Das Ministerium der Tat | Inhalt | Die Ministerkrisis

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 5, S. 185-188
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1971


Vereinbarungsdebatte

["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 39 vom 9. Juli 1848]

<185> **Köln, 8. Juli. Zugleich mit der Nachricht von der Auflösung des Ministeriums Hansemann kommt uns auch der stenographische Bericht über die Vereinbarungssitzung vom 4. Juli zu. In dieser Sitzung wurde das erste Symptom dieser Auflösung, der Austritt des Herrn Rodbertus, bekanntgemacht und zugleich der Zerfall des Ministeriums durch die beiden widersprechenden Abstimmungen über die Posener Kommission und den Austritt der Linken einen bedeutenden Schritt weitergefördert.

Die Ankündigungen der Herrn Minister über den Austritt von Rodbertus enthalten auch im stenographischen Bericht nichts Neues. Wir übergehen sie.

Es erhob sich Herr Forstmann: Er müsse protestieren gegen die Ausdrücke, welche Herr Gladbach am 30. Juni von der "Deputation der achtbarsten Männer des Rheinlands und Westfalens" gebraucht habe. <Siehe "Berliner Vereinbarungsdebatten", S. 182>

Herr Berg: Ich habe bereits neulich zur Geschäftsordnung die Bemerkung gemacht, daß die Verlesung des Schreibens nicht hierher gehöre und daß sie mich langweile. <Siehe "Berliner Vereinbarungsdebatten"> (Ruf: Uns langweile!) Gut, uns. Ich habe für mich und mehrere gesprochen, und der Umstand, daß wir heute durch eine nachträgliche Bemerkung gelangweilt werden, hebt diese Bemerkung nicht auf.

Herr Tüshaus, Referent der Zentralabteilung in der posenschen Kommissionsfrage, stattet Bericht ab. Die Zentralabteilung trägt darauf an, daß die Kommission ernannt werde, um alle auf die Posener Angelegenheit bezüglichen Fragen zu untersuchen, und läßt die Frage offen, welche Mittel die Kommission zu diesem Zweck zu ihrer Verfügung haben soll.

Die Herren Wolff, Müller, Reichensperger II und Sommer haben Amendements gestellt, die sämtlich unterstützt werden und zur Diskussion kommen.

<186> Herr Tüshaus fügt seinem Bericht noch einige Bemerkungen hinzu, in denen er sich gegen die Kommission ausspricht. Die Wahrheit liege wie immer auch diesmal offenbar in der Mitte, und man werde nach langen und widersprechenden Berichten nur zu dem Resultate kommen, daß von beiden Seiten Unrecht geschehen sei. Damit sei man gerade so weit wie jetzt. Man solle sich wenigstens erst von der Regierung einen detaillierten Bericht geben lassen und daraufhin das Weitere beschließen.

Wie kommt die Zentralabteilung dazu, einen Berichterstatter zu wählen, der gegen seinen eignen Bericht das Wort ergreift?

Herr Reuter entwickelt die Gründe, die ihn veranlaßten, den Antrag zur Ernennung der Kommission zu stellen. Er bemerkt schließlich, er habe keineswegs eine Anklage der Minister beabsichtigt; er als Jurist wisse zu gut, daß alle bisherige Verantwortlichkeit der Minister illusorisch sei, solange kein Gesetz über diesen Punkt existiere.

Herr Reichensperger II erhebt sich. Er beteuert seine enormen Sympathien für Polen, er hofft, daß der Tag nicht fern sein wird, wo die deutsche Nation den Enkeln Sobieskis eine alte Ehrenschuld abträgt. (Als ob diese Ehrenschuld nicht längst abgetragen sei durch acht Teilungen Polens, durch Schrapnells, Höllenstein und Stockprügel!) "Aber wir werden auch die ruhigste Besonnenheit behaupten müssen, damit die deutschen Interessen immerdar in erster Linie bleiben." (Die deutschen Interessen bestehen natürlich darin, daß man von dem Gebiet soviel behält wie möglich.) Und gegen eine Kommission zur Untersuchung des Tatbestandes ist Herr Reichensperger besonders: "Dies ist eine Frage, welche ausdrücklich <Im stenogr. Bericht: ausschließlich> der Geschichte oder den Gerichten angehört." Hat Herr Reichensperger vergessen, daß er selbst in der Revolutionsdebatte erklärte, die Herren seien da, um "Geschichte zu machen"? <Siehe "Die Berliner Debatte über die Revolution", S. 75> Er schließt mit einer juristischen Spitzfindigkeit über die Stellung der Abgeordneten. Wir kommen später auf die Kompetenzfrage zurück.

Jetzt aber erhebt sich der Herr Bauer aus Krotoschin, selbst ein Deutschpole, um die Interessen seiner Genossenschaft zu verteidigen.

"Ich hätte gern die Versammlung gebeten, einen Schleier vor die Vergangenheit zu ziehen und sich nur mit der Zukunft eines Volks zu beschäftigen, das unsere Teilnahme mit Recht in Anspruch nimmt."

Wie rührend! Herr Bauer aus Krotoschin ist so sehr von Teilnahme an der Zukunft des polnischen Volks in Anspruch genommen, daß er über seine Vergangenheit, über die Barbareien der preußischen Soldateska, der Juden <187> und Deutschpolen "einen Schleier ziehen" möchte! Im Interesse der Polen selbst soll man die Sache fallenlassen!

"Was verspricht man sich von so betrübenden Erörterungen? Finden Sie die Deutschen schuldig, wollen Sie deshalb weniger für die Wahrung ihrer Nationalität, für die Sicherung ihrer Person und ihres Eigentums sorgen?"

In der Tat, eine großartige Offenherzigkeit! Herr Bauer aus Krotoschin gibt zu, daß die Deutschen möglicherweise unrecht haben könnten - aber wenn auch, die deutsche Nationalität muß doch auf Kosten der Polen unterstützt werden!

"Ich vermag nicht abzusehen, was das Aufwühlen des Schuttes der Vergangenheit Ersprießliches zutage fördern kann für eine befriedigende Lösung dieser schwierigen Fragen."

Allerdings nichts "Ersprießliches" für die Herren Deutschpolen und ihre wütigen Bundesgenossen. Darum sperren sie sich auch so sehr dagegen.

Herr Bauer sucht dann die Versammlung zu intimidieren: Durch eine solche Kommission werde von neuem der Feuerbrand in die Gemüter geworfen, von neuem der Fanatismus angeregt, und von neuem könne ein blutiger Zusammenstoß entstehen. Diese menschenfreundlichen Rücksichten verhindern Herrn Bauer, für die Kommission zu stimmen. Aber damit es nicht scheine, seine Kommittenten hätten die Kommission zu fürchten, kann er auch nicht dagegen stimmen. Aus Rücksicht für die Polen ist er gegen, aus Rücksicht für die Deutschen ist er für die Kommission, und um in diesem Dilemma seine ganze Unparteilichkeit zu bewahren, stimmt er gar nicht.

Ein anderer Abgeordneter aus Posen, Bußmann von Gnesen, sieht seine bloße Gegenwart als einen Beweis an, daß in Posen auch Deutsche wohnen. Er will statistisch beweisen, daß in seiner Gegend "ganze Massen Deutsche" wohnen. (Unterbrechung.) Das Vermögen vollends sei zu mehr als zwei Drittel in den Händen der Deutschen.

"Dagegen glaube ich den Beweis zu liefern, daß wir Preußen Polen nicht bloß 1815 durch unsere Waffen erobert haben (!?!), sondern durch einen 33jährigen Frieden, durch unsere Intelligenz" (wovon diese Sitzung Proben bietet) "zum zweiten Male erobert haben. (Unterbrechung. Der Präsident fordert Herrn Bußmann auf, bei der Sache zu bleiben.) Gegen Reorganisation bin ich nicht; die vernünftigste Reorganisation wäre aber eine Gemeindeordnung mit Wahl der Beamten; diese und die Frankfurter Beschlüsse über Schutz aller Nationalitäten würde den Polen alle Garantien bieten. Gegen die Demarkationslinie bin ich aber sehr. (Unterbrechung. Nochmalige Zurechtweisung.) Wenn ich denn bei der Sache bleiben soll, so bin ich gegen die Kommission, weil sie nutzlos und aufregend ist; übrigens fürchte ich sie nicht, <188> sondern werde für die Kommission sein, wenn es darauf ankomme ... (Unterbrechung: Er spricht also dafür!) Nein, ich spreche dagegen ... Meine Herren, um wenigstens die Gründe, weshalb der Aufruhr entstanden, zu begreifen, will ich Ihnen mit kurzen Worten ..." (Unterbrechung. Widerspruch.)

Cieszkowski: Nicht unterbrechen! Ausreden lassen!

Präsident: Ich bitte den Redner abermals, streng bei der Frage zu bleiben.

Bußmann: "Ich habe mich gegen die Kommission darüber ausgesprochen und habe weiter nichts zu sagen!"

Mit diesen wütenden Worten verläßt der entrüstete deutschpolnische Herr Rittergutsbesitzer die Tribüne und eilt unter dem schallenden Gelächter der Versammlung seinem Platze zu.

Herr Heyne, Abgeordneter des Bromberger Kreises, sucht die Ehre seiner Landsleute zu retten, indem er für die Kommission stimmt. Er kann sich indes auch nicht enthalten, den Polen Arglist, Betrug usw. vorzuwerfen.

Herr Baumstark, ebenfalls ein Deutschpole, ist wieder gegen die Kommission. Die Gründe sind immer die alten.

Die Polen enthalten sich der Diskussion. Nur Pokrzywnicki spricht für die Kommission. Es ist bekannt, daß gerade die Polen von jeher auf Untersuchung drangen, während es sich jetzt herausstellt, daß die Deutschpolen mit einer Ausnahme alle dagegen protestieren.

Herr Pohle ist so wenig Pole, daß er ganz Posen zu Deutschland rechnete und die Grenze zwischen Deutschland und Polen für eine "durch Deutschland gezogene Scheidewand" erklärte!

Die Verteidiger der Kommission sprachen im allgemeinen breit und mit wenig Schärfe. Wie bei ihren Gegnern, kamen auch bei ihnen Wiederholungen über Wiederholungen vor. Ihre Argumente waren meist feindlich trivialer Natur und weit weniger unterhaltend als die interessierten Beteuerungen der Deutschpolen.

Auf die Stellung der Minister, Beamten in dieser Frage sowie auf die vielberühmte Kompetenzfrage kommen wir morgen zurück.

Geschrieben von Friedrich Engels.