Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 14, 4. Auflage 1972, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1961, Berlin/DDR. S. 570-613.

1. Korrektur
Erstellt am 31.08.1998.

IX Agentur | Inhalt | XI. Ein Prozeß

X. Patrone und Mitstrolche


Principibus placuisse viris non ultima laus est.
<Hohen Herren zu gefallen ist höchster Ruhm nicht.>

<570> Als Bürgen für sein "good behaviour" stellt der Ex-Reichsvogt

"Kossuth" und "die beiden andern Männer, Fazy, den Regenerator von Genf, und Klapka, den Verteidiger von Komorn", die er "mit Stolz seine Freunde nennt". ("Hptb." p. 213.)

Ich nenne sie seine Patrone. Nach der Schlacht von Komorn (2. Juli 1849) usurpierte Görgey das Oberkommando der ungarischen Armee gegen den Befehl der ungarischen Regierung, die ihn abgesetzt hatte.

"Hätte an der Spitze der Regierung ein energischer Mann gestanden", sagt Oberst Lapinski, in seiner Schrift noch Anhänger Kossuths, "so wäre schon damals allen den Intrigen Görgeys ein Ziel gesetzt worden. Kossuth brauchte nur in das Lager zu kommen und zwanzig Worte zur Armee zu sprechen, so hätte alle Popularität Görgeys ihn nicht vom Sturze gerettet ... Aber Kossuth kam nicht, er besaß nicht die Kraft, gegen Görgey offen aufzutreten, und während er im geheimen gegen den General intrigierte, suchte er dessen Vergehn vor der Welt zu rechtfertigen." (p. 125, 126, Th. Lapinski, "Feldzug der ungarischen Hauptarmee usw.")

Görgeys beabsichtigter Verrat wurde Kossuth, nach seinem eignen Geständnis, einige Zeit später förmlich denunziert durch General Guyon. (Siehe: David Urquhart, "Visit to the Hungarian Exiles at Kutayah".)

"Kossuth sagte allerdings in einer schönen Rede in Szegedin, daß, wenn er einen Verräter wüßte, er ihn mit eigner Hand ermorden würde, wobei er wohl an Görgey denken mochte. Aber er vollzog nicht nur nicht diese etwas theatralische Drohung, sondern nannte nicht einmal den Mann, auf den er Verdacht hatte, allen seinen Ministern; und während er mit einigen elende Pläne gegen Görgey schmiedete, sprach [...] er <571> immer mit der größten Achtung von demselben, ja ihm selbst schrieb er die zärtlichsten Briefe. Möge es begreifen, wer kann, ich begreife es nicht, wie man, in dem Sturze eines gefährlichen Menschen allein die Rettung des Vaterlandes erkennend, denselben mit zitternder Hand herabzuziehn strebt, wahrend man zu gleicher Zeit ihn stützt, ihm durch Bezeugung des Vertrauens Anhänger und Verehrer zuführt und ihm damit selbst alle Gewalt in die Hände gibt. Während Kossuth auf diese jämmerlich Weise bald für, bald gegen Görgey arbeitete ..., führte Görgey, konsequenter und fester als jener, seinen schwarzen Plan aus" (Th. Lapinski, l.c. p. 163, 164.)

Am 11. August 1849 erließ Kossuth, auf Görgeys Befehl, angeblich von der Festung Arad, ein öffentliches Abdankungsmanifest, worin er Görgey "mit der höchsten Zivil- und Militär-Regierungsgewalt" bekleidet und erklärt:

"Nach den unglücklichen Kämpfen, mit welchen Gott in den letzten Tagen die Nation heimgesucht hat, ist keine Hoffnung mehr vorhanden, daß wir gegen die beiden vereinigten Großmächte [...] den Kampf der Selbstverteidigung, mit Aussicht auf Erfolg, noch weiter fortsetzen können."

Nachdem er so im Eingang des Manifests die Sache Ungarns für rettungslos verloren erklärt, und zwar infolge der Heimsuchung Gottes, macht Kossuth im Fortgang des Manifests den Görgey "vor Gott dafür verantwortlich, daß er" die ihm von Kossuth anvertraute Macht "zur Rettung" Ungarns "verwenden wird". Er traute Görgey genug, um Ungarn, zu wenig, um die eigne Person ihm preiszugeben. Sein persönliches Mißtrauen gegen Görgey war so groß, daß er das Eintreffen seiner Person auf türkischer Erde und das seiner Abdankungsurkunde in Görgeys Hand geschickt zusammenfallen ließ. Darum schließt sein Manifest auch mit den Worten:

"Wenn mein Tod dem Vaterland irgend nützlich werden kann, werde ich mit Freuden mein Leben als Opfer bringen."

Was er auf dem Altar des Vaterlands in Görgeys Hände geopfert hatte, war das Gouvernement, dessen Titel er jedoch sofort unter türkischem Schutz wieder usurpierte. Zu Kutayah erhielt Se. Exzellenz, der Gouverneur in partibus, das erste Blue Book über die ungarische Katastrophe, das Palmerston dem Parlament vorgelegt hatte. Das Studium dieser diplomatischen Dokumente, schrieb er an D. Urquhart, überzeugte ihn, daß "Rußland in jedem Kabinette einen Spion, ja noch mehr, einen Agenten besitze" und daß Palmerston im russischen <572> Interesse dear Hungary <das teure Ungarn> verraten habe.(1) Und das erste öffentliche Wort, das ihm nach seiner Landung auf englischem Boden zu Southampton entfiel, war: "Palmerston, the dear friend of my bosom!" (Palmerston, mein teurer Busenfreund.)

Nach Aufhebung seiner Internierung in der Türkei segelte Kossuth nach England. Unterwegs bei Marseille, wo er jedoch nicht landen durfte, erließ er ein Manifest in Sinn und Phrase der französischen Sozialdemokratie. Auf englischem Boden verleugnete er sofort

"jene neue Doktrin, die Sozialdemokratie, die man mit Recht oder Unrecht unverträglich mit der gesellschaftlichen Ordnung und der Sicherheit des Eigentums halte. Ungarn hat und will mit diesen Doktrinen nichts zu schaffen haben, schon aus dem höchst einfachen Grunde, weil in Ungarn keine Gelegenheit, nicht der entfernteste Anlaß für dieselben existiert." (Vgl. hiermit den Brief von Marseille.)

Während der ersten 14 Tage seines Aufenthalts in England wechselte er sein Bekenntnis ebensooft wie seine Audienz - allen alles. Graf Kasimir Batthyany motivierte seinen damals öffentlich erfolgten Bruch mit Kossuth:

"Nicht allein die bévues <Schnitzer>, die Kossuth seit seiner vierzehntägigen Freiheit begangen hat, haben mich zu diesem Schritt bestimmt, sondern alles was ich an Erfahrung aufgesammelt, alles was ich gesehn, geduldet, erlaubt, ertragen, und, wie Sie sich erinnern werden, maskiert und verheimlicht habe, erst in Ungarn, dann im Exil - kurz, die Überzeugung, zu der ich über den Mann gelangt bin ... Erlauben Sie mir zu bemerken, daß, was Herr Kossuth zu Southampton, Wisbech oder London, kurz in England gesagt hat oder sagen mag, nicht ungeschehn macht, was er zu Marseille sagte. In dem Land des 'jungen Riesen' (Amerika) wird er wieder aus einem andern Ton pfeifen, denn wie er in andern Dingen gewissenlos (unscrupulous) ist und sich gleich einem Rohr unter jedem stärkern Windzug biegt, straft er sans gene seine eignen Worte Lügen und nimmt keinen Anstand, sich hinter die großen Namen der Dahingeschiedenen zu bergen, die er ruiniert hat, wie z.B. meinen armen Vetter Louis Batthyany ... Ich stehe keinen Augenblick an zu erklären, daß, bevor Kossuth England verlassen hat, Ihr allen Grund haben werdet, die Ehren zu bedauern, die Ihr so verschwenderisch auf <573> einen so höchst wertlosen Charakter (a most undeserving heart) ausschüttet." ("Correspondence of Kossuth, letter of Count Batthyany to Mr. Urquhart", Paris, 29. Oct. 1851.)

Kossuths Gastvorstellung in den Ver[einigten] Staaten, wo er im Norden gegen, im Süden für die Sklaverei auftrat, ließ nichts zurück als eine Monsterenttäuschung und 300 Redeleichen. Über die sonderbare Episode wegeilend, bemerke ich nur, daß er den Deutschen in den Ver[einigten] Staaten, namentlich auch der deutschen Emigration, Allianz zwischen Deutschland, Ungarn und Italien mit Ausschluß Frankreichs (nicht nur der Staatsstreichregierung, sondern Frankreichs, sogar der französischen Emigration und der von ihr vertretenen Parteien in Frankreich) glühend anempfahl. Gleich nach seiner Rückkehr suchte er von London aus, vermittelst eines gewissen zweideutigen Subjekts, des Grafen Szirmay, und des Oberst Kiss zu Paris eine Verbindung mit Louis Bonaparte anzuknüpfen. (Siehe meinen Brief in der "New York Tribune" vom 28. Sept. 1852 und meine Erklärung ebendaselbst vom 16. November 1852.)

Während der Mazzinischen Emeute zu Mailand, 1853, erschien auf den Wällen dieser Stadt eine Proklamation an die dort stationierten ungarischen Truppen, die sie zum Anschluß an die italienischen Insurgenten aufrief. Sie war gezeichnet: Ludwig Kossuth. Kaum war die Nachricht von der Niederlage der Insurgenten zu London angelangt, als Kossuth in größter Hast durch die "Times" und andere englische Blätter die Proklamation für eine Fälschung erklärte und so seinem Freunde Mazzini ein offnes Dementi gab. Nichtsdestoweniger war die Proklamation echt. Mazzini erhielt sie von Kossuth, besaß das Manuskript derselben in Kossuths Handschrift, handelte im Einverständnis mit Kossuth. Überzeugt, daß der Sturz der östreichischen Gewaltherrschaft in Italien die vereinte Aktion Italiens und Ungarns erheische, suchte Mazzini nun zunächst den Kossuth durch einen zuverlässigeren ungarischen Führer zu ersetzen, verzieh aber, nachdem dieser Versuch an den Spaltungen der ungarischen Emigration gescheitert, seinem unsichern Alliierten und ersparte ihm großmütig eine Bloßstellung, die ihn in England vernichten mußte.

In dasselbe Jahre 1853 fiel bekanntlich die Eröffnung des Russisch-Türkischen Kriegs. Am 17. Dezember 1850 hatte Kossuth von Kutayah an David Urquhart geschrieben:

"Ohne türkische Oberherrschaft hört die Türkei zu existieren auf. Und, wie die Dinge einmal stehn, ist die Türkei unerläßlich notwendig für die Freiheit der Welt."

<574> In einem Brief an den Großwesir Reschid-Pascha, vom 15. Februar 1851, steigert sich sein Türkenenthusisymus. In überschwenglicher Phrase bot er der türkischen Regierung seine Dienste an. Während seiner Rundreise durch die Ver. Staaten, am 22. Januar 1852, schrieb er an D. Urquhart:

"Würden Sie - und niemand weiß besser ala Sie, wie sehr die Interessen der Türkei und Ungarns identisch sind - geneigt sein, meine Sache zu Konstantinopel zu plädieren? Während meines Aufenthalts in der Türkei wußte die Pforte nicht, wer ich bin; meine Aufnahme in England und Amerika, und die Stellung, welche Glücksfälle, ja ich kann sagen, die Vorsehung mir verschafft, mögen der Pforte zeigen, daß ich ein wahrer und vielleicht nicht einflußloser Freund der Türkei und ihrer Zukunft bin."

Am 5. November 1853 bot er schriftlich Herrn Crawshay (Urquhartiten) an, als Bundesgenosse der Türkei nach Konstantinopel zu gehn, aber nicht mit leeren Händen" ("not with empty hands"), und ersucht Herrn Crawshay daher, ihm Geldmittel aufzutreiben

"durch vertrauliche Privatvorstellungen bei solchen liberalen Leuten, die leicht den von ihm verlangten Beistand gewähren könnten".

In diesem Briefe sagt er: "Ich hasse und verachte die Kunst, Revolutionen zu machen." ("I hate and despise the artifice of making revolutions.") Während er so den Urquhartiten gegenüber überströmte von Revolutionshaß und Türkenliebe, erließ er mit Mazzini Manifeste, worin die Vertreibung der Türken aus Europa und die Verwandlung der Türkei in eine "orientalische Schweiz" proklamiert wurden, und unterzeichnete nicht minder des s.g. Zentralkomitees der europäischen Demokratie Aufrufe zur Revolution im allgemeinen.

Da Kossuth die 1852 in Amerika im Namen Ungarns zusammendeklamierten Gelder schon Ende 1853 zwecklos verschleudert hatte und andrerseits sein Anliegen Herrn Crawshays Ohr taub fand, verzichtete der Gouverneur auf die beabsichtigte Ritterfahrt nach Konstantinopel, entsandte jedoch mit den besten Empfehlungen seinen Agenten, den Oberst Johann Bangya.(2)

<575> Am 20. Januar 1858 tagte zu Aderbi in Zirkassien ein Kriegsgericht, das den "Mehemed Bei, früher Johann Bangya d'Illosfalva, durch eignes Geständnis und Zeugenbeweise des Landesverrats und geheimer Korrespondenz mit dem Feinde" (dem russischen General Philipson) "überführt", einstimmig zum Tod verurteilte, was ihn jedoch nicht verhindert hat, bis zu diesem Augenblicke ruhig in Konstantinopel fortzuleben. In seinem dem Kriegsrat schriftlich eingehändigten Selbstgeständnis sagt Bangya u.a.:

"Meine politische Tätigkeit war ganz und gar vorgeschrieben von dem Chef meines Landes, Ludwig Kossuth ... Mit Einführungsschreiben von meinem politischen Chef versehn, langte ich am 22. Dezember 1853 zu Konstantinopel an."

Er ward dann, wie er weiter erzählt, Muselman und trat in den türkischen Dienst mit dem Rang eines Oberst.

"Meine" (von Kossuth ausgehenden) "Instruktionen empfahlen dringend, mich in einer oder der andern Weise an solche Truppenteile anzuschließen, die mit Operationen an der zirkassischen Küste beauftragt würden."

<576> Dort sollte er jede Teilnahme der Zirkassier an dem Krieg gegen Rußland zu verhindern suchen. Er führte seinen Auftrag erfolgreich aus und sandte gegen Ende des Kriegs von Konstantinopel aus "einen detaillierten Bericht über den Stand Zirkassiens an Kossuth". Vor seiner zweiten, gemeinschaftlich mit den Polen unternommenen Expedition nach Zirkassien erhielt er von Kossuth den Befehl, mit bestimmt bezeichneten Ungarn, u.a. General Stein (Ferhad Pascha) gemeinschaftlich zu wirken.

"Kapitan Frankini", sagt er, "der militärische Sekretär des russischen Gesandten, war bei verschiednen unsrer Konferenzen zugegen. Der Zweck war Gewinnung Zirkassiens für die russischen Interessen, in friedlicher, langsamer, aber sichrer Weise. Bevor die Expedition Konstantinopel verließ" (Mitte Februar 1857), "erhielt ich Briefe und Instruktionen von Kossuth, der meinen Operationsplan billigte."

In Zirkassien wurde der Verrat Bangyas entdeckt durch Auffangen eines Briefs an den russischen General Philipson.

"Gemäß meiner Instruktion", sagt Bangya, "hatte ich Verbindungen mit dem russischen General anzuknüpfen. Geraume Zeit konnte ich mich nicht zu diesem Schritt entschließen, aber endlich erhielt ich so ausdrückliche ordres, daß ich nicht länger schwanken durfte."

Die Verhandlungen des Kriegsgerichts zu Aderbi und namentlich Bangyas Selbstgeständnis erregten große Sensation zu Konstantinopel, London und New York. Kossuth ward wiederholt und dringend, auch von ungarischer Seite, zu einer öffentlichen Erklärung aufgefordert, aber ver- <577> gebens. Bis zu diesem Augenblick hat er das ängstlichste Schweigen über Bangyas Mission in Zirkassien beobachtet.

Im Herbste 1858 hausierte Kossuth durch England und Schottland Vorlesungen zu billigen Preisen gegen das östreichische Konkordat und Louis Bonaparte. Den leidenschaftlichen Fanatismus, womit er die Engländer damals gewarnt hat vor den verräterischen Absichten Louis Bonapartes, den er als geheimen Verbündeten Rußlands zeichnete, mag man z.B. aus dem "Glasgow Sentinel" (November 20. 1858) ersehn. Als Louis Bonaparte Anfang 1859 seine italienischen Pläne verriet, denunzierte Kossuth ihn in Mazzinis "Pensiero ed Azione" und warnte "alle wahren Republikaner", Italiener, Ungarn, selbst Deutsche, sich nicht als Katzenpfoten von dem imperialistischen Quasimodo brauchen zu lassen. Februar 1859 vergewisserte Kossuth, daß Oberst Kiß, Graf Teleki und General Klapka, seit längerer Zeit zur roten Kamarilla des Palais Royal gehörig, mit Plon-Plon Verschwörungspläne für die Insurgierung Ungarns ausheckten. Kossuth drohte nun mit öffentlicher Polemik in der englischen Presse, falls er nicht auch in den "Geheimbund" zugelassen werde. Plon-Plon war mehr als bereit, ihm die Türen des Konklave zu öffnen. Mit einem englischen Paß, unter dem Namen Mr. Brown, reiste Kossuth Anfang Mai nach Paris, eilte ins Palais Royal, setzte seine Pläne zur Insurgierung Ungarns dem Plon-Plon weitläufig auseinander. Der Prinz Rouge geleitete am Abend des 3. Mai im eignen Wagen den Exgouverneur zu den Tuilerien, um ihn dort dem Retter der Gesellschaft vorzustellen. Während dieser Zusammenkunft mit Louis Bonaparte versagte die sonst so beredte Zunge, so daß Plon-Plon den Wortführer spielen und Kossuths Programm seinem Vetter gewissermaßen apportieren mußte. Kossuth hat später die fast wörtliche Treue der Plon-Plonschen Verdolmetschung rühmlich anerkannt. Nachdem er der Auseinandersetzung seines Vetters aufmerksam zugehorcht, erklärte Louis Bonaparte, seiner Annahme von Kossuths Vorschlägen stehe nur ein Hindernis im Wege, Kossuths republikanische Prinzipien und republikanische Verbindungen. Der Exgouverneur verschwor darauf feierlichst den republikanischen Glauben mit der Beteuerung, daß er weder jetzt Republikaner sei, noch es je gewesen sei, daß politische Notwendigkeit allein und eine sonderbare Verkettung von Umständen ihn zur Allianz mit der republikanischen Partei der europäischen Emigration gezwungen. Als Beweis seines Antirepublikanismus bot er im Namen seines Landes dem Plon-Plon die ungarische Krone an. Diese Krone war damals noch nicht erledigt. Auch besaß Kossuth keine notarielle Vollmacht zu ihrer Versteigerung, aber wer immer sein Auftreten im Ausland mit einiger Aufmerksamkeit be- <578> obachtet hat, wird auch wissen, daß er seit lange gewohnt war, von seinem "dear Hungary" zu sprechen wie ein Krautjunker von seinem Landgut.(3)

Seine Verleugnung des Republikanismus halte ich für aufrichtig. Eine Zivilliste von 300.000 Florin, zu Pest beansprucht, um den Glanz der Exekutive aufrechtzuerhalten; die Patronage der Spitäler, von einer östreichischen Erzherzogin auf seine eigne Schwester übertragen; der Versuch, einige Regimenter Kossuth zu taufen; sein Streben nach der Bildung einer Kamarilla; die Zähigkeit, womit er in fremdem Land den Gouverneurtitel festhielt, auf den er im Augenblick der Gefahr entsagt; sein ganzes späteres Auftreten, viel mehr das eines Prätendenten als eines Flüchtlings - alles das deutet auf Tendenzen, die dem Republikanismus fremd.

Nach der Republikanertum-Verdacht-Abwaschungs-Szene wurden Herrn Kossuth vertragsmäßig 3 Millionen Francs zur Verfügung gestellt. In dieser Stipulation lag an und für sich nichts Verfängliches, denn zur militärischen Organisation der ungarischen Flüchtlingsschaft waren Geldmittel erheischt, und warum sollte der Gouverneur von seinem neuen Alliierten nicht mit demselben Recht Subsidien empfangen, womit alle despotischen Mächte Europas während des ganzen Verlaufs des Antijakobinerkriegs Subsidien von England empfingen? Als Vorschuß für persönliche. Ausgaben erhielt Kossuth sofort 50.000 Frs. und bedung sich außerdem gewisse pekuniäre Vorteile, gewissermaßen eine Assekuranzprämie, für den Fall eines vorzeitigen Abbruchs des Kriegs. Finanzieller Blick und melodramatische Empfindung schließen sich keineswegs aus. Traf Kossuth doch, wie sein Exfinanzminister Dusek wissen muß, bereits während der ungarischen Revolution die Vorsichtsmaßregel, sich sein Gehalt, statt in Kossuthnoten, in Silber oder östreichischen Banknoten auszahlen zu lassen.

Bevor Kossuth die Tuilerien verließ, kam man überein, daß er die angeblich "östreichischen Tendenzen" des Derby-Ministeriums durch Eröffnung einer Neutralitätskampagne in England neutralisieren solle. Man weiß, wie die freiwillige Unterstützung von Whigs und Manchesterschule ihn befähigten, diesen vorläufigen Teil des Vertrags mit dem größten Erfolg zu erfüllen. Eine lecturing Tour <Vortragsreise> von dem Mansion House <579> in London bis zur Free Trade Hall in Manchester bildete die Antithese zur englisch-schottischen Rundreise im Herbst 1858, als er seinen Haß gegen Bonaparte und Cherbourg, "the standing menace to England" <"die ständige Bedrohung Englands">, zu einem Shilling per Kopf hausierte.

Der größte Teil der ungarischen Emigration in Europa hatte sich seit Ende 1852 von Kossuth zurückgezogen. Die Aussicht einer Invasion der adriatischen Küste mit französischer Hülfe rief die meisten wieder unter seine Fahne. Seine Unterhandlungen mit dem militärischen Teil der neugewonnenen Parteigänger waren nicht ohne einen dezembristischen Beischmack. Um ihnen eine größre Masse französischen Geldes zuweisen zu können, beförderte er sie zu höherm militärischem Rang, Lieutenants z.B. zum Rang von Majors. Zunächst erhielt jeder seine Reisekosten nach Turin, dann eine reiche Uniform (der Preis eines Majorskostümes belief sich auf 150 Pfd.St.), endlich 6 Monat Vorschußsold mit dem Versprechen der Pension für 1 Jahr nach dem Friedensschluß. Im übrigen waren die Gehalte nicht übertrieben, 10.000 Frs. für den Obergeneral (Klapka), 6.000 Frs. für die Generale, 5.000 für die Brigadiers, 4.000 für Obrist-Lieutenants, 3.000 für Majors usw. Die zu Turin versammelte ungarische Militärkraft bestand fast ausschließlich aus Offizieren ohne Gemeine, und ich habe über diesen Punkt manche bittre Klage unter der "niedern" ungarischen Emigration gehört.

General Moritz Perczel, wie schon erwähnt, zog sich mit einer öffentlichen Erklärung zurück, sobald er das diplomatische Spiel durchschaut hatte. Klapka bestand, trotz Louis Bonapartes Gegenbefehl, auf einer Landung bei Fiume, aber Kossuth hielt das ungarische Flüchtlingskorps innerhalb der vom Theaterdirektor vorgeschriebenen szenischen Grenzen.

Kaum traf das Gerücht des Friedensschlusses von Villafranca zu Turin ein, als Kossuth in der Furcht vor Auslieferung an Östreich Hals über Kopf nach Genf durchbrannte, heimlich, hinter dem Rücken der ihm zu Gebot stehenden Militärkraft. Kein Name, weder Franz Joseph noch Louis Bonaparte, klang damals übler im ungarischen Lager zu Turin als der Name Ludwig Kossuth, nur daß die Komik seiner letzten Eskapade die Kritik gewissermaßen totschwieg. Nach seiner Rückkehr veröffentlichte Kossuth in London einen Brief an seinen zahmen Elefanten, einen gewissen Mac Adam in Glasgow, erklärte sich für enttäuscht, aber nicht geprellt, und schloß ab mit der gerührten Wendung, daß er nicht habe wohin sein Haupt legen, weshalb alle ihm bestimmten Briefe zu adressieren seien an die Wohnung <580> seines Freundes F. Pulszki, der dem Flüchtigen eine Raststätte geboten. Die mehr als angelsächsische Roheit, womit die Londoner Presse Kossuth aufforderte, er möge sich doch gefälligst mit den bonapartistischen Subsidien ein eignes Haus in London mieten, überzeugte ihn, daß für einstweilen seine Rolle in England ausgespielt war.

Außer seinem Rednertalent besitzt Kossuth das große Talent zu schweigen, sobald das Auditorium entschiedne Ungunst zeigt oder er in der Tat nichts für sich zu sagen weiß. Wie die Sonne versteht er sich auf die Eklipse. Daß er wenigstens einmal in seinem Leben konsequent zu sein verstand, bewies sein neulicher Brief an Garibaldi, worin er ihn von einem Angriff auf Rom abwarnt, um den Kaiser der Franzosen, "die einzige Stütze der unterdrückten Nationalitäten", nicht zu kränken.

Wie in der ersten Hälfte des 18. Jahrh. Alberoni der kolossale Kardinal hieß, so kann man Kossuth einen kolossalen Langenschwarz nennen. Er ist wesentlich der Improvisator, der seine Eindrücke von seinem jedesmaligen Publikum empfängt, nicht der Autor, der seine Originalideen der Welt auf drückt. Wie Blondin auf seinem Seil, tanzt Kossuth auf seiner Zunge. Von der Atmosphäre seines Volks getrennt, mußte er in bloßes Virtuosentum ausarten und in die Laster des Virtuosentums. Die Haltlosigkeit des Denkens, die den Improvisator bezeichnet, reflektiert sich notwendig in der Zweideutigkeit der Handlung. Wenn Kossuth einmal die Äolsharfe war, durch die ein Volksorkan brauste, so ist er jetzt nur noch das Dionysius-Ohr, welches die Geflüster in den geheimnisvollen Gemächern des Palais Royal und der Tuilerien wiedermurmelt.

Es wäre durchaus ungerecht, Vogts zweiten Patron, den General Klapka, mit Kossuth auf eine Stufe zu stellen. Klapka war einer der besten ungarischen Revolutionsgenerale. Er, wie die meisten Offiziere, die sich 1859 in Turin sammelten, betrachtet Louis Bonaparte wie etwa Franz Rákóczi den Louis XIV. betrachtete. Für sie repräsentiert Louis Bonaparte Frankreichs Militärmacht, die Ungarn dienen, aber schon aus geographischen Gründen nie gefährden kann.(4) Aber warum beruft sich Vogt auf Klapka? Klapka <581> hat nie geleugnet, daß er zur roten Kamarilla Plon-Plons gehört. Um "Freund" Klapka den "Freund" Vogt verbürgen zu lassen? Klapka besitzt kein besondres Talent in der Auswahl seiner Freunde. Einer seiner bevorzugten Freunde zu Komorn war Oberst Assermann. Hören wir über diesen Oberst Assermann den Oberst Lapinski, der unter Klapka bis zur Übergabe von Komorn diente und sich später in Zirkassien durch seinen Kampf gegen die Russen ausgezeichnet hat.

"Den größten Schrecken", sagt Lapinski, "hatte der Verrat bei Világos unter den in Komorn befindlichen zahlreichen und beschäftigungslosen Stabsoffizieren hervorgebracht ... Die parfümierten Herren mit goldnen Kragen, von denen viele weder ein Gewehr zu halten noch 3 Mann zu kommandieren verstanden, liefen voller Angst durcheinander und sannen auf Mittel, um jeden Preis mit heiler Haut davonzukommen. Sie, deren Bemühungen es gelungen war, unter allen möglichen Vorwänden sich von der Hauptarmee zu trennen und in die gemütliche Sicherheit der uneinnehmbaren Festung sich zurückzuziehn ohne eine andre Beschäftigung, als monatlich die Quittung über richtig empfangene Gage zu schreiben, erschraken vor dem Gedanken: Verteidigung auf Leben und Tod ... Diese Elenden waren es, welche dem General Schreckbilder von innern Unruhen, von Meuterei usw. vorlogen, um ihn nur so schnell wie möglich zur Übergabe der Festung zu bewegen [...], wenn sie nur sich und ihr Eigentum sicherten. Das letztere lag vielen besonders am Herzen; denn ihr ganzes Bestreben während der ganzen Revolution ging dahin, sich zu bereichern, was manchem auch gelang. Das Sichbereichern gelang einzelnen Individuen sehr leicht, indem oft ein halbes Jahr verging, bevor man Rechnung über die empfangenen Gelder ablegte. Da dies die Treulosigkeit und den Betrug begünstigte, so mochte wohl mancher einen tiefern Griff in die Kasse getan haben, als er verantworten konnte ... Der Waffenstillstand war abgeschlossen: Wie wurde er jetzt benutzt? Von den in der Festung befindlichen, für ein Jahr ausreichenden Lebensmitteln wurden unnötig große Rationen auf die Dörfer ausgeführt, dagegen aus der Umgegend kein Proviant eingebracht; selbst das in den nächsten Dörfern befindliche Heu und Hafer der Bauern, welche baten, daß man es ihnen abkaufe, dort gelassen, und einige Wochen später fraßen die Kosakenpferde das Eigentum der Bauern, während wir in der Festung über Mangel klagten. Das in der letztern befindliche Schlachtvieh wurde großenteils, unter dem Vorwande, daß nicht hinlänglich Futter für dssselbe vorhanden sei, außer der Stadt verkauft. Oberst Assermann wußte wahrscheinlich nicht, daß sich Fleisch einpökeln <582> läßt. Ein großer Teil des Getreides wurde gleichfalls verkauft, unter dem Vorwande, daß es dumpfig werde; dies geschah öffentlich, heimlich noch mehr. Einen solchen Mann wie Assermann an der Seite und mehrere ähnliche Individuen in seiner Umgebung, mußte Klapka freilich jeden guten Gedanken, der ihm einfiel, schnell fahrenlassen; dafür sorgten [schon] jene Herren..." (Lapinski, l.c. p. 202 - 206.)

Die Memoiren Görgeys und Klapkas sprechen gleich laut für Klapkas Mangel an Charakter und politischer Einsicht. Alle Fehler, die er während der Verteidigung Komorns beging, stammten aus diesem Mangel.

"Hätte Klapka bei seinen Kenntnissen und seinem Patriotismus auch einen festen eignen Willen besessen und nach seiner selbstgefaßten und nicht von Schwachköpfen und Feiglingen ihm beigebrachten Meinung gehandelt, die Verteidigung Komorns würde einst als Meteor in der Geschichte geglänzt haben." (l.c. p. 209.)

Am 3. August hatte Klapka einen glänzenden Sieg über das östreichische Zernierungskorps bei Komorn erfochten, es ganz gesprengt und für lange Zeit kampfunfähig gemacht. Er nahm darauf Raab ein und konnte selbst Wien ohne Mühe nehmen, weilte aber acht Tage ratlos und untätig zu Raab und kehrte dann nach Komorn zurück, wo er die Nachricht von der Waffenstreckung Görgeys und einen Brief desselben vorfand. Der Feind bat um Waffenstillstand, um das zersprengte Zernierungskorps der Östreicher und die von Rima Szombat vorrückenden Russen bei Komorn konzentrieren und die Festung in aller Ruhe einschließen zu können. Statt die einzelnen sich erst sammelnden feindlichen Abteilungen nacheinander anzugreifen und zu schlagen, schwankte Klapka wieder ratlos hin und her, verweigerte jedoch den östreichischen und russischen Parlamentären den Waffenstillstand. Da, erzählt Lapinski,

"kam ein Adjutant des Kaisers Nikolaus am 22. August nach Komorn ... Aber, sagte der russische Mephisto in honigsüßem Ton: Sie werden uns doch einen vierzehntägigen Wagenstillstand gönnen, Herr General; Se. Majestät, mein allergnädigster Kaiser, läßt Sie darum bitten! Das wirkte wie schnelles Gift. Was den Anstrengungen der östreichischen, den Überredungen der russischen Parlamentäre nicht gelungen war, erreichte der durchtriebene Russe mit wenigen Worten. Klapka konnte dem feinen Komplimente nicht widerstehn und unterschrieb den Waffenstillstand auf 14 Tage. Von hier aus datiert sich der Fall Komorns."

Den Waffenstillstand selbst ließ Klapka durch seinen Oberst Assermann, wie schon erwähnt, dazu benutzen, mit dem für ein ganzes Jahr hinreichenden Proviant der Festung in zwei Wochen aufzuräumen. Nach Ablauf des Waffenstillstands zernierte Crabbe Komorn von der Waagseite, während die Östreicher, die ihre Macht allmählich auf 40.000 Mann vermehrten, <583> am rechten Donauufer lagerten. Die Besatzung Komorns ward durch träges Lagern hinter den Schanzen und Mauern demoralisiert. Klapka machte nicht einmal einen Ausfall auf das russische Zernierungskorps, welches noch keiner Schlacht beigewohnt hatte und nur 19.000 Mann stark war. Der Feind wurde keinen Augenblick in seinen Vorbereitungsarbeiten zur Belagerung gestört. Klapka, seit der Annahme des Waffenstillstands, bereitete in der Tat alles vor, nicht für Verteidigung, sondern für Kapitulation. Die einzige Energie, die er entwickelte, war polizistischer Natur, nämlich gegen die braven Offiziere gewandt, die sich der Kapitulation widersetzten.

"Zuletzt", sagt Lapinski, "wurde es gefährlich, über die Östreicher etwas zu reden, wenn man nicht arretiert werden wollte."

Endlich am 27. September wurde die Kapitulation geschlossen.

"Im Vergleiche", sagt Lapinski, "zu der Macht, zu der verzweiflungsvollen Lage des Landes, welches seine letzten Hoffnungen auf Komorn gesetzt hatte, im Vergleich zur Lage der europäischen Verhältnisse und zu der Ohnmacht Östreichs, welches wegen Komorn die größten Opfer gebracht haben würde, waren die Kapitulationsbedingungen so erbärmlich wie nur möglich."

Sie "dienten grade nur dazu, daß man sich schnell aus Komorn über die Grenze retten konnte", bedungen aber weder für Ungarn noch selbst für die in der Hand der Östreicher befindlichen Revolutionsgenerale die geringste Garantie. Und zudem waren sie in übereilter Hast noch so undeutlich und zweideutig abgefaßt, daß die Verletzung derselben dem Haynau später erleichtert ward.

Soviel über Klapka. Wenn Vogt keinen "Charakter" besitzt, ist Klapka der letzte Mann, der ihm von dieser Ware ablassen kann.

Der dritte Patron ist "James Fazy, der Regenerator von Genf", wie ihn sein Hofnarr Vogt nennt. Die folgenden Briefe Johann Philipp Beckers, gerichtet an den Adressaten seines oben abgedruckten Briefs, enthalten eine zu treffende Charakteristik Fazys, um sie durch Zusätze zu stören! Daher nur eine Vorbemerkung. Der ekelhafteste Zug von Vogts sogenannten "Studien" ist die Heuchelei lutherischen, ja calvinistischen Grauens vor der "ultramontanen Partei". So stellt er Deutschland z.B. die abgeschmackte Alternative, Louis Bonaparte freie Hand zu geben oder der Herrschaft des östreichischen Konkordats zu verfallen, und "lieber wahrlich wollten wir eine zweite Periode der nationalen Demütigung durchmachen". (p. 52, "Studien".) In den puritanischsten Nasallauten zetert er wider die

<584> "ultramontane Partei, jenen Erbfeind, der der ganzen Menschheit an dem innern Mark nagt, dieses Scheusal". (l.c. p. 120.)

Er hat natürlich nie gehört, was sogar Dupin Aîné im dezembristischen Senat verriet, nämlich daß

"unter Louis Bonapartes Regime die direkt dem Jesuitenorden unterworfenen Kongregationen, Assoziationen und Stiftungen jeder Art größern Umfang gewonnen haben als unter dem ancien régime und daß alle staatlichen Schranken, die selbst vor 1789 die Organe der ultramontanen Propaganda einzwängten, systematisch von der dezembristischen Gesetzgebung und Administration eingerissen worden sind".

Was Vogt aber jedenfalls weiß, ist, daß die Herrschaft seines Lokal-Bonaparte, des Herrn James Fazy, auf einer vieljährigen Koalition zwischen der sogenannten radikalen Partei und der ultramontanen Partei beruht. Als der Wiener Kongreß Genf, den alten Sitz des Calvinismus, der Eidgenossenschaft einverleibte, fügte er seinem Territorium mit gewissen savoyischen Distrikten eine katholische Landbevölkerung und die Crème ultramontanen Pfaffentums hinzu. Es ist die Allianz mit "diesem Erbfeind der Menschheit, diesem Scheusal", die den Fazy zum Diktator Genfs und den Vogt zum Ständerat Fazys gemacht hat. Soviel Vorläufiges.

"Paris, den 2. Juli 1860

Freund R...! Endlich muß ich doch Ihrem Wunsch entsprechen und Ihnen meine Meinung schreiben über Herrn James Fazy ...

Wie die Staatswissenschaften nichts nützen ohne die Kunst ihrer Anwendung aufs Leben, so ist die Staatskunst unfruchtbar, wenn sie nicht auf Wissenschaft und philosophischem Denken beruht. Mit der Wissenschaft allein lockt ein sogenannter Staatsmann keinen Hund vom Ofen und legt seine Unfähigkeit bald klar an den Tag. Dagegen kann aber ein Mann einseitiger Staatskunst seinen Mangel an Wissen und geistiger Produktivität leichter verbergen, für einen praktischen Staatsmann gelten und den großen Markt der Mittelmäßigkeit für sich haben. Ob durch das Walten eines solchen Mannes ein Volk kulturgeschichtlich vorwärtsschreitet und Garantien für ungestörte Weiterentwicklung geschaffen werden, liegt jenseits dem Urteilsvermögen einer blind bewundernden Menge. Wenn es nur den Anschein hat, gut und vorwärts zu gehn, und alles im Namen der Freiheit und Zivilisation geschieht!

Mit unserm Herrn James Fazy lege ich Ihnen nun ein Prachtexemplar der Species Staatskünstler vor. Es treibt dieser geschickte Mann wirklich nicht bloß Staatskunst, sondern reichlich Staatskünste, macht Kunststücke und spielt tours de force <den Kraftmeier> sooft es das 'öffentliche Wohl' erheischt, hütet sich aber mit gewohnter Klugheit vor jedem <585> Salto mortale. Schlau im Einfädeln der Rollen hinter den Kulissen, geschickt als Regisseur und Souffleur, ist er das Non plus ultra eines welschen Komödianten. Sehr zu schätzen wäre seine 'Seelenstärke', die vor keinem Mittel zu seinen Zwecken zurückschreckt, ginge sie nicht aus dem Schmutz seiner Zwecke hervor. Kennt man einmal die Grundsatz- und Charakterlosigkeit dieses Mannes, so bewundert man weniger den Scharfsinn, womit er Mittel findet, und das Geschick, womit er sie anwendet. Alles was im Leben des von ihm gouvernierten Volkes Gutes geschieht oder keimt, wird keck von dem Staatskünstler in den eignen Schoß eskamotiert und dann in seinem Namen der großen Menge präsentiert, so daß sie glaubt und schwort, das alles habe der 'Papa Fazy' gemacht oder sei nur durch ihn geschehn. Mit gleichem Geschick weiß er seine Urheberschaft von Schlimmem und Unpopulärem von sich abzuwälzen und andern in die Schuhe zu schieben. In seinem Regierungskollegium duldet er keinen selbständigen Charakter, seine Kollegen müssen sich nach Belieben von ihm desavouieren lassen und zu seinen Mißlungenschaften Gevatter stehn. Seine herrschsüchtige Brutalität à discrétion genießend, müssen sie stets bereitstehn, als Sündenböcke und Prügeljungen zum Heile des Volks und zum Ruhm ihres Präsidenten zu dienen. Wie ein gekröntes Haupt bei jeder Staatsmaßregel, mag sie auch noch so sehr im Volksinteresse sein, sich, ehe die Majestät 'geruht', erst fragt, ob sie der Dynastie nicht schaden wird, so fragt sich Papa Fazy bei allem Tun und Lassen: 'Macht es meinen Präsidentenstuhl nicht wackelig?' Es richtet daher unser Held seine Politik immer nach den Umständen und lebt von der Hand in den Mund: Heute macht er einen Komödienspuk im Regierungsrat, morgen einen Jongleurstreich im Großrate und übermorgen einen Knalleffekt auf einer Volksversammlung, und die große von ihm geschickt gehätschelte Menge, die ihrerseits gerne auch einen sichtbaren und hörbaren Herrgott hat, den sie anbeten und verehren kann, wird gläubig und glaubt: Es schreien Eier in der heißen Pfanne, wenn ein Platschregen auf die Dächer fällt. Ich will damit keineswegs sagen, daß das Genfer Volk unentwickelt und intelligenzlos sei; im Gegenteil bin ich überzeugt, daß kaum irgendwo ein regeres öffentliches Leben, kräftigeres geistiges Streben zur Entwicklung freier bürgerlicher Zustände zu finden ist als hier an den Ufern des Lemansees. Ich werde später darauf kommen, wie es dennoch so oft wiederholt dem Herrn Fazy gelang, sich die Stimmenmehrheit zu sichern.

Was in Genf seit l 5 Jahren eine regsame Generation zustande gebracht, setzt [er] oder läßt er sich durch seine Lakaien und Anbeter auf Rechnung seines Regiments setzen. Die Abgrabung der Festungswerke, die großartige Erweiterung und Verschönerung der Kantonshauptstadt sollen z.B. als sein Werk gelten. Und dennoch wäre jede Verwaltung und auch die des Herrn Fazy unbarmherzig auf die Seite geschoben worden, wenn sie sich dem gewaltigen Drange der Bevölkerung zur Niederwerfung der nutzlosen Festungswerke, zur Vergrößerung der durch die zusammengepreßte Menschenmasse mehr und mehr ungesund werdenden Stadt irgendwie widersetzt hätte. So war diese Frage für Fazy zugleich eine Existenzfrage, und er hat sie - dem Verdienste seine Krone - mit Energie zur Hand genommen und vieles zur allgemeinen Zufriedenheit zum Ziele führen helfen. Für das aber, was ein mächtiges Zeitbedürfnis durch kräftiges Zusammenwirken einer Generation schafft, kann sich der einzelne, ohne <586> dünkelhafte Anmaßung, nicht als Urheber und Schöpfer aufwerfen. Nur die ganze Gesellschaft erschafft, und zwar auch nur relativ, etwas Ganzes, wozu das Mitglied je nach seiner Kraft und Stellung ein größeres oder kleineres Bruchstück liefert. Blinder Autoritätsglaube ist ein Aberglaube wie jeder andre und jeder gesunden Entwicklung nachteilig.

Ich weiß wohl, daß es unserm Herrn Fazy geht wie allen andern Menschenkindern, daß er nur tut, was er nicht lassen, und daß er nur läßt, was er nicht tun kann, daß er im Drange absoluter Ausprägung seiner Individualität - wie alles in der Tierwelt - seinen Bedürfnissen nachjagt. Man kann ihm ebensowenig zumuten, anders zu sein, als man von einer Katze verlangen darf, daß sie freiwillig ins Wasser gehe oder von einem Pferd, daß es die Bäume hinaufklettre. Er wäre ja sonst der James Fazy nicht, und wenn er nicht Fazy wäre, so möchte er vielleicht Louis Bonaparte oder so etwas sein. Wenn es Größe ist, im Besitze der Autorität ein Volk am Gängelbande zu führen, mit Taschenspielerkünsten zu blenden, ohne der geistigen und sittlichen Kultur die Marken intensiven Fortschritts aufzudrücken, und die Spuren eines Daseins nur durch Korruption der Gesellschaft zu brandmalen, so wäre sicherlich auch Fazy groß und dürfte nicht ohne Grund von mächtigeren Tyrannen beneidet werden.

Mit Widersprüchen versteht unser Mann so gut wie irgendeiner zu segeln, und aus ihnen ist der Kompaß, womit er sein Staatsschifflein lenkt, zauberformelnd gemodelt. Einmal liefert ihm der Radikalismus die Bemannung und der Ultramontanismus die Ladung, umgekehrt ein andermal - wie es dem Schifflenker in den Kram und die Haushaltung paßt. Die Staatsmaschine ist so stets in Bewegung, geht immer hin und her, wie die Unruhe einer Taschenuhr. Glückliches Resultat! Die Radikalen schwören, das Ding gehe vorwärts, die Ultramontanen glauben, es gehe rückwärts. Beides ist richtig; beide sind im Glauben selig, und Fazy bleibt als Herrgott am Ruder.

Nun lieber Freund, nehmen Sie einstweilen mit diesen Zeilen vorlieb.

Indessen grüßt herzlich

Ihr Joh. Philipp Becker"

"Paris, 20. Juli 1860

Lieber R...!

Sie meinen also, ich dürfte vielleicht die Farben zu dem Porträt Fazys zu dick aufgetragen haben. Keineswegs, mein lieber Freund! Übrigens kann der Mensch ja nicht denken und urteilen über Sachen und Personen, wie er will, sondern wie er nach seiner Wahrnehmung und innern Erfahrung logisch muß. Wer in solchen Dingen anders sagt, als er denkt, und anders tut, als er sagt, ist sich selbst untreu und ein Lump.

Fazy, der in einem Herrnhuter Institut in Neuwied seine erste Erziehung erhielt und gut deutsch spricht, scheint heute noch, als 65jähriger Mann, Deutschland und sein Volk nach den Eindrücken dieser Musteranstalt zu beurteilen. Alles Deutsche, komme es auch aus der deutschen Schweiz, ist nicht nach seinem Geschmacke und findet nur seine Gnade in seltnen Ausnahmen. Als geborner Genfer und durch seinen längern Aufenthalt in den nordamerikanischen Freistaaten wurde er mit den <587> republikanischen Einrichtungen, den Mitteln der Agitation und besonders seinem Naturell gemäß mit den Kniffen der Intrige innig vertraut. Er ist mehr Demagog als Demokrat, und seine Hauptstaatsmaxime und Aushängeschild: laissez aller et laissez faire, wäre nicht so übel, wenn er sich enthalten könnte, überall die Hände im Spiel zu haben, wo sich in der Gesellschaft ohne Staatsgnade etwas bilden will, um dabei entweder einen Wert auf Rechnung seines Ruhms zu setzen oder, wenn dies nicht der Fall sein kann, das Unternehmen zu hintertreiben, so wie dies bei der von Herrn Mayer und andern projektierten Banque de Crédit et d'Échange und der Errichtung einer Gewerbehalle der Fall war. Bei der Genfer Revolution 1846 richtete sich Herr James nach dem Satze: Weit vom Schusse gibt alte Kriegsleute, und er dachte mehr an die Mittel zur Flucht als an die Mittel zum Siege. Er stand grade auf dem Sprunge, Genf heimlich zu verlassen, als Albert Galeer, die Seele der ganzen Bewegung, durch eine letzte Anstrengung den lang schwankenden Kampf entschied und ihm den völligen Sieg verkündete. Galeer, dem alles an der Sache und nichts am eignen Ruhme lag, der damals wenigstens fest an die aufrichtige Volksliebe Fazys glaubte, sah gar nicht ungern. als der von übereilter Flucht noch rechtzeitig gerettete Held sich auf einer gleich nach dem Siege veranstalteten Volksversammlung als Sieger gerierte. Galeer konnte damals um so weniger daran denken, nach vollendeter Revolution sofort eine Stelle im Kreise der Regierung einzunehmen, als er nicht Genfer, sondern Berner Kantonsbürger war und daher nach den zur Zeit gültigen eidgenössischen Gesetzen weder wählen noch gewählt werden konnte. Zwar wurde ihm bald das Bürgerrecht geschenkt und er dann in den Großen Rat gewählt, so wie er auch die Stelle als Übersetzer der Staatsakten erhielt. Er wurde als Mittelpunkt der tatkräftigen Jugend Genfs eine feste Stütze des radikalen Regiments. Durch ihn ward Fazy immer mehr der gefeierte Mann des großen Haufens. Mit der Phraseologie des französischen Radikalismus, die er sich als Mitarbeiter des 'National' in Paris zur Zeit Louis-Philippes angeeignet, agitierte und maskierte James Fazy, in der Presse und auf der Tribüne, nach Herzenslust sein eigentliches Sinnen und Trachten. Trotz seiner Demagogenkünste jedoch wurde er schon nach Verfluß eines Jahres in verschiednen Kreisen ernstlich der geheimen Beziehung zu den Häuptern des Ultramontanismus und bald nachher auch der Anhänglichkeit an das Franzosentum beschuldigt. In der deutschen Schweiz, wo man die Sachen kälter anschaut und ruhiger beurteilt, scheint man seine Ränke frühzeitig durchblickt zu haben. Gegen Ende des Jahres 1847, unmittelbar nach Beendigung des Sonderbundkriegs, kam Herr James Fazy, um dem Herrn General Ochsenbein einen Besuch zu machen, auf die Büros des Kriegsdepartements; ich war allein gegenwärtig, da Ochsenbein mit den übrigen Offizieren die Verwundeten in den Spitälern besuchte. Als ich Ochsenbein nun bei seiner Rückkunft meldete, daß ihm inzwischen Herr Fazy einen Besuch gemacht habe, ließ er mit einer Miene der Verachtung die Worte fallen: 'Oh, der falsche Heuchler!' Vielleicht hegt nun der ehemalige schweizerische Bundes- und bernische Regierungspräsident Herr General Ochsenbein, welcher seit mehreren Jahren eine kaiserlich-französische Pension in der Schweiz verzehrt, mildere Gefühle gegen seinen gewiß ebenbürtigen alten Amtsgenossen. Allgemein auffallend bleibt es immer, daß Herr Fazy noch nie von der schweizerischen Nationalversammlung in den Bundes- <588> rat gewählt wurde, so sehr er und seine Freunde sich darum bemühten und so sehr in dieser Versammlung, ja bis zur Engherzigkeit, die Tendenz herrscht, den wichtigern Kantonen die Vertretung in der Zentralregierung abwechselnd zu sichern. Gegen die Bundesgewalt, worin es keine Gewalt für ihn auszuüben gab und wodurch doch die ihm bequeme Kantonalsouveränetät beschränkt ist, zeigte er sich stets störrig und stellte ihr ein Bein, wo er konnte.

Als es im Anfange des Jahres 1849 die Bundespolizei für staatsweise hielt, mich wegen der Organisation einer sizilianischen Legion zu verfolgen, ging ich nach Genf, wo mir Fazy sagte: Ich könne nun nach Belieben organisieren und brauche mich nicht um den Bundesrat zu kümmern. Ich weiß wohl, daß der Herr Fazy jeden sofort als Opfer preisgibt, sobald die Not an den Mann kommt, sogar dann, wenn das Gesetz auf seiner Seite steht, wie ich es in einem spätern Falle, der für einen Brief zu weitläufig ist, selbst erlebt habe und wovon die Herren Bundeskommissäre Dr. Kern und Trog erzählen können.

In der Flüchtlingsangelegenheit, unter dem Schild der Humanität widerspenstig gegen die Maßregeln des Bundesrats, verfolgte er die ihm persönlich mißliebigen Flüchtlinge mit herzloser Willkür. Insonders waren hervorragende Leute, welche in engerer Beziehung zu Galeer standen, in dem er einen künftigen Nebenbuhler ahnte, rücksichtslosen Verfolgungen ausgesetzt. Mazzini hatte sich mehr vor ihm als vor der Bundespolizei zu hüten. Der lange Heinzen war ihm ein Greuel und mußte alsbald den Kanton verlassen: 'Er tritt so hart auf, als wenn der Boden ihm gehörte', war, naiverweise, Fazys einziger Grund. Struve wurde ohne Veranlassung des Bundesrats auf einem Spaziergange mit seiner Frau verhaftet und als russischer Spion über die Grenze nach dem Kanton Waadt gebracht. Galeer eilte noch rechtzeitig zu Fazy, um ihn von seinem Irrtum zurückzubringen. Es kam zu lauten Diskussionen, denn Fazy glaubt um so wahrer zu erscheinen, je heftiger er schreit und je indignierter er sich stellt. Struve mußte russischer Spion bleiben. Wenn ich mich recht erinnere, so fand diese Szene im Hotel des Bergues bei dem russischen Flüchtling Herrn Herzen statt, bei welchem der Genfer Regierungspräsident gern tafelte. Jedenfalls hatte aber dieser Herr keinen Anteil an der unlautern Verdächtigung Struves. Sicher ist Fazy ein größerer Freund des Russentums als Struve, denn ich horte ihn einmal auf einem Feste in einer Rede sagen: 'Die Werke Jean-Jacques Rousseaus sind in Rußland mehr gelesen und besser begriffen als in Deutschland.' Freilich wollte er hauptsächlich damit den deutschen Freunden Galeers und den Deutschen überhaupt einen Hieb geben.

Galeer, der bisher in politischen Fragen mit Fazy durch dick und dünn gegangen war und den ich unmittelbar nach seinem Zusammenstoß mit Fazy wegen Struve sprach, sagte mir mit betrübtem Herzen: 'Nun ist es aus mit Fazy, ich kann in Ehren nicht mehr mit ihm umgehn, der Mann ist ein wahres politisches Monstrum, ein reines Tier in seinen Begierden; es hieße die Volkssache innerlich zugrunde richten helfen, wollte ich langer mit ihm zusammenhalten. Nur wenn man ihm eine entschieden freisinnige Oppositionspartei entgegenstellt, ist er genötigt, die Fahne des Radikalismus hochzuhalten, um seine Stellung zu retten. Solange er nur die alte Aristokratie gegen sich hat, wird, da er mit den Ultramontanen längst liebäugelt, die Sache immer fauler, <589> er kann schalten und walten nach Belieben. Er ist übrigens kein Schweizer in Gesinnung und schaut lieber nach Paris als nach Bern. Lange hatte ich in Genüge Ursache, mich von ihm abzuwenden, allein die Gewohnheit, mit der ich ihn längere Zeit als tüchtigen Mann betrachtet habe, ließ es mir nicht zu. Nur wiederholte innere Kämpfe und der heutige äußere Zusammenstoß haben es endlich über mich vermocht, die Rechnung mit ihm abzuschließen.'

Um Galeer scharten sich alle Männer von selbständigerem Wesen und namentlich die Leute der jungen politisch-ökonomischen Schule, und man nannte bald die so 'vereinigten' entschieden radikalen und sozialistischen Elemente die demokratische Partei. Der Radikalismus bestand fortan, abgesehn von geringen Ausnahmen, nur in bewußtem und unbewußtem Servilismus gegen Fazy, der jetzt seinen eigentlichen Majoritätshebel in den seit 1815 mit Genf vereinigten katholischen Landesteilen Savoyens gefunden hatte. Die dort allmächtigen ultramontanen Pfaffen gingen die Allianz mit dem 'Radikalismus', dem Fazit Fazys, ein. Galeer wurde auf die gemeinste Weise verdächtigt, verfolgt und seiner Stelle entsetzt. Die junge demokratische Partei, nun zwischen der aristokratischen und der vereinigten altradikalen und ultramontanen Partei stehend, konnte bei den bevorstehenden Wahlen noch keine selbständige Liste aufstellen. Und obgleich Herr James Fazy sich weigerte, einige Namen der Demokraten in seine eigne Liste aufzunehmen, entschieden sich dennoch Galeer und seine Freunde, alle Anerbietungen der aristokratischen Partei verschmähend, diesmal noch für die Liste Fazys zu stimmen und ihren Sieg von der Zukunft zu erwarten. Hätte es Fazy also mit dem Fortschritt und einer gründlichen bürgerlichen Entwicklung aufrichtig gemeint, so brauchte er sich nicht an den ekeln Schweif der immer rückwärts schauenden Ultramontanen zu hängen. Um die gehässigen Verfolgungen und Verdächtigungen gegen Galeer mit mehr Erfolg zu betreiben, wurde von den Satelliten Sr. Exzellenz des 'radikalen' Präsidenten ein besondres Schmähblatt gegründet, damit der kluge Herr und Meister nicht nötig hatte, seinen Moniteur, die 'Revue de Genève', mit seinen Invektiven zu besudeln, womit das Blatt seiner Prügeljungen, die er nach Belieben desavouieren konnte, um so reichlicher geschmückt war. Galeer, von schwacher Gesundheit, erlag dieser heimtückischen Hetze und starb noch im Verlauf desselben Jahres (1851), 35 Jahre alt. Wie oft horte ich noch in Genf sagen: 'Unser guter, edler Galeer ist als Opfer der unerbittlichen Rache unsres jesuitischen Tyrannen gefallen.' Bei den folgenden Regierungswahlen gingen die Freunde Galeers die ihnen angebotene Verbindung mit der Aristokratie um so eher ein, als sich dieselbe mit dem Sturze Fazys und einem sehr bescheidnen Anteil an der Verwaltung begnügte. Der grundsatzfeste Galeer hätte wahrscheinlich auch jetzt noch diese Verbindung abgelehnt, allein, sagten die Leute seiner Partei, warum hat uns der Herr Fazy das schöne Beispiel seiner Allianz mit den Ultramontanen gegeben, warum sollten wir uns des anständigen Schweifs der Aristokratie schämen, wenn sich Fazy nicht des unanständigen der Ultramontanen schämt? Warum sollten wir nicht wenigstens ebensogut mit der gebildeten Aristokratie vorwärtsgehn können, als es Herr Fazy mit dem unwissenden Ultramontanismus zu tun vorgibt?

Bei den Wahlen also (ich glaube es war im November 1853), wobei noch viele Radikale, sogar Regierungskollegen Fazys zu den Demokraten übergingen, wurde der Held <590> von 1846 mit großer Mehrheit vom Präsidentenstuhl gestürzt. Nun war die Verlegenheit des schuldenbelasteten Expräsidenten außerordentlich groß. Ich muß in dieser Beziehung einiges Charakteristische aus dessen Leben vorausschicken.

Herr James Fazy, der schon vor seinem Staatsregimentsantritt ein schönes Erbe in Lust und Liebe verlebt hatte, bis an den Hals in Schulden und rücksichtslos von seinen Gläubigern verfolgt, suchte, auf dem Präsidentenstuhl angelangt, rasch möglich die Abschaffung des Schuldenarrests, freilich 'im Interesse der persönlichen Freiheit', zu bewerkstelligen. So sagte mir im Jahr 1856 ein schuldengeplagter Genfer: 'Es ist doch gut, daß wir einen Schuldenmacher zum Regierungspräsidenten hatten, der, wenn auch nicht die Schulden, doch wenigstens den Schuldturm abschaffte.'

Anfangs der 50er Jahre kam jedoch Herr Fazy materiell stark ins Gedränge, so daß ihm das 'dankbare Volk' zu Hülfe eilen und ihm einen großen Bauplatz auf dem durch die Ebnung der Festungswerke gewonnenen Raum schenken mußte. Warum dies auch nicht? Hat er ja auch geholfen, diesen Boden von den Festungswerken zu befreien, warum sollte er sich nicht ein Stück davon 'annexieren' lassen, da so etwas ja noch größere Potentaten ohne Anstand tun. Herr Fazy konnte nun viele große Hausplätze verkaufen, selbst ein großes schönes Haus bauen. Leider geriet er aber alsbald wieder in neue Schulden, konnte seine Bauarbeiter nicht bezahlen. Im Anfang des Jahres 1855 mußte er sich von einem Schreinermeister, dem er einige 1.000 Francs schuldig war, auf der Straße nachschreien lassen: 'Bezahle mich, Lump, damit ich meinen Kindern Brot kaufen kann.' Unter solchen Umständen nun ward der gedrängte Mann Expräsident und, um das Maß voll zu machen, von einer noch peinigenderen Verlegenheit überfallen. Die Caisse d'Escompte, eine radikale Kreditanstalt, mußte nämlich ihre Zahlungen einstellen. Die ebenfalls mühselig mit Schulden beladenen Freunde Fazys in dieser Anstalt hatten ihm und sich gegen die Gebote der Statuten und über das Maß der Mittel Kredite bewilligt. Der Direktor der Bank, heute noch im Gefängnis, hatte - böse Beispiele verderben gute Sitten - sich selbst noch maßloser mit Kredit bedacht. So stand die Caisse d'Escompte am Vorabend eines schweren Ereignisses, des Falliments. Die Ersparnisse von hundert sparsamen Arbeiterfamilien waren in Gefahr. Jetzt mußten Rat und rettende Tat geschafft werden um jeden Preis, sonst wäre der Fazismus im Defizit zerstoben wie die Spreu im Winde. Für die Caisse d'Es compte direkt war natürlich unter bewandten Umständen kein Geld aufzutreiben. Es laborierte aber in Genf grade damals noch eine andre Kreditanstalt an ihrer Entstehungsperiode, die Banque Générale Suisse. Dieser Bank mußten bedeutende Fonds verschafft werden, damit sie im Gegendienst die Caisse d'Escompte von der Geldebbe und den Herrn Fazy von der Schuldenflut errette. Fazy mußte den Retter machen, um der Gerettete zu werden. Ihm wurde für den Fall des Gelingens eine würdige Provision in soundso viel Prozente zugesichert und der Caisse d'Escompte das rettende Hülfskapital. Herr Fazy ging also zu diesem Behuf pro domo und für die Banque Générale Suisse nach Paris, wo es ihm nach mehrwöchentlichem Aufenthalt und - wie die Fama sagte - mit dem huldvollen Beistand des 'Allerhöchsten' - gelang, bei dem Crédit mobilier das Rettungsgeschütz in vielen Millionen Franken aufzutreiben. Es fanden damals grade die Vorbereitungen zu neuen Regierungswahlen statt (November 1855), <591> und der Sauveur <Retter> schrieb deshalb schon vor seiner Ankunft in Genf, er werde nächstens die enorme Millionenladung selber mitbringen. Das war ein Heilpflaster für die wunden Herzen der Aktionäre der Caisse d'Escompte und eine Zauberfackel für die ultramontan-radikalen Wähler. Eine Karikatur ließ ihn dann, gut porträtiert, in Gestalt eines riesigen Schwans, mit Goldsäcken beladen, auf dem See in den Hafen Genfs einfahren. Ein Spaßvogel sagte mir damals, man habe ihm beim Bier erzählt, Fazy habe 50, beim Wein, er habe 100, und beim extrait d'Absinthe, er habe 200 Millionen mitgebracht. Die Reputation der wundertätigen Kraft des Papa Fazy war bei seinen Kindern völlig wiederhergestellt. Die Demokraten, in dem Wahn, ihres Siegs bei den Wahlen sicher zu sein, machten keine besondern Anstrengungen. Die schon seit einiger Zeit gebildete Gesellschaft junger kräftiger Männer - les fruitiers - gebärdete sich nun vollständig als Fazys Leibgarde, terrorisierte bei dem Wahlakt auf die brutalste Weise und ihr Götze bestieg abermals den Präsidentenstuhl.

Diesmal erwies es sich aber bald klar und deutlich, daß die Ultramontanen nicht umsonst ihr massenhaftes Kontingent geliefert, sondern auch ihren Siegespreis haben sollten. Der infolge des Sonderbundkriegs aus der Schweiz verjagte Bischof von Freiburg, Herr Marilley, der ewige Hetzer und Unruhstifter, kam an einem schönen Tage mit hoher obrigkeitlicher Bewilligung des Herrn Fazy aus Frankreich nach Genf zurück und begann 'heilige' Messen zu lesen. Durch die ganze Stadt ging ein Schrei des Unwillens, alsbald widerhallend in der ganzen Schweiz. So etwas war selbst den blindesten Radikalen, den ergebensten fruitiers zu bunt. Sofort wurde eine Volksversammlung gehalten und der Herr Regierungspräsident mit einem Mißtrauensvotum beschenkt. Sein Kollege, der Herr Regierungsrat Tourte, fühlte, obgleich nur ein Jünger und Schüler Fazys, bedenkliche Emancipationsgelüste und donnerte rücksichtslos auf seinen Herrn und Meister los. Herr Fazy war aber schon vor der Ankunft des Herrn Bischof weggereist, wie immer in solchen Fällen, wo er seinen Kollegen eine Sauce zugerichtet hatte, die sie allein austrinken sollten. Der Herr von Marilley mußte natürlich Stadt und Land sofort verlassen. Papa Fazy aber schrieb von Bern aus, seinen aufrührerischen Kindern einstweilen den Kopf waschend, er sei mißverstanden worden, die Regierung habe ihre Sache nicht gut gemacht, er habe auch nur im 'Interesse der Religionsfreiheit' gehandelt, dem Bischof nur einfachen Besuch erlaubt. Nach Legung des ersten Sturms kehrte der schwer beleidigte Papa Fazy wieder zurück. Es war ihm nun um so leichter, mit einigen Orakelsprüchen, die auf alles passen und stets wahr scheinen, seine verletzte Autorität und den Glauben an seine reine Freiheits- und Vaterlandsliebe wiederherzustellen, als seine Herren Kollegen die Artigkeit hatten, die Hauptschuld auf sich zu nehmen. Fazy hatte aber damit den schonen Zweck erreicht, seinen Freunden, den Ultramontanen, zu zeigen: daß er immer bereit ist, alles für sie zu tun - was ihm möglich ist. Herr James Fazy ist nun seit einigen Jahren ein recht reicher Herr. Nicht nur soll ihm von der Banque Générale Suisse ein gewisser Prozentanteil lebenslänglich gesichert sein, sondern er hat auch als Regierungspräsident bei den Eisenbahnunternehmungen seines Kantons usw. seine eignen Interessen nicht miß- <592> verstanden. In seinem schonen und großen Hause (Hotel Fazy auf dem Quai du Mont Blanc) bewegt sich im Cercle des Etrangers <Klub der Ausländer> die elegante Welt. Und seitdem Piemont die 'Spielhöllen' der Bäder Savoyens mit seiner Staatsmoral unverträglich fand, hat der mitleidige Präsident der Republik Genf gerührt eine solche Hölle als Flüchtlingin in seine geräumigen Säle aufgenommen. Es lebe die Freiheit! Laissez aller et laisset faire! Allez chez moi et faites votre jeu! <Leben und leben lassen! Kommt her zu mir und macht euer Spiel!>

Mein Liebchen, was willst Du mehr?

Ihr Johann Philipp Becker"

Von Vogts Patronen steige ich herab zu seinen Mitstrolchen.

Peace and goodwill to this fair meeting,
I come not with hostility, but greeting.
(5)

An der Spitze des Zugs, von dem ich nur einige auffallendere Gestalten namhaft machen will, begegnet uns die Berliner "National-Zeitung" unter dem Kommandostab von Herrn F. Zabel. Ein Vergleich der von Vogt selbst soufflierten Anzeige des "Hauptbuchs" durch Mr. Edouard Simon in der "Revue contemporaine" mit den entsprechenden Artikeln der "National-Zeitung", "Breslauer Zeitung" usw. läßt fast glauben, daß die "abgerundete Natur" zwei Programme erließ, eins zur Bearbeitung der italienischen und das andre zur Bearbeitung der Augsburger Kampagne. Was in aller Welt bewog Herrn F. Zabel, den sonst so langweilig behutsamen Leisetreter und Fettbildner der "National-Zeitung", so extrem über die Schnur zu hauen und Vogts Gassenhauer in Leitartikel zu setzen?

Die erste ausführliche Rücksichtnahme auf die "National-Zeitung" findet sich Nr. 205 der "Neuen Rheinischen Zeitung" vom 26. Januar 1849 in einem Leitartikel, der mit den Worten beginnt: "Wegweiser nach Schilda". Jedoch sind die Arme des Wegweisers zu lang, um sie hier wieder abzudrucken. In einem Leitartikel der "Neuen Rheinischen Zeitung" Nr. 224 vom 17. Febr. 1849 liest man:

"Die Berliner 'National-Zeitung' ist der inhaltschwere Ausdruck der Inhaltlosigkeit. Einige neue Proben. Es handelt sich von der preußischen Zirkularnote ... Zwar und aber! Können und mögen und scheinen! Finden und wollen, daß die preußische Regierung wolle! Jede Wendung trägt wie ein Bagnosträfling ein Zentnergewicht an den <593> Beinen und wiegt daher schwer. Jedes 'wenn', jedes 'zwar', jedes 'aber' ein leibhafter Dr. utriusque juris <Doktor beider Rechte>. Und wenn ihr all diesen christlich-germanischen Wulst, alle diese baumwollenen Lappen, worin die 'National-Zeitung' ihre Weisheit vorsorglich einwickelt, ebenso sorglich abwickelt, was bleibt übrig? ... Die Kannegießerei, schwarz auf weiß, als premier Berlin, en grande tenue <Berliner Leitartikel, in großer Aufmachung> ... Die 'National-Zeitung' ist offenbar für denkende Leser geschrieben, wie Rottecks Weltgeschichte ... Die Franzosen haben eine treffliche Formel für diese Art Denken, dessen ganze Bewegung rein sprachlich ist. 'Je n'aime pas les épinards et j'en suis bien aise; car si je les aimais, j'en mangerais beaucoup, et je ne peux pas le souffrir.' 'Ich esse den Spinat nicht gerne, und das ist sehr gut; denn wenn ich ihn gern äße, würde ich nicht genug davon essen können, und ich kann ihn nicht ausstehn.'... Die 'National-Zeitung' will Preußens Glück und darum - ein andres Ministerium. Was sie aber unter allen Umständen will, ist - ein Ministerium. Das ist auch das einzige, worüber die Patrone der 'National-Zeitung' mit sich im klaren sind und sich eines entschiednen Selbstbewußtseins erfreun."

In No.296 der "Neuen Rheinischen Zeitung" liest man unter

"Berlin, 9. Mai 1849 ... Es ist interessant, die Haltung der Berliner Presse der sächsischen Revolution gegenüber zu beobachten. Die 'National-Zeitung' kennt nur ein Gefühl - die Furcht verboten zu werden."

Aber Furcht ist ein Lebenselixier, wie die "National-Zeitung" während des Dezenniums Manteuffel bewiesen hat. Die "National-Zeitung" hat Popes Wort bewahrheitet:

Still her old empire to restore she tries,
For born a goddess Dullness never dies.
(6)

Nur unterscheidet sich Popes Reich der Dullness von dem Reich der "National-Zeitung" dadurch, daß dort "jetzt Dunce der Zweite herrscht, wie vordem Dunce der Erste", während hier immer noch der alte Dunce herrscht, Dunce the first.

Der "National-Zeitung" folgt auf dem Fuße nach die "Breslauer Zeitung", die jetzt für das Ministerium Hohenzollern schwärmt, wie früher für das Ministerium Manteuffel. Anfang 1860 erhielt ich folgenden Brief:

<594> "Breslau, 27. Februar 1860

Lieber Marx!

In der 'Volks-Zeitung' habe ich Deine Adresse und Deine Erklärung gegen die 'National-Zeitung' gelesen. Einen ähnlichen Artikel wie die 'National-Zeitung' hat auch die 'Breslauer Zeitung' aus der Feder ihres täglichen Mitarbeiters, des Dr. Stein, gebracht. Das ist derselbe Dr. Stein, welcher in der Berliner Nationalversammlung mit d'Ester auf der äußersten Linken saß und den bekannten Antrag gegen die Offiziere der pr[eußischen] Armee gestellt hat. Dieser große Stein von kleinem Körper ist von seinem Amte als Lehrer suspendiert. Er hat sich seit der Existenz des neuen Ministeriums die Aufgabe gestellt, für dasselbe zu agitieren, nicht allein im vergangenen Jahre bei den Wahlen, sondern auch jetzt noch, um die schlesische Demokratie mit den Konstitutionellen zu vereinigen. Trotzdem ist von dem jetzigen Ministerium sein Gesuch um Erlangung einer Konzession für Privatunterricht abgewiesen worden, nicht einmal, sondern mehrere Male. Das abgetretene Ministerium hatte stillschweigend geduldet, daß er denselben erteile, das jetzige aber hat ihm denselben als gesetzwidrig verboten. Er ist nun zur Erlangung einer Konzession nach Berlin gereist, aber erfolglos, wie Du in derselben Nummer der 'Volks-Zeitung', die Deine Erklärung bringt, eines weitern lesen kannst. Dr. Stein hat auch jetzt in der Breslauer Ressourcen-Gesellschaft beim Narrenzuge die Schwefelbande aufführen lassen. Trotzdem müssen Dr. Stein, Schlehan, Semrau und ihre Spießgesellen von den Konstitutionellen eine Demütigung nach der andern ertragen, aber diese Sorte läßt sich in ihrem Patriotismus nicht irremachen. Was sagst Du zu dieser saubern Gesellschaft?"

Was soll ich zu meinem Kollegen Stein sagen, denn in der Tat, Stein war mein Kollege. Ich habe nämlich ein ganzes halbes Jahr (1855) in die "Neue Oder-Zeitung" korrespondiert, und es ist die einzige deutsche Zeitung, worin ich während meines Aufenthalts im Ausland schrieb. Offenbar ist Stein der Mann mit dem steinernen Herzen, das selbst die Versagung der Konzession zum Privatunterricht nicht erweichen konnte. Die "Neue Rheinische Zeitung" hatte viel an dem Stein herumgehauen, um ihn zur Büste zuzuhauen. So z.B. No. 225:

"Köln, 16. Febr. 1849 ... Was Hrn. Stein speziell betrifft, so erinnern wir uns der Zeit, wo er fanatisch-konstitutionell gegen die Republikaner auftrat und die Vertreter der Arbeiterklasse in der 'Schlesischen Zeitung' förmlich denunzierte und durch einen geistesverwandten Schulmeister, jetziges Mitglied des 'Vereins für gesetzliche Ordnung', denunzieren ließ. Erbärmlich wie die Vereinbarer-Versammlung war die sogenannte demokratische Fraktion dieser Versammlung. Es war vorauszusehn, daß die Herren jetzt, um wiedergewählt zu werden, die oktroyierte Verfassung anerkennen würden. <595> Es bezeichnet den Standpunkt dieser Herren noch mehr, wenn sie in den demokratischen Klubs hinterher verleugnen, was sie vor der Wahl in den Wahlversammlungen bejahten. Diese klein pfiffig liberale Schlauheit war nie die Diplomatie revolutionärer Charaktere."

Daß die "[Neue] Rheinische Zeitung" nicht umsonst den Stein bildhaute, bewies er, sobald Manteuffel die aufoktroyierte Kammer wieder wegoktroyiert hatte, denn nun rief Dr. Julius Stein im "demokratischen Hauptverein zu Breslau:

"Wir" (die äußerste Berliner Linke) "haben die deutsche Frage von Anfang für verloren gegeben ... Man muß sich jetzt überzeugen, daß keine deutsche Einheit möglich ist, solange es deutsche Fürsten gibt." (No. 290, "Neue Rheinische Zeitung".)

Es ist nun in der Tat herzzerreißend, steinerweichend, daß derselbe Stein, obgleich nicht mehr ein Stein des Anstoßes, fort und fort von Schwerin verworfen wird als - Baustein.

Ich weiß nicht, ob meine Leser den "Punch" aus eigner Anschauung kennen, ich meine den Londoner "Kladderadatsch". Auf dem Titelblatt sitzt Punch und ihm gegenüber steht sein Hund Toby, der ganz sauertöpfig dreinsieht und eine Feder hinter dem Ohr trägt, beides Zeichen, daß er ein geborner penny-a-liner ist. Wenn man Kleines mit Großem vergleichen darf, so könnte man den Vogt etwa mit Punch vergleichen, namentlich seit der letztere seinen Witz verloren hat, ein Malheur, das ihm 1846 mit der Abschaffung der Korngesetze passiert ist. Seinen Kameraden aber, den Hund Toby, kann man nur mit sich selbst vergleichen oder mit Eduard Meyen. In der Tat bedarf Eduard Meyen, wenn er wirklich jemals sterben sollte, keiner pythagoreischen Seelenwanderung. Dafür hat Toby schon bei seinen Lebzeiten gesorgt. Ich will nicht grade behaupten, daß Eduard Meyen dem Zeichner der Titelvignette als Modell gesessen hat, aber jedenfalls habe ich in meinem ganzen Leben nie eine größere Ähnlichkeit zwischen einem Menschen und einem Hunde gesehn. Jedoch kein Wunder. E. Meyen ist von Natur penny-a-liner und der penny-a-liner ist von Natur Toby. E. Meyen hat es von jeher geliebt, seine zudringlich rührige Federseligkeit fertig eingerichteten Parteiorganisationsschreibunternehmungsanstalten zu widmen. Ein aufoktroyiertes Programm erspart die Mühe des Selbstdenkens, die Zusammenhangsempfindung mit einer mehr oder minder organisierten Masse übertäubt das Gefühl der Selbstunzulänglichkeit, und das Bewußtsein einer vorhandenen Kriegskasse überwindet für Augenblicke sogar die professionelle Verdrießlichkeit Tobys. So finden wir den Eduard Meyen seinerzeit angeschwänzt an das unglückliche demokra- <596> tische Zentralkomitee, die taube Nuß, die 1848 aus der deutschen Demokratenversammlung zu Frankfurt am Main hervorwuchs. Im Londoner Exil war er attachiert als betriebsamster Drechsler der lithographischen Flugblätter, worin Kinkels Revolutionsfabrikations-Anleihegelder zum Teil vermöbelt wurden, was denselben Eduard Meyen natürlich nicht verhindert hat, mit Sack und Pack ins prinzregentschaftliche Lager überzulaufen, um Amnestie zu heulen und in der Tat die Erlaubnis zu erbetteln, von Wandsbek aus in den Hamburger "Freischütz" über auswärtige Politik drangsalieren zu dürfen. Vogt, der "Diejenigen welche" warb, Leute, die seinem "Programm folgen" und ihm Artikel apportieren wollten, und zudem eine wohlgespickte Kriegskasse vor ihren Augen tanzen ließ, kam unserm Eduard Meyen, der augenblicklich grade herrenlos umherlief, indem bei den schlechten Zeitläuften niemand die Hundesteuer zahlen wollte, daher wunderlich gelegen, und wie ergrimmt bellte Toby auf bei dem Gerücht, ich wolle die Vogtsche Parteischreibunternehmungsanstalt um ihren Kredit und ihre federfuchsenden Möpse um die Schreibgebühren prellen! Quelle horreur! <Schauderhaft!> Vogt ließ seinem Eduard Meyen ebenso ausführliche Instruktion über die obligate Bearbeitung des "Hauptbuch" zukommen wie seinem Edouard Simon, und in der Tat hat Eduard Meyen 5 Nummern des "Freischütz" (No. 17-21, 1860) mit Schwarten aus dem "Hauptbuch" gespickt. Aber welcher Unterschied! Während Edouard Simon das Original korrigiert, verballhornt es Eduard Meyen. Die einfachste Anlage zu objektiver Auffassung eines gegebenen Stoffes zeigt sich doch wohl in der Fähigkeit, gedrucktes Zeug abschreiben zu können, aber unser Eduard Meyen ist platterdings unfähig, auch nur eine Zeile richtig abzuschreiben. Tobys Gemüt ermangelt selbst der zum Abschreiben nötigen Kraft. Man höre:

"Freischütz" No. 17:

"Die Zeitung ('Allgemeine Zeitung') ... ist jetzt überführt, sich ... auch ... der Mithülfe einer revolutionären Partei bedient zu haben, welche Vogt als die Schwefelbande der deutschen Republikaner brandmarkt."

Wann und wo fabelt Vogt von der Schwefelbande der deutschen Republikaner?

"Freischütz" No. 18:

"Liebknecht ist es, welcher die Anklage gegen Vogt in der 'Allgemeinen Zeitung' zu erheben hat, indem er die von Biscamp im Londoner 'Volk' geschmiedeten Anschuldigungen dort wiederholte; das volle Gewicht jedoch erhielten sie erst, als Marx ein in <597> London erschienenes Flugblatt, dessen Autorschaft er Blind zuschrieb, der 'Allgemeinen Zeitung' übersandte."

Vogt durfte viel lügen, aber schon sein Advokat Hermann verbot ihm die Lüge, daß der in der "Allgemeinen Zeitung" nicht abgedruckte Artikel Biscamps von Liebknecht in ihr "wiederholt" worden sei. Ebensowenig fällt dem Vogt ein zu sagen, ich habe der "Allgemeinen Zeitung" das Flugblatt "Zur Warnung" übersandt. Er sagt vielmehr ausdrücklich: "Herr Liebknecht ... ist es, der das verleumderische Flugblatt der 'Allgemeinen Zeitung' versendet hat." (p. 167, "Hptb.".)

"Freischütz" No. 19:

"Blind hat die Autorschaft des Flugblatts positiv abgelehnt, und der Drucker hat bezeugt, daß ihm dasselbe nicht von Blind zum Druck übergeben sei. Wohl aber steht fest, daß die Schmähschrift sofort mit demselben Satz in das 'Volk' übertragen wurde, daß Marx die Veröffentlichung derselben in der 'Allgemeinen Zeitung' veranlaßt hat usw."

Vogt im "Hauptbuch" druckt einerseits Fidelio Hollingers Erklärung ab, worin Fidelio bezeugt, das Flugblatt sei in seiner Druckerei nicht gesetzt worden, und andrerseits meine Gegenerklärung, daß der ursprüngliche Satz der Schmähschrift noch bei Hollinger stand, als sie im "Volk" wieder abgedruckt wurde; und welche Konfusion schreibt der unglückliche Toby heraus!

"Freischütz" No. 19: "

"Was die Personen angehe" (sollen Engels und ich in Techows Brief sagen), "so seien sie reine Verstandesmenschen, die keine Nationalität kennten."

Keine Sentimentalität, bester Toby, keine Sentimentalität schreibt Techow bei Vogt.

"Freischütz" No. 20:

"Marx ... ließ es geschehen, daß sich die Duellanten nach Ostende begaben, um sich dort zu schießen. Techow diente Willich als Sekundant etc. Techow sagte sich nach diesem Vorfall von Marx und seinem Bunde los."

Eduard Meyen ist nicht damit zufrieden, Ostende statt Antwerpen zu lesen. Er hatte wahrscheinlich zu London gehört, wie der Franzos im Westend klagte, daß die Engländer London schrieben und Konstantinopel aussprächen. Den Techow, der mich zur Zeit seiner Briefstellerei einmal in seinem Leben gesehn hatte und zudem ausdrücklich schreibt, er habe anfangs bezweckt, sich mir und meinem Bunde zuzusagen, läßt Eduard Meyen sich von mir und meinem Bunde, dem er nie angehört, lossagen.

<598> "Freischüts" No. 21:

"Aus diesem Vorfall" (dem Zentralarbeiterfest zu Lausanne) "erklärt sieh der heftige Angriff, der in dem 'Volk' in London gegen Vogt erging."

Vogt selbst teilt im "Hauptbuch" das Datum des gegen ihn im "Volk" erschienenen "heftigen Angriffs" mit - 14. Mai 1859. (Das Flugblatt erschien im "Volk", 18. Juni 1859.) Dagegen trug sich das Lausanner Zentralfest zu am 26. und 27. Juni 1859, also lange nach dem "heftigen Angriff", den es nach Meyen veranlaßt hat.

Doch genug dieser Tobyschen Lesefrüchte. Kein Wunder, wenn Toby, der in Vogts Schrift alles das las, was nicht drin steht, unter anderm auch herauslas:

"Vogts Schrift wird unter die kecksten, witzigsten und nützlichsten Streitschriften unsrer Literatur gestellt werden." ("Freischütz" No. 17.)

Und nun denke man sich diesen unglücklichen Toby, unfähig wie er ist, auch nur 2 Zeilen aus einem gedruckten Buch richtig abzuschreiben, man denke sich Toby dazu verdammt, täglich von Wandsbek aus im Buch der Weltgeschichte lesen, Tagesereignisse, nur noch flüchtig in den undeutlichsten Initialen angedeutet, stündlich abschreiben und die dissolving views <zersetzenden Auffassungen> der Gegenwart im "Freischütz" lebensgroß photographieren zu sollen! Unglücklicher Wandsbeker Bote! Glücklicher Hamburger Leser des "Freischütz"!

Die London "Times" brachte vor einigen Tagen einen sonderbaren Paragraphen, der durch die englische Presse lief und betitelt war: "A man shot by a dog." <"Ein Mann von einem Hund erschossen."> Es scheint also, daß Toby sich aufs Schießen versteht, und so ist es nicht zu verwundern, wenn der Eduard Meyen im "Freischütz" singt: "Ein Schütz bin ich in des Regenten Sold."

Die "Kölnische Zeitung" beschränkte sich nur auf einige bösgemeinte Paragraphen und Insinuatiönchen zugunsten Vogts. Acht Tage nach Erscheinen des "Hauptbuch" verbreitete sie in ihren Spalten die Märe, es sei bereits vergriffen, wahrscheinlich um sich nicht selbst daran vergreifen zu müssen. Übrigens welcher Humor im Weltlauf!

Hätte ich 1848/49 zur Zeit der "Neuen Rheinischen Zeitung", als wir täglich für Polen, Ungarn und Italiener eine Lanze mit der Kölnischen Nachbarin brachen, irgendwie ahnen können, daß dieselbe "Kölnische Zeitung" im Jahre l859 als Ritterin vom Nationalitätsprinzip erstehn und der so einfache Herr Jusepp Dumont sich in einen Signor Giuseppe Del <599> Monte entraupen werde! Aber damals allerdings hatte noch kein Louis Bonaparte den Nationalitäten die höhere sittlich-liberale Weihe erteilt, und die "Kölnische Zeitung" wird Louis Bonaparte nie vergessen, daß er die Gesellschaft gerettet hat. Den roten Grimm, womit sie zu jener Zeit Östreich angriff, zeige

"Neue Rheinische Zeitung" No. 144.

"Köln, 15. Novbr. (1848). In einem Augenblick, wo ganz Deutschland mit dem Schrei der Entrüstung emporfährt, daß der bluttriefende Diener des östreichischen Banditen, daß ein Windischgratz es wagen konnte, den Deputierten Robert Blum wie einen Hund totschießen zu lassen - in einem solchen Augenblick ist es an der Zeit, auf zwei deutsche Blätter zurückzukommen, von denen das eine mit seltner Perfidie die letzten Lebenstage des Geschiednen zu schänden suchte und das andre ihn bis ins Grab mit seinem faden Kretinismus verfolgt. Wir sprechen von der 'Kölnischen Zeitung' und der 'Rheinischen Volks-Halle' (vulgo Narrhalla) ... In Nr. 292 berichtete die 'Kölnische Zeitung': 'Am 22. d. (Oktober) haben sich die begeisterten Führer der demokratischen Partei ... aus Wien entfernt; desgleichen ... Robert Blum.' Die 'Kölnische' machte diese Mitteilung ohne weitern Zusatz, setzte aber die Denunziation gegen Blum in Garmond-Schrift, um sie dem Gedächtnis ihrer Leser um so leichter einzuprägen. Die 'Kölnische Zeitung' vervollkommnete sich in ihren spätern Nummern. Sie scheute sich nicht, selbst Artikel des schwarz-gelbsten Battes der Kamarilla, Mitteilungen des Organs der Erzherzogin Sophie [...], der infamsten aller östreichischen Zeitungen [...], in ihre Spalten aufzunehmen..." (folgt dann als Zitat u[nter] anderm): "Robert Blum hat in Wien keine Lorbeeren geerntet ... Er sprach nämlich auf der Aula von dem innern Feinde der Zaghaftigkeit, des Mangels an Mut und Ausdauer; sollte es aber außer diesem innern Feinde auch andre geben - er hoffe, es gebe deren nicht - oder sollten noch Leute in der Stadt existieren, die den Sieg des Militärs lieber wollten als den Sieg der Freiheit, so müsse sich der Vernichtungskampf gegen die Scharen vor der Stadt mit scharfer Waffe auch gegen sie kehren ... In Herrn Blums Rede liegt der Wahnsinn eines Septembristen ... Hat Herr Blum diese Worte gesprochen, dann hat er, wir sagen es unumwunden - sich entehrt.' Soweit die 'Kölnische Zeitung'."

Vermittelst künstlich geheimer Röhrenleitung leeren alle Abtritte von London ihren physischen Unrat in die Themse aus. So spuckt die Welthauptstadt täglich durch ein System von Gänsekielen all ihren sozialen Unrat in eine große papierne Zentralkloake - den "Daily Telegraph". Liebig tadelt mit Recht jene sinnlose Verschwendung, die dem Wasser der Themse seine Reinheit und dem Land von England seinen Dünger raubt. Levy aber, der Eigentümer der papiernen Zentralkloake, versteht sich nicht nur auf Chemie, sondern sogar auf Alchimie. Nachdem er den sozialen Unrat Londons in Zeitungsartikel verwandelt hat, verwandelt er die Zeitungsartikel in Kupfer und schließlich das Kupfer in Gold. Auf dem Tor, das zur <600> papiernen Zentralkloake führt, sind die Worte eingeschrieben di colore oscuro: "hic ... quisquam faxit oletum!" <mit dunkler Farbe: "Hier darf Gestank gemacht werden!"> oder wie Byron es poetisch schön übersetzt hat: "Wanderer, stop and - piss!"

Levy, wie Habakuk, est capable de tout <ist zu allem fähig>. Er ist imstand, drei Spalten lange Leitartikel über einen einzigen Notzuchtsfall zu drucken. Im Beginn dieses Jahres traktierte er sein zahlreiches Publikum von Feinschmeckern mit einem Assafötida-Ragout, sinnig zusammengebraut aus so schmierig ekelhaften Details einer gewissen Gerichtsverhandlung, daß sie den Richter zur Räumung des Gerichtssaales von Weibern und Kindern bestimmt hatten. Unglücklicherweise warf Levy den Namen einer unschuldigen Person als Pfeffer in das Ragout. Der darauf gegen ihn erhobene Verleumdungsprozeß endete mit seiner Verurteilung und der öffentlichen Brandmarkung seines Organs von der englischen Richterbank herab. Verleumdungsprozesse, wie alle Prozesse, sind bekanntlich in England unverschämt kostspielig, gewissermaßen das Privilegium des coffre-fort <Geldschranks>. Eine Anzahl unbeschäftigter Advokaten in der City entdeckte jedoch nun sehr bald, daß Levy ergiebiges Wild sei; sie taten sich zusammen und bieten ihre Dienste auf Spekulation jedem gratis an, der den Levy wegen Verleumdung verklagen will. Levy selbst hat daher in seinem eignen Organ laut gejammert, daß eine neue Rubrik von Gelderpressungen in Schwung gekommen sei, die Verleumdungsklage gegen Levy. Seitdem ist es bedenklich geworden, den Levy zu verklagen. Man setzt sich zweideutelnder Nachrede aus, denn wie an den Mauern von London zu lesen steht: Commit no Nuisance, so auf den Türen englischer Gerichtshöfe: Commit Levy.

Politiker nennen den "Daily Telegraph" "Palmerstons Mobpaper", aber Levys Dreck-Schuite ladet Politik überhaupt nur als Ballast, Die "Saturday Review" charakterisierte sein Pennyblatt dagegen treffend als "cheap and nasty" ( wohlfeil und eklig").

"Es ist ein fatales Symptom", sagt sie u.a ,"daß er dem Schmutz entschieden den Vorzug vor der Reinlichkeit gibt; unter allen Umständen wird er den wichtigsten Bericht ausschließen, um Raum für einen schmierigen Artikel zu finden."

Jedoch besitzt Levy auch seine eigne Prüderie. So mäkelt er z.B. an der Unsittlichkeit der Theater und verfolgt, ein zweiter Cato Censor, die Kleidung der Ballettänzerinnen, die zu spät anfange und zu früh aufhöre. Durch solche Tugendanfälle geriet Levy aus dem Regen in die Traufe. O, Konsequenz! ruft ein Londoner Theaterjournal, "The Players", aus, o, <601> Konsequenz, wo ist dein Schamrot? Wie muß der Schurke (the rogue) sich in den Bart gelacht haben! ... Der "Telegraph" Anstandsprediger für weibliche Bühnentracht! Heiliger Jupiter, was wird sich nächstens zutragen? Erdbeben und feurige Kometen sind die allergeringsten Dinge, die nun zu erwarten stehn. Anstand! "I thank thee, Jew, for teaching me that word." (Dank, Jude, daß du mich das Wort gelehrt.) Und wie Hamlet der Ophelia, rät der "Player" dem Levy, sich ins Kloster zu packen, und zwar in ein Nonnenkloster. "Get thee to a nunnery, Levy!" Levy in einem Nonnenklosterl Vielleicht ist das "nunnery" nur ein Druckfehler für Nonaria, so daß zu verstehn wäre, "pack dich zur Nonaria, Levy", und in diesem Fall wird jeder sein

"multum gaudere paratus,
Si Cynico" (dem Zyniker Levy) "barbam petulans Nonaria vellat".
<"bereit nach Herzenslust sich zu ergötzen,
wenn dem Zyniker Nonaria mutwillig den Bart rauft">

Die "Weekly Mail" behauptete, Levy mache dem Publikum zwar kein X für ein U, wohl aber ein Y für ein I, und wirklich findet sich unter den 22.000 Levis, die Moses bei dem Zug durch die Wüste aufgezählt hat, kein einziger Levi, der sich mit einem Y schreibt. Wie Edouard Simon mit aller Gewalt zur romanischen, will Levy durchaus zur angelsächsischen Race zählen. Wenigstens einmal jeden Monat greift er daher die unenglische Politik des Herrn Disraeli an, denn Disraeli, "das asiatische Rätsel" (the Asiatic mystery) stamme nicht, wie der "Telegraph", von der angelsächsischen Race. Aber was nützt es dem Levy, den Herrn D'Israeli anzugreifen und ein Y für ein I zu machen, da Mutter Natur seinen Stammbaum in tollster Frakturschrift ihm mitten ins Gesicht geschrieben hat. Die Nase des geheimnisvollen Fremden des Slawkenbergius (s[iehe] Tristram Shandy), der sich die finest nose <feinste Nase> geholt hatte vom promontory of noses <Nasenvorgebirge>, bildete doch nur das Wochengespräch von Straßburg, während Levys Nase das Jahresgespräch der City von London bildet. Ein griechischer Epigrammatiker beschreibt die Nase eines gewissen Kastor, die ihm zu allen Dingen gedient habe, als Schaufel, Trompete, Sichel, Anker usw. Er schließt die Beschreibung mit den Worten:

"Outwz eucrhstou skeuouz Kastwr tetuchke
Rina jerwn pashz armenon ergasiaz
"(7),

<602> aber dennoch riet Kastor nicht, wozu Levy seine Nase braucht. Der englische Dichter kommt näher in den Zeilen:

"And 'tis a miracle we may suppose,
No nastiness offends his skilful nose."
(8)

Die große Kunst von Levys Nase besteht in der Tat darin, mit Faulgeruch zu kosen, ihn auf hundert Meilen herauszuschnüffeln und heranzuziehn. So dient Levys Nase dem "Daily Telegraph" als Elefantenrüssel, Fühlhorn, Leuchtturm und Telegraph. Man kann daher ohne Übertreibung sagen, daß Levy seine Zeitung mit seiner Nase schreibt.

Dieser saubere "Daily Telegraph" war natürlich das einzige englische Blatt, worin Vogts "Lausiade" erscheinen, aber auch nicht fehlen durfte. In Levys Organ vom 6. Februar 1860 erschien ein 21/2 Spalten langer Artikel, überschrieben: "The Journalistic Auxiliaries of Austria" (Die journalistischen Helfershelfer Östreichs), in der Tat eine bloße Übersetzung der beiden Leitartikel der Berliner "National-Zeitung" in übelduftendes Englisch. Um irrzuleiten, trug der Artikel die Überschrift: "From an occasional correspondent, Frankfort on the Main, February 2." (Von einem gelegentlichen Korrespondenten, Frankfurt a. M., 2. Februar.) Ich wußte natürlich, daß der einzige Korrespondent des "Telegraph" in Berlin haust, wo ihn Levys Nase mit gewohnter Virtuosität entdeckt hatte. Ich schrieb also umgehend an einen Freund in Berlin, ob er mir nicht den Namen des Korrespondenten für Levys Organ nennen könne. Mein Freund, ein Mann, dessen Gelehrsamkeit sogar A. v. Humboldt anerkannt hat, war jedoch verstockt genug zu behaupten, es existiere kein "Daily Telegraph" zu London und folglich kein Korrespondent desselben zu Berlin. Unter diesen Umständen wandte ich mich an einen andern Bekannten in der Spreestadt. Antwort: Der Berliner Korrespondent des "Daily Telegraph" existiert und heißt - Abel. Hierin erblickte ich eine arge Mystifikation. Abel war offenbar eine bloße Abkürzung von Zabel. Der Umstand, daß Zabel kein Englisch schreibt, konnte keinenfalls beirren. Wenn Abel als Zabel, ohne deutsch zu schreiben, die "National-Zeitung" redigiert, warum sollte Zabel als Abel, ohne englisch zu schreiben, nicht den "Telegraph" bekorrespondieren? Also Zabel, Abel, Abel Zabel? Wie sich herausfinden aus diesem Babel? Noch einmal verglich ich das Berliner Weisheits-Organ mit Levys Organ und entdeckte bei dieser Gelegenheit in Nr. 41 der "National-Zeitung" folgende Stelle:

<603> "Liebknecht fügt wunderbar hinzu: 'Wir wollten von dem Magistrat (?) unsere Unterschriften beglaubigen lassen.'"

Diese Stelle mit dem Magistrat und Zabels erstauntem Fragezeichen hinter dem Magistrat erinnert an jenen Schwab, der "sobald er in Asien nur aus dem Meerschiff stieg, doch frug: 'Ist nit ein gut Gesell von Bebbingen hie?'" In Levys Organ fehlt nicht nur die ganze Stelle, sondern sogar das Fragezeichen, woraus sonnenklar folgt, daß Levys Korrespondent nicht die Ansicht F. Zabels teilt, wonach die Londoner Polizeirichter oder Magistrate (magistrates) der Berliner Magistrat sind. Also Zabel war nicht Abel und Abel war nicht Zabel. Unterdessen hatten andre Bekannte in Berlin von meinen Mühen gehört. Der eine schrieb: "Unter den 22.000 Levis im 4ten Buch Moses befindet sich auch ein Abel, nur buchstabiert sich der Abigail." Der andre schrieb: "Diesmal also hat Abel den Kain getötet und nicht Kain den Abel." So geriet ich auf immer größre "Irrgänge", bis mir endlich der Redakteur einer Londoner Zeitung mit englisch-trocknem Ernst versicherte, Abel sei kein Spaß, sondern vielmehr ein Berliner jüdischer Literat, dessen voller Name Dr. Karl Abel laute, welcher holde Junge geraume Zeit unter Stahl und Gerlach als eifriger Schanzknecht der "Kreuz-Zeitung" gedient, aber mit dem Ministerwechsel wenn nicht die Haut, so doch die Couleur gewechselt habe. Zudringlichster Renegateneifer würde nun allerdings erklären, wie Levys Berliner Korrespondent die englische Preßfreiheit eigens dazu erfunden glaubt, seine Bewunderungsfallsucht vor dem Ministerium Hohenzollern öffentlich zu hausieren. Hypothetisch also mag angenommen werden, daß es außer einem Levy in London auch noch einen Abel in Berlin gibt - par nobile fratrum <ein edles Bruderpaar>.

Abel besorgt seinen Levy gleichzeitig von allen möglichen Plätzen aus, von Berlin, Wien, Frankfurt am Main, Stockholm, Petersburg, Hongkong, usw., was ein noch viel größres Kunststück ist als de Maistres "Voyage autour de ma chambre" <"Reise rund um mein Zimmer">. Aber unter welchem Lokalzeichen Abel seinem Levy schreiben mag, er schreibt doch stets unter dem Wendezeichen des Krebses. Im Unterschied von der Echternacher Prozession, wo es zwei Schritte vorwärts auf einen zurück geht, gehn Abels Artikel einen Schritt vorwärts und zwei zurück.

"No crab more active in the dirty dance,
Downward to climb, and backward to advance."
(Pope)
(9)

<604> Abel besitzt ein unbestreitbares Geschick, seinem Levy die Staatsgeheimnisse des Kontinents zugänglich zu machen. Die "Kölnische Zeitung" z.B. bringt einen beliebigen Leitartikel, sage über russische Finanzen, etwa entlehnt aus der "Baltischen Monatsschrift". Abel läßt einen Monat verstreichen und schreibt dann plötzlich den Artikel der "Kölnischen Zeitung" aus Petersburg nach London, wobei er sicher nicht anzudeuten unterläßt, daß wenn nicht grade der Zar selbst, vielleicht auch nicht einmal der russische Finanzminister, jedenfalls doch einer der Direktoren der Staatsbank ihm das statistische Geheimnis entre deux cigares <zwischen zwei Zigarren> anvertraut hat, und so ruft er triumphierend aus: " I am in a position to state etc." (Ich befinde mich in der Lage mitzuteilen.) Oder die offizielle "Preußische Zeitung" streckt ein ministerielles Fühlhorn aus und deutet etwa des Herrn von Schleinitz unmaßgebliche Ideen über die kurhessische Frage an. Diesmal wartet Abel keinen Augenblick, sondern schreibt seinem Levy, und zwar offen von Berlin her noch denselben Tag über die kurhessische Frage. Acht Tage später berichtet er: Die "Preußische Zeitung", das ministerielle Organ, bringt folgenden Artikel über die kurhessische Frage und "I owe to myself" (ich schulde mir selbst), darauf aufmerksam zu machen, daß ich schon vor acht Tagen usw. Oder er übersetzt einen Artikel der "Allgemeinen Zeitung" und datiert ihn etwa von Stockholm. Dann folgt unvermeidlich die Phrase "I must warn your readers", ich muß Ihre Leser warnen, nicht vor dem abgeschriebnen, sondern vor irgendeinem nicht abgeschriebnen Artikel der "Allgemeinen Zeitung". Sobald Abel jedoch auf die "Kreuz-Zeitung" zu reden kommt, schlägt er ein Kreuz, um sich unkenntlich zu machen.

Was Abels Stil betrifft, so kann man ihn nur sinnbildlich andeuten als Abklatsch der Stilarten Stern Gescheidt, Isidor Berlinerblau und Jacob Wiesenriesler.

Mit Abels Erlaubnis eine Abschweifung. Der Original-Stern-Gescheidt ist ein andrer Mitstrolch Vogts, ein gewisser L. Bamberger, 1848 Redakteur eines Winkelblatts in Mainz, gegenwärtig "auf ganzen Sold" angeheirateter loup-garou <Werwolf> zu Paris und dezembristischer Demokrat "im einfachsten Sinn des Worts". Um diesen "einfachen" Sinn zu verstehn, muß man die Zigeunersprache der Pariser Börsensynagoge kennen. Stern Gescheidts "einfache" Demokratie ist dasselbe, was Isaac Péreire "la démocratisation du crédit", die Demokratisierung des Kredits, nennt, die darin besteht, nicht einzelne Kreise einer Nation, sondern die ganze Nation in eine Spielhölle <605> zu verwandeln, um sie en masse beschwindeln zu können. Während der oligarchische Börsenwolf unter Louis-Philippe so engherzig war, nur auf den in den Händen der höhern Bourgeoisie angesammelten Nationalreichtum Jagd zu machen, ist unter Louis Bonapartes Ägide alles fish <Beute> für den demokratischen Börsenwolf, der mit dem römischen Kaiser ausruft: non olet <es stinkt nicht>, und mit Stern Gescheidt Bamberger hinzusetzt: "Die Masse muß es mache." Das ist Stern Gescheidts Demokratie in ihrer höchsten "Einfachheit". Stern Gescheidt Bamberger ist neuerdings bekannt geworden unter dem Namen "Juchhe nach Italia!". Während der Reichsverfassungskampagne hörte er dagegen auf den Ruf: "Auweh, von Kirchheimboland!" Der von Kirchheimboland durchgebrannte und das rheinpfälzische Freikorps an der Nase herumgeführthabende Stern Gescheidt Bamberger, über dessen Heldentaten mir ein köstliches Manuskript anvertraut worden ist, war viel zu gescheit, um nicht zu wittern, daß die aufgeschwemmte, blutdurchsickerte Schmutzerde des Dezembers gar goldhaltig sei für gescheite Schatzgräber. Er begab sich also nach Paris, wo, wie sein Freund Isidor Berlinerblau alias H. B. Oppenheim so schön sagt, "wo man sich freier fühlt, als man weiß". Kreuzfidel wurde Stern Gescheidt, dem 1858 "die Zirkulation zu stocken" begann (s. den Ausweis der Banque de France über die Zirkulation von 1858/59), als plötzlich die Schmutzerde des Dezember in den lichten Farben großtöniger Ideen schillerte. Der ebenso gescheite als funkel-demokratische Stern Gescheidt sah ein, daß eine Pariser Sündflut mit der Dezembererde auch das Pro von seinem Hauptbuch wegschwemmen und nur das Contra stehnlassen würde. Stern Gescheidt Bamberger hat bekanntlich die neun hellenischen Musen um eine zehnte hebräische Muse vermehrt, um "die Muse der Zeit", wie er den Kurszettel nennt.

Zurück zu Abel. Abels Stil ist durchtränkt von dem für den "Daily Telegraph", die papierne Welthauptstadtskloake, unentbehrlichen odor specificus <spezifischen Geruch>. Wenn Levy recht gerührt ist über das Parfum von Abels Korrespondenz, über Abels Gelehrsamkeit und über die industrielle Beflissenheit, womit Abel aus 20 verschiednen Breitengraden auf einmal schreibt - in solchen Augenblicken höchster Rührung nennt Levy den Abel liebkosend traulich seinen - "industrious bug"(10).

Schon die poetische Gerechtigkeit erheischt, daß die "abgerundete Natur" am Schluß der Komödie nicht mit Abel im Londoner Mist stecken- <606> bleibe, aber wer soll ihn aus dem Mist herausziehn? Wer soll der Erlöser sein? Mistfinke soll der Erlöser sein, nämlich der Freiherr von Vincke, Junker von der roten Erde, Ritter von der fröhlichen Gestalt, chevalier sana peur et sans reproche.

Die "Neue Rheinische Zeitung" hatte, wie früher erwähnt, schon 1848 die Identität der Gegensätze Vogt und Vincke verraten, und Vogt selbst ahnte sie bereits 1859, als er in seinen "Studien" schrieb:

"Herr von Vincke als Apostel neuer staatlicher Freiheit ... streift doch wirklich an das Gebiet des Lächerlichen" (l.c. p. 21),

also an das Gebiet Vogt. Vincke jedoch sprach am 1. März 1860 offen das Wort der Versöhnung, als er die "bescheidne preußische Kammer", wie Joh. Philipp Becker sagt, "mit der Schwefelbande illustrierte". Kaum ein Jahr vorher empfahl er demselben Hause das Pamphlet "Po und Rhein", dessen schwefligen Ursprung er in Ermanglung von Levys Nase natürlich nicht gewittert hatte. Als Vincke nun gar wie Vogt den Italiener spielte, Vincke wie Vogt die Polen insultierte und Vincke wie Vogt die Teilung Deutschlands proklamierte, da sanken sich die feindlichen Bruder für immer in die Arme.

Man weiß, wie gleichnamige Pole sich unwiderstehlich abstoßen, Und so stießen sich Vogt und Vincke lange ab. Beide leiden an Wortspeichelfluß, und daher glaubte jeder von den beiden, der andre wolle ihn nicht zu Wort kommen lassen.

Vogt, wie Ranickel bezeugt, ist großer Zoologe, und so ist Vincke, wie seine Schweinezucht zu Ickern beweist.

Im spanischen Drama kommen auf je einen Helden zwei Possenreißer. Selbst den heiligen Cyprian, den spanischen Faust, stattet Calderon mit einem Moscon und einem Clarin aus. So besaß im Frankfurter Parlament der Reaktionsgeneral von Radowitz zwei komische Adjutanten, seinen Harlekin Lichnowski und seinen Clown Vincke. Vogt aber, der liberale Gegen-Clown, mußte alles allein tun, was ihn notwendig gegen Vincke verstimmte, da Jacobus Venedey sich nur auf die Rührpartie der Pantalonrolle verstand. Vincke liebte es, die Schellenkappe bisweilen zu lüften. So erklärte er in der Parlamentssitzung vom 21. Juni 1848:

"Er glaube sich bisweilen eher auf einem Theater zu befinden als in einer solchen Versammlung."

Und bei einer festlichen Zusammenkunft der Frankfurter Parlamentstories gastierte er als Fürst von Thoren, saß auf einem Faß und sang:

"Ich bin der Fürst von Thoren,
Zum Saufen auserkoren."

<607> Auch das kränkte seinen Widerpart. Zudem konnten Vogt und Vincke einander nicht bange machen, weshalb sie es für das Geratenste hielten, aufeinander loszugehn. Falstaff Vogt wußte, was er am Ritter ohne Furcht und Tadel hatte, und vice versa. Der westfälische Bayard hatte seinerzeit auf deutschen Universitäten Recht studiert, weniger das römische Corpus juris, denn, sagte er, die Ahnen von der roten Erde hätten den Varus nicht umsonst geschlagen. Um so eifriger legte er sich auf teutonisches Recht, nämlich den Studentenkomment, dessen Boden er nach allen Dimensionen hin durchmaß und hinterher berühmt gemacht hat unter dem Namen Rechtsboden. Infolge dieser kasuistisch-tiefen Ergründung des Studentenkomments stieß er auch später bei jeder Duellgelegenheit auf irgendein dunsscotisches Haar, das sich im entscheidenden Augenblick so haarspaltend scharf zwischen den Ritter und das Blutvergießen legte wie das nackte Schwert im Brautbett zwischen die Prinzessin und den locum tenens <Stellvertreter>. Diese Haarspalterei kam immer dazwischen, mit der Regelmäßigkeit eines periodischen Fiebers, vom Abenteuer mit dem Kammergerichtsassessor Benda zur Zeit des Vereinigten Landtags 1847 bis zum nicht minder berufenen Abenteuer mit dem preußischen Kriegsminister <Albrecht Roon> im Abgeordnetenhaus 1860. Man sieht also, wie lästerhaft man jüngst dem Junker zuschalt, er habe seinen Rechtsboden verloren. Es ist nicht seine Schuld, wenn sein Rechtsboden aus lauter Falltüren besteht. Vielmehr, da der Studentenkomment nun einmal nur für die höhere Rechtsdebatte taugt, ersetzt ihn der sinnreiche Junker in der gemeinen parlamentarischen Praxis durch den - Holzkomment.

Im Frankfurter Froschteich schalt Vincke einst bitterbös seinen Widerpart Vogt den "Minister der Zukunft". Sobald er nun zu Ickern erfuhr, Vogt, eingedenk des Sprüchleins:

"Nem Dich eines Aemptleins an,
So heißt das Jahr durch Herr fortan",

sei nicht nur Reichsregent geworden, sondern sogar Minister der auswärtigen Angelegenheiten in partibus, fuhr's ihm durch alle Glieder und grollte er knurrig über verkannte Senioritätsavancementsansprüche. Denn bereits auf dem Vereinigten Landtag von 1847 hatte Vincke als Frondeur dem Ministerium und als Adelsvertreter der bürgerlichen Opposition opponiert. Beim Ausbruch der Märzrevolution hielt er sich daher vor allen andern zur Rettung der Krone auserkiest. Seine Rivalen jedoch wurden Minister der <608> Gegenwart, er selbst aber erhielt seine Anstellung als "Minister der Zukunft", ein Posten, den er bis zu diesem Augenblick mit ununterbrochnem Erfolg bekleidet hat.

Aus Rache schüttelte er den Berliner Staub von den Füßen und begab sich nach Frankfurt in die Paulskirche auf die äußerste Rechte, um hier als Clown, Claqueur und Bully des Generals Radowitz zu hantieren.

Der Fink war fanatisch guter Östreicher, solange das obrigkeitlichen Beifall fand. Wie besessen tobte er gegen die Nationalitäten.

"Links schwärme man der Reihe nach für alle möglichen Nationalitäten, Italiener, Polen, und jetzt gar für die Magyaren." (Sitzung vom 23. Oktober 1848.)

Die 3 Ritter Vincke, Lichnowski und Arnim führten das musikalische Trio:

"Es brüllt der Ochs, es f... die Kuh,
es spielt der Esel den Baß dazu",

mit einer solchen Virtuosität gegen die Redner für Polen auf (Sitzung vom 5. Juni 1848), daß sogar der Präsidentenklingel der Atem ausging, und als Radowitz nun gar dem deutschen Reich den Mincio militärisch-natürlich vindizierte (Sitzung vom 12. August 1848), stellte sich Vincke, der ganzen Galerie zum Ergötzen und zur geheimen Bewundrung Vogts, auf den Kopf und telegraphierte mit den Beinen Beifall. Hauptclaqueur der Beschlüsse, wodurch der Frankfurter Froschteich der dynastischen Unterjochung Polens, Ungarns und Italiens den Stempel des deutschen Volkswillens aufgedrückt hat, zeterte der Junker von der roten Erde noch ungleich lustiger, sobald es galt, die Ansprüche der deutschen Nation durch den schmählichen Malmöer Waffenstillstand zu opfern. Um die Majorität für die Ratifikation des Waffenstillstands zu sichern, hatten sich diplomatische und andre Zuschauer von der Galerie auf die Bänke der Rechten geschlichen. Der Betrug ward entdeckt, und Raveaux drang auf neue Abstimmung. Gegeneiferte der Fink, indem es nicht darauf ankomme, wer stimme, sondern was man stimme. (Sitzung vom 16. September 1848.) Während des Frankfurter Septemberaufstands, hervorgerufen durch den Beschluß über den Malmöer Waffenstillstand, verschwand der westfälische Bayard spurlos, um sich nach Proklamation des Belagerungszustands für den Schrecken, den ihm niemand ersetzen konnte, durch reaktionswütige Purzelbäume zu rächen.

Nicht zufrieden, mit der Zunge auf Polen, Italiener und Ungarn loszudreschen, schlug er den Erzherzog Johann von Östreich zum Präsidenten der provisorischen Zentralgewalt vor (Sitzung vom 21. Juni 1848), jedoch <609> unter dem gehorsamsten Ausbeding, daß die Habsburger Exekutive des deutschen Parlaments dessen plebejische Beschlüsse weder zu exekutieren noch zu verkünden, noch überhaupt sich darum zu scheren habe. Fuchswild fuhr er auf, als seine eignen Majoritätskameraden schon der Abwechslung halber dafür stimmten, der Reichsverweser solle wenigstens bei Beschlüssen über Krieg und Frieden und bei Verträgen mit auswärtigen Mächten ein vorheriges Einverständnis mit dem Parlament huldreichst zu sichern geruhn. (Sitzung vom 27. Juni 1848.) Und die große Redeerhitzung, worin der Fink vom deutschen Parlament dem Reichsminister Schmerling und Konsorten ein Vertrauensvotum zu erpoltern suchte als Lohn für ihre und des Reichsverwesers Mitschuld am blutig-infamen Verrat von Wien (Sitzung vom 23. Oktober 1848), widerlegte siegreich Fischarts Verleumdung:

"O wie erkältet Mäuler
Sind Westfeling Mauler!"

So war Vincke freundnachbarlich habsburgisch, bis plötzlich über der parlamentarischen Sahara die Fata Morgana von Klein-Deutschland aufgaukelte und der Junker darin ein lebensgroßes Ministerportefeuille mit einem Fink unter dem Arm zu erblicken wähnte. Da die Wände der Paulskirche ungewohnt lange Ohren hatten, durfte er sich schmeicheln, daß das Frankfurter Geräusch seiner hohenzollernschen Dynastie- und Loyalitätsausbrüche zu Berlin angenehm aufgefallen sei. Hatte er nicht in voller Paulskirche am 21. Juni 1848 erklärt:

"Ich bin von meinen Wählern hergeschickt, nicht allein die Rechte des Volks, sondern auch die der Fürsten zu vertreten. Ich labe mich immer noch an dem Wort des großen Kurfürsten <Friedrich Wilhelm>, welcher einst die Markaner seine getreusten und gehorsamsten Untertanen genannt hat. Und wir in der Mark sind stolz darauf."

Und der markanische Bayard ging von Redensarten zu Tätlichkeiten über in jener berühmten Tribünenschlacht, der er seine Rittersporen schuldet. (Sitz. vom 7. und 8. August 1848.) Als Brentano nämlich, bei Gelegenheit der beanspruchten Amnestie für Friedrich Hecker, von der Tribüne herab eine zweideutige Andeutung auf einen hohenzollernschen Prinzen fallen ließ, überkam den Fink ein Anfall von wirklicher Loyalitätshundswut. Von seinem Platze auf Herrn Brentano losstürzend, suchte er ihn mit den Worten "Herunter, du Hundsfott!" von der Tribüne herabzureißen. Brentano behauptete seinen Platz. Später stürzte der Junker noch einmal <610> auf ihn los und warf ihm, natürlich mit dem Vorbehalt nachträglichen reifen Nachdenkens über Rechtsbodenbedenkmöglichkeiten, den ritterlichen Fehdehandschuh zu, den Brentano mit den Worten aufnahm:

"Vor der Kirche mögen Sie mir sagen, was Sie Lust haben; hier lassen Sie mich sofort gehn, oder ich schlage Ihnen ins Gesicht."

Der Junker griff nun in seinen Redeköcher und schleuderte daraus noch verschiedne Hundsfötter auf die Linke, bis ihm Reichardt zuschrie: "von Vincke, Sie sind ja ein Sch...kerl." (Sitzung vom 7. August 1848.) Die Debatte über den Konflikt zwischen dem Ministerium Brandenburg und der Berliner Vereinbarerversammlung suchte der Fink durch Antrag auf einfache Tagesordnung zu beseitigen.

"Seit dem siegreichen Einrücken Wrangels in Berlin", sagte er, "sei Ruhe geworden, seien die Papiere gestiegen ... die Berliner Versammlung habe kein Recht, Proklamationen an das Volk zu erlassen usw."

Kaum waren die Vereinbarer zerstreut, als der Ritter ohne Furcht und Tadel um so grimmiger über sie herfiel.

"Für eine Republik", heulte er in der Sitzung vom 12. Dezbr. 1848, "fehlt uns die politische Vorbildung; das haben uns die Vertreter der ehemaligen Berliner Versammlung gezeigt, indem sie Beschlüsse faßten, welche aus niederm persönlichem Ehrgeiz hervorgegangen."

Den hierauf losbrechenden Sturm beschwichtigte er mit der Erklärung,

"er sei bereit, gegen jede Person seine Ansicht ritterlich geltend zu machen", aber, fügte der vorsichtige Ritter hinzu, "er meine kein Mitglied dieser Versammlung, sondern die Mitglieder der zerstreuten Berliner Versammlung".

So trutzig erklang des markanischen Bayards Fehderuf an das ganze Heer der zerstreuten Vereinbarer. Einer dieser Zerstreuten hörte den Ruf, sammelte sich und brachte es in der Tat zu dem unerhörten Ereignis, den Junker von der roten Erde leibhaftig auf das Schlachtfeld bei Eisenach zu bannen. Blutverguß schien unvermeidlich geworden, als Bayard im Augenblick der Entscheidung eine dunsscotische Ratte roch. Sein Gegner hieß Georg Jung, und die Gesetze der Ehre geboten dem Ritter ohne Furcht und Tadel, den Drachen zu bekämpfen, aber unter keinen Umständen einen Namensvetter des Drachenritters. Diese fixe Idee ließ sich der Fink nicht aus dem Kopf reden. Lieber, verschwor er hoch und teuer, lieber wie ein japanesischer Daimio sich selbst den Bauch aufschlitzen als einem Mann <611> ein Haar krümmen, der Georg heiße und überdem noch zu jung für das mensurfähige Alter sei. Desto bedenkloser wütete der Duellfeste in der Paulskirche gegen Temme und andre regierungswidrige Personen, die zu Münster im Zuchthaus hinter Schloß und Riegel saßen. (Sitzung vom 9. Januar 1849.) Wenn er so kein kleinstes Detail verschmähte, um höhern Orts angenehm aufzufallen, übergipfelte sein Loyalitätseifer sich selbst in seinen Riesenanstrengungen für die Herstellung eines kleinen Deutschlands und einer großen Preußenkrone. Warwick, der Königmacher, war ein Kind gegen Vincke, den Kaisermacher.

Der märkische Bayard glaubte dem Undank vom März 1848 feurige Kohlen genug aufs Haupt gesammelt zu haben. Als das Ministerium der Tat stürzte, verschwand Vincke eine Zeitlang aus der Paulskirche und hielt sich disponibel. Dito, als das Ministerium v. Pfuel stürzte. Da aber der Berg nicht zu Mahomet kam, beschloß Mahomet zum Berge zu gehn. In einem beliebigen Rotten Borough gewählt, tauchte der Ritter von der roten Erde plötzlich in Berlin auf, als Abgeordneter zur oktroyierten Kammer, voll vom großen Ahndungsdrang des Lohns, der seiner Frankfurter Taten harre. Zudem fühlte sich der Ritter unendlich wohl in dem Belagerungszustand, der ihm keine unparlamentarische Freiheit versagen würde. Das Gezisch und den Hohnschrei, womit er vom Berliner Volk begrüßt ward, während er vor dem Schlosse unter den oktroyierten Deputierten des Empfangs im Weißen Saal harrte, saugte er mit beiden Ohren um so gieriger ein, als Manteuffel zart angedeutet hatte, schon um ein Ministerportefeuille für ein gewisses Verdienst vakant zu finden, neige man höchsten Orts zur Annahme der kleindeutschen Krone aus den Händen der Frankfurter Kaisermacher. In diesem süßen Hoffnungswahn suchte sich der Fink einstweilen nützlich zu machen als der dirty boy des Kabinetts. Nach der Vorschrift der "Kreuz-Zeitung" verfaßte er den Adreßentwurf an die Krone, polterte gegen Amnestie, nahm die oktroyierte Verfassung selbst nur an unter dem ausdrücklichen Vorbehalt, daß sie von einer "starken Staatsgewalt" wieder durchrevidiert und ausgemerzt werde, insultierte die belagerungskranken Deputierten der Linken usw. und harrte seines Triumphs.

Die Katastrophe nahte heran, die Frankfurter Kaiserdeputation war zu Berlin eingetroffen, und Vincke hatte am 2. April (1849) ein loyalstes Kaiserentwurfsamendement gestellt, wofür Manteuffel in aller Unschuld gestimmt hatte. Gleich nach Schluß der Sitzung stürzte Vincke mit tollem <612> Bockssprung in eine nachbarliche Altgewinnerbude, um dort eigenhändig ein Portefeuille zu erstehn, ein Portefeuille aus schwarzem Pappendeckel mit rotem Samtumschlag und goldnem Ränderwerk. Seelenvergnügt und mit faunenhaftem Triumphgeschmunzel saß der Ritter von der fröhlichen Gestalt am andern Morgen auf seinem Zentralkammersitz, aber - "Niemals, Niemals, Niemals" tönte es, Manteuffels Lippen zuckten hohngesättigt, und der furchtlose Junker, mit erbleichtem Mundwerk, wie ein Zitteraal vor innrer Aufregung zappelnd, schnappte seinen Freunden wild zu: "Haltet mir, sonst richte ich ein Unglück an." Um ihn zu halten, veröffentlichte die "Kreuz-Zeitung", deren Vorschriften Vincke seit Monaten ängstlich nachgelebt und zu deren Kammeradreßentwurf er Gevatter gestanden, tags darauf einen Artikel mit der Überschrift "Das Vaterland ist in Gefahr", worin es unter anderm hieß:

"Das Ministerium bleibt, und der König <Friedrich Wilhelm IV.> antwortet Herrn von Vincke und Genossen, daß sie sich nicht um Dinge bekümmern mögen, die sie nichts angehen."

Und der geprellte Ritter sans peur et sans reproche trollte von Berlin nach Ickern ab mit einer längern Nase, als Levy sie jemals trug, und wie sie platterdings niemand angedreht werden kann außer einem - Minister der Zukunft!

Nachdem er lange bange Jahre in der praktischen Zoologie zu Ickern versauert war, erwachte der Cincinnatus von der roten Erde eines schönen Morgens zu Berlin als offizieller Oppositionschef des preußischen Abgeordnetenhauses. Da es ihm so schlecht geglückt war mit dem Rechtsreden zu Frankfurt, hielt er nun linkische Reden zu Berlin. Ob er die Opposition des Vertrauens oder das Vertrauen der Opposition vorstellte, war nicht genau zu ermitteln. Jedenfalls aber überspielte er seine Rolle wieder. Er hatte sich gar bald dem Kabinett so unentbehrlich auf der Oppositionsbank gemacht, daß ihm verboten ward, sie je wieder zu verlassen. Und so blieb der Junker von der roten Erde - Minister der Zukunft.

Unter diesen Umständen wurde der Fink des Dings müde und schloß seinen berühmten Vertrag von Ickern. Vogt hat's ihm schwarz auf weiß gegeben; Sobald Plon-Plon die erste parlamentarische Insel Barataria auf dem deutschen Festland erobert, sie mit Sch-Oppenheimern bevölkert und seinen Falstaff zu ihrem Regenten bestallt hat, wird Vogt den westfälischen Bayard zu seinem Premierminister ernennen, ihn außerdem mit der höchsten Gerichtsbarkeit in allen Duellkonflikten belehnen, ihn ferner zum wirk- <613> lichen geheimen General-Oberweg-Baumeister (11) erhöhn, ihn obendrein in den Fürstenstand erheben unter dem Titel eines Fürsten von Thoren, und endlich auf das Blech, das in der insularen Vogtei jedenfalls an Geldesstatt zirkuliert, ein siamesisches Zwillingspaar einstechen lassen, Vogt rechts als Plon-Plons Regent, Vincke links als Vogts Minister, um die umfangreiche Doppelfigur die weinlaubumrankte Inschrift geschlungen:

"Maul zu Maul mit Dir
Fordr' ich mein Jahrhundert in die Schranken."


Fußnoten von Marx

(1) Wie Palmerstons gespielte Russenfeindschaft einen Menschen von gewöhnlichem Verstand täuschen "könne", begriff Kossuth damals nicht. "How could a man of any intellect for a single moment believe that the Minister who allowed Russia's intervention in Hungary, would give the word of attack against her?" <"Wie könnte ein Mann von einigem Verstand auch nur einen einzigen Augenblick glauben, daß der Minister, der Rußlands Intervention in Ungarn zuließ, auffordern würde, Rußland anzugreifen?"> (Brief d.d. Kutayah, 17. Dez. 1850. "Correspondence of Kossuth".) <=

(2) Ich selbst hatte Bangya mit seinem damaligen Freunde, dem jetzigen General Türr, 1850 in London kennengelernt. Den Verdacht, den mir seine Mogeleien mit allen möglichen Parteien, Orleanisten, Bonapartisten usw. und sein Umgang mit Polizisten jeder "Nationalität" einflößten, schlug er einfach nieder durch Vorzeigung eines ihm von Kossuth eigenhändig ausgefertigten Patents, worin er, früher schon provisorischer Polizeipräsident zu Komorn unter Klapka, zum Polizeipräsidenten in partibus bestallt war. Geheimer Polizeichef im Dienste der Revolution, mußte er sich natürlich die Zugänge zur Polizei im Dienste der Regierungen "offen" halten. Im Laufe des Sommers 1852 entdeckte ich, daß er ein Manuskript, das ich ihm zur Besorgung an einen Buchhändler in Berlin anvertraut, unterschlagen und einer deutschen Regierung in die Hände gespielt hatte. Nachdem ich über diesen Vorfall und andere mir längst auffällige Eigentümlichkeiten des Mannes an einen Ungarn zu Paris geschrieben und durch die Intervention einer dritten, genau unterrichteten Person das Mysterium Bangya völlig gelöst worden war, sandte ich eine öffentliche Denunziation, unterzeichnet mit meinem Namen, Anfang 1853 der "New-Yorker Criminal-Zeitung" zu. Bangya, in einem noch in meinem Besitz befindlichen Rechtfertigungsschreiben, hob hervor, wie ich am wenigsten Grund hätte, ihn für einen Spion zu halten, da er stets (und dies war richtig) vermieden habe, mit mir über meine eignen Parteiangelegenheiten zu sprechen. Obgleich Kossuth und seine Anhänger damals den Bangya nicht fallenließen, erschwerte ihm dennoch meine Enthüllung in der "Criminal-Zeitung" fernere Operationen in London und ergriff er um so williger die Gelegenheit, die ihm die orientalische Wirre zur Verwertung seiner Talente auf einem andern Theater bot. Bald nach Abschluß des Friedens von Paris (1856) ersah ich aus englischen Zeitungen, daß ein gewisser Mehemed Bei, Oberst in türkischen Diensten, früher als Christ bekannt unter dem Namen Johann Bangya, mit einer Anzahl polnischer Flüchtlinge von Konstantinopel nach Zirkassien gesegelt war, wo er als Chef des Generalstabs von Sefer-Pascha und gewissermaßen als "Simon Bolivar" der Tscherkessen figurierte. Ich wies in der London "Free Press", die in zahlreichen Nummern nach Konstantinopel geht, auf die Vergangenheit des Liberators hin. Am 20. Januar 1858 wurde Bangya, wie im Text erwähnt ist, wegen beabsichtigten Verrats an Zirkassien von einem Kriegsgericht der polnischen Legion unter dem Befehl des Obersten Th. Lapinski in Aderbi zum Tode verurteilt. Da Bangya türkischer Oberst war, hielt Sefer-Pascha die Vollziehung dieses Urteils für unvereinbar mit den der Hohen Pforte schuldigen Rücksichten und verschiffte den Verurteilten daher nach Trebizond, von wo er bald wieder freien Fußes in Konstantinopel eintraf. Unterdes hatte die ungarische Emigration zu Konstantinopel leidenschaftlich für Bangya gegen die Polen Partei ergriffen. Durch den Schutz der russischen Gesandtschaft gegen den Diwan (der ihn noch obendrein als "Oberst" mitsamt seinem Harem füttern muß), durch das Vorurteil seiner Landsleute gegen die Polen gesichert, veröffentlichte Bangya mit großer Kühle eine Selbstapologie im "Journal de Constantinople". Die baldige Ankunft einer zirkassischen Deputation machte jedoch dem Spiel ein Ende. Die ungarische Emigration ließ ihren Schützling offiziell fallen, obgleich de très mauvaise grâce <außerordentlich ungern>. Sämtliche Papiere des Kriegsgerichts zu Aderbi, darunter Bangyas Selbstbekenntnis, ebenso die später zu Konstantinopel gewechselten Schriftstücke wurden von der dortigen polnischen Emigration nach London geschickt, wo ein Auszug in der "Free Press" (Mai 1858) erschien. Ausführlicher sind diese Aktenstücke von mir veröffentlicht worden in der "New-York [Daily] Tribune" vom 16. Juni 1858. <=

(3) Daß solche Dinge ans Tageslicht kommen, scheint minder sonderbar, wenn man erwägt, daß hier mindestens zwei redselige Parteien im Spiel waren. Übrigens wurden die Tatsachen wahrend Kossuths Anwesenheit zu London (im Spätsommer 1859) in englischen Blättern veröffentlicht. <=

(4) Obgleich ich einen solchen Standpunkt von seiten Klapkas verstehe, befremdete es mich, Annäherndes zu finden in der oben zitierten Schrift Szemeres und habe ich ihm in dieser Beziehung meine Ansicht offen mitgeteilt. Noch weniger verstehe ich seine letzte Erklärung über die östreichische Konzession. Ich weiß, daß Szemere sich in öffentlichen Dingen nicht durch Privatmotive bestimmen läßt und sehr wichtige Gründe für seine Erklärung hatte; daß die Ungarn mit dem, was von Wien gegeben, alles in Pest holen können; daß jede Insurrektion Ungarns von außen, und namentlich mit französischem Beistand, eine russische Intervention in Ungarn, für oder gegen Östreich, notwendig nachzieht; daß endlich die Autonomie, die Transsylvanien, Slawonien und Kroatien sowie der Woiwodina verliehen ist, dem Wiener Kabinett in diesem Augenblick jene "Nationalitäten" ganz so gegen die Magyaren sichern würde wie 1848/49. Alles das ist richtig, konnte aber gesagt werden ohne den Schein, die ungarische Konstitution in der Wiener verstümmelten Ausgabe "in usum Delphini" anzuerkennen. <=

(5) Willkomm und Friede dieser holden Rotte,
Ich komm' mit Gruß und nicht mit Spotte. <=

(6) Neu will ihr altes Reich sie restaurieren,
Gott von Geburt, kann Dullness nie krepieren.

Es ist unmöglich, Dullness zu verdeutschen. Es ist mehr als Langeweile, ist zum Prinzip erhobenes ennui, einschläfernde Leblosigkeit, abgestumpfte Dumpfheit. Als Stileigenheit ist Dullness, was die "Neue Rheinische Zeitung" den "inhaltschweren Ausdruck der Inhaltlosigkeit" nennt. <=

(7) Und so besitzt Kastor ein vielanstelliges Rüstzeug,
Tragend die Nase einher fügsam zu jeglichem Werk. <=

(8) Ein Wunder das, ich sag' es ohne Spaß,
Kein Stank verletzt die naseweise Nas'. <=

(9) Kein Krebs so munter in dem schmutz'gen Tanz,
Rückwärts den Kopf und vorwärts mit dem Schwanz. <=

(10) Industriöse Wanze. (Pope) <=

(11) Siehe das Schriftlein: "Auch eine Charakteristik des liberalen Abgeordneten von Vincke und erbauliche Geschichte des Sprochhövel-Elberfelder Wegbaues", Hagen 1849. <=