Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 14, 4. Auflage 1972, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1961, Berlin/DDR. S. 541-569.

1. Korrektur
Erstellt am 31.08.1998.

VIII. Dâ-Dâ Vogt und seine Studien | Inhalt | X. Patrone und Mitstrolche

IX. Agentur


"So muosens alle strîten.
in vîl angestlîchen zîten
wart gescheiden doch her dan
... der Vogt da von Bërne."
<"So müssen sie alle streiten.
In angsterfüllten Zeiten
mußt' fahren fort von diesem Ort
... der Vogt von Bern,">
(Klage)
(1)

<541> In einem Programm, das Dâ-Dâ Vogt mit ungeheurer Heiterkeit vom ersten April datiert, nämlich vom 1. April 1859, rief er Demokraten verschiedener Färbung zur Mitarbeit an einer Zeitung auf, welche zu Genf erscheinen und die dezembristisch-russische Ansicht seiner "Studien" propagieren sollte. Vorsichtig abgefaßt, wie das Programm natürlich sein mußte, lugt der Pferdefuß gelegentlich aus der löschpapiernen Decke. Doch verweilen wir nicht dabei.

Am Schluß des Programms ersucht Vogt seine Adressaten um Angabe von "Gesinnungsgenossen", die "in den ihnen geöffneten Zeitungen und Journalen in gleichem Sinne zu wirken bereit wären". Auf dem Zentralfest zu Lausanne erklärt er, er habe ein Programm entworfen mit einer Einladung an

"diejenigen, welche demselben folgen wollten, um gegen angemessenes Honorar in den ihnen zu Gebot stehenden Organen der Presse zu wirken". (p. 17, "Centralfest etc.")

<542> Endlich in einem Brief an Dr. Loening heißt's:

"Kannst Du mich mit Leuten in Verbindung bringen, die von Frankfurt aus Zeitungen und Journale in diesem Sinne bearbeiten können? Ich bin erbötig, sie für die Arbeiten, von denen mir ein Abdruck eingesendet wird, anständig zu honorieren." ( "Hptb.", Dokumente, p. 36.)

Die "Gesinnungsgenossen" des Programms werden auf dem Zentralfest zu Lausanne "diejenigen welche", und "diejenigen welche" verwandeln sich dem Dr. Loening gegenüber in "Leute", Leute sans phrase. Vogt, dem Generalsäckelmeister und Generalrevisor der deutschen Presse, sind "Fonds zur Disposition gestellt" (l.c. p. 36), nicht nur um Artikel "in Zeitungen und Journalen", sondern auch um "Broschüren" (l.c.) zu honorieren. Man begreift, daß eine Agentur auf dieser Stufenleiter ganz bedeutende "Fonds" erheischt.

"- er sante nach allen den hêrren
die in diusken rîchen wâren;
er klagete in allen sîn nôt,
unde bôt in ouch sîn golt rât."
<"Nach allen Herren er sandte
ringsum im deutschen Lande.
Er klagte allen seine Not,
Bot Gaben an, von Golde rot."
(Kaiserchronik)

Aber zu welchem Zwecke sollten Zeitungen, Journale, Broschüren von denjenigen welchen "bearbeitet" und dem Vogt "eingesendet" und von ihm "anständig" honoriert werden? "Es gilt Italien", nichts weiter; denn um die Gefahr am Rhein abzuwenden, "scheint" es Herrn Vogt "von Vorteil, Louis Bonaparte in Italien verbluten zu machen". (l.c. p. 34, Programm.) Nein, "es gilt nicht Italien". (Brief an Dr. Loening, l.c. p. 36.) "Es gilt Ungarn." (Brief an Herrn H. in N., 1.c.) Nein, es gilt nicht Ungarn. "Es gilt ... Dinge, die ich nicht mitteilen kann." (l.c., Dokumente, p. 36.)

Ebenso widerspruchsvoll wie das Ding, das es gilt, ist die Quelle, woraus die anständigen "Fonds" fließen. Es ist "ein entfernter Winkel der französischen Schweiz". ("Hptb.", p. 210.) Nein, "es sind ungarische Frauen vom Westen". (Brief an Karl Blind, Beilage zu No. 44 der "Allgemeinen Zeitung" vom 13. Februar 1860.) Umgekehrt, es sind masculini "im Bereich der deutschen und namentlich der östreichischen Polizei". (p. 17, Centralfest".) Nicht minder chamäleonartig als Zweck und Quelle ist die Quantität seiner Fonds. Es sind "einige Franken". ("Hptb.", p. 210.) Es sind kleine Fonds". (p. 17, "Centralfest".) Es sind hinreichende Fonds, um alle Leute <543> anständig zu honorieren, die in der deutschen Presse und Broschüren Vogtisch wirken können. Endlich zum Überfluß ist auch die Bildungsweise der Fonds zwieschlächtig. Vogt hat sie "mit Mühe und Not zusammengescharrt". ("Hptb.", p. 210.) Nein, sie "sind ihm zur Disposition gestellt". (l.c., Dokumente, p. 36.)

"Wenn ich nicht irre", sagt die "abgerundete Natur", so "heißt bestechen soviel als jemand durch Geld oder andre Vorteile zu Handlungen und Äußerungen bewegen, welche seiner Überzeugung entgegengesetzt sind." (l.c. p. 217.)

Wessen Überzeugung es also entspricht, sich kaufen zu lassen, kann nicht bestochen werden, und wessen Überzeugung es widerspricht, kann wieder nicht bestochen werden. Wenn die Pariser Ministerialsektion für die auswärtige Presse Schweizer Blättern z.B. die 250 Frs. kostende und täglich erscheinende Pariser "Lithographierte Correspondenz" für den halben, für den Viertelspreis, ja gratis anbietet und "wohlgesinnte Redaktionen" aufmerksam macht, daß sie in wachsendem Verhältnis noch auf einen baren monatlichen Zuschuß von 50, 100 und 150 Frs. "je nach der Reüssite" rechnen können, so ist das beileibe keine Bestechung. Die Redaktionen, deren Überzeugung die tägliche "Correspondenz" und die monatliche Zulage widerspricht, werden nicht gezwungen, die eine auf- und die andre anzunehmen. Und ist Granier de Cassagnac "bestochen", oder La Guéronnière, oder About, oder Grandguillot, oder Bullier, oder Jourdan vom "Siècle", oder Martin und Boniface vom "Constitutionnel", oder Rochaid Dâ-Dâ Albert? Ist es einer zahlungsfähigen Handlung oder Äußerung je in ihrem Leben passiert, in Konflikt mit der Überzeugung dieser Herren zu geraten? Oder hat Vogt z.B. den Agenten eines gewissen ihm früher feindlichen Schweizer Blattes bestochen, als er mehrere 100 Exemplare seiner "Studien" gratis zur Verfügung stellte? Sonderbare Einladung jedenfalls, diese Einladung Vogts an Publizisten, in den ihnen zu Gebote stehenden Organen im Sinne ihrer eignen Überzeugung zu wirken und für dies Wirken ihr Honorar zu empfangen durch das Organ des Herrn Karl Vogt zu Genf. Daß Vogt das Honorar, welches eine bestimmte Zeitung ihren eignen Mitarbeitern zahlt, mit den geheimen Subsidien zusammenwirft, die ein dritter Kerl aus anonymer Kasse den Korrespondenten ihm wildfremder Zeitungen, ja der Presse eines ganzen Landes anbietet - dies Quidproquo beweist, wie sehr sich der deutsche Dâ-Dâ in die Moral des 2. Dezember "verarbeitet" hat.

An der Quelle saß der Knabe." Aber an welcher Quelle?

Statt der von Vogt beabsichtigten Wochenschrift "Die neue Schweiz" <544> erschien später zu Genf die "Neue Schweizer Zeitung", gestiftet von Dâ-Dâs vieljährigem Freunde, Herrn A. Braß. An einem kühlen Novembermorgen erklärte nun Herr Braß zum Erstaunen von ganz Genf, er habe

"in einem Briefe an Vogt den französischen Futtertrog zurückgewiesen, den Vogt ihm habe vorsetzen wollen".

Er erklärte sich gleichzeitig bereit, gerichtlich für seine Denunziation einzustehn. ("Neue Schweizer Zeitung" vom 12. Novbr. 1859.) Und der Hahn, oder vielmehr der Kapaun, der bisher so lustig gekräht hatte, verstummte, sobald er auf seinem eignen Düngerhaufen zerzaust ward. Der "Neuschweizer, Kantonsbürger von Bern und Genfer Ständerat" war jetzt mitten in Genf von einem seiner "notorischen" Freunde öffentlich eines Bestechungsversuchs mit französischem Geld angeklagt. Und der Genfer Ständerat verstummte.

Man glaube nicht etwa, daß Vogt die "Neue Schweizer Zeitung" vornehm ignorieren konnte. Die Denunziation gegen ihn erschien, wie gesagt, in der Nummer vom 12. November 1859. Kurz nachher brachte dasselbe Blatt eine pikante Charakteristik Plon-Plons, und die "Revue de Genève", das Organ des Genfer Diktators James Fazy, protestierte sofort in einem vierspaltigen Leitartikel. ("Revue de Genève" vom 6. Dezbr. 1859.) Sie protestierte "au nom du radicalisme genevois", im Namen des Genfer Radikalismus. Solches Gewicht legte James Fazy selbst der "Neuen Schweizer Zeitung" bei. Der vierspaltige Leitartikel der "Revue de Genève" zeigt Vogts mithelfende Hand unverkennbar. Braß selbst wird gewissermaßen entschuldigt. Nicht er sei der Urheber des Plon-Plon-Attentats, sondern nur irregeleitet. In echt Vogtscher Manier wird das Corpus delicti demselben L. Häfner aufgebürdet, den Vogt auch im "Hauptbuch" (p. 188) verdächtigt, "widerwärtige persönliche Skandalgeschichten über den Kaiser und den Prinzen Napoleon" zu schreiben, und ebensowenig fehlt die bei Vogt unvermeidliche Anspielung auf "den berüchtigten badischen Exlieutenant Clossmann" als Berner Korrespondenten der "Allgemeinen Zeitung". (Vgl. "Hptb.", p. 198.) Verweilen wir einen Augenblick bei dem Protest, den der Herr und der Knecht, James Fazy und Karl Vogt, "im Namen des Genfer Radikalismus" und zur Ehrenrettung Plon-Plons am 6. Dezbr. 1859 in der "Revue de Genève" veröffentlicht haben.

Braß wird angeklagt, er suche "seine deutsche Meinung von Frankreich durch Beleidigung eines Prinzen des Hauses Bonaparte zu befestigen". Plon-Plon, wie man in Genf schon lange wisse, sei ein Liberaler vom reinsten Wasser, der zur Zeit seines Exils großmütig ausschlug, "eine Rolle am <545> Hofe von Stuttgart oder selbst von Petersburg zu spielen". Nichts würde lächerlicher sein, als ihm die Idee der Bildung einer kleinen Souveränetät hier und dort, eines etrurischen Königreichs etwa, wie es der injuriöse Artikel der "Neuen Schweizer Zeitung" tut, unterzuschieben.

"Der Prinz Napoleon, stark im persönlichen Gefühl seines Genies und seiner Talente, schätzt sich zu hoch für diese elenden kleinen Throne."

In Frankreich vielmehr, "dem Zentrum hoher Zivilisation und allgemeinen Anstoßes", zieht er vor, den Marquis Posa bei seinem erlauchten Cousin "als Bürger-Prinz" (prince-citoyen) zu spielen. "Sein Cousin achtet und liebt ihn, was man immer davon sagen mag." Der Prinz ist nicht nur Bonapartes Marquis Posa. Er ist "der uninteressierte Freund" Italiens, der Schweiz, kurz der Nationalitäten.

"Der Prinz Napoleon, wie der Kaiser, ist ein großer Nationalökonom ... Sicher, wenn jemals die guten Prinzipien der politischen Ökonomie in Frankreich siegen, wird der Prinz Napoleon viel dazu beigetragen haben."

Er war und ist "Parteigänger der unbeschränktesten Preßfreiheit", Gegner aller Polizei-Präventivmaßregeln, Träger der "Freiheitsideen im weitesten Sinn des Worts, in ihrer Theorie wie in ihrer Anwendung". Findet er des Kaisers Ohren seiner Egeria-Stimme verstopft durch böse Umgebungen, so zieht er sich würdevoll zurück, aber "ohne zu schmollen". Es ist nichts "als sein Verdienst, das ihn den Verleumdungen Europas ausgesetzt hat". Die

"Feinde Frankreichs fürchten ihn, weil er sich auf den revolutionären Beistand der Völker Europas stützt, um ihnen ihre Nationalität und ihre Freiheit wiederzugeben".

Also verkanntes Genie, Marquis Posa, Egeria, Nationalökonom, Hort der unterjochten Nationalitäten, Demokrat vom reinsten Wasser - und sollte man es für möglich halten? - Plon-Plon ist "habile comme général et brave comme tout officier français" ("gewandt als General und tapfer wie jeder französische Offizier").

"In dem orientalischen Feldzug wahrend und nach der Schlacht an der Alma hat er das bewiesen." Und in der italienischen Kampagne "hat er sein Armeekorps von 50.000 Mann" (das bekannte Corps de touristes, ich hatte beinahe gesagt Corps de ballet) "wohlorganisiert, und hat er in kurzer Zeit einen schweren Marsch durch ein bergiges Land zurückgelegt, ohne daß seiner Truppe irgend etwas mangelte".

Die französischen Soldaten in der Krim tauften bekanntlich das Kanonenfieber la maladie Plon-Plonienne <Plon-Plon-Krankheit>, und wahrscheinlich zog sich Plon-Plon <546> nur von der Halbinsel zurück wegen des um sich greifenden Mangels an Lebensmitteln.

"Wir", schließt die "Revue de Genève" triumphierend ab, "wir haben ihn" nämlich den Plon-Plon - "gezeigt, wie er ist."

Hurra für General Plon-Plon!

Kein Wunder also, wenn Vogt sagt, er habe seine Kriegskasse aus "demokratischen Händen" empfangen. Plon-Plon, der Prince Rouge <Rote Prinz>, ist Vogts wie Fazys Ideal, gewissermaßen der verwünschte Prinz der europäischen Demokratie. Vogt konnte sein Geld aus keinen reinern demokratischen Händen erhalten als aus den Händen Plon-Plons. Selbst wenn ein Teil der von Plon-Plons erlauchtem Cousin Herrn Kossuth direkt übermachten Gelder durch ungarische Hände in die Hände Vogts gespielt worden, so blieb ihr "Ursprung ein Grauen", aber aus Plon-Plons Händen! Selbst die Gelder, die Vogt zur Zeit des Neuenburger Handels von der Gräfin C. <Károlyi>, Klapkas Freundin, empfing, mochten aus delikatern Händen kommen, unmöglich aus reinern und demokratischeren Händen. Plon-Plon est voluptueux comme Héliogabale, lâche comme Ivan III et faux comme un vrai Bonaparte <Plon-Plon ist wollüstig wie Heliogabalus, feige wie Iwan III. und falsch wie ein echter Bonaparte>, sagt ein bekannter franz[ösischer] Schriftsteller. Das Schlimmste, was Plon-Plon angerichtet hat, war, seinen Cousin zum homme sérieux <ernst zu nehmenden Mann> zu machen. Victor Hugo konnte noch von Louis Bonaparte sagen: n'est pas monstre qui veut <es ist nicht jeder ein Ungeheuer, der es gern sein möchte>, aber seitdem Louis Bonaparte den Plon-Plon erfand, konzentrierte sich auf den Mann in den Tuilerien die geschäftliche, auf den Mann in dem Palais Royal die groteske Seite des imperialistischen Januskopfes. Der falsche Bonaparte, der der Neffe seines Onkels ist, ohne der Sohn seines Vaters zu sein, erschien echt gegenüber diesem echten Bonaparte; so daß die Franzosen immer noch sagen: l'autre est plus sûr <der andere ist sicherer>. Plon-Plon ist zugleich der Don Quixote und der Hudibras des Bas Empire. Hamlet fand es bedenklich, daß Alexanders Asche vielleicht bestimmt sei, das Spundloch eines Bierfasses zu verstopfen. Was würde Hamlet sagen, wenn er den aufgelösten Kopf Napoleons auf den Schultern Plon-Plons erblickte!(2)

<547> Obgleich Vogt den Hauptstock seiner Kriegskasse "aus dem französischen Futtertrog" bezog, mag er allerdings nebenbei zur Maskierung des Futtertrogs ostensible Sammlungen von "einigen Franken" unter mehr oder minder demokratischen Freunden veranstaltet haben. So lösen sich einfach seine Widersprüche über Quelle, Quantität und Bildungsweise seiner Fonds.

Vogts Agentur beschränkte sich nicht auf "Studien", "Programm" und Werbebüro. Auf dem Lausanner "Zentralfest" verkündete er den deutschen Arbeitern in der Schweiz L. Bonapartes Mission zur Befreiung der Nationalitäten, natürlich von radikalerm Standpunkt als in den für den deutschen liberalen Philister bestimmten "Studien". Während er hier durch tiefe Durchdringung des Verhältnisses von "Stoff und Kraft" zur Überzeugung gelangt war, daß "an die Erschütterung und Auflösung der bestehenden Regierungen in Deutschland" nicht gedacht werden könne (p. VII, "Studien", Vorrede), und dem "deutschen Bourgeois" (l.c. p. 128) namentlich zurief, "sich zu Herzen zu nehmen", daß die bonapartistische "Befreiung" Italiens "vor Revolution" in Deutschland schütze, belehrt er die deutschen Arbeiter umgekehrt, daß "Östreich der einzige Haltpunkt für die Fortdauer ihrer (der deutschen Fürsten) Existenz ist". ("Centralfest etc.", p. 11.)

"Ich habe euch eben gesagt", sagt er, "daß dem Auslande gegenüber kein Deutschland existiert, daß es erst geschaffen werden muß und meiner Überzeugung nach nur geschaffen werden kann in Gestalt eines Bundes von Republiken ähnlich demjenigen der schweizerischen Eidgenossenschaft." (l.c. p. 10.)

Dies sagte er am 26. Juni (1859), während er noch am 6. Juni, im Nachwort zur zweiten Auflage der "Studien", den Prinzregenten von Preußen <Wilhelm> anfleht, Deutschland durch Waffengewalt und einen dynastischen Bürgerkrieg dem Haus Hohenzollern zu unterwerfen. Monarchistische Zentralisation durch Waffengewalt ist natürlich der kürzeste Weg zu einer Föderativrepublik "ähnlich derjenigen der schweizerischen Eidgenossenschaft". Er entwickelt ferner die Theorie vom "äußern Feind" - Frankreich -, dem Deutschland sich gegen den "innern Feind" - Östreich - anschließen müsse.

"Wenn ich", rief er aus, die Wahl habe zwischen dem Teufel (Habsburg) und seiner Großmutter (L. Bonaparte), so wähle ich die letztere; denn sie ist ein altes Weib und wird sterben."

Diese direkte Aufforderung an Deutschland, unter dem Vorwand des Hasses gegen Östreich sich dem dezembristischen Frankreich in die Arme <548> zu werfen, schien ihm jedoch für das Lesepublikum zu kompromittierlich und wandelte er daher in der gedruckten Rede folgendermaßen um:

"Und wenn es sich darum handelt, in dem Streite zwischen dem Teufel und seiner Großmutter Partei zu ergreifen, so halten wir es für das Beste, wenn beide untereinander sich totschlagen und sich auffressen, indem uns damit die Mühe gespart ist." ("Centralfest etc.", p. 13.)

Während er endlich in den "Studien" L. Bonaparte als Bauern- und Soldatenkaiser aufs Schild hebt, erklärt er diesmal, einem Arbeiterpublikum gegenüber, daß

"namentlich die Arbeiter in Paris in ihrer großen Mehrzahl in dem gegenwärtigen Augenblicke für Louis Bonaparte"

gewonnen seien.

"Louis Bonaparte tue ", in der Meinung der französischen Arbeiter, "alles, was die Republik habe tun sollen, indem er den Proletariern Arbeit gehe, die Bourgeois ruiniere usw." ("Centralfest etc.", p. 9.)

Also Louis Bonaparte Arbeiterdiktator, und als Arbeiterdiktator den deutschen Arbeitern in der Schweiz von demselben Vogt angepriesen, der im "Hauptbuch" bei dem bloßen Worte "Arbeiterdiktatur" in bürgerlicher Entrüstung aufschäumt!

Das Pariser Programm, das den dezembristischen Agenten in der Schweiz ihren Organisationsplan mit Bezug auf die Annexation Savoyens vorschrieb, bestand aus drei Punkten: 1. Solange als möglich das Gerücht der drohenden Gefahr völlig ignorieren und im Notfall als östreichische Erfindung abfertigen; 2. in einem vorgerückteren Stadium die Ansicht verbreiten, daß Louis Bonaparte das neutralisierte Gebiet der Schweiz einverleiben wolle; und endlich 3., nach vollbrachter Annexation, letztere als Vorwand für die Allianz der Schweiz mit Frankreich, d.h. ihre freiwillige Unterwerfung unter das bonapartistische Protektorat, geltend machen. Wir werden nun sehn, wie treu der Herr und der Knecht, James Fazy und Karl Vogt, der Diktator von Genf und sein von ihm kreierter Genfer Ständerat, diesem Programm nachlebten.

Man weiß bereits, daß Vogt in den "Studien" jede entfernteste Anspielung auf die Idee vermied, wofür sein Schicksalsmensch in den Krieg zog. Dasselbe Schweigen auf dem Zentralfest zu Lausanne, im Nationalrat, bei der Schiller- und Robert-Blum-Feier, im Bieler Commis voyageur, endlich im "Hauptbuch". Und dennoch war die "Idee" sogar ältern Datums als die Verschwörung von Plombières. Schon im Dezember 1851, einige Tage nach dem Staatsstreich, las man im "Patriote savoisien":

<549> "Man verteilt sich bereits die Beamtenstellen Savoyens in den Antichambres des Elysées. Seine Journale machen sich hierüber sogar sehr angenehm lustig."(3)

Am 6,. Dezember 1851 sah Herr Fazy Genf bereits dem Dezemberreich verfallen.(4)

Am 1. Juli 1859 hatte Stämpfli, damals Bundespräsident, eine Unterredung mit Captain Harris, englischem Geschäftsführer zu Bern. Er wiederholte seine Befürchtung, daß für den Fall einer Ausdehnung der sardinischen Herrschaft in Italien die Annexation Savoyens an Frankreich beschlossen sei, und hob hervor, daß die Annexation, namentlich Nordsavoyens, eine Flanke der Schweiz vollständig preisgebe und den Verlust Genfs bald nachziehn werde. (Siehe das erste Blue Book, "On the proposed annexation of Savoy and Nice", No. I.) Harris berichtete an Malmesbury, der seinerseits den Lord Cowley zu Paris beauftragte, von Walewski Aufschlüsse über die Absichten des Kaisers zu verlangen. Walewski leugnete keineswegs, daß

"die Annexationsfrage mehr als einmal zwischen Frankreich und Sardinien verhandelt worden sei und daß der Kaiser die Idee hege, falls Sardinien sich zu einem italischen Konigtume erweitre, sei es nicht unvernünftig zu erwarten, daß es andrerseits territoriale Konzessionen an Frankreich mache". (No. IV, l.c.)

Walewskis Antwort datiert vom 4. Juli 1859, ging also dem Friedensschluß von Villafranca vorher. Im August 1859 erschien zu Paris Petétins Pamphlet, worin Europa auf die Annexation Savoyens vorbereitet ward. In demselben August, nach der Sommersitzung der Schweizer Nationalversammlung, kroch Herr Vogt nach Paris, um dort Instruktionen von Plon-Plon einzuholen. Um von der Fährte abzulenken, ließ er durch seine Mitstrolche, Ranickel und Konsorten, zu Genf das Gerücht verbreiten, er sei nach einem Kurort am Vierwaldstätter See verreist.

"ze Parîs lebt er mangen tac,
vil kleiner wîsheit er enpflac,
sîn zerung was unmâzen grôz; ...
<550> ist ër ein esel und ein gouch,
daz sëlb ist ër zuo Pârîs ouch."
<"Lebt' er in Paris so manchen Tag,
am Klügerwerden ihm nicht viel lag,
er fraß gar über alles Maß...
Wenn er ein Bock ist oder Gauch,
so ist er in Paris es auch.">

Im September 1859 sah der Schweizer Bundesrat die Gefahr der Annexation näherrücken (l.c., No. VI), am 12. November beschloß er, ein Memorandum in diesem Sinn an die Großmächte zu richten, und am 18. November übermachten Präsident Stämpfli und Kanzler Schieß eine offizielle Note dem englischen Geschäftsträger zu Bern. (l.c., No. IX.) James Fazy, im Oktober zurückgekehrt von seiner verunglückten Reise nach Toskana, wo er vergeblich für Plon-Plons etrurisches Königreich gewirkt hatte, trat nun in seiner gewohnten affektiert jähzornigen, zankend geräuschvollen Weise den Annexationsgerüchten entgegen: In Frankreich wie in Sardinien träume niemand von dem Anschluß. In demselben Maße, wie die Gefahr näherrückte, steigerte sich das Vertrauen der "Revue de Genève", deren Napoleonidenkultus im November und Dezember 1859 (s. z.B. den oben zitierten Plon-Plon-Artikel) korybantisch tobte.

Mit dem Jahr 1860 treten wir in die zweite Phase des Annexationshandels. Ignorieren und Ableugnen lagen nicht länger im dezembristischen Interesse. Es galt nun vielmehr, die Schweiz für die Annexation zu kirren und in eine falsche Stellung hineinzuschwindeln. Der zweite Punkt des Tuilerien-Programms war auszuführen, also das Stichwort der beabsichtigten Verschenkung des neutralen Gebiets an die Schweiz möglichst laut anzuschlagen. Die Schweizer Dezembristen wurden in diesem Geschäft natürlich durch gleichzeitige Manöver zu Paris unterstützt. So erklärte Baroche, Minister des Innern, Anfang Januar 1860 dem Schweizer Gesandten Dr. Kern, daß,

"wenn ein Besitzwechsel Savoyens eintrete, der Schweiz gleichzeitig, gemäß den Verträgen von 1815, eine gute Verteidigungslinie abgetreten werden solle". (Siehe das zitierte Blue Book No. XIII.)

Noch am 2. Februar 1860, an demselben Tag als Thouvenel dem englischen Gesandten Lord Cowley die Annexation Savoyens und Nizzas "als Möglichkeit" anzeigte, erklärte er ihm zugleich,

"die französische Regierung betrachte es als selbstredend, daß unter solchen Umständen die Distrikte von Chablais und Faucigny für immer der Schweiz einverleibt würden". (l.c., No. XXVII.)

<551> Die Verbreitung dieser Illusion sollte die Schweiz nicht nur für die Annexation Savoyens an das Dezemberreich kirren, sondern ihrem spätern Protest gegen die Annexation die Spitze abbrechen und sie vor Europa als Mitschuldigen, wenn auch geprellten Mitschuldigen, des Dezember kompromittieren. Frey-Hérosé, seit 1860 Bundespräsident, fiel nicht in die Schlinge, erklärte dem Captain Harris vielmehr sein Bedenken über die angeblichen Vorteile der Einverleibung des neutralisierten Gebiets in die Schweiz. Harris seinerseits warnte die eidgenössische Regierung vor der bonapartistischen Intrige, damit

"die Schweiz nicht auch als eine Macht erscheine, die Annexationsgelüste hege und nach Gebietsausdehnung strebe". (l.c., No. XV.)

Dagegen schreibt Sir James Hudson, der englische Gesandte in Turin, nach einer längern Unterredung mit Cavour, an Lord John Russell: "

"Ich habe gute Gründe zu glauben, daß die Schweiz ebenfalls gierig danach strebt, einen Teil des savoyischen Gebiets zu annexieren. Folglich muß man sich keine Illusion darüber machen, daß, wenn Frankreich für seine Annexationsgelüste getadelt wird, die Schweiz nicht minder schuldig ist ... Da diese Frage durch diesen doppelten Angriff derart kompliziert wird, ist die Haltung Sardiniens eher zu entschuldigen." (l.c., No. XXXIV.)

Endlich, sobald Louis Bonaparte die Maske wegwarf, verriet auch Thouvenel ganz ungeniert das Geheimnis des Stichworts von der Schweizer Annexation des neutralen Gebiets. In einer Depesche an den französischen Gesandtschaftsträger zu Bern verhöhnt er offen den Protest der Schweiz gegen die Annexation Savoyens an Frankreich, und womit? Mit dem der Schweiz von Paris aus aufoktroyierten "Plan für die Teilung Savoyens". (Siehe Thouvenels Depesche vom 17. März 1860.)

Und wie hatten unterdes die Schweizer Agenten des Dezember an dem Truggewebe mitgewirkt? James Fazy ist der erste, der im Januar 1860 dem englischen Geschäftsführer zu Bern die Annexation von Chablais und Faucigny an die Schweiz, nicht als Versprechen Louis Bonapartes, sondern als den eignen Wunsch der Schweiz und der Bewohner der neutralisierten Distrikte darstellt. (l.c., No.XXIII.) Vogt, der bisher die Möglichkeit der Annexation Savoyens an Frankreich nie geahnt hatte, wird plötzlich von prophetischem Geist erfüllt, und die "Times", die seit ihrer Gründung nie den Namen Vogt genannt, meldet plötzlich in einer Korrespondenz, d.d. 30. Januar:

"Der Schweizer Professor Vogt behauptet zu wissen, daß Frankreich der Schweiz Faucigny, Chablais und das Genevois, die neutralen Gebiete Savoyens, verschaffen <552> will, falls der Bundesrat der Republik Frankreich den freien Gebrauch des Simplon einräume." ("Times", 3, Februar 1860.)

Noch mehr! Ende Januar 1860 versichert James Fazy dem englischen Geschäftsführer zu Bern, Cavour, mit dem er vor kaum zwei Monaten eine lange Unterredung zu Genf gepflogen, sei Gift und Galle gegen jede Zession an Frankreich. (S. das zitierte Blue Book No. XXXIII.) Während so Fazy den Cavour England gegenüber verbürgt, entschuldigt sich Cavour England gegenüber mit den Annexationsgelüsten desselben Fazy. (l.c., No. XXXIII.) Und Tourte endlich, der Schweizer Gesandte in Turin, läuft noch am 9. Febr. 1860 eigens zum englischen Gesandten Hudson, um ihm zu beteuern, daß

"kein Übereinkommen zwischen Sardinien und Frankreich wegen der Zession Savoyens an Frankreich existiere und daß Sardinien nicht im entferntesten geneigt sei, Savoyen an Frankreich auszutauschen oder abzutreten". (l.c.)

Der Augenblick der Entscheidung rückte näher. Die Pariser "Patrie" vom 25. Januar 1860 bereitete auf die Annexation Savoyens vor in einem Artikel, betitelt "Les vœux de la Savoie". In einem andern Artikel vom 27. Januar, "Le comté de Nice", warf sie der Annexation Nizzas ihren dezembristisch-stilistischen Schatten vorher. Am 2. Februar 1860 kündigte Thouvenel dem englischen Gesandten Cowley die Annexation Savoyens und Nizzas als schon vor dem Krieg zwischen Frankreich und Sardinien vereinbarte "Möglichkeit" an. Eine offizielle Note über Frankreichs wirklichen Entschluß, Savoyen und Nizza einzuverleiben, wurde dem Lord Cowley jedoch erst am 5. Februar (s. die Rede Lord Cowleys im Oberhaus vom 23. April 1860) und dem Dr. Kern erst am 6. Februar mitgeteilt - beiden, dem englischen und dem Schweizer Gesandten, unter der ausdrücklichen Erklärung, das neutralisierte Gebiet solle der Schweiz einverleibt werden. Vor diesen offiziellen Eröffnungen wurde James Fazy von den Tuilerien aus unterrichtet, daß Sardinien durch geheimen Vertrag Savoyen und Nizza bereits an Frankreich abgetreten habe und daß der Vertrag keine Klausel zugunsten der Schweiz enthalte. Vor den offiziellen Erklärungen Thouvenels an Lord Cowley und Dr. Kern sollte Fazy seinen Genfer Untertanen die kaiserliche Pille eingeben und verzuckern. Am 3. Februar ließ er daher durch sein blind ergebnes Werkzeug John Perrier im Lokal des Club populaire zu Genf ein Volksmeeting veranstalten, wozu er sich scheinbar zufällig einfand unter dem Vorwand,

"er habe soeben gehört (je viens d'entendre), man beschäftige sich mit den Verträgen, die Frankreich und Sardinien etwa über die Zession Savoyens abgeschlossen haben <553> möchten. Leider sei ein solcher Vertrag am 27. Januar von der sardinischen Regierung unterzeichnet worden; aber aus dieser positiven Tatsache dürfen wir noch nicht schließen, daß unsre Sicherheit wirklich bedroht ist ... Der Vertrag enthält zwar keinen geschriebenen Vorbehalt zugunsten unsrer Rechte auf das neutralisierte sardinische Gebiet; aber wir wissen nicht, ob in dem Gedanken der Kontrahenten nicht ein Vorbehalt in diesem Sinne existiert ... Er mag als sich von selbst verstehend einbegriffen sein (sous-entendu comme allant de soi) ... Wir müssen nur nicht vorzeitig einen Geist des Mißtrauens zeigen ... Wir müssen uns auf die Sympathie" (mit dem Staatsstreich-Kaisertum) "berufen ... und uns jeden feindseligen Worts enthalten".

(S. Fazys "vertrauensvolle" Rede, in ihrer Art ein demagogisches Meisterstück, in der "Revue de Genève" vom 3. Februar 1860.) Der englische Geschäftsträger zu Bern fand Fazys prophetische Wissenschaft auffallend genug, um Lord John Russell durch eine eigne Depesche davon in Kenntnis zu setzen.

Der offizielle Vertrag über die Abtretung Savoyens und Nizzas an Frankreich sollte am 24. März 1860 abgeschlossen werden. Es war also keine Zeit zu verlieren. Der Schweizer Patriotismus der Genfer Dezembristen mußte offiziell konstatiert werden, bevor die Annexation Savoyens offiziell proklamiert war. Signor Vogt reiste daher in Begleitung des Generals Klapka, der de bonne foi <guten Glaubens> sein mochte, Anfang März nach Paris, um seinen Einfluß auf die Egeria des Palais Royal, das verkannte Genie Plon-Plon, spielen zu lassen und vor den Augen der ganzen Schweiz sein persönliches Gewicht zugunsten der Annexation des neutralisierten Gebiets an die Schweiz in die Waagschale zu werfen. Von der lukullischen Tafel Plon-Plons - in der Gastronomie wetteifert Plon-Plon bekanntlich mit Lucullus und Cambacérès, so daß selbst Brillat-Savarin, erstände er vom Tode, Plon-Plons Genie, Nationalökonomie, liberale Ideen, Feldherrntalent und persönliche Tapferkeit auf diesem Gebiet anstaunen würde - von der lukullischen Tafel Plon-Plons, in die er als "angenehmer Gesellschafter" tapfer einhieb, forderte Falstaff-Vogt nun die Schweizer zur Tapferkeit auf. (S. seinen Pariser Schreibebrief im Bieler "Commis voyageur" vom 8. März 1860, Beilage.) Die Schweiz solle zeigen, daß

"ihre Milizen auch nicht bloß zum Paradieren und Soldatenspielen da sind". Die "Abtretung des neutralisierten Gebiets an die Schweiz" sei eine Illusion. "Die Überlassung des Chablais und Faucigny an Frankreich sei ein erster Schritt, dem weitere folgen würden." "Auf den zwei Stelzen, Nationalität und natürliche Grenzen, kommt man vom Genfer See an die Aar und zuletzt an den Bodensee und den Rhein - wenn die Beine stark genug sind."

<554> Aber - und dies ist die Pointe - aber Falstaff-Vogt glaubt immer noch nicht, was der französische Minister Thouvenel selbst schon einen Monat vorher offiziell verraten hatte, was ganz Europa jetzt wußte - daß die Abtretung Savoyens und Nizzas bereits im August 1858 zu Plombières als Kaufpreis für die französische Intervention gegen Östreich ausbedungen worden war. Sein "Schicksalsmensch" ist vielmehr soeben erst nur durch die Pfaffen wider seinen Willen dem Chauvinismus in die Arme getrieben und zur Konfiskation des neutralisierten Gebiets genotzüchtigt worden.

"Offenbar", stottert der verlegne Apologet, "offenbar hat man in den leitenden Kreisen ein Gegengewicht gegen die stets wachsende klerikale Bewegung gesucht und glaubt dasselbe nun in dem s.g. Chauvinismus zu finden - in jenem borniertesten Nationalsinn, der nichts kennt als die Erwerbung eines Stückchens (!) Landes."

Nachdem Vogt, von den Dämpfen der Plon-Plonistischen Garküche berauscht, so tapfer im Bieler "Commis voyageur" gewirtschaftet, fabelte er nun nach seiner Rückkehr von Paris durch dasselbe Sprachrohr von der absoluten Franzosenfreundlichkeit der Nizzarden und geriet so in unangenehmen Konflikt mit Vegeszi-Ruscalla, einem der Zentralvorsteher des italienischen Nationalvereins und Verfasser der Broschüre "La Nazionalità di Nizza". Und als derselbe Held, der von Plon-Plons Tafel aus den Winkelried gespielt, nun in dem Nationalrat zu Bern das Wort ergriff, wandelte sich der kriegerische Trompetenstoß in einen diplomatischen Flötenpfiff, der ruhige Fortsetzung der Unterhandlungen mit dem von jeher schweizerfreundlichen Kaiser anempfahl und besonders nachdrücklich vor einer Allianz mit dem Osten warnte. Frey-Héroé, der Bundespräsident, ließ einige sonderbare Anspielungen auf Vogt fallen, dem dagegen die Genugtuung ward, seine Rede vom "Nouvelliste Vaudois" gepriesen zu sehn. Der "Nouvelliste Vaudois" ist das Organ der Herren Blanchenay, Delarageaz und der übrigen Waadtländer Staatsmagnaten, mit einem Worte der Schweizer Westbahn, ganz wie die "Neue Zürcher Zeitung" das Organ des Zürcher Bonapartismus und der Nordostbahn ist." Zur Charakteristik der Patrone des "Nouvelliste Vaudois" genüge die Bemerkung, daß bei Gelegenheit des bekannten Oronbahnstreits fünf Waadtländer Regierungsräte von der gegnerischen Presse wiederholt und ungestraft bezüchtigt wurden, jeder von ihnen habe vom Pariser Crédit Mobilier - dem Hauptaktionär der Schweizer Westbahn - je 10.000 Frs. an Aktien (20 Stück) zum Geschenk erhalten.

Wenige Tage, nachdem Vogt in Begleitung Klapkas zur Egeria des Palais Royal abgereist war, reiste James Fazy, begleitet von John Perrier, zur Sphinx der Tuilerien. Louis Bonaparte gefällt sich bekanntlich in der Rolle der <555> Sphinx und besoldet seine eignen Ödipusse, wie frühere Könige von Frankreich ihre eignen Hofnarren besoldeten. Fazy warf sich in den Tuilerien zwischen die Schweiz und die Sphinx. John Perrier, wie gesagt, war sein Reisebegleiter. Dieser John ist der Schatten seines James, tut alles was dieser will, nichts was dieser nicht will, lebt durch ihn und für ihn, ist durch ihn Genfer Großrat geworden, präpariert alle Feste und Toaste für ihn, sein Leporello und sein Fialin. Beide kehrten nach Genf zurück, unverrichtetersache, soweit die Lage der Schweiz, mit überraschendem Erfolg, soweit Fazys eigene Stellung bedroht war. Fazy donnerte öffentlich, daß ihm nun die Schuppen von den Augen gefallen und er künftig den Louis Bonaparte ganz so hassen werde, wie er ihn bisher geliebt habe. Sonderbare Liebe, diese neunjährige Liebe des Republikaners Fazy für den Mörder zweier Republiken! Fazy spielte den enttäuschten Patrioten mit solcher Virtuosität, daß ganz Genf in Fazy-Enthusiasmus schwamm und der Verlust der Fazyschen Illusionen fast noch tiefer empfunden ward als der Verlust der neutralisierten Provinzen. Selbst Theodore de Saussure, sein vieljähriger Gegner, der Chef der aristokratischen Oppositionspartei, gestand die Unmöglichkeit, länger am Schweizer Patriotismus des James Fazy zu zweifeln.

Nach Entgegennahme der so wohlverdienten Volksovationen eilte der Tyrann von Genf zum Nationalrat in Bern. Kurz nach seiner Abreise unternahm sein Getreuer, sein Pariser Reisegefährte, kurz sein eigner John Perrier, eine Argonautenfahrt ganz eigner Art. Eine Bande von Genfer Trunkenbolden (so wurden sie wenigstens in der London "Times" bezeichnet), auserkiest aus der Gesellschaft der "Fruitiers", Fazys demokratischer Leibgarde, segelte unter Perriers Leitung waffenlos nach Thonon, um auf diesem Punkte des neutralisierten Gebiets eine antifranzösische Demonstration zu machen. Worin diese Demonstration bestand oder bestehn sollte, ob die Argonauten ein goldnes Fell zu erobern oder ihr eignes Fell zu Markt zu tragen, kann bis zu diesem Augenblick niemand sagen, da kein Orpheus Perriers Argonautenfahrt begleitet und kein Apollonius sie besungen hat. Es handelt sich, scheint es, um eine Art symbolischer Besitzergreifung des neutralisierten Gebiets durch die von John Perrier und seiner Bande repräsentierte Schweiz. Die wirkliche Schweiz bekam nun jedenfalls die Hände so vollauf zu tun mit Entschuldigungsdiplomatie und Loyalitätserklärungen und Indignationsbezeigungen von wegen John Perriers symbolischer Besitzergreifung Thonons, daß Louis Bonaparte in der Tat noch großmütig erschien, als er sich nur mit der wirklichen Besetzung Thonons und des übrigen neutralisierten Gebiets begnügte.

<556> John Perrier, in dessen Taschen sich einige 1.000 Frs. vorfanden, wurde zu Genf verhaftet. Der Vizestaatskanzler und Redakteur der "Revue de Genève", Herr Ducommun, ein junger Mann ohne Privatvermögen und in beiden vorgenannten Stellungen vom Staatsratspräsidenten und Revuebesitzer James Fazy abhängig, wurde auf Perriers Aussage ebenfalls verhaftet. Er gestand, dem Perrier das Geld gegeben zu haben, das einer zur Errichtung eines Freikorps errichteten Kasse entnommen sei - einer Kasse, deren Existenz bisher den Genfer Radikalen unbekannt geblieben war. Die gerichtliche Untersuchung endete mit der Entlassung, erst Ducommuns, dann Perriers.

Am 24. März wurden Nizza und Savoyen samt dem neutralisierten Gebiet von Viktor Emanuel offiziell an Bonaparte abgetreten. Am 29./30. März unternahm der von Paris mit Fazy nach Genf zurückgekehrte John Perrier seine Argonautenfahrt, eine burleske Demonstration, die grade im entscheidenden Augenblick jede ernsthafte Demonstration vereitelte. James Fazy versicherte zu Bern, daß "er um den Vorfall durchaus nichts wisse"(5). Laity renommierte im exneutralen Gebiet, hätten die Schweizer dort tatsächlich zugegriffen, so würde sein Kaiser sofort 3 Divisionen in Genf haben einrücken lassen. Vogt endlich war dem Geheimnis der Argonautenfahrt wildfremd, denn wenige Tage bevor sie stattfand, denunzierte er der Genfer Polizei prophylaktisch eine von Genf aus an der savoy'schen Grenze herbeizuführende Kollision - jedoch mit falscher Spürung. Es liegt mir hierüber <557> der Brief eines in Genf lebenden Flüchtlings, früher mit Vogt befreundet, an einen zu London lebenden Flüchtling vor. Darin heißt es u.a.:

"Vogt verbreitete, ich kugle unaufhörlich zwischen der Westschweiz und Savoyen umher, um eine Revolution zum Nachteil der Schweiz und zugunsten schweizerfeindlicher Mächte anzuzetteln. Dies war nur einige Tage vor dem Attentat Perriers, um das Vogt sicherlich wußte, ich aber so wenig als Sie. Offenbar suchte er die Spur auf mich zu lenken und mich zu verderben. Glücklicherweise denunzierte er mich auch dem Polizeidirektor Duy, der mich rufen ließ und nicht wenig überrascht wurde, als ich ihn gleich bei der ersten Anfrage lachend unterbrach: 'Aha! Die bekannte Vogtsche Intrige!' Er ließ sich nun Näheres über mein Verhältnis zu Vogt mitteilen. Meine Aussage wurde gleichzeitig unterstützt von einem Regierungssekretär, Mitglied der Helvetia, welcher des andern Tags nach Bern zur Zentralversammlung reiste und hier dem Bruder Vogts mißfällige Äußerungen über das Gebaren Karls machte, worauf Gustav lakonisch erwiderte: Er habe schon längst aus dessen Briefen gemerkt, wie es mit seiner Politik stehe."

Wenn zuerst Schweigen und Ableugnen und Vertrauenspredigt in Louis Bonaparte der Schweiz die Gefahr aus den Augen rücken, wenn das spätere Geschrei über die beabsichtigte Einverleibung von Faucigny, Chablais und des Genevois in die Schweiz die Annexation Savoyens an Frankreich popularisieren, endlich die Burleske von Thonon jeden ernsten Widerstand brechen sollte, mußten, dem Pariser Programm gemäß, die nun wirklich erfolgte Annexation und die unleugbar gewordene Gefahr selbst in letzter Instanz als Motive für die freiwillige Waffenstreckung der Schweiz, d.h. ihre Allianz mit dem Dezemberreiche geltend gemacht werden.

Die Aufgabe war so delikat, daß nur James Fazy selbst ihre Lösung einleiten konnte. Sein Diener Vogt durfte vor einer Allianz mit dem Osten warnen, aber nur Fazy selbst konnte eine Allianz mit dem Westen bevorworten. Er deutete die Notwendigkeit derselben zuerst an in der "Revue de Genève". Am 18. April 1860 zirkulierte zu Genf ein Auszug aus einem Londoner Brief, worin es u.a. hieß:

"Empfehlen Sie unsern einflußreichen Mitbürgern, gegen die Ratschläge J. Fazys auf der Hut zu sein, welche derselbe der Schweiz geben könnte, ihre Neutralität aufzugeben. Es ist sehr wahrscheinlich, daß dieser Rat von der französischen Regierung selbst ausgeht, deren dienstfertiger Agent James Fazy bis auf diesen Tag gewesen ist ... Er nimmt jetzt die Haltung eines guten Schweizers an, der den Absichten Frankreichs entgegenarbeitet, aber eine stets gut unterrichtete Person versichert mich, daß dies eine Schlinge ist. Sobald die Schweiz erklärt haben wird, daß sie nicht mehr neutral bleiben wolle noch könne, wird die französische Regierung davon Akt nehmen und sie zu einer Allianz wie zur Zeit des ersten Kaisertums zwingen."

<558> Fazy ließ darauf in der "Revue de Genève" erwidern:

"An dem Tage, wo Savoyen mit Frankreich vereinigt sein wird, hört die Neutralität der Schweiz von selbst auf, und ein solcher Rat Fazys wäre somit überflüssig."

Drei Monate später, am 10. Juli, hielt James Fazy eine Rede im Schweizer Nationalrat, die

"unter Fluchen und Toben, mit geballter Faust gegen die bonapartistischen Geldmänner und Bundesbarone - er denunzierte sie als le gouvernement souterrain <unterirdische Regierung> - ins bonapartistische Lager marschierte". <So in der Erstausgabe>

Die Zürcher-Waadtländische, offiziell-französische Partei, obgleich scheinbar am gröbsten angegriffen, ließ ihn daher ruhig poltern.

"Europa, besonders Deutschland, habe die Schweiz verlassen. Die Neutralität ist dadurch unmöglich geworden; die Schweiz muß Allianzen suchen, aber wo?"

Der alte Demagog murmelt dann etwas

"vom nahen, nahverwandten Frankreich, welches sein Unrecht einmal einsehn und wiedergutmachen werde und vielleicht auch noch Republik werden könne usw. Aber die Geldmänner und Bundesbarone, die sich überlebt haben, dürfen die neue Politik nicht inaugurieren, die Helvetia, das Volk muß es tun: Wartet nur, die nächsten Wahlen werden euch Mores lehren. Die eidgenössischen Truppen sind in Genf äußerst willkommen. Soll jedoch ihre Anwesenheit den geringsten Zweifel in das gegenwärtige Genfer Regiment ausdrücken, dann fort damit. Genf hilft und schützt sich selbst."

Am 10. Juli also führte James Fasy in dem Nationalrat aus, was er in der "Revue de Genève" vom 18. April angedeutet hatte - "die neue Politik", Allianz der Schweiz mit Frankreich, d.h. Annexation der Schweiz an den Dezember. Wohlunterrichtete Schweizer hielten dies Lüften der antibonapartistischen Maske, die Fazy seit seiner Rückkehr von den Tuilerien trug, für verfrüht. Indes besitzt grade Fazy eine fast an Palmerston erinnernde Virtuosität in der Kunst der berechneten Indiskretion.

Die anrüchigsten Repräsentanten des "gouvernement souterrain" beantragten bekanntlich im Nationalrat ein Tadelsvotum gegen Stämpfli, weil er als Bundespräsident die Situation begriffen und einen Augenblick den richtigen Entschluß gefaßt hatte, das neutralisierte Gebiet durch eidgenössische Truppen gegen französische Verletzung zu sichern. Das Tadelsvotum ward mit ungeheurer Stimmenmajorität verworfen, aber Vogts Stimme fehlte.

<559> "Sehr charakteristisch", schrieb man mir damals aus der Schweiz, "für Karl Vogt ist dessen Fehlen bei der Verhandlung im schweizerischen Ständerat, betreffend das Tadelsvotum gegen den Bundespräsidenten Stämpfli. Als Vertreter des von Bonaparte bedrohten Kantons Genf mußte Vogt notgedrungen für dessen energischen Verteidiger Stämpfli stimmen. Außerdem ist er demselben persönlich befreundet und zum Dank verpflichtet. Der Vater Vogts und zwei Brüder desselben verdienen ihr Brot als Angestellte des Kantons Bern; einem dritten Bruder hat Stämpfli erst unlängst zum einträglichen Posten eines eidgenössischen Oberstatistikers verholfen. Folglich war es nicht wohl möglich, bei einer Abstimmung mit Namensaufruf gegen den Freund, Wohltäter und Volksmann aufzutreten. Dagegen konnte der Plon-Plonist noch weniger öffentlich eine Politik gutheißen, welche die Aggressionen des Bonapartismus auf Tod und Leben bekämpft. Darum Ausreißen und Kopfverstecken, wobei jedoch der breite Hintern sichtbar bleibt und Schläge kriegt, das gewöhnliche Stratagem und die irdische Bestimmung des modernen Falstaff."

Das von den Tuilerien ausgeteilte, von James Fazy in der "Revue de Genève", von seinem Diener Vogt im Bieler "Commis voyageur", in den "Studien", im "Hauptbuch" usw. so laut wiederholte Stichwort des "Östreichertums" schlug endlich auf die Schweiz selbst zurück. Ungefähr Mitte April erschien an allen Wällen Mailands ein Plakat: "Streit zwischen Napoleon und der Schweiz". Es hieß darin:

"Savoyen schien der Schweiz ein appetitlicher Brocken zu sein, und sie beeilte sich, von Östreich gestachelt, in einer Sache den Plänen Napoleons III. in den Weg zu treten, die nur eine Sache Italiens und Frankreichs ist ... England und die nordischen Großmächte, Östreich ausgenommen, widersetzen sich der Einverleibung Savoyens nicht im geringsten, nur die Schweiz, gehetzt von Östreich, welches in allen verbündeten Staaten Sardiniens Unruhe und Aufruhr zu stiften trachtet, legte einzig ihr Veto ein ... Die Schweiz ist ein anormaler Staat, der dem Andrang des großen Nationalitätsprinzips nicht lange widerstehn kann. Deutsche, Franzosen, Italiener sind nicht fähig, sich den nämlichen Gesetzen zu fügen, Wenn die Schweiz dies weiß, so denke sie daran, daß im Kanton Tessin die Sprache der Foscolo und Ciusti gesprochen wird, so vergesse sie nicht, daß ein großer Teil von ihr der großen und großmütigen Nation angehört, welche sich Franzosen nennt."

Die Schweiz, scheint es, ist überhaupt eine östreichische Erfindung.

Während Vogt selbst so eifrig bemüht war, die Schweiz aus den Klauen Östreichs zu retten, betraute er einen seiner treutesten Mitstrolche, den schwatzschweifigen Schwaben Karl Mayer aus Eßlingen, Rumpfparlamentler, Gerngroß, dermalen Besitzer einer Bijouterie-Fabrik, mit der Rettung Deutschlands. Bei der Fahnenweihe des Neuenburger deutschen Arbeitervereins, gefeiert in der Krone zu St. Blaise, forderte der Festredner, Rumpfparlamentler und Bijoutier Karl Mayer aus Eßlingen, Deutschland auf,

<560> "die Franzosen nur über den Rhein zu lassen, weil es sonst niemals in Deutschland besser werden könne".

Zwei Deputierte des Genfer Arbeitervereins, nach Neujahr (1860) von der Fahnenweihe zurückkehrend, berichteten diesen Vorfall. Nachdem ihr Bericht durch die Deputierten mehrerer andrer westschweizerischer Vereine bestätigt worden, erließ der Genfer Vorort ein Rundschreiben zur allgemeinen Warnung gegen bonapartistische Umtriebe unter den deutschen Arbeitern in der Schweiz.

"Nach einer Erinnerung" - ich zitiere aus einer mir vorliegenden Denkschrift - "an das Erste Kaiserreich, wo auch schon einzelne Deutsche die napoleonische Weltherrschaft zu fördern suchten, in der guten Meinung, der Koloß werde den Sturz seines Trägers nicht überleben und dann werde unter den auseinanderfallenden Provinzen des Frankenreiches doch wenigstens auch ein einheitliches Deutschland sein, welches sodann die Freiheit um so leichter erringen könne: wurde es eine politische Quacksalberei genannt, einem lebenden Körper alles Blut abzuzapfen, um es auf das tolle Wunder ankommen zu lassen, daß ihm wieder gesunderes Blut nachwachse; außerdem wurde getadelt, einem großen Volk die Kraft der Selbsthilfe, das Recht der Selbstbestimmung gradezu abzusprechen, endlich wurde bemerkt, der erwartete Messias Deutschlands habe ja eben erst in Italien gezeigt, was er unter Nationalitätsbefreiung verstehe usw. usw. Das Rundschreiben wandte sich, wie es sagte, nur an solche Deutsche, welche zu gutem Zwecke das unrechte Mittel wählten, lehnte es dagegen ab, sich einzulassen mit gekauften Publizisten und ehrgeizigen Cidevants."

Gleichzeitig geißelten die "Aargauer Nachrichten", Organ der Helvetia

"die Logik, man müsse den Igel in die Maulwurfshöhle lassen, um ihn besser packen und wieder herauswerfen zu können, nach welcher saubern Logik man eben auch die Ephialtesse gewahren lassen müsse, damit Leonidasse entstehen könnten. Ein gewisser Professor sei der auf den Kopf gestellte Herzog Ulrich von Württemberg, der die Heimkehr aus dem Exil vermittelst des Bundschuhes versuchte, nachdem der Reiterstiefel nichts mehr von ihm wissen wollte; derselbige Professor aber habe es mit dem Schuh verdorben und binde deshalb mit dem Stiefel an usw."

Die Wichtigkeit dieser Denunziation gegen den Herrn Professor Vogt bestand darin, daß sie in einem Organ der Helvetia erschien. Zum Ersatz gleichsam fand er desto günstigere Aufnahme in der "Espérance", ein Journal, das 1859 zu Genf in großem Format und mit großem Kostenaufwand von der französischen Staatskasse gestiftet ward. Es war die Aufgabe der "Espérance", die Annexation Savoyens und der Rheinlande im besondren, Louis Bonapartes messianischen Nationalitätsbefreiungsberuf im allgemeinen zu predigen. Es ist in ganz Genf bekannt, daß Vogt ein habitué <561> auf dem Redaktionsbüro der "Espérance" und einer ihrer tätigsten Mitarbeiter war. Mir selbst sind Details zugegangen, die die Tatsache außer Frage stellen. Was Vogt in seinen "Studien" andeutet, was er durch seinen Mitstrolch, den schwatzschweifigen Schwaben, Rumpfparlamentler und Bijoutier Karl Mayer aus Eßlingen zu Neuenburg offen verkünden ließ, findet sich weiterentwickelt in der "Espérance". So heißt es z.B. in ihrer Nummer vom 25. März 1860:

"Wenn die einzige Hoffnung der deutschen Patrioten auf einen Krieg mit Frankreich gegründet ist, welchen Grund können sie haben, die Regierung jenes Landes schwächen und es an der Bildung seiner natürlichen Grenzen verhindern zu wollen? Oder wäre etwa das Volk in Deutschland weit entfernt, diesen Haß gegen Frankreich zu teilen? Wie dem auch sei, es gibt sehr aufrichtige deutsche Patrioten, und namentlich unter den fortgeschrittensten deutschen Demokraten" (namentlich der Reichs-Vogt, das Ranickel, Karl Mayer aus Eßlingen und tutti quanti), die kein großes Unglück in dem Verlust des linken Rheinufers erblicken, die umgekehrt überzeugt sind, daß nur nach diesem Verlust das politische Leben Deutschlands beginnen wird, eines wiedergebornen Deutschlands, gestützt auf die Allianz und aufgehend in die Zivilisation des europäischen Westens."(6)

So genau von Vogt über die Ansichten der fortgeschrittensten deutschen Demokratie unterrichtet, erklärt die "Espérance" in einem Leitartikel vom 30. Mai,

"ein Plebiszit am linken Rheinufer werde bald zeigen, daß alles daselbst französisch gesinnt sei".

Der "Postheiri", ein Schweizer Witzblatt, schüttete jetzt schlechte Späße auf die "Espérance", den "siechen Gaul", der hinter den leichten Lorbeeren von Bacchus Plon-Plon nun auch noch "den schweren Ranzen" seines Silens in der Kruppe tragen müsse.

Mit welcher Präzision die dezembristischen Preßmanöver ausgeführt werden, ersieht man aus vorliegendem Fall. Am 30. Mai ließ die "Espérance" <562> zu Genf das linke Rheinufer durch Plebiszit dem Dezember verfallen; am 31. Mai eröffnete Louis Jourdan im "Siècle" zu Paris die Rheinannexationslaufgräben, und Anfang Juni protzte der "Propagateur du Nord et du Pas-de Calais" sein grobes Geschütz auf Belgien ab. Kurz vor dem Genfer Mundstück hatte Edmond About in der "Opinion nationale" erklärt, die Vergrößerung Sardiniens habe den Kaiser gezwungen, "de prendre la Savoie ... c.-à.-d. nous fermons notre porte" <"Savoyen zu nehmen ... mit anderen Worten, wir schließen unser Tor">, und, fährt er fort, sollten die Unionsbestrebungen in Deutschland zu einer ähnlichen Vergrößerung Preußens führen, "alors nous aurions à veiller notre sûrete, à prendre la rive gauche du Rhin, c.-h.-d. nous fermerions notre porte" <dann hätten wir über unsere Sicherheit zu wachen, das linke Rheinufer zu nehmen, mit anderen Worten, wir würden unser Tor schließen">. Diesem leichtfertigen Torschließer folgte auf dem Fuße nach das schwerwandelnde Hornvieh, der AA-Korrespondent der "Indépendance Belge", eine Art Joseph Prudhomme und Spezialpythia der in den Tuilerien angesiedelten "Providence". Die "Espérance" unterdes trieb ihre eigentümliche Begeisterung für deutsche Einheit und ihre entrüstete Denunziation der Östreich verfallnen deutschen Antidezembristen zu einer so schwindelnden Höhe, daß James Fazy, der gewisse diplomatische Rücksichten beobachten muß und zudem im Begriff stand, seine "Revue de Genève" in die "Nation suisse" zu verwandeln, mit großmütiger Herablassung durch die "Revue" zu erklären geruhte, man könne dem Bonapartismus entgegentreten, ohne ein Östreicher zu sein.

Karl Vogt, deutscher Dâ-Dâ, Inhaber eines dezembristischen Werbebüros für die deutsche Presse, Fazys Unteragent, "angenehmer Gesellschafter" im Palais Royal, Plon-Plons Falstaff, "Freund" Ranickels, Souffleur des Bieler "Commis voyageur", Mitarbeiter der "Espérance", Protégé von Edmond About, Sänger der "Lausiade" - hatte indes noch eine Stufe tiefer zu sinken. Zu Paris, vor den Augen der Welt, in der "Revue contemporaine", sollte er erscheinen Arm in Arm mit Monsieur Edouard Simon. Sehn wir einen Augenblick, was die "Revue contemporaine" und wer Monsieur Edouard Simon ist.

Die "Revue contemporaine" war ursprünglich die offizielle dezembristische Revue im scharfen Gegensatz zur "Revue des deux Mondes", in welcher die eleganten Federn schrieben, die Leute des "Journal des Débats", Orleanisten, Fusionisten, namentlich auch Professoren vom Collège de France und Membres de l'Institut. Da man letzteres offizielle Personal der "Revue contemporaine" nicht direkt zukommandieren konnte, <563> versuchte man es der "Revue des deux Mondes" abzukommandieren und so auf einem Umweg für die dezembristische "Revue" zu pressen. Der Coup hatte jedoch keinen rechten Erfolg. Die Eigentümer der "Revue contemporaine" fanden es sogar untulich, mit dem von Herrn La Guéronnière ihnen aufoktroyierten Redaktionskomitee Geschäfte zu machen. Da der Bauchredner der Tuilerien nun Mundstücke verschiedner Stimmung bedarf, ward die "Revue contemporaine" in die offiziöse Revue verwandelt, dagegen die "Revue européenne" mit La Guéronnières oktroyiertem Redaktionskomitee als offizielle Revue bestallt.

Nun zu Monsieur Edouard Simon, von Natur ein rheinpreußischer Jude namens Eduard Simon, der jedoch die komischsten Grimassen schneidet, um als Franzose von Fach zu gelten, nur daß sein Stil jeden Augenblick den ins Französische übersetzten rheinpreußischen Juden verrät. Kurz nach der Schillerfeier (November 1859) traf ich bei einem Londoner Bekannten einen jahrelang zu Paris ansässigen, höchst respektablen Kaufmann, der ausführlich über die Pariser Schillerfeier, Schillergesellschaften usw. berichtete. Ich unterbrach ihn mit der Frage, wie deutsche Gesellschaften und Versammlungen sich zu Paris mit der dezembristischen Polizei abfinden. Er antwortete mit humoristischem Schmunzeln:

"Natürlich keine Versammlung ohne Mouchard und kein Verein ohne Mouchard. Zur Vermeidung aller Weitläufigkeiten befolgen wir also ein für allemal die einfache Taktik - probatum est <das hat sich bewährt>-, einen bekannten Mouchard heranzuziehn und ihn gleich ins Komitee zu wählen. Und da haben wir stets für alle solche Falle wie gefunden unsern Edouard Simon. Sie wissen, daß La Guéronnière, früher Lakai von Lamartine und Tartinesfabrikant von Émile de Girardin, jetzt die Favoritin des Kaisers ist, sein Geheimstilist, zugleich Oberzensor der französischen Presse. Edouard Simon nun ist La Guéronnière Schoßhund und", fügte er hinzu mit einer sonderbaren Verschrumpfung der Nase, "und ein sehr übelriechender Köter ist er. Edouard Simon, was Sie ihm sicher nicht verdenken werden, wollte nicht arbeiten pour le roi de Prusse <für den König von Preußen; hier: für nichts und wieder nichts>, sondern fand, daß er durch seinen Anschluß an das dezembristische System sich selbst und der Zivilisation einen unberechenbaren Dienst erweise. Er ist ein Bursche von kleinem Geist und schmierigem Charakter, aber nicht schwach in einer gewissen Sphäre untergeordneter Intrige. La Guéronnière hat seinen Edouard Simon der 'Patrie' als einen ihrer Leitartikler zukommandiert. Das bewies den Takt des Geheimstilisten. Der Besitzer, der 'Patrie', Bankier Delamarre, ist nämlich ein hochnäsiger, widerhaariger, bärenbeißiger Parvenü, der in seinem Büro niemand um sich duldet außer Kreaturen von entschieden serviler Schmiegsamkeit. Da war denn unser Edouard Simon, der trotz seines Rattengifts geschmeidig wie eine Angorakatze sein kann, so recht an seinem Platz. Die <564> 'Patrie', wie Sie wissen, war zur Zeit der Republik eins der schamlosesten Organe der Rue de Poitiers. Sie zankt seit dem Dezember mit dem 'Pays' und dem 'Constitutionnel' um die Ehre, halboffizielles Organ der Tuilerien zu sein, und macht, seit das Signal gegeben ist, bedeutend in Annexationsfieber. Sie kennen ja die Bettler, die Fallsucht auf der Straße spielen, um dem Vorübergehenden einige Sous abzuschwindeln. Die 'Patrie' genoß in der Tat die Ehre, die bevorstehende Annexation Savoyens und Nizzas zuerst anzeigen zu dürfen. Kaum war die Annexation erfolgt, als sie ihr Format vergrößerte, denn, wie Herr Delamarre naiv erklärte: 'La Savoie et le Comté de Nice ayant été annexés à la France, la conséquence naturelle est 1'agrandissement de la Patrie' <'Die Einverleibung Savoyens und der Grafschaft durch Frankreich hat zur natürlichen Folge eine Vergrößerung des Vaterlandes'>. Wer erinnert sich dabei nicht des Witzwortes des Pariser Zynikers, der auf die Frage 'Qu'est-ce que la patrie?' <Was ist das Vaterland?'> kurzweg antwortete: 'Journal du soir' <'Ein Abendblatt'>. Würden nun gar die Rheinprovinzen annexiert, welche Vergrößerung der 'Patrie' und ihres Formats und des salaire von Edouard Simon! In nationalökonomischer Hinsicht erkennt die 'Patrie' Frankreichs Heil in der Abschaffung des Tourniquet de la Bourse <der Börsenkurstafel>, wodurch die Geschäfte an der Börse und damit im ganzen Land sich wieder zur erwünschten Höhe emporschwindeln würden. Auch Edouard Simon schwärmt für die Abschaffung des Tourniquet de la Bourse. Unser Edouard Simon ist aber nicht nur Leitartikler der 'Patrie' und Schoßhund La Guéronnière. Er ist der ergebenste Freund und Zuträger des neuen Jerusalem, alias der Polizeipräfektur, namentlich des Herrn Palesirina. Kurzum, meine Herrn", schloß der Erzähler, "ein Komitee mit Herrn Edouard Simon in seinem Schoße steht dadurch allein im vollkommensten polizeilichen Geruch."

Und Herr... lachte so sonderbar schrill auf, als ob die odeur de mauvais lieu <der Geruch des verrufenen Ortes> und Monsieur Edouard Simon noch einen ganz unsagbar geheimen Zusammenhang hätten.

Herr Kinglake hat das Haus der Gemeinen auf die angenehme Verwechslung von auswärtiger Politik, Polizei und Presse aufmerksam gemacht, die die Agenten des Dezember charakterisiere. (Sitzung des House of Commons vom 12. Juli 1860.) Monsieur Edouard Simon - Vogts ruchbarer Eduard ist natürlich nicht zu verwechseln mit Vogts sanfter Kunigunde, alias Ludwig Simon von Trier (7) - Monsieur Edouard Simon, La Guéronnières Schoßhund, Delamarres Pudel, Palestrinas Spitzel und Allerweltsköter, <565> gehört offenbar, wenn nicht zur Crème, doch jedenfalls zum Limburger Käse des 10. Dezember, zu dem zweiten Zirkel, wo

"s'annida
Ipocrisia, lusinghe e chi affattura,
Falsità, ladroneccio e simonia,
Ruffian, baratti e simile lordura."
<"sich angebauet
Die Schar der Heuchler, Schmeichler, Tränkerfinder,
Der Raub, die Simonie und falsche List,
Betrüger, Kuppler und dergleichen.">

Karl Vogt hatte seinen Edouard Simon viele Wochen vor dem Erscheinen des "Hauptbuch" mit dessen Besprechung in der französischen Presse betraut. Edouard Simon stimmte für double emploi <doppelte Anstellung>. Zunächst verdolmetschte er das "Hauptbuch" privatim dem Herrn La Guéronnière und wurde dann bei dieser Gelegenheit der "Revue contemporaine" von seinem Patron zukommandiert. Vergebens stellte die Redaktion der "Revue contemporaine" das unterwürfige Gesuch, der Edouard Simon möge wenigstens anonym in ihren Spalten erscheinen. La Guéronnière war unerbittlich. Edouard Simon debütierte in der "Revue contemporaine" vom 15. Febr. 1860 mit der Anzeige seines Freundes Vogt unter dem Titel: "Un tableau de mœurs politiques de I'Allemagne. Le procès de M. Vogt avec la Gazette d'Augsbourg." (Politisches Charaktergemälde Deutschlands. Der Prozeß des Hrn. Vogt mit der "Augsburger Zeitung"), gezeichnet - Edouard Simon.

Der "Romane" Edouard Simon glaubt nicht, daß er, "um guter Franzose zu sein, Invektiven gegen die edle germanische Rasse schleudern muß" ("Revue contemporaine", l.c. p. 531), aber als "guter Franzose" und "geborner Romane" muß er wenigstens eine naturwüchsige Ignoranz über Deutsches zur Schau tragen. So unter anderm sagt er von seinem Karl Vogt: "Er war einer der drei Regenten des Eintagsreichs."(8) Monsieur Edouard Simon ahnt natürlich nicht, daß das Reich in partibus unter einer Pentarchie seufzte, und bildet sich vielmehr "als Franzose" ein, den heiligen drei Königen zu Köln hätten schon der Symmetrie halber drei parlamentarische Reichsregenten zu Stuttgart entsprochen. "Freund" Vogts Späße im "Hauptbuch" gehn "oft zu weit für den französischen Geschmack"(9). <566> Der Franzose Edouard wird dem abhelfen und "sich bemühn auszuwählen"(10). "Freund" Vogt liebt von Haus aus "die grellen Farben" und "ist nicht grade ein Feinschmecker in sprachlicher Beziehung"(11). Aber natürlich! "Freund" Vogt ist nur ein annexierter Deutscher, wie Dâ-Dâ ein annexierter Araber, während Edouard Simon ein "guter Franzose" von Haus und ein "Romane" von Race ist. Gingen Hr. Orges und Hr. Dietzel je so weit in ihrer Verleumdung der "romanischen Race"?

Monsieur Edouard Simon amüsiert seine Vorgesetzten, indem er einen der heiligen deutschen "drei" Rumpfkönige, und zwar im Einverständnis und Auftrag dieses heiligen deutschen Dreirumpfkönigs, vor dem Pariser Publikum ausstellt als freiwilligen Gefangnen hinter dem Triumphwagen des imperialistischen Quasimodo. Man sieht, sagt Edouard Simon, nach einem Zitat aus Vogts "Hauptbuch",

"man sieht, Herr Vogt kümmerte sich wenig darum, woher die Hülfe zugunsten deutscher Einheit kam, wenn sie überhaupt nur kam; das französische Kaiserreich schien ihm sogar ganz besonders geeignet, die Lösung, die er wünscht, zu beschleunigen. Vielleicht gab Herr Vogt hierin seine alten Antezedentien wohlfeilen Kaufes (?!) preis, und es mußte seinen alten Kollegen, die mit ihm auf der äußersten Linken im Frankfurter Parlament saßen, befremdend erscheinen, diesen wütenden Gegner jeder einheitlichen Gewalt, diesen glühenden Eiferer für die Anarchie, so lebhafte Sympathien für den Souverän an den Tag legen zu sehn, welcher die Anarchie in Frankreich besiegt hat."(12)

Von der un-"entschiednen" Linken versetzt Edouard den "flüchtigen Reichsregenten" auf die äußerste Linke des Frankfurter Parlaments. Aus dem Manne, der für "den erblichen deutschen Kaiser" stimmte, wird "ein wütender Gegner jeder einheitlichen Gewalt" und aus dem Zentralmärzvereinler, der um jeden Preis "Ordnung" unter den buntscheckigen Wirtshausparteien zu Frankfurt predigte, ein "glühender Eiferer für die Anarchie". Alles, um den Fang, den der 10. Dezember an dem "flüchtigen Reichs- <567> regenten" gemacht, gehörig ins Relief zu setzen. Um so kostbarer werden "die so lebhaften Sympathien", die Herr Vogt für "den Mann hegt, der die Anarchie in Frankreich besiegt hat", um so wertvoller wird seine jetzige Erkenntnis, "daß das französische Kaiserreich ganz besonders geeignet ist, die deutsche Einheit zu stiften", und um so verständlicher wird "Freund" Simons Wink mit der Heugabel, daß "Freund" Vogt "seine Antezedentien vielleicht zu wohlfeilen Kaufes (de bon marché) losgeschlagen", der Dezembermann sie also jedenfalls nicht "zu teuer" erstanden hat. Und um nicht den geringsten Zweifel höhern Orts zu lassen, daß "Freund" Vogt jetzt ganz ebenso zuverlässig ist als "Freund" Simon, erzählt Monsieur Edouard Simon schmunzelnd und die Hände reibend und mit dem linken Aug' zwinkernd, daß Vogt in seinem Ordnungsdrang "sogar, wenn er Herrn Vogt recht verstehe, den Genfer Behörden Anzeigen revolutionärer Umtriebe gemacht"(13), ganz wie Monsieur Edouard Simon den Herren Palestrina und La Guéronnière "Anzeigen" macht.

Es ist allgemein bekannt, daß About und Jourdan und Granier de Cassagnac und Boniface und Dr. Hoffmann, daß die Mönche der "Espérance", die Ritter des "Nationalités", die Blasbälge der "Opinion nationale", die Penny-a-liner der "Indépendance", des "Morning Chronicle", des "Nouvelliste Vaudois" usw., die La Guéronnière und die Simon, Stilisten, Zivilisationisten, Dezembristen, Plon-Plonisten, Dentusten und Dentisten, alle samt und sonders ihre Inspiration schöpfen aus einer und derselben erlauchten - Kasse. Nun finden wir Dâ-Dâ Vogt nicht als vereinzelten, auf eigne Faust kämpfenden Parteigänger, sondern subsidiert, eindoktriniert, einbrigadiert, einkanailliert, mit Edouard Simon nexiert, an Plon-Plon annexiert, mitgefangen und mitgehangen. Bleibt die Frage, ob Karl Vogt für seine Agentur bezahlt ist?

"Wenn ich nicht irre, heißt bestechen so viel als jemand durch Geld oder andre Vorteile zu Handlungen und Äußerungen bewegen, welche seiner Überzeugung entgegengesetzt sind." (p. 217, "Hauptb.".)

Und der Plon-Plonismus ist Vogts Überzeugung. Also selbst wenn er bar bezahlt ist, ist er in keinem Fall bestochen. Aber das Münzgepräge kann nicht mannigfaltiger sein als die Zahlungsart.

Wer weiß, ob Plon-Plon seinem Falstaff nicht die Kommandantur des Mäuseturms beim Binger Loch zugesagt hat? Oder die Ernennung zum korrespondierenden Mitglied des Institut, nachdem About in seinem "La <568> Prusse en 1860" die französischen Naturalisten bereits um die Ehre zanken läßt, gleichzeitig mit dem lebenden Vogt und dem toten Dieffenbach zu korrespondieren? Oder ob seine reichsregentschaftliche Restauration in Aussicht steht?

Ich weiß allerdings, daß der Leumund die Dinge prosaischer erklärt. So soll "mit dem Umschwung der Dinge seit 1859" ein Umschwung in den Verhältnissen des "angenehmen Gesellschafters" (kurz vorher noch das Mithaupt einer radikal aufgesessenen und in kriminelle Untersuchung verwickelten Aktiengesellschaft) eingetreten sein, was ängstliche Freunde damit wegzudeuten suchten, daß eine italienische Bergwerksaktiengesellschaft dem Vogt in Anerkennung seiner "mineralogischen" Verdienste eine bedeutende Schenkung in Aktien gemacht, die er während seines ersten Aufenthalts zu Paris versilbert habe. Aus der Schweiz und aus Frankreich haben Sachkenner, die einander ganz unbekannt sind, mir fast gleichzeitig geschrieben, daß der "angenehme Gesellschafter" eine mit gewissen Einkünften verknüpfte Oberaufsicht führe über das Landgut "La Bergerie" bei Nyon (im Waadtland), den Witwensitz, den Plon-Plon für die Iphigenie von Turin erstanden hat. Ja, ich kenne einen Brief, worin ein "Neuschweizer", noch lange nach "dem Umschwung von 1859" mit Vogt vertraut, anfangs 1860 einem Herrn "P. B. B., 78, Fenchurch Street, London" eine sehr bedeutende Summe spezifiziert, die sein Ex-Freund von der Zentralkasse zu Paris erhalten habe, nicht als Bestechung, sondern als Vorschußzahlung. Solches und Schlimmeres ist nach London gedrungen, aber ich meinerseits gebe keinen Strohhalm darum. Ich glaube vielmehr dem Vogt aufs Wort, wenn er sagt:

"Daß es keinen Menschen etwas angehe, woher ich" (Vogt) "meine Mittel nehme. Ich werde auch fernerhin fortfahren, mir die Mittel zu verschaffen zu suchen, die für die Erreichung meiner politischen Zwecke nötig sind, und ich werde sie fernerhin im Bewußtsein meiner guten Sache nehmen, woher ich sie bekommen kann" (p. 226, "Hptb."), also auch aus der Pariser Zentralkasse.

Politische Zwecke!

"Nugaris, cum tibi, Calve,
Pinguis aqualiculus propenso sesquipede extet."
<"Leeres Geschwätz verzapfst Du, Calvus,
Hängt doch der Fettwanst Dir zwei Fußbreit über der Erde.">

Gute Sache! ist wohl der deutsch-idealistische Ausdruck für das, was der grob-materialistische Engländer "the good things of this world" <"die guten Dinge dieser Welt"> nennt.

<569> Was M. D. Schaible auch immer davon halten mag, warum sollte man dem Vogt nicht aufs Wort glauben, da er in demselben "Hauptbuch" am Schluß seiner Jagdgeschichten über die Schwefelbande usw. mit gleich großer Feierlichkeit erklärt:

"Hiermit schließt dieser Abschnitt eines Stücks der Zeitgeschichte. Es sind keine leeren Träumereien, die ich vorbringe; es sind reine Tatsachen!" (p. 182, "Hauptbuch".)

Warum sollte seine Agentur nicht eben so rein sein als die im "Hauptbuch" erzählten Tatsachen?

Ich für meinen Teil glaube steif und fest, daß, im Unterschiede von allen andern schreibenden, agitierenden, politisierenden, konspirierenden, propagandierenden, renommierenden, plonplonierenden, komplottierenden und sich kompromittierenden Mitgliedern der Dezemberbande, der einzige Vogt, ganz allein und ganz ausschließlich, seinen Kaiser auffaßt als "l'homme qu'on aime pour lui-même" <"einen Mann, den man um seiner selbst willen liebt">.

"Swerz niht geloubt, der sündet", wie Wolfram von Eschenbach sagt, oder "Wer's nicht glaubt, der irrt sich", wie es im modernen Liede heißt.


Fußnoten von Marx

(1) Hartmann im Iwein läßt den Vogt, wohl auf seinen Meinungszwist mit den Berner Mutzen anspielend, dagegen sagen:

"von Bêrn mac wol heizen ich,
wand ich dâ nîht ze schaffen hân."
<"Ich kann von Bern mich nennen wohl,
hab ich auch nichts zu suchen dort.">

Dieser Hartmann jedoch nicht zu verwechseln mit Vogts Freund, dem lyrisch-parlamentarischen Weichtier gleichen Namens. <=

(2) Vogt sollte, wie er erzählt, schon 1852 eine Entdeckungsreise (Bacchuszug?) mit Plon-Plon antreten, dem ein "Proudhonist" ihn wegen seiner "mais do que promettia a forqa humana" <"mehr als menschliche Kraft versprach"> ("staunenerregenden naturgeschichtlichen Untersuchungen") mit Begeistrung anempfohlen hatte. ("Hauptb.", Dokumente, p.24.) <=

(3) "On se partage déjà les places ... de la Savoie dans les antichambres de l'Elysée. Ses journaux plaisantent même assez agréablement là-dessus." <=

(4) "Peut-être le citoyen Thurgovien que nous avons si bien défendu contre les menaces de Louis-Philippe, nous fera-t-il la grâce de vouloir bien se constituer comme médiateur, et reprendre de nous Genève." <"Vielleicht erweist uns der Bürger von Thurgau, den wir gegen die Drohungen Louis-Philippes so gut verteidigt haben, die Gnade, sich gütigst als Vermittler aufzutun und uns Genf wieder wegzunehmen."> ("Revue de Genève" vom 6. Dezember 1851.) <=

(5) Das Bewußtsein, daß Genf seit der Annexation Nordsavoyens französische Enklave geworden, nicht minder die französische Befestigung des Hafens von Thonon, haben bekanntlich in letzterer Zeit die antidezembristische Stimmung der alten Republik in hohem Grade aufgestachelt. Die echten Ausbrüche dieser Volksstimmung sind jedoch begleitet von falschen, die auf Pariser Bestellung und zum Teil von französischem Polizeipersonal selbst aufgeführt werden. So lesen wir z.B. in der "Saturday Review" vom 22. Septbr. 1860: "Eine Partie s.g. Schweizer überließ sich zu Thonon groben Insulten gegen das Empire, als ein stümpernder Gensd'arm, im Übermaß offiziellen Eifers, Hand auf die s.g. Schweizer legte und auf Einsicht ihrer Pässe bestand. Die Schweizer wiesen sich als Franzosen aus, deren Papiere vollkommen en règle <in Ordnung> waren ... Die bedenklichste Tatsache mit Bezug auf diese künstlichen Kollisionen ist, daß in einer der frühsten und schlimmsten ein enger Anhänger Fazys" (Freund Perrier) "auffallend verwickelt war." ("The gravest fact relating to these artificial collisions is, that in one of the earliest and the worst of them a close adherent of Mr. Fazy was prominently implicated.") <=

(6) "Si la seule espérance des patriotes allemands est fondée sur une guerre avec la France, quelle raison peuvent-ils avoir de chercher à affaiblir le gouvernement de ce pays et l'empêcher de former ses frontières naturelles? Serait-il que le peuple en Allemagne est loin de partager cette haine de la France? Quoi qu'il en soit, il y a des patriotes allemands très sincères, et notamment parmi les démocrates les plus avancés, qui ne voient pas grand malheur dans la perte de la rive gauche du Rhin, qui sont, au contraire, convaincus que c'est après cette perte seulement que commencera la vie politique d'une Allemagne régénérée, appuyée sur l'alliance et se confondant avec la civilisation de l'Occident européen." ("L'Espérance", 25 Mars 1860.) <=

(7) Durch die Vermittlung der sanften Kunigunde wurde einiges Vogtsche gegen mich in ein Winkelblättchen meiner Vaterstadt Trier befördert, wo u.a. von meiner "fleischlichen Vermischung" mit der "Allgemeinen" die Rede ist. Welche Ideenassoziation für die keusche Kunigunde! Very shocking, indeed! <=

(8) "Il fut un des trois régents de l'empire éphemère." (l. c. p. 518.) <=

(9) "Il dépasserait le but au goût des Français." (l.c. p. 519.) <=

(10) "Nous nous efforcerons de choisir." (l.c.) <=

(11) "M. Vogt aime beaucoup les couleurs tranchantes, et il n'est pas précisément un gourmet en matière de language." (l.c. p. 530.) <=

(12) "On le voit, M. Vogt se souciait peu d'ou vint le secours en faveur de l'unité allemande, pourvu qu'il vint; l'empire français lui semblait même singulièrement propre à hâter le dénouement qu'il désire. Peut-être en cela M. Vogt faisait-il bon marché de ses antécédents, et il dut paraître étrange, à ces anciens collègues qui siégeaient avec lui a l'extrême gauche dans le Parlement de Francfort, de voir ce fougueux antagoniste de tout pouvoir unique, ce fervent zélateur de l'anarchie manifester de si vives sympathies envers le souzerain qui l'a vaincue en France." (l.c. p. 518.) <=

(13) "Si nous l'avons bien compris, il a même appelé l'attention des autorités de Genève sur ces menées." (l.c. p. 529.) <=