Camphausen | Inhalt | Der Prozeß gegen den Rheinischen Kreisausschuß der Demokraten

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 6, S. 223-239
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1959

Der erste Preßprozeß der "Neuen Rheinischen Zeitung"

["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 221 vom 14. Februar 1849]

[Verteidigungsrede von Karl Marx]

<223> Meine Herren Geschwornen! Die heutige Prozedur hat eine gewisse Wichtigkeit, weil die von der Anklage gegen die "N[eue] Rh[einische] Z[eitung]" bezogenen Art[ikel] 222 und 367 des Code pénal die einzigen sind, welche die rheinische Gesetzgebung der Staatsbehörde bietet, es sei denn, daß direkte Aufforderung zum Aufruhr vorliegt.

Sie alle wissen, mit welch ganz besonderer Vorliebe das Parquet die "N[euel Rh[einische] Z[eitung]" verfolgt. Es ist ihm indes bis jetzt trotz aller Emsigkeit nicht gelungen, uns anderer Vergehen anzuklagen als der in Art. 222 und 367 vorgesehenen. Im Interesse der Presse halte ich daher ein näheres Eingehen auf diese Artikel für nötig.

Ehe ich mich aber in eine juristische Auseinandersetzung einlasse, erlauben Sie mir eine persönliche Bemerkung. Das öffentliche Ministerium hat die Stelle des inkriminierten Artikels: "Verbindet Herr Zweiffel etwa die exekutive Gewalt mit der legislativen? Sollen die Lorbeeren des Oberprokurators die Blößen des Volksrepräsentanten bedecken?" eine Gemeinheit genannt! Meine Herren! Es kann jemand ein sehr guter Oberprokurator und zugleich ein schlechter Volksrepräsentant sein. Er ist vielleicht nur deswegen ein guter Oberprokurator, weil er ein schlechter Volksrepräsentant ist. Das öffentliche Ministerium scheint mit der parlamentarischen Geschichte wenig vertraut zu sein. Die Frage der Inkompatibilitäten, die einen so großen Raum einnimmt in den Verhandlungen der konstitutionellen Kammern, worauf beruht sie? Auf dem Mißtrauen gegen die Exekutivbeamten, auf dem Verdachte, daß ein Exekutivbeamter das Interesse der Gesellschaft leicht dem Interesse der bestehenden Regierung aufopfert und sich daher eher zu allem andern eignet, als zum Volksrepräsentanten. Und nun speziell die Stelle eines Staats- <224> anwaltes. In welchem Lande hätte man sie nicht für unvereinbar gehalten mit der Würde eines Volksvertreters? Ich erinnere Sie an die Angriffe gegen Hébert, Plougoulm, Bavay in der französischen und belgischen Presse, in den französischen und belgischen Kammern, Angriffe, die eben gegen die widerspruchsvolle Verbindung der Qualitäten eines Generalprokurators und Deputierten in einer Person gerichtet waren. Nie hatten diese Angriffe eine gerichtliche Untersuchung zur Folge, selbst nicht unter Guizot, und das Frankreich des Louis-Philippe, das Belgien Leopolds galten als die konstitutionellen. Musterstaaten. In England verhält es sich freilich anders mit dem Attorney-General und dem Solicitor-General. Ihre Stellung ist aber auch wesentlich verschieden von der eines procureur du roi. Sie sind mehr oder minder schon richterliche Beamte. Wir, meine Herren, sind nicht konstitutionell, wir stellen uns aber auf den Standpunkt der Herren, die uns anklagen, um sie auf ihrem eigenen Terrain mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Wir berufen uns daher auf den konstitutionellen Usus.

Das öffentliche Ministerium will einen großen Abschnitt der parlamentarischen Geschichte vernichten - mit einem moralischen Gemeinplatz. Ich weise seinen Vorwurf der Gemeinheit entschieden zurück, ich erkläre ihn aus seiner Unwissenheit.

Ich gehe jetzt zur Erörterung der juristischen Frage über.

Schon mein Verteidiger <Schneider II> hat Ihnen bewiesen, daß ohne das preußische Gesetz vom 5. Juli 1819 die Anklage wegen Beleidigung des Oberprokurator Zweiffel von vornherein unstatthaft war. Art. 222 des Code pénal spricht nur von "outrages par paroles" <alle in diesem Artikel kursiv erscheinenden Textstellen aus dem code pénal sind Hervorhebungen von Marx und Engels>, von mündlichen Beleidigungen, nicht von geschriebenen oder gedruckten. Indes, das preußische Gesetz von 1819 sollte den Art. 222 ergänzen, nicht aufheben. Das preußische Gesetz kann die Strafe des Art. 222 nur da auf schriftliche Beleidigungen ausdehnen, wo der Code sie für mündliche verhängt. Die schriftlichen Beleidigungen müssen unter denselben Umständen und Bedingungen vorfallen, die Art. 222 für mündliche Beleidigungen voraussetzt. Es ist also nötig, den Sinn des Artikels 222 genau zu bestimmen.(1)

In den Motiven zum Art. 222 (Eposé per M. le conseiller d'état Berlier, séance du février 1810 <dargelegt von Herrn Staatsrat Berlier in der Sitzung vom Februar 1810>) heißt es:

<225> "Il ne sera donc ici question que des seuls outrages qui compromettent la paix publique c. a. d. de ceux dirigés contre les fonctionnaires ou agents publics dans l'exercice ou à l'occasion de l'exercice de leurs fonctions; dans ce cas ce n'est plus un particulier, c'est l'ordre public qui est blessé ... La hiérarchie politique sera dans ce cas prise en considération: celui qui se permet des outrages ou violences envers un officier ministériel est coupable sans doute, mais il commet un moindre scandale que lorsqu'il outrage un magistrat."

Das heißt also zu deutsch:

"Es wird sich hier also nur von den Beleidigungen handeln, welche die öffentliche Ordnung, den Landfrieden, bloßstellen, das heißt also von den Beleidigungen gegen Beamte oder öffentliche Agenten während der Ausübung oder bei Gelegenheit der Ausübung ihrer Funktionen: In diesem Falle ist es nicht mehr eine Privatperson, es ist die öffentliche Ordnung, die verletzt wird ... Die politische Hierarchie wird in diesem Falle in Erwägung gezogen werden: Wer sich Beleidigungen oder Tätlichkeiten gegen einen ministeriellen Agenten erlaubt, ist zweifelsohne schuldig, aber er verursacht einen geringern Skandal, als wenn er einen Richter beleidigt."

Sie ersehn aus diesen Motiven, meine Herrn, was der Gesetzgeber mit dem Artikel 222 beabsichtigte. Der Artikel 222 ist "nur" anwendbar auf Beamtenbeleidigungen, welche die öffentliche Ordnung, den Landfrieden, kompromittieren, in Frage stellen. Wann wird die öffentliche Ordnung, la paix publique, kompromittiert? Nur dann, wenn ein Aufruhr zum Umsturze der Gesetze unternommen oder wenn die Verwirklichung der bestehenden Gesetze gestört wird, d.h., wenn eine Auflehnung gegen den Beamten, der das Gesetz ausführt, stattfindet, wenn die Amtshandlung eines funktionierenden Beamten unterbrochen, beeinträchtigt wird. Die Auflehnung kann beim bloßen Murren, bei beleidigenden Worten stehenbleiben; sie kann bis zur Tätlichkeit, zur gewaltsamen Widersetzlichkeit fortgehen. Die outrage, die Beleidigung, ist nur der unterste Grad der violence, der Widersetzlichkeit, der gewaltsamen Auflehnung. Es heißt daher in den Motiven "outrages ou violences", "Beleidigungen oder Tätlichkeiten". Beide sind dem Begriffe nach identisch; die violence, die Tätlichkeit, ist nur eine erschwerende Form der outrage, der Beleidigung, des funktionierenden Beamten.

<226> Es wird also in diesen Motiven vorausgesetzt, 1. daß der Beamte beleidigt wurde, während er eine Amtshandlung ausübt; 2. daß er in seinem persönlichen Beisein beleidigt wird. In keinem andern Falle findet eine wirkliche Störung der öffentlichen Ordnung statt.

Sie finden dieselbe Voraussetzung in dem ganzen Abschnitt, der von "outrages et violences envers les dépositaires de l'autorité et de la force publique" handelt, d.h. von "Beleidigungen und Gewalttätigkeiten gegen diejenigen, denen die öffentliche Gewalt und die öffentliche Macht anvertraut ist". Die verschiedenen Artikel dieses Abschnitts stellen folgende Stufenreihe der Widersetzlichkeit auf: Mienen, Worte, Drohungen, Tätlichkeiten; die Tätlichkeiten selbst werden wieder nach dem Grade ihrer Schwere unterschieden. Es wird endlich bei allen diesen Artikeln eine Strafverschärfung verfügt für den Fall, daß diese verschiedenen Formen der Widersetzlichkeit in der Audienz eines Gerichtshofes stattfinden. Hier wird der größte "Skandal" verursacht und die Ausführung der Gesetze, die paix publique, am schreiendsten gestört.

Auf schriftliche Beleidigungen gegen Beamte ist Artikel 222 daher nur da anwendbar, wo schriftliche Beleidigungen 1. im persönlichen Beisein des Beamten, 2. während seiner Amtsverrichtung denkbar sind. Mein Verteidiger hat Ihnen, meine Herrn, ein solches Beispiel angeführt. Er selbst würde dem Art. 222 verfallen, wenn er z.B. jetzt, während der Assisenverhandlung, in einem schriftlichen Antrage den Präsidenten beleidigte u. dgl. Auf einen Zeitungsartikel dagegen, der nach lang vollbrachter Amtshandlung, in Abwesenheit des funktionierenden Beamten, "beleidigt", kann dieser Artikel des Code pénal unter keinen Umständen irgendwie eine Anwendung finden.

Diese Interpretation des Art. 222 erklärt Ihnen eine scheinbare Lücke, eine scheinbare Inkonsequenz des Code pénal. Warum darf ich den König beleidigen, während ich den Oberprokurator nicht beleidigen darf? Warum diktiert der Code keine Strafe für die Majestätsbeleidigung wie das preußische Landrecht?

Weil der König nie selbst eine Beamtenfunktion ausübt, sondern stets nur durch andere ausüben läßt, weil der König mir nie persönlich, sondern immer nur durch Repräsentanten gegenübertritt. Der aus der französischen Revolution hervorgehende Despotismus des Code pénal ist himmelweit verschieden von dem patriarchalisch-schulmeisterlichen Despotismus des preußischen Landrechts. Der napoleonische Despotismus schlägt mich nieder, sobald ich die Staatsgewalt wirklich hemme, sei es auch nur durch Beleidigung eines Beamten, der, in einer Amtshandlung begriffen, mir gegenüber die Staatsgewalt geltend macht. Außer der Amtshandlung wird der Beamte <227> dagegen zum gewöhnlichen Mitgliede der bürgerlichen Gesellschaft, ohne Privilegien, ohne exzeptionelle Schutzwehr. Der preußische Despotismus dagegen stellt mir in dem Beamten ein höhres, geheiligtes Wesen gegenüber. Sein Beamtencharakter ist mit ihm verwachsen wie die Weihe mit dem katholischen Priester. Der preußische Beamte bleibt für den preußischen Laien, d.h. Nichtbeamten, stets Priester. Die Beleidigung eines solchen Priesters, selbst eines nicht funktionierenden, eines abwesenden, eines in das Privatleben zurückgekehrten, bleibt eine Religionsschändung, eine Entweihung. Je höher der Beamte, desto schwerer die Religionsschändung. Die höchste Beleidigung des Staatspriesters ist daher die Beleidigung des Königs, die Majestätsbeleidigung, die nach dem Code pénal zu den kriminalistischen Unmöglichkeiten gehört.

Aber, wird man sagen, spräche Art. 222 des Code pénal nur von outrages gegen Beamte "dans l'exercice de leurs fonctions", von Beleidigungen gegen Beamte während der Ausübung ihrer Amtsverrichtungen, so bedürfte es keines Beweises, daß die persönliche Gegenwart des Beamten vom Gesetzgeber unterstellt wird und die notwendige Bedingung jeder unter Art. 222 zu subsumierenden Beleidigung ist. Art. 222 setzt jedoch den Worten "dans l'exercice de leurs fonctions" hinzu: "à l'occasion de cet exercice".

Das öffentliche Ministerium hat dies übersetzt: "mit Bezug auf ihr Amt". Ich werde Ihnen beweisen, meine Herren, daß diese Übersetzung falsch ist und der Absicht des Gesetzgebers gradezu widerspricht. Werfen Sie einen Blick auf Art. 228 desselben Abschnitts. Es heißt hier: Wer einen Beamten schlägt "dans l'exercice de ces fonctions ou à l'occasion de cet exercice" wird mit Gefängnis von zwei bis zu fünf Jahren bestraft. Kann man hier nun übersetzen: "mit Bezug auf sein Amt"? Kann man relative Schläge austeilen? Wird hier die Voraussetzung der persönlichen Gegenwart des Beamten aufgegeben? Kann ich einen Abwesenden prügeln? Es muß offenbar übersetzt werden: "Wer einen Beamten bei Gelegenheit seiner Amtsverrichtungen schlägt." In dem Art. 228 finden Sie aber wörtlich dieselbe Phrase wie im Art. 222. Das "à l'occasion de cet exercice" hat offenbar in beiden Artikeln dieselbe Bedeutung. Weit entfernt also, daß dieser Zusatz die Bedingung der persönlichen Gegenwart des Beamten ausschlösse, setzt er sie vielmehr voraus.

Die Geschichte der französischen Gesetzgebung bietet Ihnen einen weitern schlagenden Beweis. Sie erinnern sich, daß in den ersten Zeiten der französischen Restauration die Parteien sich unerbittlich gegenübertraten, in den Parlamenten, in den Gerichtshöfen, mit dem Dolche in Südfrankreich. Die Geschwornengerichte waren damals nichts als standrechtliche Tribunale der siegenden Partei gegen die besiegte Partei. Die Oppositionspresse geißelte <228> schonungslos die Geschwornenurteile. Man fand in Art. 222 keine Waffe gegen diese mißliebige Polemik, weil Art. 222 nur anwendbar wäre auf Beleidigungen gegen die Geschwornen, während sie sitzen, in ihrem persönlichen Beisein. Man fabrizierte daher 1819 ein neues Gesetz, welches jeden Angriff auf die chose jugée, auf ein gefälltes Urteil, bestraft. Der Code pénal kennt diese Unantastbarkeit des richterlichen Urteils nicht. Hätte man ihn durch ein neues Gesetz ergänzt, wenn § 222 von Beleidigungen "mit Bezug" auf die Amtsfunktion handelte?

Was will aber nun der Zusatz: "à l'occasion de cet exercice"? Er will weiter nichts als den Beamten vor Angriffen kurz vor oder nach seiner Amtsverrichtung sicherstellen. Spräche Art. 222 nur von "Beleidigung und Tätlichkeit" gegen den Beamten während der Dauer seiner Amtsverrichtung, so könnte ich z.B. einen Gerichtsvollzieher nach vollzogener Pfändung zur Treppe hinunterwerfen und behaupten, ich habe ihn erst beleidigt, nachdem er aufgehört, mir als Gerichtsvollzieher amtlich gegenüberzustehen. Ich könnte einen Friedensrichter, während er nach meinem Wohnsitz reitet, um gerichtliche Polizei gegen mich auszuüben, unterwegs überfallen und prügeln und mich der in Art. 228 angedrohten Strafe entziehen durch die Behauptung, ich habe ihn nicht während, sondern vor seiner Amtsverrichtung malträtiert.

Der Zusatz "à l'occasion de cet exercice", bei Gelegenheit der Amtsverrichtung, bezweckt also die Sicherheit der amtlich funktionierenden Beamten. Er bezieht sich auf Beleidigungen oder Tätlichkeiten, die zwar nicht unmittelbar während der Amtsverrichtung vorfallen, aber kurz vor oder nach derselben geschehen und, was das Wesentliche ist, in lebendigem Zusammenhange mit der Amtsverrichtung stehen, also unter allen Umständen die persönliche Gegenwart des mißhandelten Beamten voraussetzen.

Bedarf es weiterer Ausführung, daß § 222 nicht auf unsern Artikel anwendbar ist, sollten wir selbst durch denselben Herrn Zweiffel beleidigt haben? Als jener Artikel geschrieben wurde, war Herr Zweiffel abwesend; er wohnte damals nicht zu Köln, sondern zu Berlin. Als jener Artikel geschrieben wurde, funktionierte Herr Zweiffel nicht als Oberprokurator, sondern als Vereinbarer. Er konnte daher nicht als funktionierender Oberprokurator beleidigt, beschimpft werden.

Abgesehen von meiner ganzen bisherigen Ausführung stellt sich auch auf andere Weise heraus, daß Art. 222 nicht auf den inkriminierten Artikel der "Neuen Rheinischen Zeitung" anwendbar ist.

Es folgt dies aus dem Unterschiede, den der Code pénal zwischen Beleidigung und Verleumdung zieht. Sie finden diese Unterscheidung genau <229> gezeichnet im Art. 375. Nachdem von "Verleumdung" die Rede war, heißt es hier:

"Quant aux injures ou aux expressions outrageantes qui ne renfermeraient l'imputation d'aucun fait précis" (im Verleumdungsartikel 367 wird dies genannt: "des faits, qui s'ils existaient", Tatsachen, die, "wenn sie wirkliche Tatsachen wären"), "mais celle d'un vice déterminé, ... la peine sera une amende de seize à cinq cent francs". - "Injurien oder beleidigende Ausdrücke, welche nicht die Beschuldigung einer bestimmten Tat, wohl aber die Beschuldigung eines bestimmten Fehlers enthalten, werden ... mit einer Geldbuße von sechzehn bis fünfhundert Franken bestraft." In Artikel 376 heißt es weiter: "Alle andere Injurien oder beleidigende Ausdrücke ... ziehen eine einfache Polizeistrafe nach sich."

Was gehört also zur Verleumdung? Beschimpfungen, die eine bestimmte Tatsache dem Beschimpften zur Last legen. Was zur Beleidigung? Die Beschuldigung eines bestimmten Fehlers und, allgemein gehalten, beleidigende Ausdrücke. Wenn ich sage: Sie haben einen silbernen Löffel gestohlen, so verleumde ich Sie im Sinne des Code pénal. Wenn ich dagegen sage: Sie sind ein Dieb, Sie haben Diebsgelüste, so beleidige ich Sie.

Der Artikel der "N[euen] Rhein[ischen] Z[ei]t[un]g" wirft aber Herrn Zweiffel keineswegs vor: Herr Zweiffel ist ein Volksverräter, Herr Zweiffel hat infame Äußerungen gemacht. Der Artikel sagt vielmehr ausdrücklich: "Herr Zweiffel soll außerdem erklärt haben, daß er binnen 8 Tagen mit dem 19. März, mit den Klubs und der Preßfreiheit und andern Ausartungen des bösen Jahres 1848 zu Köln am Rhein ein Ende machen werde."

Es wird Herrn Zweiffel also eine ganz bestimmte Äußerung zur Last gelegt. Wenn also einer der beiden Art. 222 u. 367 anwendbar wäre, so könnte es nicht Art. 222, der Beleidigungsartikel, sondern nur Art. 367, der Verleumdungsartikel, sein.

Warum hat das öffentliche Ministerium statt des Artikels 367 den Artikel 222 auf uns angewandt?

Weil Artikel 222 viel unbestimmter ist und viel leichter eine Verurteilung erschleichen läßt, wenn einmal verurteilt werden soll. Die Verletzung der "délicatesse et honneur", des Zartgefühls und der Ehre, entzieht sich jedem Maße. Was ist Ehre, was ist Delikatesse? Was ist Verletzung derselben? Es hängt dies rein von dem Individuum ab, womit ich es zu tun habe, von seiner Bildungsstufe, von seinen Vorurteilen, von seiner Einbildung. Es bleibt kein anderes Maß als das noli me tangere <Rührmichnichtan> einer gespreizten, sich unvergleichlich dünkenden Beamteneitelkeit.

<230> Aber auch der Verleumdungsartikel, Art. 367, ist auf den Aufsatz der "Neuen Rheinischen Zeitung" nicht anwendbar.

Art. 367 verlangt ein "fait précis", eine bestimmte Tatsache, "un fait, qui peut exister", eine Tatsache, die wirkliche Tatsache sein kann. Herrn Zweiffel wird aber nicht vorgeworfen, daß er die Preßfreiheit aufgehoben, die Klubs geschlossen, die Märzerrungenschaft an diesem oder jenem Orte vernichtet habe. Es wird ihm eine bloße Äußerung zur Last gelegt. Art. 367 aber verlangt die Beschuldigung von bestimmten Tatsachen, "die, wenn sie wirkliche Tatsachen wären, denjenigen, dem sie schuld gegeben werden, einer kriminal- oder zuchtpolizeilichen Verfolgung, oder auch nur der Verachtung oder dem Hasse der Bürger aussetzen würden."

Die bloße Äußerung aber, dies oder jenes zu tun, setzt mich weder der kriminal-, noch der zuchtpolizeilichen Verfolgung aus. Man kann nicht einmal sagen, daß sie notwendig dem Hasse oder der Verachtung der Bürger aussetzt. Eine Äußerung kann zwar der Ausdruck sehr niederträchtiger, hassenswerter, verächtlicher Gesinnung sein. Indes, kann ich nicht in der Aufregung eine Äußerung ausstoßen, die mit Handlungen droht, deren ich unfähig bin? Erst die Tat beweist, daß es mir Ernst mit einer Äußerung ist.

Und die "Neue Rheinische Zeitung" sagt: "Herr Zweiffel soll erklärt haben." Um jemanden zu verleumden, muß ich meine Behauptung nicht selbst in Frage stellen, wie es hier geschieht durch das "Soll", muß ich apodiktisch auftreten.

Endlich, meine Herren Geschwornen, die "citoyens", die Bürger, deren Haß oder Verachtung mich die Beschuldigung einer Tatsache aussetzen muß nach Art. 367, um eine Verleumdung zu sein, diese citoyens, diese Bürger existieren in politischen Dingen überhaupt nicht mehr. Es existieren nur noch Parteigänger. Was mich dem Haß und der Verachtung bei den Mitgliedern der einen Partei, setzt mich der Liebe und der Verehrung bei den Mitgliedern der andern Partei aus. Das Organ des jetzigen Ministeriums, die "Neue Preußische Zeitung", hat Herrn Zweiffel bezüchtigt, eine Art von Robespierre zu sein. <Siehe "Bekenntnisse einer schönen Seele"> In ihren Augen, in den Augen ihrer Partei, hat unser Artikel den Herrn Zweiffel nicht dem Haß und der Verachtung ausgesetzt, sondern von dem auf ihm lastenden Hasse, von der auf ihm lastenden Verachtung befreit.

Es ist vom höchsten Interesse, auf diese Bemerkung Gewicht zu legen, nicht für den schwebenden Fall, sondern für alle Fälle, wo man Art. 367 auf politische Polemik von seiten des öffentlichen Ministeriums anzuwenden versuchen sollte.

<231> Überhaupt, meine Herren Geschworenen, wenn Sie den Verleumdungsartikel, Art. 367, im Sinne des öffentlichen Ministeriums auf die Presse anwenden wollen, so schaffen Sie die Preßfreiheit durch die Strafgesetzgebung ab, während Sie dieselbe durch eine Konstitution anerkannt und durch eine Revolution erkämpft haben. Sie sanktionieren dann jede Willkür der Beamten, Sie erlauben jede offizielle Niederträchtigkeit, Sie bestrafen nur die Denunziation der Niederträchtigkeit. Wozu dann noch die Heuchelei einer freien Presse? Wenn vorhandene Gesetze in offenen Widerspruch mit einer neuerrungenen Stufe der gesellschaftlichen Entwicklung geraten, dann, meine Herren Geschworenen, dann ist es gerade an Ihnen, zwischen die abgestorbenen Gebote des Gesetzes und die lebendigen Forderungen der Gesellschaft zu treten. Dann ist es an Ihnen, der Gesetzgebung vorzueilen, bis diese es versteht, den gesellschaftlichen Bedürfnissen nachzukommen. Es ist dies das edelste Attribut der Geschwornengerichte. In dem vorliegenden Falle, meine Herren, wird Ihnen diese Aufgabe durch die Buchstaben des Gesetzes selbst erleichtert. Sie haben dasselbe nur im Sinne unserer Zelt, unserer politischen Rechte, unserer gesellschaftlichen Bedürfnisse zu interpretieren.

Art. 367 schließt mit folgenden Worten:

"La présente disposition n'est point applicable aux faits dont la loi autorise la publicité, ni à ceux que l'auteur de l'imputation était, par la nature de ses fonctions ou de ses devoirs, obligé de révéler ou de réprimer." - "Die gegenwärtige Verfügung ist nicht anwendbar auf Tatsachen, deren Bekanntmachung das Gesetz erlaubt, auch nicht auf solche, die zu entdecken oder zu hemmen der Urheber der Beschuldigung vermöge seiner Amtsverrichtungen oder seiner Pflicht verbunden war."

Kein Zweifel, meine Herren, daß der Gesetzgeber nicht an die freie Presse dachte, als er von der Pflicht des Denunzierens sprach. Ebensowenig dachte er aber daran, daß dieser Artikel jemals auf die freie Presse eine Anwendung finden würde. Unter Napoleon existierte bekanntlich keine Preßfreiheit. Wollen Sie also einmal das Gesetz auf eine politische und gesellschaftliche Entwickelungsstufe anwenden, für die es nicht bestimmt war, so wenden Sie es ganz an, so legen Sie es aus im Sinne unserer Zelt, so lassen Sie der Presse auch diesen Schlußsatz des Artikels 367 zugute kommen.

Art. 367, im engen Sinne des öffentlichen Ministeriums genommen, schließt den Beweis der Wahrheit aus und erlaubt die Denunziation nur dann, wenn sie sich auf öffentliche Urkunden oder schon vorhandene richterliche Urteile stützt. Wozu sollte die Presse post festum, nach gefälltem Urteil, noch denunzieren? Sie ist ihrem Berufe nach der öffentliche Wächter, der unermüdliche Denunziant der Machthaber, das allgegenwärtige Auge, der allgegenwärtige Mund des eifersüchtig seine Freiheit bewachenden Volksgeistes.

<232> Wenn Sie Art. 367 in diesem Sinne auslegen, und Sie müssen ihn so auslegen, wollen Sie die Preßfreiheit anders nicht konfiszieren im Interesse der Regierungsgewalt, so bietet Ihnen der Code gleichzeitig die Handhabe gegen Übergriffe der Presse. Nach Artikel 372 soll bei einer Denunziation während der Untersuchung über die Tatsachen mit dem Verfahren und der Entscheidung über das Vergeben der Verleumdung eingehalten werden. Nach Art. 373 wird die Denunziation, die sich als verleumderisch herausgestellt hat, bestraft.

Meine Herren! Es bedarf nur eines Blickes auf den inkriminierten Artikel, um Sie zu überzeugen, daß die "Neue Rheinische Zeitung", weit entfernt von jeder Absicht der Beleidigung und der Verleumdung, nur ihre Pflicht des Denunzierens erfüllte, als sie das hiesige Parquet und die Gendarmen angriff. Das Zeugenverhör hat Ihnen bewiesen, daß wir bezüglich der Gendarmen nur die wirkliche Tatsache berichtet haben.

Die Pointe des ganzen Artikels aber ist die Vorhersagung der später vollzogenen Kontrerevolution, ist ein Angriff auf das Ministerium Hansemann, das seinen Eintritt mit der sonderbaren Behauptung begann, je größer das Polizeipersonal, desto freier der Staat. Dies Ministerium wähnte, die Aristokratie sei besiegt; es habe nur noch eine Aufgabe, das Volk seiner revolutionären Errungenschaften zu berauben im Interesse einer Klasse, der Bourgeoisie. Es bereitete so der feudalen Kontrerevolution ihre Wege. Was wir in dem inkriminierten Artikel denunzierten, das war nichts mehr, nichts minder als eine aus unsrer nächsten Umgebung herausgerissene, handgreifliche Erscheinung des systematischen kontrerevolutionären Treibens des Ministeriums Hansemann und der deutschen Regierungen überhaupt.

Es ist unmöglich, die Verhaftungen in Köln als eine isolierte Tatsache zu betrachten. Um sich vom Gegenteil zu überzeugen, hat man nur einen flüchtigen Blick auf die damalige Zeitgeschichte zu werfen. Kurz vorher die Preßverfolgungen in Berlin, gestützt auf die alten landrechtlichen Paragraphen. Einige Tage später, am 8. Juli, wurde J. Wulff, Präsident des Düsseldorfer Volksklubs, verhaftet, wurden Haussuchungen bei vielen Komiteemitgliedern dieses Klubs angestellt. Die Geschworenen sprachen später Wulff frei, wie keine einzige politische Verfolgung jener Zeit die Sanktion der Geschworenen erhalten hat. An demselben 8. Juli wurde in München den Offizieren, Beamten und Akzessisten die Teilnahme an Volksversammlungen untersagt. Am 9. Juli wurde Falkenhain, Präsident des Vereins "Germania" in Breslau, verhaftet. Am 15. Juli hielt der Oberprokurator Schnaase im Bürgerverein zu Düsseldorf eine förmliche Anklagerede gegen den Volksklub, dessen Präsident am 8. auf seinen Antrag verhaftet worden war. Hier haben <233> Sie ein Beispiel von der erhabenen Unparteilichkeit des Parquets, ein Beispiel, wie der Oberprokurator zugleich als Parteimann und der Parteimann zugleich als Oberprokurator auftrat. Unbeirrt von der Verfolgung wegen unseres Angriffs auf Zweiffel, denunzierten wir damals den Schnaase. Er hat sich wohl gehütet zu antworten. An demselben Tage, wo Oberprokurator Schnaase diese Philippika gegen den Düsseldorfer Volksklub hielt, wurde der demokratische Kreisverein in Stuttgart durch königliche Ordonnanz verboten. Am 19. Juli wurde der demokratische Studentenverein in Heidelberg aufgelöst, am 27. Juli sämtliche demokratische Vereine in Baden und kurz darauf in Württemberg und Bayern. Und wir hätten bei dieser handgreiflichen volksverräterischen Konspiration sämtlicher deutscher Regierungen schweigen sollen? Die preußische Regierung wagte damals nicht, was die badische, die württembergische, die bayrische Regierung wagte. Sie wagte es nicht, weil die preußische Nationalversammlung eben begann, die kontrerevolutionäre Konspiration zu ahnen und sich gegen das Ministerium Hansemann auf die Hinterbeine zu stellen. Aber, meine Herren Geschwornen, ich spreche es unumwunden, mit der sichersten Überzeugung aus: wenn die preußische Kontrerevolution nicht bald an einer preußischen Volksrevolution scheitert, wird die Assoziations- und Preßfreiheit auch in Preußen vollständig vernichtet werden. Man hat schon jetzt sie partiell durch Belagerungszustände getötet. Man hat sogar gewagt, in Düsseldorf und in einigen schlesischen Bezirken die Zensur wiedereinzuführen. <Siehe "Zensur">

Aber nicht nur der allgemeine deutsche, der allgemeine preußische Zustand verpflichteten uns, mit dem äußersten Mißtrauen jede Bewegung der Regierung zu überwachen, die leisesten Symptome des Systems dem Volke laut zu denunzieren. Das hiesige, das kölnische Parquet, gab uns ganz besondere Veranlassung, es als kontrerevolutionäres Werkzeug vor der öffentlichen Meinung bloßzustellen. In dem Monate Juli allein mußten wir 3 ungesetzliche Verhaftungen denunzieren. Die zwei ersten Male schwieg der Staatsprokurator Hecker, das dritte Mal suchte er sich zu rechtfertigen, verstummte aber auf unsere Replik aus dem einfachen Grunde, weil nichts zu sagen war.

Und unter diesen Umständen wagt das öffentliche Ministerium zu behaupten, es handle sich hier nicht von einer Denunziation, sondern von einer kleinlich-böswilligen Schmähung? Es beruht diese Auffassung auf einem eigenen Mißverständnisse. Ich für meine Person versichere Ihnen, meine Herren, ich verfolge lieber die großen Weltbegebenheiten, ich analysiere <234> lieber den Gang der Geschichte, als daß ich mich mit Lokalgötzen, mit Gendarmen und Parquets herumschlage. So groß diese Herren sich in ihrer eignen Einbildung dünken mögen, sie sind nichts, durchaus nichts in den riesenhaften Kämpfen der Gegenwart. Ich betrachte es als ein wahres Opfer, wenn wir uns entschließen, mit diesen Gegnern eine Lanze zu brechen. Aber einmal ist es die Pflicht der Presse, für die Unterdrückten in ihrer nächsten Umgebung aufzutreten. Und dann, meine Herren, das Gebäude der Knechtschaft hat seine eigentlichste Stütze in den untergeordneten politischen und sozialen Gewalten, die unmittelbar dem Privatleben der Person, dem lebendigen Individuum gegenüberstehn. Es reicht nicht hin, die allgemeinen Verhältnisse und die obersten Gewalten zu bekämpfen. Die Presse muß sich entschließen, gegen diesen Gendarm, diesen Prokurator, diesen Landrat in die Schranken zu treten. Woran ist die Märzrevolution gescheitert? Sie reformierte nur die höchste politische Spitze, sie ließ alle Unterlagen dieser Spitze unangetastet, die alte Bürokratie, die alte Armee, die alten Parquets, die alten, im Dienste des Absolutismus gebornen, herangebildeten und ergrauten Richter. Die erste Pflicht der Presse ist nun, alle Grundlagen des bestehenden politischen Zustandes zu unterwühlen. (Beifallsruf im Auditorium.)

[Verteidigungsrede von Friedrich Engels]

Meine Herren Geschwornen! Der vorige Redner hat hauptsächlich die Anklage auf Beleidigung des Oberprokurators, Herrn Zweiffel, ins Auge gefaßt; erlauben Sie mir jetzt, Ihre Aufmerksamkeit auf die Beschuldigung der Verleumdung gegen die Gendarmen zu richten. Es handelt sich vor allen Dingen um die Gesetzartikel, auf die die Anklage sich stützt.

Der Art. 367 des Strafgesetzbuchs sagt:

"Des Vergehens der Verleumdung ist schuldig, wer an öffentlichen Orten oder in öffentlichen Versammlungen oder in einer authentischen und öffentlichen Urkunde oder in einer gedruckten oder ungedruckten Schrift, welche angeschlagen, verkauft oder ausgeteilt worden ist, irgend jemand solcher Tatsachen beschuldigt, die, wenn sie wahr wären, denjenigen, dem sie schuld gegeben werden, einer kriminal- oder zuchtpolizeilichen Verfolgung oder auch nur der Verachtung oder dem Hasse der Bürger aussetzen würden."

Der Art. 370 setzt hinzu:

"Wird die den Gegenstand der Beschuldigung ausmachende Tatsache in gesetzlicher Art als wahr erwiesen, so ist der Urheber der Beschuldigung von aller Strafe frei ... Als gesetzlicher Beweis wird nur derjenige angesehn, der aus einem Urteil oder irgendeiner andern authentischen Urkunde hervorgeht."

<235> Meine Herren! Das öffentliche Ministerium hat Ihnen seine Interpretation dieser Gesetzesstellen gegeben und Sie aufgefordert, uns daraufhin für schuldig zu erklären. Sie sind bereits darauf aufmerksam gemacht worden, daß diese Gesetze zu einer Zelt gegeben wurden, wo die Presse unter der Zensur stand, wo ganz andre politische Verhältnisse bestanden als jetzt; und hierauf gestützt, hat mein Verteidiger <Schneider II> die Ansicht ausgesprochen, daß Sie diese veralteten Gesetze nicht mehr als bindend anerkennen dürfen. Das öffentliche Ministerium ist, wenigstens in Beziehung auf Art. 370, dieser Ansicht beigetreten. Es hat sich dahin geäußert: "Bei Ihnen, meine Herren Geschwornen wird es doch wohl hauptsächlich darauf ankommen, ob die Wahrheit der fraglichen Tatsachen erwiesen ist" - und ich danke dem öffentlichen Ministerium für dies Geständnis.

Aber sollten Sie dieser Ansicht auch nicht sein, daß wenigstens Art. 370 in seiner Beschränkung des Beweises der Wahrheit veraltet ist, so werden Sie gewiß der Ansicht sein, daß die angeführten Artikel einer andern Deutung unterliegen müssen, als das öffentliche Ministerium ihnen zu geben sucht. Es ist gerade das Privilegium der Geschwornen, die Gesetze, unabhängig von aller hergebrachten Gerichtspraxis, so auszulegen, wie ihr gesunder Sinn und ihr Gewissen es ihnen eingibt. Wir sind unter dem Art. 367 angeklagt, den fraglichen Gendarmen Handlungen vorgeworfen zu haben, die, wenn sie wahr wären, sie der Verachtung und dem Hasse der Bürger aussetzen würden. Wenn Sie diese Ausdrücke: "Haß und Verachtung" in dem Sinne fassen, den das öffentliche Ministerium ihnen geben möchte, so hört, solange die Bestimmungen des Art. 370 in Kraft sind, alle Preßfreiheit auf. Wie kann da die Presse ihre erste Pflicht erfüllen, die Pflicht, die Bürger vor den Übergriffen der Beamten zu schützen? Sowie sie einen solchen Übergriff der öffentlichen Meinung denunziert, wird sie vor die Assisen gestellt und - wenn es nach dem Wunsche des öffentlichen Ministeriums geht - zu Gefängnis, Geldstrafe und Verlust der bürgerlichen Rechte verurteilt; es sei denn, daß sie ein gerichtliches Urteil beibringe, d.h., daß sie die Denunziation erst dann veröffentliche, wenn sie gar keinen Zweck mehr hat!

Wie wenig die fraglichen Gesetzesstellen, wenigstens in der Deutung, die das öffentliche Ministerium ihnen geben möchte, auf unsre heutigen Verhältnisse passen, beweist die Vergleichung des Art. 369. Hier heißt es:

"Wegen Verleumdungen, die mittels ausländischer Blätter bekannt gemacht worden sind, können diejenigen verfolgt werden, welche die Artikel eingesandt ... oder die zur Einführung und Verbreitung dieser Blätter im Inlande beigetragen haben."

<236> Nach diesem Artikel, meine Herren, wäre es die Pflicht des öffentlichen Ministeriums, täglich und stündlich gegen die k[öniglich]-preuß[ischen] Postbeamten einzuschreiten. Denn ist unter allen dreihundertfünfundsechzig Tagen des Jahrs auch nur ein einziger, an dem nicht die preußische Post durch Beförderung und Ausgabe dieses oder jenes ausländischen Blattes "zur Einführung und Verbreitung" von Verleumdungen im Sinne des öffentlichen Ministeriums beiträgt? Und doch fällt es dem öffentlichen Ministerium nicht ein, die Post zu belangen.

Bedenken Sie ferner, meine Herrn, daß diese Artikel zu einer Zeit geschrieben wurden, wo es wegen der Zensur unmöglich war, Beamte durch die Presse zu verleumden. Diese Artikel konnten also, nach der Absicht des Gesetzgebers, nur den Zweck haben, Privatpersonen, nicht aber Beamte, vor Verleumdungen zu schützen, und so allein haben sie einen Sinn. Dadurch aber, daß seit der Erringung der Preßfreiheit auch die Handlungen von Beamten vor das Forum der Öffentlichkeit gezogen werden können, dadurch verändert sich der Standpunkt wesentlich. Und gerade hier, in solchen Widersprüchen zwischen einer alten Gesetzgebung und einem neuen politischen und gesellschaftlichen Zustande, gerade hier ist es, wo die Geschwornen einzutreten und das alte Gesetz durch eine neue Auslegung den neuen Zuständen anzupassen haben.

Aber wie gesagt: Das öffentliche Ministerium selbst hat anerkannt, daß es vor Ihnen, meine Herrn, trotz des Art. 370 hauptsächlich auf den Beweis der Wahrheit ankommt. Es hat deshalb versucht, den Beweis der Wahrheit, wie wir ihn durch Zeugen geführt, zu entkräften. Sehen wir uns daher den fraglichen Zeitungsartikel <Siehe Band 5, S. 166-168> an, um zu prüfen, ob die Beschuldigungen tatsächlich erwiesen sind, und zugleich, ob sie wirklich eine Verleumdung konstituieren. Es heißt im Anfange des Artikels:

"Morgens zwischen 6-7 betraten 6-7 Gendarmen Annekes Wohnung, mißhandelten sofort das Dienstmädchen" usw.

Meine Herrn, Sie haben die Aussage Annekes über diesen Punkt gehört. Sie erinnern sich, daß ich speziell die Frage wegen der Mißhandlung des Dienstmädchens nochmals an den Zeugen Anneke richten wollte und daß der Herr Präsident die Frage für überflüssig erklärte, weil die Sache hinlänglich konstatiert sei. Ich frage Sie nun: Haben wir in diesem Punkte die Gendarmen verleumdet?

Weiter: "Dies Antreiben geht im Vorzimmer in Tätlichkeiten über, wobei einer der Gendarmen die Glastüre in Scherben stößt. Anneke wurde die <237> Treppe hinuntergestoßen." Meine Herrn, Sie haben die Aussage des Zeugen Anneke gehört; Sie erinnern sich, was der Zeuge Esser sagte, wie die Gendarmen mit Anneke "per Dampf" zum Hause herauskamen und ihn ebenfalls in den Wagen stießen; ich frage Sie abermals, meine Herrn, haben wir hier verleumdet?

Endlich findet sich eine Stelle im Artikel, deren Richtigkeit nicht buchstäblich erwiesen ist. Es ist folgende: "Von diesen vier Säulen der Gerechtigkeit wankte die eine mehr oder minder, so guter Stunde schon angefüllt mit dem 'Geist', dem Wasser des wahren Lebens, dem gebrannten Wasser."

Ich gebe zu, meine Herren, daß hier durch Annekes ausdrückliche Worte nur soviel konstatiert ist: "nach ihrem Betragen zu urteilen, hätten die Gendarmen sehr wohl betrunken sein können", daß hier nur soviel feststeht, daß die Gendarmen sich wie Betrunkene betrugen. Aber, meine Herren, vergleichen Sie, was wir zwei Tage später, in Antwort auf die Replik des Herrn Staatsprokurator Hecker, sagten: "Die Beleidigung könnte sich nur auf den einen der Herren Gendarmen beziehen, von dem versichert wurde, er habe zu guter Stunde 'gewankt', aus mehr oder minder spirituellen oder spirituosen Gründen. Ergibt aber die Untersuchung, wie wir keinen Augenblick zweifeln, die Richtigkeit des Tatbestandes - der von den Herren Agenten der öffentlichen Gewalt verübten Brutalitäten - so glauben wir, nur den einzig mildernden Umstand mit der ganzen Unparteilichkeit, welche der Presse geziemt, im eigensten Interesse der von uns beschuldigten Herren, sorglichst hervorgehoben zu haben; und die menschenfreundliche Angabe des einzig mildernden Umstandes verwandelt das Parquet in eine Beleidigung!"

Sie sehen hieraus, meine Herren, wie wir selbst eine Untersuchung der fraglichen Tatsachen provozierten. Es ist nicht unsre Schuld, daß die Untersuchung nicht stattgefunden hat. Was übrigens den Vorwurf der Trunkenheit angeht, so frage ich Sie, was ist denn das so Großes für einen königlich-preußischen Gendarmen, wenn man von ihm sagt, daß er einen Schnaps über den Durst getrunken habe? Ob das für eine Verleumdung angesehen werden kann, darüber appelliere ich an die öffentliche Meinung der ganzen Rheinprovinz.

Und wie kann das öffentliche Ministerium von Verleumdung sprechen, wo die angeblich Verleumdeten nicht genannt, nicht einmal näher bezeichnet sind. Es ist die Rede von "6-7 Gendarmen". Wer sind sie? Wo sind sie? Ist Ihnen, meine Herren, zu Ohren gekommen, daß irgendein bestimmter Gendarm durch diesen Artikel "dem Haß und der Verachtung der Bürger" ausgesetzt worden sei? Das Gesetz verlangt ausdrücklich, daß das verleumdete Individuum genau bezeichnet sei; nun wohl, in dem fraglichen Passus kann kein bestimmter Gendarm, kann höchstens die königlich-preußische Gendar- <238> merie im ganzen eine Beschimpfung finden. Sie kann sich dadurch beleidigt fühlen, daß man veröffentlichte, wie von Mitgliedern dieses Korps Ungesetzlichkeiten und Brutalitäten ungeahndet verübt werden. Aber, meine Herren, das ist kein Vergehen, der königlich-preußischen Gendarmerie im allgemeinen Brutalitäten vorzuwerfen. Ich fordere das öffentliche Ministerium auf, mir die Gesetzesstelle zu zeigen, wonach es strafbar wäre, das königlich-preußische Gendarmeriekorps zu beleidigen, zu beschimpfen oder zu verleumden, wenn von Verleumdung hier überhaupt die Rede sein kann.

Das öffentliche Ministerium hat in dem fraglichen Artikel überhaupt nur einen Beweis von zügelloser Schmähsucht gesehen. Meine Herren, der Artikel ist Ihnen vorgelesen worden. Haben Sie darin gefunden, daß wir die damals in Köln vorgefallenen mehr oder weniger unbedeutenden Ungesetzlichkeiten an und für sich betrachtet, sie ausgebeutet, im Interesse unsrer vorgeblichen Ranküne gegen niedre Beamte breitgeschlagen haben? Oder haben wir nicht vielmehr diese Fakta als ein Glied in der großen Kette der Reaktionsversuche hingestellt, die damals in ganz Deutschland zugleich hervortraten? Sind wir stehengeblieben bei den Gendarmen und dem öffentlichen Ministerium in Köln oder sind wir der Sache weiter auf den Grund gegangen und haben sie in ihren Ursachen verfolgt bis ins geheime Staatsministerium in Berlin? Aber freilich, es ist weniger gefährlich, sich zu vergreifen an dem großen geheimen Staatsministerium in Berlin als an dem kleinen öffentlichen Ministerium in Köln - und zum Beweise dieser Tatsache stehen wir heute hier vor Ihnen.

Betrachten Sie den Schluß des Artikels. Dort heißt es: "Das also sind die Taten des Ministeriums der Tat, des Ministeriums des linken Zentrums, des Ministeriums des Übergangs zu einem altadligen, altbürokratischen, altpreußischen Ministerium. Sobald Herr Hansemann seinen transitorischen Beruf erfüllt hat, wird man ihn entlassen."

Meine Herren, Sie erinnern sich, was im September <In der "N.Rh.Ztg.": August> vorigen Jahres geschah: wie Hansemann, freilich unter der anständigeren Form der freiwilligen Abdankung, als überflüssig "entlassen" wurde und wie ihm das Ministerium Pfuel-Eichmann-Kisker-Ladenberg, buchstäblich ein "altadliges, altbürokratisches, altpreußisches Ministerium", auf dem Fuße folgte.

Es heißt weiter: "Die Linke zu Berlin aber muß einsehen, daß die alte Macht kleine parlamentarische Siege und große Konstitutionsentwürfe ihr getrost überlassen kann, wenn sie nur unterdessen sich aller wirklich entscheidenden Positionen bemächtigt. Getrost kann sie die Revolution des 19. März <239> in der Kammer anerkennen, wenn dieselbe nur außerhalb der Kammer entwaffnet wird."

Wie richtig diese Anschauungsweise war, darüber brauche ich gewiß kein Wort zu verlieren. Sie wissen es ja selbst, wie gerade in demselben Verhältnis, als die Macht der Linken in der Kammer wuchs, die Macht der Volkspartei außerhalb der Kammer vernichtet wurde. Brauche ich ihnen die straflosen Brutalitäten der preußischen Soldateska in zahllosen Städten, die aufkeimenden Belagerungszustände, die Entwaffnung so vieler Bürgerwehren - und zuletzt den Heldenzug Wrangels gegen Berlin - erst aufzuzählen, um zu zeigen, wie wirklich die Revolution entwaffnet wurde, wie die alte Macht sich in der Tat aller entscheidenden Positionen bemächtigte.

Und nun endlich die merkwürdige Prophezeiung: "Die Linke könnte an einem schönen Morgen finden, daß ihr parlamentarischer Sieg und ihre wirkliche Niederlage zusammenfallen."

Wie buchstäblich ist dies nicht eingetroffen! Derselbe Tag, wo die Linke endlich in den Besitz der Majorität in der Kammer kam, war der Tag ihrer wirklichen Niederlage. Gerade die parlamentarischen Siege der Linken führten zum Staatsstreich vom 9. November, zur Verlegung und Vertagung der Nationalversammlung und endlich zu ihrer Auflösung und zur Oktroyierung der Verfassung. Der parlamentarische Sieg der Linken fiel direkt zusammen mit ihrer vollständigsten Niederlage außerhalb des Parlaments.

Diese so buchstäblich eingetroffene politische Vorhersagung, meine Herren, ist also das Resultat, das Fazit, der Schluß, den wir aus den in ganz Deutschland und unter andern auch in Köln vorgefallenen Gewalttätigkeiten zogen. Und man spricht von blinder Schmähsucht. In der Tat, sieht es nicht aus, als erschienen wir heute vor Ihnen, meine Herren, um uns wegen des Vergehens zu verantworten, richtige Tatsachen richtig mitgeteilt und die richtigen Konsequenzen daraus gezogen zu haben?

Kurz und gut: Sie, meine Herren Geschwornen, haben in diesem Augenblick über die Preßfreiheit in der Rheinprovinz zu entscheiden. Wenn es der Presse verboten sein soll, das, was sich unter ihren Augen ereignet, zu berichten, wenn sie bei jeder verfänglichen Tatsache erst warten soll, bis ein gerichtliches Urteil vorliegt, wenn sie bei jedem Beamten, vom Minister bis zum Gendarm, erst fragen soll, ob durch die angeführte Tatsache seine Ehre oder Delikatesse sich beleidigt fühlen könnte, ohne Rücksicht darauf, ob die Tatsachen wahr sind oder nicht; wenn die Presse in die Alternative gesetzt wird, entweder die Ereignisse zu verfälschen oder ganz zu schweigen - dann, meine Herren, hört die Preßfreiheit auf, und wenn Sie das wollen, so sprechen Sie Ihr "Schuldig" über uns aus!


Fußnoten

(1) Artikel 222 lautet wörtlich: "Lorsqu'un ou plusieurs magistrats die l'ordre administratif ou judiciaire auront reçu dans l'exercice de leurs fondions ou d l'occasion de cet exercice quelque outrage par paroles tendant à inculper leur honneur ou leur délicatesse, celui qui les aura ainsi outragés sera puni d'un emprisonnement d'un mois à deux ans."

<"Wird einer oder mehreren Amtspersonen aus dem Verwaltungs- oder Gerichtswesen während der Ausübung ihrer Amtsverrichtungen oder bei Gelegenheit dieser Ausübung irgendeine Beleidigung durch Worte zugefügt, die ihre Ehre oder ihr Zartgefühl verletzen, so soll derjenige, der sie auf solche Art beleidigt hat, mit Gefängnis von einem Monat bis zu zwei Jahren bestraft werden." <=