Valdenaires Haft - Sebaldt | Inhalt | Das Amendement Stupp
Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 5, S. 85-89["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 20 vom 20. Juni 1848]
<85> **Köln, 19. Juni. "Nichts gelernt und nichts vergessen" - das gilt vom Ministerium Camphausen ebensogut wie von den Bourbonen.
Am 14. Juni dringt das Volk, empört über die Verleugnung der Revolution durch die Vereinbarer <Siehe "Die Berliner Debatte über die Revolution">, auf das Zeughaus ein. Es will eine Garantie gegen die Versammlung haben, und es weiß, daß Waffen die beste Garantie sind. Das Zeughaus wird gestürmt, das Volk bewaffnet sich selbst.
Der Sturm des Zeughauses, ein Ereignis ohne unmittelbare Resultate, eine auf halbem Wege stehengebliebene Revolution, hatte dennoch die Wirkung:
1. daß die zitternde Versammlung ihren Beschluß vom vorigen Tage zurücknahm und erklärte, sie stelle sich unter den Schutz der Berliner Bevölkerung;
2. daß sie das Ministerium in einer Lebensfrage verleugnete und den Camphausenschen Verfassungsentwurf mit 46 Stimmen Majorität durchfallen ließ <Siehe "Die Vereinbarungsversammlung vom 15. Juni">;
3. daß das Ministerium sofort in volle Auflösung geriet, daß die Minister Kanitz, Schwerin und Auerswald abdankten - von denen bis jetzt erst Kanitz durch Schreckenstein definitiv ersetzt ist - und daß Herr Camphausen am 17. Juni erst sich von der Versammlung drei Tage Frist erbat, um sein gesprengtes Kabinett wieder zu vervollständigen.
Das alles hatte der Sturm des Zeughauses zustande gebracht.
Und zu derselben Zeit, wo die Wirkungen dieser Selbstbewaffnung des Volkes so schlagend hervortreten, wagt es die Regierung, die Handlung selbst anzugreifen! Zu derselben Zeit, wo Versammlung und Ministerium den Aufstand anerkennen, werden die Teilnehmer des Aufstandes zur Unter- <86> suchung gezogen, nach altpreußischen Gesetzen behandelt, in der Versammlung geschmäht und als gemeine Diebe hingestellt!
An demselben Tage, wo die bebende Versammlung sich unter den Schutz der Zeughausstürmer stellt, erklären Erlasse der Herren Griesheim (Kriegsministerialkommissar) und Temme (Staatsanwalt) die Zeughausstürmer für "Räuber" und "gewaltsame Diebe". Der "liberale" Herr Temme, den die Revolution aus dem Exil zurückholte, beginnt eine strenge Untersuchung gegen die Fortsetzer der Revolution. Korn, Löwinsohn und Urban werden verhaftet. Haussuchungen über Haussuchungen werden in ganz Berlin angestellt. Der Hauptmann Natzmer, der richtigen Blick genug hatte, um die Notwendigkeit seines Abzugs aus dem Zeughause sofort einzusehen, der Mann, der durch seinen friedlichen Abzug Preußen vor einer neuen Revolution und die Minister vor den größten Gefahren bewahrte - dieser Mann wird vor ein Kriegsgericht gestellt, wird nach Kriegsartikeln behandelt, die ihn zum Tode verurteilen.
Die Vereinbarer erholen sich ebenfalls von ihrem Schreck. In ihrer Sitzung vom 17. verleugnen sie die Zeughausstürmer, wie sie am 9. die Barrikadenkämpfer verleugnet haben. In dieser Sitzung vom 17. trug sich nämlich folgendes zu:
Herr Camphausen erklärt der Versammlung, er werde ihr jetzt die ganze Tatsache mitteilen, damit sie entscheide, ob das Ministerium wegen des Zeughaussturmes in Anklagezustand zu versetzen sei.
Allerdings war Grund vorhanden zu einer Anklage der Minister, und zwar nicht, weil sie den Sturm des Zeughauses geduldet, sondern weil sie ihn verursacht hatten, indem sie eine der bedeutendsten Folgen der Revolution, die Volksbewaffnung, eskamotierten.
Herr Griesheim, Kommissar des Kriegsministeriums, tritt nach ihm auf. Er gibt eine breitere Beschreibung der im Zeughause befindlichen Waffen, namentlich der Gewehre "einer ganz neuen Erfindung, alleiniges Geheimnis Preußens", der Waffen "von historischer Bedeutung" und alle der andern Herrlichkeiten. Er beschreibt die Bewachung des Zeughauses: oben 250 Mann Militär, unten die Bürgerwehr. Er beruft sich darauf, daß die Waffeneinsendungen und -absendungen aus dem Zeughaus, als Hauptdepot des ganzen preußischen Staats, kaum durch die Märzrevolution unterbrochen worden sei[en].
Nach allen diesen Vorbemerkungen, mit denen er die Teilnahme der Vereinbarer für das so höchst interessante Institut des Zeughauses zu fangen versuchte, kommt er endlich auf die Ereignisse des 14. Juni.
Man habe das Volk stets auf das Zeughaus und auf die Waffensendungen aufmerksam gemacht, man habe ihm gesagt, die Waffen gehörten ihm.
<87> Allerdings gehörten die Waffen dem Volke; erstens als Nationaleigentum und zweitens als Stücke der eroberten und garantierten Volksbewaffnung.
Herr Griesheim "konnte mit Bestimmtheit versichern, daß die ersten Schüsse aus dem Volke auf die Bürgerwehr gefallen seien".
Diese Behauptung ist ein Seitenstück der "siebzehn Militärtoten"" des März.
Herr Griesheim erzählt nun, wie das Volk ins Zeughaus eindrang, wie die Bürgerwehr sich zurückzog und nun "1.100 Gewehre der neuen Erfindung gestohlen wurden, ein unersetzlicher Verlust" (!). Man habe den Hauptmann Natzmer zum Abzug, zu einer "Pflichtverletzung" überredet; das Militär sei abgezogen.
Jetzt aber kommt der Herr Kriegsministerialkommissar zu einer Stelle seines Berichts, bei der ihm sein altpreußisches Herz blutet; das Volk hat das Heiligtum des alten Preußens entweiht. Man höre:
"Jetzt aber haben förmliche Greueltaten in den oberen Räumen begonnen. Man hat gestohlen, geraubt und verwüstet. Neue Waffen sind hinuntergeworfen und zerbrochen, Altertümer von unersetzlichem Wert, Gewehre mit Silber und Elfenbein, die künstlichen, schwer zu ersetzenden Modelle der Artillerie sind verwüstet, die mit dem Blut des Volks errungenen Trophäen und Fahnen, an denen die Ehre der Nation haltet, sind zerrissen und besudelt worden!" (Allgemeine Entrüstung. Ruf von allen Seiten: Pfui, Pfui!)
Diese Entrüstung des alten Haudegens über die Frivolität des Volks wirkt wahrhaft komisch. Das Volk hat an den alten Pickelhauben, Landwehrtschakos und sonstigem Gerümpel "von unersetzlichem Werte" "förmliche Greuel" begangen! Es hat "neue Waffen" hinuntergeworfen! Welch ein "Greuel" für einen im Dienst ergrauten Oberstlieutenant, der die "neuen Waffen" nur im Zeughaus ehrerbietig bewundern durfte, während sein Regiment mit den verschlissensten Gewehren exerzierte! Das Volk hat die Artilleriemodelle verwüstet! Verlangt Herr Griesheim etwa, das Volk solle sich bei einer Revolution vorher Glacéhandschuhe anziehen? Aber das Schrecklichste kommt erst - die Trophäen des alten Preußens sind besudelt und zerrissen worden!
Herr Griesheim berichtet uns hier eine Tatsache, aus der hervorgeht, daß das Berliner Volk am 14. Juni einen sehr richtigen revolutionären Takt gezeigt. Das Volk von Berlin hat die Befreiungskriege verleugnet, indem es die bei Leipzig und Waterloo eroberten Fahnen mit Füßen trat. Das erste, was die Deutschen in ihrer Revolution zu tun haben, ist, mit ihrer ganzen schimpflichen Vergangenheit zu brechen.
Aber die altpreußische Versammlung der Vereinbarer mußte natürlich Pfui! Pfui! schreien über einen Akt, in dem das Volk zum erstenmal nicht <88> nur gegen seine Unterdrücker, sondern auch gegen die glänzenden Illusionen seiner eignen Vergangenheit revolutionär auftritt.
Bei aller schnurrbartsträubenden Entrüstung über solchen Frevel vergißt Herr Griesheim jedoch nicht zu bemerken, daß die ganze Geschichte "dem Staat 50.000 Taler und für mehrere Bataillone Truppen die Waffen kostet".
Er fährt fort:
"Es ist nicht das Streben nach Volksbewaffnung, welches den Angriff veranlaßt hat. Die Waffen sind für wenige Groschen verkauft worden."
Nach Herrn Griesheim war der Zeughaussturm bloß die Tat einer Anzahl Diebe, die Gewehre stahlen, um sie für einen Schnaps wieder zu verkaufen.
Warum die "Räuber" gerade das Zeughaus und nicht vielmehr die reichen Läden der Goldschmiede und Geldwechsler plünderten, darüber ist der Kriegsministerialkommissar eine Erklärung schuldig geblieben.
"Es hat sich für den unglücklichen (!) Hauptmann eine sehr rege Teilnahme gezeigt, deshalb weil er seine Pflicht verletzt, um, wie es heißt, kein Bürgerblut zu vergießen; ja man hat die Tat als anerkennenswert und dankenswert dargestellt; es war sogar heute eine Deputation bei mir, welche verlangt, daß die Tat als dankenswert für das ganze Vaterland anerkannt werden soll. (Entrüstung.) Es waren Deputierte der verschiedenen Klubs unter Vorsitz des Assessors Schramm. (Entrüstung zur Rechten und 'Pfui!') Das steht fest, der Kapitän hat das erste, das vornehmlichste Gesetz des Soldaten gebrochen - er hat seinen Posten verlassen, trotz der ihm ausdrücklich erteilten Instruktion, dies nicht ohne besondern Befehl zu tun. Es ist ihm vorgeredet worden, daß er durch seinen Abmarsch den Thron rette, daß sämtliche Truppen die Stadt verlassen und der König aus Potsdam entflohen wäre. (Entrüstung.) Er hat ebenso gehandelt, wie jener Festungskommandant im Jahre 1806, der auch ohne weiteres das ihm Anvertraute übergab, anstatt es zu verteidigen. Was übigens die Einrede betreffe, daß er durch seinen Abmarsch das Vergießen von Bürgerblut gehindert habe, so verschwindet diese ganz von selbst; es wäre auch kein Haar gekrümmt worden, da er den Posten in dem Augenblick übergab, als der übrige Teil des Bataillons zu seiner Hülle anrückte." (Bravo zur Rechten, Zischen zur Linken.)
Herr Griesheim hat natürlich wieder vergessen, daß die Zurückhaltung des Hauptmanns Natzmer Berlin vor einem neuen Waffenkampf, die Minister vor der größten Gefahr, die Monarchie vor dem Sturz rettete. Herr Griesheim ist wieder ganz Oberstlieutenant, sieht in der Handlung Natzmers nichts als Insubordination, feiges Verlassen seines Postens und Verrat nach der bekannten altpreußischen Manier von 1806. Der Mann, dem die Monarchie ihre Fortdauer verdankt, soll zum Tode verurteilt werden. Ein schönes Beispiel für die ganze Armee!
Und wie benahm sich die Versammlung bei dieser Erzählung des Herrn Griesheim? Sie war das Echo seiner Entrüstung. Die Linke protestiert <89> schließlich durch - Zischen. Die Berliner Linke benimmt sich überhaupt immer feiger, immer zweideutiger. Diese Herren, die bei den Wahlen das Volk exploitiert haben, wo waren sie in der Nacht vom 14. Juni, als das Volk aus bloßer Ratlosigkeit die gewonnenen Vorteile bald wieder fahren ließ, als nur ein Führer fehlte, um den Sieg vollständig zu machen? Wo waren die Herren Berends, Jung, Elsner, Stein, Reichenbach? Sie blieben zu Hause oder machten ungefährliche Vorstellungen bei den Ministern. Und damit nicht genug. Sie wagen es nicht einmal, das Volk gegen die Verleumdungen und Schmähungen des Regierungskommissars zu verteidigen. Kein einziger Redner tritt auf. Kein einziger will verantwortlich sein für den Akt des Volks, der ihnen den ersten Sieg verschafft hat. Sie wagen nichts als zu - zischen! Welcher Heldenmut!
Geschrieben von Friedrich Engels.