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Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/ Friedrich Engels - Werke. (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 20. Berlin/DDR.
1962. »Dialektik der Natur«,
S. 337-347.
1. Korrektur
Erstellt am 30.00.1999
|337| Es ist ein alter Satz der in das Volksbewußtsein übergegangenen Dialektik, daß die Extreme sich berühren. Wir werden uns demnach schwerlich irren, wenn wir die äußersten Grade von Phantasterei, Leichtgläubigkeit und Aberglauben suchen nicht etwa bei derjenigen naturwissenschaftlichen Richtung, die, wie die deutsche Naturphilosophie, die objektive Welt in den Rahmen ihres subjektiven Denkens einzuzwängen suchte, sondern vielmehr bei der entgegengesetzten Richtung, die, auf die bloße Erfahrung pochend, das Denken mit souveräner Verachtung behandelt und es wirklich in der Gedankenlosigkeit auch am weitesten gebracht hat. Diese Schule herrscht in England. Bereits ihr Vater, der vielgepriesene Franz Bacon, verlangt, daß seine neue empirische, induktive Methode betrieben werde, um vor allem dadurch zu erreichen: Verlängerung des Lebens, Verjüngung in einem gewissen Grade, Veränderung der Statur und der Züge, Verwandlung der Körper in andre, Erzeugung neuer Arten, Gewalt über die Luft und Erregung von Ungewittern; er beschwert sich, daß solche Untersuchungen verlassen worden seien, und gibt in seiner Naturhistorie förmliche Rezepte, Gold zu machen und mancherlei Wunder zu verrichten. Ebenso beschäftigte sich Isaak Newton auf seine alten Tage viel mit der Auslegung der Offenbarung Johannis. Was Wunder also, wenn in den letzten Jahren der englische Empirismus in einigen seiner Vertreter - und es sind nicht die schlechtesten - der von Amerika importierten Geisterklopferei und Geisterseherei anscheinend rettungslos verfallen ist.
Der erste hierher gehörige Naturforscher ist der hochverdiente Zoologe und Botaniker Alfred Russel Wallace, derselbe, der gleichzeitig mit Darwin die Theorie von der Artveränderung durch natürliche Zuchtwahl aufstellte. In seinem Schriftchen »On Miracles and modern Spiritualism«, London, Burns, 1875, erzählt er, daß seine ersten Erfahrungen in diesem |338| Zweig der Naturkunde von 1844 datieren, wo er den Vorlesungen des Herrn Spencer Hall über Mesmerismus beiwohnte, und infolgedessen an seinen Schülern ähnliche Experimente machte.
»Ich war aufs äußerste von dem Gegenstand interessiert und verfolgte ihn mit Leidenschaft« (ardour) [p. 119].
Er erzeugte nicht nur den magnetischen Schlaf nebst den Erscheinungen der Gliederstarre und lokalen Empfindungslosigkeit, sondern er bestätigte auch die Richtigkeit der Gallschen Schädelkarte, indem auf Berührung je eines beliebigen Gallschen Organs die betreffende Tätigkeit beim magnetisierten Patienten erregt und durch lebhafte Gesten vorschriftsmäßig betätigt wurde. Er stellte ferner fest, daß sein Patient, wenn er ihn nur dabei berührte, an allen Sinnesempfindungen des Operators teilnahm; er machte ihn betrunken mit einem Glase Wasser, sobald er ihm nur sagte, es sei Kognak. Einen der Jungen konnte er selbst im wachenden Zustand so dumm machen, daß er seinen eignen Namen nicht mehr wußte, was andre Schulmeister indes auch ohne Mesmerismus fertigbringen. Und so weiter.
Nun trifft es sich, daß ich diesen Herrn Spencer Hall ebenfalls im Winter 1843/44 in Manchester sah. Er war ein ganz ordinärer Scharlatan, der unter der Protektion einiger Pfaffen im Lande herumzog und an einem jungen Mädchen magnetisch-phrenologische Schaustellungen vornahm, um dadurch die Existenz Gottes, die Unsterblichkeit der Seele und die Nichtigkeit des damals von den Owenisten in allen großen Städten gepredigten Materialismus zu beweisen. Die Dame wurde in magnetischen Schlaf versetzt und gab, sobald der Operator ein beliebiges Gallsches Organ ihres Schädels berührte, theatralisch-demonstrative Gesten und Posen zum besten, die die Betätigung des betreffenden Organs darstellten; beim Organ der Kinderliebe (philoprogenitiveness) z.B. hätschelte und küßte sie ein Phantasiebaby usw. Der brave Hall hatte dabei die Gallsche Schädelgeographie um eine neue Insel Baratatia bereichert: Ganz zuoberst auf dem Scheitel hatte er nämlich ein Organ der Anbetung entdeckt, bei dessen Berührung sein hypnotisches Fräulein in die Knie sank, die Hände faltete und dem erstaunten versammelten Philisterium den in Anbetung verzückten Engel vorführte. Das war der Schluß und Glanzpunkt der Vorstellung. Die Existenz Gottes war bewiesen.
Es ging mir und einem Bekannten ähnlich wie Herrn Wallace. Die Phänomene interessierten uns, und wir versuchten, wieweit wir sie reproduzieren konnten. Ein aufgeweckter junge von zwölf Jahren bot sich als Sub- |339| jekt. Gelindes Anstieren oder Bestreichen versetzte ihn ohne Schwierigkeit in den hypnotischen Zustand. Da wir aber etwas weniger gläubig und etwas weniger hitzig zu Werk gingen als Herr Wallace, so kamen wir auch zu ganz andern Resultaten. Abgesehn von der leicht zu erzeugenden Muskelstarre und Empfindungslosigkeit, fanden wir einen Zustand vollständiger Passivität des Willens, verbunden mit eigentümlich überspannter Erregbarkeit der Empfindung. Der Patient, durch irgendeine Anregung von außen aus seiner Lethargie gerissen, bezeugte noch weit mehr Lebhaftigkeit als in wachendem Zustande. Von geheimnisvollem Rapport zum Operator keine Spur; jeder andre konnte den Schlummernden ebenso leicht in Tätigkeit versetzen. Die Gallschen Schädelorgane wirken zu lassen, war für uns das wenigste; wir gingen noch viel weiter: Wir konnten sie nicht nur vertauschen und über den ganzen Körper verlegen, sondern wir fabrizierten noch eine beliebige Menge andrer Organe, des Singens, Pfeifens, Tutens, Tanzens, Boxens, Nähens, Schusterns, Tabakrauchens usw., und verlegten sie, wohin wir wollten. Wenn Wallace seinen Patienten mit Wasser betrunken machte, so entdeckten wir in der großen Zehe ein Organ der Betrunkenheit, das wir nur zu berühren brauchten, um die schönste betrunkene Komödie in Gang zu bringen. Aber wohlverstanden: Kein Organ zeigte einen Schatten von Wirkung, bis dem Patienten zu verstehn gegeben, was von ihm erwartet wurde; der Junge vervollkommnete sich bald durch die Praxis so, daß die geringste Andeutung hinreichte. Diese so erzeugten Organe blieben dann auch für spätere Einschläferungen ein für allemal in Geltung, solange sie nicht auf demselben Wege abgeändert wurden. Der Patient hatte eben ein doppeltes Gedächtnis, eins für den wachenden, ein zweites, ganz gesondertes, für den hypnotischen Zustand. Was die Passivität des Willens, seine absolute Unterwerfung unter den Willen eines Dritten angeht, so verliert sie allen Wunderschein, sobald wir nicht vergessen, daß der ganze Zustand mit der Unterwerfung des Willens des Patienten unter den des Operators begann, und ohne sie nicht hergestellt werden kann. Der zaubermächtigste Magnetiseur der Erde ist mit seinem Latein zu Ende, sobald sein Patient ihm ins Gesicht lacht.
Während wir so, mit unsrer frivolen Skepsis, als Grundlage der magnetisch-phrenologischen Scharlatanerie eine Reihe von Erscheinungen fanden, die von denen des wachenden Zustandes meist nur dem Grade nach verschieden sind und keiner mystischen Interpretation bedürfen, führte die Leidenschaft (ardour) des Herrn Wallace ihn zu einer Reihe von Selbsttäuschungen, kraft deren er die Gallsche Schädelkarte in allen ihren Details bestätigte und einen geheimnisvollen Rapport zwischen Operator und |340| Patienten feststellte.(1) Überall in der bis zur Naivität aufrichtigen Erzählung des Herrn Wallace blickt durch, daß es ihm viel weniger darum zu tun war, den tatsächlichen Hintergrund der Scharlatanerie zu untersuchen, als die sämtlichen Erscheinungen um jeden Preis wieder hervorzubringen. Es braucht nur diese Gemütsstimmung, um in kurzer Frist den anfänglichen Forscher, vermittelst einfacher und leichter Selbsttäuschung, in den Adepten zu verwandeln. Herr Wallace endigte mit dem Glauben an die magnetisch-phrenologischen Wunder und stand nun schon mit einem Fuß in der Geisterwelt.
Den andern Fuß zog er nach im Jahr 1865. Zurückgekehrt von seinen zwölfjährigen Reisen in der heißen Zone, führten ihn Tischrückexperimente in die Gesellschaft verschiedner »Medien«. Wie rasch seine Fortschritte waren, wie vollständig seine Beherrschung des Gegenstands ist, davon legt das obige Schriftchen Zeugnis ab. Er mutet uns nicht nur zu, alle angeblichen Wunder der Home, Gebrüder Davenport und andrer sich mehr oder weniger für Geld sehen lassenden und großenteils des öfteren als Betrüger entlarvten »Medien« für bare Münze zu nehmen, sondern auch eine ganze Reihe angeblich beglaubigter Geistergeschichten aus früherer Zeit,.Die Pythonissen des griechischen Orakels, die Hexen des Mittelalters waren »Medien«, und Jamblichos »De divinatione« beschreibt schon ganz genau
»die erstaunlichsten Erscheinungen des modernen Spiritualismus«.
Wie leicht Herr Wallace es mit der wissenschaftlichen Feststellung und Beglaubigung dieser Wunder nimmt, davon nur ein Beispiel. Es ist gewiß eine starke Zumutung, daß wir glauben sollen, die p.p. Geister ließen sich photographieren, und wir haben doch sicher das Recht, zu verlangen, daß solche Geisterphotographien, ehe wir sie für echt annehmen, auf die unzweifelhafteste Weise beglaubigt seien. Nun erzählt Herr Wallace S. 187, daß im März 1872 Frau Guppy, geborene Nichol, ein Hauptmedium, mit ihrem Mann und ihrem kleinen Jungen sich bei Herrn Hudson in Notting Hill photographieren ließ, und bei zwei verschiedenen Aufnahmen eine hohe weibliche Gestalt, in weißer Gaze künstlerisch (finely) drapiert, mit etwas orientalischen Zügen, in segnender Stellung hinter ihr erschien.
|341| »Hier nun von zwei Dingen sind eins absolut gewiß.(2) Entweder war ein lebendes, intelligentes, aber unsichtbares Wesen gegenwärtig, oder Herr und Frau Guppy, der Photograph und irgendeine vierte Person haben einen schändlichen« (wicked) »Betrug geplant und ihn stets seitdem aufrechterhalten. Ich kenne aber Herrn und Frau Guppy sehr gut und habe die absolute Überzeugung, daß sie eines Betrugs dieser Art ebenso unfähig sind wie irgendein ernster Wahrheitsforscher auf dem Gebiet der Naturwissenschaft.« |Alle Hervorhebungen von Engels| [S. 188,]
Also entweder Betrug oder Geisterphotographie. Einverstanden. Und bei dem Betrug war entweder der Geist schon vorher auf den Platten, oder es müssen vier Personen beteiligt gewesen sein, respektive drei, wenn wir den alten Herrn Guppy, der im Januar 1875 im Alter von 84 Jahren starb, als unzurechnungsfähig oder düpiert beiseite lassen (er brauchte nur hinter die spanische Wand des Hintergrunds geschickt zu werden). Daß ein Photograph sich ohne Schwierigkeit ein »Modell« für den Geist verschaffen konnte, darüber brauchen wir kein Wort zu verlieren. Der Photograph Hudson aber ist bald darauf der gewohnheitsmäßigen Fälschung von Geisterphotographien öffentlich bezüchtigt worden, so zwar, daß Herr Wallace begütigend sagt:
»Eins ist klar, daß, falls Betrug stattgefunden hat, er sofort von Spiritualisten selbst entdeckt wurde.« [p. 189.]
Auf den Photographen ist also auch nicht viel Verlaß. Bleibt Frau Guppy, und für sie spricht »die absolute Überzeugung« von Freund Wallace und sonst weiter nichts. - Weiter nichts? Keineswegs. Für die absolute Zuverlässigkeit der Frau Guppy spricht ihre Behauptung, eines Abends, gegen Anfang Juni 1871, aus ihrem Hause in Highbury Hill Park nach 69, Lambs Conduit Street - drei englische Meilen in grader Linie - bewußtlosen Zustandes durch die Luft getragen und in besagtem Hause Nr. 69 inmitten einer Geistersehersitzung auf dem Tisch deponiert worden zu sein. Die Türen des Zimmers waren verschlossen und obwohl Frau Guppy eine der beleibtesten Damen von London war, was gewiß etwas sagen will, so hat ihr plötzlicher Einbruch doch weder in den Türen, noch in der Decke das geringste Loch hinterlassen (erzählt im Londoner »Echo«, 8. Juni |342| 1871). Und wer jetzt nicht an die Echtheit der Geisterphotographie glaubt, dem ist nicht zu helfen.
Der zweite namhafte Adept unter den englischen Naturforschern ist Herr William Crookes, der Entdecker des chemischen Elements Thallium und des Radiometers (in Deutschland auch Lichtmühle genannt). Herr Crookes fing gegen 1871 an, die spiritistischen Manifestationen zu untersuchen, und wandte dabei eine ganze Reihe physikalischer und mechanischer Apparate an, Federwagen, elektrische Batterien usw. Ob er den Hauptapparat, einen skeptisch-kritischen Kopf, mitbrachte oder bis zum Ende in arbeitsfähigem Zustande erhielt, werden wir sehn. Jedenfalls war Herr Crookes in nicht gar langer Zeit ebenso vollständig eingefangen wie Herr Wallace.
»Seit einigen Jahren«, erzählt dieser, »hat eine junge Dame, Fräulein Florence Cook, bemerkenswerte Mediumeigenschaft gezeigt; und in der letzten Zeit erreichte diese ihren Höhepunkt in der Produktion einer vollständigen weiblichen Gestalt, die geisterhaften Ursprungs zu sein behauptet und die barfuß und in weißer fließender Gewandung erschien, während das Medium, in dunkler Kleidung, gebunden und in tiefem Schlaf in einem verhängten Raume« (cabinet) »oder Nebenzimmer lag.« [p. 181.]
Dieser Geist, der sich den Namen Katey beilegte und der Fräulein Cook merkwürdig ähnlich sah, wurde eines Abends plötzlich von Herrn Volckman - dem jetzigen Gemahl der Frau Guppy - um die Taille gefaßt und festgehalten, um zu sehn, ob er nicht eben Fräulein Cook in andrer Ausgabe sei. Der Geist bewährte sich als ein durchaus handfestes Frauenzimmer, wehrte sich herzhaft, die Zuschauer mischten sich ein, das Gas wurde abgedreht, und als nach einigem Hin- und Herkämpfen die Ruhe wieder hergestellt und das Zimmer erleuchtet, war der Geist verschwunden, und Fräulein Cook lag gebunden und bewußtlos in ihrer Ecke. Herr Volckman soll aber bis heute behaupten, er habe Fräulein Cook gefaßt und niemand anderes. Um dies wissenschaftlich festzustellen, führte ein berühmter Elektriker, Herr Varley, bei einem neuen Versuch den Strom einer Batterie so durch das Medium, Frl. Cook, daß diese den Geist nicht hätte vorstellen können, ohne den Strom zu unterbrechen. Dennoch erschien der Geist. Es war also in der Tat ein von dem Frl. Cook verschiedenes Wesen. Dies ferner zu konstatieren, war die Aufgabe des Herrn Crookes. Sein erster Schritt war, sich das Vertrauen der geisterhaften Dame zu erwerben.
Dies Vertrauen - so sagt er selbst im »Spiritualist«, 5. Juni 1874 - »wuchs allmählich so, daß sie sich weigerte, eine Sitzung zu geben, es sei denn, daß ich die Arrangements leitete. Sie sagte, sie wünschte mich stets in ihrer Nähe und in der Nähe des Kabinetts; ich fand, daß - nachdem dies Vertrauen hergestellt und sie sicher war, daß ich |343| kein ihr gemachtes Versprechen brechen würde - die Erscheinungen bedeutend an Stärke zunahmen, und Beweismittel freiwillig gestattet wurden, die auf anderm Wege unerreichbar gewesen wären. Sie konsultierte mich häufig in bezug auf bei den Sitzungen anwesende Personen und über die ihnen anzuweisenden Plätze, denn sie war neuerdings sehr ängstlich« (nervous) »geworden infolge gewisser übelberatener Andeutungen. man solle neben andern, mehr wissenschaftlichen Untersuchungsmethoden doch auch die Gewalt anwenden.« |Alle Hervorhebungen von Engels|
Das Geisterfräulein belohnte dies ebenso liebenswürdige wie wissenschaftliche Vertrauen in vollstem Maß. Sie erschien - was uns jetzt nicht mehr wundern kann - sogar im Hause des Herrn Crookes, spielte mit seinen Kindern und erzählte ihnen »Anekdoten aus ihren Abenteuern in Indien«, gab Herrn Crookes auch »einige der bittern Erfahrungen ihres vergangnen Lebens« zum besten, ließ sich von ihm in den Arm nehmen, damit er sich von ihrer handfesten Materialität überzeuge, ließ ihn die Zahl ihrer Pulsschläge und Atemzüge in der Minute feststellen und ließ sich zuletzt auch neben Herrn Crookes photographieren.
»Diese Gestalt«, sagt Herr Wallace, »nachdem man sie gesehn, betastet, photographiert und sich mit ihr unterhalten hatte, verschwand absolut aus einem kleinen Zimmer, aus dem kein andrer Ausgang war als durch ein anstoßendes, mit Zuschauern gefülltes Zimmer« [p. 183] -
was keine so große Kunst ist, vorausgesetzt, die Zuschauer waren höflich genug, dem Herrn Crookes, in dessen Hause dies geschah, nicht weniger Vertrauen zu beweisen, als dieser dem Geist bewies.
Leider sind diese »vollständig beglaubigten Erscheinungen« selbst für Spiritualisten nicht ohne weiteres glaublich. Wir sahen oben, wie der sehr spiritualistische Herr Volckman sich einen sehr materiellen Zugriff gestattete. Und nun hat ein Geistlicher und Komiteemitglied der »Britischen National-Assoziation der Spiritualisten« ebenfalls einer Sitzung des Fräulein Cook beigewohnt und ohne Schwierigkeit festgestellt, daß das Zimmer, durch dessen Tür der Geist kam und verschwand, durch eine zweite Tür mit der Außenwelt kommunizierte. Das Benehmen des ebenfalls gegenwärtigen Herrn Crookes gab »meinem Glauben, daß etwas an diesen Manifestationen sein könne, den schließlichen Todesstoß« (»Mystic London«, by the Rev. C. Maurice Davies, London, Tinsley Brothers). Und zum Überfluß kam es in Amerika an den Tag, wie man »Kateys« »materialisiert«. Ein Ehepaar Holmes gab in Philadelphia Vorstellungen, bei denen ebenfalls |344| eine »Katey« erschien, und von den Gläubigen reichlich beschenkt wurde. Ein Skeptiker jedoch ruhte nicht, bis er besagter Katey, die übrigens schon einmal wegen Mangel [an] Zahlung Strike gemacht hatte, auf die Spur kam: Er entdeckte sie in einem boarding house (Privathotel) als eine junge Dame von unbestrittenem Fleisch und Bein und im Besitz aller der dem Geist gemachten Geschenke.
Indes auch der Kontinent sollte seine wissenschaftlichen Geisterseher erleben. Eine Petersburger wissenschaftliche Körperschaft - ich weiß nicht genau, ob die Universität oder gar die Akademie - delegierte die Herrin Staatsrat Aksakow und den Chemiker Butlerow, die spiritistischen Phänomene zu ergründen, wobei indes nicht viel herausgekommen zu sein scheint. Dagegen - wenn anders den lauten Verkündigungen der Spiritisten zu trauen ist - hat jetzt auch Deutschland seinen Mann gestellt in der Person des Herrn Professor Zöllner in Leipzig.
Bekanntlich hat Herr Zöllner seit Jahren stark in der »vierten Dimension« des Raumes gearbeitet und entdeckt, daß viele Dinge, die in einem Raum von drei Dimensionen unmöglich sind, sich in einem Raum von vier Dimensionen ganz von selbst verstehn. So kann man in diesem letzteren Raum eine geschlossene Metallkugel umkehren wie einen Handschuh, ohne ein Loch darin zu machen, desgleichen einen Knoten schlingen in einen beiderseits endlosen oder an beiden Enden befestigten Faden, auch zwei getrennte geschlossene Ringe ineinander verschlingen, ohne einen von ihnen zu öffnen, und was dergleichen Kunststücke mehr sind. Nach neueren triumphierenden Berichten aus der Geisterwelt hätte sich nun Herr Professor Zöllner an ein oder mehrere Medien gewandt, um mit ihrer Hülfe über die Lokalität der vierten Dimension das Nähere festzustellen. Der Erfolg sei überraschend gewesen. Die Stuhllehne, auf die er den Arm gestützt, während die Hand den Tisch nie verließ, sei nach der Sitzung mit dem Arm verschlungen gewesen, ein an beiden Enden auf den Tisch angesiegelter Faden habe vier Knoten bekommen usw. Kurz, alle Wunder der vierten Dimension seien von den Geistern spielend geleistet worden. Wohlgemerkt: relata refero |Ich erzähle das Erzählte, d.h. ich kann nicht für die Richtigkeit der Mitteilung bürgen|, ich stehe nicht ein für die Richtigkeit der Geisterbulletins, und sollten sie Unrichtiges enthalten, so dürfte Herr Zöllner mir Dank wissen, daß ich ihm Gelegenheit gebe, sie zu berichtigen. Sollten sie aber die Erfahrungen des Herrn Zöllner unverfälscht wiedergeben, so bezeichnen sie offenbar eine neue Ära in der Geisterwissenschaft wie in der Mathematik. |345| Die Geister beweisen das Dasein der vierten Dimension, wie die vierte Dimension einsteht für das Dasein der Geister. Und wenn das einmal feststeht, so eröffnet sich der Wissenschaft ein ganz neues, unermeßliches Feld. Alle bisherige Mathematik und Naturwissenschaft wird nur eine Vorschule für die Mathematik der vierten und noch höheren Dimensionen und für die Mechanik, Physik, Chemie und Physiologie der sich in diesen höheren Dimensionen aufhaltenden Geister. Hat doch Herr Crookes wissenschaftlich festgestellt, wieviel Gewichtsverlust Tische und andre Möbel bei ihrem Übergang - wir dürfen jetzt wohl sagen - in die vierte Dimension erleiden, und erklärt Herr Wallace es für ausgemacht, daß dort das Feuer den menschlichen Körper nicht verletzt. Und nun gar die Physiologie dieser Geisterkörper! Sie atmen, sie haben einen Puls, also Lungen, Herz und Zirkulationsapparat, und sind demzufolge auch in betreff der übrigen Leibesorgane sicher mindestens ebenso vortrefflich beschlagen wie unsereins. Denn zum Atmen gehören Kohlenwasserstoffe, die in der Lunge verbrannt werden, und diese können nur von außen zugeführt werden: also Magen, Darm und Zubehör - und haben wir erst soviel konstatiert, so folgt das übrige ohne Schwierigkeit. Die Existenz solcher Organe aber schließt die Möglichkeit ihrer Erkrankung ein, und somit kann es Herrn Virchow noch passieren, daß er eine Zellularpathologe der Geisterwelt verfassen muß. Und da die meisten dieser Geister wunderschöne junge Damen sind, die sich durch nichts, aber auch gar nichts von irdischen Frauenzimmern unterscheiden als durch ihre überirdische Schönheit, wie könnte es da lange dauern, bis sie einmal ankommen »bei Männern, welche Liebe fühlen«; und wenn da das von Herrn Crookes am Pulsschlag konstatierte »weiblich Herze nicht fehlt«, so eröffnet sich der natürlichen Zuchtwahl ebenfalls eine vierte Dimension, in der sie nicht mehr zu befürchten braucht, mit der bösen Sozialdemokratie verwechselt zu werden.
Genug. Es zeigt sich hier handgreiflich, welches der sicherste Weg von der Naturwissenschaft zum Mystizismus ist. Nicht die überwuchernde Theorie der Naturphilosophie, sondern die allerplatteste, alle Theorie verachtende, gegen alles Denken mißtrauische Empirie. Es ist nicht die aprioristische Notwendigkeit, die die Existenz der Geister beweist, sondern die erfahrungsmäßige Beobachtung der Herren Wallace, Crookes & Co. Wenn wir den spektralanalytischen Beobachtungen von Crookes glauben, die zur Entdeckung des Metalls Thallium führten, oder den reichen zoologischen Entdeckungen von Wallace im Malaiischen Archipel, so verlangt man von |346| uns denselben Glauben für die spiritistischen Erfahrungen und Entdeckungen dieser beiden Forscher. Und wenn wir meinen, daß hier doch ein kleiner Unterschied stattfinde, nämlich der, daß wir die einen verifizieren können und die andern nicht, so entgegnen uns die Geisterseher, daß dies nicht der Fall, und daß sie bereit sind, uns Gelegenheit zu geben, auch die Geistererscheinungen zu verifizieren.
Man verachtet in der Tat die Dialektik nicht ungestraft. Man mag noch so viel Geringschätzung hegen für alles theoretische Denken, so kann man doch nicht zwei Naturtatsachen in Zusammenhang bringen oder ihren bestehenden Zusammenhang einsehn ohne theoretisches Denken. Es fragt sich dabei nur, ob man dabei richtig denkt oder nicht, und die Geringschätzung der Theorie ist selbstredend der sicherste Weg, naturalistisch und damit falsch zu denken. Falsches Denken, zur vollen Konsequenz durchgeführt, kommt aber nach einem altbekannten dialektischen Gesetz regelmäßig an beim Gegenteil seines Ausgangspunkts. Und so straft sich die empirische Verachtung der Dialektik dadurch, daß sie einzelne der nüchternsten Empiriker in den ödesten aller Aberglauben, in den modernen Spiritismus führt.
Ebenso geht es mit der Mathematik. Die gewöhnlichen metaphysischen Mathematiker pochen mit gewaltigem Stolz auf die absolute Unumstößlichkeit der Resultate ihrer Wissenschaft. Zu diesen Resultaten gehören aber auch die imaginären Größen, denen damit auch eine gewisse Realität zukommt. Hat man sich aber erst daran gewöhnt, der oder der vierten Dimension irgendwelche Realität außerhalb unsres Kopfes zuzuschreiben, so kommt es nicht darauf an, ob man noch einen Schritt weiter geht und auch die Geisterwelt der Medien akzeptiert. Es ist, wie Ketteler von Döllinger sagte:
»Der Mann hat in seinem Leben soviel Unsinn verteidigt, da konnte er wahrhaftig auch noch die Unfehlbarkeit in den Kauf nehmen!«
In der Tat ist die bloße Empirie unfähig, mit den Spiritisten fertigzuwerden. Erstens werden die »höheren« Phänomene immer erst dann gezeigt, wenn der betreffende »Forscher« schon soweit eingefangen ist, daß er nur noch sieht, was er sehen soll oder will - wie Crookes das mit so unnachahmlicher Naivität selbst beschreibt. Zweitens aber macht es den Spiritisten nichts aus, wenn Hunderte angeblicher Tatsachen als Prellerei und Dutzende angeblicher Medien als ordinäre Taschenspieler enthüllt werden. Solange nicht jedes einzelne angebliche Wunder wegerklärt ist, bleibt ihnen Terrain genug übrig, wie dies ja auch Wallace bei Gelegenheit der gefälschten |347| Geisterphotographien deutlich sagt. Die Existenz der Fälschungen beweist die Echtheit der echten.
Und so sieht sich denn die Empirie gezwungen, die Zudringlichkeit der Geisterseher nicht mit empirischen Experimenten, sondern mit theoretischen Erwägungen abzufertigen und mit Huxley zu sagen:
»Das einzige Gute, das meiner Ansicht nach bei dem Nachweis der Wahrheit des Spiritualismus herauskommen könnte, wäre dies, ein neues Argument gegen den Selbstmord zu liefern. Lieber als Straßenkehrer leben, denn als Verstorbner Blech schwätzen durch den Mund eines Mediums, das sich für eine Guinea per Sitzung vermietet!«
Fußnoten von Friedrich Engels
(1) Wie schon gesagt, die Patienten vervollkommnen sich durch die Übung. Es ist also wohl möglich, daß, wenn die Willensunterwerfung erst gewohnheitsmäßig geworden, das Verhältnis der Beteiligten intimer wird, einzelne Erscheinungen sich steigern und selbst im wachenden Zustande schwach reflektiert werden. <=
(2) Here, then, one of two things are absolutely certain. Die Geisterwelt steht über der Grammatik. Ein Spaßvogel ließ einst den Geist des Grammatikers Lindley Murray zitieren. Auf die Frage, ob er da sei, antwortete er: I are (amerikanisch statt I am). Das Medium war aus Amerika. <=
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