[Die Teilung der Arbeit bei der "Kölnischen Zeitung"] | Inhalt | Der demokratische Panslawismus
Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 6, S. 267-269Lassalle
["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 219 vom 11. Februar 1849]
<267> *Köln, 10. Februar. Wir versprachen gestern <Siehe "Der Steuerverweigerungsprozeß", S. 259>, auf Lassalle zurückzukommen. Lassalle sitzt nunmehr schon 11 Wochen im Düsseldorfer Gefängnis, und erst jetzt ist die Untersuchung über einfache, durchaus nicht geleugnete Tatsachen beendigt; erst jetzt entscheidet die Ratskammer. Man hat es glücklich dahin gebracht, daß Ratskammer und Anklagesenat, wenn sie nur das Maximum der gesetzlichen Frist einhalten, die Sache über die bevorstehenden Düsseldorfer Assisen hinausverschleppen und den Gefangenen mit neuen drei Monaten Untersuchungshaft beglücken können.
Und welche Untersuchungshaft!
Man weiß, daß eine Deputation der verschiedenen demokratischen Vereine Kölns neulich dem Generalprokurator Nicolovius eine von einigen tausend Bürgern unterzeichnete Adresse überbrachte, worin 1. um Beschleunigung der Untersuchung gegen die Düsseldorfer politischen Gefangenen, 2. um anständige Behandlung derselben während der Untersuchungshaft gebeten war. Herr Nicolovius versprach diesen billigen Forderungen möglichste Berücksichtigung.
Wie sehr man sich aber im Düsseldorfer Gefängnis um den Herrn Generalprokurator, um die Gesetze und um die allergewöhnlichsten Rücksichten des Anstandes kümmert, davon folgendes Exempel:
Ein Gefängniswärter erlaubte sich am 5. Januar einige Brutalitäten gegen Lassalle und setzte diesen die Krone dadurch auf, daß er zum Direktor ging und Lassalle verklagte, als habe dieser ihn brutalisiert.
Eine Stunde nachher tritt der Direktor, vom Instruktionsrichter begleitet, in Lassalles Zimmer, ohne ihn zu grüßen und stellt ihn deswegen zur Rede.
<268> Lassalle unterbricht ihn mit der Bemerkung, unter gebildeten Leuten sei es üblich, daß man sich begrüße, wenn man zu jemanden ins Zimmer trete, und er sei berechtigt, diese Höflichkeit vom Direktor zu verlangen.
Das war dem Herrn Direktor zuviel. Wütend geht er auf Lassalle zu, drängt ihn ans Fenster zurück und schreit mit möglichst lauter Stimme und unter Begleitung von Gestikulationen sämtlicher Gliedmaßen:
"Hören Sie, Sie sind hier mein Gefangener und weiter nichts, Sie haben sich der Hausordnung zu fügen, und wenn Ihnen das nicht beliebt, so werde ich Sie ins Cachot werfen lassen, und es kann Ihnen noch Ärgeres passieren!"
Hierauf wurde Lassalle ebenfalls heftig und erklärte dem Direktor: er habe kein Recht, ihn nach der Hausordnung zu bestrafen, da er Untersuchungsgefangener sei; das laute Schreien nütze nichts und beweise nichts; wenn dies Haus auch ein Gefängnis sei, so sei hier doch sein Zimmer, und wenn der Direktor (mit dem Finger zeigend) hier bei ihm eintrete, so habe er ihn zu grüßen.
Jetzt verlor der Direktor alle Besinnung. Er rückte Lassalle dicht auf den Leib, holte weit mit ausgestrecktem Arm aus und schrie:
"Gestikulieren Sie nicht mit Ihrem Finger, oder ich schlage Ihnen gleich mit eigner Hand eine ins Gesicht, daß ..."
Lassalle forderte sofort den Instruktionsrichter zum Zeugen für diese unerhörte Mißhandlung auf und stellte sich unter seinen Schutz. Der Instruktionsrichter suchte nun den Direktor zu besänftigen, was aber erst nach mehrmals wiederholtem Anerbieten von Ohrfeigen gelang.
Lassalle wandte sich nach dieser erbaulichen Szene an den Staatsprokurator v. Ammon mit dem Antrage, gegen den Direktor, Herrn Morret, [eine Untersuchung] einzuleiten. Die Gewaltsamkeiten des Direktors konstituieren nämlich nicht bloß eine Mißhandlung und schwere Beleidigung, sondern auch eine Überschreitung der Amtsbefugnisse.
Herr v. Ammon antwortete, Untersuchungen wegen Überschreitung der Amtsbefugnisse von seiten der Gefängnisbeamten könnten nicht ohne vorgängige Genehmigung der Verwaltungsbehörde eingeleitet werden, und verwies Lassalle an die Regierung. Er stützte sich hierbei auf irgendeine alte Kabinettsordre von 1844.
Der Art. 95 der oktroyierten sogenannten Verfassung erklärt:
"Es ist keine vorgängige Genehmigung der Behörden nötig, um öffentliche zivil- oder Militärbeamten wegen der durch Überschreitung ihrer Amtsbefugnisse verübten Rechtsverletzungen gerichtlich zu belangen."
<269> Art. 108 derselben Charte hebt ausdrücklich alle mit ihr im Widerspruch stehenden Gesetze auf. Aber umsonst berief sich Lassalle dem Staatsprokurator gegenüber auf den Art. 95; Herr v. Ammon beharrte auf seinem Kompetenzkonflikt und entließ ihn mit der angenehmen Bemerkung: "Sie scheinen zu vergessen, daß Sie Untersuchungsgefangener sind!"
Hatten wir nicht recht zu sagen, die sog. Verfassung sei bloß gegen uns, nicht aber gegen die Herren Beamten oktroyiert worden?
Also Anerbieten von Ohrfeigen, Cachot und körperliche Züchtigung, denn was war das "Ärgere", das Herr Morret sich vorbehielt, das ist die "anständige Behandlung", welche der Deputation für die politischen Gefangenen zugesagt wurde!
Beiläufig bemerken wir, daß nach dem Gesetz die Untersuchungsgefängnisse von den Strafgefängnissen durchaus getrennt sein und die Gefangenen der ersteren unter einem ganz anderen Regime stehen sollen als die Sträflinge. In Düsseldorf existiert aber kein besonderes Untersuchungsgefängnis, und die Untersuchungsgefangenen, nachdem man sie ins Strafgefängnis ungesetzlicherweise eingesperrt, sollen zudem noch unter die Hausordnung der Sträflinge gestellt, ins Cachot geworfen und mit Stockprügeln traktiert werden können! Damit dieser lobenswerte Zweck mit Lassalle erreicht werde, hat der P. P. Morret eine Disziplinarkommission zusammenberufen, welche Herrn Lassalle obiger Annehmlichkeiten teilhaftig werden lassen soll. Und die Herren Instruktionsrichter und Prokuratoren scheinen dies alles ruhig hingehen zu lassen oder sich hinter einem Kompetenzkonflikte zu verschanzen!
Lassalle hat sich an den Generalprokurator gewandt. Wir veröffentlichen unsererseits die ganze Sache, damit die öffentliche Stimme die Beschwerde des Gefangenen unterstütze.
Wir hören übrigens, daß Lassalle endlich aus der einsamen Haft entlassen und wenigstens mit Cantador in dasselbe Gefängnis eingeschlossen ist.
Geschrieben von Karl Marx.