Über den Krieg - XXXVIII | Inhalt | Über den Krieg - XL

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 17, 5. Auflage 1973, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1962, Berlin/DDR. S. 250-252.

Erstellt am 13.12.1998.
1. Korrektur.

Friedrich Engels

Über den Krieg - XXXIX


["The Pall Mall Gazette" Nr. 1860 vom 28. Januar 1871]

|250| Nur zweimal seit Sedan haben die Operationen einer französischen Armee General Moltke ernstlich beunruhigt. Das erstemal war das etwa Mitte November, als die Loire-Armee nach der Niederlage von der Tanns in Coulmiers nach links abschwenkte, um Paris von Westen her zu erreichen, und bis Dreux vorrückte. Damals traf Moltke mit einer Entschlossenheit, die einer solchen kritischen Situation angemessen war, Vorbereitungen zur sofortigen Aufhebung der Belagerung, falls der Großherzog von Mecklenburg mit allen zeitweiligen Verstärkungen, die ihm zu Hilfe gesandt worden waren, nicht stark genug sein sollte, den Vormarsch des Feindes aufzuhalten. Dieser Vormarsch wurde aufgehalten, und die Belagerung konnte fortgesetzt werden. Das zweitemal war es Bourbakis Marsch nach dem Osten, der die Ruhe im Hauptquartier von Versailles störte. Wie ernst diese Bewegung beurteilt wurde, zeigen uns die Maßnahmen, die sofort dagegen ergriffen wurden. Werders Truppen - das XIV. Korps und die Reservedivisionen von Tresckow und Schmeling - wurden sofort durch zwei weitere Korps verstärkt, wovon eins, nämlich das II., bereits am 2. Januar von Paris abmarschierte. Der Ton der offiziösen Mitteilungen wurde vorsichtig; am 11. machte die "Provinzial-Correspondenz" auf die Tatsache aufmerksam, daß "im Osten Frankreichs bedeutende und entscheidende Schlachten bevorstehen", und daß Bourbaki beabsichtige, nach der Entsetzung Belforts die preußische Verbindungslinie bei Nancy zu durchbrechen. Inoffizielle Korrespondenten sprachen sich, wenn auch stets zurückhaltend, etwas deutlicher aus; wir wollen nur einen von ihnen anführen: Wickede von der "Kölnischen Zeitung". Unmittelbar nach dem Treffen von Villersexel, in dem Werder seine Verbindungen mit Tresckows Truppen vor Belfort und seinen Rückzug dorthin gesichert hatte, sagte er:

|251| "Daß die Franzosen Belfort nicht entsetzen können, dafür ist hinreichend gesorgt; und auch die Befürchtung, daß es ihnen vielleicht gelingen dürfte, über Chaumont nach Nancy oder einem anderen Punkte der Nancy-Pariser Eisenbahn durchzubrechen und uns dadurch manchen Schaden zuzufügen, die man vielleicht einige Tage nicht ganz ohne Grund hegen durfte, ist durch mehrere letzte glückliche Gefechte für wenigstens die nächste Zeit wieder aller Wahrscheinlichkeit nach beseitigt."

Am 16. Januar schrieb er aus Nancy, daß, nachdem Manteuffel mit drei Divisionen jenseits Châtillon angekommen war,

"jede Besorgnis, daß ein feindliches Korps sich dieser Stadt bemächtigen könne - die man vor einigen Tagen noch mit Recht |mit Recht: in der "P.M.G." englisch und deutsch| hegen konnte - jetzt wieder gänzlich verschwunden ist". (Unmittelbar nach diesem Brief wird einer aus Baden angeführt, der mit den Worten beginnt: "Der Ernst der Situation vor Belfort ist nicht zu verkennen.")

Aber Herr Wickede war zu weiteren Besorgnissen verurteilt, denn am folgenden Tage mußte er mitteilen, daß Nachrichten über die Besetzung von Flavigny (elf Meilen von Nancy) durch französische Truppen eingetroffen sind. Sofort wurden die Wachen verstärkt, starke Patrouillen ausgesandt und die zwanzig Lokomotiven auf dem Bahnhof unter Dampf gesetzt; Offiziere, Regierungsbeamte und andere Deutsche packten ihre Koffer und hielten sich zur sofortigen Abreise bereit. Man glaubte, die Truppen in Flavigny seien Garibaldis Vorhut; es stellte sich aber heraus, daß es ungefähr zwanzig Franktireurs aus den Vogesen waren, die bald wieder verschwanden. Aber die preußische Besatzung von Nancy war bis zum 19., als die Nachrichten von Bourbakis entscheidender Niederlage an der Lisaine eintrafen, noch nicht völlig beruhigt; und erst dann konnte Wickede endlich wieder seinen alten Ton anschlagen.

Sollten die Franzosen nach all diesen Niederlagen nicht zu der Überzeugung kommen, daß weiterer Widerstand hoffnungslos ist? Das war die Meinung der unmittelbar Beteiligten über eine Operation, die nach ihrem Fehlschlag von der "Times" als einfach absurd abgetan wurde. Es konnten Meinungsverschiedenheiten darüber bestehen, ob die Operation mit genügenden Kräften unternommen worden war oder ob sich ein eventueller Erfolg schnell genug auswirken konnte, um Paris zu retten, bevor der Hunger die Übergabe erzwang, oder ob dies überhaupt die beste Richtung für einen Schlag gegen die deutschen Verbindungslinien war. Aber solch eine Bewegung, eine der wirksamsten, die der Strategie bekannt sind, als einfach absurd hinzustellen, das blieb den Moltkes der "Times" vorbehalten.

Inzwischen hat Graf Moltke mit seiner gewöhnlichen Meisterschaft |252| operiert. Es war zu spät, Werder noch vor Bourbakis Ankunft Verstärkungen zu schicken; Moltke wählte daher das beste, was er tun konnte, und konzentrierte seine Verstärkungen bei Châtillon, wo Manteuffel am 15. oder kurz vorher über drei Divisionen (die 3., 4. und 13.) verfügte, zu denen das 60. Regiment (des III. Korps) stieß, das vom Prinzen Friedrich Karl in der Umgebung zurückgelassen worden war. Wir dürfen annehmen, daß sich unterdessen auch die 14. Division Manteuffel angeschlossen hat. Jedenfalls hatte er auf seinem Vormarsch nach Süden wenigstens einundvierzig, wenn nicht dreiundfünfzig Bataillone unter sich. Mit diesen Truppen marschierte er zum Doubs, Dijon südlich liegenlassend, wo er Garibaldi durch einen Angriff am 23. bloß beschäftigte, aber augenscheinlich ohne die Absicht, seinen Vormarsch durch ernstliche Treffen mit Garibaldi zu verzögern oder die Stadt zu erobern. Im Gegenteil, er verfolgte beharrlich sein Hauptziel, Bourbaki den Rückzugsweg abzuschneiden. Nach den letzten Telegrammen wurde dieses Ziel fast erreicht. Seine Truppen hatten den Doubs überschritten und standen bei Quingey und Mouchard, wo die Eisenbahn von Dijon nach Pontarlier und der Schweiz die Linie Besançon - Lyon kreuzt. Es bleibt noch eine gute Straße, auf der Bourbaki entkommen kann, aber sie führt über Champagnole, nur 25 Meilen von Mouchard entfernt, und kann gegenwärtig bereits besetzt sein. In diesem Fall würde Bourbaki nur die Landstraße übrigbleiben, die durch das Quellgebiet des Doubs führt, wo er schwerlich mit seiner Artillerie durchkommen kann; und sogar dieser Weg kann ihm abgeschnitten werden, bevor er außer Gefahr ist. Falls er die feindlichen Truppen nicht in einem Gebiet durchbrechen kann, das für die Verteidigung sehr günstig ist, so hat er nur die Wahl, sich unter den Schutz der Forts von Besançon zurückzuziehen oder sich im offenen Felde zu ergeben - die Wahl zwischen Metz und Sedan -, sofern er sich nicht der Schweiz ausliefert.

Es ist unbegreiflich, warum er so lange bei Belfort gezaudert hat, denn die letzten preußischen Telegramme melden, er stehe noch immer nordöstlich von Besançon. Wenn er Werder nicht schlagen konnte, bevor Manteuffel ankam, wieviel weniger durfte er hoffen, es nachher zu können? Bourbaki hätte sich sofort nach seiner letzten Niederlage vor Belfort in eine sichere Stellung zurückziehen müssen. Warum er das nicht tat, ist völlig unerklärlich. Aber wenn ihm das Schlimmste zustoßen sollte, so müßte man nach seiner geheimnisvollen Reise von Metz nach Chislehurst und nach seiner Weigerung in Lille, der Republik die Ehrenbezeigung zu erweisen, die Loyalität des früheren Befehlshabers der Kaiserlichen Garde stark bezweifeln.