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Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 6, S. 503-506
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1959

[Die standrechtliche Beseitigung der "Neuen Rheinischen Zeitung"]

["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 301 vom 19. Mai 1849]

<503> *Köln, 18. Mai. Vor einiger Zeit wurde von Berlin aus an eine hiesige Behörde die Forderung gestellt, abermals den Belagerungszustand über Köln zu verhängen. Man bezweckte die standrechtliche Beseitigung der "Neuen Rheinischen Zeitung", aber man stieß auf unerwarteten Widerstand. Später wandte sich die Kölnische Regierung an das hiesige Parquet, um denselben Zweck durch willkürliche Verhaftungen zu erreichen. Sie scheiterte an dem juristischen Bedenken des Parquet, wie sie schon zweimal an dem gesunden Menschenverstand der rheinischen Geschwornen gescheitert war. Es blieb nichts andres übrig, als zu einer Polizeifinte seine Zuflucht zu nehmen, und man hat für den Augenblick seinen Zweck erreicht. Die "Neue Rheinische Zeitung" hört einstweilen auf zu erscheinen. Am 16. Mai wurde ihrem Redakteur en chef Karl Marx folgender Regierungswisch mitgeteilt:

"In ihren neuesten Stücken (!) tritt die 'N[eue] Rh[einische] Z[eitung]' mit der Aufreizung zur Verachtung der bestehenden Regierung, zum gewaltsamen Umsturz und zur Einführung der sozialen Republik immer entschiedener hervor. Es ist daher ihrem Redakteur en chef, dem Dr Karl Marx, das Gastrecht (!), welches er so schmählich verletzt, zu entziehen, und da derselbe ein Erlaubnis zum ferneren Aufenthalt in den hiesigen Staaten nicht erlangt hat, ihm aufzugeben, dieselben binnen 24 Stunden zu verlassen. Sollte er der an ihn ergehenden Aufforderung nicht freiwillig Genüge leisten, so ist derselbe zwangsweise über die Grenze zu bringen.

Köln, den 11. Mai 1849

Königl. Regierung
Moeller

An den Königl. Polizeidirektor Herrn Geiger, hier"

<504> Wozu diese albernen Phrasen, diese offiziellen Lügen!

Die neuesten Stücke der "N[euen] Rh[einischen] Z[eitung]" unterscheiden sich in Tendenz und Sprache um kein Jota von ihrem ersten "Probestück". In diesem "ersten Stück" hieß es unter anderm:

"Das Projekt des Herrn Hüser (in Mainz) ist nur ein Teil des großen Plans der Berliner Reaktion, die danach strebt, ... uns wehrlos der ... Armee in die Hände zu liefern." <Siehe "Hüser">

Eh bien, messieurs, qu'en dites vous maintenant? <Nun, meine Herren, was sagen Sie jetzt?>

Was unsre Tendenz betrifft, war sie der Regierung unbekannt? Haben wir nicht vor den Geschwornen erklärt, es sei jetzt "die Aufgabe der Presse, alle Grundlagen des Bestehenden zu unterwühlen"? <Siehe "Der erste Preßprozeß gegen die "Neue Rheinische Zeitung", S. 234>Was speziell den Hohenzollernschen Unterknäs betrifft, lest die Nummer vom 19. Oktober 1848, wo es heißt:

"Der König ist konsequent. Er würde immer konsequent gewesen sein, wenn nicht leider die Märztage jenes verhängnisvolle Stück Papier zwischen Sr. Majestät und das Volk geschoben hätten. Se. Majestät scheinen wieder in diesem Augenblicke, wie vor den Märztagen, an die 'eisernen Füße' des Slawentums zu glauben, und das Volk zu Wien ist vielleicht der Zaubrer, der das Eisen in Ton verwandeln wird." <Siehe Band 5, S. 430>

Est-ce clair, messieurs? <Ist das klar, meine Herren?>

Und die "soziale Republik", haben wir sie erst in den "neuesten Stücken" der "Neuen Rheinischen Zeitung" proklamiert?

Für die Schwachsinnigen, die in unsrer ganzen Beurteilungs- und Darstellungsweise der europäischen Bewegung den "roten" Faden - sich nicht durchschlingen sahen, haben wir für sie nicht in offnen, unverkennbaren Worten gesprochen?

"Gesetzt", heißt es in der Nummer der "N[euen] Rh[einischen] Z[ei]t[un]g" vom 7. November, "gesetzt, die Kontrerevolution lebte in ganz Europa durch die Waffen, sie würde in ganz Europa sterben durch das Geld. Das Fatum, das den Sieg kassieren würde, wäre der europäische - Bankerutt, der Staatsbankerutt. An den 'ökonomischen' Pointen brechen die Spitzen der Bajonette wie mürber Zunder. Aber die Entwicklung wartet den Verfalltag jener Wechsel nicht ab, die die europäischen Staaten auf die neue europäische Gesellschaft gezogen haben.

In Paris wird der vernichtende Gegenschlag der Junirevolution geschlagen <505> werden Mit dem Siege der 'roten' Republik zu Paris werden die Armeen aus dem Innern der Länder an und über die Grenzen ausgespien werden, und die wirkliche Macht der ringenden Parteien wird sich rein herausstellen. Dann werden wir uns erinnern an den Juni, an den Oktober, und auch wir werden rufen:

Vae Victis! <Wehe den Besiegten>

Die resultatlosen Metzeleien seit den Juni- und Oktobertagen, das langweilige Opferfest seit Februar und März, der Kannibalismus der Kontrerevolution selbst wird die Völker überzeugen, daß es nur ein Mittel gibt, die mörderischen Todeswehn der alten Gesellschaft, die blutigen Geburtswehn der neuen Gesellschaft abzukürzen, zu vereinfachen, zu konzentrieren, nur ein Mittel - den revolutionären Terrorismus." <Siehe Band 5, S. 457>

Est-ce elair, messieurs?

Wir haben es von Anfang an für überflüssig gehalten, unsere Ansicht zu verheimlichen. In einer Polemik mit dem hiesigen Parquet riefen wir euch zu:

"Die eigentliche Opposition der N[euen] Rh[einischen] Z[eitung] beginnt erst in der trikoloren Republik." <Siehe Band 5; S. 457>

Und wir sprachen damals mit dem Parquet. Das alte Jahr 1848 resümierten wir (cfr. v. 31. Dez[ember] 1848) mit den Worten:

"Die Geschichte des preußischen Bürgertums, wie überhaupt des deutschen Bürgertums von März bis Dezember, beweist, daß in Deutschland eine rein bürgerliche Revolution und die Gründung der Bourgeoisherrschaft unter der Form der konstitutionellen Monarchie unmöglich, daß nur die feudalabsolutistische Kontrerevolution möglich ist oder die sozial-republikanische Revolution." <Siehe "Die Bourgeoisie und die Kontrerevolution", S. 124>

Brauchten wir also erst in den "letzten Stücken" der "N[euen] Rh[einischen] Z[eitung]" unverkennbar hervorzutreten mit der sozial-republikanischen Tendenz? Hattet ihr unsre Artikel über die Junirevolution nicht gelesen, und war die Seele der Junirevolution nicht die Seele unsrer Zeitung?

Wozu also eure heuchlerischen, nach einem unmöglichen Vorwand haschenden Phrasen?

Wir sind rücksichtslos, wir verlangen keine Rücksicht von euch. Wenn die Reihe an uns kömmt, wir werden den Terrorismus nicht beschönigen. Aber die royalistischen Terroristen, die Terroristen von Gottes- und Rechts-Gnaden, in der Praxis sind sie brutal, verächtlich, gemein, in der Theorie feig, versteckt, doppelzüngig, in beiden Bezienungen ehrlos.

<506> Der preußische Regierungswisch ist albern genug, von einem durch den Redakteur en chef der "N[euen] Rh[einischen] Z(eitung]" Karl Marx "schmählich verletzten Gastrecht" zu sprechen.

Das Gastrecht, welches die frechen Eindringlinge, die Vorder-Russen (Borussen) uns Rheinländern auf unserm eigenen Grund und Boden oktroyiert haben, ist allerdings "schmählich" durch die "N[eue] Rh[einische] Z[eitung]" verletzt worden. Wir glauben, uns damit den Dank der Rheinprovinz verdient zu haben. Wir haben die revolutionäre Ehre unsers heimischen Bodens gerettet. Künftig wird nur noch die "Neue Preußische Zeitung" volles Bürgerrecht in der Rheinprovinz genießen.

Beim Abschiede rufen wir unsern Lesern die Worte unserer ersten Januarnummer ins Gedächtnis:

"Revolutionäre Erhebung der französischen Arbeiterklasse, Weltkrieg -

das ist die Inhaltsanzeige des Jahres 1849." <Siehe "Die revolutionäre Bewegung", S. 150>

Und schon steht eine aus Kämpfern aller Nationalitäten gemischte Revolutionsarmee im Osten dem in der russischen Armee vertretenen und koalitionierten alten Europa gegenüber, schon droht von Paris aus die "rote Republik"!

Geschrieben von Karl Marx