[Die standrechtliche Beseitigung der "Neuen Rheinischen Zeitung"] | Inhalt | ["An mein Volk"]
Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 6, S. 507-515
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1959
[Ungarn]
["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 301 vom 19. Mai 1849]
<507> *Köln, 18. Mai. In dem Augenblicke, wo der magyarische Krieg durch den wirklichen Einmarsch der Russen zu einem europäischen wird, sind wir gezwungen, unsere Berichte über seinen weitern Verlauf einzustellen. Es ist uns nur noch vergönnt, die Entwickelung dieses großartigen osteuropäischen Revolutionskriegs in einem kurzen Überblick unsern Lesern nochmals vorzuführen.
Man erinnert sich, wie schon vor der Februarrevolution, im Herbst 1847, der von Kossuth geleitete Preßburger Reichstag eine Reihe revolutionärer Beschlüsse faßte, wie er die Verkäuflichkeit des Grundeigentums, die Freizügigkeit der Bauern, die Ablösung der Feudallasten, die Emanzipation der Juden, die gleiche Besteuerung aller Klassen beschloß; wie er den Kroaten und Slawoniern in inneren Angelegenheiten den offiziellen Gebrauch ihrer eigenen Sprache bewilligte und endlich durch die Forderung eines abgesonderten verantwortlichen Ministeriums für Ungarn den ersten Schritt zur Lossagung Ungarns an demselben Tage tat, als in Paris die Februarrevolution begann (22. Febr.).
Die Februarrevolution brach los. Mit ihr knickte der Widerstand der Wiener Regierung gegen die Forderungen der Ungarn zusammen. Am 16. März, am Tage nach der Wiener Revolution, wurde das selbständige ungarische Ministerium bewilligt und damit der Zusammenhang Ungarns mit Östreich auf die bloße Personalunion zurückgeführt.
Jetzt schritt die selbständig gewordene magyarische Revolution rasch vorwärts. Alle politischen Vorrechte wurden aufgehoben, das allgemeine Wahlrecht eingeführt, alle Feudallasten, Roboten und Zehnten unentgeltlich aufgehoben gegen Entschädigung durch den Staat, die Union mit Siebenbürgen durchgesetzt, die Ernennung Kossuths zum Finanzminister und die Absetzung des rebellischen Ban Jellachich erzwungen.
<508> Inzwischen erholte sich die östreichische Regierung wieder. Während das angeblich verantwortliche Ministerium in Wien ohnmächtig blieb, erhob sich die Kamarilla des Innsbrucker Hofs um so mächtiger, gestützt auf die kaiserliche Armee in Italien, auf die nationalen Gelüste der Tschechen, Kroaten und Serben, auf die verstockte Borniertheit der ruthenischen Bauern.
Am 17. Juni brach die serbische Insurrektion im Banat und der Bácska los, aufgehetzt durch Geld und Emissäre vom Hof. Am 20. hatte Jellachich Audienz beim Kaiser in Innsbruck und wurde wieder zum Ban ernannt. Nach Kroatien zurückgekehrt, kündigte Jellachich dem ungarischen Ministerium den Gehorsam auf und erklärte ihm am 25. August den Krieg.
Der Verrat der habsburgischen Kamarilla lag offen am Tage. Nochmals versuchten die Ungarn, den Kaiser auf den konstitutionellen Weg zurückzubringen. Sie sandten eine Deputation von 200 Reichstagsmitgliedern nach Wien; der Kaiser antwortete ausweichend. Die Aufregung wuchs. Das Volk verlangte Garantien und erzwang eine Ministerveränderung. Die Verräter, die auch im Pesther Ministerium saßen, wurden entfernt und Kossuth am 20. September zum Ministerpräsidenten ernannt. Aber schon vier Tage darauf entfloh der Stellvertreter des Kaisers, der Palatin Erzherzog Stephan, nach Wien, und am 26. erläßt der Kaiser das bekannte Manifest an die Ungarn, worin er das Ministerium als rebellisch absetzte, den Magyarenfresser Jellachich zum Gouverneur von Ungarn ernannte und die wesentlichsten revolutionären Eroberungen Ungarns antastete.
Das Manifest, von keinem ungarischen Minister kontrasigniert, wurde von Kossuth für null und nichtig erklärt.
Inzwischen war Jellachich, begünstigt durch die Desorganisation und Verräterei, die in dem ganzen nominellen ungarischen, aber in Wirklichkeit altkaiserlichen Offizierkorps und Generalstab herrschte, bis Stuhlweissenburg vorgedrungen. Dort schlug ihn das ungarische Heer, trotz seinen verräterischen Führern, und trieb ihn auf östreichisches Gebiet bis unter die Mauern von Wien. Der Kaiser und der alte Verräter Latour beschließen, ihm Verstärkung zu senden und Ungarn mit deutschen und slawischen Truppen wieder zu erobern. Da bricht die Wiener Revolution vom 6. Oktober aus und setzt den kaiserlich-königlichen Projekten vorderhand ein Ziel.
Kossuth zieht den Wienern sogleich mit einem magyarischen Korps zur Hülfe. An der Leitha halten ihn die Unschlüssigkeit des Wiener Reichstags und die Verräterei seiner eigenen Offiziere sowie die schlechte Organisation seines größtenteils aus Landsturm bestellenden Heeres vom sofortigen Einrücken ab. Ersieht sich endlich genötigt, ein paar Schock Offiziere arretieren, nach Pesth abführen und einige erschießen zu lassen, und wagt nun den <509> Angriff. Zu spät - Wien war schon gefallen, und seine undisziplinierten Landstürmer wurden bei Schwechat von den regelmäßigen österreichischen Truppen geworfen.
Sechs Wochen noch dauerte die Waffenruhe zwischen den Kaiserlichen und den Magyaren. Während beide Armeen alles aufboten, um sich zu verstärken, vollbrachte die Olmützer Kamarilla ihren lang vorbereiteten Coup: Sie ließ den Idioten Ferdinand, der sich durch Konzessionen an die Revolution kompromittiert und verschlissen hatte, abdanken und setzte das Kind Franz Joseph, den Sohn Sophiens, als ihr Werkzeug auf den Thron. Auf die ungarische Verfassung gestützt, verwarf der Pesther Reichstag diesen Thronwechsel.
Mitte Dezember wurde endlich der Krieg eröffnet. Die kaiserliche Armee hatte Ungarn bis dahin so gut wie umzingelt. Von allen Seiten geschah der Angriff.
Von Österreich aus rückten drei Armeekorps unter dem persönlichen Oberbefehl des Feldmarschalls Windischgrätz in der Stärke von mindestens 90.000 Mann südlich von der Donau vor. Von Steiermark aus zog Nugent mit etwa 20.000 Mann auf dem linken Ufer der Drave, aus Kroatien Dahlen mit 10.000 Mann auf dem rechten Ufer der Drave nach dem Banat zu. Im Banat selbst kämpften mehrere Grenzregimenter, die Besatzung von Temesvár, der serbische Landsturm und das serbianische Hülfskorps Knicanin, zusammen 30[.000] -40.000 Mann unter Todorovich und Rukavina. In Siebenbürgen standen Puchner mit 20[.000]-25.000 Mann und der aus der Bukowina eingefallene Malkowski mit 10[.000]-15.000 Mann. Aus Galizien endlich drang Schlick mit einem Korps von 20 [.000]-25.000 Mann gegen die obere Theiß vor.
Die kaiserliche Armee betrug im ganzen also mindestens 200.000 Mann regelmäßiger, meist kriegsgewohnter Truppen, ungerechnet die slawischen, romanischen und sächsischen Landstürmler und Nationalgarden, die sich im Süden und in Siebenbürgen am Kampf beteiligten.
Diesen kolossalen Streitkräften hatte Ungarn eine Armee von vielleicht 80[.000]-90.000 Mann exerzierter Truppen, worunter 24.000 Mann gediente Exkaiserliche, und außerdem 50[.000]-60.000 Mann noch ganz unorganisierte Honveds und Landstürmler entgegenzusetzen; eine Armee, deren Führer größtenteils eben solche Verräter waren, wie die von Kossuth an der Leitha arretierten Offiziere.
Aber während aus dem mit Gewalt niedergehaltenen Österreich vorderhand kein Rekrut mehr zu ziehen, während Österreich finanziell ruiniert und fast ohne Geld war, standen den Magyaren noch großartige Ressourcen offen. Der Freiheitsenthusiasmus der Magyaren, noch gehoben durch den National- <510> stolz, wuchs mit jedem Tage und stellte Kossuth eine für das kleine Volk von 5 Millionen unerhörte Zahl Kampflustiger zu Gebot; die ungarische Banknotenplatte stellte ihm eine unerschöpfliche Geldquelle zur Disposition, und jeder Magyar nahm diese Nationalassignaten wie hartes Silbergeld an. Gewehr- und Kanonenfabriken waren in voller Tätigkeit. Es fehlte der Armee nur an Waffen, an Übung und an guten Führern, und das alles war in wenigen Monaten zu schaffen. Es kam also nur darauf an, Zeit zu gewinnen, die Kaiserlichen ins Land hineinzulocken, wo sie durch fortwährenden Guerillakrieg ermüdet, durch Hinterlassung starker Garnisonen und sonstiger Detachierungen geschwächt wurden.
Daher der Plan der Ungarn, sich langsam ins Innere zurückziehen, in steten Gefechten die Rekruten zu üben und im äußersten Notfall die Theißlinie mit ihren unwegsamen Sümpfen, diesen um den Kern des Magyarenlandes gezogenen natürlichen Graben, zwischen sich und die Feinde zu legen.
Nach aller Berechnung mußten die Ungarn sich in dem Gebiet zwischen Preßburg und Pesth während zwei bis drei Monaten selbst gegen die überlegene österreichische Streitmacht halten können. Aber da trat der heftige Frost ein, der alle Flüsse und alle Sümpfe während mehrerer Monate mit einer selbst für schweres Geschütz passierbaren Eisdecke bekleidete. Dadurch wurden alle für die Verteidigung günstigen Terrainverhältnisse beseitigt, alle von den Magyaren angelegten Verschanzungen unnütz und der Umgehung ausgesetzt. So kam es, daß die ungarische Armee in kaum zwanzig Tagen von Ödenburg und Preßburg nach Raab, von Raab nach Moor, von Moor nach Pesth zurückgeworfen wurde, daß sie selbst Pesth räumen und sich wirklich schon beim Beginn des Feldzugs hinter die Theiß zurückziehen mußten.
Während dies bei der Hauptarmee geschah, ging es ebenso bei den übrigen Korps. Im Süden drangen Nugent und Dahlen immer weiter gegen das von den Magyaren besetzte Esseg vor, und näherten sich die Serben immer mehr der Maroslinie; in Siebenbürgen vereinigten sich Puchner und Malkowski bei Maros-Vásárhely; im Norden rückte Schlick aus den Karpathen bis an die Theiß herab und stellte über Miskolcz seine Verbindung mit Windischgrätz her.
Die Österreicher schienen mit der magyarischen Revolution so gut wie fertig zu sein. Zwei Drittel von Ungarn und drei Viertel von Siebenbürgen waren in ihrem Rücken, und die Ungarn waren in der Front, in beiden Flanken und im Rücken zugleich geschlagen. Noch ein paar Meilen weiteren Vordringens, und sämtliche kaiserliche Korps reichten sich die Hand zu einem enger und enger sich zusammenziehenden Kreise, in dem Ungarn wie in den Ringeln einer Boa Constrictor erdrückt wurde.
<511> Jetzt kam es darauf an, daß, während in der Front die Theiß einen für den Feind einstweilen unüberschreitbaren Graben bildete, nach irgendeiner Seite hin Luft geschafft werde.
Dies geschah nach zwei Seiten hin: in Siebenbürgen durch Bem, in der Slowakei durch Görgey. Beide führten Züge aus, wodurch sie sich als die genialsten Feldherren der Gegenwart dokumentierten.
Bem kam am 29. Dez. in Klausenburg an, dem einzigen Punkt von Siebenbürgen, der noch in den Händen der Magyaren war. Rasch konzentrierte er nun die mitgebrachten Verstärkungen, die Reste der geschlagenen magyarischen und szeklerischen Truppen, zog gegen Maros-Vásárhely, schlug die Östreicher und verfolgte zunächst Malkowski über die Karpathen in die Bukowina und von da nach Galizien, wo er bis gegen Stanislawow vordrang. Dann wandte er sich rasch nach Siebenbürgen zurück und trieb Puchner bis wenige Meilen von Hermannstadt vor sich her. Einige Gefechte, ein paar rasche Kreuz- und Querzüge, und ganz Siebenbürgen war in seinen Händen, bis auf zwei Städte, Hermannstadt und Kronstadt, und diese waren verloren, wenn man nicht die Russen ins Land rief. Das Gewicht, das die 10.000 russischen Hülfstruppen in die Waagschale legten, zwang Bem, sich ins Szeklerland zurückzuziehen Dort organisierte er den Aufstand der Szekler, und als ihm dies gelungen, ließ er den bis Schäßburg vorgedrungenen Puchner durch den Szekler Landsturm beschäftigen, umging seine Position, rückte direkt auf Hermannstadt, schlug die Russen heraus, schlug den nachrückenden Puchner, marschierte auf Kronstadt und zog hier ohne Schwertstreich ein.
Damit war Siebenbürgen erobert und der Rücken der magyarischen Armee frei. Die natürliche Festungslinie, die die Theiß bildete, fand jetzt ihre Fortsetzung und Ergänzung in der Bergreihe der Karpathen und Siebenbürgischen Alpen von der Zips an bis herunter an die Banater Grenzen.
Zu gleicher Zeit vollführte Görgey einen ähnlichen Triumphzug im nordwestlichen Ungarn. Von Pesth mit einem Korps nach der Slowakei aufgebrochen, hält er während zwei Monaten die von drei Seiten gegen ihn operierenden Korps der Generale Götz, Csorich und Simunich im Schach und schlug sich zuletzt, als seine Stellung der Übermacht gegenüber unhaltbar wurde, durch die Karpathen nach Eperies und Kaschau durch. Hier stand er im Rücken von Schlick, zwang diesen, rasch seine Position und seine ganze Operationsbasis aufzugeben und sich auf die Hauptarmee von Windischgrätz zurückzuziehen, während er selbst längst der Hernad hinab an die Theiß marschierte und sich mit der magyarischen Hauptmacht vereinigte.
Diese Hauptmacht, an deren Spitze jetzt Dembinski stand, war ebenfalls über die Theiß gegangen und hatte den Feind auf allen Punkten geworfen. Sie <512> war bis Hatvan 6 Meilen von Pesth, vorgedrungen, als die stärkere Konzentrierung der feindlichen Streitkräfte sie zwang, den Rückzug wieder anzutreten. Nach heftiger Gegenwehr bei Kapolna, Maklar und Poroszló ging sie wieder über die Theiß zurück, gerade in demselben Augenblick, als Görgey bei Tokaj an der Theiß ankam. Die Vereinigung beider Korps gab das Signal zu einem neuen, großartigen Vorrücken der Ungarn. Neu eingeübte Rekruten waren aus dem Innern angekommen und verstärkten die Operationsarmee der Magyaren. Polnische und deutsche Legionen waren gebildet, tüchtige Führer hatten sich entwickelt oder waren herbeigezogen, und anstatt der führerlosen, unorganisierten Masse vom Dezember stand den Kaiserlichen plötzlich eine konzentrierte, tapfere, zahlreiche, gut organisierte und vortrefflich geführte Armee gegenüber.
In drei Korps rückten die Magyaren über die Theiß. Der rechte Flügel (Görgey) zog nördlich, umging die ihm früher nachgerückte Division Ramberg bei Eperies und trieb sie eilig über Rimaszombat auf die kaiserliche Hauptarmee zurück. Diese wurde von Dembinski bei Erlau, bei Gyöngyös, bei Gödöllö und bei Hatvan geschlagen und zog sich eilends bis vor Pesth zurück. Der linke Flügel (Vetter) endlich vertrieb den Jellachich aus Kecskemét, Szolnok und Czegled, schlug ihn bei Jászberény, und zwang ihn ebenfalls zum Rückzuge unter die Mauern von Pesth. Hier standen nun die Kaiserlichen von Pesth bis Waitzen der Donau entlang, in einem weiten Halbkreis von den Magyaren umzingelt.
Um Pesth nicht dem Bombardement von Ofen her auszusetzen, nahmen die Ungarn zu ihrem erprobten Mittel Zuflucht, die Östreicher lieber durch Manöver als durch offenen Frontangriff aus dieser Position zu vertreiben. Görgey nahm Waitzen und warf die Östreicher hinter Gran und Donau zurück, schlug Wohlgemuth zwischen Gran und Neutra und entsetzte dadurch das von den Kaiserlichen belagerte Komorn. Die Kaiserlichen, in ihrer Rückzugslinie bedroht, mußten sie sich zum eiligen Rückzuge entschließen; Welden, der neue Oberbefehlshaber, zog sich in der Richtung von Raab und Preßburg zurück, und Jellachich mußte, um seine höchst widerspenstigen Kroaten zu beschwichtigen, eiligst mit ihnen donauabwärts nach Slawonien marschieren.
Auf ihrem Rückzug, der eher einer wilden Flucht glich, erlitten Welden (besonders seine Nachhut unter Schlick) und Jellachich noch bedeutende Schlappen. Während das Korps des letzteren sich mühsam und langsam durch das Tolnaer und Baranyer Komitat schlägt, hat Welden es möglich machen können, die Trümmer seiner Armee in Preßburg zu konzentrieren. Trümmer, die durchaus keine ernsthafte Widerstandsfähigkeit besitzen.
<513> Zugleich mit diesen überraschenden Siegen der Magyaren gegen die östreichische Hauptarmee drang Moritz Perczel von Szegedin und Tolna aus gegen Peterwardein vor, entsetzte es, nahm Besitz von der Bácska und drang ins Banat, um hier dem aus Siebenbürgen vordringenden Bem die Hand zu reichen. Bem hat schon Arad genommen und belagert Temesvár; Perczel steht in Werschetz hart an der türkischen Grenze, so daß in ein paar Tagen das Banat erobert ist. Zu gleicher Zeit decken die Szekler die verschanzten siebenbürgischen, der Landsturm die oberungarischen Gebirgspässe, und Görgey steht mit bedeutender Heeresmacht im Jablunkapaß, an der mährisch-galizischen Grenze.
Kurz, noch ein paar Tage, und die siegreiche magyarische Armee, die Trümmer der gewaltigen östreichischen Heere vor sich hertreibend, zog im Triumph in Wien ein und vernichtete auf immer die östreichische Monarchie.
Die Lossagung Ungarns von Östreich war bereits am 14. April in Debreczin beschlossen; die Allianz mit den Polen war seit Mitte Januar offen erklärt und durch den Eintritt von 20[.000]-30.000 Polen in die ungarische Armee zur Wirklichkeit geworden Die Allianz mit den Deutsch-Östreichern, die seit der Wiener Revolution vom 6. Oktober und in der Schlacht bei Schwechat schon bestand, wurde ebenfalls getragen und aufrechterhalten durch die deutschen Legionen im ungarischen Heer sowie durch die strategische und politische Notwendigkeit für die Magyaren, durch die Einnahme Wiens und die Revolutionierung Östreichs ihrer Unabhängigkeitserklärung Anerkennung zu verschaffen.
So verlor der magyarische Krieg sehr bald den nationalen Charakter, den er im Anfang hatte, und gerade durch den scheinbar nationalsten Schritt, durch die Unabhängigkeitserklärung, nahm er einen definitiv-europäischen Charakter an. Die Allianz mit den Polen zur Befreiung beider Länder, die Allianz mit den Deutschen zur Revolutionierung Ostdeutschlands erhielt erst einen bestimmen Charakter, eine solide Grundlage, als Ungarn sich von Östreich lossagte und dadurch die östreichische Monarchie für aufgelöst erklärte. Ungarn unabhängig, Polen wiederhergestellt, Deutsch-Östreich zum revolutionären Brennpunkt Deutschlands gemacht, die Lombardei und Italien von selbst unabhängig - mit der Durchführung dieser Pläne war das ganze osteuropäische Staatensystem zerstört, Östreich verschwunden, Preußen aufgelöst, Rußland an die Grenzen Asiens zurückgedrängt.
Die Heilige Allianz mußte also alles aufbieten, um der drohenden osteuropäischen Revolution einen Damm entgegenzusetzen Die russischen Armeen wälzten sich der siebenbürgischen und galizischen Grenze zu. Preußen besetzte die böhmisch-schlesische Grenze und ließ die Russen durch sein <514> Gebiet nach Prerau führen, und in wenig Tagen stand das erste russische Armeekorps auf mährischem Boden.
Die Magyaren, wohl wissend, daß sie es in wenig Wochen mit zahlreichen frischen Streitkräften zu tun haben würden, sind nicht so rasch auf Wien marschiert, als man es anfangs erwartete. Sie konnten Wien ebensowenig wie Pesth durch einen Frontangriff nehmen, ohne es beschießen zu müssen, und das durften sie nicht. Sie waren wieder, wie bei Pesth, genötigt, es durch Umgehung zu nehmen, und hierzu gehörte Zeit, gehörte die Gewißheit, daß sie selbst in Flanke und Rücken nicht bedroht seien. Aber gerade hier waren es die Russen, welche sie im Rücken bedrohten, während von der andern Seite her, bei einer direkten Bedrohung Wiens, starke momentane Detachierungen von Radetzkys Armee zu erwarten standen.
Statt rasch auf Wien zu rücken, haben die Ungarn also sehr klug gehandelt, wenn sie sich begnügten, die Kaiserlichen immer weiter aus Ungarn zurückzutreiben, sie in einem großen Bogen von den kleinen Karpathen bis zu den Ausläufen der Steierischen Alpen zu umstellen, ein starkes Korps gegen den Jablunka zu detachieren, die galizischen Gebirgspässe zu befestigen und zu decken, Ofen anzugreifen und die neue Aushebung von 250.000 Mann besonders in den wiedereroberten westlichen Komitaten rasch zu betreiben. Auf diese Weise sichern sie sich Flanke und Rücken und bringen eine Armee zusammen, die den russischen Zuzug ebensowenig wie die ehedem so kolossale kaiserliche Armee zu fürchten hat. Von dieser ruhmvollen schwarzgelben Armee sind 200.000 Mann nach Ungarn einmarschiert und kaum 50.000 zurückgekommen, der Rest ist gefallen, verwundet, krank, gefangen oder übergegangen.
Die Russen drohen zwar mit noch viel kolossaleren Armeen. 120.000, nach andern 170.000 Mann sollen einrücken. Nach dem "Triester Freihafen" soll die mobile Operationsarmee weit über 500.000 Mann betragen. Man kennt aber die russischen Übertreibungen, man weiß, daß von den angegebenen Zahlen nur die Hälfte in den Stammlisten stehen und daß von der Ziffer der Stammlisten wieder nicht die Hälfte wirklich vorhanden ist. Wenn die russische Hülfe, nach Abzug der zur Besetzung Polens nötigen Truppen, 60[.000]-70.000 Mann Effektivbestand aufbringt, so kann Östreich sich freuen. Und mit dieser Zahl werden die Magyaren fertig.
Der magyarische Krieg von 1849 hat sehr viel Ähnlichkeit mit dem polnischen Kriege von 1830/31. Aber gerade dadurch unterscheidet er sich von ihm, daß er alle Chancen, die Polen damals gegen sich hatte, jetzt für sich hat. Man weiß, daß Lelewel damals ohne Erfolg darauf drang, erstens durch Emanzipation der Bauern und Juden die Masse der Bevölkerung an die Revo- <515> lution zu ketten und zweitens durch Insurgierung des ganzen alten Polens alle drei teilenden Mächte in den Krieg zu verwickeln, den Krieg europäisch zu machen. Was damals in Polen erst durchging, als es zu spät war, damit fangen die Magyaren an. Die gesellschaftliche Revolution im Innern, die Vernichtung des Feudalismus war die erste Maßregel in Ungarn; die Hineinverwickelung Polens und Deutschlands in den Krieg die zweite, und damit war der europäische Krieg da. Mit dem Einrücken des ersten russischen Korps auf deutschen Boden hat er begonnen, mit dem Einrücken des ersten französischen Bataillons auf deutschen Boden wird er seine entscheidende Wendung nehmen.
Dadurch, daß der ungarische Krieg europäisch geworden ist, tritt er in Wechselwirkung mit allen übrigen Momenten der europäischen Bewegung. Sein Verlauf wirkt nicht nur auf Deutschland, er wirkt auch auf Frankreich und England. Daß die englische Bourgeoisie die Verwandlung Österreichs in eine russische Provinz dulden wird, steht nicht zu erwarten; daß das französische Volk nicht ruhig zusehen wird, wie die Kontrerevolution ihm näher und näher auf den Leib rückt, ist gewiß. Die Wahlen mögen in Frankreich ausfallen wie sie wollen, die Armee hat sich jedenfalls für die Revolution erklärt, und die Armee entscheidet für den Augenblick. Will die Armee den Krieg - und sie will ihn -, so ist er da.
Und er wird kommen. Die Revolution in Paris, sei es durch die Wahlen, sei es durch die an der Wahlurne schon vor sich gegangene Verbrüderung der Armee mit der revolutionären Partei, steht vor der Tür. Und während sich in Süddeutschland der Kern zu einer deutschen Revolutionsarmee bildet und Preußen verhindert, am ungarischen Feldzuge aktiv teilzunehmen, steht Frankreich auf dem Sprunge, aktiv an dem Kampfe sich zu beteiligen. Wenig Wochen, vielleicht wenige Tage schon werden entscheiden, und die französische, die magyarisch-polnische und die deutsche Revolutionsarmee werden bald unter den Mauern von Berlin auf dem Schlachtfeld ihr Verbrüderungsfest feiern.
Geschrieben von Friedrich Engels.