MLWerke | 1842 | Marx/Engels

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/ Friedrich Engels - Werke. (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 1. Berlin/DDR. 1976. S. 28-77.
1,5. Korrektur
Erstellt am 30.08.1999

Karl Marx

Debatten über Preßfreiheit und Publikation der Landständischen Verhandlungen

Von einem Rheinländer

Zweiter Artikel

[»Rheinische Zeitung« Nr. 125 vom 5. Mai 1842]
[»Rheinische Zeitung« Nr. 128 vom 8. Mai 1842]
[»Rheinische Zeitung« Nr. 130 vom 10. Mai 1842]
[»Rheinische Zeitung« Nr. 132 vom 12. Mai 1842]
[»Rheinische Zeitung« Nr. 135 vom 15. Mai 1842]
[»Rheinische Zeitung« Nr. 139 vom 19. Mai 1842]


[»Rheinische Zeitung« Nr. 128 vom 8. Mai 1842]

|33|Die liberale Opposition zeigt uns den Höhestand einer politischen Versammlung, wie die Opposition überhaupt den Höhestand einer Gesellschaft. Eine Zeit, in welcher es philosophische Kühnheit ist, an Gespenstern zu zweifeln, in welcher es Paradoxie ist, sich gegen Hexenprozesse aufzulehnen, eine solche Zeit ist die legitime Zeit der Gespenster und Hexenprozesse. Ein Land, welches, wie das alte Athen, Speichellecker, Parasiten, Schmeichler als Ausnahmen von der Volksvernunft, als Volksnarren traktiert, ist das Land der Unabhängigkeit und Selbständigkeit. Ein Volk welches, wie alle Völker der besten Zeit, das Recht, die Wahrheit zu denken und auszusprechen, den Hofnarren vindiziert, kann nur ein Volk der Abhängigkeit und der Selbstlosigkeit sein. Eine Ständeversammlung, in welcher die Opposition versichert, daß die Willensfreiheit zum Wesen des Menschen gehöre, ist wenigstens nicht die Ständeversammlung der Willensfreiheit. Die Ausnahme zeigt uns die Regel. Die liberale Opposition zeigt uns, was liberale Position, wieweit die Freiheit Mensch geworden ist.

Wenn wir daher bemerkt haben, daß die landständischen Verteidiger der Preßfreiheit sich keineswegs auf der Höhe des ihres Gegenstandes bewegen, so gilt dies noch mehr von dem ganzen Landtag überhaupt.

Und dennoch nehmen wir die Darstellung der landständischen Verhandlungen an diesem Punkte auf, nicht nur aus besonderem Interesse für die Preßfreiheit, sondern ebensowohl aus allgemeinem Interesse für den Landtag. |34| Wir finden nämlich den spezifisch ständischen Geist nirgends klarer, entschiedener und voller ausgeprägt als in den Debatten über die Presse. Vorzugsweise gilt dies von der Opposition gegen die Preßfreiheit, wie überhaupt in der Opposition gegen eine allgemeine Freiheit der Geist der bestimmten Sphäre, das individuelle Interesse des besondern Standes, die natürliche Einseitigkeit des Charakters sich am schroffsten und rücksichtslosesten herauswenden und gleichsam ihre Zähne zeigen.

Die Debatten bringen uns eine Polemik des Fürstenstandes gegen die freie Presse, eine Polemik des Ritterstandes, eine Polemik des Standes der Städte, so daß nicht das Individuum, sondern der Stand polemisiert. Welcher Spiegel könnte also den inneren Charakter des Landtages treuer zurückgeben als die Preßdebatten?

Wir beginnen mit den Opponenten gegen die freie Presse, und zwar wie billig mit einem Redner aus dem Fürstenstand.

Auf den ersten Teil seines rednerischen Vortrags, nämlich: »daß Preßfreiheit und Zensur beides Übel seien usw.«, gehen wir nicht sachlich ein, da dieses Thema von einem andern Redner gründlicher durchgeführt wird; nur die eigene Argumentation des Redners dürfen wir nicht übergehen.

»Die Zensur« sei »ein geringeres Übel als der Unfug der Presse«. »Diese Überzeugung befestigte sich nach und nach so in unserm Deutschland« (es fragt sich, welcher Teil von Deutschland das ist), »daß auch von Bundes wegen Gesetze darüber erlassen wurden, welche Preußen mit gab und sich ihnen mit unterwarf.«

Der Landtag verhandelt über die Befreiung der Presse von ihren Banden. Diese Bande selbst, ruft der Redner, die Ketten, an denen die Presse liegt, beweisen, daß sie nicht zu freier Bewegung bestimmt ist. Ihre gefesselte Existenz zeugt gegen ihr Wesen. Die Gesetze gegen die Preßfreiheit widerlegen die Preßfreiheit.

Ein diplomatisches Argument gegen alle Reform, welches am entschiedensten die klassische Theorie einer gewissen Partei ausspricht. Jede Freiheitsschranke ist ein faktischer, ein unumstößlicher Beweis, daß bei den Machthabern die Überzeugung einmal vorhanden war, man müsse die Freiheit beschränken, und diese Überzeugung dient dann als Regulativ für die spätem Überzeugungen.

Man hatte einmal befohlen, daß die Erde sich nicht um die Sonne bewege. War Galilei widerlegt?

So hatte sich auch in unserm Deutschland die Reichsüberzeugung welche die einzelnen Fürsten teilten, gesetzlich gebildet, daß die Leibeigenschaft eine Eigenschaft gewisser menschlicher Leiber sei, daß die Wahrheit am |35| evidentesten durch chirurgische Operationen, wir meinen die Folter, ermittelt werde, daß die Flammen der Hölle dem Ketzer schon durch die Flammen der Erde zu demonstrieren seien.

War die gesetzliche Leibeigenschaft nicht ein faktischer Beweis gegen die rationelle Grille, daß der menschliche Leib kein Objekt der Behandlung und des Besitzes sei? Widerlegte die naturwüchsige Folter nicht die hohle Theorie, daß man mit Aderlässen nicht die Wahrheit herauszapft, daß die Spannung des Rückens auf der Marterleiter nicht rückhaltlos macht, daß Krämpfe keine Bekenntnisse sind?

So, meint der Redner, widerlegt das Faktum der Zensur die Preßfreiheit, was seine faktische Richtigkeit hat, was eine Wahrheit von solcher Faktizität ist, daß die Topographie ihre Größe abmessen kann, indem sie bei gewissen Schlagbäumen aufhört, faktisch und wahr zu sein.

»Weder in Rede noch in Schrift«, werden wir weiter belehrt, »weder in unserer Rheinprovinz noch im ganzen Deutschland erscheine die wahre und edlere geistige Entwicklung gefesselt.«

Der edle Wahrheitsschmelz unserer Presse sei eine Gabe der Zensur.

Wir kehren zunächst die frühere Argumentation des Redners gegen ihn selbst; wir geben ihm statt eines rationalen Grundes eine Verordnung. In der neuesten preußischen Zensurinstruktion wird offiziell bekanntgemacht, daß die Presse bisher übergroßen Beschränkungen unterlegen, daß sie wahren nationalen Gehalt erst zu erringen habe. Redner sieht, daß die Überzeugungen in unserm Deutschland wandelbar sind.

Aber welch unlogisches Paradoxon, die Zensur als Grund unserer bessern Presse zu betrachten!

Der größte Redner der französischen Revolution, dessen voix toujours tonnante |stets donnernde Stimme| noch in unsere Zeit herübertönt, der Löwe, den man selbst brüllen hören mußte, um ihm mit dem Volke zuzurufen: »Gut gebrüllt, Löwe!«, Mirabeau, hat sich in Gefängnissen gebildet. Sind deswegen Gefängnisse die Hochschulen der Beredsamkeit?

Es ist ein wahrhaft fürstliches Vorurteil, wenn trotz aller geistigen Mautsysteme der deutsche Geist ein Großhändler geworden ist, zu meinen, die Zollsperren und Kordons hätten ihn zum Großhändler gemacht. Die geistige Entwicklung Deutschlands ist nicht durch, sondern trotz der Zensur vor sich gegangen. Wenn die Presse innerhalb der Zensur verkümmert und verelendet, so führt man dies als Argument gegen die freie Presse an, obgleich es nur |36| gegen die unfreie zeugt. Wenn die Presse trotz der Zensur ihr charaktervolles Wesen bewährt, so führt man dies für die Zensur an, obgleich es nur für den Geist und nicht für die Fessel spricht.

Übrigens hat es mit der »wahren edleren Entwicklung« seine Bewandtnis.

In der Zeit der strikten Zensurobservanz von 1819-1830 (später wurde die Zensur, wenn auch nicht in »unserm Deutschland«, so doch in einem großen Teile Deutschlands von den Zeitverhältnissen und seltsamen Überzeugungen, die sich gebildet hatten, zensiert) erlebte unsere Literatur ihre »Abendblattszeit« die man mit demselben Recht »wahr und edel und geistig und entwicklungsreich« nennen kann, als sich der Redakteur der »Abendzeitung,« ein geborner »Winkler«, humoristischerweise »Hell« benamste, obgleich wir ihm nicht einmal die Helligkeit der Sümpfe um Mitternacht nachrühmen dürfen. Dieser »Krähwinkler« mit der Firma »Hell« ist der Prototyp der damaligen Literatur, und jene Fastenzeit wird die Nachwelt überzeugen, daß, wenn wenige Heilige 40 Tage ohne Speise ausharren konnten, ganz Deutschland, welches nicht einmal heilig war, über zwanzig Jahre ohne alle geistige Konsumtion und Produktion zu leben verstand. Die Presse war niederträchtig geworden, und man schwankt nur, ob der Mangel an Verstand den Mangel an Charakter, ob die Formlosigkeit die Inhaltslosigkeit übertraf, oder ob umgekehrt. Für Deutschland würde die Kritik das Höchste erreichen, wenn sie beweisen könnte, daß jene Periode nie existiert hat. Das einzige Literaturgebiet, in welchem damals noch lebendiger Geist pulsierte, das philosophische, hörte auf, deutsch zu sprechen, weil die deutsche Sprache aufgehört hatte, die Sprache des Gedankens zu sein. Der Geist sprach in unverständlichen, mysteriösen Worten, weil die verständlichen Worte nicht mehr verständig sein durften.

Was nun gar das Beispiel der rheinischen Literatur betrifft - und allerdings liegt dies Beispiel einem rheinischen Landstand ziemlich nahe -, so könnte man mit der Diogeneslaterne alle fünf Regierungsbezirke durchwandern, und nirgends würde man »diesem Menschen« begegnen. Wir halten dies nicht für einen Mangel der Rheinprovinz, sondern vielmehr für einen Beweis ihres praktisch-politischen Sinnes. Die Rheinprovinz kann eine »freie Presse« zeugen, aber zu einer »unfreien« fehlt es ihr an Gewandtheit und an Illusionen.

Die eben erst abgelaufene Literaturperiode, die wir als »die Literaturperiode der strikten Zensur« bezeichnen können, ist also der evidente, der geschichtliche Beweis, daß die Zensur allerdings die Entwicklung des deutschen Geistes auf eine heillose, unverantwortliche Art beeinträchtigt hat und daß sie also keineswegs, wie dem Redner dünkte, zum magister bonarum |37| artium |Lehrer der schönen Künste|bestimmt ist. Oder verstand man etwa unter der »edlern wahren Presse« eine Presse, die ihre Ketten mit Anstand trägt?

Wenn sich der Redner »erlaubt, an ein bekanntes Sprichwort vom kleinen Finger und der ganzen Hand« zu erinnern, so nehmen wir uns die Gegenerlaubnis, zu fragen, ob es der Würde einer Regierung nicht am meisten gezieme, dem Geist ihres Volkes nicht nur eine ganze Hand, sondern beide Hände ganz zu geben?

Unser Redner hat, wie wir gesehen, die Frage über das Verhältnis von Zensur und geistiger Entwicklung auf nachlässig vornehme, diplomatisch nüchterne Weise beseitigt. Noch entschiedener repräsentiert er die negative Seite seine Standes in seinem Angriff auf die historische Gestaltung der Preßfreiheit.

Was die Existenz der Preßfreiheit bei anderen Völkern betreffe, so könne

»England keinen Maßstab abgeben, da dort schon seit Jahrhunderten auf historischem Wege sich Verhältnisse ausgebildet hätten, die in keinem andern Lande durch Anwendung von Theorien hervorgerufen werden könnten, sondern in Englands eigentümlicher Lage ihre Begründung gefunden hätten«. »In Holland habe Freiheit der Presse nicht vor erdrückender Nationalschuld bewahren können und größtenteils zur Herbeiführung einer Revolution mitgewirkt, die den Abfall der Hälfte dieses Landes zur Folge gehabt habe.«

Frankreich übergehen wir, um später darauf zurückzukommen.

»In der Schweiz endlich, sollte man dort wohl ein durch Freiheit der Presse beglücktes Eldorado finden können? Gedenke man nicht mit Ekel der rohen, in dortigen Blättern verhandelten Parteistreitigkeiten, in welchen die Namen der Parteien, im richtigen Gefühl ihrer geringen menschlichen Würde, sich nach Teilen des tierischen Körpers in Horn- und Klauenmänner sonderten und durch platte Schmähreden sich bei allen Nachbarn verächtlich machten!«

Die englische Presse spricht nicht für die Preßfreiheit überhaupt, weil sie auf historischen Grundlagen beruht. Die Presse in England hat nur Verdienst, weil sie historisch ist, nicht als Presse überhaupt, denn sie hätte sich ohne historische Grundlagen machen müssen. Die Historie hat hier das Verdienst und nicht die Presse. Als wenn die Presse nicht auch zu Historie gehörte, als wenn die englische Presse nicht unter Heinrich VIII., Maria der Katholischen, Elisabeth und Jakob harte, oft barbarische Kämpfe bestanden hätte, um dem englischen Volke seine historischen Grundlagen zu erringen!

|38| Und spräche es nicht im Gegenteil für die Preßfreiheit, wenn die englische Presse bei größter Ungebundenheit nicht destruierend auf die historischen Grundlagen wirkte? Allein der Redner ist nicht konsequent.

Die englische Presse beweist nicht für die Presse überhaupt, weil sie englisch ist. Die holländische Presse spricht gegen die Presse überhaupt, obschon sie nur holländisch ist. Das eine Mal werden alle Vorzüge der Presse den historischen Grundlagen, das andere Mal all Mängel der historischen Grundlagen der Presse vindiziert. Das eine Mal soll die Presse nicht auch ihren Anteil an der historischen Vollkommenheit, das andere Mal soll die Historie nicht auch ihren Anteil an den Mängeln der Presse haben. Wie die Presse in England mit dessen Historie und eigentümlicher Lage verwachsen ist, so in Holland und der Schweiz.

Soll die Presse historische Grundlagen abspiegeln, aufheben oder entwickeln? Jedes macht ihr der Redner zum Vorwurf.

Er tadelt die holländische Presse, weil sie historisch ist. Sie hätte die Historie verhindern, sie hätte Holland vor erdrückender Nationalschuld bewahren müssen! Welche unhistorische Forderung! Die holländische Presse konnte das Zeitalter Ludwig des XIV. nicht verhindern; die holländische Presse konnte nicht verhindern, daß die englische Marine unter Cromwell sich zur ersten europäischen heraufschwang; sie konnte keinen Ozean zaubern, der Holland von der peinlichen Rolle erlöst hätte, der Schauplatz der kriegführenden Kontinentalmächte zu sein; sie konnte ebensowenig, wie alle Zensuren in Deutschland zusammen, Napoleons Machtgebote annullieren.

Hat aber die freie Presse jemals Nationalschulden erhöht? Als unter Orleans dem Regenten ganz Frankreich in Law'sche Finanzrasereien sich verlor, wer trat dieser phantastischen Sturm- und Drangperiode der Geldspekulation gegenüber als einige Satiriker, die allerdings keine Bankbilletts sondern Bastillebilletts bezogen.

Das Verlangen, die Presse solle vor Nationalschuld bewahren, was dahin weiter ausgeführt werden kann, daß sie auch den einzelnen Individuen ihre Schulden bezahlen solle, erinnert an jenen Literaten, der stets auf seinen Arzt grollte, weil dieser ihm zwar die Krankheiten seines Leibes wegkuriere, nicht aber zugleich die Druckfehler seiner Schriften. Die Preßfreiheit verspricht sowenig wie der Arzt, einen Menschen oder ein Volk vollkommen zu machen. Sie ist selbst keine Vollkommenheit. Es ist triviale Manier, das Gute damit zu schmähen, daß es ein bestimmtes Gut und nicht alles Gute auf einmal, daß es dieses und kein anderes Gute sei. Allerdings, wenn die Preßfreiheit alles in allem wäre, so machte sie alle übrigen Funktionen eines Volks und das Volk selbst überflüssig.

|39|Redner wirft der holländischen Presse die belgische Revolution vor.

Kein Mensch von einiger geschichtlicher Bildung wird leugnen, daß die Trennung Belgiens und Hollands ungleich historischer war als ihre Vereinigung.

Die Presse in Holland habe die belgische Revolution bewirkt. Welche Presse? Die reformatorische oder die reaktionäre? Eine Frage, die wir auch in Frankreich aufwerfen können, und wenn Redner etwa die klerikalisch-belgische Presse tadelt, die zugleich demokratisch war, so tadle er ebenso die klerikalische Presse in Frankreich, die zugleich absolutistisch war. Beide haben zum Umsturz ihrer Regierungen mitgewirkt. In Frankreich hat nicht die Preßfreiheit, sondern die Zensur revolutioniert.

Aber abgesehen hiervon, die belgische Revolution erschien zuerst als geistige Revolution, als Revolution der Presse. Weiter hat die Behauptung keinen Sinn, daß die Presse die belgische Revolution gemacht habe. Ist das nun zu tadeln? Soll die Revolution gleich materiell auftreten? Schlagen statt sprechen? Die Regierung kann keine geistige Revolution materialisieren; eine materielle Revolution muß erst die Regierung vergeistigen.

Die belgische Revolution ist ein Produkt des belgischen Geistes. Also hat auch die Presse, die freieste Weise, in welcher heutzutag der Geist erscheint, ihren Anteil an der belgischen Revolution. Die belgische Presse wäre nicht die belgische Presse, wenn sie der Revolution ferngestanden, aber ebensowohl wäre die belgische Revolution keine belgische, wenn sie nicht zugleich Revolution der Presse gewesen. Die Revolution eines Volkes ist total; d.h., jede Sphäre revoltiert auf ihre Weise; warum nicht auch die Presse als Presse?

Redner tadelt an der belgischen Presse also nicht die Presse, er tadelt Belgien. Und hier finden wir den Springpunkt seiner historischen Ansicht von der Preßfreiheit. Der volkstümliche Charakter der freien Presse - und bekanntlich malt selbst der Künstler keine großen historischen Tableaux mit Wasserfarben -, die historische Individualität der freien Presse, die sie zur eigentümlichen Presse ihres eigentümlichen Volksgeistes macht, widerstreben dem Redner aus dem Fürstenstande, er stellt vielmehr die Forderung an die Pressen der verschiedenen Nationen, die Pressen seiner Ansicht, die Pressen der haute volée zu sein, und statt um die geistigen Weltkörper, die Nationen, um einzelne Individuen zu kreisen. Unverhüllt tritt diese Forderung in der Beurteilung der Schweizerpresse hervor.

Vorläufig erlauben wir uns eine Frage. Warum besann sich der Redner nicht, daß die Schweizerpresse der Voltaireschen Aufklärung in Albrecht |40| v. Haller entgegentrat? Warum gedenkt er nicht, daß, wenn die Schweiz auch gerade kein Eldorado, doch den Propheten des künftigen Fürsteneldorado gezeugt hat, ebenfalls ein Herr v. Haller, der in seiner »Restauration der Staatswissenschaften« das Fundament zu der »edlern wahren« Presse, zu dem »Berliner politischen Wochenblatt« gelegt hat? An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Und welcher Boden in der Welt hätte der Schweiz eine Frucht von dieser vollsaftigen Legitimität entgegenzuhalten?

Redner verübelt es der Schweizerpresse, daß sie die »tierischen Parteinamen« der »Horn- und Klauenmänner« aufgenommen, kurz, daß sie schweizerisch spricht und zu Schweizern, die mit Ochsen und Kühen in gewisser patriarchalischer Eintracht leben. Die Presse dieses Landes ist die Presse dieses Landes. Weiter ist darüber nichts zu sagen. Zugleich aber führt eben die freie Presse über die Beschränktheit des Landespartikularismus hinaus, wie ebenfalls die Schweizerpresse beweist.

Über die tierischen Parteinamen insbesondere bemerken wir, daß die Religion selbst das Tierische als Symbol des Geistigen würdigt. Unser Redner wird jedenfalls die indische Presse verwerfen, die in religiöser Begeisterung die Kuh Sabala und den Affen Hanuman feierte. Er wird der indischen Presse die indische Religion, wie der Schweizerpresse den Schweizercharakter, vorwerfen; aber es gibt eine Presse, die er schwerlich der Zensur unterwerfen will, wir meinen die heilige Presse, die Bibel; und teilt diese nicht die ganze Menschheit in die beiden großen Parteien der Böcke und Schafe? Charakterisiert Gott selbst sein Verhältnis zu den Häusern Juda und Israel nicht folgendermaßen: Ich bin dem Hause Juda eine Motte und dem Hause Israel eine Made? Oder, was uns Weltlichen näher liegt, gibt es nicht eine fürstliche Literatur, welche die ganze Anthropologie in Zoologie verwandelt, wir meinen die heraldische Literatur? Die bringt noch andere Kuriosa als Horn- und Klauenmänner.

Was hat also der Redner an der Preßfreiheit getadelt? Daß die Mängel eines Volkes zugleich die Mängel seiner Presse sind, daß sie die rücksichtslose Sprache, die offenbare Gestalt des historischen Volksgeistes ist. Hat er bewiesen, daß der deutsche Volksgeist von diesem großen Naturprivilegium ausgeschlossen ist? Er hat gezeigt, daß jedes Volk seinen Geist in seiner Presse ausspricht. Soll dem philosophisch gebildeten Geist der Deutschen nicht zukommen, was nach des Redners eigner Versicherung bei den im Tierischen gebundenen Schweizern sich findet?

Meint endlich der Redner, daß die nationalen Mängel der freien Presse nicht ebenso Nationalmängel der Zensoren sind? Sind die Zensoren eximiert von der historischen Gesamtheit, unberührt vom Geiste einer Zeit? Leider |41| mag es der Fall sein, aber welcher gesunde Mensch wird in der Presse nicht lieber die Sünden der Nation und der Zeit, als in der Zensur die Sünden gegen Nation und Zeit entschuldigen?

Wir haben im Eingange bemerkt, daß in den verschiedenen Rednern ihr besonderer Stand gegen die Preßfreiheit polemisiert. Der Redner aus dem Fürstenstande stellte zunächst diplomatische Gründe auf. Er bewies das Unrecht der Preßfreiheit aus den fürstlichen Oberzeugungen, die in Zensurgesetzen sich deutlich genug ausgesprochen hätten. Er meinte, die edlere, wahre Entwicklung des deutschen Geistes sei durch die Hemmungen von oben gemacht worden. Er polemisierte endlich gegen die Völker und verwarf mit edler Scheu die Preßfreiheit als die undelikate, indiskrete, auf sich selbst gerichtete Sprache eines Volkes.


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