben, die nun einzig in den Auserwählten inkorporiert sind. Wie Sagen gehen, daß große Erfinder getötet, oder, was keine Sage ist, lebendig auf Festungen vergraben wurden, sobald sie ihr Geheimnis dem Machthaber mitgeteilt, so stürzt sich die politische Vernunft der Provinz jedesmal ins eigene Schwert, sobald sie die große Erfindung der Landstände gemacht hat, allerdings um als Phönix für die folgenden Wahlen neu zu erstehen.

Nach diesen gemütvoll zudringlichen Schilderungen der Gefahren, die den landständischen Persönlichkeiten durch die Publikation der Verhandlungen von außen, d.h. von der Provinz drohen, schließt der Redner diese Diatribe mit dem leitenden Gedanken, den wir bisher verfolgt haben.

»Die parlamentarische Freiheit«, ein sehr wohlklingendes Wort, »befinde sich in ihrer ersten Entwicklungsperiode. Sie müsse unter Schutz und Pflege diejenige innere Kraft und Selbständigkeit gewinnen, die durchaus notwendig wären, bevor sie äußeren Stürmen ohne Nachteil preisgegeben werden könnte.«

Wieder der alte fatale Gegensatz des Landtags als des Inneren und der Provinz als des Äußeren.

Wir waren allerdings schon lange der Meinung, daß die parlamentarische Freiheit erst im Anfang ihres Anfangs steht, und selbst vorliegende Rede hat uns von neuem überzeugt, daß die primitiae studiorum in den politicis |Anfangsgründe der Wissenschaft in den politischen Dingen| noch immer nicht absolviert sind. Keineswegs aber meinen wir damit - und die vorliegende Rede bestätigt wiederum unsere Meinung -, daß dem Landtag noch längere Frist zu geben sei, sich selbständig zu verknöchern, gegen die Provinz. Vielleicht versteht der Redner unter parlamentarischer Freiheit die Freiheit der alten französischen Parlamente. Nach seinem eigenen Geständnis herrscht eine langjährige Bekanntschaft unter den Landständen, ihr Geist geht schon als epidemisches Erbe auf die homines novi |neuen Menschen| über, und noch immer nicht Zeit zur Öffentlichkeit? Der 12. Landtag kann dieselbe Antwort geben wie der 6., nur mit der dezidierteren Wendung, daß er zu selbständig sei, um sich das vornehme Privilegium des geheimen Verfahrens entreißen zu lassen.

Allerdings die Entwicklung der parlamentarischen Freiheit im altfranzösischen Sinne, die Selbständigkeit gegen die öffentliche Meinung, die Stagnation des Kastengeistes entwickele sich durch Isolierung am gründlichsten, |47| aber vor eben dieser Entwicklung kann man nicht zeitig genug warnen. Eine wahrhaft politische Versammlung gedeiht nur unter dem großen Protektorat des öffentlichen Geistes, wie das Lebendige nur unter dem Protektorat der freien Luft. Bloß »exotische« Pflanzen, Pflanzen, die in ein fremdes Klima versetzt sind, bedürfen Schutz und Pflege des Treibhauses. Betrachtete der Redner den Landtag als eine »exotische« Pflanze im freien, heiteren Klima der Rheinprovinz?

Wenn unser Redner aus dem Ritterstande mit fast komischem Ernst, mit fast melancholischer Würde und beinah religiösem Pathos das Postulat von der hohen Weisheit der Landstände entwickelt hat, so wird der Unkundige verwundert sein, ihn in der Frage über Preßfreiheit von der hohen Weisheit des Landtags auf die durchgängige Unweisheit des Menschengeschlechts, von der oben erst empfohlenen Selbständigkeit und Freiheit privilegierter Stände auf die prinzipielle Unfreiheit und Unselbständigkeit der menschlichen Natur herabsinken zu sehen. Wir sind nicht verwundert, einer der heutzutage zahlreichen Gestalten des christlich ritterlichen, modern feudalen, kurz des romantischen Prinzips zu begegnen.

Diese Herren, weil sie die Freiheit nicht als natürliche Gabe dem allgemeinen Sonnenlichte der Vernunft, sondern als übernatürliches Geschenk einer besonders günstigen Konstellation der Sterne verdanken wollen, weil sie die Freiheit als nur individuelle Eigenschaft gewisser Personen und Stände betrachten, sind konsequenterweise genötigt, die allgemeine Vernunft und die allgemeine Freiheit unter die schlechten Gesinnungen und Hirngespinste »logisch geordneter Systeme« zu subsumieren. Um die besonderen Freiheiten des Privilegiums zu retten, proskribieren sie die allgemeine Freiheit der menschlichen Natur. Weil aber die böse Brut des neunzehnten Jahrhunderts und das eigene von diesem Jahrhundert infizierte Bewußtsein der modernen Ritter nicht begreiflich finden können, was an sich unbegreiflich, weil begrifflos ist, wie nämlich innere, wesentliche, allgemeine Bestimmungen durch äußere, zufällige, besondere Kuriosa mit gewissen menschlichen Individuen verknüpft sein sollten, ohne mit dem Wesen des Menschen, mit der Vernunft überhaupt verknüpft, also allen Individuen gemein zu sein, so nehmen sie notwendigerweise ihre Zuflucht zum Wunderbaren und Mystischen. Weil ferner die wirkliche Stellung dieser Herren im modernen Staate keineswegs dem Begriff entspricht, den sie von ihrer Stellung haben, weil sie in einer Welt leben, die jenseits der wirklichen liegt, weil also die Einbildungskraft ihr Herz und ihr Kopf ist, so greifen sie, in der Praxis unbefriedigt, notwendig zur Theorie, aber zur Theorie des Jenseits, zur Religion, die jedoch |48| in ihren Händen eine polemische, von politischen Tendenzen geschwängerte Bitterkeit empfängt und mehr oder weniger bewußt nur der Heiligenmantel für sehr weltliche, aber zugleich sehr phantastische Wünsche wird.

So werden wir bei unserem Redner finden, daß er praktischen Forderungen eine mystisch religiöse Theorie der Einbildung, daß er wirklichen Theorien eine kleinlich-kluge, pragmatisch-pfiffige, aus der oberflächlichsten Praxis geschöpfte Erfahrungsweisheit, daß er dem menschlich Verständigen übermenschliche Heiligkeiten und dem wirklichen Heiligtum der Ideen die Willkür und den Unglauben niedriger Gesichtspunkte entgegenstellt. Aus der mehr vornehmen, mehr nonchalanten und daher nüchternen Sprache des Redners aus dem Fürstenstand wird jetzt pathetische Geschraubtheit und phantastisch-überschwengliche Salbung, die früher vor dem einen Pathos des Privilegiums noch mehr zurücktraten.

»Je weniger in Abrede gestellt werden könne, daß die Presse heutzutage eine politische Macht sei, um so irriger erscheine ihm die ebenfalls so vielfach verbreitete Ansicht, daß aus dem Kampfe zwischen der guten und bösen Presse Wahrheit und Licht hervorgehen werde und sich eine größere und wirksamere Verbreitung derselben erwarten lasse. Der Mensch sei im Einzelnen wie in Masse stets derselbe. Er sei seiner Natur nach unvollkommen und unmündig und bedürfe der Erziehung, solange seine Entwicklung dauere, die erst mit dem Tode aufhöre. Die Kunst des Erziehens bestehe aber nicht im Bestrafen unerlaubter Handlungen, sondern in der Forderung guter und in dem Fernhalten böser Eindrücke. Von jener menschlichen Unvollkommenheit sei aber unzertrennlich, daß der Sirenengesang des Bösen auf die Massen mächtig wirke und, wenn nicht als ein absolutes, jedenfalls als ein schwer zu besiegendes Hindernis der einfachen und nüchternen Stimme der Wahrheit entgegentrete. Während die schlechte Presse nur zu den Leidenschaften der Menschen rede, während ihr kein Mittel zu schlecht sei, wo es darauf ankomme, durch Aufregung der Leidenschaften ihren Zweck zu erreichen, der da ist möglichste Verbreitung schlechter Grundsätze und möglichste Förderung schlechter Gesinnungen, während ihr alle Vorteile jener gefährlichsten aller Offensiven zur Seite stehen, für die es objektiv keine Schranken des Rechts und subjektiv keine Gesetze der Sittlichkeit, ja nicht einmal der äußeren Ehre gebe, sei die gute Presse stets nur auf die Defensive beschränkt. Ihre Wirkungen könnten größtenteils nur abwehrend, zurückhaltend und festigend sein, ohne sich bedeutender Fortschritte auf das feindliche Gebiet rühmen zu können. Glück genug, wenn nicht äußere Hindernisse jenes noch erschweren.«

Wir haben diese Stelle ganz ausgezogen, um ihren etwaigen pathetischen Eindruck auf den Leser nicht zu schwächen.

Der Redner hat sich à la hauteur des principes |auf die Höhe der Prinzipien| gestellt. Um die Preßfreiheit zu bekämpfen, muß man die permanente Unmündigkeit des Menschengeschlechts |49|* verteidigen. Es ist eine ganz tautologische Behauptung, daß, wenn die Unfreiheit das Wesen des Menschen, die Freiheit seinem Wesen widerspricht. Böse Skeptiker könnten so waghalsig sein, dem Redner nicht auf sein Wort zu glauben.

Wenn die Unmündigkeit des Menschengeschlechts der mystische Grund gegen die Preßfreiheit ist, so ist jedenfalls die Zensur ein höchst verständiges Mittel gegen die Mündigkeit des Menschengeschlechts.

Was sich entwickelt, ist unvollkommen. Die Entwicklung endet erst mit dem Tode. Also bestünde die wahre Konsequenz darin, den Menschen totzuschlagen, um ihn aus diesem Zustande der Unvollkommenheit zu erlösen. So schließt wenigstens der Redner, um die Preßfreiheit totzuschlagen. Die wahre Erziehung besteht ihm darin, den Menschen sein ganzes Leben durch in der Wiege eingewickelt zu halten, denn sobald der Mensch gehen lernt, lernt er auch fallen, und nur durch Fallen lernt er gehen. Aber wenn wir alle Wickelkinder bleiben, wer soll uns einwickeln? Wenn wir alle in der Wiege liegen, wer soll uns wiegen? Wenn wir alle gefangen sind, wer soll Gefangenwärtel sein?

Der Mensch ist seiner Natur nach unvollkommen, im Einzelnen wie in Masse. De principiis non est disputandum |Über Grundsätze läßt sich nicht streiten|. Also zugegeben! Was folgt daraus? Die Räsonnements unseres Redners sind unvollkommen, die Regierungen sind unvollkommen, die Landtage sind unvollkommen, die Preßfreiheit ist unvollkommen, jede Sphäre der menschlichen Existenz ist unvollkommen. Soll also eine dieser Sphären wegen dieser Unvollkommenheit nicht existieren, so hat keine das Recht zu existieren, so hat der Mensch überhaupt nicht das Recht der Existenz.

Die prinzipielle Unvollkommenheit des Menschen vorausgesetzt, nun gut, so wissen wir von vornherein bei allen menschlichen Institutionen, daß sie unvollkommen sind; das ist nicht weiter zu berühren, das spricht nicht für, spricht nicht gegen sie, das ist nicht ihr spezifischer Charakter, das ist nicht ihr Unterscheidungsmerkmal.

Warum soll gerade die freie Presse unter allen diesen Unvollkommenheiten vollkommen sein? Warum verlangt ein unvollkommener Landstand eine vollkommene Presse?

Das Unvollkommene bedarf der Erziehung. Ist die Erziehung nicht auch menschlich, daher unvollkommen? Bedarf die Erziehung nicht auch der Erziehung?

Wenn nun alles Menschliche seiner Existenz nach unvollkommen ist, |50| sollen wir deswegen alles durcheinanderwerfen, alles gleich hoch achten, Gutes und Schlechtes, Wahrheit und Lüge? Die wahre Konsequenz kann nur darin bestehen, wie ich bei der Betrachtung eines Gemäldes den Standpunkt verlasse, der mir nur Farbenkleckse, aber keine Farben, wüst durcheinanderlaufende Linien aber keine Zeichnung gibt, so den Standpunkt zu verlassen, der mir die Welt und die menschlichen Verhältnisse nur in ihrem äußerlichsten Scheine zeigt, ihn als unfähig zu erkennen, den Wert der Dinge zu beurteilen, denn wie könnte mich ein Standpunkt zum Urteil, zum Unterscheiden befähigen, der über das ganze Universum nur den einen platten Einfall hat, daß alles in seiner Existenz unvollkommen ist? Dieser Standpunkt selbst ist das Unvollkommenste unter den Unvollkommenheiten, die er rings um sich sieht. Wir müssen also das Maß des Wesens der inneren Idee an die Existenz der Dinge legen und uns um so weniger durch die Instanzen einer einseitigen und trivialen Erfahrung irren lassen, als dieser zufolge ja alle Erfahrung wegfällt, alles Urteil aufgehoben ist, alle Kühe schwarz sind.


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