Die Vereinbarungssitzung vom 17. Juni | Inhalt | Neue Politik in Posen

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 5, S. 90-93
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1971


Das Amendement Stupp

["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 21 vom 21. Juni 1848]

<90> **Köln, 20. Juni. Herr Stupp aus Köln hat zu dem Gesetze wegen Unverletzlichkeit der Abgeordneten ein Amendement gestellt, das in der Vereinbarungsversammlung nicht zur Diskussion kam, seinen Kölner Mitbürgern aber nicht uninteressant sein dürfte. Wir wollen ihnen den ungeteilten Genuß dieses legislatorischen Kunstwerks nicht vorenthalten.

Amendement des Abgeordneten Stupp

§ 1. "Kein Mitglied der Versammlung kann für seine Abstimmungen oder für die von ihm in seiner Eigenschaft als Abgeordneter ausgesprochenen Worte und Meinungen in irgendeiner Weise zur Rechenschaft gezogen werden."

Amendement: Streichung des Wortes 'Worte' in der dritten Zeile."

Begründung: "Es genügt, daß der Abgeordnete seine Meinung frei äußern darf. Unter dem Ausdruck 'Worte' können auch Ehrenkränkungen subsumiert werden, welche den Beleidigten zu einer Zivilklage berechtigen. Gegen solche Klagen die Abgeordneten in Schutz zu nehmen, scheint mir mit dem Ansehen und der Ehre der Versammlung in Widerspruch zu stehen."

Es genügt, daß der Abgeordnete gar keine Meinung äußert, sondern trommelt und abstimmt. Denn warum nicht auch die "Meinung" streichen, da Meinungen in "Worten" geäußert werden müssen und sogar in "ehrenkränkenden" Worten geäußert werden können, da unter dem Ausdrucke "Meinungen" auch ehrenkränkende Meinungen "subsumiert" werden können?

§ 2. "Kein Mitglied der Versammlung kann während der Dauer derselben ohne ihre Genehmigung wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung zur Verantwortung gezogen oder verhaftet werden, außer, wenn es entweder bei der Ausübung der Tat oder binnen 24 Stunden nach derselben festgenommen wird. Gleiche Genehmigung ist bei einer Verhaftung wegen Schulden notwendig."

<91> Amendement: "Streichung des Schlußsatzes: 'Gleiche Genehmigung ist bei einer Verhaftung wegen Schulden notwendig.'"

Begründung: "Es liegt hierin ein Eingriff in die Privatrechte der Staatsbürger, dessen Sanktion mir bedenklich erscheint. So groß das Interesse der Versammlung auch sein mag, irgendeinen Abgeordneten in ihrer Mitte zu haben, so halte ich dennoch die Achtung der Privatrechte für überwiegend.

Zu bedenken ist aber insbesondere, daß wir dies Gesetz nicht für die Zukunft, d.h. nicht für die Mitglieder einer künftigen Kammer, sondern für uns beschließen. Vorausgesetzt, es seien Mitglieder unter uns, welche eine Verhaftung wegen Schulden zu befürchten hätten, so würde es doch gewiß bei unsern Wählern einen üblen Eindruck machen, wollten wir uns durch ein von uns selbst beschlossenes Gesetz gegen die rechtmäßige Verfolgung unserer Kreditoren schützen."

Oder vielmehr umgekehrt! Es macht auf Herrn Stupp einen üblen Eindruck, daß die Wähler Mitglieder "unter uns" geschickt haben, die wegen Schulden verhaftet werden könnten. Welch Glück für Mirabeau und Fox, daß sie nicht unter der Gesetzgebung Stupp gelebt. Eine einzige Schwierigkeit macht Herrn Stupp einen Augenblick stutzig, es ist "das Interesse der Versammlung, irgendeinen Abgeordneten in ihrer Mitte zu haben". Das Volksinteresse - doch wer wird davon sprechen? Es handelt sich nur um das Interesse einer "geschlossenen Gesellschaft", die einen in ihrer Mitte haben will, während der Gläubiger einen draußen im Arresthause will. Kollision von zwei wichtigen Interessen! Herr Stupp konnte seinem Amendement eine bündigere Fassung gehen: Individuen, welche mit Schulden behaftet sind, können nur mit Erlaubnis ihrer respektiven Gläubiger zu Volksrepräsentanten ernannt werden. Sie sind jederzeit von ihren Gläubigern abberufbar. Und in letzter Instanz sind Versammlung und Regierung der allerhöchsten Entscheidung der Staatsgläubiger unterworfen.

Zweites Amendement zu § 2:

"Kein Mitglied der Versammlung kann ohne deren Genehmigung während der Dauer der Sitzungen derselben wegen einer strafbaren Handlung von Amts wegen verfolgt noch verhaftet werden, es sei denn, daß letztere auf frischer Tat erfolge."

Begründung: "In der ersten Linie ist das Wort 'Versammlung' als Korporation genommen, darauf scheint der Ausdruck 'Dauer derselben' nicht zu passen, und schlage ich vor 'Dauer der Sitzungen derselben'.

Statt 'mit Strafe bedrohte Handlung' scheint 'strafbare Handlung' passender.

Ich bin der Meinung, daß wir Zivilklagen wegen strafbarer Handlungen nicht ausschließen dürfen, wir wurden dann einen Eingriff in die Privatrechte uns erlauben. Daher der Zusatz 'von Amts wegen'.

Wenn der Zusatz 'oder in den nächsten 24 Stunden etc.' bleibt, so kann der Richter jeden Abgeordneten binnen 24 Stunden nach irgendeinem Vergehen verhaften."

<92> Der Gesetzvorschlag sichert die Unverletzlichkeit des Deputierten während der Dauer der Versammlung, das Amendement des Herrn Stupp während "der Dauer der Sitzungen", d.h. während 6, höchstens 12 Stunden per Tag. Und welch scharfsinnige Begründung. Von der Dauer einer Sitzung kann man sprechen, aber die Dauer einer Korporation?

Von Amts wegen will Herr Stupp den Deputierten ohne Genehmigung der Versammlung weder verfolgen noch verhaften lassen. Er erlaubt sich also einen Eingriff in das Kriminalrecht. Aber von der Zivilklage wegen! Nur ja kein Eingriff in das Zivilrecht. Es lebe das Zivilrecht! Was dem Staate nicht zu steht, muß dem Privatmanne zustehen! Die Zivilklage über alles! Die Zivilklage ist die fixe Idee des Herrn Stupp. Das Zivilrecht ist Moses und die Propheten! Schwört auf das Zivilrecht, namentlich auf die Zivilklage! Respekt, Volk, vor dem Allerheiligsten!

Es gibt keinen Eingriff des Privatrechts in das öffentliche Recht, es gibt aber "bedenkliche" Eingriffe des öffentlichen Rechts in das Privatrecht. Wozu überhaupt noch eine Konstitution, da wir den Code civil besitzen und bürgerliche Gerichtshöfe und Advokaten?

§ 3. "Jedes Strafverfahren gegen ein Mitglied der Versammlung und jede Haft wird für die Dauer der Sitzung aufgehoben, wenn die Versammlung es verlangt."

Zu § 3 Antrag auf folgende abgeänderte Fassung:

"Jedes Strafverfahren gegen ein Mitglied der Versammlung und jede infolge desselben stattgehabte Verhaftung, wenn sie nicht kraft eines richterlichen Erkenntnisses erfolgt ist, soll sofort, sofern die Versammlung dies beschließt, aufgehoben werden."

Begründung: "Es ist wohl nicht die Absicht, solche Abgeordnete, welche bereits durch richterliches Erkenntnis zur Gefängnisstrafe verurteilt sind, aus dem Arresthause zu entlassen.

Geht das Amendement durch, so gilt dasselbe von denen, welche sich schuldenhalber im Arrest befinden."

Könnte die Versammlung die hochverräterische Absicht hegen, die "Kraft eines richterlichen Erkenntnisses" zu schwächen oder gar einen schuldenhalber "im Arrest" befindlichen Mann in ihren Schoß zu berufen? Herr Stupp zittert vor diesem Attentat gegen die Zivilklage und die Kraft eines richterlichen Erkenntnisses. Alle Fragen über Volkssouveränität haben jetzt ihre Erledigung gefunden. Herr Stupp hat die Souveränität der Zivilklage und des Zivilrechts proklamiert. Wie grausam, solchen Mann der zivilrechtlichen Praxis zu entreißen und ihn in die untergeordnete Sphäre der gesetzgebenden Gewalt hineinzuschleudern? Das souveräne Volk hat diesen "bedenklichen" Eingriff in das "Privatrecht" begangen. Herr Stupp macht da- <93> für eine Zivilklage anhängig gegen die Volkssouveränität und das öffentliche Recht.

Der Kaiser Nikolaus aber mag ruhig umkehren. Bei dem ersten Überschreiten der preußischen Grenze tritt ihm entgegen der Abgeordnete Stupp, in der einen Hand die "Zivilklage" und in der andern das "richterliche Erkenntnis". Denn, demonstriert er mit gebührender Feierlichkeit: Der Krieg, was ist der Krieg? Ein bedenklicher Eingriff in das Privatrecht! Ein bedenklicher Eingriff in das Privatrecht!