MLWerke | | | 1842 | | | Marx/Engels |
Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/ Friedrich Engels - Werke. (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 1. Berlin/DDR. 1976. S. 109-147.
1,5. Korrektur
Erstellt am 30.08.1999
[»Rheinische Zeitung« Nr. 298 vom 25. Oktober 1842]
[»Rheinische Zeitung« Nr. 300 vom 27. Oktober 1842]
[»Rheinische Zeitung« Nr. 303 vom 30. Oktober 1842]
[»Rheinische Zeitung« Nr. 305 vom 1. November 1842]
[»Rheinische Zeitung« Nr. 307 vom 3. November 1842]
[»Rheinische Zeitung« Nr. 307 vom 3. November 1842]
|139|*** Als es sich bei § 4 davon handelte, dem denunzierenden Schutzbeamten die Schätzung zu überlassen, bemerkte ein Stadtverordneter:
»Würde der Vorschlag nicht beliebt werden, das Strafgeld in die Staatskasse fließen zu lassen, so sei die vorliegende Bestimmung doppelt gefährlich.«
Und es ist klar, daß der Forstbeamte nicht dasselbe Motiv zur Überschätzung hat, wenn er für den Staat, als wenn er für seinen Brotherrn taxiert. Man war so geläufig, diesen Punkt nicht zu erörtern, man ließ den Schein bestehen, als könne § 14, der die Strafgelder dem Waldeigentümer zuspricht, verworfen werden. Man hat den § 4 durchgesetzt. Nach der Votierung von zehn Paragraphen kommt man endlich auf § 14, durch welchen der § 4 einen veränderten und gefährlichen Sinn erhält. Dieser Zusammenhang wird gar nicht berührt, der § 14 wird angenommen, und die Strafgelder werden der Privatkasse des Waldeigentümers zugewiesen. Der Hauptgrund, ja der einzige Grund, der hierfür angeführt wird, ist das Interesse des Waldeigentümers, das durch die Erstattung des einfachen Werts nicht hinlänglich gedeckt sei. Aber im § 15 vergißt man wieder, daß man die Strafgelder dem Waldeigentümer votiert hat, und dekretiert ihm außer dem einfachen Wert noch besondern Schadenersatz, weil ein Mehrwert denkbar, als wenn er nicht schon durch die zufließenden Strafgelder ein Mehr erhalten. Man hat sogar |140| noch bemerkt, daß die Strafgelder nicht immer einziehbar wären. Man stellte sich also, als wolle man nur in bezug auf das Geld an die Staatsstelle treten, aber im § 19 wirft man die Maske weg und vindiziert sich nicht nur das Geld, sondern den Verbrecher selbst, nicht nur den Beutel des Menschen, sondern den Menschen.
An dieser Stelle tritt die Methode der Subreption scharf und unumwunden hervor, ja in selbstbewußter Klarheit, denn sie steht nicht mehr an, sich als Prinzip zu proklamieren.
Der einfache Wert und der Schadenersatz gaben dem Waldeigentümer offenbar nur eine Privatforderung gegen den Holzfrevler, zu deren Realisation ihm die Zivilgerichte offenstehen. Kann der Holzfrevler nicht zahlen, so befindet sich der Waldeigentümer in der Lage jedes Privatmannes, der einen zahlungsunfähigen Schuldner hat und dadurch bekanntlich kein Recht auf Zwangsarbeit, Dienstleistung, mit einem Wort temporelle Leibeigenschaft des Schuldners erhält. Was gibt also dem Waldeigentümer diesen Anspruch? Die Strafgelder. Indem der Waldeigentümer sich die Strafgelder vindizierte, hat er, wie wir gesehen, außer seinem Privatrecht sich ein Staatsrecht an den Holzfrevler vindiziert und sich selbst an die Stelle des Staats gesetzt. Aber indem der Waldeigentümer sich die Strafgelder zusprach, verheimlichte er klugerweise, daß er sich die Strafe selbst zugesprochen hat. Er zeigte damals auf die Strafgelder als auf einfache Gelder, er zeigt jetzt auf sie als Strafe hin, er bekennt jetzt triumphierend, daß er durch die Strafgelder das öffentliche Recht in sein Privateigentum verwandelt hat. Statt vor dieser ebenso verbrecherischen als empörenden Konsequenz zurückzubeben, nimmt man die Konsequenz in Anspruch, eben weil sie eine Konsequenz ist. Behauptet der gesunde Menschenverstand, es widerstreite unserm, es widerstreite allem Recht, einen Staatsbürger dem andern als temporellen Leibeigenen auszuliefern und zu überweisen, so erklärt man achselzuckend, die Prinzipien seien erörtert, obgleich weder Prinzip noch Erörterung stattfand. Auf diese Weise erschleicht der Waldeigentümer durch die Strafgelder die Person des Holzfrevlers. Der § 19 offenbart erst den Doppelsinn des § 14.
So sieht man, der § 4 hätte durch den § 14, der § 14 hätte durch den § 15, der § 15 hätte durch den § 19, der § 19 hätte schlechtweg unmöglich sein und das ganze Strafprinzip unmöglich machen müssen, eben weil in ihm die ganze Verworfenheit dieses Prinzips erscheint.
Man kann das divide et impera nicht geschickter handhaben. Bei dem vorhergehenden Paragraphen denkt man nicht an den nachfolgenden, und |141| bei dem nachfolgenden Paragraphen vergißt man den vorhergehenden. Der eine ist schon diskutiert, und der andere ist noch nicht diskutiert, so daß beide durch die entgegengesetzten Gründe über alle Diskussion erhaben sind. Das anerkannte Prinzip aber ist »das Rechts- und Billigkeitsgefühl zum Schutz des Interesses des Waldeigentümers«, welches direkt entgegensteht dem Rechts- und Billigkeitsgefühl zum Schutz des Interesses des Lebenseigentümers, des Freiheitseigentümers, des Menschheitseigentümers, des Staatseigentümers, des Eigentümers von nichts als sich selbst.
Doch wir sind einmal so weit. - Der Waldeigentümer erhalte an die Stelle des Holzblockes einen ehemaligen Menschen.
Shylock.
Höchst weiser Richter! - Spruch war's - macht euch fertig.
Porcia.
Wart noch ein wenig; eins ist noch zu merken.
Der Schein hier gibt dir nicht ein Tröpfchen Blut,
Die Worte sind ausdrücklich, ein Pfund Fleisch,
Nimm denn den Schein und nimm du dein Pfund Fleisch;
Allein vergießest du, indem du's schneidest,
Nur einen Tropfen Christenblut, so fällt
Dein Hab und Gut, nach dem Gesetz Venedigs
Dem Staat Venedigs heim.
Graciano.
O weiser Richter! - merk Jud! ein weiser Richter.
Shylock.
Ist das Gesetz?
Porcia.
Du sollst die Akte sehen.
Und ihr sollt die Akte sehen!
Worauf begründet ihr euern Anspruch an die Leiheigenschaft des Holzfrevlers? Auf die Strafgelder. Wir haben gezeigt, daß ihr kein Recht an die Strafgelder habt. Wir sehen hievon ab. Was ist euer Grundprinzip? Daß das Interesse des Waldeigentümers, gebe auch die Welt des Rechts und der Freiheit darüber zugrunde, gesichert werde. Es steht euch unerschütterlich fest, daß euer Holzschaden auf irgendeine Weise durch den Holzfrevler zu kompensieren ist. Diese feste Holzunterlage eures Räsonnements ist so morsch, daß ein einziger Windzug der gesunden Vernunft sie in tausend Trümmer auseinanderstreut.
Der Staat kann und muß sagen: ich garantiere das Recht gegen alle Zufälle. Das Recht allein ist in mir unsterblich, und darum beweise ich euch die Sterblichkeit des Verbrechens, indem ich es aufhebe. Aber der Staat kann und darf nicht sagen: ein Privatinteresse, eine bestimmte Existenz des Eigentums, eine Waldhut, ein Baum, ein Holzsplitter, und gegen den Staat ist der größte Baum kaum ein Holzsplitter, ist gegen alle Zufälle garantiert, ist unsterblich. Der Staat kann nicht an gegen die Natur der Dinge, er kann das |142| Endliche nicht gegen die Bedingungen des Endlichen, nicht gegen den Zufall stichfest machen. So wenig euer Eigentum vor dem Verbrechen von dem Staat gegen jeden Zufall garantiert werden konnte, so wenig kann das Verbrechen diese unsichere Natur eures Eigentums ins Gegenteil verkehren. Allerdings wird der Staat euer Privatinteresse sichern, soweit es durch vernünftige Gesetze und vernünftige Präventivmaßregeln gesichert werden kann, aber der Staat kann eurer Privatforderung an den Verbrecher kein anderes Recht zugestehen als das Recht der Privatforderungen, den Schutz der Zivilgerichtsbarkeit. Könnt ihr euch auf diesem Wege wegen der Mittellosigkeit des Verbrechers keine Kompensation verschaffen, so folgt weiter nichts, als daß jeder rechtliche Weg zu dieser Kompensation aufgehört hat. Die Welt fällt deswegen nicht aus ihren Angeln, der Staat verläßt deswegen nicht die Sonnenbahn der Gerechtigkeit, und ihr habt die Vergänglichkeit alles Irdischen erfahren, eine Erfahrung, die eurer gediegenen Religiösität kaum als pikante Neuigkeit oder wunderlicher als Stürme, Feuersbrunst und Fieber erscheinen wird. Wollte der Staat aber den Verbrecher zu eurem temporellen Leibeigenen machen, so opferte er die Unsterblichkeit des Rechts eurem endlichen Privatinteresse. Er bewiese also dem Verbrecher die Sterblichkeit des Rechts, dessen Unsterblichkeit er ihm in der Strafe beweisen muß.
Als Antwerpen zu König Philipps Zeiten die Spanier durch Überschwemmung seines Gebiets leicht hätte abhalten können, gab es die Metzgerzunft nicht zu, weil sie fette Ochsen auf der Weide hatte. Ihr verlangt, daß der Staat sein geistiges Gebiet aufgebe, damit euer Holzblock gerächt werde.
Es sind noch einige Nebenbestimmungen des § 16 zu referieren. Ein Abgeordneter der Städte bemerkt:
»Nach der bisherigen Gesetzgebung würden acht Tage Gefängnis einer Geldstrafe von fünf Talern gleichgerechnet. Es sei kein genügender Grund vorhanden, hiervon abzugehen.« (Nämlich statt der acht Tage vierzehn Tage zu setzen.)
Zu demselben Paragraphen hatte der Ausschuß folgenden Zusatz vorgeschlagen:
»daß in keinem Falle die Gefängnisstrafe weniger als 24 Stunden währen solle«.
Als man bemerkte, daß dies Minimum zu stark sei, führte dagegen ein Mitglied aus dem Stande der Ritterschaft an,
»daß das französische Forstgesetz ein geringeres Strafmaß als drei Tage nicht enthalte«.
Derselbe Atemzug, der gegen die Bestimmung des französischen Gesetzes fünf Taler statt mit acht mit vierzehn Tagen Gefängnis kompensiert, sträubt sich aus Devotion gegen das französische Gesetz, drei Tage in 24 Stunden zu verwandeln.
|143| Der obenerwähnte Stadtdeputierte bemerkt ferner:
»wenigstens würde es sehr hart sein, bei Holzentwendungen, die doch immer nicht als ein schwer zu bestrafendes Verbrechen angesehen werden können, für eine Geldbuße von fünf Talern vierzehn Tage Gefängnis eintreten zu lassen. Das werde dazu führen, daß der Bemittelte, welcher sich mit Geld loskauft, nur einfach, der Arme aber doppelt bestraft werde.«
Ein Abgeordneter der Ritterschaft erwähnt, daß in der Umgebung von Cleve viele Forstfrevel verübt würden, bloß um Aufnahme in das Arresthaus und die Gefangenenkost zu erhalten. Beweist dieser Abgeordnete der Ritterschaft nicht eben, was er widerlegen will, daß reine Notwehr gegen Hunger und Obdachlosigkeit die Leute zum Holzfreveln treibt? Ist diese entsetzliche Not ein aggravierender Umstand?
Der obenerwähnte Stadtdeputierte:
»Die schon gerügte Schmälerung der Kost müsse er zu hart und besonders bei Strafarbeiten für ganz unausführbar halten.«
Von mehreren Seiten wird gerügt, daß die Schmälerung der Kost bis zu Wasser und Brot zu hart sei. Ein Deputierter der Landgemeinde bemerkte: daß im Regierungsbezirk Trier die Schmälerung der Kost bereits eingeführt sei und sich als sehr wirksam erwiesen habe.
Warum will der ehrenwerte Redner in Brot und Wasser grade die Ursache der guten Wirkung zu Trier finden, warum nicht etwa in der Verstärkung des religiösen Sinnes, von dem der Landtag so viel und so rührend zu sprechen wußte? Wer hätte damals geahnt, daß Wasser und Brot die wahren Gnadenmittel! In gewissen Debatten glaubte man das englische Heiligenparlament hergestellt - und jetzt? Statt Gebet und Vertrauen und Gesang, Wasser und Brot, Gefängnis und Forstarbeit! Wie freigebig paradierte man mit Worten, um den Rheinländern einen Stuhl im Himmel zu verschaffen, wie freigebig ist man wieder mit Worten, um eine ganze Klasse von Rheinländern bei Wasser und Brot zur Forstarbeit zu peitschen, ein Einfall, den sich ein holländischer Plantagenbesitzer kaum gegen seine Neger erlauben wird. Was beweist das alles? Daß es leicht ist, heilig zu sein, wenn man nicht menschlich sein will. So wird man den Passus verstehen:
»Die Bestimmung des § 23 fand ein Landtagsmitglied unmenschlich; sie wurde nichtsdestoweniger angenommen.«
Außer der Unmenschlichkeit wird von diesem Paragraphen nichts berichtet.
Unsere ganze Darstellung hat gezeigt, wie der Landtag die exekutive Gewalt, die administrativen Behörden, das Dasein des Angeklagten, die Staatsidee |144|*, das Verbrechen selbst und die Strafe zu materiellen Mitteln des Privatinteresses herabwürdigt. Man wird es konsequent finden, daß auch das richterliche Urteil als bloßes Mittel und die Rechtskräftigkeit des Urteils als überflüssige Weitläufigkeit behandelt wird.
»In § 6 wünscht der Ausschuß das Wort rechtskräftig zu streichen, da durch Aufnahme desselben bei Kontumazialerkenntnissen den Holzdieben ein Mittel an die Hand gegeben würde, sich der verschärften Strafe für Wiederholungsfälle zu entziehen; es wird aber dagegen durch mehrere Abgeordnete protestiert und bemerkt, man müsse sich der vom Ausschuß vorgeschlagenen Beseitigung des Ausdrucks: rechtskräftiges Urteil in dem § 6 des Entwurfs widersetzen. Diese Bezeichnung der Urteile sei gewiß nicht ohne juristische Erwägung an dieser Stelle, sowie im Paragraphen aufgenommen. Allerdings würde die Absicht der strengern Bestrafung der Rezidive dann leichter und häufiger erfüllt werden, wenn jede erste richterliche Sentenz hinreichte, um die Anwendung der schärfern Strafe zu begründen. Es sei aber zu bedenken, ob man in dieser Art dem von dem Referenten hervorgehobenen Interesse der Forsthut ein wesentliches Rechtsprinzip opfern wolle. Man könne damit sich nicht einverstanden erklären, daß mit Verletzung eines unbestreitbaren Grundsatzes des Rechtsverfahrens einem Urteile, welches noch keinen gesetzlichen Bestand habe, eine solche Wirkung beigelegt werde. Ein anderer Abgeordneter der Städte trug ebenfalls auf Verwerfung des Amendements vom Ausschusse an. Dasselbe verstoße gegen die Bestimmungen des Strafrechts, wonach nie eine Verschärfung der Strafe eintreten könne, bis die erste Strafe durch rechtskräftiges Urteil festgestellt sei. Der Referent erwidert: das Ganze sei ein exzeptionelles Gesetz und also auch eine exzeptionelle Bestimmung wie die vorgeschlagene darin zulässig. Vorschlag des Ausschusses zur Streichung von rechtskräftig genehmigt.«
Das Urteil ist bloß vorhanden, um die Rezidive zu konstatieren. Die gerichtlichen Formen erscheinen der begehrlichen Unruhe des Privatinteresses als beschwerliche und überflüssige Hindernisse einer pedantischen Rechtsetikette. Der Prozeß ist nur ein sicheres Geleit, das man dem Gegner zum Gefängnis gibt, eine bloße Vorbereitung zur Exekution, und wo er mehr sein will, wird er zum Schweigen gebracht. Die Angst des Eigennutzes späht, berechnet, kombiniert aufs akkurateste, wie der Gegner das Rechtsterrain, das man als ein notwendiges Übel gegen ihn betreten muß, für sich ausbeuten könne, und man kommt ihm zuvor durch die umsichtigsten Gegenmanöver. Man stößt auf das Recht selbst als Hindernis bei der ungezügelten Geltendmachung seines Privatinteresses, und man behandelt das Recht als ein Hindernis. Man marktet, man feilscht mit ihm, man handelt ihm hie und da einen Grundsatz ab, man beschwichtigt es durch die flehendste Hinweisung auf das Recht des Interesses, man klopft ihm auf die Schultern, man flüstert ihm ins Ohr: das seien Ausnahmen und keine Regel ohne Ausnahme, man sucht das |145| Recht gleichsam durch den Terrorismus und die Akkuratesse, die man ihm gegen den Feind gestattet, zu entschädigen für die schlüpfrige Gewissensweitheit, mit der man es als Garantie des Angeklagten und als selbständigen Gegenstand behandelt. Das Interesse des Rechts darf sprechen, insoweit es das Recht des Interesses ist, aber es muß schweigen, sobald es mit diesem Heiligen kollidiert.
Der Waldeigentümer, der selbst gestraft hat, ist so konsequent, auch selbst zu richten, denn er richtet offenbar, indem er ein Urteil ohne rechtskräftige Geltung für rechtskräftig erklärt. Welch eine törichte, unpraktische Illusion ist überhaupt ein parteiloser Richter, wenn der Gesetzgeber parteiisch ist? Was soll ein uneigennütziges Urteil, wenn das Gesetz eigennützig ist? Der Richter kann den Eigennutz des Gesetzes nur puritanisch formulieren, nur rücksichtslos anwenden. Die Parteilosigkeit ist dann die Form, sie ist nicht der Inhalt des Urteils. Den Inhalt hat das Gesetz antizipiert. Wenn der Prozeß nichts als eine gehaltlose Form ist, so hat solche formale Lappalie keinen selbständigen Wert. Nach dieser Ansicht würde chinesisches Recht französisches Recht, wenn man es in die französische Prozedur einzwängte, aber das materielle Recht hat seine notwendige, eingeborne Prozeßform, und so notwendig im chinesischen Recht der Stock, so notwendig zu dem Inhalt der hochnotpeinlichen Halsgerichtsordnung die Tortur als Prozeßform gehört, so notwendig gehört zum öffentlichen freien Prozeß ein seiner Natur nach öffentlicher, durch die Freiheit und nicht durch das Privatinteresse diktierter Gehalt. Der Prozeß und das Recht sind so wenig gleichgültig gegeneinander, als etwa die Formen der Pflanzen und Tiere gleichgültig sind gegen das Fleisch und das Blut der Tiere. Es muß ein Geist sein, der den Prozeß und der die Gesetze beseelt, denn der Prozeß ist nur die Lebensart des Gesetzes, also die Erscheinung seines innern Lebens.
Die Seeräuber von Tidong brechen den Gefangenen, um sich ihrer zu versichern, Arme und Beine. Um sich der Forstfrevler zu versichern, hat der Landtag denn Rechte nicht nur Arme und Beine gebrochen, sondern sogar das Herz durchbohrt. Wir erachten hiergegen sein Verdienst um die Wiedereinführung unseres Prozesses in einigen Kategorien als eine wahre Nullität; wir müssen im Gegenteil die Offenherzigkeit und Konsequenz anerkennen, die dem unfreien Gehalt eine unfreie Form gibt. Bringt man materiell das Privatinteresse, welches das Licht der Öffentlichkeit nicht erträgt, in unser Recht hinein, so gebe man ihm auch seine angemessene Form, heimliches Verfahren, damit wenigstens keine gefährlichen, selbstgefälligen Illusionen erweckt und genährt werden. Wir halten es für die Pflicht aller Rheinländer und vorzugsweise der rheinischen Juristen, in diesem Augenblicke ihre Hauptaufmerksamkeit |146|* dem Rechtsgehalt zu widmen, damit uns nicht zuletzt die leere Maske zurückbleibt. Die Form hat keinen Wert, wenn sie nicht die Form des Inhalts ist.
Der eben besprochene Vorschlag des Ausschusses und das billigende Votum des Landtags sind der Blütenpunkt der ganzen Debatte, denn die Kollision zwischen dem Interesse der Forsthut und den Rechtsprinzipien, den durch unser eigenes Gesetz sanktionierten Rechtsprinzipien, tritt hier in das Bewußtsein des Landtags selbst. Der Landtag hat darüber abgestimmt, ob die Rechtsprinzipien dem Interesse der Forsthut zu opfern seien oder das Interesse der Forsthut den Rechtsprinzipien, und das Interesse hat das Recht überstimmt. Man hat sogar eingesehen, daß das ganze Gesetz eine Exzeption vom Gesetz und deshalb gefolgert, daß jede exzeptionelle Bestimmung darin zulässig sei. Man beschränkte sich darauf, Konsequenzen zu ziehen, die der Gesetzgeber versäumt hat. Überall, wo der Gesetzgeber vergaß, daß es sich um eine Exzeption vom Gesetz und nicht von einem Gesetz handelt, wo er den rechtlichen Standpunkt geltend macht, da tritt die Tätigkeit unseres Landtags mit sicherem Takt berichtigend und ergänzend hinzu und läßt das Privatinteresse dem Recht Gesetze geben, wo das Recht dem Privatinteresse Gesetze gab.
Der Landtag hat also vollkommen seine Bestimmung erfüllt. Er hat, wozu er berufen ist, ein bestimmtes Sonderinteresse vertreten und als letzten Endzweck behandelt. Daß er dabei das Recht mit Füßen trat, ist eine einfache Konsequenz seiner Aufgabe, denn das Interesse ist seiner Natur nach blinder, maßloser, einseitiger, mit einem Worte gesetzloser Naturinstinkt, und kann das Gesetzlose Gesetze geben? Das Privatinteresse wird so wenig zum Gesetzgeben befähigt dadurch, daß man es auf den Thron des Gesetzgebers setzt, als ein Stummer, dem man ein Sprachrohr von enormer Länge in die Hand gibt, zum Sprechen befähigt wird.
Wir sind nur mit Widerstreben dieser langweiligen und geistlosen Debatte gefolgt, aber wir hielten es für unsere Pflicht, an einem Beispiel zu zeigen, was von einer Ständeversammlung der Sonderinteressen, würde sie einmal ernstlich zur Gesetzgebung berufen, zu erwarten sei.
Wir wiederholen noch einmal, unsere Landstände haben ihre Bestimmung als Landstände erfüllt, aber wir sind weit entfernt, sie damit rechtfertigen zu wollen. Der Rheinländer mußte in ihnen über den Landstand, der Mensch mußte über den Waldeigentümer siegen. Es ist ihnen selbst gesetzlich nicht nur die Vertretung der Sonderinteressen, sondern auch die Vertretung des Interesses der Provinz überwiesen, und so widersprechend beide Aufgaben sind, in einem Kollisionsfalle durfte man keinen Augenblick anstehen, die |147| Vertretung des Sonderinteresses der Vertretung der Provinz aufzuopfern. Der Sinn für Recht und Gesetz ist der bedeutsamste Provinzialismus der Rheinländer; aber es versteht sich von selbst, daß das Sonderinteresse, wie kein Vaterland, so keine Provinz, wie nicht den allgemeinen, so nicht den heimischen Geist kennt. In direktem Widerspruch zu der Behauptung jener Schriftsteller der Einbildung, welche ideale Romantik, unergründliche Gemütstiefe und fruchtbarste Quelle individueller und eigentümlicher Gestaltungen der Sittlichkeit in einer Vertretung der Sonderinteressen zu finden belieben, hebt eine solche alle natürlichen und geistigen Unterschiede auf, indem sie an ihrer Stelle die unsittliche, unverständige und gemütlose Abstraktion einer bestimmten Materie und eines bestimmten, ihr sklavisch unterworfenen Bewußtseins auf den Thron erhebt.
Holz bleibt Holz in Sibirien wie in Frankreich; Waldeigentümer bleibt Waldeigentümer in Kamtschatka wie in der Rheinprovinz. Wenn also Holz und Holzbesitzer als solche Gesetze geben, so werden sich diese Gesetze durch nichts unterscheiden als den geographischen Punkt, wo, und die Sprache, worin sie gegeben sind. Dieser verworfene Materialismus, diese Sünde gegen den heiligen Geist der Völker und der Menschheit ist eine unmittelbare Konsequenz jener Lehre, welche die »Preußische Staats-Zeitung« dem Gesetzgeber predigt, bei einem Holzgesetz nur an Holz und Wald zu denken und die einzelne materielle Aufgabe nicht politisch, d.h. nicht im Zusammenhang mit der ganzen Staatsvernunft und Staatssittlichkeit zu lösen.
Die Wilden von Kuba hielten das Gold für den Fetisch der Spanier. Sie feierten ihm ein Fest und sangen um ihn und warfen es dann ins Meer. Die Wilden von Kuba, wenn sie der Sitzung der rheinischen Landstände beigewohnt, würden sie nicht das Holz für den Fetisch der Rheinländer gehalten haben? Aber eine folgende Sitzung hätte sie belehrt, daß man mit dem Fetischismus den Tierdienst verbindet, und die Wilden von Kuba hätten die Hasen ins Meer geworfen, um die Menschen zu retten.
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