MLWerke | 1842 | Marx/Engels

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/ Friedrich Engels - Werke. (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 1. Berlin/DDR. 1976. S. 28-77.
1,5. Korrektur
Erstellt am 30.08.1999

Karl Marx

Debatten über Preßfreiheit und Publikation der Landständischen Verhandlungen

Von einem Rheinländer

Fünfter Artikel

[»Rheinische Zeitung« Nr. 125 vom 5. Mai 1842]
[»Rheinische Zeitung« Nr. 128 vom 8. Mai 1842]
[»Rheinische Zeitung« Nr. 130 vom 10. Mai 1842]
[»Rheinische Zeitung« Nr. 132 vom 12. Mai 1842]
[»Rheinische Zeitung« Nr. 135 vom 15. Mai 1842]
[»Rheinische Zeitung« Nr. 139 vom 19. Mai 1842]


[»Rheinische Zeitung« Nr. 135 vom 15. Mai 1842]

|60|Wir haben gezeigt, wie das Preßgesetz ein Recht und das Zensurgesetz ein Unrecht ist. Die Zensur gesteht aber selbst, daß sie kein Selbstzweck, daß sie nichts an und für sich Gutes sei, daß sie also auf dem Prinzip beruht: »Der Zweck heiligt die Mittel.« Aber ein Zweck, der unheiliger Mittel bedarf, ist kein heiliger Zweck, und könnte nicht auch die Presse den Grundsatz adoptieren und pochen: »Der Zweck heiligt die Mittel«?

Das Zensurgesetz ist also kein Gesetz, sondern eine Polizeimaßregel, aber sie ist selbst eine schlechte Polizeimaßregel, denn sie erreicht nicht, was sie will, und sie will nicht, was sie erreicht.

Will das Zensurgesetz der Freiheit als einem Mißliebigen prävenieren, so erfolgt gerade das Gegenteil. Im Lande der Zensur ist jede verbotene, d.h. ohne Zensur gedruckte Schrift eine Begebenheit. Sie gilt als Märtyrer, und kein Märtyrer ohne Heiligenschein und ohne Gläubige. Sie gilt als Ausnahme, und wenn die Freiheit nie aufhören kann, dem Menschen wert zu sein, um so mehr die Ausnahme von der allgemeinen Unfreiheit. Jedes Mysterium besticht. Wo die öffentliche Meinung sich selbst ein Mysterium ist, ist sie von vornherein bestochen durch jede Schrift, die formell die mystischen Schranken durchbricht. Die Zensur macht jede verbotene Schrift, sei sie schlecht oder gut, zu einer außerordentlichen Schrift, während die Preßfreiheit jeder Schrift das materiell Imposante raubt.

Meint es aber die Zensur ehrlich, so will sie die Willkür verhüten und macht die Willkür zum Gesetz. Sie kann keiner Gefahr vorbeugen, die größer wäre als sie selbst. Die Lebensgefahr für jedes Wesen besteht darin, sich selbst zu verlieren. Die Unfreiheit ist daher die eigentliche Todesgefahr für den Menschen. Einstweilen, von den sittlichen Konsequenzen abgesehen, so bedenkt, daß ihr die Vorzüge der freien Presse nicht genießen könnt, ohne ihre Unbequemlichkeiten zu tolerieren. Ihr könnt die Rose nicht pflücken ohne ihre Dornen! Und was verliert ihr an der freien Presse?

Die freie Presse ist das überall offene Auge des Volksgeistes, das verkörperte Vertrauen eines Volkes zu sich selbst, das sprechende Band, das den Einzelnen mit dem Staat und der Welt verknüpft, die inkorporierte Kultur, welche die materiellen Kämpfe zu geistigen Kämpfen verklärt und ihre rohe stoffliche Gestalt idealisiert. Sie ist die rücksichtslose Beichte eines Volkes vor sich selbst, und bekanntlich ist die Kraft des Bekenntnisses erlösend.

|61| Sie ist der geistige Spiegel, in dem ein Volk sich selbst erblickt, und Selbstbeschauung ist die erste Bedingung der Weisheit. Sie ist der Staatsgeist, der sich in jede Hütte kolportieren läßt, wohlfeiler als materielles Gas. Sie ist allseitig, allgegenwärtig, allwissend. Sie ist die ideale Welt, die stets aus der wirklichen quillt und, ein immer reicherer Geist, neu beseelend in sie zurückströmt.

Der Verlauf der Darstellung hat gezeigt, daß Zensur und Preßgesetz verschieden sind, wie Willkür und Freiheit, wie formelles Gesetz und wirkliches Gesetz. Was aber vom Wesen gilt, gilt auch von der Erscheinung. Was vom Recht beider gilt, das gilt von ihrer Anwendung. So verschieden Preßgesetz und Zensurgesetz, so verschieden ist die Stellung des Richters zur Presse und die Stellung des Zensors.

Unser Redner allerdings, dessen Augen zum Himmel gerichtet sind, sieht tief unter sich die Erde als einen verächtlichen Staubhügel, und so weiß er von allen Blumen nichts zu sagen, als daß sie bestaubt sind. So sieht er auch hier nur zwei Maßregeln, die in ihrer Anwendung gleich willkürlich sind, denn Willkür sei Handeln nach individueller Auffassung, individuelle Auffassung sei von geistigen Dingen nicht zu trennen etc. etc. Wenn die Auffassung geistiger Dinge individuell ist, welches Recht hat eine geistige Ansicht vor der anderen, die Meinung des Zensors vor der Meinung des Schriftstellers? Aber wir verstehen den Redner. Er macht den denkwürdigen Umweg, Zensur und Preßgesetz beide in ihrer Anwendung als rechtlos zu schildern, um das Recht der Zensur zu beweisen, denn da er alles Weltliche als unvollkommen weiß, so bleibt ihm nur die eine Frage, ob die Willkür auf Seite des Volkes oder auf Seite der Regierung stehen soll.

Seine Mystik schlägt in die Libertinage um, Gesetz und Willkür auf eine Stufe zu stellen und nur formellen Unterschied zu sehen, wo es sich um sittliche und rechtliche Gegensätze handelt, denn er polemisiert nicht gegen das Preßgesetz, er polemisiert gegen das Gesetz. Oder gibt es irgendein Gesetz, das die Notwendigkeit in sich trägt, daß es in jedem einzelnen Falle im Sinne des Gesetzgebers angewendet werden muß und jede Willkür absolut ausgeschlossen ist? Es gehört eine unglaubliche Kühnheit dazu, eine solche sinnlose Aufgabe den Stein der Weisen zu nennen, da nur die extremste Unwissenheit sie stellen kann. Das Gesetz ist allgemein. Der Fall, der nach dem Gesetze bestimmt werden soll, ist einzeln. Das Einzelne unter das Allgemeine zu subsumieren, dazu gehört ein Urteil. Das Urteil ist problematisch. Auch der Richter gehört zum Gesetz. Wenn die Gesetze sich selbst anwendeten, dann wären die Gerichte überflüssig.

|62| Aber alles Menschliche ist unvollkommen! Also: Edite, bibite! |Eßt und trinkt! (Aus einem deutschen Studentenlied)| Warum verlangt ihr Richter, da Richter Menschen sind? Warum verlangt ihr Gesetze, da Gesetze nur von Menschen exekutiert werden können und alle menschlichen Exekution unvollkommen ist? Überlaßt euch doch dem guten Willen der Vorgesetzten! Die rheinische Justiz ist unvollkommen wie die türkische! Also: Ebite, bibite!

Welch ein Unterschied zwischen einem Richter und einem Zensor!

Der Zensor hat kein Gesetz als seinen Vorgesetzten. Der Richter hat keinen Vorgesetzten als das Gesetz. Aber der Richter hat die Pflicht, das Gesetz für die Anwendung des einzelnen Falles zu interpretieren, wie er es nach gewissenhafter Prüfung versteht; der Zensor hat die Pflicht, das Gesetz zu verstehen, wie es ihm für den einzelnen Fall offiziell interpretiert wird. Der unabhängige Richter gehört weder mir noch der Regierung. Der abhängige Zensor ist selbst Regierungsglied. Bei dem Richter tritt höchstens die Unzuverlässigkeit einer einzelnen Vernunft, bei dem Zensor die Unzuverlässigkeit eines einzelnen Charakters ein. Vor den Richter wird ein bestimmtes Preßvergehen, vor den Zensor wird der Geist der Presse gestellt. Der Richter beurteilt meine Tat nach einem bestimmten Gesetz; der Zensor bestraft nicht allein die Verbrechen, er macht sie auch. Wenn ich vor Gericht gestellt werde, so klagt man mich der Übertretung eines vorhandenen Gesetzes an, und wo ein Gesetz verletzt werden soll, muß es doch vorhanden sein. Wo kein Preßgesetz vorhanden ist, kann kein Gesetz von der Presse verletzt werden. Die Zensur klagt mich nicht der Verletzung eines vorhandenen Gesetzes an. Sie verurteilt meine Meinung, weil sie nicht die Meinung des Zensors und seiner Vorgesetzten ist. Meine offene Tat, die sich der Welt und ihrem Urteil, dem Staat und seinem Gesetz preisgeben will, wird gerichtet von einer versteckten, nur negativen Macht, die sich nicht als Gesetz zu konstituieren weiß, die das Licht des Tages scheut, die an keine allgemeinen Prinzipien gebunden ist.

Ein Zensurgesetz ist eine Unmöglichkeit, weil es nicht Vergehen, sondern Meinungen strafen will, weil es nichts anderes sein kann als der formulierte Zensor, weil kein Staat den Mut hat, in gesetzlichen allgemeinen Bestimmungen auszusprechen, was er durch das Organ des Zensors faktisch ausüben kann. Darum wird auch die Handhabung der Zensur nicht den Gerichten, sondern der Polizei überwiesen.

Selbst wenn die Zensur faktisch dasselbe wäre als die Justiz, so bleibt dies erstens ein Faktum, ohne eine Notwendigkeit zu sein. Dann aber gehört |63| zur Freiheit nicht nur was, sondern ebensosehr, wie ich lebe, nicht nur, daß ich das Freie tue, sondern auch, daß ich es frei tue. Was unterschiede sonst den Baumeister vom Biber, wenn nicht, daß der Biber ein Baumeister mit einem Fell, und der Baumeister ein Biber ohne Fell wäre?

Unser Redner kömmt zum Überfluß noch einmal auf die Wirkungen der Preßfreiheit in den Ländern, wo sie wirklich existiert, zurück. Da wir dies Thema schon weitläufig abgesungen, so berühren wir hier nur noch die französische Presse. Abgesehen davon, daß die Mängel der französischen Presse die Mängel der französischen Nation sind, so finden wir das Übel nicht, wo der Redner es sucht. Die französische Presse ist nicht zu frei; sie ist nicht frei genug. Sie unterliegt zwar keiner geistigen Zensur, aber sie unterliegt einer materiellen Zensur, den hohen Geldkautionen. Sie wirkt daher materiell, eben weil sie aus ihrer wahren Sphäre in die Sphäre der großen Handelsspekulationen hineingezogen wird. Zudem gehören zu großen Handelsspekulationen große Städte. Die französische Presse konzentriert sich daher auf wenige Punkte, und wenn die materielle Kraft, auf wenig Punkte konzentriert, dämonisch wirkt, wie nicht die geistige?

Wenn ihr aber durchaus die Preßfreiheit nicht nach ihrer Idee, sondern nach ihrer historischen Existenz beurteilen wollt, warum sucht ihr sie nicht da auf, wo sie historisch existiert? Die Naturforscher suchen durch Experimente ein Naturphänomen in seinen reinsten Bedingungen darzustellen. Ihr bedürft keiner Experimente. Ihr findet das Naturphänomen der Preßfreiheit in Nordamerika in seinen reinsten, naturgemäßesten Formen. Wenn aber Nordamerika große historische Grundlagen der Preßfreiheit hat, so hat Deutschland noch größere. Die Literatur und die damit verwachsene geistige Bildung eines Volkes sind doch wohl nicht nur die direkten historischen Grundlagen der Presse, sondern ihre Historie selbst. Und welches Volk in der Welt kann sich dieser unmittelbarsten historischen Grundlagen der Preßfreiheit rühmen, wie das deutsche Volk?

Aber, fällt unser Redner wieder ein, aber wehe um Deutschlands Moralität, wenn seine Presse frei würde, denn die Preßfreiheit bewirkt »eine innere Demoralisation, die den Glauben an eine höhere Bestimmung des Menschen und mit ihr die Grundlage wahrer Zivilisation zu untergraben suche«.

Demoralisierend wirkt die zensierte Presse. Das potenzierte Laster, die Heuchelei, ist unzertrennlich von ihr, und aus diesem ihrem Grundlaster fließen alle ihre anderen Gebrechen, denen sogar die Anlage zur Tugend fehlt, ihre, selbst ästhetisch betrachtet, ekelhaften Laster der Passivität. Die Regierung hört nur ihre eigene Stimme, sie weiß, daß sie nur ihre eigene Stimme hört und fixiert sich dennoch in der Täuschung, die Volksstimme zu |64| hören, und verlangt ebenso vom Volke, daß es sich diese Täuschung fixiere. Das Volk seinerseits versinkt daher teils in politischen Aberglauben, teils in politischen Unglauben, oder, ganz vom Staatsleben abgewendet, wird es Privatpöbel.

Indem die Presse jeden Tag von den Schöpfungen des Regierungswillens rühmt, was Gott selbst erst am sechsten Tag von seiner eigenen Schöpfung sagte: »Und siehe da, es war alles gut«, indem aber notwendig ein Tag dem anderen widerspricht, so lügt die Presse beständig und muß sogar das Bewußtsein der Lüge verleugnen und die Scham von sich abtun.

Indem das Volk freie Schriften als gesetzlos betrachten muß, so gewöhnt es sich, das Gesetzlose als frei, die Freiheit als gesetzlos und das Gesetzliche als das Unfreie zu betrachten. So tötet die Zensur den Staatsgeist.

Unser Redner aber fürchtet von der Preßfreiheit für die »Privaten«. Er bedenkt nicht, daß die Zensur ein beständiges Attentat auf die Rechte von Privatpersonen und noch mehr auf Ideen ist. Er gerät in Pathos über gefährdete Persönlichkeiten, und wir sollten nicht in Pathos geraten über das gefährdete Allgemeine?

Wir können unsere Ansicht und seine nicht schärfer scheiden, als wenn wir seinen Definitionen der »schlechten Gesinnungen« unsere entgegensetzen.

Schlechte Gesinnung sei »der Stolz, der keine Autorität in Kirche und Staat anerkennt«. Und wir sollten es für keine schlechte Gesinnung halten, die Autorität der Vernunft und des Gesetzes nicht anzuerkennen? »Es sei der Neid, welcher die Abschaffung alles dessen predigt, was der Pöbel Aristokratie nennt«, und wir sagen, es ist der Neid, welcher die ewige Aristokratie der menschlichen Natur, die Freiheit, abschaffen will, eine Aristokratie, die selbst der Pöbel nicht bezweifeln kann.

»Es sei die hämische Schadenfreude, die sich an Persönlichkeiten, gleichviel, ob Lüge oder Wahrheit, ergötze und die Öffentlichkeit gebieterisch fordere, damit kein Skandal des Privatlebens verschleiert bleibe.«

Es ist die hämische Schadenfreude, die Klatschereien und Persönlichkeiten aus dem großen Leben der Völker herausreißt, die Vernunft der Geschichte mißkennt und nur den Skandal der Geschichte dem Publikum predigt, die überhaupt unfähig, das Wesen einer Sache zu beurteilen, sich an einzelne Seiten der Erscheinung, an Persönlichkeiten hängt und gebieterisch das Mysterium verlangt, damit jeder Schandfleck des öffentlichen Lebens verschleiert bleibe.

»Es sei die Unlauterkeit des Herzens und der Phantasie, welche durch schlüpfrige Bilder gekitzelt sei.«

|65| Es ist die Unlauterkeit des Herzens und der Phantasie, welche durch schlüpfrige Bilder über die Allmacht des Bösen und die Ohnmacht des Guten sich kitzelt, es ist die Phantasie, deren Stolz die Sünde ist, es ist das unlautere Herz, das seinen weltlichen Hochmut in mystischen Bildern versteckt. »Es sei die Verzweiflung an dem eigenen Heil, welche die Stimme des Gewissens durch das Leugnen Gottes übertäuben will.« Es ist die Verzweiflung am eigenen Heil, welche die persönlichen Schwächen zu Schwächen der Menschheit macht, um sie vom eigenen Gewissen abzuwälzen, es ist die Verzweiflung am Heil der Menschheit, welche ihr verwehrt, den eingeborenen Naturgesetzen zu folgen, und die Unmündigkeit als notwendig predigt, es ist die Heuchelei, die einen Gott vorschützt, ohne an seine Wirklichkeit, an die Allmacht des Guten, zu glauben, es ist die Selbstsucht, der ihr Privatheil höher ist als das Heil des Ganzen.

Diese Leute zweifeln an der Menschheit überhaupt und kanonisieren einzelne Menschen. Sie entwerfen ein abschreckendes Bild von der menschlichen Natur und verlangen in einem, daß wir vor dem Heiligenbild einzelner Privilegierten niederfallen. Wir wissen, daß der einzelne Mensch schwach ist, aber wir wissen zugleich, daß das Ganze stark ist.

Schließlich erinnert der Redner an die Worte, die aus den Zweigen des Baumes der Erkenntnis erschallten über den Genuß, dessen Früchte wir heute wie damals verhandeln:

»Mitnichten werdet ihr sterben, wenn ihr davon esset, eure Augen werden aufgetan werden, ihr werdet sein wie die Götter, erkennend das Gute und Böse.«

Obgleich wir nun zweifeln, daß der Redner vom Baume der Erkenntnis gegessen hat, daß wir (die rheinischen Landstände) damals mit dem Teufel verhandelten, wovon wenigstens die Genesis nichts erzählt, so fügen wir uns dennoch der Ansicht des Redners und erinnern ihn nur, daß der Teufel uns damals nicht belogen hat, denn Gott selbst spricht: »Adam ist worden wie unsereiner, erkennend das Gute und Böse.

Den Epilog zu dieser Rede lassen wir billig des Redners eigene Worte sprechen: »Schreiben und Reden seien mechanische Fertigkeiten.«

So sehr unser Leser ermüdet sein mag von diesen »mechanischen Fertigkeiten«, wir müssen, der Vollständigkeit wegen, nach dem Fürstenstande und dem Ritterstande auch den Stand der Städte sich expektorieren lassen gegen die Preßfreiheit. Wir haben die Opposition des Bourgeois, nicht des Citoyen, vor uns.

Der Redner aus dem Städtestande glaubt sich an Sieyès anzuschließen mit der bürgerlichen Bemerkung:

|66| »Die Preßfreiheit sei eine schöne Sache, solange schlechte Menschen sich nicht hineinmischten.« »Dagegen sei bisher kein probates Mittel gefunden« etc. etc.

Der Standpunkt, der die Preßfreiheit eine Sache nennt, ist schon seiner Naivität halber zu loben. Man kann diesem Redner überhaupt alles vorwerfen, nur nicht Mangel an Nüchternheit oder Überfluß an Phantasie.

Also die Preßfreiheit sei eine schöne Sache, auch so etwas, was die süße Gewohnheit des Daseins verschönert, eine angenehme, eine brave Sache? Aber da gibt es auch schlechte Menschen, die die Sprache zum Lügen, den Kopf zu Ränken, die Hände zum Stehlen, die Füße zum Desertieren mißbrauchen. Schöne Sache ums Sprechen und Denken, um Hände und Füße, gute Sprache, angenehmes Denken, tüchtige Hände, allervorzüglichste Füße, wenns nur keine schlechten Menschen gäbe, die sie mißbrauchen! Noch ist kein Mittelchen dagegen ausfindig gemacht.

»Die Sympathien für Konstitution und Preßfreiheit müßten notwendig geschwächt werden, wenn man sähe, wie damit verbunden wären ewig wandelbare Zustände in jenem Lande« (sc. Frankreich) »und eine beängstigende Ungewißheit der Zukunft.«

Als zuerst die weltkundige Entdeckung gemacht ward, daß die Erde ein mobile perpetuum sei, da griff wohl mancher ruhige Deutsche an seine Schlafmütze und seufzte über die ewig wandelbaren Zustände des Mutterlandes, und eine beängstigende Ungewißheit der Zukunft verleidete ihm ein Haus, das sich jeden Augenblick auf den Kopf stellt.


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