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Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/ Friedrich Engels - Werke. (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 20. Berlin/DDR.
1962. »Herrn Eugen Dührung's Umwälzung der Wissenschaft«,
S. 136-238.
1. Korrektur
Erstellt am 30.08.1999
|136| Die politische Ökonomie, im weitesten Sinne, ist die Wissenschaft von den Gesetzen, welche die Produktion und den Austausch des materiellen Lebensunterhalts in der menschlichen Gesellschaft beherrschen. Produktion und Austausch sind zwei verschiedne Funktionen. Produktion kann stattfinden ohne Austausch, Austausch - eben weil von vornherein nur Austausch von Produkten - nicht ohne Produktion. Jede dieser beiden gesellschaftlichen Funktionen steht unter dem Einfluß von großenteils besondern äußern Einwirkungen und hat daher auch großenteils ihre eignen, besondern Gesetze. Aber andrerseits bedingen sie einander in jedem Moment und wirken in solchem Maß aufeinander ein, daß man sie als die Abszisse und die Ordinate der ökonomischen Kurve bezeichnen könnte.
Die Bedingungen, unter denen die Menschen produzieren und austauschen, wechseln von Land zu Land, und in jedem Lande wieder von Generation zu Generation. Die politische Ökonomie kann also nicht dieselbe sein für alle Länder und für alle geschichtlichen Epochen. Vom Bogen und Pfeil, vom Steinmesser und nur ausnahmsweise vorkommenden Tauschverkehr des Wilden, bis zur tausendpferdigen Dampfmaschine, zum mechanischen Webstuhl, den Eisenbahnen und der Bank von England ist ein ungeheurer Abstand. Die Feuerländer bringen es nicht zur Massenproduktion und zum Welthandel, ebensowenig wie zur Wechselreiterei oder einem Börsenkrach. Wer die politische Ökonomie Feuerlands unter dieselben Gesetze bringen wollte mit der des heutigen Englands, würde damit augenscheinlich nichts zutage fördern als den allerbanalsten Gemeinplatz. Die politische Ökonomie ist somit wesentlich eine historische Wissenschaft. Sie behandelt einen geschichtlichen, das heißt einen stets wechselnden Stoff; sie untersucht zunächst die besondern Gesetze jeder einzelnen |137| Entwicklungsstufe der Produktion und des Austausches und wird erst am Schluß dieser Untersuchung die wenigen, für Produktion und Austausch überhaupt geltenden, ganz allgemeinen Gesetze aufstellen können. Wobei es sich jedoch von selbst versteht, daß die für bestimmte Produktionsweisen und Austauschformen gültigen Gesetze auch Gültigkeit haben für alle Geschichtsperioden, denen jene Produktionsweisen und Austauschformen gemeinsam sind. So z.B. tritt mit der Einführung des Metallgeldes eine Reihe von Gesetzen in Wirksamkeit, die für alle Länder- und Geschichtsabschnitte gültig bleibt, in denen Metallgeld den Austausch vermittelt.
Mit der Art und Weise der Produktion und des Austausches einer bestimmten geschichtlichen Gesellschaft und mit den geschichtlichen Vorbedingungen dieser Gesellschaft ist auch gleichzeitig gegeben die Art und Weise der Verteilung der Produkte. In der Stamm- oder Dorfgemeinde mit gemeinsamem Grundeigentum, mit der, oder mit deren sehr erkennbaren Überresten alle Kulturvölker in die Geschichte eintreten, versteht sich eine ziemlich gleichmäßige Verteilung der Produkte ganz von selbst; wo größere Ungleichheit der Verteilung unter den Mitgliedern eintritt, da ist sie auch schon ein Anzeichen der beginnenden Auflösung der Gemeinde. - Der große wie der kleine Ackerbau lassen je nach den geschichtlichen Vorbedingungen, aus denen sie sich entwickelt haben, sehr verschiedne Verteilungsformen zu. Aber es liegt auf der Hand, daß der große stets eine ganz andre Verteilung bedingt als der kleine; daß der große einen Klassengegensatz - Sklavenhalter und Sklaven, Grundherren und Fronbauern, Kapitalisten und Lohnarbeiter - voraussetzt oder erzeugt, während beim kleinen ein Klassenunterschied der bei der Ackerbauproduktion tätigen Individuen keineswegs bedingt ist und im Gegenteil durch sein bloßes Dasein den beginnenden Verfall der Parzellenwirtschaft anzeigt. - Die Einführung und Verbreitung des Metallgeldes in einem Lande, wo bisher ausschließlich oder vorwiegend Naturalwirtschaft galt, ist stets mit einer langsamern oder schnellern Umwälzung der bisherigen Verteilung verbunden, und zwar so, daß die Ungleichheit der Verteilung unter den einzelnen, also der Gegensatz von reich und arm, mehr und mehr gesteigert wird. - Der lokale, zünftige Handwerksbetrieb des Mittelalters machte große Kapitalisten und lebenslängliche Lohnarbeiter ebenso unmöglich, wie die moderne große Industrie, die heutige Kreditausbildung und die der Entwicklung beider entsprechende Austauschform, die freie Konkurrenz, sie mit Notwendigkeit erzeugen.
Mit den Unterschieden in der Verteilung aber treten die Klassenunterschiede auf. Die Gesellschaft teilt sich in bevorzugte und benachteiligte, aus- |138| beutende und ausgebeutete, herrschende und beherrschte Klassen, und der Staat, zu dem sich die naturwüchsigen Gruppen gleichstämmiger Gemeinden zunächst nur behufs der Wahrnehmung gemeinsamer Interessen (Berieselung im Orient z.B.) und wegen des Schutzes nach außen fortentwickelt hatten, erhält von nun an ebensosehr den Zweck, die Lebens- und Herrschaftsbedingungen der herrschenden gegen die beherrschte Klasse mit Gewalt aufrechtzuerhalten.
Die Verteilung ist indes nicht ein bloßes passives Erzeugnis der Produktion und des Austausches; sie wirkt ebensosehr zurück auf beide. Jede neue Produktionsweise oder Austauschform wird im Anfang gehemmt nicht nur durch die alten Formen und die ihnen entsprechenden politischen Einrichtungen, sondern auch durch die alte Verteilungsweise. Sie muß sich die ihr entsprechende Verteilung erst in langem Kampf erringen. Aber je beweglicher, je mehr der Ausbildung und Entwicklung fähig eine gegebne Produktions- und Austauschweise ist, desto rascher erreicht auch die Verteilung eine Stufe, in der sie ihrer Mutter über den Kopf wächst, in der sie mit der bisherigen Art der Produktion und des Austausches in Widerstreit gerät. Die alten naturwüchsigen Gemeinwesen, von denen schon die Rede war, können Jahrtausende bestehn, wie bei Indern und Slawen noch heute, ehe der Verkehr mit der Außenwelt in ihrem Innern die Vermögensunterschiede erzeugt, infolge deren ihre Auflösung eintritt. Die moderne kapitalistische Produktion dagegen, die kaum dreihundert Jahre alt und erst seit Einführung der großen Industrie, also seit hundert Jahren, herrschend geworden ist, hat in dieser kurzen Zeit Gegensätze der Verteilung fertiggebracht - Konzentration der Kapitalien in wenigen Händen einerseits, Konzentration der besitzlosen Massen in den großen Städten andrerseits -, an denen sie notwendig zugrunde geht.
Der Zusammenhang der jedesmaligen Verteilung mit den jedesmaligen materiellen Existenzbedingungen einer Gesellschaft liegt sosehr in der Natur der Sache, daß er sich im Volksinstinkt regelmäßig widerspiegelt. Solange eine Produktionsweise sich im aufsteigenden Ast ihrer Entwicklung befindet, solange jubeln ihr sogar diejenigen entgegen, die bei der ihr entsprechenden Verteilungsweise den kürzern ziehn. So die englischen Arbeiter beim Aufkommen der großen Industrie. Selbst solange diese Produktionsweise die gesellschaftlich-normale bleibt, herrscht im ganzen Zufriedenheit mit der Verteilung, und erhebt sich Einspruch - dann aus dem Schoß der herrschenden Klasse selbst (Saint-Simon, Fourier, Owen) und findet bei der ausgebeuteten Masse erst recht keinen Anklang. Erst wenn die fragliche Produktionsweise ein gut Stück ihres absteigenden Asts hinter sich, wenn |139| sie sich halb überlebt hat, wenn die Bedingungen ihres Daseins großenteils verschwunden sind und ihr Nachfolger bereits an die Tür klopft - erst dann erscheint die immer ungleicher werdende Verteilung als ungerecht, erst dann wird von den überlebten Tatsachen an die sogenannte ewige Gerechtigkeit appelliert. Dieser Appell an die Moral und das Recht hilft uns wissenschaftlich keinen Fingerbreit weiter; die ökonomische Wissenschaft kann in der sittlichen Entrüstung, und wäre sie noch so gerechtfertigt, keinen Beweisgrund sehn, sondern nur ein Symptom. Ihre Aufgabe ist vielmehr, die neu hervortretenden gesellschaftlichen Mißstände als notwendige Folgen der bestehenden Produktionsweise, aber auch gleichzeitig als Anzeichen ihrer hereinbrechenden Auflösung nachzuweisen, und innerhalb der sich auflösenden ökonomischen Bewegungsform die Elemente der zukünftigen, jene Mißstände beseitigenden, neuen Organisation der Produktion und des Austausches aufzudecken. Der Zorn, der den Poeten macht, ist bei der Schilderung dieser Mißstände ganz am Platz, oder auch beim Angriff gegen die, diese Mißstände leugnenden oder beschönigenden Harmoniker im Dienst der herrschenden Klasse; wie wenig er aber für den jedesmaligen Fall beweist, geht schon daraus hervor, daß man in jeder Epoche der ganzen bisherigen Geschichte Stoff genug für ihn findet.
Die politische Ökonomie als die Wissenschaft von den Bedingungen und Formen, unter denen die verschiednen menschlichen Gesellschaften produziert und ausgetauscht und unter denen sich demgemäß jedesmal die Produkte verteilt haben - die politische Ökonomie in dieser Ausdehnung soll jedoch erst geschaffen werden. Was wir von ökonomischer Wissenschaft bis jetzt besitzen, beschränkt sich fast ausschließlich auf die Genesis und Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise: es beginnt mit der Kritik der Reste der feudalen Produktions- und Austauschformen, weist die Notwendigkeit ihrer Ersetzung durch kapitalistische Formen nach, entwickelt dann die Gesetze der kapitalistischen Produktionsweise und ihrer entsprechenden Austauschformen nach der positiven Seite hin, d.h. nach der Seite, wonach sie die allgemeinen Gesellschaftszwecke fördern, und schließt ab mit der sozialistischen Kritik der kapitalistischen Produktionsweise, d.h. mit der Darstellung ihrer Gesetze nach der negativen Seite hin, mit dem Nachweis, daß diese Produktionsweise durch ihre eigne Entwicklung dem Punkt zutreibt, wo sie sich selbst unmöglich macht. Diese Kritik weist nach, daß die kapitalistischen Produktions- und Austauschformen mehr und mehr eine unerträgliche Fessel werden für die Produktion selbst; daß der durch jene Formen mit Notwendigkeit bedingte Verteilungsmodus eine Klassenlage von täglich sich steigernder Unerträglichkeit erzeugt hat, |140| den sich täglich verschärfenden Gegensatz von immer wenigern, aber immer reicheren Kapitalisten und von immer zahlreicheren und im ganzen und großen immer schlechter gestellten besitzlosen Lohnarbeitern; und endlich, daß die innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise erzeugten, massenhaften Produktivkräfte, die von jener nicht mehr zu bändigen sind, nur der Besitzergreifung harren durch eine zum planmäßigen Zusammenwirken organisierte Gesellschaft, um allen Gesellschaftsgliedern die Mittel zur Existenz und zu freier Entwicklung ihrer Fähigkeiten zu sichern, und zwar in stets wachsendem Maß.
Um diese Kritik der bürgerlichen Ökonomie vollständig durchzuführen, genügte nicht die Bekanntschaft mit der kapitalistischen Form der Produktion, des Austausches und der Verteilung. Die ihr vorhergegangnen oder die noch neben ihr, in weniger entwickelten Ländern bestehenden Formen mußten ebenfalls, wenigstens in den Hauptzügen, untersucht und zur Vergleichung gezogen werden. Eine solche Untersuchung und Vergleichung ist bis jetzt im ganzen und großen nur von Marx angestellt worden, und seinen Forschungen verdanken wir daher auch fast ausschließlich das, was über die vorbürgerliche theoretische Ökonomie bisher festgestellt ist.
Obwohl gegen Ende des 17. Jahrhunderts in genialen Köpfen entstanden, ist die politische Ökonomie im engern Sinn, in ihrer positiven Formulierung durch die Physiokraten und Adam Smith, doch wesentlich ein Kind des 18. Jahrhunderts und reiht sich den Errungenschaften der gleichzeitigen großen französischen Aufklärer an mit allen Vorzügen und Mängeln jener Zeit. Was wir von den Aufklärern gesagt |Siehe S. 16/17|, gilt auch von den damaligen Ökonomen. Die neue Wissenschaft war ihnen nicht der Ausdruck der Verhältnisse und Bedürfnisse ihrer Epoche, sondern der Ausdruck der ewigen Vernunft; die von ihr entdeckten Gesetze der Produktion und des Austausches waren nicht Gesetze einer geschichtlich bestimmten Form jener Tätigkeiten, sondern ewige Naturgesetze; man leitete sie ab aus der Natur des Menschen. Aber dieser Mensch, bei Lichte besehn, war der damalige, im Übergang zum Bourgeois begriffne Mittelbürger, und seine Natur bestand darin, unter den damaligen, geschichtlich bestimmten Verhältnissen zu fabrizieren und Handel zu treiben.
Nachdem wir unsern »kritischen Grundleger« Herrn Dühring und seine Methode aus der Philosophie hinlänglich kennengelernt haben, werden wir auch ohne Schwierigkeit vorhersagen können, wie er die politische Ökonomie auffassen wird. In der Philosophie war da, wo er nicht einfach faselte |141| (wie in der Naturphilosophie), seine Anschauungsweise eine Verzerrung derjenigen des 18. Jahrhunderts. Es handelte sich nicht um geschichtliche Entwicklungsgesetze, sondern um Naturgesetze, ewige Wahrheiten. Gesellschaftliche Verhältnisse wie Moral und Recht wurden nicht nach den jedesmaligen geschichtlich vorliegenden Bedingungen, sondern durch die famosen beiden Männer entschieden, von denen der eine entweder den andern unterdrückt, oder auch nicht, welches letztere bisher leider nie vorkam. Wir werden uns also kaum täuschen, wenn wir den Schluß ziehn, daß Herr Dühring die Ökonomie ebenfalls auf endgültige Wahrheiten letzter Instanz, ewige Naturgesetze, tautologische Axiome von ödester Inhaltlosigkeit zurückführen, daneben aber den ganzen positiven Inhalt der Ökonomie, soweit dieser ihm bekannt, durchs Hinterpförtchen wieder hereinschmuggeln; und daß er die Verteilung, als ein gesellschaftliches Ereignis, nicht aus Produktion und Austausch entwickeln, sondern seinen ruhmvollen beiden Männern zur endgültigen Erledigung überweisen wird. Und da uns dies alles bereits altbekannte Kunstgriffe sind, so können wir uns hier um so kürzer fassen.
In der Tat erklärt uns Herr Dühring bereits auf S. 2, daß
seine Ökonomie Bezug nimmt auf das in seiner »Philosophie« »Festgestellte« und sich »in einigen wesentlichen Punkten an übergeordnete und in einem höhern Untersuchungsgebiet bereits ausgemachte Wahrheiten anlehnt«.
Überall dieselbe Zudringlichkeit der Selbstanpreisung. Überall der Triumph des Herrn Dühring über das von Herrn Dühring Festgestellte und Ausgemachte. Ausgemacht in der Tat, das haben wir des breiteren gesehn - aber wie man ein schwalchendes Licht ausmacht.
Gleich darauf haben wir
»die allgemeinsten Naturgesetze aller Wirtschaft« -
also hatten wir richtig geraten.
Aber diese Naturgesetze lassen nur dann ein richtiges Verständnis der abgelebten Geschichte zu, wenn man sie »in derjenigen nähern Bestimmung untersucht, die ihre Ergebnisse durch die politische Unterwerfungs- und Gruppierungsformen erfahren haben. Einrichtungen wie die Sklaverei und die Lohnhörigkeit, zu denen sich als Zwillingsgeburt das Gewalteigentum gesellt, sind als sozialökonomische Verfassungsformen echt politischer Natur zu betrachten und bilden in der bisherigen Welt den Rahmen, innerhalb dessen sich die Wirkungen wirtschaftlicher Naturgesetze allein zeigen konnten.«
Dieser Satz ist die Fanfare, die uns als Wagnersches Leitmotiv den Anmarsch der beiden famosen Männer verkündet. Aber er ist noch mehr, er |142| ist das Grundthema des ganzen Dühringschen Buchs. Beim Recht wußte Herr Dühring uns nichts zu bieten, als eine schlechte Übersetzung der Rousseauschen Gleichheitstheorie ins Sozialistische |siehe S. 89-95|, wie man sie in jedem Pariser Arbeiter-Estaminet seit Jahren weit besser hören kann. Hier gibt er eine nicht bessere, sozialistische Übersetzung der Klagen der Ökonomen über die Verfälschung der ökonomischen ewigen Naturgesetze und ihrer Wirkungen durch die Einmischung des Staats, der Gewalt. Und hiermit steht er verdientermaßen unter den Sozialisten ganz allein. Jeder sozialistische Arbeiter, einerlei, welcher Nationalität, weiß ganz gut, daß die Gewalt die Ausbeutung nur schützt, aber nicht verursacht; daß das Verhältnis von Kapital und Lohnarbeit der Grund seiner Ausbeutung ist, und daß dieses auf rein ökonomischem und keineswegs auf gewaltsamem Wege entstanden ist.
Des weitern erfahren wir nun, daß man
bei allen ökonomischen Fragen »zwei Hergänge, den der Produktion und den der Verteilung wird unterscheiden können«. Außerdem habe der bekannte oberflächliche J. B. Say noch einen dritten Hergang, den des Verbrauchs, der Konsumtion, hinzugefügt, aber nichts Gescheites darüber zu sagen gewußt, ebensowenig wie seine Nachfolger. Der Austausch oder die Zirkulation aber sei nur eine Unterabteilung der Produktion, zu der alles gehöre, was geschehn muß, damit die Erzeugnisse an den letzten und eigentlichen Konsumenten gelangen.
Wenn Herr Dühring die beiden wesentlich verschiednen, wenn auch sich gegenseitig bedingenden Prozesse der Produktion und der Zirkulation zusammenwirft und ganz ungeniert behauptet, aus der Unterlassung dieser Verwirrung könne nur »Verwirrung entstehn«, so beweist er damit bloß, daß er die kolossale Entwicklung, die gerade die Zirkulation in den letzten fünfzig Jahren durchgemacht hat, nicht kennt oder nicht versteht; wie denn auch sein Buch weiterhin bestätigt. Damit nicht genug. Nachdem er so Produktion und Austausch in eins als Produktion schlechthin zusammenfaßt, stellt er die Verteilung neben die Produktion als einen zweiten, ganz äußerlichen Hergang hin, der mit dem ersten gar nichts zu schaffen hat. Nun haben wir gesehn, daß die Verteilung in ihren entscheidenden Zügen jedesmal das notwendige Ergebnis der Produktions- und Austauschverhältnisse einer bestimmten Gesellschaft, sowie der geschichtlichen Vorbedingungen dieser Gesellschaft ist, und zwar dergestalt, daß, wenn wir diese kennen, wir mit Bestimmtheit auf die in dieser Gesellschaft herrschende Verteilungsweise schließen können. Wir sehn aber ebenfalls, daß Herr Dühring, wenn |143| er den in seiner Moral-, Rechts- und Geschichtsauffassung »festgestellten« Grundsätzen nicht untreu werden will, diese elementare ökonomische Tatsache verleugnen muß und daß er dies namentlich muß, wenn es gilt, seine beiden unentbehrlichen Männer in die Ökonomie hineinzuschmuggeln. Und nachdem die Verteilung glücklich alles Zusammenhangs mit der Produktion und dem Austausch entledigt, kann dies große Ereignis vor sich gehn.
Erinnern wir uns indes zuerst, wie die Sache bei Moral und Recht sich entwickelte. Hier fing Herr Dühring ursprünglich mit nur Einem Mann an; er sagte:
«Ein Mensch, insofern er als einzig, oder, was dasselbe leistet, als außer jedem Zusammenhang mit andern gedacht wird, kann keine Pflichten haben. Für ihn gibt es kein , sondern nur ein Wollen.«
Was aber ist dieser pflichtenlose, als einzig gedachte Mensch anders, als der fatale »Urjude Adam« im Paradiese, wo er ohne Sünde ist, weil er eben keine begehn kann? - Aber auch diesem wirklichkeitsphilosophischen Adam steht ein Sündenfall bevor. Neben diesen Adam tritt plötzlich - zwar keine Eva mit wallendem Lockenhaar, aber doch ein zweiter Adam. Und sofort erhält Adam Pflichten und - bricht sie. Statt seinen Bruder als Gleichberechtigten an seinen Busen zu schließen, unterwirft er ihn seiner Herrschaft, knechtet er ihn - und an den Folgen dieser ersten Sünde, an der Erbsünde der Knechtung, leidet die ganze Weltgeschichte bis auf den heutigen Tag, weshalb sie auch nach Herrn Dühring keine drei Pfennige wert ist.
Wenn also Herr Dühring, beiläufig gesagt, die »Negation der Negation« hinreichend der Verachtung preiszugeben glaubte, indem er sie als einen Abklatsch der alten Geschichte vom Sündenfall und der Erlösung bezeichnete, was sollen wir dann sagen von seiner neuesten Ausgabe derselben Geschichte? (denn auch der Erlösung werden wir mit der Zeit, um einen Reptilienausdruck zu gebrauchen, »nähertreten«). Jedenfalls doch wohl, daß wir die alte semitische Stammsage vorziehn, bei der es sich dem Männlein und dem Weiblein doch der Mühe verlohnte, aus dem Stand der Unschuld zu treten, und daß Herrn Dühring der Ruhm ohne Konkurrenz verbleiben wird, seinen Sündenfall konstruiert zu haben mit zwei Männern.
Hören wir also nun die Übersetzung des Sündenfalls ins Ökonomische:
»Für den Gedanken der Produktion kann allenfalls die Vorstellung von einem Robinson, welcher mit seinen Kräften der Natur isoliert gegenübersteht und mit niemandem etwas zu teilen hat, ein geeignetes Denkschema abgeben ... Von einer gleichen Zweckmäßigkeit ist für die Veranschaulichung des Wesentlichsten in dem Verteilungs- |144| gedanken das Denkschema von zwei Personen, deren wirtschaftliche Kräfte sich kombinieren und die sich offenbar bezüglich ihrer Anteile gegenseitig in irgendeiner Form auseinandersetzen müssen. Mehr als dieses einfachen Dualismus bedarf es in der Tat nicht, um in aller Strenge einige der wichtigsten Verteilungsbeziehungen darzulegen und deren Gesetze embryonisch in ihrer logischen Notwendigkeit zu studieren ... Das Zusammenwirken auf gleichem Fuß ist hier ebenso denkbar, als die Kombination der Kräfte durch völlige Unterdrückung des einen Teils, der alsdann als Sklave oder bloßes Werkzeug zum wirtschaftlichen Dienst gepreßt und eben auch nur als Werkzeug unterhalten wird ... Zwischen dem Zustande der Gleichheit und dem der Nullität auf der einen und der Omnipotenz und einzig aktiven Beteiligung auf der andern Seite befindet sich eine Reihe von Stufen, für deren Besetzung die Erscheinungen der Weltgeschichte in bunter Mannigfaltigkeit gesorgt haben. Ein universeller Blick für die verschiednen Rechts- und Unrechsinstitutionen der Geschichte ist hier die wesentliche Voraussetzung« ...,
und zum Schluß verwandelt sich die ganze Verteilung in ein
»ökonomisches Verteilungsrecht«.
Jetzt endlich hat Herr Dühring wieder festen Boden unter den Füßen. Arm in Arm mit seinen beiden Männern kann er sein Jahrhundert in die Schranken fordern. Aber hinter diesem Dreigestirn steht noch ein Ungenannter.
»Das Kapital hat die Mehrarbeit nicht erfunden. Überall, wo ein Teil der Gesellschaft das Monopol der Produktionsmittel besitzt, muß der Arbeiter, frei oder unfrei, der zu seiner Selbsterhaltung notwendigen {1} Arbeitszeit überschüssige Arbeitszeit zusetzen, um die Lebensmittel für den Eigner der Produktionsmittel zu produzieren, sei dieser Eigentümer nun atheniensischer Kaloskagathos {2} |Aristokrat|, etruskischer Theokrat, civis romanus« (römischer Bürger), »normannischer Baron, amerikanischer Sklavenhalter, walachischer Bojar, moderner Landlord oder Kapitalist.« (Marx, Kapital, I, zweite Ausgabe, Seite 227. |Siehe Karl Marx, »Das Kapital«, Bd. I, in: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 23, S. 249/250|)
Nachdem Herr Dühring auf diese Weise erfahren, was die, allen bisherigen Produktionsformen - soweit sie sich in Klassengegensätzen bewegen - gemeinsame Grundform der Ausbeutung ist, galt es nur noch, seine beiden Männer darauf anzuwenden, und die wurzelhafte Grundlage der Wirklichkeitsökonomie war fertig. Er zauderte keinen Moment mit der Ausführung dieses »systemschaffenden Gedankens«. Arbeit ohne Gegenleistung, |145| über die zur Selbsterhaltung des Arbeiters nötige Arbeitszeit hinaus, das ist der Punkt. Der Adam, der hier Robinson heißt, läßt also seinen zweiten Adam, den Freitag, drauflos schanzen. Aber warum schanzt Freitag mehr als er für seinen Unterhalt nötig hat? Auch diese Frage findet bei Marx teilweise ihre Beantwortung. Das ist aber für die beiden Männer viel zu weitläufig. Die Sache wird kurzerhand abgemacht: Robinson »unterdrückt« den Freitag, preßt ihn »als Sklave oder Werkzeug zum wirtschaftlichen Dienst« und unterhält ihn »auch nur als Werkzeug«. Mit dieser neuesten »schöpferischen Wendung« schlägt Herr Dühring wie mit Einer Klappe zwei Fliegen. Erstens erspart er sich die Mühe, die verschiednen bisherigen Verteilungsformen, ihre Unterschiede und ihre Ursachen zu erklären: sie taugen einfach allesamt nichts, sie beruhn auf der Unterdrückung, der Gewalt. Darüber werden wir demnächst zu sprechen haben. Und zweitens versetzt er damit die ganze Theorie der Verteilung vom ökonomischen Gebiet auf das der Moral und des Rechts, d.h. vom Gebiet feststehender materieller Tatsachen auf das mehr oder weniger schwankender Meinungen und Gefühle. Er braucht also nicht mehr zu untersuchen oder zu beweisen, sondern nur noch flott drauflos zu deklamieren, und kann die Forderung stellen, die Verteilung der Erzeugnisse der Arbeit solle sich richten, nicht nach ihren wirklichen Ursachen, sondern nach dem, was ihm, Herrn Dühring, sittlich und gerecht erscheint. Was aber Herrn Dühring gerecht erscheint, ist keineswegs unwandelbar, also weit entfernt, eine echte Wahrheit zu sein. Denn diese sind ja, nach Herrn Dühring selbst, »überhaupt nicht wandelbar«. Im Jahr 1868 behauptete Herr Dühring (»Die Schicksale meiner sozialen Denkschrift etc.«),
es liege »in der Tendenz aller höhern Zivilisation, das Eigentum immer schärfer auszuprägen, und hierin, nicht in einer Konfusion der Rechte und Herrschaftssphären, liegt das Wesen und die Zukunft der modernen Entwicklung«.
Und ferner könne er platterdings nicht absehn,
»wie eine Verwandlung der Lohnarbeit in eine andre Art des Erwerbs mit den Gesetzen der menschlichen Natur und der naturnotwendigen Gliederung des gesellschaftlichen Körpers jemals vereinbar werden solle«.
Also 1868: Privateigentum und Lohnarbeit naturnotwendig und daher gerecht; 1876: Beides Ausfluß der Gewalt und des »Raubs«, also ungerecht. Und wir können unmöglich wissen, was einem so gewaltig dahinstürmenden Genius in einigen Jahren möglicherweise als sittlich und gerecht erscheinen dürfte, und tun daher jedenfalls besser, bei unsrer Betrachtung der Verteilung der Reichtümer uns an die wirklichen, objektiven, ökonomi- |146| schen Gesetze zu halten und nicht an die augenblickliche, wandelbare, subjektive Vorstellung des Herrn Dühring von Recht und Unrecht.
Wenn wir für die hereinbrechende Umwälzung der heutigen Verteilungsweise der Arbeitserzeugnisse samt ihren schreienden Gegensätzen von Elend und Üppigkeit, Hungersnot und Schwelgerei, keine bessere Sicherheit hätten als das Bewußtsein, daß diese Verteilungsweise ungerecht ist und daß das Recht doch endlich einmal siegen muß, so wären wir übel dran und könnten lange warten. Die mittelalterlichen Mystiker, die vom nahenden Tausendjährigen Reich träumten, hatten schon das Bewußtsein von der Ungerechtigkeit der Klassengegensätze. An der Schwelle der neuern Geschichte, vor dreihundertfünfzig Jahren, ruft Thomas Münzer es laut in die Welt hinaus. In der englischen, in der französischen bürgerlichen Revolution ertönt derselbe Ruf und - verhallt. Und wenn jetzt derselbe Ruf nach Abschaffung der Klassengegensätze und Klassenunterschiede, der bis 1830 die arbeitenden und leidenden Klassen kalt ließ, wenn er jetzt ein millionenfaches Echo findet, wenn er ein Land nach dem andern ergreift, und zwar in derselben Reihenfolge und mit derselben Intensität, wie sich in den einzelnen Ländern die große Industrie entwickelt, wenn er in einem Menschenalter eine Macht erobert hat, die allen gegen ihn vereinten Mächten trotzen und des Siegs in naher Zukunft gewiß sein kann - woher kommt das? Daher, daß die moderne große Industrie einerseits ein Proletariat, eine Klasse geschaffen hat, die zum erstenmal in der Geschichte die Forderung stellen kann der Abschaffung nicht dieser oder jener besondern Klassenorganisation oder dieses und jenes besondern Klassenvorrechts, sondern der Klassen überhaupt; und die in die Lage versetzt ist, daß sie diese Forderung durchführen muß bei Strafe des Versinkens in chinesisches Kulitum. Und daß dieselbe große Industrie andrerseits in der Bourgeoisie eine Klasse geschaffen hat, die das Monopol aller Produktionswerkzeuge und Lebensmittel besitzt, aber in jeder Schwindelperiode und in jedem drauffolgenden Krach beweist, daß sie unfähig geworden, die ihrer Gewalt entwachsenen Produktivkräfte noch fernerhin zu beherrschen; eine Klasse, unter deren Leitung die Gesellschaft dem Ruin entgegenrennt wie eine Lokomotive, deren eingeklemmte Abzugsklappe der Maschinist zu schwach ist zu öffnen. Mit andern Worten: es kommt daher, daß sowohl die von der modernen kapitalistischen Produktionsweise erzeugten Produktivkräfte wie auch das von ihr geschaffne System der Güterverteilung in brennenden Widerspruch geraten sind mit jener Produktionsweise selbst, und zwar in solchem Grad, daß eine Umwälzung der Produktions- und Verteilungsweise stattfinden muß, die alle Klassenunterschiede beseitigt, falls nicht die ganze moderne |147| Gesellschaft untergehn soll. In dieser handgreiflichen, materiellen Tatsache, die sich den Köpfen der ausgebeuteten Proletarier mit unwiderstehlicher Notwendigkeit in mehr oder weniger klarer Gestalt aufdrängt - in ihr, nicht aber in den Vorstellungen dieses oder jenes Stubenhockers von Recht und Unrecht, begründet sich die Siegesgewißheit des modernen Sozialismus.
»Das Verhältnis der allgemeinen Politik zu den Gestaltungen des wirtschaftlichen Rechts ist in meinem System so entschieden und zugleich so eigentümlich bestimmt, daß eine besondre Hinweisung hierauf zur Erleichterung des Studiums nicht überflüssig sein dürfte. Die Gestaltung der politischen Beziehungen ist das geschichtlich Fundamentale, und die wirtschaftlichen Abhängigkeiten sind nur eine Wirkung oder ein Spezialfall und daher stets Tatsachen zweiter Ordnung. Einige der neuem sozialistischen Systeme machen den in die Augen fallenden Schein eines völlig umgekehrten Verhältnisses zum leitenden Prinzip, indem sie aus den wirtschaftlichen Zuständen die politischen Unterordnungen gleichsam herauswachsen lassen. Nun sind diese Wirkungen der zweiten Ordnung als solche allerdings vorhanden und in der Gegenwart am meisten fühlbar; aber das Primitive muß in der unmittelbaren politischen Gewalt und nicht erst in einer indirekten ökonomischen Macht gesucht werden.«
Ebenso an einer andern Stelle, wo Herr Dühring
»von dem Satz ausgeht, daß die politischen Zustände die entscheidende Ursache der Wirtschaftslage sind und daß die umgekehrte Beziehung nur eine Rückwirkung zweiter Ordnung darstellt ..., solange man die politische Gruppierung nicht um ihrer selbst willen zum Ausgangspunkt macht, sondern sie ausschließlich als Mittel für Futterzwecke behandelt, wird man, so radikal sozialistisch und revolutionär man auch erscheinen möge, dennoch ein verstecktes Stück Reaktion in sich bergen«.
Das ist die Theorie des Herrn Dühring. Sie wird hier und an vielen andern Stellen einfach aufgestellt, sozusagen dekretiert. Von auch nur dem geringsten Versuch des Beweises oder der Widerlegung der entgegenstehenden Ansicht ist nirgendwo in den drei dicken Büchern die Rede. Und wenn die Beweisgründe so wohlfeil wären wie die Brombeeren, Herr Dühring gäbe uns keine Beweisgründe. Die Sache ist ja schon bewiesen durch den berühmten Sündenfall, wo Robinson den Freitag geknechtet hat. Das war eine Gewalttat, also eine politische Tat. Und da diese Knechtung den Ausgangspunkt und die Grundtatsache der ganzen bisherigen Geschichte bildet und ihr die Erbsünde der Ungerechtigkeit einimpft, so zwar, daß sie in den spätern Perioden nur gemildert und »in die mehr indirekten ökonomischen Abhängigkeitsformen verwandelt« worden ist; da ebenfalls auf |148| dieser Urknechtung das ganze bisher geltend gebliebne »Gewalteigentum« beruht, so ist klar, daß alle ökonomischen Erscheinungen aus politischen Ursachen zu erklären sind, nämlich aus der Gewalt. Und wem das nicht genügt, der ist ein versteckter Reaktionär.
Bemerken wir zuerst, daß man nicht weniger in sich selbst verliebt sein muß als Herr Dühring, um diese Ansicht für so »eigentümlich« zu halten, wie sie keineswegs ist. Die Vorstellung, als wären die politischen Haupt- und Staatsaktionen das Entscheidende in der Geschichte, ist so alt wie die Geschichtschreibung selbst, und ist die Hauptursache davon, daß uns so wenig aufbewahrt worden ist über die sich im Hintergrund dieser lärmenden Auftritte still vollziehende und wirklich vorantreibende Entwicklung der Völker. Diese Vorstellung hat die ganze vergangne Geschichtsauffassung beherrscht und einen Stoß erhalten erst durch die französischen bürgerlichen Geschichtschreiber der Restaurationszeit; »eigentümlich« ist dabei nur, daß Herr Dühring von alledem wieder nichts weiß.
Ferner: nehmen wir für einen Augenblick an, Herr Dühring habe darin recht, daß alle bisherige Geschichte sich auf die Knechtung des Menschen durch den Menschen zurückführen lasse, so sind wir damit noch lange nicht der Sache auf den Grund gekommen. Sondern es fragt sich zunächst: wie kam der Robinson dazu, den Freitag zu knechten? Des bloßen Vergnügens halber? Durchaus nicht. Wir sehn im Gegenteil, daß Freitag »als Sklave oder bloßes Werkzeug zum wirtschaftlichen Dienst gepreßt und eben auch nur als Werkzeug unterhalten wird«. Robinson hat Freitag nur geknechtet, damit Freitag zum Nutzen Robinsons arbeite. Und wie kann Robinson aus Freitags Arbeit Nutzen für sich ziehn? Nur dadurch, daß Freitag mehr Lebensmittel durch seine Arbeit erzeugt, als Robinson ihm geben muß, damit er arbeitsfähig bleibe. Robinson hat also, gegen Herrn Dührings ausdrückliche Vorschrift, die durch die Knechtung Freitags hergestellte »politische Gruppierung nicht um ihrer selbst willen zum Ausgangspunkt gemacht, sondern sie ausschließlich als Mittel für Futterzwecke behandelt«, und möge nun selber zusehn, wie er mit seinem Herrn und Meister Dühring fertig wird.
Das kindliche Exempel also, das Herr Dühring eigens erfunden hat, um die Gewalt als das »geschichtlich Fundamentale« nachzuweisen, es beweist, daß die Gewalt nur das Mittel, der ökonomische Vorteil dagegen der Zweck ist. Um soviel »fundamentaler« der Zweck ist als das seinetwegen angewandte Mittel, um ebensoviel fundamentaler ist in der Geschichte die ökonomische Seite des Verhältnisses gegenüber der politischen. Das Beispiel beweist also grade das Gegenteil von dem, was es beweisen soll. Und wie bei Robin- |149| son und Freitag, so in allen bisherigen Fällen von Herrschaft und Knechtschaft. Die Unterjochung war stets, um Herrn Dührings elegante Ausdrucksweise zu gebrauchen, »Mittel für Futterzwecke« (diese Futterzwecke im weitesten Sinn genommen), nie und nirgends aber eine »um ihrer selbst willen« eingeführte politische Gruppierung. Man muß Herr Dühring sein, um sich einbilden zu können, die Steuern seien im Staate nur »Wirkungen zweiter Ordnung«, oder die heutige politische Gruppierung von herrschender Bourgeoisie und beherrschtem Proletariat sei »um ihrer selbst willen« da und nicht um der »Futterzwecke« der herrschenden Bourgeois willen, nämlich der Profitmacherei und Kapitalaufhäufung.
Kehren wir indes wieder zurück zu unsern beiden Männern. Robinson, »mit dem Degen in der Hand«, macht Freitag zu seinem Sklaven. Aber um dies fertigzubringen, braucht Robinson noch etwas andres als den Degen. Nicht einem jeden ist mit einem Sklaven gedient. Um einen solchen brauchen zu können, muß man über zweierlei verfügen: erstens über die Werkzeuge und Gegenstände für die Arbeit des Sklaven, und zweitens über die Mittel für seinen notdürftigen Unterhalt. Ehe also Sklaverei möglich wird, muß schon eine gewisse Stufe in der Produktion erreicht und ein gewisser Grad von Ungleichheit in der Verteilung eingetreten sein. Und damit die Sklavenarbeit die herrschende Produktionsweise einer ganzen Gesellschaft werde, braucht es eine noch weit höhere Steigerung der Produktion, des Handels und der Reichtumsansammlung. In den alten naturwüchsigen Gemeinwesen mit Gesamteigentum am Boden kommt Sklaverei entweder gar nicht vor oder spielt nur eine sehr untergeordnete Rolle. Ebenso in der ursprünglichen Bauernstadt Rom; als dagegen Rom »Weltstadt« wurde und der italische Grundbesitz mehr und mehr in die Hände einer wenig zahlreichen Klasse enorm reicher Eigentümer kam, da wurde die Bauernbevölkerung verdrängt durch eine Bevölkerung von Sklaven. Wenn zur Zeit der Perserkriege die Zahl der Sklaven in Korinth auf 460.000, in Aegina auf 470.000 stieg, und auf jeden Kopf der freien Bevölkerung zehn Sklaven kamen, so gehörte dazu noch etwas mehr als »Gewalt«, nämlich eine hochentwickelte Kunst- und Handwerksindustrie und ein ausgebreiteter Handel. Die Sklaverei in den amerikanischen Vereinigten Staaten beruhte weit weniger auf der Gewalt, als auf der englischen Baumwollindustrie; in den Gegenden, wo keine Baumwolle wuchs, oder die nicht, wie die Grenzstaaten, Sklavenzüchtung für die Baumwollstaaten trieben, starb sie von selbst aus, ohne Anwendung von Gewalt, einfach weil sie sich nicht bezahlte.
Wenn also Herr Dühring das heutige Eigentum ein Gewalteigentum nennt und es bezeichnet als
|150| »diejenige Herrschaftsform, welche nicht etwa bloß eine Ausschließung des Nebenmenschen von dem Gebrauch der Naturmittel zur Existenz, sondern auch, was noch weit mehr bedeutet, die Unterjochung des Menschen zum Knechtsdienst zugrunde liegen hat« -
so stellt er das ganze Verhältnis auf den Kopf. Die Unterjochung des Menschen zum Knechtsdienst, in allen ihren Formen, setzt beim Unterjocher die Verfügung voraus über die Arbeitsmittel, vermittelst deren allein er den Geknechteten verwenden, und bei der Sklaverei außerdem noch die Verfügung über die Lebensmittel, womit allein er den Sklaven am Leben erhalten kann. In allen Fällen also schon einen gewissen, den Durchschnitt überschreitenden Vermögensbesitz. Wie ist dieser entstanden ? jedenfalls ist es klar, daß er zwar geraubt sein, also auf Gewalt beruhn kann, aber daß dies keineswegs nötig ist. Er kann erarbeitet, erstohlen, erhandelt, erschwindelt sein. Er muß sogar erarbeitet sein, ehe er überhaupt geraubt werden kann.
Das Privateigentum tritt überhaupt in der Geschichte keineswegs auf als Ergebnis des Raubs und der Gewalt. Im Gegenteil. Es besteht schon, wenn auch unter Beschränkung auf gewisse Gegenstände, in der uralten naturwüchsigen Gemeinde aller Kulturvölker. Es entwickelt sich bereits innerhalb dieser Gemeinde, zunächst im Austausch mit Fremden, zur Form der Ware. Je mehr die Erzeugnisse der Gemeinde Warenform annehmen, d.h. je weniger von ihnen zum eignen Gebrauch des Produzenten und je mehr sie zum Zweck des Austausches produziert werden, je mehr der Austausch auch im Innern der Gemeinde die ursprüngliche naturwüchsige Arbeitsteilung verdrängt, desto ungleicher wird der Vermögensstand der einzelnen Gemeindeglieder, desto tiefer wird die alte Gemeinschaft des Bodenbesitzes untergraben, desto rascher treibt das Gemeinwesen seiner Auflösung in ein Dorf von Parzellenbauern entgegen. Der orientalische Despotismus und die wechselnde Herrschaft erobernder Nomadenvölker konnten diesen alten Gemeinwesen Jahrtausende hindurch nichts anhaben; die allmähliche Zerstörung ihrer naturwüchsigen Hausindustrie durch die Konkurrenz der Erzeugnisse der großen Industrie bringt sie mehr und mehr in Auflösung. Von Gewalt ist da ebensowenig die Rede, wie bei der noch jetzt stattfindenden Aufteilung des gemeinsamen Ackerbesitzes der »Gehöferschaften« an der Mosel und im Hochwald; die Bauern finden es eben in ihrem Interesse, daß das Privateigentum am Acker an Stelle des Gemeineigentums trete. Selbst die Bildung einer naturwüchsigen Aristokratie, wie sie bei Kelten, Germanen und im indischen Fünfstromland auf Grund des gemeinsamen Bodeneigentums erfolgt, beruht zunächst keineswegs auf Gewalt, sondern auf Freiwilligkeit und Gewohnheit. Überall, wo das Privat- |151| eigentum sich herausbildet, geschieht dies infolge veränderter Produktions- und Austauschverhältnisse, im Interesse der Steigerung der Produktion und der Förderung des Verkehrs - also aus ökonomischen Ursachen. Die Gewalt spielt dabei gar keine Rolle. Es ist doch klar, daß die Einrichtung des Privateigentums schon bestehn muß, ehe der Räuber sich fremdes Gut aneignen kann; daß also die Gewalt zwar den Besitzstand verändern, aber nicht das Privateigentum als solches erzeugen kann.
Aber auch um die »Unterjochung des Menschen zum Knechtsdienst« in ihrer modernsten Form, in der Lohnarbeit, zu erklären, können wir weder die Gewalt, noch das Gewalteigentum brauchen. Wir haben schon erwähnt, welche Rolle bei der Auflösung der alten Gemeinwesen, also bei der direkten oder indirekten Verallgemeinerung des Privateigentums, die Verwandlung der Arbeitsprodukte in Waren, ihre Erzeugung nicht für den eignen Verzehr, sondern für den Austausch spielt. Nun aber hat Marx im »Kapital« sonnenklar nachgewiesen - und Herr Dühring hütet sich, auch nur mit einer Silbe darauf einzugehn -, daß auf einem gewissen Entwicklungsgrad die Warenproduktion sich in kapitalistische Produktion verwandelt und daß auf dieser Stufe »das auf Warenproduktion und Warenzirkulation beruhende Gesetz der Aneignung oder Gesetz des Privateigentums durch seine eigne, innere, unvermeidliche Dialektik in sein Gegenteil umschlägt: der Austausch von Äquivalenten, der als die ursprüngliche Operation erschien, hat sich so gedreht, daß nur zum Schein ausgetauscht wird, indem erstens der gegen Arbeitskraft ausgetauschte Kapitalteil selbst nur ein Teil des ohne Äquivalent angeeigneten fremden Arbeitsprodukts ist, und zweitens von seinem Produzenten, dem Arbeiter, nicht nur ersetzt, sondern mit neuem Surplus« (Überschuß) »ersetzt werden muß ... Ursprünglich erschien uns das Eigentum gegründet auf eigne Arbeit ... Eigentum erscheint jetzt« (am Schluß der Marxschen Entwicklung), »auf Seite des Kapitalisten, als das Recht, fremde unbezahlte Arbeit, auf Seite des Arbeiters, als Unmöglichkeit, sein eignes Produkt anzueignen. Die Scheidung zwischen Eigentum und Arbeit wird zur notwendigen Konsequenz eines Gesetzes, das scheinbar von ihrer Identität ausging.« |Siehe Karl Marx, »Das Kapital«, Bd. I, in: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 23, S. 609/610| Mit andern Worten: selbst wenn wir die Möglichkeit alles Raubs, aller Gewalttat und aller Prellerei ausschließen, wenn wir annehmen, daß alles Privateigentum ursprünglich auf eigner Arbeit des Besitzers beruhe und daß im ganzen fernern Verlauf nur gleiche Werte gegen gleiche Werte ausgetauscht werden, so kommen wir dennoch bei der Fortentwicklung der Produktion und des Austausches mit Not- |152| wendigkeit auf die gegenwärtige kapitalistische Produktionsweise, auf die Monopolisierung der Produktions- und Lebensmittel in den Händen der einen, wenig zahlreichen Klasse, auf die Herabdrückung der andern, die ungeheure Mehrzahl bildenden Klasse zu besitzlosen Proletariern, auf den periodischen Wechsel von Schwindelproduktion und Handelskrise und auf die ganze gegenwärtige Anarchie in der Produktion. Der ganze Hergang ist aus rein ökonomischen Ursachen erklärt, ohne daß auch nur ein einziges Mal der Raub, die Gewalt, der Staat oder irgendwelche politische Einmischung nötig gewesen wäre. Das »Gewalteigentum« erweist sich auch hier bloß als eine renommistische Phrase, die den Mangel an Verständnis des wirklichen Verlaufs der Dinge verdecken soll.
Dieser Verlauf, historisch ausgedrückt, ist die Entwicklungsgeschichte der Bourgeoisie. Wenn die »politischen Zustände die entscheidende Ursache der Wirtschaftslage sind«, so muß die moderne Bourgeoisie nicht im Kampf mit dem Feudalismus sich entwickelt haben, sondern sein freiwillig erzeugtes Schoßkind sein. Jedermann weiß, daß das Gegenteil stattgefunden hat. Ursprünglich dem herrschenden Feudaladel zinspflichtiger, aus Hörigen und Leibeignen aller Art sich rekrutierender, unterdrückter Stand, hat das Bürgertum in fortwährendem Kampf mit dem Adel einen Machtposten nach dem andern erobert und schließlich in den entwickeltsten Ländern an seiner Stelle die Herrschaft in Besitz genommen; in Frankreich, indem es den Adel direkt stürzte, in England, indem es ihn mehr und mehr verbürgerlichte und ihn sich als seine eigne ornamentale Spitze einverleibte. Und wie brachte es dies fertig? Lediglich durch Veränderung der »Wirtschaftslage«, der eine Veränderung der politischen Zustände früher oder später, freiwillig oder erkämpft, nachfolgte. Der Kampf der Bourgeoisie gegen den Feudaladel ist der Kampf der Stadt gegen das Land, der Industrie gegen den Grundbesitz, der Geldwirtschaft gegen die Naturalwirtschaft, und die entscheidenden Waffen der Bürger in diesem Kampfe waren ihre, durch die Entwicklung der erst handwerksmäßigen, später zur Manufaktur vorschreitenden Industrie und durch die Ausbreitung des Handels sich fortwährend steigernden ökonomischen Machtmittel. Während dieses ganzen Kampfs stand die politische Gewalt auf Seite des Adels, mit Ausnahme einer Periode, wo die königliche Macht das Bürgertum gegen den Adel benutzte, um den einen Stand durch den andern im Schach zu halten; aber von dem Augenblick, wo das noch immer politisch ohnmächtige Bürgertum, vermöge seiner wachsenden ökonomischen Macht, gefährlich zu werden anfing, verbündete sich das Königtum wieder mit dem Adel und rief dadurch zuerst in England, dann in Frankreich die Revolution des Bürger- |153| tums hervor. Die »politischen Zustände« in Frankreich waren unverändert geblieben, während die »Wirtschaftslage« ihnen entwachsen war. Dem politischen Stand nach war der Adel alles, der Bürger nichts; der sozialen Lage nach war der Bürger jetzt die wichtigste Klasse im Staat, während dem Adel alle seine sozialen Funktionen abhanden gekommen waren und er nur noch in seinen Revenuen die Bezahlung dieser verschwundnen Funktionen einstrich. Damit nicht genug: das Bürgertum war in seiner ganzen Produktion eingezwängt geblieben in die feudalen politischen Formen des Mittelalters, denen diese Produktion - nicht nur die Manufaktur, sondern selbst das Handwerk - längst entwachsen war: in alle die, zu bloßen Schikanen und Fesseln der Produktion gewordnen, tausendfachen Zunftprivilegien und lokalen und provinzialen Zollschranken. Die Revolution des Bürgertums machte dem ein Ende. Nicht aber indem sie, nach Herrn Dührings Grundsatz, die Wirtschaftslage den politischen Zuständen anpaßte - das hatte ja grade Adel und Königtum jahrelang umsonst versucht -, sondern indem sie umgekehrt den alten modrigen politischen Plunder beiseite warf und politische Zustände schuf, in denen die neue »Wirtschaftslage« bestehn und sich entwickeln konnte. Und sie hat sich in dieser ihr angemessenen politischen und rechtlichen Atmosphäre glänzend entwickelt, so glänzend, daß die Bourgeoisie schon nicht mehr weit von der Stellung ist, die der Adel 1789 einnahm: sie wird mehr und mehr, nicht nur sozial überflüssig, sondern soziales Hindernis; sie scheidet mehr und mehr aus der Produktionstätigkeit aus und wird mehr und mehr, wie seinerzeit der Adel, eine bloß Revenuen einstreichende Klasse; und sie hat diese Umwälzung ihrer eignen Stellung und die Erzeugung einer neuen Klasse, des Proletariats, fertiggebracht, ohne irgendwelchen Gewaltshokuspokus, auf rein ökonomischem Wege. Noch mehr. Sie hat dies Resultat ihres eignen Tun und Treibens keineswegs gewollt - im Gegenteil, es hat sich mit unwiderstehlicher Gewalt gegen ihren Willen und gegen ihre Absicht durchgesetzt; ihre eignen Produktivkräfte sind ihrer Leitung entwachsen und treiben, wie mit Naturnotwendigkeit, die ganze bürgerliche Gesellschaft dem Untergang oder der Umwälzung entgegen. Und wenn die Bourgeois jetzt an die Gewalt appellieren, um die zusammenbrechende »Wirtschaftslage« vor dem Einsturz zu bewahren, so beweisen sie damit nur, daß sie in derselben Täuschung befangen sind wie Herr Dühring, als seien »die politischen Zustände die entscheidende Ursache der Wirtschaftslage«; daß sie sich einbilden, ganz wie Herr Dühring, sie könnten mit dem »Primitiven«, mit »der unmittelbar politischen Gewalt« jene »Tatsachen zweiter Ordnung«, die Wirtschaftslage und ihre unabwendbare Entwicklung umschaffen und also |154| die ökonomischen Wirkungen der Dampfmaschine und der von ihr getriebnen modernen Maschinerie, des Welthandels und der heutigen Bank- und Kreditentwicklung mit Krupp-Kanonen und Mauser-Gewehren wieder aus der Welt schießen.
Betrachten wir indes diese allmächtige »Gewalt« des Herrn Dühring etwas näher. Robinson knechtet den Freitag »mit dem Degen in der Hand«. Woher hat er den Degen? auch auf den Phantasie-Inseln der Robinsonaden wachsen bis jetzt die Degen nicht auf den Bäumen, und Herr Dühring bleibt jede Antwort auf diese Frage schuldig. Ebensogut wie Robinson sich einen Degen verschaffen konnte, ebensogut dürfen wir annehmen, daß Freitag eines schönen Morgens erscheint mit einem geladnen Revolver in der Hand, und dann kehrt sich das ganze »Gewalt«-Verhältnis um: Freitag kommandiert, und Robinson muß schanzen. Wir bitten die Leser um Verzeihung, daß wir so konsequent auf die eigentlich in die Kinderstube und nicht in die Wissenschaft gehörige Geschichte von Robinson und Freitag zurückkommen, aber was können wir dafür? Wir sind genötigt, Herrn Dührings axiomatische Methode gewissenhaft anzuwenden, und es ist nicht unsre Schuld, wenn wir uns dabei stets auf dem Gebiete der reinen Kindlichkeit bewegen. Also der Revolver siegt über den Degen, und damit wird es doch wohl auch dem kindlichsten Axiomatiker begreiflich sein, daß die Gewalt kein bloßer Willensakt ist, sondern sehr reale Vorbedingungen zu ihrer Betätigung erfordert, namentlich Werkzeuge, von denen das vollkommnere das unvollkommnere überwindet; daß ferner diese Werkzeuge produziert sein müssen, womit zugleich gesagt ist, daß der Produzent vollkommnerer Gewaltwerkzeuge, vulgo Waffen, den Produzenten der unvollkommneren besiegt, und daß, mit Einem Wort, der Sieg der Gewalt beruht auf der Produktion von Waffen, und diese wieder auf der Produktion überhaupt, also - auf der »ökonomischen Macht«, auf der »Wirtschaftslage«, auf den der Gewalt zur Verfügung stehenden materiellen Mitteln.
Die Gewalt, das ist heutzutage die Armee und die Kriegsflotte und beide kosten, wie wir alle zu unsrem Schaden wissen, »heidenmäßig viel Geld«. Die Gewalt aber kann kein Geld machen, sondern höchstens schon gemachtes wegnehmen, und das nützt auch nicht viel, wie wir ebenfalls zu unserm Schaden mit den französischen Milliarden erfahren haben. Das Geld muß |155| also schließlich doch geliefert werden vermittelst der ökonomischen Produktion ; die Gewalt wird also wieder durch die Wirtschaftslage bestimmt, die ihr die Mittel zur Ausrüstung und Erhaltung ihrer Werkzeuge verschafft. Aber damit nicht genug. Nichts ist abhängiger von ökonomischen Vorbedingungen als grade Armee und Flotte. Bewaffnung, Zusammensetzung, Organisation, Taktik und Strategie hängen vor allem ab von der jedesmaligen Produktionsstufe und den Kommunikationen. Nicht die »freien Schöpfungen des Verstandes« genialer Feldherrn haben hier umwälzend gewirkt, sondern die Erfindung besserer Waffen und die Veränderung des Soldatenmaterials; der Einfluß der genialen Feldherrn beschränkt sich im besten Fall darauf, die Kampfweise den neuen Waffen und Kämpfern anzupassen.{3}
Im Anfang des 14. Jahrhunderts kam das Schießpulver von den Arabern zu den Westeuropäern und wälzte, wie jedes Schulkind weiß, die ganze Kriegführung um. Die Einführung des Schießpulvers und der Feuerwaffen war aber keineswegs eine Gewalttat, sondern ein industrieller, also wirtschaftlicher Fortschritt. Industrie bleibt Industrie, ob sie auf die Erzeugung oder die Zerstörung von Gegenständen sich richtet. Und die Einführung der Feuerwaffen wirkte umwälzend nicht nur auf die Kriegführung selbst, sondern auch auf die politischen Herrschafts- und Knechtschaftsverhältnisse. Zur Erlangung von Pulver und Feuerwaffen gehörte Industrie und Geld, und beides besaßen die Städtebürger. Die Feuerwaffen waren daher von Anfang an Waffen der Städte und der auf die Städte gestützten, emporkommenden Monarchie gegen den Feudaladel. Die bisher unnahbaren Steinmauern der Adelsburgen erlagen den Kanonen der Bürger, die Kugeln der bürgerlichen Handbüchsen schlugen durch die ritterlichen Panzer. Mit der geharnischten Kavallerie des Adels brach auch die Adelsherrschaft zusammen; mit der Entwicklung des Bürgertums wurden Fußvolk und Geschütz mehr und mehr die entscheidenden Waffengattungen; durch das Geschütz gezwungen, mußte das Kriegshandwerk sich eine neue, ganz industrielle Unterabteilung zulegen: das Ingenieurwesen.
Die Ausbildung der Feuerwaffen ging sehr langsam vor sich. Das Geschütz blieb schwerfällig, die Handrohre trotz vieler Einzelerfindungen roh. Es dauerte über dreihundert Jahre, bis ein Gewehr zustande kam, das zur Bewaffnung der gesamten Infanterie taugte. Erst anfangs des 18. Jahrhunderts verdrängte das Steinschloßgewehr mit Bajonett die Pike endgültig aus |156| der Bewaffnung des Fußvolks. Das damalige Fußvolk bestand aus den stramm exerzierenden, aber ganz unzuverlässigen, nur mit dem Stock zusammengehaltnen, aus den verkommensten Elementen der Gesellschaft, oft aus gepreßten, feindlichen Kriegsgefangenen sich zusammensetzenden fürstlichen Werbesoldaten, und die einzige Kampfform, in der diese Soldaten das neue Gewehr zur Verwendung bringen konnten, war die Lineartaktik, die unter Friedrich II. ihre höchste Vollendung erreichte. Das ganze Fußvolk eines Heeres wurde in einem dreigliedrigen, sehr langen hohlen Viereck aufgestellt und bewegte sich in Schlachtordnung nur als Ganzes; höchstens wurde einem der beiden Flügel gestattet, sich etwas vorzuschieben oder zurückzuhalten. Diese unbehülfliche Masse war in Ordnung zu bewegen nur auf einem ganz ebnen Gelände, und auch da nur im langsamen Tempo (fünfundsiebzig Schritt auf die Minute); eine Änderung der Schlachtordnung während des Gefechts war unmöglich, und Sieg oder Niedertage wurden, sobald die Infanterie einmal im Feuer war, in kurzer Zeit mit Einem Schlag entschieden.
Diesen unbehülflichen Linien traten im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg Rebellenhaufen entgegen, die zwar nicht exerzieren, aber desto besser aus ihren gezognen Büchsen schießen konnten, die für ihre eigensten Interessen fochten, also nicht desertierten wie die Werbetruppen, und die den Engländern nicht den Gefallen taten, ihnen ebenfalls in Linie und auf freier Ebene gegenüberzutreten, sondern in aufgelösten, rasch beweglichen Schützenschwärmen und in den deckenden Wäldern. Die Linie war hier machtlos und erlag den unsichtbaren und unerreichbaren Gegnern. Das Tiraillieren war wieder erfunden - eine neue Kampfweise infolge eines veränderten Soldatenmaterials.
Was die amerikanische Revolution begonnen, das vollendete die französische, auch auf militärischem Gebiet. Den geübten Werbeheeren der Koalition hatte sie ebenfalls nur schlecht geübte, aber zahlreiche Massen entgegenzustellen, das Aufgebot der ganzen Nation. Mit diesen Massen aber galt es, Paris zu schützen, also ein bestimmtes Gebiet zu decken, und das konnte nicht ohne Sieg in offner Massenschlacht geschehn. Das bloße Schützengefecht reichte nicht aus; es mußte eine Form auch für die Massenverwendung gefunden werden, und sie fand sich in der Kolonne. Die Kolonnenstellung erlaubte auch wenig geübten Truppen, sich mit ziemlicher Ordnung zu bewegen und das selbst mit einer größern Marschgeschwindigkeit (hundert Schritt und darüber in der Minute), sie erlaubte, die steifen Formen der alten Linienordnung zu durchbrechen, in jedem, also auch in dem der Linie ungünstigsten Terrain zu fechten, die Truppen in jeder |157| irgendwie angemessenen Art zu gruppieren und, in Verbindung mit dem Gefecht zerstreuter Schützen, die feindlichen Linien aufzuhalten, zu beschäftigen, zu ermatten, bis der Moment gekommen, wo man sie am entscheidenden Punkt der Stellung mit in Reserve gehaltnen Massen durchbrach. Diese neue, auf der Verbindung von Tirailleurs und Kolonnen und auf der Einteilung der Armee in selbständige, aus allen Waffen zusammengesetzte Divisionen oder Armeekorps beruhende, von Napoleon nach ihrer taktischen wie strategischen Seite vollständig ausgebildete Kampfweise war demnach notwendig geworden vor allem durch das veränderte Soldatenmaterial der französischen Revolution. Sie hatte aber auch noch zwei sehr wichtige technische Vorbedingungen: erstens die von Gribeauval konstruierte leichtere Lafettierung der Feldgeschütze, wodurch allein diesen die von ihnen jetzt verlangte raschere Bewegung möglich wurde, und zweitens die in Frankreich 1777 eingeführte, dem Jagdgewehr entlehnte Schweifung des bisher ganz grade in der Verlängerung des Laufs sich fortsetzenden Flintenkolbens, die es möglich machte, auf einen einzelnen Mann zu zielen, ohne notwendig vorbeizuschießen. Ohne diesen Fortschritt aber hätte man mit dem alten Gewehr nicht tiraillieren können.
Das revolutionäre System der Bewaffnung des ganzen Volks wurde bald auf eine Zwangsaushebung (mit Stellvertretung durch Loskauf für die Begüterten) beschränkt und in dieser Form von den meisten großen Staaten des Festlands angenommen. Nur Preußen versuchte in seinem Landwehrsystem die Wehrkraft des Volks in größerm Maß heranzuziehn. Preußen war zudem der erste Staat, der sein ganzes Fußvolk - nachdem der zwischen 1830 und 1860 ausgebildete, kriegsbrauchbare gezogne Vorderlader eine kurze Rolle gespielt - mit der neuesten Waffe versah, dem gezognen Hinterlader. Beiden Einrichtungen verdankte es seine Erfolge von 1866.
Im Deutsch-Französischen Krieg traten zuerst zwei Heere einander gegenüber, die beide gezogne Hinterlader führten, und zwar beide mit wesentlich denselben taktischen Formationen wie zur Zeit des alten glattläufigen Steinschloßgewehrs. Nur daß die Preußen in der Einführung der Kompaniekolonne den Versuch gemacht hatten, eine der neuen Bewaffnung angemessenere Kampfform zu finden. Als aber am 18. August bei St. Privat die preußische Garde mit der Kompaniekolonne Ernst zu machen versuchte, verloren die am meisten beteiligten fünf Regimenter in höchstens zwei Stunden über ein Drittel ihrer Stärke (176 Offiziere und 5.114 Mann). und von da an war auch die Kompaniekolonne als Kampfform gerichtet, nicht minder als die Bataillonskolonne und die Linie; jeder Ver- |158| such wurde aufgegeben, fernerhin irgendwelche geschlossene Trupps dem feindlichen Gewehrfeuer auszusetzen, und der Kampf wurde deutscherseits nur noch in jenen dichten Schützenschwärmen geführt, in die sich die Kolonne bisher unter dem einschlagenden Kugelhagel schon regelmäßig von selbst aufgelöst, die man aber von oben herab als ordnungswidrig bekämpft hatte; und ebenso wurde nun im Bereich des feindlichen Gewehrfeuers der Laufschritt die einzige Bewegungsart. Der Soldat war wieder einmal gescheiter gewesen als der Offizier; die einzige Gefechtsform, die bisher im Feuer des Hinterladers sich bewährt, hatte er instinktmäßig gefunden und setzte sie trotz des Sträubens der Führung erfolgreich durch.
Mit dem Deutsch-Französischen Krieg ist ein Wendepunkt eingetreten von ganz andrer Bedeutung als alle frühern. Erstens sind die Waffen so vervollkommnet, daß ein neuer Fortschritt von irgendwelchem umwälzenden Einfluß nicht mehr möglich ist. Wenn man Kanonen hat, mit denen man ein Bataillon treffen kann, soweit das Auge es unterscheidet, und Gewehre, die für einen einzelnen Mann als Zielpunkt dasselbe leisten und bei denen das Laden weniger Zeit raubt als das Zielen, so sind alle weitern Fortschritte für den Feldkrieg mehr oder weniger gleichgültig. Die Ära der Entwicklung ist nach dieser Seite hin also im wesentlichen abgeschlossen. Zweitens aber hat dieser Krieg alle kontinentalen Großstaaten gezwungen, das verschärfte preußische Landwehrsystem bei sich einzuführen, und damit eine Militärlast, bei der sie in wenigen Jahren zugrunde gehn müssen. Die Armee ist Hauptzweck des Staats, ist Selbstzweck geworden; die Völker sind nur noch dazu da, die Soldaten zu liefern und zu ernähren. Der Militarismus beherrscht und verschlingt Europa. Aber dieser Militarismus trägt auch den Keim seines eignen Untergangs in sich. Die Konkurrenz der einzelnen Staaten untereinander zwingt sie einerseits, jedes Jahr mehr Geld auf Armee, Flotte, Geschütze etc. zu verwenden, also den finanziellen Zusammenbruch mehr und mehr zu beschleunigen; andrerseits mit der allgemeinen Dienstpflicht mehr und mehr Ernst, und damit schließlich das ganze Volk mit dem Waffengebrauch vertraut zu machen; es also zu befähigen, in einem gewissen Moment seinen Willen gegenüber der kommandierenden Militärherrlichkeit durchzusetzen. Und dieser Moment tritt ein, sobald die Masse des Volks - ländliche und städtische Arbeiter und Bauern - einen Willen hat. Auf diesem Punkt schlägt das Fürstenheer um in ein Volksheer; die Maschine versagt den Dienst, der Militarismus geht unter an der Dialektik seiner eignen Entwicklung. Was die bürgerliche Demokratie von 1848 nicht fertigbringen konnte, eben weil sie bürgerlich war und nicht proletarisch, nämlich den arbeitenden Massen einen Willen geben, |159| dessen Inhalt ihrer Klassenlage entspricht - das wird der Sozialismus unfehlbar erwirken. Und das bedeutet die Sprengung des Militarismus und mit ihm aller stehenden Armeen von innen heraus.
Das ist die eine Moral unsrer Geschichte der modernen Infanterie. Die zweite Moral, die uns wieder zu Herrn Dühring zurückführt, ist, daß sich die ganze Organisation und Kampfweise der Armeen, und damit Sieg und Niederlage, abhängig erweist von materiellen, das heißt ökonomischen Bedingungen: vom Menschen- und vom Waffenmaterial, also von der Qualität und Quantität der Bevölkerung und von der Technik. Nur ein Jägervolk wie die Amerikaner konnte das Tiraillieren wieder erfinden - und sie waren Jäger aus rein ökonomischen Ursachen, eben wie jetzt aus rein ökonomischen Ursachen dieselben Yankees der alten Staaten sich in Bauern, Industrielle, Seefahrer und Kaufleute verwandelt haben, die nicht mehr in den Urwäldern tiraillieren, dafür aber um so besser auf dem Felde der Spekulation, wo sie es auch in der Massenverwendung weit gebracht haben. - nur eine Revolution wie die französische, die den Bürger und namentlich den Bauer ökonomisch emanzipierte, konnte die Massenheere und zugleich die freien Bewegungsformen finden, an denen die alten steifen Linien zerschellten - die militärischen Abbilder des Absolutismus, den sie verfochten. Und wie die Fortschritte der Technik, sobald sie militärisch verwendbar und auch verwendet wurden, sofort Änderungen, ja Umwälzungen der Kampfweise fast gewaltsam erzwangen, oft noch dazu gegen den Willen der Heeresleitung, das haben wir Fall für Fall gesehn. Wie sehr außerdem die Kriegführung von der Produktivität und den Kommunikationsmitteln des eignen Hinterlandes wie des Kriegsschauplatzes abhängt, darüber kann heutzutage schon ein strebsamer Unteroffizier Herrn Dühring aufklären. Kurz, überall und immer sind es ökonomische Bedingungen und Machtmittel, die der »Gewalt« zum Siege verhelfen, ohne die sie aufhört, Gewalt zu sein, und wer nach Dühringschen Grundsätzen das Kriegswesen vom entgegengesetzten Standpunkte aus reformieren wollte, der könnte nichts ernten als Prügel.(1)
Gehn wir nun vom Lande aufs Wasser, so bietet sich uns allein in den letzten zwanzig Jahren eine noch ganz anders durchgreifende Umwälzung. Das Schlachtschiff des Krimkriegs war der hölzerne Zwei- und Drei- |160| decker von 60 bis 100 Kanonen, der vorzugsweise noch durch Segel bewegt wurde und nur zur Aushülfe eine schwache Dampfmaschine hatte. Er führte hauptsächlich 32pfünder von etwa 50 Zentner Rohrgewicht, daneben nur wenige 68pfünder von 95 Zentner. Gegen Ende des Kriegs traten eisengepanzerte schwimmende Batterien auf, schwerfällige, fast unbewegliche, aber dem damaligen Geschütz gegenüber unverletzliche Ungeheuer. Bald wurde die Eisenpanzerung auch auf die Schlachtschiffe übertragen; anfangs noch dünn, vier Zoll Eisenstärke galt schon für einen äußerst schweren Panzer. Aber der artilleristische Fortschritt überholte bald die Panzerung; für jede Panzerstärke, die nach der Reihe angewandt wurde, fand sich ein neues, schwereres Geschütz, das sie mit Leichtigkeit durchschlug. So sind wir jetzt bereits bei zehn-, zwölf-, vierzehn-, vierundzwanzigzölliger Panzerstärke (Italien will ein Schiff mit drei Fuß dickem Panzer bauen lassen) auf der einen Seite angekommen; auf der andern bei gezognen Geschützen von 25, 35, 80, ja 100 Tons (à 20 Zentner) Rohrgewicht, die Geschosse von 300, 400, 1.700 bis 2.000 Pfund auf früher unerhörte Entfernungen schleudern. Das heutige Schlachtschiff ist ein riesiger gepanzerter Schraubendampfer von 8.000 bis 9.000 Tonnen Gehalt und 6.000 bis 8.000 Pferdekraft, mit Drehtürmen und vier, höchstens sechs schweren Geschützen und mit einem, unter der Wasserlinie in einer Ramme zum Niederrennen feindlicher Schiffe auslaufenden Bug; es ist eine einzige kolossale Maschine, auf der der Dampf nicht nur die schnelle Fortbewegung bewirkt, sondern auch die Steuerung, das Ankerwinden, die Drehung der Türme, die Richtung und Ladung der Geschütze, das Auspumpen des Wassers, das Einnehmen und Herablassen der Boote - die selbst teilweise wieder Dampfkraft führen - usw. Und so wenig ist der Wettkampf zwischen Panzerung und Geschützwirkung zum Abschluß gekommen, daß ein Schiff heutzutage fast regelmäßig schon nicht mehr den Ansprüchen genügt, schon veraltet ist, ehe es vom Stapel gelassen wird. Das moderne Schlachtschiff ist nicht nur ein Produkt, sondern zugleich ein Probestück der modernen großen Industrie, eine schwimmende Fabrik - vornehmlich allerdings zur Erzeugung von Geldverschwendung. Das Land, wo die große Industrie am meisten entwickelt ist, hat beinahe das Monopol des Baues dieser Schiffe. Alle türkischen, fast alle russischen, die meisten deutschen Panzerschiffe sind in England gebaut; Panzerplatten von irgendwelcher Brauchbarkeit werden fast nur in Sheffield gemacht; von den drei Eisenwerken Europas, die allein imstande sind, die schwersten Geschütze zu liefern, kommen zwei (Woolwich und Elswick) auf England, das dritte (Krupp) auf Deutschland. Hier zeigt sich aufs handgreiflichste, wie die »unmittelbare politische Gewalt«, die |161| nach Herrn Dühring die »entscheidende Ursache der Wirtschaftslage« ist, im Gegenteil vollständig von der Wirtschaftslage unterjocht ist; wie nicht nur die Herstellung, sondern auch die Behandlung des Gewaltwerkzeugs zur See, des Schlachtschiffs, selbst ein Zweig der modernen großen Industrie geworden ist. Und daß dies so geworden, geht niemandem mehr wider die Haare, als grade der Gewalt, dem Staat, dem jetzt ein Schiff so viel kostet wie früher eine ganze kleine Flotte; der es mit ansehn muß, daß diese teuren Schiffe, noch ehe sie ins Wasser kommen, schon veraltet, also entwertet sind; und der sicher ebensoviel Verdruß darüber empfindet wie Herr Dühring, daß der Mann der »Wirtschaftslage«, der Ingenieur, jetzt an Bord viel wichtiger ist als der Mann der »unmittelbaren Gewalt«, der Kapitän. Wir dagegen haben durchaus keinen Grund, uns zu ärgern, wenn wir sehn, wie in diesem Wettkampf zwischen Panzer und Geschütz das Schlachtschiff bis zu der Spitze der Künstlichkeit ausgebildet wird, die es ebenso unerschwinglich wie kriegsunbrauchbar macht (2), und wie dieser Kampf damit auch auf dem Gebiet des Seekriegs jene innern dialektischen Bewegungsgesetze offenbart, nach denen der Militarismus, wie jede andre geschichtliche Erscheinung, an den Konsequenzen seiner eignen Entwicklung zugrunde geht.
Auch hier also sehn wir sonnenklar, daß keineswegs »das Primitive in der unmittelbaren politischen Gewalt und nicht erst in einer indirekten ökonomischen Macht gesucht werden« muß. Im Gegenteil. Was zeigt sich grade als »das Primitive« der Gewalt selbst? Die ökonomische Macht, die Verfügung über die Machtmittel der großen Industrie. Die politische Gewalt zur See, die auf den modernen Schlachtschiffen beruht, erweist sich als durchaus nicht »unmittelbar«, sondern grade als vermittelt durch die ökonomische Macht, die hohe Ausbildung der Metallurgie, das Kommando über geschickte Techniker und ergiebige Kohlengruben.
Indes, wozu das alles? Man gebe im nächsten Seekriege Herrn Dühring den Oberbefehl, und er vernichtet alle die von der Wirtschaftslage geknechteten Panzerflotten ohne Torpedos und andre Kunststücke, einfach vermittelst seiner »unmittelbaren Gewalt«.
»Ein sehr wichtiger Umstand liegt darin, daß tatsächlich die Beherrschung der Natur durch diejenige des Menschen erst überhaupt (!) vor sich gegangen ist« (eine Beherrschung ist vor sich gegangen!). »Die Bewirtschaftung des Grundeigentums in größern Strecken ist nie und nirgends ohne die vorgängige Knechtung des Menschen zu irgendeiner Art von Sklaven- oder Frondienst vollzogen worden. Die Aufrichtung einer ökonomischen Herrschaft über die Dinge hat die politische, soziale und ökonomische Herrschaft des Menschen über den Menschen zur Voraussetzung gehabt. Wie hätte man sich einen großen Grundherrn nur denken können, ohne zugleich seine Herrenschaft über Sklaven, Hörige oder indirekt Unfreie in den Gedanken einzuschließen? Was möchte wohl die Kraft des einzelnen, die sich höchstens mit den Kräften der Familienhülfe ausgestattet sähe, für eine umfangreichere Ackerkultur bedeutet haben und bedeuten? Die Ausbeutung des Landes oder die ökonomische Herrschaftsausdehnung über dasselbe in einem die natürlichen Kräfte des einzelnen übersteigenden Umfang ist in der bisherigen Geschichte nur dadurch möglich geworden, daß vor oder zugleich mit der Begründung der Bodenherrschaft auch die zugehörige Knechtung des Menschen durchgeführt wurde. In den spätern Perioden der Entwicklung ist diese Knechtung gemildert worden ... ihre gegenwärtige Gestalt ist in den hoher zivilisierten Staaten eine mehr oder minder durch Polizeiherrschaft geleitete Lohnarbeit. Auf der letztern beruht also die praktische Möglichkeit derjenigen Art des heutigen Reichtums, welcher sich in der umfangreicheren Bodenherrschaft und (!) im größern Grundbesitz darstellt. Selbstverständlich sind alle andern Gattungen des Verteilungsreichtums geschichtlich auf ähnliche Weise zu erklären, und die indirekte Abhängigkeit des Menschen vom Menschen, welche gegenwärtig den Grundzug der ökonomisch am weitesten entwickelten Zustände bildet, kann nicht aus sich selbst, sondern nur als eine etwas verwandelte Erbschaft einer frühern direkten Unterwerfung und Enteignung verstanden und erklärt werden.«
So Herr Dühring.
These: Die Beherrschung der Natur (durch den Menschen) setzt die Beherrschung des Menschen (durch den Menschen) voraus.
Beweis: Die Bewirtschaftung des Grundeigentums in großem Strecken ist nie und nirgends anders als durch Knechte erfolgt.
Beweis des Beweises: Wie kann es große Grundbesitzer geben ohne Knechte, da der große Grundbesitzer mit seiner Familie ohne Knechte ja nur einen geringen Teil seines Besitzes bebauen könnte.
Also: Um zu beweisen, daß der Mensch, um die Natur sich zu unterwerfen, vorher den Menschen knechten mußte, verwandelt Herr Dühring »die Natur« ohne weiteres in »Grundeigentum in größern Strecken« und |163| dies Grundeigentum - unbestimmt wessen? - sofort wieder in das Eigentum eines großen Grundherrn, der natürlich ohne Knechte sein Land nicht bebauen kann.
Erstens sind »Beherrschung der Natur« und »Bewirtschaftung des Grundeigentums« keineswegs dasselbe. Die Beherrschung der Natur wird in der Industrie in ganz anders kolossalem Maßstab ausgeübt als im Ackerbau, der sich bis heute vom Wetter beherrschen lassen muß, statt das Wetter zu beherrschen.
Zweitens, wenn wir uns auf die Bewirtschaftung des Grundeigentums in größern Strecken beschränken, so kommt es darauf an, wem dies Grundeigentum gehört. Und da finden wir im Anfang der Geschichte aller Kulturvölker nicht den »großen Grundherrn«, den uns Herr Dühring hier unterschiebt mit seiner gewöhnlichen Taschenspielermanier, die er »natürliche Dialektik« nennt - sondern Stamm- und Dorfgemeinden mit gemeinsamem Grundbesitz. Von Indien bis Irland ist die Bewirtschaftung des Grundeigentums in größern Strecken ursprünglich durch solche Stamm- und Dorfgemeinden vor sich gegangen, und zwar bald in gemeinschaftlicher Bebauung des Ackerlandes für Rechnung der Gemeinde, bald in einzelnen, von der Gemeinde den Familien auf Zeit zugeteilten Ackerparzellen bei fortdauernder Gemeinnutzung von Wald- und Weideland. Es ist wiederum bezeichnend für »die eindringendsten Fachstudien« des Herrn Dühring »auf dem politischen und juristischen Gebiet«, daß er von allen diesen Dingen nichts weiß; daß seine sämtlichen Werke eine totale Unbekanntschaft atmen mit den epochemachenden Schriften Maurers über die ursprüngliche deutsche Markverfassung, die Grundlage des gesamten deutschen Rechts, und mit der hauptsächlich durch Maurer angeregten, noch stets anschwellenden Literatur, die sich mit dem Nachweis der ursprünglichen Gemeinschaftlichkeit des Grundbesitzes bei allen europäischen und asiatischen Kulturvölkern und mit der Darstellung seiner verschiednen Daseins- und Auflösungsformen beschäftigt. Wie auf dem Gebiet des französischen und englischen Rechts Herr Dühring »seine ganze Ignoranz sich selbst erworben« hatte, so groß sie auch war, so auf dem Gebiet des deutschen Rechts seine noch weit größere. Der Mann, der sich so gewaltig über den beschränkten Horizont der Universitätsprofessoren erbost, er steht auf dem Gebiet des deutschen Rechts noch heute höchstens da, wo die Professoren vor zwanzig Jahren standen.
Es ist eine reine »freie Schöpfung und Imagination« des Herrn Dühring, wenn er behauptet, daß zur Bewirtschaftung des Grundeigentums auf größern Strecken Grundherrn und Knechte erforderlich gewesen seien. Im |164| ganzen Orient, wo die Gemeinde oder der Staat Grundeigentümer ist, fehlt sogar das Wort Grundherr in den Sprachen, worüber sich Herr Dühring bei den englischen Juristen Rats erholen kann, die sich in Indien ebenso umsonst mit der Frage abquälten: wer ist Grundeigentümer? - wie weiland Fürst Heinrich LXXII. von Reuß-Greiz-Schleiz-Lobenstein-Eberswalde mit der Frage: wer ist Nachtwächter? Erst die Türken haben im Orient in den von ihnen eroberten Ländern eine Art grundherrlichen Feudalismus eingerührt, Griechenland tritt schon im Heroenzeitalter in die Geschichte ein mit einer Ständegliederung, die selbst wieder das augenscheinliche Erzeugnis einer längern, unbekannten Vorgeschichte ist; aber auch da wird der Boden vorwiegend von selbständigen Bauern bewirtschaftet; die größern Güter der Edlen und Stammesfürsten bilden die Ausnahme und verschwinden ohnehin bald nachher. Italien ist urbar gemacht worden vorwiegend von Bauern; als in den letzten Zeiten der römischen Republik die großen Güterkomplexe, die Latifundien, die Parzellenbauern verdrängten und durch Sklaven ersetzten, ersetzten sie zugleich den Ackerbau durch Viehzucht und richteten, wie schon Plinius wußte, Italien zugrunde (latifundia Italiam perdidere). Im Mittelalter herrscht in ganz Europa (namentlich bei der Urbarmachung von Ödland) die Bauernkultur vor, wobei es für die vorliegende Frage gleichgültig ist, ob und welche Abgaben diese Bauern an irgendwelchen Feudalherrn zu zahlen hatten. Die friesischen, niedersächsischen, flämischen und niederrheinischen Kolonisten, die das den Slawen entrissene Land östlich der Elbe in Bebauung nahmen, taten dies als freie Bauern unter sehr günstigen Zinssätzen, keineswegs aber in »irgendeiner Art von Frondienst«. - in Nordamerika ist bei weitem der größte Teil des Landes durch Arbeit freier Bauern der Kultur erschlossen worden, während die großen Grundherrn des Südens mit ihren Sklaven und ihrem Raubbau den Boden erschöpften, bis er nur noch Tannen trug, so daß die Baumwollkultur immer weiter nach Westen wandern mußte. In Australien und Neuseeland sind alle Versuche der englischen Regierung, eine Bodenaristokratie künstlich herzustellen, gescheitert. Kurz, wenn wir die tropischen und subtropischen Kolonien ausnehmen, in denen das Klima dem Europäer die Ackerbauarbeit verbietet, erweist sich der vermittelst seiner Sklaven oder Fronknechte die Natur seiner Herrschaft unterwerfende, den Boden urbar machende große Grundherr als ein pures Phantasiegebilde. Im Gegenteil. Wo er im Altertum auftritt, wie in Italien, macht er nicht Wüstland urbar, sondern verwandelt das von Bauern urbar gemachte Ackerland in Viehweide, entvölkert und ruiniert ganze Länder. Erst in neuerer Zeit, erst seitdem die dichtere Bevölkerung den Bodenwert |165| gehoben und namentlich seit die Entwicklung der Agronomie auch schlechtern Boden verwendbarer gemacht hat - erst da hat der große Grundbesitz angefangen, an der Urbarmachung von Ödland und Weideland in großem Maßstab sich zu beteiligen, und das vornehmlich durch Diebstahl am Gemeindeland der Bauern, sowohl in England wie in Deutschland. Und auch das nicht ohne Gegengewicht. Für jeden Acker Gemeindeland, den die großen Grundbesitzer in England urbar gemacht, haben sie in Schottland mindestens drei Acker urbares Land in Schaftrift und zuletzt gar in bloßes Jagdrevier für Hochwild verwandelt.
Wir haben es hier nur mit der Behauptung des Herrn Dühring zu tun, daß die Urbarmachung größerer Landstriche, also doch wohl so ziemlich des ganzen Kulturgebiets »nie und nirgends« anders vollzogen worden sei, als durch große Grundherrn und Knechte - eine Behauptung, von der wir gesehn haben, daß sie eine wahrhaft unerhörte Unkenntnis der Geschichte »zur Voraussetzung hat«. Wir haben uns also hier weder darum zu kümmern, inwiefern zu verschiednen Zeiten bereits ganz oder größtenteils urbare Landstriche durch Sklaven (wie zur Blütezeit Griechenlands) oder Hörige (wie die Fronhöfe seit dem Mittelalter) bebaut worden sind, noch darum, welches die gesellschaftliche Funktion der großen Grundbesitzer zu verschiednen Zeiten gewesen ist.
Und nachdem Herr Dühring uns dies meisterhafte Phantasiegemälde vorgehalten, von dem man nicht weiß, was man mehr bewundern soll, die Taschenspielerkunst der Deduktion oder die Geschichtsfälschung - ruft er triumphierend aus:
»Selbstverständlich sind alle andern Gattungen des Verteilungsreichtums geschichtlich auf ähnliche Weise zu erklären!«
Womit er sich natürlich die Mühe erspart, über die Entstehung z.B. des Kapitals auch nur ein einziges weiteres Wörtchen zu verlieren.
Wenn Herr Dühring mit seiner Beherrschung des Menschen durch den Menschen als Vorbedingung der Beherrschung der Natur durch den Menschen im allgemeinen nur sagen will, daß unser gesamter gegenwärtiger ökonomischer Zustand, die heute erreichte Entwicklungsstufe von Ackerbau und Industrie, das Resultat einer sich in Klassengegensätzen, in Herrschafts- und Knechtschaftsverhältnissen abwickelnden Gesellschaftsgeschichte ist, so sagt er etwas, das seit dem »Kommunistischen Manifest« längst Gemeinplatz geworden ist. Es kommt eben darauf an, die Entstehung der Klassen und der Herrschaftsverhältnisse zu erklären, und wenn Herr Dühring dafür immer nur das eine Wort »Gewalt« hat, so sind wir damit |166| genausoweit wie am Anfang. Die einfache Tatsache, daß die Beherrschten und Ausgebeuteten zu allen Zeiten weit zahlreicher sind als die Herrscher und Ausbeuter, daß also die wirkliche Gewalt bei jenen ruht, reicht allein hin, um die Torheit der ganzen Gewaltstheorie klarzustellen. Es handelt sich also immer noch um die Erklärung der Herrschafts- und Knechtschaftsverhältnisse.
Sie sind auf zwiefachem Wege entstanden.
Wie die Menschen ursprünglich aus dem Tierreich - im engern Sinne - heraustreten, so treten sie in die Geschichte ein: noch halb Tiere, roh, noch ohnmächtig gegenüber den Kräften der Natur, noch unbekannt mit ihren eignen; daher arm wie die Tiere und kaum produktiver als sie. Es herrscht eine gewisse Gleichheit der Lebenslage und für die Familienhäupter auch eine Art Gleichheit der gesellschaftlichen Stellung - wenigstens eine Abwesenheit von Gesellschaftsklassen, die noch in den naturwüchsigen, ackerbautreibenden Gemeinwesen der spätern Kulturvölker fortdauert. In jedem solchen Gemeinwesen bestehn von Anfang an gewisse gemeinsame Interessen, deren Wahrung einzelnen, wenn auch unter Aufsicht der Gesamtheit, übertragen werden muß: Entscheidung von Streitigkeiten; Repression von Übergriffen einzelner über ihre Berechtigung hinaus; Aufsicht über Gewässer, besonders in heißen Ländern; endlich, bei der Waldursprünglichkeit der Zustände, religiöse Funktionen. Dergleichen Beamtungen finden sich in den urwüchsigen Gemeinwesen zu jeder Zeit, so in den ältesten deutschen Markgenossenschaften und noch heute in Indien. Sie sind selbstredend mit einer gewissen Machtvollkommenheit ausgerüstet und die Anfänge der Staatsgewalt. Allmählich steigern sich die Produktivkräfte; die dichtere Bevölkerung schafft hier gemeinsame, dort widerstreitende Interessen zwischen den einzelnen Gemeinwesen, deren Gruppierung zu größern Ganzen wiederum eine neue Arbeitsteilung, die Schaffung von Organen zur Wahrung der gemeinsamen, zur Abwehr der widerstreitenden Interessen hervorruft. Diese Organe, die schon als Vertreter der gemeinsamen Interessen der ganzen Gruppe, jedem einzelnen Gemeinwesen gegenüber eine besondre, unter Umständen sogar gegensätzliche Stellung haben, verselbständigen sich bald noch mehr, teils durch die, in einer Welt, wo alles naturwüchsig hergeht, fast selbstverständlich eintretende Erblichkeit der Amtsführung, teils durch ihre, mit der Vermehrung der Konflikte mit andern Gruppen wachsende Unentbehrlichkeit. Wie diese Verselbständigung der gesellschaftlichen Funktion gegenüber der Gesellschaft mit der Zeit sich bis zur Herrschaft über die Gesellschaft steigern konnte, wie der ursprüngliche Diener, wo die Gelegenheit günstig, sich allmählich in den |167| Herrn verwandelte, wie je nach den Umständen dieser Herr als orientalischer Despot oder Satrap, als griechischer Stammesfürst, als keltischer Clanchef usw. auftrat, wieweit er sich bei dieser Verwandlung schließlich auch der Gewalt bediente, wie endlich die einzelnen herrschenden Personen sich zu einer herrschenden Klasse zusammenfügten, darauf brauchen wir hier nicht einzugehn. Es kommt hier nur darauf an, festzustellen, daß der politischen Herrschaft überall eine gesellschaftliche Amtstätigkeit zugrunde lag; und die politische Herrschaft hat auch dann nur auf die Dauer bestanden, wenn sie diese ihre gesellschaftliche Amtstätigkeit vollzog. Wie viele Despotien auch über Persien und Indien auf- oder untergegangen sind, jede wußte ganz genau, daß sie vor allem die Gesamtunternehmerin der Berieselung der Flußtäler war, ohne die dort kein Ackerbau möglich. Erst den aufgeklärten Engländern war es vorbehalten, dies in Indien zu übersehn; sie ließen die Rieselkanäle und Schleusen verfallen und entdecken jetzt endlich durch die regelmäßig wiederkehrenden Hungersnöte, daß sie die einzige Tätigkeit vernachlässigt haben, die ihre Herrschaft in Indien wenigstens ebenso rechtmäßig machen könnte, wie die ihrer Vorgänger.
Neben dieser Klassenbildung ging aber noch eine andre. Die naturwüchsige Arbeitsteilung innerhalb der ackerbauenden Familie erlaubte auf einer gewissen Stufe des Wohlstands die Einfügung einer oder mehrerer fremden Arbeitskräfte. Dies war besonders der Fall in Ländern, wo der alte Gemeinbesitz am Boden bereits zerfallen oder doch wenigstens die alte gemeinsame Bebauung der Einzelbebauung der Bodenanteile durch die entsprechenden Familien gewichen war. Die Produktion war so weit entwickelt, daß die menschliche Arbeitskraft jetzt mehr erzeugen konnte, als zu ihrem einfachen Unterhalt nötig war; die Mittel, mehr Arbeitskräfte zu unterhalten, waren vorhanden; diejenigen, sie zu beschäftigen, ebenfalls; die Arbeitskraft bekam einen Wert. Aber das eigne Gemeinwesen und der Verband, dem es angehörte, lieferte keine disponiblen, überschüssigen Arbeitskräfte. Der Krieg dagegen lieferte sie, und der Krieg war so alt wie die gleichzeitige Existenz mehrerer Gemeinschaftsgruppen nebeneinander. Bisher hatte man mit den Kriegsgefangnen nichts anzufangen gewußt, sie also einfach erschlagen, noch früher hatte man sie verspeist. Aber auf der jetzt erreichten Stufe der »Wirtschaftslage« erhielten sie einen Wert; man ließ sie also leben und machte sich ihre Arbeit dienstbar. So wurde die Gewalt, statt die Wirtschaftslage zu beherrschen, im Gegenteil in den Dienst der Wirtschaftslage gepreßt. Die Sklaverei war erfunden. Sie wurde bald die herrschende Form der Produktion bei allen, über das alte Gemeinwesen hinaus sich entwickelnden Völkern, schließlich aber auch eine der Haupt- |168| Ursachen ihres Verfalls. Erst die Sklaverei machte die Teilung der Arbeit zwischen Ackerbau und Industrie auf größerm Maßstab möglich, und damit die Blüte der alten Welt, das Griechentum. Ohne Sklaverei kein griechischer Staat, keine griechische Kunst und Wissenschaft; ohne Sklaverei kein Römerreich. Ohne die Grundlage des Griechentums und des Römerreichs aber auch kein modernes Europa. Wir sollten nie vergessen, daß unsere ganze ökonomische, politische und intellektuelle Entwicklung einen Zustand zur Voraussetzung hat, in dem die Sklaverei ebenso notwendig wie allgemein anerkannt war. In diesem Sinne sind wir berechtigt zu sagen: Ohne antike Sklaverei kein moderner Sozialismus.
Es ist sehr wohlfeil, über Sklaverei und dergleichen in allgemeinen Redensarten loszuziehn und einen hohen sittlichen Zorn über dergleichen Schändlichkeit auszugießen. Leider spricht man damit weiter nichts aus als das, was jedermann weiß, nämlich daß diese antiken Einrichtungen unsern heutigen Zuständen und unsern durch diese Zustände bestimmten Gefühlen nicht mehr entsprechen. Wir erfahren damit aber kein Wort darüber, wie diese Einrichtungen entstanden sind, warum sie bestanden und welche Rolle sie in der Geschichte gespielt haben. Und wenn wir hierauf eingehn, so müssen wir sagen, so widerspruchsvoll und so ketzerisch das auch klingen mag, daß die Einführung der Sklaverei unter den damaligen Umständen ein großer Fortschritt war. Es ist nun einmal eine Tatsache, daß die Menschheit vom Tiere angefangen und daher barbarische, fast tierische Mittel nötig gehabt hat, um sich aus der Barbarei herauszuarbeiten. Die alten Gemeinwesen, wo sie fortbestanden, bilden seit Jahrtausenden die Grundlage der rohesten Staatsform, der orientalischen Despotie, von Indien bis Rußland. Nur wo sie sich auflösten, sind die Völker aus sich selbst weiter vorangeschritten, und ihr nächster ökonomischer Fortschritt bestand in der Steigerung und Fortbildung der Produktion vermittelst der Sklavenarbeit. Es ist klar: solange die menschliche Arbeit noch so wenig produktiv war, daß sie nur wenig Überschuß über die notwendigen Lebensmittel hinaus lieferte, war Steigerung der Produktivkräfte, Ausdehnung des Verkehrs, Entwicklung von Staat und Recht, Begründung von Kunst und Wissenschaft nur möglich vermittelst einer gesteigerten Arbeitsteilung, die zu ihrer Grundlage haben mußte die große Arbeitsteilung zwischen den die einfache Handarbeit besorgenden Massen und den die Leitung der Arbeit, den Handel, die Staatsgeschäfte, und späterhin die Beschäftigung mit Kunst und Wissenschaft betreibenden wenigen Bevorrechteten. Die einfachste, naturwüchsigste Form dieser Arbeitsteilung war eben die Sklaverei. Bei den geschichtlichen Voraussetzungen der alten, speziell der griechischen |169| Welt konnte der Fortschritt zu einer auf Klassengegensätzen gegründeten Gesellschaft sich nur vollziehn in der Form der Sklaverei. Selbst für die Sklaven war dies ein Fortschritt; die Kriegsgefangnen, aus denen die Masse der Sklaven sich rekrutierte, behielten jetzt wenigstens das Leben, statt daß sie früher gemordet oder noch früher gar gebraten wurden.
Fügen wir bei dieser Gelegenheit hinzu, daß alle bisherigen geschichtlichen Gegensätze von ausbeutenden und ausgebeuteten, herrschenden und unterdrückten Klassen ihre Erklärung finden in derselben verhältnismäßig unentwickelten Produktivität der menschlichen Arbeit. Solange die wirklich arbeitende Bevölkerung von ihrer notwendigen Arbeit so sehr in Anspruch genommen wird, daß ihr keine Zeit zur Besorgung der gemeinsamen Geschäfte der Gesellschaft - Arbeitsleitung, Staatsgeschäfte, Rechtsangelegenheiten, Kunst, Wissenschaft etc. - übrigbleibt, solange mußte stets eine besondre Klasse bestehn, die, von der wirklichen Arbeit befreit, diese Angelegenheiten besorgte; wobei sie denn nie verfehlte, den arbeitenden Massen zu ihrem eignen Vorteil mehr und mehr Arbeitslast aufzubürden. Erst die durch die große Industrie erreichte ungeheure Steigerung der Produktivkräfte erlaubt, die Arbeit auf alle Gesellschaftsglieder ohne Ausnahme zu verteilen und dadurch die Arbeitszeit eines jeden so zu beschränken, daß für alle hinreichend freie Zeit bleibt, um sich an den allgemeinen Angelegenheiten der Gesellschaft - theoretischen wie praktischen - zu beteiligen. Erst jetzt also ist jede herrschende und ausbeutende Klasse überflüssig, ja ein Hindernis der gesellschaftlichen Entwicklung geworden, und erst jetzt auch wird sie unerbittlich beseitigt werden, mag sie auch noch sosehr im Besitz der »unmittelbaren Gewalt« sein.
Wenn also Herr Dühring über das Griechentum die Nase rümpft, weil es auf Sklaverei begründet war, so kann er den Griechen mit demselben Recht den Vorwurf machen, daß sie keine Dampfmaschinen und elektrischen Telegraphen hatten. Und wenn er behauptet, unsre moderne Lohnknechtung sei nur als eine etwas verwandelte und gemilderte Erbschaft der Sklaverei und nicht aus sich selbst (das heißt aus den ökonomischen Gesetzen der modernen Gesellschaft) zu erklären, so heißt das entweder nur, daß Lohnarbeit wie Sklaverei Formen der Knechtschaft und der Klassenherrschaft sind, was jedes Kind weiß, oder es ist falsch. Denn mit demselben Recht könnten wir sagen, die Lohnarbeit sei nur zu erklären als eine gemilderte Form der Menschenfresserei, der jetzt überall festgestellten, ursprünglichen Form der Verwendung der besiegten Feinde.
Hiernach ist es klar, welche Rolle die Gewalt in der Geschichte gegenüber der ökonomischen Entwicklung spielt. Erstens beruht alle politische |170| Gewalt ursprünglich auf einer ökonomischen, gesellschaftlichen Funktion und steigert sich in dem Maß, wie durch Auflösung der ursprünglichen Gemeinwesen die Gesellschaftsglieder in Privatproduzenten verwandelt, also den Verwaltern der gemeinsam-gesellschaftlichen Funktionen noch mehr entfremdet werden. Zweitens, nachdem sich die politische Gewalt gegenüber der Gesellschaft verselbständigt, aus der Dienerin in die Herrin verwandelt hat, kann sie in zweierlei Richtung wirken. Entweder wirkt sie im Sinn und in der Richtung der gesetzmäßigen ökonomischen Entwicklung. In diesem Fall besteht kein Streit zwischen beiden, die ökonomische Entwicklung wird beschleunigt. Oder aber sie wirkt ihr entgegen, und dann erliegt sie, mit wenigen Ausnahmen, der ökonomischen Entwicklung regelmäßig. Diese wenigen Ausnahmen sind einzelne Fälle von Eroberung, wo die roheren Eroberer die Bevölkerung eines Landes ausrotteten oder vertrieben und die Produktivkräfte, mit denen sie nichts anzufangen wußten, verwüsteten oder verkommen ließen. So die Christen im maurischen Spanien den größten Teil der Berieselungswerke, auf denen der hochentwickelte Acker- und Gartenbau der Mauren beruht hatte. Jede Eroberung durch ein roheres Volk stört selbstredend die ökonomische Entwicklung und vernichtet zahlreiche Produktivkräfte. Aber in der ungeheuren Mehrzahl der Fälle von dauernder Eroberung muß der rohere Eroberer sich der höhern »Wirtschaftslage«, wie sie aus der Eroberung hervorgeht, anpassen; er wird von den Eroberten assimiliert und muß meist sogar ihre Sprache annehmen. Wo aber - abgesehn von Eroberungsfällen - die innere Staatsgewalt eines Landes in Gegensatz tritt zu seiner ökonomischen Entwicklung, wie das bisher auf gewisser Stufe fast für jede politische Gewalt eingetreten ist, da hat der Kampf jedesmal geendigt mit dem Sturz der politischen Gewalt. Ausnahmslos und unerbittlich hat die ökonomische Entwicklung sich Bahn gebrochen - das letzte schlagendste Beispiel davon haben wir schon erwähnt: die große französische Revolution. Hinge, nach Herrn Dührings Lehre, die Wirtschaftslage und mit ihr die ökonomische Verfassung eines bestimmten Landes einfach von der politischen Gewalt ab, so ist gar nicht abzusehn, warum denn es Friedrich Wilhelm IV. nach 1848 nicht gelingen wollte, trotz seines »herrlichen Knegsheeres«, die mittelalterlichen Zünfte und andre romantische Marotten auf die Eisenbahnen, Dampfmaschinen und die sich eben entwickelnde große Industrie seines Landes zu pfropfen; oder warum der Kaiser von Rußland, der doch noch viel gewaltiger ist, nicht nur seine Schulden nicht bezahlen, sondern nicht einmal ohne fortwährendes Anpumpen der »Wirtschaftslage« von Westeuropa seine »Gewalt« zusammenhalten kann.
|171| Für Herrn Dühring ist die Gewalt das absolut Böse, der erste Gewaltsakt ist ihm der Sündenfall, seine ganze Darstellung ist eine Jammerpredigt über die hiermit vollzogne Ansteckung der ganzen bisherigen Geschichte mit der Erbsünde, über die schmähliche Fälschung aller natürlichen und gesellschaftlichen Gesetze durch diese Teufelsmacht, die Gewalt. Daß die Gewalt aber noch eine andre Rolle in der Geschichte spielt, eine revolutionäre Rolle, daß sie, in Marx' Worten, die Geburtshelferin jeder alten Gesellschaft ist, die mit einer neuen schwanger geht |siehe Karl Marx, »Das Kapital«, Bd. I, in: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 23, S 779|, daß sie das Werkzeug ist, womit sich die gesellschaftliche Bewegung durchsetzt und erstarrte, abgestorbne politische Formen zerbricht - davon kein Wort bei Herrn Dühring. Nur unter Seufzen und Stöhnen gibt er die Möglichkeit zu, daß zum Sturz der Ausbeutungswirtschaft vielleicht Gewalt nötig sein werde - leider! denn jede Gewaltsanwendung demoralisiere den, der sie anwendet. Und das angesichts des hohen moralischen und geistigen Aufschwungs, der die Folge jeder siegreichen Revolution war! Und das in Deutschland, wo ein gewaltsamer Zusammenstoß, der dem Volk ja aufgenötigt werden kann, wenigstens den Vorteil hätte, die aus der Erniedrigung des Dreißigjährigen Kriegs in das nationale Bewußtsein gedrungne Bedientenhaftigkeit auszutilgen. Und diese matte, saft- und kraftlose Predigerdenkweise macht den Anspruch, sich der revolutionärsten Partei aufzudrängen, die die Geschichte kennt?
Es sind jetzt ungefähr hundert Jahre, seit in Leipzig ein Buch erschien, das bis Anfang dieses Jahrhunderts dreißig und einige Auflagen erlebte, und in Stadt und Land von Behörden, Predigern, Menschenfreunden aller Art verbreitet, verteilt und den Volksschulen allgemein als Lesebuch zugewiesen wurde. Dieses Buch hieß: Rochows Kinderfreund. Es hatte den Zweck, die jugendlichen Sprößlinge der Bauern und Handwerker über ihren Lebensberuf und ihre Pflichten gegen ihre gesellschaftlichen und staatlichen Vorgesetzten zu belehren, ingleichen ihnen eine wohltätige Zufriedenheit mit ihrem Erdenlose, mit Schwarzbrot und Kartoffeln, Frondienst, niedrigem Arbeitslohn, väterlichen Stockprügeln, und andern derartigen Annehmlichkeiten beizubringen, und alles das vermittelst der damals landläufigen Aufklärung. Zu diesem Zweck wurde der Jugend in Stadt und Land vorgehalten, welch eine weise Einrichtung der Natur es doch sei, daß der |172| Mensch sich seinen Lebensunterhalt und seine Genüsse durch Arbeit erwerben müsse, und wie glücklich sich demnach der Bauer und Handwerker zu fühlen habe, daß ihm gestattet sei, sein Mahl durch saure Arbeit zu würzen, statt wie der reiche Prasser an verdorbnem Magen, Gallenstockung oder Verstopfung zu laborieren und die ausgesuchtesten Leckerbissen nur mit Widerwillen hinunterzuwürgen. Dieselben Gemeinplätze, die der alte Rochow gut genug hielt für die kursächsischen Bauernjungen seiner Zeit, bietet uns Herr Dühring auf Seite 14 und folgende des »Cursus« als das »absolut Fundamentale« der neuesten politischen Ökonomie.
»Die menschlichen Bedürfnisse haben als solche ihre natürliche Gesetzmäßigkeit und sind hinsichtlich ihrer Steigerung in Grenzen eingeschlossen, die nur durch die Unnatur eine Zeitlang überschritten werden können, bis aus derselben Ekel, Lebensüberdruß, Abgelebtheit, soziale Verkrüpplung und schließlich heilsame Vernichtung folgen ... Ein aus reinen Vergnügungen bestehendes Spielen, ohne weitern ernsten Zweck führt bald zur Blasiertheit oder, was dasselbe ist, zum Verbrauch aller Empfindungsfähigkeit. Wirkliche Arbeit in irgendeiner Form ist also das soziale Naturgesetz gesunder Gestalten ... Wären die Triebe und Bedürfnisse ohne ein Gegengewicht, so würden sie kaum ein kinderhaftes Dasein, geschweige eine geschichtlich gesteigerte Lebensentwicklung mit sich bringen. Bei voller müheloser Befriedigung würden sie sich bald erschöpfen und ein leeres Dasein in Gestalt lästiger, bis zu ihrer Wiederkehr verfließender Intervalle übriglassen ... In allen Beziehungen ist also die Abhängigkeit der Betätigung der Triebe und Leidenschaften von der Überwindung einer wirtschaftlichen Hemmung ein heilsames Grundgesetz der äußern Natureinrichtung und der innern Menschenbeschaffenheit« usw. usw.
Man sieht, Ehren-Rochows platteste Plattheiten feiern bei Herrn Dühring ihr hundertjähriges Jubiläum, und das obendrein als »tiefere Grundlegung« des einzig wahrhaft kritischen und wissenschaftlichen »sozialitären Systems«.
Nachdem der Grund also gelegt, kann Herr Dühring weiterbauen. In Anwendung der mathematischen Methode gibt er uns zuerst, nach Vorgang des alten Euklid, eine Reihe von Definitionen. Dies ist um so bequemer, als er seine Definitionen gleich so einrichten kann, daß dasjenige, was mit ihrer Hülfe bewiesen werden soll, schon teilweise in ihnen enthalten ist. So erfahren wir zunächst, daß
der leitende Begriff der bisherigen Ökonomie sich Reichtum nennt, und Reichtum, wie er wirklich weltgeschichtlich bis jetzt verstanden worden ist, und sein Reich entwickelt hat, ist »die ökonomische Macht über Menschen und Dinge«.
Dies ist doppelt unrichtig. Erstens war der Reichtum der alten Stamm- und Dorfgemeinden keineswegs eine Herrschaft über Menschen. Und |173| zweitens ist auch in den, in Klassengegensätzen sich bewegenden Gesellschaften der Reichtum, soweit er eine Herrschaft über Menschen einschließt, vorwiegend, fast ausschließlich eine Herrschaft über Menschen vermöge und vermittelst der Herrschaft über Dinge. Von der sehr frühen Zeit an, wo Sklavenfängerei und Sklavenausbeutung getrennte Geschäftszweige wurden, mußten die Ausbeuter von Sklavenarbeit die Sklaven kaufen, die Herrschaft über den Menschen erst durch die Herrschaft über die Dinge, über den Kaufpreis, die Unterhalts- und Arbeitsmittel des Sklaven erwerben. Im ganzen Mittelalter ist großer Grundbesitz die Vorbedingung, vermittelst deren der Feudaladel zu Zins- und Fronbauern kommt. Und heutzutage gar sieht selbst ein Kind von sechs Jahren, daß der Reichtum menschenbeherrschend ist ausschließlich vermittelst der Dinge, über die er verfügt.
Warum aber muß Herr Dühring diese falsche Definition des Reichtums verfertigen, warum den tatsächlichen Zusammenhang, wie er in allen bisherigen Klassengesellschaften galt, zerreißen? Um den Reichtum vom ökonomischen Gebiet aufs moralische hinüberzuzerren. Die Herrschaft über die Dinge ist ganz gut, aber die Herrschaft über die Menschen ist vom Übel; und da Herr Dühring sich selbst verboten hat, die Herrschaft über die Menschen aus der Herrschaft über die Dinge zu erklären, so kann er wieder einen kühnen Griff tun und sie kurzerhand erklären aus der beliebten Gewalt. Der Reichtum als menschenbeherrschender ist »der Raub«, womit wir wieder angekommen sind bei einer verschlechterten Ausgabe des uralten Proudhonschen: »Das Eigentum ist der Diebstahl«.
Und hiermit haben wir denn glücklich den Reichtum unter die beiden wesentlichen Gesichtspunkte der Produktion und Verteilung gebracht: Reichtum als Herrschaft über Dinge: Produktionsreichtum, gute Seite; als Herrschaft über Menschen: bisheriger Verteilungsreichtum, schlechte Seite, fort damit! Auf die heutigen Verhältnisse angewandt, lautet dies: Die kapitalistische Produktionsweise ist ganz gut und kann bleiben, aber die kapitalistische Verteilungsweise taugt nichts und muß abgeschafft werden. Zu solchem Unsinn führt es, wenn man über Ökonomie schreibt, ohne auch nur den Zusammenhang von Produktion und Verteilung begriffen zu haben.
Nach dem Reichtum wird der Wert definiert, wie folgt:
»Der Wert ist die Geltung, welche die wirtschaftlichen Dinge und Leistungen im Verkehr haben.« Diese Geltung entspricht »dem Preise oder irgendeinem sonstigen Äquivalentnamen, z.B. dem Lohne«.
Mit andern Worten: der Wert ist der Preis. Oder vielmehr, um Herrn Dühring kein Unrecht zu tun und den Widersinn seiner Definition mög- |174| lichst in seinen eignen Worten wiederzugeben: der Wert sind die Preise. Denn Seite 19 sagt er:
»der Wert und die ihn in Geld ausdrückenden Preise«,
konstatiert also selbst, daß derselbe Wert sehr verschiedne Preise und damit auch ebensoviel verschiedne Werte hat. Wenn Hegel nicht längst verstorben wäre, er würde sich erhängen. Diesen Wert, der soviel verschiedne Werte ist als er Preise hat, hätte er mit aller Theologik nicht fertiggebracht. Man muß eben wieder die Zuversichtlichkeit des Herrn Dühring besitzen, um eine neue, tiefere Grundlegung der Ökonomie mit der Erklärung zu eröffnen, man kenne keinen andern Unterschied zwischen Preis und Wert, als daß der eine in Geld ausgedrückt sei und der andre nicht.
Damit wissen wir aber noch immer nicht, was der Wert ist und noch weniger, wonach er sich bestimmt. Herr Dühring muß also mit weitern Aufklärungen herausrücken.
»Ganz im allgemeinen liegt das Grundgesetz der Vergleichung und Schätzung, auf welchem der Wert und die ihn in Geld ausdrückenden Preise beruhen, zunächst im Bereich der bloßen Produktion, abgesehn von der Verteilung, die erst ein zweites Element in den Wertbegriff bringt. Die größern oder geringern Hindernisse, welche die Verschiedenheit der Naturverhältnisse den auf die Beschaffung der Dinge gerichteten Bestrebungen entgegensetzt und wodurch sie zu größern oder geringern Ausgaben an wirtschaftlicher Kraft nötigt, bestimmt auch ... den größern oder geringern Wert«, und dieser wird geschätzt nach dem »von der Natur und den Verhältnissen entgegengesetzten Beschaffungswiderstand ... Der Umfang, in welchem wir unsre eigne Kraft in sie« (die Dinge) »hineinlegten, ist die unmittelbar entscheidende Ursache der Existenz vom Wert überhaupt und einer besondern Größe desselben.«
Soweit dies alles einen Sinn hat, heißt es: Der Wert eines Arbeitsprodukts wird bestimmt durch die zu seiner Herstellung nötige Arbeitszeit, und das wußten wir längst, auch ohne Herrn Dühring. Statt die Tatsache einfach mitzuteilen, muß er sie orakelhaft verdrehn. Es ist einfach falsch, daß der Umfang, in dem jemand seine Kraft in irgendein Ding hineinlegt (um die hochtrabende Redensart beizubehalten), die unmittelbar entscheidende Ursache von Wert und Wertgröße ist. Erstens kommt es drauf an, in welches Ding die Kraft hineingelegt wird, und zweitens, wie sie hineingelegt wird. Verfertigt unser Jemand ein Ding, das keinen Gebrauchswert für andre hat, so bringt seine sämtliche Kraft keinen Atom Wert fertig; und steift er sich drauf, einen Gegenstand mit der Hand herzustellen, den eine Maschine zwanzigfach wohlfeiler herstellt, so erzeugen neunzehn Zwanzigstel seiner hineingelegten Kraft weder Wert überhaupt noch eine besondre Größe desselben.
|175| Ferner heißt es die Sache total verdrehn, wenn man die produktive Arbeit, die positive Erzeugnisse schafft, in eine bloß negative Überwindung eines Widerstands verwandelt. Wir würden dann etwa wie folgt verfahren müssen, um zu einem Hemde zu kommen: Erstlich überwinden wir den Widerstand des Baumwollsamens gegen das Gesätwerden und das Wachsen, dann den der reifen Baumwolle gegen das Gepflückt-, Verpackt- und Verschicktwerden, dann den gegen das Ausgepackt-, das Gekratzt- und Gesponnenwerden, ferner den Widerstand des Garns gegen das Gewebtwerden, den des Gewebes gegen das Gebleicht- und Genähtwerden und endlich den des fertigen Hemdes gegen das Angezogenwerden.
Wozu all diese kindische Verkehrung und Verkehrtheit? Um vermittelst des »Widerstandes« vom »Produktionswert«, dem wahren, aber bis jetzt nur idealen Wert, auf den in der bisherigen Geschichte allein geltenden, durch die Gewalt verfälschten »Verteilungswert« zu kommen:
»Außer dem Widerstand, den die Natur leistet ... gibt es noch ein andres, rein soziales Hindernis ... Zwischen den Menschen und die Natur tritt eine hemmende Macht, und diese ist wiederum der Mensch. Der einzig und isoliert Gedachte steht der Natur frei gegenüber ... Anders gestaltet sich die Situation, sobald wir uns einen zweiten denken, der mit dem Degen in der Hand die Zugänge zur Natur und ihren Hülfsquellen besetzt hält und für den Einlaß in irgendeiner Gestalt einen Preis fordert. Dieser zweite ... besteuert gleichsam den andern und ist so der Grund, daß der Wert des Erstrebten größer ausfällt, als es ohne dies politische und gesellschaftliche Hindernis der Beschaffung oder Produktion der Fall sein könnte ... Höchst mannigfaltig sind die besondern Gestaltungen dieser künstlich gesteigerten Geltung der Dinge, die natürlich in einer entsprechenden Niederdrückung der Geltung der Arbeit ihr begleitendes Gegenstück hat ... Es ist daher eine Illusion, den Wert von vornherein als ein Äquivalent im eigentlichen Sinne des Wortes, d.h. ein Gleichvielgelten oder als ein nach dem Prinzip der Gleichheit von Leistung und Gegenleistung zustande gekommnes Austauschverhältnis betrachten zu wollen ... Im Gegenteil wird das Merkmal einer richtigen Werttheorie sein, daß die in ihr gedachte allgemeinste Schätzungsursache nicht mit der auf dem Verteilungszwang beruhenden besondern Gestaltung der Geltung zusammenfalle. Diese wechselt mit der sozialen Verfassung, während der eigentliche ökonomische Wert nur ein der Natur gegenüber bemessener Produktionswert sein kann und sich daher nur mit den reinen Produktionshindernissen natürlicher und technischer Art ändern wird.«
Der praktisch geltende Wert einer Sache besteht also nach Herrn Dühring aus zwei Teilen: erstens aus der in ihr enthaltnen Arbeit und zweitens aus dem »mit dem Degen in der Hand« erzwungnen Besteuerungsaufschlag. Mit andern Worten, der heute geltende Wert ist ein Monopolpreis. Wenn nun, nach dieser Werttheorie, alle Waren einen solchen Monopolpreis |176| haben, so sind nur zwei Fälle möglich. Entweder verliert jeder als Käufer das wieder, was er als Verkäufer gewonnen hat; die Preise haben sich zwar dem Namen nach verändert, sind sich aber in Wirklichkeit - in ihrem gegenseitigen Verhältnis - gleichgeblieben; alles bleibt wie es war, und der vielberühmte Verteilungswert ist bloßer Schein. - Oder aber, die angeblichen Besteuerungsaufschläge repräsentieren eine wirkliche Wertsumme, nämlich diejenige, die von der arbeitenden, werterzeugenden Klasse produziert, aber von der Monopolistenklasse angeeignet wird, und dann besteht diese Wertsumme einfach aus unbezahlter Arbeit; in diesem Fall kommen wir, trotz dem Mann mit dem Degen in der Hand, trotz der angeblichen Besteuerungsaufschläge und dem behaupteten Verteilungswert wieder an - bei der Marxschen Theorie vom Mehrwert.
Sehn wir uns jedoch um nach einigen Exempeln des vielberühmten »Verteilungswerts«. Da heißt es Seite 135 und folgende:
»Es ist auch die Preisgestaltung vermöge der individuellen Konkurrenz als eine Form der ökonomischen Verteilung und der gegenseitigen Tributauferlegung zu betrachten ... man denke sich den Vorrat irgendeiner notwendigen Ware plötzlich bedeutend verringert, so entsteht auf seiten der Verkäufer eine unverhältnismäßige Macht zur Ausbeutung ... wie die Steigerung ins Kolossale gehn kann, zeigen besonders diejenigen abnormen Lagen, in denen die Zufuhr notwendiger Artikel für eine längere Dauer abgeschnitten ist« usw. außerdem gebe es auch im normalen Lauf der Dinge faktische Monopole, die eine willkürliche Preissteigerung erlauben, z.B. Eisenbahnen, Gesellschaften zur Versorgung der Städte mit Wasser und Leuchtgas usw.
Daß solche Gelegenheiten monopolistischer Ausbeutung vorkommen, ist altbekannt. Daß aber die durch sie erzeugten Monopolpreise nicht als Ausnahmen und Spezialfälle, sondern grade als klassische Exempel der heute gültigen Feststellung der Werte gelten sollen, das ist neu. Wie bestimmen sich die Preise der Lebensmittel? Geht in eine belagerte Stadt, wo die Zufuhr abgeschnitten ist, und erkundigt euch! antwortet Herr Dühring. Wie wirkt die Konkurrenz auf die Feststellung der Marktpreise? Fragt das Monopol, es wird euch Rede stehn!
Übrigens ist auch bei diesen Monopolen der Mann mit dem Degen in der Hand, der hinter ihnen stehn soll, nicht zu entdecken. Im Gegenteil: in belagerten Städten pflegt der Mann mit dem Degen, der Kommandant, wenn er seine Schuldigkeit tut, sehr rasch dem Monopol ein Ende zu machen und die Monopolvorräte zum Zweck gleichmäßiger Verteilung mit Beschlag zu belegen. Und im übrigen haben die Männer mit dem Degen, sobald sie versuchten, einen »Verteilungswert« zu fabrizieren, nichts geerntet als schlechte Geschäfte und Geldverlust. Die Holländer haben mit |177| ihrer Monopolisierung des ostindischen Handels ihr Monopol und ihren Handel zugrunde gerichtet. Die beiden stärksten Regierungen, die je bestanden, die nordamerikanische Revolutionsregierung und der französische Nationalkonvent, vermaßen sich, Maximalpreise festsetzen zu wollen, und scheiterten elendiglich. Die russische Regierung arbeitet nun seit Jahren daran, den Kurs des russischen Papiergeldes, den sie durch fortwährende Ausgabe von uneinlösbaren Banknoten in Rußland drückt, in London durch ebenso fortwährende Ankäufe von Wechseln auf Rußland emporzutreiben. Sie hat sich dies Vergnügen in wenigen Jahren an die sechzig Millionen Rubel kosten lassen, und der Rubel steht jetzt unter zwei, statt über drei Mark. Wenn der Degen die ihm von Herrn Dühring zugeschriebne ökonomische Zaubermacht hat, warum hat denn keine Regierung es fertigbringen können, schlechtem Geld auf die Dauer den »Verteilungswert« von gutem, oder Assignaten denjenigen von Gold aufzuzwingen? Und wo ist der Degen, der auf dem Weltmarkt das Kommando führt?
Weiter gibt es noch eine Hauptform, in der der Verteilungswert die Aneignung von Leistungen andrer ohne Gegenleistung vermittelt: die Besitzrente, das heißt die Bodenrente und der Kapitalgewinn. Wir registrieren dies einstweilen bloß, um sagen zu können, daß dies alles ist, was wir über den berühmten »Verteilungswert« erfahren. - Alles? Doch nicht ganz alles. Hören wir:
»Ungeachtet des zweifachen Gesichtspunktes, welcher in der Erkenntnis eines Produktions- und eines Verteilungswerts hervortritt, bleibt dennoch stets ein gemeinsames Etwas als derjenige Gegenstand zugrunde liegen, aus welchem alle Werte bestehn und mit welchem sie daher auch gemessen werden. Das unmittelbare, natürliche Maß ist der Kraftaufwand und die einfachste Einheit die Menschenkraft im rohesten Sinne des Wortes. Die letztere führt sich auf die Existenzzeit zurück, deren Selbstunterhaltung wiederum die Überwindung einer gewissen Summe von Ernährungs- und Lebensschwierigkeiten darstellt. Der Verteilungs- oder Aneignungswert ist rein und ausschließlich nur da vorhanden, wo die Verfügungsmacht über unproduzierte Dinge oder, gewöhnlicher geredet, diese Dinge selbst gegen Leistungen oder Sachen von wirklichem Produktionswert ausgewechselt werden. Das Gleichartige, wie es sich in jedem Wertausdruck und daher auch in den durch Verteilung ohne Gegenleistung angeeigneten Wertbestandteilen angezeigt und vertreten findet, besteht in dem Aufwand an Menschenkraft, die sich ... in jeder Ware ... verkörpert findet.«
Was sollen wir nun hierzu sagen? Wenn alle Warenwerte gemessen werden an dem in den Waren verkörperten Aufwand von Menschenkraft - wo bleibt da der Verteilungswert, der Preisaufschlag, die Bezollung? Herr Dühring sagt uns zwar, daß auch unproduzierte, also eines eigentlichen |178| Werts unfähige Dinge einen Verteilungswert erhalten und gegen produzierte, werthabende Dinge ausgetauscht werden können. Er sagt aber gleichzeitig, daß alle Werte, also auch die reinen und ausschließlichen Verteilungswerte, bestehn in dem in ihnen verkörperten Kraftaufwand. Wobei wir leider nicht erfahren, wie in einem unproduzierten Ding ein Kraftaufwand sich verkörpern soll. Jedenfalls scheint bei all diesem Durcheinander von Werten schließlich soviel klar, daß es mit dem Verteilungswert, mit dem durch die soziale Position erzwungnen Preisaufschlag auf die Waren, mit der Bezollung vermittelst des Degens wieder nichts ist; die Warenwerte werden bestimmt, einzig durch den Aufwand von Menschenkraft, vulgo Arbeit, die sich in ihnen verkörpert findet? Herr Dühring sagt also, abgesehn von der Bodenrente und den paar Monopolpreisen, dasselbe, nur liederlicher und konfuser, was die verschriene Ricardo-Marxsche Werttheorie längst weit bestimmter und klarer gesagt hat?
Er sagt es, und er sagt im selben Atem das Gegenteil. Marx, von den Untersuchungen Ricardos ausgehend, sagt: Der Warenwert wird bestimmt durch die in den Waren verkörperte gesellschaftlich notwendige, allgemein menschliche Arbeit, die wieder nach ihrer Zeitdauer gemessen wird. Die Arbeit ist das Maß aller Werte, sie selbst aber hat keinen Wert. Herr Dühring, nachdem er in seiner loddrigen Weise ebenfalls die Arbeit als Wertmaß hingestellt hat, fährt fort:
sie »führt sich auf die Existenzzeit zurück, deren Selbstunterhaltung wiederum die Überwindung einer gewissen Summe von Ernährungs- und Lebensschwierigkeiten darstellt«.
Vernachlässigen wir die auf purer Originalitätssucht beruhende Verwechslung der Arbeitszeit, auf die es hier allein ankommt, mit der Existenzzeit, die bisher noch nie Werte geschaffen oder gemessen hat. Vernachlässigen wir auch den falschen »sozialitären« Schein, den die »Selbstunterhaltung« dieser Existenzzeit hineinbringen soll; solange die Welt bestanden hat und bestehn wird, muß jeder sich in dem Sinne selbst unterhalten, daß er seine Unterhaltsmittel selbst verzehrt. Nehmen wir an, Herr Dühring habe sich ökonomisch und präzis ausgedrückt, so heißt obiger Satz entweder gar nichts, oder er heißt: Der Wert einer Ware wird bestimmt durch die in ihr verkörperte Arbeitszeit, und der Wert dieser Arbeitszeit durch die zur Erhaltung des Arbeiters für diese Zeit erforderlichen Lebensmittel. Und das heißt für die heutige Gesellschaft; der Wert einer Ware wird bestimmt durch den in ihr enthaltenen Arbeitslohn.
Hiermit sind wir endlich angekommen bei dem, was Herr Dühring |179| eigentlich sagen will. Der Wert einer Ware bestimmt sich, nach vulgärökonomischer Redeweise, durch die Herstellungskosten;
wogegen Carey »die Wahrheit hervorhob, daß nicht die Produktionskosten, sondern die Reproduktionskosten den Wert bestimmen« (»Kritische Geschichte« Seite 401).
Was es mit diesen Herstellungs- oder Wiederherstellungskosten auf sich hat, davon später; hier nur dies, daß sie bekanntlich bestehn aus Arbeitslohn und Kapitalprofit. Der Arbeitslohn stellt dar den in der Ware verkörperten »Kraftaufwand«, den Produktionswert. Der Profit stellt dar den vom Kapitalisten kraft seines Monopols, seines Degens in der Hand erzwungnen Zoll oder Preisaufschlag, den Verteilungswert. Und so löst sich die ganze widerspruchsvolle Verwirrung der Dühringschen Werttheorie schließlich auf in die schönste harmonische Klarheit.
Die Bestimmung des Warenwertes durch den Arbeitslohn, die bei Adam Smith noch häufig mit der Bestimmung des Werts durch die Arbeitszeit durcheinanderläuft, ist seit Ricardo aus der wissenschaftlichen Ökonomie verbannt und treibt heutzutage ihr Wesen nur noch in der Vulgärökonomie. Es sind grade die allerplattsten Sykophanten der bestehenden kapitalistischen Gesellschaftsordnung, die die Wertbestimmung durch den Arbeitslohn predigen, und dabei gleichzeitig den Profit des Kapitalisten ebenfalls als eine höhere Art von Arbeitslohn, als Entsagungslohn (dafür daß der Kapitalist sein Kapital nicht verjubelt hat), als Risikoprämie, als Geschäftsführungslohn usw. ausgeben. Herr Dühring unterscheidet sich von ihnen nur dadurch, daß er den Profit für Raub erklärt. Mit andern Worten, Herr Dühring begründet seinen Sozialismus direkt auf die Lehren der schlechtesten Sorte Vulgärökonomie. Soviel an dieser Vulgärökonomie, genausoviel ist an seinem Sozialismus. Beide stehn und fallen miteinander.
Es ist doch klar: was ein Arbeiter leistet und was er kostet, sind ebenso verschiedne Dinge, wie was eine Maschine leistet und was sie kostet. Der Wert, den ein Arbeiter in einem Arbeitstage von zwölf Stunden schafft, hat gar nichts gemein mit dem Wert der Lebensmittel, die er in diesem Arbeitstage und der dazu gehörenden Ruhepause verzehrt. In diesen Lebensmitteln mag eine drei-, vier-, siebenstündige Arbeitszeit verkörpert sein, je nach dem Entwicklungsgrad der Ergiebigkeit der Arbeit. Nehmen wir an, es seien sieben Arbeitsstunden zu ihrer Herstellung nötig gewesen, so besagt die von Herrn Dühring angenommene vulgärökonomische Werttheorie, daß das Produkt von zwölf Arbeitsstunden den Wert des Produkts von sieben Arbeitsstunden hat, daß zwölf Arbeitsstunden gleich sind sieben Arbeitsstunden, oder daß 12 = 7. Um noch deutlicher zu sprechen: Ein |180| Arbeiter auf dem Lande, gleichviel unter welchen gesellschaftlichen Verhältnissen, produziert eine Getreidesumme meinetwegen von zwanzig Hektoliter Weizen im Jahr. Er verbraucht während dieser Zeit eine Summe von Werten, die sich in einer Summe von fünfzehn Hektoliter Weizen ausdrückt. Dann haben die zwanzig Hektoliter Weizen denselben Wert wie die fünfzehn, und das auf demselben Markt und unter sonst sich vollständig gleichbleibenden Umständen, mit andern Worten, 20 sind gleich 15. Und das nennt sich Ökonomie!
Alle Entwicklung der menschlichen Gesellschaft über die Stufe tierischer Wildheit hinaus fängt an von dem Tage, wo die Arbeit der Familie mehr Produkte schuf, als zu ihrem Unterhalt notwendig waren, von dem Tage, wo ein Teil der Arbeit auf die Erzeugung nicht mehr von bloßen Lebensmitteln, sondern von Produktionsmitteln verwandt werden konnte. Ein Überschuß des Arbeitsprodukts über die Unterhaltungskosten der Arbeit, und die Bildung und Vermehrung eines gesellschaftlichen Produktions- und Reservefonds aus diesem Überschuß, war und ist die Grundlage aller gesellschaftlichen, politischen und intellektuellen Fortentwicklung. In der bisherigen Geschichte war dieser Fonds das Besitztum einer bevorzugten Klasse, der mit diesem Besitztum auch die politische Herrschaft und die geistige Führung zufielen. Die bevorstehende soziale Umwälzung wird diesen gesellschaftlichen Produktions- und Reservefonds, das heißt die Gesamtmasse der Rohstoffe, Produktionsinstrumente und Lebensmittel, erst wirklich zu einem gesellschaftlichen machen, indem sie ihn der Verfügung jener bevorzugten Klasse entzieht, und ihn der ganzen Gesellschaft als Gemeingut überweist.
Von zwei Dingen eins. Entweder bestimmt sich der Wert der Waren durch die Unterhaltskosten der zu ihrer Herstellung nötigen Arbeit, d.h. in der heutigen Gesellschaft durch den Arbeitslohn. Dann erhält jeder Arbeiter in seinem Lohn den Wert seines Arbeitsprodukts, dann ist eine Ausbeutung der Klasse der Lohnarbeiter durch die Klasse der Kapitalisten eine Unmöglichkeit. Gesetzt, die Unterhaltungskosten eines Arbeiters seien in einer gegebnen Gesellschaft durch die Summe von drei Mark ausgedrückt. Dann hat das Tagesprodukt des Arbeiters nach der obigen vulgärökonomischen Theorie den Wert von drei Mark. Nehmen wir nun an, der Kapitalist, der diesen Arbeiter beschäftigt, schlage auf dies Produkt einen Profit, eine Bezollung von einer Mark und verkaufe es für vier Mark. Dasselbe tun die andern Kapitalisten. Alsdann aber kann der Arbeiter seinen täglichen Unterhalt nicht mehr mit drei Mark bestreiten, sondern braucht dazu ebenfalls vier Mark. Da alle andern Umstände als gleichbleibend vorausgesetzt |181| sind, so muß der in Lebensmitteln ausgedrückte Arbeitslohn derselbe bleiben, der in Geld ausgedrückte Arbeitslohn muß also steigen, und zwar von drei auf vier Mark täglich. Was die Kapitalisten in der Gestalt von Profit der Arbeiterklasse entziehn, müssen sie ihr in der Gestalt von Lohn wiedergeben. Wir sind genau so weit wie am Anfang; wenn der Arbeitslohn den Wert bestimmt, ist keine Ausbeutung des Arbeiters durch den Kapitalisten möglich. Es ist aber auch die Bildung eines Überschusses von Produkten unmöglich, denn die Arbeiter verzehren nach unsrer Voraussetzung genausoviel Wert, wie sie erzeugen. Und da die Kapitalisten keinen Wert erzeugen, ist sogar nicht einmal abzusehn, wovon sie leben wollen. Und wenn nun ein solcher Überschuß der Produktion über die Konsumtion, ein solcher Produktions- und Reservefonds dennoch besteht, und zwar in den Händen der Kapitalisten, so bleibt keine andre Erklärung möglich, als daß die Arbeiter bloß den Wert der Waren zu ihrer Selbstunterhaltung verzehren, die Waren selbst aber den Kapitalisten zum weitern Gebrauch überlassen haben.
Oder aber: wenn dieser Produktions- und Reservefonds in den Händen der Kapitalistenklasse tatsächlich besteht, wenn er tatsächlich durch Aufhäufung von Profit entstanden ist (die Bodenrente lassen wir hier einstweilen aus dem Spiel): so besteht er notwendig aus dem aufgehäuften Überschuß des der Kapitalistenklasse von der Arbeiterklasse gelieferten Arbeitsprodukts über die der Arbeiterklasse von der Kapitalistenklasse gezahlte Summe Arbeitslohn. Dann bestimmt sich aber der Wert nicht durch den Arbeitslohn, sondern durch die Arbeitsmenge; dann liefert die Arbeiterklasse der Kapitalistenklasse im Arbeitsprodukt eine größere Wertmenge, als sie von ihr im Arbeitslohn bezahlt erhält, und dann erklärt sich der Kapitalprofit, wie alle andern Formen der Aneignung fremden, unbezahlten Arbeitsprodukts, als bloßer Bestandteil dieses von Marx entdeckten Mehrwerts.
Beiläufig. Von der großen Entdeckung, mit der Ricardo sein Hauptwerk eröffnet:
»Daß der Wert einer Ware abhängt von der zu ihrer Herstellung nötigen Arbeitsmenge, nicht aber von der für diese Arbeit gezahlten höhern oder niedrigern Vergütung« -
von dieser epochemachenden Entdeckung ist im ganzen »Cursus« der Ökonomie nirgends die Rede. In der »Kritischen Geschichte« wird sie mit der orakelhaften Phrase abgefertigt:
»Es wird« (von Ricardo) »nicht bedacht, daß ein größeres oder geringeres Verhältnis, in welchem der Lohn eine Anweisung auf die Lebensbedürfnisse sein kann (!), auch eine verschiedenartige Gestaltung der Wertverhältnisse ... mit sich bringen muß!«
|182| Eine Phrase, wobei sich der Leser denken kann, was er will, und wobei er am sichersten geht, wenn er sich gar nichts dabei denkt.
Und nun möge der Leser sich von den fünf Sorten Wert, mit denen Herr Dühring uns aufwartet, selber diejenige aussuchen, die ihm am besten gefällt: den Produktionswert, der von Natur kommt, oder den Verteilungswert, den die Schlechtigkeit der Menschen geschaffen hat und der sich dadurch auszeichnet, daß er nach dem Kraftaufwand gemessen wird, der nicht in ihm steckt; oder drittens den Wert, der durch die Arbeitszeit gemessen wird, oder viertens den, der durch die Reproduktionskosten, oder endlich den, der durch den Arbeitslohn gemessen wird. Die Auswahl ist reichlich, die Konfusion vollkommen, und es bleibt uns nur noch übrig, mit Herrn Dühring auszurufen:
»Die Lehre vom Wert ist der Probierstein der Gediegenheit ökonomischer Systeme!«
Einen ganz groben ökonomischen Quartanerschnitzer, der zugleich eine gemeingefährliche sozialistische Ketzerei in sich schließt, hat Herr Dühring bei Marx entdeckt.
Die Marxsche Werttheorie ist »nichts weiter als die gewöhnliche ... Lehre, daß die Arbeit Ursache aller Werte und die Arbeitszeit das Maß derselben sei. In völliger Unklarheit verbleibt hierbei die Vorstellung von der Art, wie man den unterschiedlichen Wert der sogenannten qualifizierten Arbeit denken solle... Allerdings kann auch nach unserer Theorie nur die verwendete Arbeitszeit die natürlichen Selbstkosten und mithin den absoluten Wert der wirtschaftlichen Dinge messen; aber hierbei wird die Arbeitszeit eines jeden von vornherein völlig gleichzuachten sein, und man wird nur zuzusehn haben, wo bei qualifiziertern Leistungen zu der individuellen Arbeitszeit des einzelnen noch diejenige andrer Personen ... etwa in dem gebrauchten Werkzeug, mitwirkt. Es ist also nicht, wie sich Herr Marx nebelhaft vorstellt, die Arbeitszeit jemandes an sich mehr wert als die einer andern Person, weil darin mehr durchschnittliche Arbeitszeit gleichsam verdichtet wäre, sondern alle Arbeitszeit ist ausnahmslos und prinzipiell, also ohne daß man erst einen Durchschnitt zu nehmen hätte, vollkommen gleichwertig, und man hat nur bei den Leistungen einer Person, ebenso wie bei jedem fertigen Erzeugnis zuzusehn, wieviel Arbeitszeit andrer Personen in der Anwendung scheinbar bloß eigner Arbeitszeit verdeckt sein möge. Ob es ein Produktionswerkzeug der Hand oder die Hand, ja der Kopf selbst ist, was nicht ohne andrer Leute Arbeitszeit die besondre Eigenschaft und Leistungsfähigkeit erhalten konnte, darauf kommt für die strenge Gültigkeit der Theorie nicht das mindeste an. Herr Marx wird aber in seinen Auslassungen über den Wert das im Hintergrund spukende Gespenst einer qualifizier- |183| ten Arbeitszeit nicht los. In dieser Richtung durchzugreifen, hat ihn die überkommne Denkweise der gelehrten Klassen gehindert, der es als eine Ungeheuerlichkeit erscheinen muß, die Arbeitszeit des Karrenschiebers und diejenige des Architekten an sich als ökonomisch völlig gleichwertig anzuerkennen.«
Die Stelle bei Marx, die diesen »gewaltigem Zorn«des Herrn Dühring veranlaßt, ist sehr kurz. Marx untersucht, wodurch der Wert der Waren bestimmt wird, und antwortet: Durch die in ihnen enthaltene menschliche Arbeit. Diese, fährt er fort, »ist Verausgabung einfacher Arbeitskraft, die im Durchschnitt jeder gewöhnliche Mensch ohne besondre Entwicklung in seinem leiblichen Organismus besitzt ... Kompliziertere Arbeit gilt nur als potenzierte oder vielmehr multiplizierte einfache Arbeit, so daß ein kleineres Quantum komplizierter Arbeit gleich einem größern Quantum einfacher Arbeit. Daß diese Reduktion beständig vorgeht, zeigt die Erfahrung. Eine Ware mag das Produkt der kompliziertesten Arbeit sein, ihr Wert setzt sie dem Produkt einfacher Arbeit gleich und stellt daher selbst nur ein bestimmtes Quantum einfacher Arbeit dar. Die verschiednen Proportionen, worin verschiedne Arbeitsarten auf einfache Arbeit als ihre Maßeinheit reduziert sind, werden durch einen gesellschaftlichen Prozeß hinter dem Rücken der Produzenten festgesetzt, und scheinen ihnen daher durch das Herkommen gegeben.« |Siehe Karl Marx, »Das Kapital«, Bd. I, in: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 23, S. 59|
Es handelt sich hier bei Marx zunächst nur um die Bestimmung des Werts von Waren, also von Gegenständen, die innerhalb einer aus Privatproduzenten bestehenden Gesellschaft, von diesen Privatproduzenten für Privatrechnung produziert und gegeneinander ausgetauscht werden. Es handelt sich hier also keineswegs um den »absoluten Wert«, wo dieser auch immer sein Wesen treiben möge, sondern um den Wert, der in einer bestimmten Gesellschaftsform Geltung hat. Dieser Wert, in dieser bestimmten geschichtlichen Fassung, erweist sich als geschaffen und gemessen durch die in den einzelnen Waren verkörperte menschliche Arbeit, und diese menschliche Arbeit erweist sich weiterhin als Verausgabung einfacher Arbeitskraft. Nun ist aber nicht jede Arbeit eine bloße Verausgabung von einfacher menschlicher Arbeitskraft; sehr viele Gattungen von Arbeit schließen die Anwendung von mit mehr oder weniger Mühe, Zeit- und Geldaufwand erworbnen Geschicklichkeiten oder Kenntnissen in sich ein. Erzeugen diese Arten von zusammengesetzter Arbeit in gleichen Zeiträumen denselben Warenwert wie die einfache Arbeit, die Verausgabung von bloßer einfacher Arbeitskraft? Augenscheinlich nein. Das Produkt der Stunde zusammen- |184| gesetzter Arbeit ist eine Ware von höherm, doppeltem oder dreifachem Wert, verglichen mit dem Produkt der Stunde einfacher Arbeit. Der Wert der Erzeugnisse der zusammengesetzten Arbeit wird durch diese Vergleichung ausgedrückt in bestimmten Mengen einfacher Arbeit; aber diese Reduktion der zusammengesetzten Arbeit vollzieht sich durch einen gesellschaftlichen Prozeß, hinter dem Rücken der Produzenten, durch einen Vorgang, der hier, bei der Entwicklung der Werttheorie, nur festzustellen, aber noch nicht zu erklären ist.
Diese einfache, in der heutigen kapitalistischen Gesellschaft sich täglich vor unsern Augen vollziehende Tatsache ist es, die Marx hier konstatiert. Diese Tatsache ist so unbestreitbar, daß selbst Herr Dühring sie weder in seinem »Cursus« noch in seiner Geschichte der Ökonomie zu bestreiten wagt; und die Marxsche Darstellung ist so einfach und durchsichtig, daß sicher niemand »in völliger Unklarheit hierbei verbleibt« außer Herrn Dühring. Vermittelst dieser seiner völligen Unklarheit versieht er den Warenwert, mit dessen Untersuchung sich Marx zunächst allein beschäftigt, für »die natürlichen Selbstkosten«, die die Unklarheit nur noch völliger machen, und gar für den »absoluten Wert«, der bisher in der Ökonomie unsres Wissens nirgendwo Kurs hatte. Was aber Herr Dühring auch unter den natürlichen Selbstkosten verstehn und welche seiner fünf Arten Wert auch die Ehre haben möge, den absoluten Wert vorzustellen, soviel ist sicher, daß von allen diesen Dingen bei Marx nicht die Rede ist, sondern nur vom Warenwert; und daß in dem ganzen Abschnitt des »Kapital« über den Wert auch nicht die geringste Andeutung darüber vorkommt, ob oder in welcher Ausdehnung Marx diese Theorie des Warenwerts auch auf andre Gesellschaftsformen anwendbar hält.
Es ist also nicht, fährt Herr Dühring fort, »es ist also nicht, wie sich Herr Marx nebelhaft vorstellt, die Arbeitszeit jemandes an sich mehr wert, als die einer andern Person, weil darin mehr durchschnittliche Arbeit gleichsam verdichtet wäre, sondern alle Arbeitszeit ist ausnahmslos und prinzipiell, also ohne daß man erst einen Durchschnitt zu nehmen hätte, vollkommen gleichwertig«.
Es ist ein Glück für Herrn Dühring, daß ihn das Schicksal nicht zum Fabrikanten gemacht und ihn so davor bewahrt hat, den Wert seiner Waren nach dieser neuen Regel anzusetzen und damit dem Bankrott unfehlbar in die Arme zu laufen. Doch wie! Befinden wir uns hier denn noch in der Gesellschaft der Fabrikanten? Keineswegs. Mit den natürlichen Selbstkosten und dem absoluten Wert hat uns Herr Dühring einen Sprung machen lassen, einen wahren Salto mortale aus der gegenwärtigen schlechten Welt der Ausbeuter in seine eigne Wirtschaftskommune der Zukunft, in die reine |185| Himmelsluft der Gleichheit und Gerechtigkeit, und wir müssen uns also diese neue Welt, wenn auch vorzeitig, hier schon ein wenig ansehn.
Allerdings kann, nach Herrn Dührings Theorie, auch in der Wirtschaftskommune nur die verwendete Arbeitszeit den Wert der wirtschaftlichen Dinge messen, aber hierbei wird die Arbeitszeit eines jeden von vornherein völlig gleichzuachten sein, alle Arbeitszeit ist ausnahmslos und prinzipiell vollkommen gleichwertig, und zwar ohne daß man erst einen Durchschnitt zu nehmen hätte. Und nun halte man gegen diesen radikalen Gleichheitssozialismus die nebelhafte Vorstellung von Marx, als sei die Arbeitszeit jemandes an sich mehr wert als die einer andern Person, weil darin mehr durchschnittliche Arbeitszeit verdichtet sei, eine Vorstellung, in der ihn die überkommne Denkweise der gelehrten Klassen befangen hält, der es als eine Ungeheuerlichkeit erscheinen muß, die Arbeitszeit des Karrenschiebers und die des Architekten als ökonomisch völlig gleichwertig anzuerkennen!
Leider macht Marx zu der oben angeführten Stelle im »Kapital« die kleine Anmerkung: »Der Leser muß aufmerken, daß hier nicht vom Lohn oder Wert die Rede ist, den der Arbeiter etwa für einen Arbeitstag erhält, sondern vom Warenwert, worin sich sein Arbeitstag vergegenständlicht.« |Siehe Karl Marx, »Das Kapital«, Bd. I, in: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 23, S. 59, alle Hervorhebungen von Engels| Marx, der hier seinen Dühring vorhergeahnt zu haben scheint, verwahrt sich also selbst dagegen, daß man seine obigen Sätze auch nur auf den in der heutigen Gesellschaft für zusammengesetzte Arbeit etwa zu zahlenden Lohn anwende. Und wenn Herr Dühring, nicht zufrieden damit, dies dennoch zu tun, jene Sätze für die Grundsätze ausgibt, nach denen Marx die Verteilung der Lebensmittel in der sozialistisch organisierten Gesellschaft geregelt wissen wolle, so ist das eine Schamlosigkeit der Unterschiebung, die nur in der Revolverliteratur ihresgleichen findet.
Doch besehn wir uns die Gleichwertigkeitslehre etwas näher. Alle Arbeitszeit ist vollkommen gleichwertig, die des Karrenschiebers und die des Architekten. Also hat die Arbeitszeit, und damit die Arbeit selbst, einen Wert. Die Arbeit aber ist die Erzeugerin aller Werte. Sie allein ist es, die den vorgefundnen Naturprodukten einen Wert im ökonomischen Sinne gibt. Der Wert selbst ist nichts andres, als der Ausdruck der in einem Ding vergegenständlichten, gesellschaftlich notwendigen menschlichen Arbeit. Die Arbeit kann also keinen Wert haben. Ebensogut wie von einem Wert der Arbeit sprechen und ihn bestimmen wollen, ebensogut könnte man vom Wert des Werts sprechen oder das Gewicht, nicht eines schweren Körpers, |186| sondern der Schwere selbst bestimmen wollen. Herr Dühring fertigt Leute wie Owen, Saint-Simon und Fourier ab mit dem Titel: soziale Alchimisten. Indem er über den Wert der Arbeitszeit, d.h. der Arbeit spintisiert, beweist er, daß er noch tief unter den wirklichen Alchimisten steht. Und nun ermesse man die Kühnheit, mit der Herr Dühring Marx die Behauptung in die Schuhe schiebt, als sei die Arbeitszeit jemandes an sich mehr wert, als die einer andern Person, als habe die Arbeitszeit, also die Arbeit, einen Wert - Marx, der zuerst entwickelt hat, daß und warum die Arbeit keinen Wert haben kann!
Für den Sozialismus, der die menschliche Arbeitskraft von ihrer Stellung als Ware emanzipieren will, ist die Einsicht von hoher Wichtigkeit, daß die Arbeit keinen Wert hat, keinen haben kann. Mit ihr fallen alle Versuche, die sich aus dem naturwüchsigen Arbeitersozialismus auf Herrn Dühring vererbt haben, die künftige Verteilung der Existenzmittel als eine Art höhern Arbeitslohns zu regulieren. Aus ihr folgt die weitere Einsicht, daß die Verteilung, soweit sie durch rein ökonomische Rücksichten beherrscht wird, sich regeln wird durch das Interesse der Produktion, und die Produktion wird gefördert am meisten durch eine Verteilungsweise, die allen Gesellschaftsgliedern erlaubt, ihre Fähigkeiten möglichst allseitig auszubilden, zu erhalten und auszuüben. Der dem Herrn Dühring überkommnen Denkweise der gelehrten Klassen muß es allerdings als eine Ungeheuerlichkeit erscheinen, daß es einmal keine Karrenschieber und keine Architekten von Profession mehr geben soll und daß der Mann, der eine halbe Stunde lang als Architekt Anweisungen gegeben hat, auch eine Zeitlang die Karre schiebt, bis seine Tätigkeit als Architekt wieder in Anspruch genommen wird. Ein schöner Sozialismus, der die Karrenschieber von Profession verewigt!
Soll die Gleichwertigkeit der Arbeitszeit den Sinn haben, daß jeder Arbeiter in gleichen Zeiträumen gleiche Werte produziert, ohne daß man erst einen Durchschnitt zu nehmen hätte, so ist das augenscheinlich falsch. Bei zwei Arbeitern, auch desselben Geschäftszweigs, wird sich das Wertprodukt der Arbeitsstunde immer nach Intensität der Arbeit und Geschicklichkeit verschieden stellen; diesem Übelstand, der indes nur für Leute à la Dühring einer ist, kann nun einmal keine Wirtschaftskommune, wenigstens nicht auf unsrem Weltkörper, abhelfen. Was bleibt also von der ganzen Gleichwertigkeit aller und jeder Arbeit? Nichts als die pure renommistische Phrase, die keine andre ökonomische Unterlage hat, als die Unfähigkeit des Herrn Dühring, zu unterscheiden zwischen Bestimmung des Werts durch die Arbeit und Bestimmung des Werts durch den Arbeitslohn - nichts als |187| der Ukas, das Grundgesetz der neuen Wirtschaftskommune: Der Arbeitslohn für gleiche Arbeitszeit soll gleich sein! Da hatten die alten französischen Arbeiterkommunisten und Weitling doch weit bessere Gründe für ihre Lohngleichheit.
Wie löst sich nun die ganze wichtige Frage von der höhern Löhnung der zusammengesetzten Arbeit? in der Gesellschaft von Privatproduzenten bestreiten die Privatleute oder ihre Familien die Kosten der Ausbildung des gelernten Arbeiters; den Privaten fällt daher auch zunächst der höhere Preis der gelernten Arbeitskraft zu: der geschickte Sklave wird teurer verkauft, der geschickte Lohnarbeiter höher gelohnt. In der sozialistisch organisierten Gesellschaft bestreitet die Gesellschaft diese Kosten, ihr gehören daher auch die Früchte, die erzeugten größern Werte der zusammengesetzten Arbeit. Der Arbeiter selbst hat keinen Mehranspruch. Woraus nebenbei noch die Nutzanwendung folgt, daß es mit dem beliebten Anspruch des Arbeiters auf »den vollen Arbeitsertrag« doch auch manchmal seinen Haken hat.
»Vom Kapital hegt Herr Marx zunächst nicht den gemeingültigen ökonomischen Begriff, demzufolge es produziertes Produktionsmittel ist, sondern versucht es, eine speziellere, dialektisch-historische, in das Metamorphosenspiel der Begriffe und der Geschichte eingehende Idee aufzureiben. Das Kapital soll sich aus dem Gelde erzeugen; es soll eine historische Phase bilden, die mit dem 16. Jahrhundert, nämlich mit den für diese Zeit vorausgesetzten Anfängen zu einem Weltmarkt, beginnt. Offenbar geht nun bei einer solchen Begriffsfassung die Schärfe der volkswirtschaftlichen Analyse verloren. In solchen wüsten Konzeptionen, die halb geschichtlich und halb logisch sein sollen, in der Tat aber nur Bastarde historischer und logischer Phantastik sind, geht das Unterscheidungsvermögen des Verstandes samt allem ehrlichen Begriffsgebrauch unter« -
und so wird eine ganze Seite fortschwadroniert ...
»mit der Marxschen Kennzeichnung des Kapitalbegriffs lasse sich in der strengen Volkswirtschaftslehre nur Verwirrung stiften ... Leichtfertigkeiten, die für tiefe logische Wahrheiten ausgegeben werden ... Gebrechlichkeit der Fundamente« usw.
Also nach Marx soll sich das Kapital im Anfang des 16. Jahrhunderts aus dem Geld erzeugen. Es ist das, als ob man sagen wollte, das Metallgeld habe sich vor stark dreitausend Jahren aus dem Vieh erzeugt, weil früher unter anderm auch Vieh Geldfunktionen vertrat. Nur Herr Dühring ist einer so rohen und schiefen Ausdrucksweise fähig. Bei Marx ergibt sich bei |188| der Analyse der ökonomischen Formen, innerhalb deren der Prozeß der Warenzirkulation sich bewegt, als letzte Form das Geld. »Dies letzte Produkt der Warenzirkulation ist die erste Erscheinungsform des Kapitals. Historisch tritt das Kapital dem Grundeigentum überall zunächst in der Form von Geld gegenüber, als Geldvermögen, Kaufmannskapital und Wucherkapital ... Dieselbe Geschichte spielt täglich vor unsren Augen. Jedes neue Kapital betritt in erster Instanz die Bühne, d.h. den Markt, Warenmarkt, Arbeitsmarkt oder Geldmarkt, immer noch als Geld, Geld, das sich durch bestimmte Prozesse in Kapital verwandeln soll.« |Siehe Karl Marx, »Das Kapital«, Bd. I, in: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 23, S. 161| Es ist also wieder eine Tatsache, die Marx konstatiert. Unfähig, sie zu bestreiten, verdreht sie Herr Dühring: Das Kapital soll sich aus dem Geld erzeugen!
Marx untersucht nun weiter die Prozesse, wodurch Geld sich in Kapital verwandelt, und findet zunächst, daß die Form, in der Geld als Kapital zirkuliert, die Umkehrung derjenigen Form ist, in der es als allgemeines Warenäquivalent zirkuliert. Der einfache Warenbesitzer verkauft, um zu kaufen; er verkauft, was er nicht braucht, und kauft mit dem erhandelten Gelde das, was er braucht. Der angehende Kapitalist kauft von vornherein das, was er nicht selbst braucht; er kauft, um zu verkaufen, und zwar um teurer zu verkaufen, um den ursprünglich in das Kaufgeschäft geworfnen Geldwert zurückzuerhalten, vermehrt durch einen Zuwachs an Geld, und diesen Zuwachs nennt Marx Mehrwert.
Woher stammt dieser Mehrwert? Er kann weder daher stammen, daß der Käufer die Waren unter dem Wert kaufte, noch daher, daß der Verkäufer sie über dem Wert verkaufte. Denn in beiden Fällen gleichen sich die Gewinne und Verluste jedes einzelnen gegenseitig aus, da jeder abwechselnd Käufer und Verkäufer ist. Er kann auch nicht aus Prellerei stammen, denn die Prellerei kann zwar den einen auf Kosten des andern bereichern, nicht aber die von beiden besessene Gesamtsumme, also auch nicht die Summe der zirkulierenden Werte überhaupt vermehren. »Die Gesamtheit der Kapitalistenklasse eines Landes kann sich nicht selbst übervorteilen.« |Siehe Karl Marx, »Das Kapital«, Bd. I, in: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 23, S. 177|
Und doch finden wir, daß die Gesamtheit der Kapitalistenklasse jedes Landes sich fortwährend vor unsern Augen bereichert, indem sie teurer verkauft als sie eingekauft hatte, indem sie sich Mehrwert aneignet. Wir sind also so weit wie am Anfang: woher stammt dieser Mehrwert? Diese Frage gilt es zu lösen, und zwar auf rein ökonomischem Wege, unter Ausschluß aller Prellerei, aller Einmischung irgendwelcher Gewalt - die Frage: Wie ist es |189| möglich, fortwährend teurer zu verkaufen, als man eingekauft hat, selbst unter der Voraussetzung, daß fortwährend gleiche Werte ausgetauscht werden gegen gleiche Werte?
Die Lösung dieser Frage ist das epochemachendste Verdienst des Marxschen Werks. Sie verbreitet helles Tageslicht über ökonomische Gebiete, wo früher Sozialisten nicht minder als bürgerliche Ökonomen in tiefster Finsternis herumtappten. Von ihr datiert, um sie gruppiert sich der wissenschaftliche Sozialismus.
Diese Lösung ist folgende. Die Wertvergrößerung des Geldes, das sich in Kapital verwandeln soll, kann nicht an diesem Geld vorgehn oder aus dem Einkauf herrühren, da dies Geld hier nur den Preis der Ware realisiert, und dieser Preis ist, da wir voraussetzen, daß gleiche Werte ausgetauscht werden, nicht verschieden von ihrem Wert. Die Wertvergrößerung kann aber aus demselben Grunde auch nicht aus dem Verkauf der Ware hervorgehn. Die Veränderung muß sich also zutragen mit der Ware, die gekauft wird, aber nicht mit ihrem Wert, da sie zu ihrem Wert gekauft und verkauft wird, sondern mit ihrem Gebrauchswert als solchem, d.h. die Wertveränderung muß aus dem Verbrauch der Ware entspringen. »Um aus dem Verbrauch einer Ware Wert herauszuziehn, müßte unser Geldbesitzer so glücklich sein ... auf dem Markt eine Ware zu entdecken, deren Gebrauchswert die eigentümliche Beschaffenheit besäße, Quelle von Wert zu sein, deren wirklicher Verbrauch also selbst Vergegenständlichung von Arbeit wäre, daher Wertschöpfung. Und der Geldbesitzer findet auf dem Markt eine solche spezifische Ware vor - das Arbeitsvermögen oder die Arbeitskraft.« |Siehe Karl Marx, »Das Kapital«, Bd. I, in: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 23, S. 181. Hervorhebungen von Engels| Wenn, wie wir sahen, die Arbeit als solche keinen Wert haben kann, so ist das keineswegs der Fall mit der Arbeitskraft. Diese erhält einen Wert, sobald sie zur Ware wird, wie sie heutzutage tatsächlich eine Ware ist, und dieser Wert bestimmt sich »gleich dem jeder andren Ware durch die zur Produktion, also auch Reproduktion, dieses spezifischen Artikels notwendige |Bei Engels: nötige, korrigiert nach Karl Marx, »Das Kapital«| Arbeitszeit« |siehe Karl Marx, »Das Kapital«, Bd. I, in: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 23, S. 184|, das heißt durch die Arbeitszeit, welche erforderlich ist zur Herstellung der Lebensmittel, deren der Arbeiter zu seiner Erhaltung in arbeitsfähigem Zustand und zur Fortpflanzung seines Geschlechts bedarf. Nehmen wir an, diese Lebensmittel repräsentieren, Tag für Tag, eine sechsstündige Arbeitszeit. Unser angehender Kapitalist, der zum Betrieb seines Geschäfts Arbeitskraft einkauft, d.h. einen Arbeiter mietet, zahlt also diesem Arbeiter den vollen Tageswert seiner Arbeitskraft, wenn er ihm eine Geld- |190| summe zahlt, die ebenfalls sechs Arbeitsstunden vertritt. Sobald der Arbeiter nun sechs Stunden im Dienst des angehenden Kapitalisten gearbeitet hat, hat er diesem vollen Ersatz geleistet für seine Auslage, für den gezahlten Tageswert der Arbeitskraft. Damit aber wäre das Geld nicht in Kapital verwandelt, es hätte keinen Mehrwert erzeugt. Der Käufer der Arbeitskraft hat daher auch eine ganz andre Ansicht von der Natur des von ihm abgeschlossenen Geschäfts. Daß nur sechs Arbeitsstunden nötig sind, um den Arbeiter während vierundzwanzig Stunden am Leben zu erhalten, hindert diesen keineswegs, zwölf Stunden aus den vierundzwanzig zu arbeiten. Der Wert der Arbeitskraft und ihre Verwertung im Arbeitsprozeß sind zwei verschiedne Größen. Der Geldbesitzer hat den Tageswert der Arbeitskraft gezahlt, ihm gehört daher auch ihr Gebrauch während des Tages, die tagelange Arbeit. Daß der Wert, den ihr Gebrauch während eines Tages schafft, doppelt so groß ist wie ihr eigner Tageswert, ist ein besondres Glück für den Käufer, aber nach den Gesetzen des Warenaustausches durchaus kein Unrecht gegen den Verkäufer. Der Arbeiter lostet also dem Geldbesitzer nach unserer Annahme täglich das Wertprodukt von sechs Arbeitsstunden, aber er liefert ihm täglich das Wertprodukt von zwölf Arbeitsstunden. Differenz zugunsten des Geldbesitzers - sechs Stunden unbezahlte Mehrarbeit, ein unbezahltes Mehrprodukt, in dem die Arbeit von sechs Stunden verkörpert ist. Das Kunststück ist gemacht. Mehrwert ist erzeugt, Geld ist in Kapital verwandelt.
Indem Marx auf diese Weise nachwies, wie Mehrwert entsteht und wie allein Mehrwert unter der Herrschaft der den Austausch von Waren regelnden Gesetze entstehn kann, legte er den Mechanismus der heutigen kapitalistischen Produktionsweise und der auf ihr beruhenden Aneignungsweise bloß, enthüllte er den Kristallkern, um den die ganze heutige Gesellschaftsordnung sich angesetzt hat.
Diese Erzeugung von Kapital hat jedoch eine wesentliche Voraussetzung:
»Zur Verwandlung von Geld in Kapital muß der Geldbesitzer den freien Arbeiter auf dem Warenmarkt vorfinden, frei in dem Doppelsinn, daß er als freie Person über seine Arbeitskraft als seine Ware verfügt, daß er andrerseits andre Waren nicht zu verkaufen hat, los und ledig, frei ist von allen zur Verwirklichung seiner Arbeitskraft nötigen Sachen.» |Siehe Karl Marx, »Das Kapital«, Bd. I, in: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 23, S. 183; Hervorhebungen von Engels| Aber dies Verhältnis von Geld- oder Warenbesitzern auf der einen Seite und von Besitzern von nichts, außer der eignen Arbeitskraft, auf der andern, ist kein naturgeschichtliches, noch ist es ein allen Geschichtsperioden gemeinsames Verhältnis, »es |191| ist offenbar selbst das Resultat einer vorhergegangnen historischen Entwicklung, das Produkt ... des Untergangs einer ganzen Reihe älterer Formationen der gesellschaftlichen Produktion« |siehe Karl Marx, »Das Kapital«, Bd. I, in: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 23, S. 183|. Und zwar tritt dieser freie Arbeiter uns in der Geschichte zuerst massenhaft gegenüber am Ende des fünfzehnten und Anfang des sechzehnten Jahrhunderts infolge der Auflösung der feudalen Produktionsweise. Damit aber, und mit der von derselben Epoche datierenden Schöpfung des Welthandels und Weltmarkts, war die Grundlage gegeben, auf der die Masse des vorhandnen beweglichen Reichtums sich mehr und mehr in Kapital verwandeln und die kapitalistische, auf Erzeugung von Mehrwert gerichtete Produktionsweise mehr und mehr die ausschließlich herrschende werden muß.
Soweit sind wir den »wüsten Konzeptionen« von Marx gefolgt, diesen »Bastarden historischer und logischer Phantastik«, bei denen »das Unterscheidungsvermögen des Verstandes samt allem ehrlichen Begriffsgebrauch untergeht«. Stellen wir diesen »Leichtfertigkeiten« nunmehr die »tiefen logischen Wahrheiten« und die »letzte und strengste Wissenschaftlichkeit im Sinne der exakten Disziplinen« gegenüber, wie sie uns Herr Dühring bietet.
Also vom Kapital hegt Marx »nicht den gemeingültigen ökonomischen Begriff, demzufolge es produziertes Produktionsmittel ist«; er sagt vielmehr, daß eine Summe von Werten sich erst dann in Kapital verwandelt, wenn sie sich verwertet, indem sie Mehrwert bildet. Und was sagt Herr Dühring?
»Das Kapital ist ein Stamm ökonomischer Machtmittel zur Fortführung der Produktion und zur Bildung von Anteilen an den Früchten der allgemeinen Arbeitskraft.«
So orakelhaft und loddrig dies auch wieder ausgedrückt ist, so ist doch soviel sicher: der Stamm ökonomischer Machtmittel mag die Produktion in Ewigkeit fortführen, er wird nach Herrn Dührings eignen Worten nicht zu Kapital, solange er nicht »Anteile an den Früchten der allgemeinen Arbeitskraft«, d.h. Mehrwert oder wenigstens Mehrprodukt bildet. Die Sünde also, die Herr Dühring Marx vorwirft, nicht den gemeingültigen ökonomischen Begriff vom Kapital zu hegen, begeht er nicht nur selbst, sondern er begeht außerdem noch ein durch hochtrabende Redensarten »schlecht verdecktes« ungeschicktes Plagiat an Marx.
Auf Seite 262 wird dies weiter ausgeführt:
»Das Kapital im sozialen Sinn« (und ein Kapital in einem nicht sozialen Sinn soll Herr Dühring noch entdecken) »ist nämlich spezifisch von dem reinen Produktions- |192| mittel verschieden; denn während das letztere nur einen technischen Charakter hat und unter allen Umständen erforderlich ist, zeichnet sich das erstere durch seine gesellschaftliche Kraft der Aneignung und Anteilsbildung aus. Das soziale Kapital ist allerdings zum großen Teil nichts andres als das technische Produktionsmittel in seiner sozialen Funktion; aber diese Funktion ist es auch grade, welche ... verschwinden muß.«
Wenn wir bedenken, daß es grade Marx war, welcher zuerst die »soziale Funktion« hervorhob, vermittelst deren allein eine Wertsumme zu Kapital wird, so muß es allerdings »für jeden aufmerksamen Betrachter des Gegenstandes bald feststehn, daß sich mit der Marxschen Kennzeichnung des Kapitalbegriffs nur Verwirrung stiften lasse« - nicht aber, wie Herr Dühring meint, in der strengen Volkswirtschaftslehre, sondern, wie Figura zeigt, einzig und allein im Kopf des Herrn Dühring selbst, der in der »Kritischen Geschichte« bereits vergessen hat, wie stark er im »Cursus« von besagtem Kapitalbegriff gezehrt.
Indes Herr Dühring ist nicht zufrieden damit, seine Definition des Kapitals, wenn auch in »gesäuberter« Form, von Marx zu entlehnen. Er muß ihm auch folgen in das »Metamorphosenspiel der Begriffe und der Geschichte«, und das angesichts seiner eignen bessern Erkenntnis, daß dabei nichts herauskommt, als »wüste Konzeptionen«, »Leichtfertigkeiten«, »Gebrechlichkeit der Fundamente« usw. woher stammt diese »soziale Funktion« des Kapitals, die es befähigt, sich die Früchte fremder Arbeit anzueignen, und wodurch allein es sich vom bloßen Produktionsmittel unterscheidet?
Sie beruht, sagt Herr Dühring, »nicht auf der Natur der Produktionsmittel und auf deren technischer Unentbehrlichkeit«.
Sie ist also geschichtlich entstanden, und Herr Dühring wiederholt uns auf Seite 262 nur, was wir schon zehnmal gehört haben, wenn er ihre Entstehung erklärt vermittelst des altbekannten Abenteuers von den beiden Männern, von denen am Anfang der Geschichte der eine sein Produktionsmittel in Kapital verhandelt, indem er den andern vergewaltigt. Aber nicht damit zufrieden, der sozialen Funktion, durch welche eine Wertsumme erst zu Kapital wird, einen geschichtlichen Anfang zuzuschreiben, prophezeit Herr Dühring ihr auch ein geschichtliches Ende. Sie »ist es auch grade, welche verschwinden muß«. Eine Erscheinung, welche geschichtlich entstanden ist und geschichtlich wieder verschwindet, pflegt man, in der gemeingültigen Sprache geredet, »eine historische Phase« zu nennen. Es ist also das Kapital eine historische Phase nicht bloß bei Marx, sondern auch bei Herrn Dühring und wir sind daher zu dem Schluß genötigt, daß wir |193| uns hier bei den Jesuiten befinden. Wenn zwei dasselbe tun, so ist es nicht dasselbe. Wenn Marx sagt, das Kapital ist eine historische Phase, so ist das eine wüste Konzeption, ein Bastard historischer und logischer Phantastik, bei dem das Unterscheidungsvermögen samt allem ehrlichen Begriffsgebrauch untergeht. Wenn Herr Dühring ebenfalls das Kapital als eine historische Phase darstellt, so ist das ein Beweis von Schärfe der volkswirtschaftlichen Analyse und von letzter und strengster Wissenschaftlichkeit im Sinne der exakten Disziplinen.
Wodurch unterscheidet sich nun die Dühringsche Kapitalvorstellung von der Marxschen?
»Das Kapital«, sagt Marx, »hat die Mehrarbeit nicht erfunden. Überall, wo ein Teil der Gesellschaft das Monopol der Produktionsmittel besitzt, muß der Arbeiter, frei oder unfrei, der zu seiner Selbsterhaltung notwendigen Arbeitszeit überschüssige Arbeitszeit zusetzen, um die Lebensmittel für den Eigner der Produktionsmittel zu produzieren.« |Siehe Karl Marx, »Das Kapital«, Bd. I, in: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 23, S. 249| Mehrarbeit, Arbeit über die zur Selbsterhaltung des Arbeiters nötige Zeit hinaus und Aneignung des Produkts dieser Mehrarbeit durch andre, Arbeitsausbeutung ist also allen bisherigen Gesellschaftsformen gemein, soweit diese sich in Klassengegensätzen bewegten. Aber erst wenn das Produkt dieser Mehrarbeit die Form von Mehrwert annimmt, wenn der Eigner der Produktionsmittel den freien Arbeiter - frei von sozialen Fesseln und frei von eignem Besitz - als Gegenstand der Ausbeutung sich gegenüber vorfindet und ihn ausbeutet zum Zweck der Produktion von Waren, erst dann nimmt, nach Marx, das Produktionsmittel den spezifischen Charakter des Kapitals an. Und dies ist auf großem Maßstab geschehn erst seit dem Ende des 15. und Anfang des 16. Jahrhunderts.
Herr Dühring dagegen erklärt jede Summe von Produktionsmitteln für Kapital, die »Anteile an den Früchten der allgemeinen Arbeitskraft bildet«, also Mehrarbeit in irgendeiner Form erwirkt. Mit andern Worten, Herr Dühring annektiert die von Marx entdeckte Mehrarbeit, um damit den ihm augenblicklich nicht passenden, ebenfalls von Marx entdeckten Mehrwert totzuschlagen. Nach Herrn Dühring wäre also nicht nur der bewegliche und unbewegliche Reichtum der mit Sklaven wirtschaftenden korinthischen und athenischen Bürger, sondern auch der der römischen Großgrundbesitzer der Kaiserzeit, und nicht minder derjenige der Feudalbarone des Mittelalters, soweit er in irgendeiner Weise der Produktion diente, alles ohne Unterschied Kapital.
|194| Herr Dühring selbst hegt also »vom Kapital nicht den gemeingültigen Begriff, demzufolge es produziertes Produktionsmittel ist«, sondern vielmehr einen ganz entgegengesetzten, der sogar die unproduzierten Produktionsmittel einschließt, die Erde und ihre natürlichen Hülfsqüellen. Nun ist aber die Vorstellung, daß Kapital »produziertes Produktionsmittel« schlechthin sei, gemeingültig wieder nur in der Vulgärökonomie. Außerhalb dieser, dem Herrn Dühring so teuren Vulgärökonomie wird das »produzierte Produktionsmittel« oder eine Wertsumme überhaupt erst dadurch zu Kapital, daß sie Profit oder Zins erwirkt, d.h. das Mehrprodukt unbezahlter Arbeit in der Form von Mehrwert, und zwar wieder in diesen beiden bestimmten Unterformen des Mehrwerts aneignet. Es bleibt dabei vollkommen gleichgültig, daß die ganze bürgerliche Ökonomie in der Vorstellung befangen ist, die Eigenschaft, Profit oder Zins zu erwirken, komme ganz von selbst jeder Wertsumme zu, die unter normalen Bedingungen in der Produktion oder im Austausch verwandt wird. Kapital und Profit, oder Kapital und Zins, sind in der klassischen Ökonomie ebenso untrennbar, stehn in derselben Wechselbeziehung zueinander wie Ursache und Wirkung, Vater und Sohn, gestern und heute. Das Wort Kapital in seiner modern-ökonomischen Bedeutung kommt aber erst vor zu der Zeit, wo die Sache selbst auftritt, wo der bewegliche Reichtum mehr und mehr Kapitalfunktion erhält, indem er die Mehrarbeit freier Arbeiter ausbeutet, um Waren zu produzieren, und zwar wird es eingeführt durch die erste historische Kapitalisten-Nation, die Italiener des 15. und 16. Jahrhunderts. Und wenn Marx zuerst die dem modernen Kapital eigentümliche Aneignungsweise bis auf den Grund analysierte, wenn er den Begriff des Kapitals in Einklang brachte mit den geschichtlichen Tatsachen, aus denen er in letzter Instanz abstrahiert worden war, denen er seine Existenz verdankte; wenn Marx damit diesen ökonomischen Begriff befreite von den unklaren und schwankenden Vorstellungen, die ihm auch in der klassischen bürgerlichen Ökonomie und bei den bisherigen Sozialisten noch anhafteten, so war es grade Marx, der mit jener »letzten und strengsten Wissenschaftlichkeit« verfuhr, die Herr Dühring stets im Munde führt und die wir bei ihm so schmerzlich vermissen.
In der Tat geht es bei Herrn Dühring ganz anders her. Er ist nicht zufrieden damit, erst die Darstellung des Kapitals als einer historischen Phase einen »Bastard historischer und logischer Phantastik« zu schelten und es dann selbst als eine historische Phase darzustellen. Er erklärt auch alle ökonomischem Machtmittel, alle Produktionsmittel, die »Anteile an den Früchten der allgemeinen Arbeitskraft« aneignen, also auch das Grundeigentum in allen Klassengesellschaften, rundweg für Kapital; was ihn aber |195| nicht im mindesten geniert, im weitern Verlauf Grundeigentum und Grundrente ganz in der hergebrachten Weise von Kapital und Profit zu scheiden und nur diejenigen Produktionsmittel als Kapital zu bezeichnen, welche Profit oder Zins erwirken, wie auf Seite 156 u. ff. des »Cursus« des breitern nachzusehn. Ebensogut könnte Herr Dühring zuerst unter dem Namen Lokomotive auch Pferde, Ochsen, Esel und Hunde einbegreifen, weil man auch mit diesen Fuhrwerk fortbewegen kann, und den heutigen Ingenieuren vorwerfen, indem sie den Namen Lokomotive auf den modernen Dampfwagen beschränkten, machten sie ihn zu einer historischen Phase, verübten sie wüste Konzeptionen, Bastarde historischer und logischer Phantastik usw.; und dann schließlich erklären, die Pferde, Esel, Ochsen und Hunde seien doch von der Bezeichnung Lokomotive ausgeschlossen, und diese gelte nur für den Dampfwagen. - Und somit sind wir wieder genötigt zu sagen, daß es grade die Dühringsche Begriffsfassung des Kapitals ist, bei der alle Schärfe der volkswirtschaftlichen Analyse verloren- und das Unterscheidungsvermögen samt allem ehrlichen Begriffsgebrauch untergeht, und daß die wüsten Konzeptionen, die Verwirrung, die Leichtfertigkeiten, die für tiefe logische Wahrheiten ausgegeben werden, und die Gebrechlichkeit der Fundamente in voller Blüte stehn eben bei Herrn Dühring.
Das alles aber verschlägt nichts. Herrn Dühring bleibt darum doch der Ruhm, den Angelpunkt entdeckt zu haben, um den sich die ganze bisherige Ökonomie, die ganze Politik und Juristerei, mit einem Wort die ganze bisherige Geschichte bewegt. Hier ist er:
»Gewalt und Arbeit sind die zwei Hauptfaktoren, die bei der Bildung der sozialen Verknüpfungen in Anschlag kommen.«
In diesem einen Satz liest die ganze Verfassung der bisherigen ökonomischen Welt. Sie ist äußerst kurz und lautet:
Artikel Eins: Die Arbeit produziert.
Artikel Zwei: Die Gewalt verteilt.
Und hiermit ist, »menschlich und deutsch geredet«, auch die ganze ökonomische Weisheit des Herrn Dühring zu Ende.
»Nach der Ansicht des Herrn Marx vertritt der Arbeitslohn nur die Bezahlung derjenigen Arbeitszeit, welche der Arbeiter wirklich für die Ermöglichung der eignen |196| Existenz tätig ist. Hierzu genügt nun eine kleinere Anzahl Stunden; der ganze übrige Teil des oft langgedehnten Arbeitstags liefert einen Überschuß, in welchem der von unserm Autor so genannte 'Mehrwert' oder, in der gemeingültigen Sprache geredet, der Kapitalgewinn enthalten ist. Abgesehn von der auf irgendeiner Stufe der Produktion bereits an den Arbeitsmitteln und relativen Rohstoffen enthaltnen Arbeitszeit, ist jener Überschuß des Arbeitstages der Anteil des kapitalistischen Unternehmers. Die Ausdehnung des Arbeitstages ist hiernach reiner Ausbeutungsgewinn zugunsten des Kapitalisten.«
Nach Herrn Dühring wäre also der Marxsche Mehrwert weiter nichts, als was man in der gemeingültigen Sprache Kapitalgewinn oder Profit nennt. Hören wir Marx selbst. Auf Seite 195 des »Kapital« wird Mehrwert erklärt durch die hinter diesem Wort eingeklammerten Worte: »Zins, Profit, Rente.« |Siehe Karl Marx, »Das Kapital«, Bd. I, in: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 23, S. 220| Auf Seite 220 gibt Marx ein Beispiel, worin eine Mehrwertsumme von 71 Schillingen in ihren verschiednen Verteilungsformen erscheint: Zehnten, Lokal- und Staatssteuern 21 Schilling, Bodenrente 28 Schilling, Pächters Profit und Zins 22 Schilling, zusammen Gesamtmehrwert 71 Schillinge |siehe Karl Marx, »Das Kapital«, Bd. I, in: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 23, S. 224|. - Auf Seite 542 erklärt Marx es für einen Hauptmangel bei Ricardo, daß dieser »den Mehrwert nicht rein darstellt, d.h. nicht unabhängig von seinen besondern Formen, wie Profit, Grundrente usw.« und daß er daher die Gesetze über die Rate des Mehrwerts unmittelbar zusammenwirft mit den Gesetzen der Profitrate; wogegen Marx ankündigt: »Ich werde später, im Dritten Buch dieser Schrift, nachweisen, daß dieselbe Rate des Mehrwerts sich in den verschiedensten Profitraten, und verschiedne Raten des Mehrwerts, unter bestimmten Umständen, sich in derselben Profitrate ausdrücken können.« |Siehe Karl Marx, »Das Kapital«, Bd. I, in: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 23, S. 546/547| Auf Seite 587 heißt es: »Der Kapitalist, der den Mehrwert produziert, d.h. unbezahlte Arbeit unmittelbar aus den Arbeitern auspumpt und in Waren fixiert, ist zwar der erste Aneigner, aber keineswegs der letzte Eigentümer dieses Mehrwerts. Er hat ihn hinterher zu teilen mit Kapitalisten, die andre Funktionen im großen und ganzen der gesellschaftlichen Produktion vollziehn, mit dem Grundeigentümer usw. Der Mehrwert spaltet sich daher in verschiedne Teile. Seine Bruchstücke fallen verschiednen Kategorien von Personen zu und erhalten verschiedne, gegeneinander selbständige Formen, wie Profit, Zins, Handelsgewinn, Grundrente usw. Diese verwandelten Formen des Mehrwerts können erst im Dritten Buch behandelt werden.« |Siehe Karl Marx, »Das Kapital«, Bd. I, in: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 23, S. 589| Und ebenso an vielen andern Stellen.
Man kann sich nicht deutlicher ausdrücken. Bei jeder Gelegenheit macht Marx darauf aufmerksam, daß sein Mehrwert durchaus nicht mit dem |197| Profit oder Kapitalgewinn zu verwechseln, daß dieser letztere vielmehr eine Unterform und sehr oft sogar nur ein Bruchteil des Mehrwerts sei. Wenn Herr Dühring dennoch behauptet, der Marxsche Mehrwert sei »in der gemeingültigen Sprache geredet, der Kapitalgewinn«, und wenn es feststeht, daß das ganze Marxsche Buch sich um den Mehrwert dreht, so sind nur zwei Fälle möglich: entweder weiß er's nicht besser, und dann gehört eine Schamlosigkeit sondergleichen dazu, ein Buch herunterzureißen, dessen Hauptinhalt er nicht kennt. Oder er weiß es besser, und dann begeht er eine absichtliche Fälschung. Weiter:
»Der giftige Haß, mit dem Herr Marx diese Vorstellungsart des Auspressungsgeschäfts pflegt, ist nur zu begreiflich. Aber auch ein gewaltigerer Zorn und eine noch vollere Anerkennung des Ausbeutungscharakters der auf Lohnarbeit gegründeten Wirtschaftsform ist möglich, ohne daß jene theoretische Wendung, die sich in der Marxschen Lehre von einem Mehrwert ausdrückt, angenommen wird.«
Die gutgemeinte, aber irrige theoretische Wendung von Marx bewirkt bei diesem einen giftigen Haß gegen das Auspressungsgeschäft; die an sich sittliche Leidenschaft erhält infolge der falschen »theoretischen Wendung« einen unsittlichen Ausdruck, sie tritt zutage in unedlem Haß und in niedriger Giftigkeit, während die letzte und strengste Wissenschaftlichkeit des Herrn Dühring sich äußert in einer sittlichen Leidenschaft von entsprechend edler Natur, im Zorn, der auch der Form nach sittlich und dem giftigen Haß zudem noch quantitativ überlegen, ein gewaltigerer Zorn ist. Während Herr Dühring diese Freude an sich selbst erlebt, wollen wir zusehn, woher dieser gewaltigere Zorn stammt.
»Es entsteht«, heißt es weiter, »nämlich die Frage, wie die konkurrierenden Unternehmer imstande sind, das volle Erzeugnis der Arbeit und hiermit das Mehrprodukt dauernd so hoch über den natürlichen Herstellungskosten zu verwerten, als durch das berührte Verhältnis des Überschusses der Arbeitsstunden angezeigt wird. Eine Antwort hierauf ist in der Marxschen Doktrin nicht anzutreffen, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil in derselben nicht einmal die Aufwerfung der Frage einen Platz finden konnte. Der Luxuscharakter der auf Soldarbeit gegründeten Produktion ist gar nicht ernstlich angefaßt und die soziale Verfassung mit ihren aufsaugenden Positionen keineswegs als der letzte Grund der weißen Sklaverei erkannt worden. Im Gegenteil hat sich immer das Politischsoziale aus dem Ökonomischen erklärt finden sollen.«
Nun haben wir aus den oben angeführten Stellen gesehn, daß Marx keineswegs behauptet, das Mehrprodukt werde vom industriellen Kapitalisten, der sein erster Aneigner ist, unter allen Umständen im Durchschnitt |198| zu seinem vollen Wert verkauft, wie Herr Dühring hier voraussetzt. Marx sagt ausdrücklich, daß auch der Handelsgewinn einen Teil des Mehrwerts bildet, und dies ist unter den vorliegenden Voraussetzungen doch nur dann möglich, wenn der Fabrikant dem Händler sein Produkt, unter dem Wert verkauft und ihm damit einen Anteil der Beute abtritt. Wie die Frage hier gestellt wird, konnte also allerdings nicht einmal ihre Aufwerfung bei Marx einen Platz finden. Rationell gestellt, lautet sie: Wie verwandelt sich Mehrwert in seine Unterformen: Profit, Zins, Handelsgewinn, Grundrente usw.? Und diese Frage verspricht Marx allerdings, im dritten Buch zu lösen. Wenn aber Herr Dühring nicht so lange warten kann, bis der zweite Band des »Kapital« erscheint, so mußte er sich einstweilen im ersten Band etwas genauer umsehn. Er konnte dann, außer den schon angeführter Stellen, z.B. auf S. 323 lesen, daß nach Marx die immanenten Gesetze der kapitalistischen Produktion in der äußern Bewegung der Kapitale sich als Zwangsgesetze der Konkurrenz geltend machen und in dieser Form als treibende Motive dem individuellen Kapitalisten zum Bewußtsein kommen; daß also eine wissenschaftliche Analyse der Konkurrenz nur möglich, sobald die innere Natur des Kapitals begriffen ist, ganz wie die scheinbare Bewegung der Himmelskörper nur dem verständlich, der ihre wirkliche, aber sinnlich nicht wahrnehmbare Bewegung kennt; worauf Marx an einem Exempel zeigt, wie ein bestimmtes Gesetz, das Wertgesetz, in einem bestimmten Fall innerhalb der Konkurrenz erscheint und seine treibende Kraft ausübt |siehe Karl Marx, »Das Kapital«, Bd. I, in: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 23, S. 335|. Herr Dühring konnte hieraus schon entnehmen daß bei der Verteilung des Mehrwerts die Konkurrenz eine Hauptrolle spielt, und bei einigem Nachdenken genügen diese im ersten Band gegebnen Andeutungen in der Tat, um die Verwandlung von Mehrwert in seine Unterformen wenigstens in ihren allgemeinen Umrissen erkennen zu lassen.
Für Herrn Dühring ist indes die Konkurrenz grade das absolute Hindernis des Verständnisses. Er kann nicht begreifen, wie die konkurrierender Unternehmer das volle Erzeugnis der Arbeit und hiermit das Mehrprodukt dauernd so hoch über den natürlichen Herstellungskosten verwerten können. Es wird sich hier wieder mit der gewohnten »Strenge«, die in der Tat Liederlichkeit ist, ausgedrückt. Das Mehrprodukt als solches hat bei Marx ja gar keine Herstellungskosten, es ist der Teil des Produkts, der dem Kapitalisten nichts kostet. Wenn also die konkurrierenden Unternehmer das Mehrprodukt zu seinen natürlichen Herstellungskosten verwerten wollten, |199| so müßten sie es eben verschenken. Doch halten wir uns bei solchen »mikrologischen Einzelheiten« nicht auf. Verwerten denn in der Tat die konkurrierenden Unternehmer nicht täglich das Erzeugnis der Arbeit über den natürlichen Herstellungskosten? Nach Herrn Dühring bestehn die natürlichen Herstellungskosten
»in der Arbeits- oder Kraftausgabe, und diese kann wiederum in ihren letzten Grundlagen durch den Nahrungsaufwand gemessen werden«;
also in der heutigen Gesellschaft aus den an Rohstoff, Arbeitsmitteln und Arbeitslohn wirklich auf gewendeten Auslagen, im Unterschied von der »Bezollung«, dem Profit, dem mit dem Degen in der Hand erzwungnen Aufschlag. Nun ist es allbekannt, daß in der Gesellschaft, in der wir leben, die konkurrierenden Unternehmer ihre Waren nicht zu den natürlichen Herstellungskosten verwerten, sondern den angeblichen Aufschlag, den Profit hinzurechnen und in der Regel auch erhalten. Die Frage, die Herr Dühring, wie er glaubte, nur aufzuwerfen braucht, um damit das ganze Marxsche Gebäude umzublasen, wie weiland Josua die Mauern von Jericho, diese Frage existiert also auch für die ökonomische Theorie des Herrn Dühring. Sehn wir, wie er sie beantwortet.
»Das Kapitaleigentum«, sagt er, »hat keinen praktischen Sinn und läßt sich nicht verwerten, wenn nicht in ihm zugleich die indirekte Gewalt über den Menschenstoff eingeschlossen ist. Das Erzeugnis dieser Gewalt ist der Kapitalgewinn, und die Größe des letztern wird daher von dem Umfang und der Intensität dieser Herrschaftsübung abhängen ... Der Kapitalgewinn ist eine politische und soziale Institution, die mächtiger wirkt als die Konkurrenz. Die Unternehmer handeln in dieser Beziehung als Stand, und jeder einzelne behauptet seine Position. Ein gewisses Maß des Kapitalgewinns ist bei der einmal herrschenden Wirtschaftsart eine Notwendigkeit.«
Leider wissen wir auch jetzt noch immer nicht, wie die konkurrierenden Unternehmer imstande sind, das Erzeugnis der Arbeit dauernd über den natürlichen Herstellungskosten zu verwerten. Herr Dühring denkt unmöglich von seinem Publikum so gering, um es mit der Redensart abzuspeisen, der Kapitalgewinn stehe über der Konkurrenz, wie seinerzeit der König von Preußen über dem Gesetz. Die Manöver, durch die der König von Preußen in seine Stellung über dem Gesetz kam, kennen wir; die Manöver, wodurch der Kapitalgewinn dazu kommt, mächtiger zu sein als die Konkurrenz, sind grade das, was Herr Dühring uns erklären soll und was er uns hartnäckig zu erklären verweigert. Auch kann es nichts ausmachen, wenn, wie er sagt, die Unternehmer in dieser Beziehung als Stand handeln, und dabei jeder einzelne seine Position behauptet. Wir sollen ihm |200| doch nicht etwa aufs Wort glauben, eine Anzahl Leute brauche nur als Stand zu handeln, damit jeder einzelne von ihnen seine Position behaupte? Die Zünftler des Mittelalters, die französischen Adligen 1789 handelten bekanntlich sehr entschieden als Stand und sind doch zugrunde gegangen. Die preußische Armee bei Jena handelte auch als Stand, aber statt ihre Position zu behaupten, mußte sie vielmehr ausreißen und nachher sogar stückweise kapitulieren. Ebensowenig kann uns die Versicherung genügen, bei der einmal herrschenden Wirtschaftsart sei ein gewisses Maß des Kapitalgewinns eine Notwendigkeit; denn es handelt sich ja grade darum, nachzuweisen, warum dem so ist. Nicht einen Schritt näher zum Ziel kommen wir, wenn Herr Dühring uns mitteilt:
»Die Kapitalherrschaft ist im Anschluß an die Bodenherrschaft erwachsen. Ein Teil der hörigen Landarbeiter ist in den Städten zu Gewerbsarbeiten und schließlich zu Fabrikmaterial umgestaltet worden. Nach der Bodenrente hat sich der Kapitalgewinn als eine zweite Form der Besitzrente ausgebildet.«
Selbst wenn wir von der historischen Schiefheit dieser Behauptung absehn, so bleibt sie doch immer eine bloße Behauptung und beschränkt sich darauf, das wiederholt zu beteuern, was grade erklärt und bewiesen werden soll. Wir können also zu keinem andern Schluß kommen, als daß Herr Dühring unfähig ist, auf seine eigne Frage zu antworten: wie die konkurrierenden Unternehmer imstande sind, das Erzeugnis der Arbeit dauernd über den natürlichen Herstellungskosten zu verwerten, das heißt, daß er unfähig ist, die Entstehung des Profits zu erklären. Es bleibt ihm nichts übrig, als kurzweg zu dekretieren: der Kapitalgewinn ist das Erzeugnis der Gewalt, was allerdings ganz einstimmt mit Artikel 2 der Dühringschen Gesellschaftsverfassung: Die Gewalt verteilt. Dies ist allerdings sehr schön gesagt; aber jetzt »entsteht die Frage«: Die Gewalt verteilt - was? Es muß doch etwas zu verteilen da sein, sonst kann selbst die allmächtigste Gewalt beim besten Willen nichts verteilen. Der Gewinn, den die konkurrierenden Unternehmer in die Tasche stecken, ist etwas sehr Handgreifliches und Handfestes. Die Gewalt kann ihn nehmen, aber nicht erzeugen. Und wenn Herr Dühring uns hartnäckig die Erklärung weigert, wie die Gewalt den Unternehmergewinn nimmt, so hat er gar nur Grabesschweigen als Antwort auf die Frage, woher sie ihn nimmt. Wo nichts ist, hat der Kaiser, wie jede andre Gewalt, sein Recht verloren. Aus nichts wird nichts, namentlich nicht Profit. Wenn das Kapitaleigentum keinen praktischen Sinn hat und sich nicht verwerten läßt, solange nicht in ihm zugleich die indirekte Gewalt über den Menschenstoff eingeschlossen ist, so entsteht abermals die Frage, erstens, |201| wie der Kapitalreichtum zu dieser Gewalt kam, die mit den oben angeführten paar historischen Behauptungen keineswegs erledigt ist; zweitens, wie sich diese Gewalt in Kapitalverwertung, in Profit verwandelt, und drittens, woher sie diesen Profit nimmt.
Wir mögen die Dühringsche Ökonomie anfassen, wo wir wollen, wir kommen keinen Schritt weiter. Für alle mißliebigen Umstände, für Profit, Bodenrente, Hungerlohn, Arbeiterknechtung hat sie nur Ein Wort der Erklärung: die Gewalt, und immer wieder die Gewalt, und der »gewaltigere Zorn« des Herrn Dühring löst sich eben auch auf in den Zorn über die Gewalt. Wir haben gesehn, erstens, daß diese Berufung auf die Gewalt eine faule Ausflucht ist, eine Verweisung vom ökonomischen Gebiet aufs politische, die keine einzige ökonomische Tatsache zu erklären imstande ist; und zweitens, daß sie die Entstehung der Gewalt selbst unerklärt läßt, und dies wohlweislich, indem sie sonst zu dem Ergebnis kommen müßte, daß alle gesellschaftliche Macht und alle politische Gewalt ihren Ursprung haben in ökonomischen Vorbedingungen, in der geschichtlich gegebnen Produktions- und Austauschweise der jedesmaligen Gesellschaft.
Versuchen wir jedoch, ob wir dem unerbittlichen »tieferen Grundleger« der Ökonomie nicht noch einige weitere Aufschlüsse über den Profit entringen können. Vielleicht gelingt es uns, wenn wir bei seiner Behandlung des Arbeitslohns ansetzen.
Da heißt es Seite 158:
»Der Arbeitslohn ist der Sold zum Unterhalt der Arbeitskraft und kommt zunächst nur als Grundlage für Bodenrente und Kapitalgewinn in Betracht. Um sich die hier obwaltenden Verhältnisse recht entschieden klarzumachen, denke man sich Grundrente und weiterhin auch Kapitalgewinn zuerst geschichtlich ohne Arbeitslohn, also auf Grundlage der Sklaverei oder Hörigkeit ... Ob der Sklave oder Hörige, oder ob der Lohnarbeiter unterhalten werden muß, begründet nur einen Unterschied in der Art und Weise der Belastung der Produktionskosten. In jedem Fall bildet der durch die Ausnutzung der Arbeitskraft erzielte Reinertrag das Einkommen des Arbeitsherrn ... Man sieht also, daß ... namentlich der Hauptgegensatz, vermöge dessen auf der einen Seite irgendeine Art von Besitzrente und auf der andern die besitzlose Soldarbeit steht, nicht ausschließlich in einem seiner Glieder, sondern stets nur in beiden zugleich betroffen werden kann.«
Besitzrente ist aber, wie wir Seite 188 erfahren, ein gemeinsamer Ausdruck für Bodenrente und Kapitalgewinn. Ferner heißt es Seite 174:
»Der Charakter des Kapitalgewinns ist eine Aneignung des hauptsächlichsten Teils des Ertrags der Arbeitskraft. Ohne das Korrelat der in irgendeiner Gestalt unmittelbar oder mittelbar unterworfenen Arbeit läßt er sich nicht denken.«
|202| Und Seite 183:
Der Arbeitslohn »ist unter allen Umständen nichts weiter als ein Sold, vermittelst dessen im allgemeinen der Unterhalt und die Fortpflanzungsmöglichkeit des Arbeiters gesichert sein müssen«.
Und endlich Seite 195:
»Was der Besitzrente zufällt, muß dem Arbeitslohn verlorengehn und umgekehrt, was von der allgemeinen Leistungsfähigkeit (!) an die Arbeit gelangt, muß den Besitzeinkünften entzogen werden.«
Herr Dühring führt uns von Überraschung zu Überraschung. In der Werttheorie und in den folgenden Kapiteln bis zur Lehre von der Konkurrenz und diese eingeschlossen, also von Seite 1 bis 155, teilten sich die Warenpreise oder Werte erstens in die natürlichen Herstellungskosten oder den Produktionswert, das heißt die Auslagen an Rohstoff, Arbeitsmitteln und Arbeitslohn, und zweitens in den Aufschlag oder Verteilungswert, die mit dem Degen in der Hand erzwungne Besteuerung zugunsten der Monopolistenklasse; ein Aufschlag, der, wie wir sahen, an der Verteilung des Reichtums in Wirklichkeit nichts ändern konnte, indem er mit der einen Hand das wiedergeben mußte, was er mit der andern nahm, und der außerdem, soweit uns Herr Dühring über seinen Ursprung und seinen Inhalt Auskunft gibt, aus nichts entstand und daher auch aus nichts bestand. In den beiden folgenden Kapiteln, die von den Einkünftearten handeln, also von Seite 156 bis 217, ist von Aufschlag keine Rede mehr. Statt dessen teilt sich der Wert jedes Arbeitserzeugnisses, also jeder Ware, jetzt in folgende zwei Teile: erstens in die Produktionskosten, worin auch der bezahlte Arbeitslohn einbegriffen, und zweitens in den »durch Ausnutzung der Arbeitskraft erzielten Reinertrag«, der das Einkommen des Arbeitsherrn bildet. Und dieser Reinertrag hat eine ganz bekannte, durch keine Tätowierung oder Anstreicherkunst zu verdeckende Physiognomie. »Um sich die hier obwaltenden Verhältnisse recht entschieden klarzumachen«, denke sich der Leser die soeben angeführten Stellen aus Herrn Dühring gedruckt gegenüber den früher angeführten Stellen aus Marx über Mehrarbeit, Mehrprodukt und Mehrwert, und er wird finden, daß Herr Dühring hier das »Kapital« in seiner Weise direkt ausschreibt.
Die Mehrarbeit in irgendeiner Form, sei es der Sklaverei, Hörigkeit oder Lohnarbeit, erkennt Herr Dühring an als Quelle der Einkünfte aller bisherigen herrschenden Klassen: genommen aus der mehrfach angeführten Stelle: »Kapital«, Seite 227: das Kapital hat die Mehrarbeit nicht erfunden |203| usw. |siehe Karl Marx, »Das Kapital«, Bd. I, in: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 23, S. 249| - Und der »Reinertrag«, der »das Einkommen des Arbeitsherrn« bildet, was ist er anders als der Überschuß des Arbeitsprodukts über den Arbeitslohn, weicher letztere ja auch bei Herrn Dühring, trotz seiner ganz überflüssigen Verkleidung in einen Sold, im allgemeinen den Unterhalt und die Fortpflanzungsmöglichkeit des Arbeiters sichern muß? Wie kann die »Aneignung des hauptsächlichsten Teils des Ertrags der Arbeitskraft« vor sich gehn, außer dadurch, daß der Kapitalist, wie bei Marx, dem Arbeiter mehr Arbeit auspreßt, als zur Reproduktion der von diesem letztern verzehrten Lebensmittel nötig ist, das heißt dadurch, daß der Kapitalist den Arbeiter längere Zeit arbeiten läßt, als erforderlich ist, den Wert des dem Arbeiter gezahlten Arbeitslohns zu ersetzen? Also Verlängerung des Arbeitstags über die zur Reproduktion der Lebensmittel des Arbeiters nötige Zeit hinaus, Marxsche Mehrarbeit - das und nichts andres ist es, was sich verbirgt unter Herrn Dührings »Ausnutzung der Arbeitskraft«; und sein »Reinertrag« des Arbeitsherrn, worin anders kann er sich darstellen als in Marxschem Mehrprodukt und Mehrwert? Und wodurch anders als durch ihre unexakte Fassung unterscheidet sich die Dühringsche Besitzrente vom Marxschen Mehrwert? Den Namen »Besitzrente« übrigens hat Herr Dühring von Rodbertus entlehnt, der die Bodenrente und die Kapitalrente oder den Kapitalgewinn schon unter dem gemeinsamen Ausdruck: Rente zusammenfaßte, so daß Herr Dühring nur den »Besitz« hinzuzusetzen hatte.(3) Und damit ja kein Zweifel bleibe über das Plagiat, faßt Herr Dühring die von Marx im 15. Kapitel (Seite 539 u. ff. des »Kapital« |siehe Karl Marx, »Das Kapital«, Bd. I, in: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 23, S. 542|) entwickelten Gesetze über den Größenwechsel von Preis der Arbeitskraft und Mehrwert in seiner Weise so zusammen, daß, was der Besitzrente zufällt, dem Arbeitslohn verlorengehn muß und umgekehrt, und reduziert damit die inhaltvollen Marxschen Einzelgesetze auf eine inhaltlose Tautologie, denn es ist selbstredend, daß von einer gegebnen, in zwei Teile zerfallenden Größe der eine Teil nicht wachsen kann, ohne daß der andre abnimmt. Und so ist es Herrn Dühring gelungen, die Aneignung der Marxschen Ideen in einer Weise zu vollziehn, bei der die »letzte und strengste Wissenschaftlichkeit im Sinne der exakten Disziplinen«, wie sie sich in der Marxschen Entwicklung allerdings findet, vollständig verlorengeht.
Wir können also nicht umhin anzunehmen, daß das auffallende Gepolter, |204| das Herr Dühring in der »Kritischen Geschichte« über »Das Kapital« erhebt, und namentlich der Staub, den er aufwirbelt mit der famosen Frage, die beim Mehrwert entsteht, und die er besser ungefragt gelassen hätte, sintemal sie selbst nicht beantworten kann - daß das alles nur Kriegslisten sind, schlaue Manöver, um damit das im »Cursus« an Marx begangne grobe Plagiat zu verdecken. Herr Dühring hatte in der Tat alle Ursache, seine Leser zu warnen vor der Beschäftigung mit »dem Knäuel, welches von Herrn Marx Kapital genannt wird«, vor den Bastarden historischer und logischer Phantastik, den Hegelschen konfusen Nebelvorstellungen und Flausen usw. Die Venus, vor der dieser getreue Eckart die deutsche Jugend warnt, hatte er sich selbst zum eignen Gebrauch aus den Marxschen Gehegen im stillen in Sicherheit gebracht. Gratulieren wir ihm zu diesem durch die Ausnutzung der Marxschen Arbeitskraft erzielten Reinertrag und zu dem eigentümlichen Licht, den seine Annexion des Marxschen Mehrwerts unter dem Namen der Besitzrente auf die Motive seiner hartnäckigen, weil in zwei Auflagen wiederholten, falschen Behauptung wirft, als verstehe Marx unter Mehrwert nur den Profit oder Kapitalgewinn.
Und so müssen wir Herrn Dührings Leistungen schildern in Herrn Dührings Worten wie folgt:
»Nach der Ansicht des Herrn« Dühring »vertritt der Arbeitslohn nur die Bezahlung derjenigen Arbeitszeit, welche der Arbeiter wirklich für die Ermöglichung der eignen Existenz tätig ist. Hierzu genügt nur eine kleinere Anzahl Stunden; der ganze übrige Teil des oft langgedehnten Arbeitstags liefert einen Überschuß, in welchem die von unsern Autor so genannte« Besitzrente ... »enthalten ist. Abgesehn von der auf irgendeiner Stufe der Produktion bereits in den Arbeitsmitteln und relativen Rohstoffen enthaltenen Arbeitszeit, ist jener Überschuß des Arbeitstags der Anteil des kapitalistischen Unternehmers. Die Ausdehnung des Arbeitstags ist hiernach reiner Auspressungsgewinn zugunsten des Kapitalisten. Der giftige Haß, mit dem Herr« Dühring »diese Vorstellungsart des Ausbeutergeschäfts pflegt, ist nur zu begreiflich« ...
Weniger begreiflich dagegen ist, wie er nun wieder zu seinem »gewaltigeren Zorn« kommen will?
Bisher haben wir beim besten Willen nicht entdecken können, wie Herr Dühring dazu kommt, auf dem Gebiet der Ökonomie
»mit dem Anspruch auf ein neues, nicht etwa bloß der Epoche genügendes, sondern für die Epoche maßgebendes System aufzutreten«.
|205| Was wir aber bei der Gewaltstheorie, bei Wert und Kapital nicht zu sehn vermochten, vielleicht springt es uns sonnenklar in die Augen bei Betrachtung der von Herrn Dühring aufgestellten »Naturgesetze der Volkswirtschaft«. Denn, wie er sich mit gewohnter Neuheit und Schärfe ausdrückt,
»der Triumph der höhern Wissenschaftlichkeit besteht darin, über die bloßen Beschreibungen und Einteilungen des gleichsam ruhenden Stoffs zu den lebendigen, die Erzeugung beleuchtenden Einsichten zu gelangen. Die Erkenntnis der Gesetze ist daher die vollkommenste; denn sie zeigt uns, wie ein Vorgang durch den andern bedingt wird.«
Gleich das erste Naturgesetz aller Wirtschaft ist speziell von Herrn Dühring entdeckt worden.
Adam Smith »hat merkwürdigerweise den wichtigsten Faktor aller wirtschaftlichen Entwicklungen nicht bloß nicht an die Spitze gestellt, sondern auch dessen besondre Formulierung ganz unterlassen und auf diese Weise diejenige Macht, die der modernen europäischen Entwicklung ihren Stempel aufgedrückt hatte, unwillkürlich zu einer untergeordneten Rolle herabgewürdigt«. Dies »Grundgesetz, welches an die Spitze gestellt werden muß, ist dasjenige der technischen Ausrüstung, ja man könnte sagen der Bewaffnung der natürlich gegebnen Wirtschaftskraft des Menschen«.
Dies von Herrn Dühring entdeckte »Fundamentalgesetz« lautet wie folgt:
Gesetz Nr. 1. »Die Produktivität der wirtschaftlichen Mittel, Naturhülfsquellen und Menschenkraft, wird durch Erfindungen und Entdeckungen gesteigert.«
Wir staunen. Herr Dühring behandelt uns ganz wie jener Spaßvogel bei Molière den neugebacknen Adligen, dem er die Neuigkeit mitteilt, er habe sein ganzes Leben lang Prosa gesprochen, ohne es zu wissen. Daß Erfindungen und Entdeckungen in manchen Fällen die Produktivkraft der Arbeit steigern (in sehr vielen Fällen aber auch nicht, wie die massenhafte Archivmakulatur aller Patentämter der Welt beweist), das haben wir längst gewußt; daß diese uralte Trivialität aber das Fundamentalgesetz der ganzen Ökonomie ist - diese Aufklärung verdanken wir Herrn Dühring. Wenn »der Triumph der höheren Wissenschaftlichkeit« in der Ökonomie, wie in der Philosophie, nur darin besteht, dem ersten besten Gemeinplatz einen volltönenden Namen zu geben, ihn als ein Naturgesetz oder gar Fundamentalgesetz auszuposaunen, so ist das »tiefere Grundlegen« und Umwälzen der Wissenschaft in der Tat auch für jedermann, selbst für die Redaktion der Berliner »Volks-Zeitung« möglich gemacht. Wir wären dann »in aller Strenge« genötigt, Herrn Dührings Urteil über Plato auf Herrn Dühring selbst anzuwenden wie folgt:
|206| »Wenn indessen so etwas nationalökonomische Weisheit sein soll, so hat sie der Urheber der« kritischen Grundlegungen »mit jeder Person gemein, die überhaupt zu einem Gedanken« - ja sogar bloß zu einem Gerede - »über das auf der Hand Liegende Veranlassung erhielt.«
Wenn wir z.B. sagen: die Tiere fressen, so sprechen wir in unsrer Unschuld ein großes Wort gelassen aus; denn wir brauchen nur zu sagen, es sei das Fundamentalgesetz alles Tierlebens, zu fressen, und wir haben die ganze Zoologie umgewälzt.
Gesetz Nr. 2. Teilung der Arbeit: »Die Spaltung der Berufszweige und die Zerlegung der Tätigkeiten erhöht die Produktivität der Arbeit.«
Soweit dies richtig, ist es seit Adam Smith ebenfalls Gemeinplatz. Wie weit es richtig, wird sich im dritten Abschnitt zeigen.
Gesetz Nr. 3. »Entfernung und Transport sind die Hauptursachen, durch welche das Zusammenwirken der produktiven Kräfte gehemmt und gefördert wird.«
Gesetz Nr. 4. »Der Industriestaat hat unvergleichlich mehr Bevölkerungskapazität als der Ackerbaustaat.«
Gesetz Nr. 5. »In der Ökonomie geschieht nichts ohne ein materielles Interesse.«
Das sind die »Naturgesetze«, auf die Herr Dühring seine neue Ökonomie begründet. Er bleibt seiner, in der Philosophie schon dargestellten Methode treu. Ein paar, manchmal dazu noch schief ausgedrückte Selbstverständlichkeiten von trostlosester Landläufigkeit bilden die Axiome, die keines Beweises bedürfen, die Fundamentalsätze, die Naturgesetze auch der Ökonomie. Unter dem Vorwand, den Inhalt dieser Gesetze zu entwickeln, die keinen Inhalt haben, wird die Gelegenheit benutzt zu einer breiten ökonomischen Kannegießerei über die verschiednen Themata, deren Namen in diesen angeblichen Gesetzen vorkommen, also über Erfindungen, Teilung der Arbeit, Transportmittel, Bevölkerung, Interesse, Konkurrenz usw., einer Kannegießerei, deren platte Alltäglichkeit gewürzt wird nur durch orakelhafte Grandiloquenzen und hier und da durch schiefe Auffassung oder wichtigtuende Spintisierung über allerlei kasuistische Subtilitäten. Dann kommen wir schließlich auf Bodenrente, Kapitalgewinn und Arbeitslohn, und da wir im Vorhergehenden nur die beiden letztern Aneignungsformen behandelt, so wollen wir hier zum Schluß noch die Dühringsche Auffassung der Grundrente kurz untersuchen.
Wir lassen dabei alle Punkte unberücksichtigt, in denen Herr Dühring bloß seinen Vorgänger Carey abschreibt; wir haben es nicht mit Carey zu tun, auch nicht die Ricardosche Auffassung der Grundrente gegen Careys Verdrehungen und Torheiten zu verteidigen. Uns geht bloß Herr Dühring an, und dieser definiert die Grundrente als
|207| »dasjenige Einkommen, welches der Eigentümer als solcher vom Grund und Boden bezieht«.
Den ökonomischen Begriff der Grundrente, den Herr Dühring erklären soll, übersetzt er kurzerhand ins juristische, so daß wir nicht klüger sind als vorher. Unser tieferer Grundleger muß sich daher, wohl oder übel, zu weitern Erörterungen herbeilassen. Er vergleicht nun die Verpachtung eines Ackerguts an einen Pächter mit dem Ausleihen eines Kapitals an einen Unternehmer, findet aber bald, daß der Vergleich, wie mancher andre, hinkt.
Denn, sagt er, »wollte man die Analogie weiter verfolgen, so müßte der Gewinn, der dem Pächter nach Abzahlung der Bodenrente übrigbleibt, demjenigen Rest des Kapitalgewinns entsprechen, welcher dem Unternehmer, der mit dem Kapital wirtschaftet, nach Abzug der Zinsen zufällt. Man ist aber nicht gewohnt, die Pächtergewinne als die Haupteinkünfte und die Grundrente als einen Rest anzusehn. ... Ein Beweis für diese Verschiedenheit der Auffassung ist die Tatsache, daß man in der Lehre von der Bodenrente den Fall der Selbstbewirtschaftung nicht besonders auszeichnet, und auf die Größendifferenz einer in Form der Pacht und einer selbsterzeugten Rente kein sonderliches Gewicht legt. Wenigstens hat man sich nicht veranlaßt gefunden, die aus der Selbstbewirtschaftung hervorgehende Rente derartig zerlegt zu denken, daß der eine Bestandteil gleichsam den Zins des Grundstücks und der andre den Überschußgewinn des Unternehmertums repräsentierte. Abgesehn von dem eignen Kapital, welches der Pächter zur Anwendung bringt, scheint man seinen speziellen Gewinn, meistens für eine Art Arbeitslohn zu halten. Doch ist es bedenklich, hierüber etwas behaupten zu wollen, da man sich die Frage in dieser Bestimmtheit gar nicht vorgelegt hat. Überall wo es sich um größere Wirtschaften handelt, wird man mit Leichtigkeit einsehn können, daß es nicht angeht, den spezifischen Pächtergewinn als Arbeitslohn gelten zu lassen. Dieser Gewinn beruht nämlich selbst auf dem Gegensatz gegen die ländliche Arbeitskraft, deren Ausnutzung allein jene Einkünfteart möglich macht. Es ist offenbar ein Stück Rente, welches in den Händen des Pächters bleibt, und durch welches die volle Rente, die bei der Bewirtschaftung durch den Eigentümer erzielt werden würde, verkürzt wird.«
Die Theorie von der Bodenrente ist ein spezifisch englisches Stück Ökonomie und mußte es sein, weil nur in England eine Produktionsweise bestand, bei der die Rente sich auch tatsächlich von Profit und Zins abgesondert hatte. In England herrscht bekanntlich großer Grundbesitz und große Agrikultur. Die Grundeigentümer verpachten ihre Ländereien in großen, oft sehr großen Ackergütern an Pächter, die mit hinreichendem Kapital zu deren Bewirtschaftung versehen sind und nicht, wie unsre Bauern, selbst arbeiten, sondern als richtige kapitalistische Unternehmer die Arbeit von Hofgesinde und Taglöhnern verwenden. Hier haben wir |208| also die drei Klassen der bürgerlichen Gesellschaft und das einer jeden eigentümliche Einkommen: den Grundeigentümer, der die Grundrente, den Kapitalisten, der den Profit, und den Arbeiter, der den Arbeitslohn bezieht. Nie ist es einem englischen Ökonomen eingefallen, den Gewinn des Pächters, wie dies Herrn Dühring scheint, für eine Art Arbeitslohn zu halten; noch viel weniger konnte es für ihn bedenklich sein, zu behaupten, des Pächters Profit sei das, was er unbestreitbar, augenscheinlich und handgreiflich ist, nämlich Kapitalprofit. Es ist gradezu lächerlich, wenn es hier heißt, man habe sich die Frage, was der Pächtergewinn eigentlich sei, in dieser Bestimmtheit gar nicht vorgelegt. In England braucht man sich diese Frage gar nicht erst vorzulegen, die Frage wie die Antwort liegen seit lange vor in den Tatsachen selbst, und es hat darüber seit Adam Smith nie ein Zweifel bestanden.
Der Fall der Selbstbewirtschaftung, wie Herr Dühring es nennt, oder vielmehr der Bewirtschaftung durch Verwalter für Rechnung des Grundbesitzers, wie er in der Wirklichkeit in Deutschland sich mehrentells ereignet, ändert nichts an der Sache. Wenn der Grundbesitzer auch das Kapital liefert und für eigne Rechnung wirtschaften läßt, so steckt er außer der Grundrente noch den Kapitalprofit in die Tasche, wie das nach der heutigen Produktionsweise sich von selbst versteht und gar nicht anders sein kann. Und wenn Herr Dühring behauptet, man habe sich bisher nicht veranlaßt gefunden, die aus der Selbstbewirtschaftung hervorgehende Rente (soll heißen Revenue) zerlegt zu denken, so ist das einfach nicht wahr und beweist im besten Fall nur wieder seine eigne Unwissenheit. Zum Beispiel:
»Das Einkommen, das sich aus Arbeit herleitet, heißt Arbeitslohn; dasjenige, welches jemand aus der Anwendung von Kapital herleitet, heißt Profit ... das Einkommen, das ausschließlich aus dem Boden entspringt, wird Rente genannt und gehört dem Grundbesitzer. ... Wenn diese verschiednen Arten von Einkommen verschiednen Personen zufallen, sind sie leicht zu unterscheiden; fallen sie aber derselben Person zu, so werden sie wenigstens in der alltäglichen Sprache häufig durcheinandergeworfen. Ein Grundbesitzer, der einen Teil seines eignen Boden selbst bewirtschaftet, sollte nach Abzug der Bewirtschaftungskosten sowohl die Rente des Grundbesitzers wie den Profit des Pächters erhalten. |Hervorhebungen von Engels| Er wird aber leicht, in der gewöhnlichen Sprache wenigstens, seinen ganzen Gewinn Profit nennen und so die Rente mit dem Profit zusammenwerfen. Die Mehrzahl unsrer nordamerikanischen und westindischen Pflanzer sind in dieser Lage; die meisten bebauen ihre eignen Besitzungen, und so hören wir selten von der Rente einer Pflanzung, wohl aber von dem Profit, den sie abwirft ... Ein Gärtner, der seinen |209| eignen Garten eigenhändig bebaut, ist in einer Person Grundbesitzer, Pächter und Arbeiter. Sein Produkt sollte ihm daher die Rente des ersten, den Profit des zweiten und den Lohn des dritten zahlen. Das Ganze gilt aber gewöhnlich als sein Arbeitsverdienst; Rente und Profit werden hier also zusammengeworfen mit dem Arbeitslohn.«
Diese Stelle steht im 6. Kapitel des ersten Buchs von Adam Smith. Der Fall der Selbstbewirtschaftung ist also schon vor hundert Jahren untersucht, und die Bedenklichkeiten und Unsicherheiten, die Herrn Dühring hier soviel Kummer machen, entspringen lediglich aus seiner eignen Unwissenheit.
Zuletzt rettet er sich aus der Verlegenheit durch einen kühnen Griff:
Der Pächtergewinn beruht auf Ausbeutung der »ländlichen Arbeitskraft« und ist daher offenbar ein »Stück Rente«, um welches die »volle Rente«, die eigentlich in die Tasche des Grundbesitzers fließen sollte, »verkürzt wird«.
Hiermit erfahren wir zweierlei. Erstens, daß der Pächter die Rente des Grundbesitzers »verkürzt«, so daß also bei Herrn Dühring nicht, wie man sich bisher vorgestellt hatte, es der Pächter ist, welcher dem Grundbesitzer, sondern der Grundbesitzer, welcher dem Pächter Rente zahlt - allerdings eine »von Grund aus eigentümliche Anschauung«. Und zweitens erfahren wir endlich, was Herr Dühring sich unter Grundrente vorstellt; nämlich das ganze bei der Ausbeutung der ländlichen Arbeit im Ackerbau erzielte Mehrprodukt. Da dies Mehrprodukt aber in der bisherigen Ökonomie - einige Vulgärökonomen etwa ausgenommen - in Grundrente und Kapitalprofit zerfällt, so haben wir zu konstatieren, daß auch von der Grundrente Herr Dühring »nicht den gemeingültigen Begriff hegt«.
Also Grundrente und Kapitalgewinn unterscheiden sich nach Herrn Dühring nur dadurch, daß die erstere im Ackerbau erwirkt wird und der andre in der Industrie oder im Handel. Zu dieser unkritischen und verworrnen Vorstellungsweise gelangt Herr Dühring mit Notwendigkeit. Wir sahen, daß er von der »wahren historischen Auffassung« ausging, wonach die Herrschaft über den Boden nur vermittelst der Herrschaft über den Menschen begründet sei. Sobald also Boden vermittelst irgendeiner Form von Knechtsarbeit bebaut wird, entsteht ein Überschuß für den Grundherrn, und dieser Überschuß ist eben die Rente, wie der Überschuß des Arbeitsprodukts über den Arbeitsgewinn in der Industrie der Kapitalgewinn ist.
»Auf diese Weise ist klar, daß die Bodenrente zu jeder Zeit und überall da in erheblichem Maß existiert, wo die Ackerkultur vermittelst irgendeiner der Unterwerfungsformen der Arbeit betrieben wird.«
|210| Bei dieser Darstellung der Rente, als des gesamten beim Ackerbau erzielten Mehrprodukts, kommt ihm nun einerseits der englische Pächterprofit und andrerseits die von diesem entlehnte, in der ganzen klassischen Ökonomie gültige Teilung jenes Mehrprodukts in Grundrente und Pächterprofit, und damit die reine präzise Fassung der Rente, quer in den Weg. Was tut Herr Dühring? Er stellt sich, als kenne er von der Einteilung des Ackerbau-Mehrprodukts in Pächterprofit und Grundrente, also von der ganzen Rententheorie der klassischen Ökonomie kein Sterbenswörtchen; als sei in der gesamten Ökonomie die Frage, was der Pächterprofit eigentlich sei, noch gar nicht »in dieser Bestimmtheit« gestellt worden; als handle es sich um einen ganz unerforschten Gegenstand, über den nichts bekannt ist als Schein und Bedenklichkeiten. Und er flüchtet aus dem fatalen England, wo das Mehrprodukt des Ackerbaus ganz ohne Zutun irgendwelcher theoretischen Schule so erbarmungslos zerteilt ist in seine Bestandteile: Grundrente und Kapitalprofit, nach seinem vielgeliebten Geltungsbereich des preußischen Landrechts, wo die Selbstbewirtschaftung in voller patriarchalischer Blüte steht, wo »der Gutsbesitzer unter Rente die Einkünfte von seinen Grundstücken versteht« und die Ansicht der Herren Junker über die Rente noch mit dem Anspruch auftritt, für die Wissenschaft maßgebend zu sein, wo also Herr Dühring noch hoffen kann, mit seiner Begriffsverwirrung über Rente und Profit durchzuschlüpfen und sogar Glauben zu finden für seine neueste Entdeckung, daß die Grundrente gezahlt werde nicht vom Pächter an den Grundbesitzer, sondern vom Grundbesitzer an den Pächter.
Werfen wir schließlich noch einen Blick auf die »Kritische Geschichte der Nationalökonomie«, auf »dieses Unternehmen« des Herrn Dühring, daß, wie er sagt, »ganz ohne Vorgänger ist«. Vielleicht begegnen wir hier endlich der vielversprochenen letzten und strengsten Wissenschaftlichkeit.
Herr Dühring macht viel Aufhebens von dem Fund, daß
die »Wirtschaftslehre« eine »enorm moderne Erscheinung ist« (Seite 12).
in der Tat heißt's bei Marx im »Kapital«: »Die politische Ökonomie ... als eigne Wissenschaft, kommt erst, in der Manufakturperiode auf«, |siehe Karl Marx, »Das Kapital«, Bd. I, in: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 23, S. 386| und in: »Zur Kritik der Politischen Ökonomie«, Seite 29, daß »die klassische politische Ökonomie ... in England mit William Petty, in Frankreich mit |213| Boisguillebert beginnt, in England mit Ricardo, in Frankreich mit Sismondi abschließt |siehe Karl Marx, »Zur Kritik der Politischen Ökonomie«, in: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 13, S. 37|. Herr Dühring folgt diesem ihm vorgeschriebnen Gang, nur daß ihm die höhere Ökonomie erst beginnt mit den kläglichen Aborten, welche die bürgerliche Wissenschaft nach Ablauf ihrer klassischen Periode zutage gefördert hat. Dahingegen triumphiert er mit vollstem Recht am Schluß seiner Einleitung:
»Wenn aber schon dieses Unternehmen in seinen äußerlich wahrnehmbaren Eigentümlichkeiten und in der neuern Hälfte seines Inhalts ganz ohne Vorgänger ist, so gehört es mir noch viel mehr seinen innern kritischen Gesichtspunkten und seinem allgemeinen Standpunkt nach eigentümlich an« (Seite 9).
Er hätte in der Tat nach beiden, äußerlichen und innerlichen Seiten hin sein »Unternehmen« (der industrielle Ausdruck ist nicht übel gewählt) annoncieren können als: Der Einzige und sein Eigentum.
Da die politische Ökonomie, wie sie geschichtlich aufgetreten, in der Tat nichts ist als die wissenschaftliche Einsicht in die Ökonomie der kapitalistischen Produktionsperiode, so können darauf bezügliche Sätze und Theoreme, z.B. bei den Schriftstellern der alten griechischen Gesellschaft, nur soweit vorkommen, wie gewisse Erscheinungen: Warenproduktion, Handel, Geld, zinstragendes Kapital usw., beiden Gesellschaften gemeinsam sind. Soweit die Griechen gelegentliche Streifzüge in dies Gebiet machen, zeigen sie dieselbe Genialität und Originalität wie auf allen andern Gebieten. Ihre Anschauungen bilden daher geschichtlich die theoretischen Ausgangspunkte der modernen Wissenschaft. Hören wir nun den weltgeschichtlichen Herrn Dühring.
»Hiernach hätten wir in bezug auf wissenschaftliche Wirtschaftstheorie vom Altertum eigentlich gar nichts Positives zu berichten, und das gänzlich unwissenschaftliche Mittelalter bietet dazu« (dazu, nichts zu berichten!) »noch weit weniger Veranlassung. Da jedoch die den Schein der Gelehrsamkeit eitel zur Schau tragende Manier ... den reinen Charakter der modernen Wissenschaft verunziert hat, so müssen zur Notiznahme wenigstens einige Beispiele beigebracht werden.«
Und Herr Dühring bringt dann Beispiele einer Kritik bei, die sich in der Tat auch vom »Schein der Gelehrsamkeit« frei hält.
Des Aristoteles' Satz, daß
»zweifach ist der Gebrauch jedes Guts - der eine ist dem Ding als solchem eigen, der andre nicht, wie einer Sandale, zur Beschuhung zu dienen und austauschbar zu sein; beides sind Gebrauchsweisen der Sandale, denn auch, wer die Sandale gegen das ihm |214| Mangelnde, Geld oder Nahrung, austauscht, benutzt die Sandale als Sandale; aber nicht in ihrer natürlichen Gebrauchsweise, denn sie ist nicht des Austausches wegen da« -
dieser Satz ist nach Herrn Dühring »nicht nur in recht trivialer und verschulter Art ausgesprochen«. Sondern die, welche hierin eine »Unterscheidung zwischen Gebrauchswert und Tauschwert« finden, verfallen außerdem noch dem »Humor«, zu vergessen, daß »in allerjüngster Zeit« und »im Rahmen des am meisten fortgeschrittenen Systems«, natürlich dem des Herrn Dühring selbst, Gebrauchswert und Tauschwert alle geworden sind.
»In Platos Schriften über den Staat hat man ... auch das moderne Kapitel von der volkswirtschaftlichen Arbeitsteilung finden wollen.«
Dies soll wohl auf die Stelle im »Kapital«, Kapitel XII, 5, Seite 369 der dritten Auflage gehn, wo aber vielmehr umgekehrt die Ansicht des klassischen Altertums von der Teilung der Arbeit als im strengsten Gegensatz zu der modernen nachgewiesen wird |siehe Karl Marx, »Das Kapital«, Bd. I, in: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 23, S. 387/388|. - Nasenrümpfen und weiter nichts, von seiten Herrn Dührings, verdient Platos für seine Zeit geniale Darstellung der Teilung der Arbeit als naturwüchsiger Grundlage der Stadt (die für den Griechen identisch war mit dem Staat), und zwar, weil er nicht - wohl aber der Grieche Xenophon, Herr Dühring! - die »Grenze« erwähnt,
»welche der jeweilige Umfang des Markts für die weitere Verzweigung der Berufsarten und die technische Zerlegung der Spezialoperationen setzt - die Vorstellung von dieser Grenze ist erst diejenige Erkenntnis, mit welcher die sonst kaum wissenschaftlich zu nennende Idee zu einer ökonomisch erheblichen Wahrheit wird«.
Der von Herrn Dühring so sehr verschmähte »Professor« Roscher hat in der Tat diese »Grenze« gezogen, bei der die Idee der Teilung der Arbeit erst »wissenschaftlich« werden soll, und deshalb Adam Smith ausdrücklich zum Entdecker des Gesetzes der Teilung der Arbeit gemacht. In einer Gesellschaft, wo die Warenproduktion die herrschende Weise der Produktion ist, ist »der Markt« - um auch einmal in Herrn Dührings Manier zu reden - eine unter den »Geschäftsleuten« sehr bekannte »Grenze« gewesen. Es gehört aber mehr als »das Wissen und der Instinkt der Routine« dazu, um einzusehen, daß nicht der Markt die kapitalistische Teilung der Arbeit schuf, sondern umgekehrt die Zersetzung früherer gesellschaftlicher Zusammenhänge und die daraus erfolgende Teilung der Arbeit den Markt schufen. (Siehe »Kapital«, I, Kapitel XXIV, 5: Herstellung des innern Marktes für das industrielle Kapital. |Siehe Karl Marx, »Das Kapital«, Bd. I, in: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 23, S. 773/777|)
|215| »Die Rolle des Geldes ist zu allen Zeiten die erste Hauptanregung zu wirtschaftlichen (!) Gedanken gewesen. Was wußte aber ein Aristoteles von dieser Rolle? Offenbar nichts weiter, als was in der Vorstellung liegt, daß der Austausch durch Vermittlung des Geldes dem Naturalaustausch gefolgt sei.«
Wenn »ein« Aristoteles sich aber herausnimmt, die zwei verschiednen Zirkulationsformen des Geldes zu entdecken, die eine, worin es als bloßes Zirkulationsmittel, die andre, worin es als Geldkapital tätig ist,
so drückt er hiermit, nach Herrn Dühring, »nur eine moralische Antipathie aus«.
Wenn »ein« Aristoteles sich gar vermißt, das Geld in seiner »Rolle« als Wertmaß analysieren zu wollen, und in der Tat dies für die Lehre vom Gelde so entscheidende Problem richtig stellt, so schweigt »ein« Dühring, und zwar aus guten Geheimgründen, lieber ganz über solch unerlaubte Verwegenheit.
Schlußresultat: Im Spiegelbild der Dühringschen »Notiznahme« besitzt das griechische Altertum in der Tat nur »ganz gewöhnliche Ideen« (Seite 25), wenn derartige »Niaiserie« (Seite 19) überhaupt noch etwas mit Ideen, gewöhnlichen oder ungewöhnlichen, gemein hat.
Das Kapitel des Herrn Dühring über den Merkantilismus liest man besser im »Original«, das heißt bei F. List, »Nationales System«, Kapitel 29: »Das Industriesystem, von der Schule fälschlich Merkantilsystem genannt.« Wie sorgfältig auch hier Herr Dühring jeden »Schein der Gelehrsamkeit« zu vermeiden weiß, zeigt unter anderm folgendes:
List, Kapitel 28, »Die italienischen Nationalökonomen«, sagt:
»Allen modernen Nationen ist Italien vorausgegangen, wie in der Praxis, so in der Theorie der politischen Ökonomie«,
und erwähnt dann als
»das erste über politische Ökonomie insbesondere in Italien geschriebne Werk die Schrift von Antonio Serra aus Neapel über die Mittel, den Königreichen einen Überfluß an Gold und Silber zu verschaffen (1613).
Herr Dühring nimmt dies getrost an und kann demgemäß Serras »Breve trattato«
»als eine Art Inschrift am Eingang der neuern Vorgeschichte der Ökonomie betrachten«.
Auf dies »belletristische Mätzchen« beschränkt sich in der Tat seine Betrachtung des »Breve trattato«. Unglücklicherweise trug sich in der Wirklichkeit die Sache anders zu und erschien 1609, also vier Jahre vor dem »Breve trattato«, Thomas Muns »A Discurse of Trade etc.« Diese Schrift hat gleich in ihrer ersten Ausgabe die spezifische Bedeutung, daß sie gegen |216| das ursprüngliche, damals noch als Staatspraxis in England verteidigte Monetarsystem gerichtet ist, also die bewußte Selbstscheidung des Merkantilsystems von seinem Muttersystem darstellt. Bereits in ihrer ersten Form erlebte die Schrift mehrere Auflagen und übte direkten Einfluß auf die Gesetzgebung aus. In der vorn Verfasser gänzlich umgearbeiteten und nach seinem Tod erschienenen Auflage von 1664: »Englands Treasure etc.« blieb sie für weitere hundert Jahre merkantilistisches Evangelium. Hat der Merkantilismus also ein epochemachendes Werk »als eine Art Inschrift am Eingang« so ist es dieses, und eben darum existiert es ganz und gar nicht für Herrn Dührings »die Rangverhältnisse sehr sorgfältig beobachtende Geschichte«.
Von dem Begründer der modernen politischen Ökonomie, Petty, teilt Herr Dühring uns mit, daß er
»ein ziemliches Maß leichtfertiger Denkungsart« besaß, ferner »Abwesenheit des Sinnes für die innern und feinern Unterscheidungen der Begriffe« ... eine »Versatilität, die vieles kennt, aber von dem einen zum andern leichten Fußes übergeht, ohne in irgendeinem Gedanken tieferer Art Wurzel zu schlagen« ... er »verfährt in volkswirtschaftlicher Beziehung noch sehr roh« und »gelangt zu Naivetäten, deren Kontrast ... den ernsteren Denker auch wohl einmal unterhalten kann«.
Welche nicht zu überschätzende Herablassung also, wenn der »ernstere Denker« Herr Dühring überhaupt von »einem Petty« Notiz zu nehmen geruht! Und wie nimmt er von ihm Notiz?
Pettys Sätze über
»die Arbeit und sogar die Arbeitszeit als Wertmaß, wovon sich bei ihm ... unvollkommne Spuren vorfinden«,
werden außer in diesem Satz gar nicht weiter erwähnt. Unvollkommne Spuren. In seinem »Treatise on Taxes and Contributions« (erste Ausgabe 1662) gibt Petty eine vollkommen klare und richtige Analyse der Wertgröße der Waren. Indem er sie zunächst veranschaulicht an dem Gleichwert von edlen Metallen und Korn, welche gleich viel Arbeit kosten, sagt er das erste und letzte »theoretische« Wort über den Wert der edlen Metalle. Aber er spricht auch bestimmt und allgemein aus, daß die Warenwerte durch gleiche Arbeit (equal labour) gemessen werden. Er wendet seine Entdeckung auf die Lösung verschiedner, zum Teil sehr verwickelter Probleme an, und zieht stellenweis bei verschiednen Gelegenheiten und in verschiednen Schriften, auch wo der Hauptsatz nicht wiederholt wird, wichtige Konsequenzen aus demselben. Aber er sagt auch gleich in seiner ersten Schrift:
|217| »Dies« (die Schätzung durch gleiche Arbeit) »behaupte ich, ist die Grundlage der Ausgleichung und Abwägung der Werte |Hervorhebung von Marx|; jedoch in dem Überbau und der praktischen Anwendung davon, gestehe ich, gibt es viel Mannigfaltiges und Verwickeltes.«
Petty ist sich also ebensosehr der Wichtigkeit seines Fundes bewußt, wie der Schwierigkeit seiner Detailausnutzung. Er versucht daher auch einen andern Weg zu gewissen Detailzwecken.
Es soll nämlich ein natürliches Gleichheitsverhältnis (a natural Par) zwischen Boden und Arbeit gefunden werden, so daß man den Wert beliebig »in jedem der beiden oder noch besser in beiden« ausdrücken kann.
Der Irrweg selbst ist genial.
Herr Dühring macht zu Pettys Werttheorie die scharfgedachte Bemerkung:
»Hätte er selbst schärfer gedacht, so würde es gar nicht möglich sein, daß sich an andern Orten Spuren einer entgegengesetzten Auffassung vorfänden, an welche schon vorher erinnert worden«;
das heißt wovon »vorher« nichts erwähnt worden ist, außer daß die »Spuren« - »unvollkommen« sind. Es ist dies eine sehr charakteristische Manier des Herrn Dühring, »vorher« auf etwas mit einer inhaltslosen Phrase anzuspielen, um »hinterher« den Leser glauben zu machen, er habe schon »vorher« Kenntnis von der Hauptsache erhalten, über die besagter Verfasser tatsächlich vorher und hinterher hinwegschlüpft.
Nun finden sich bei Adam Smith nicht nur »Spuren« von »entgegengesetzten Auffassungen« über den Wertbegriff, und nicht nur zwei, sondern sogar drei, und ganz genau genommen, sogar vier kraß entgegengesetzte Ansichten über den Wert, die gemütlich neben- und untereinanderlaufen. Was aber naturgemäß bei dem Grundleger der politischen Ökonomie, der notwendig tastet, experimentiert, mit einem erst sich gestaltenden Ideenchaos ringt, das kann befremdlich erscheinen bei einem Schriftsteller, der mehr als anderthalbhundertjährige Forschungen sichtend zusammenfaßt, nachdem deren Resultate aus den Büchern zum Teil schon in das allgemeine Bewußtsein übergegangen sind. Und, um vom Großen aufs Kleine zu kommen: wie wir sahen, gibt uns Herr Dühring selbst ebenfalls fünf verschiedne Arten von Wert zur gefälligen Auswahl, und mit ihnen ebensoviel entgegengesetzte Auffassungen. Allerdings, »hätte er selbst schärfer gedacht«, so würde er nicht soviel Mühe gebraucht haben, seine |218| Leser aus der vollkommen klaren Pettyschen Auffassung des Werts zurückzuwerfen in die äußerste Konfusion.
Eine ganz abgerundete, aus einem Stück gegossene Arbeit Pettys ist sein »Quantulumcunque concerning Money«, 1682 publiziert, zehn Jahre nach seiner »Anatomy of Ireland« (diese erschien »zuerst« 1672 und nicht 1691, wie Herr Dühring den »gangbarsten Lehrbuchkompilationen« nach schreibt). Die letzten Spuren merkantilistischer Anschauungen, die man in andern Schriften von ihm antrifft, sind hier völlig verschwunden. Es ist ein kleines Meisterwerk nach Inhalt und Form und figuriert eben deswegen auch nicht einmal dem Namen nach bei Herrn Dühring. Es ist ganz in der Ordnung, daß gegenüber dem genialsten und originellsten ökonomischen Forscher eine gespreizte schulmeisterliche Mittelmäßigkeit nur ihr knurriges Mißvergnügen kundtun, nur Ärgernis daran nehmen kann, daß die theoretischen Lichtfunken nicht in Reih und Glied als fertige »Axiome« einherstolzieren, vielmehr zerstreut aus der Vertiefung »rohen« praktischen Materials, z.B. der Steuern, hervorspringen.
Wie mit Pettys eigentlich ökonomischen Arbeiten, verfährt Herr Dühring mit dessen Gründung der »Politischen Arithmetik«, vulgo Statistik. Hämisches Achselzucken über die Absonderlichkeit der von Petty angewandten Methoden! Angesichts der grotesken Methoden, die selbst Lavoisier noch hundert Jahre später auf diesem Gebiet anwandte, angesichts des großen Abstands noch der heutigen Statistik von dem Ziel, das Petty ihr in gewaltigen Zügen vorgezeichnet hatte, erscheint solch selbstgefälliges Besserwissen, zwei Jahrhunderte post festum, in unverblümter Albernheit.
Die bedeutendsten Ideen Pettys, wovon in dem »Unternehmen« des Herrn Dühring blutwenig bemerkbar, sind nach letzterem nur lose Einfälle, Gedankenzufälligkeiten, gelegentliche Äußerungen, denen man erst in unsrer Zeit vermittelst aus dem Zusammenhang herausgerissener Zitate eine ihnen an und für sich gar nicht innewohnende Bedeutung verleiht, die also auch in der wirklichen Geschichte der politischen Ökonomie keine Rolle spielen, sondern nur in modernen Büchern unterhalb des Niveaus der wurzelhaften Kritik und der »Geschichtschreibung großen Stils« des Herrn Dühring. Er scheint bei seinem »Unternehmen« einen köhlergläubigen Kreis von Lesern im Auge gehabt zu haben, der sich beileibe nicht untersteht, die Probe auf die Behauptung zu verlangen. Wir kommen gleich hierauf zurück (bei Locke und North), müssen aber zunächst im Vorübergehn Boisguillebert und Law uns ansehn.
Mit Bezug auf erstern heben wir den einzigen Herrn Dühring gehörigen Fund heraus. Er hat einen früher vermißten Zusammenhang zwischen |219| Boisguillebert und Law entdeckt. Boisguillebert behauptet nämlich, die edlen Metalle könnten in den normalen Geldfunktionen, die sie innerhalb der Warenzirkulation {4} vollziehn, durch Kreditgeld (un morceau de papier) ersetzt werden. Law dagegen bildet sich ein, eine beliebige »Vermehrung« dieser »Papierstückchen« vermehre den Reichtum einer Nation. Daraus folgt für Herrn Dühring, daß Boisguilleberts
»Wendung schon eine neue Wendung des Merkantilismus in sich barg« -
mit andern Worten schon den Law. Dies wird folgendermaßen sonnenklar bewiesen:
»Es kam nur darauf an, den 'einfachen Papierstückchen' dieselbe Rolle anzuweisen, welche die edlen Metalle hatten spielen sollen, und es war hiermit sofort eine Metamorphose des Merkantilismus vollzogen.«
In derselben Weise kann man sofort die Metamorphose von Onkel in Tante vollziehn. Zwar setzt Herr Dühring beschwichtigend hinzu:
»Allerdings hatte Boisguillebert nicht eine solche Absicht.«
Aber, ins Teufels Namen, wie konnte er die Absicht haben, seine eigne rationalistische Anschauung von der Geldrolle der edlen Metalle deshalb durch die abergläubische der Merkantilisten zu ersetzen, weil nach ihm die edlen Metalle in jener Rolle durch Papier ersetzbar sind?
Doch, fährt Herr Dühring in seiner ernsten Komik fort,
»doch mag immerhin zugestanden werden, daß unserm Autor hier und da eine wirklich treffende Bemerkung gelungen ist« (Seite 83).
Mit Bezug auf Law gelingt Herrn Dühring nur die »wirklich treffende Bemerkung«:
»auch Law hat die letztere Grundlage« (nämlich »die Basis der edlen Metalle«) «begreiflicherweise nie ganz und gar ausmerzen können, aber er hat die Zettelausgabe bis aufs äußerste, das heißt bis zum Zusammenbruch des Systems getrieben« (Seite 94).
in der Wirklichkeit aber sollten die Papierschmetterlinge, bloße Geldzeichen, im Publikum herumflattern, nicht um die Edelmetallbasis »auszumerzen«, sondern um sie aus den Taschen des Publikums in die verödeten Staatskassen hineinzulocken.
Um wieder auf Petty zu kommen und die unansehnliche Rolle, welche Herr Dühring ihn in der Geschichte der Ökonomie spielen läßt, wollen |220| wir zuerst hören, was uns über Pettys nächste Nachfolger mitgeteilt wird, Locke und North. In demselben Jahr, 1691, erschienen Lockes »Considerations on Lowering of Interest and Raising of Money« und Norths »Discourses upon Trade«.
»Was er« (Locke) »über Zins und Münze schrieb, tritt nicht aus dem Rahmen der Reflexionen, wie sie unter der Herrschaft des Merkantilismus in Anlehnung an die Vorkommnisse des Staatslebens üblich waren« (Seite 64).
Dem Leser dieser »Berichterstattung« muß nun sonnenklar werden, warum Lockes »Lowering of Interest« in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts so bedeutenden Einfluß auf die politische Ökonomie in Frankreich und Italien gewann, und zwar nach verschiedner Richtung hin.
»Über die Freiheit des Zinsfußes hatte mancher Geschäftsmann ähnlich gedacht« (wie Locke), »und auch die Entwicklung der Verhältnisse brachte die Neigung mit sich, die Zinshemmungen als unwirksam zu betrachten. In einer Zeit, wo ein Dudley North seine 'Discourses upon Trade' in der Richtung auf Freihandel schreiben konnte, mußte bereits vieles gleichsam in der Luft liegen, was die theoretische Opposition gegen Zinsbeschränkungen nicht als etwas Unerhörtes erscheinen ließ« (Seite 64).
Also Locke hatte die Gedanken dieses oder jenes gleichzeitigen »Geschäftsmanns« nachzudenken, oder aber vieles zu seiner Zeit »gleichsam in der Luft liegende« aufzuschnappen, um über Zinsfreiheit zu theoretisieren und nichts »Unerhörtes« zu sagen! In der Tat aber stellte Petty schon 1662 in seinem »Treatise on Taxes and Contributions« den Zins als Geldrente, die wir Wucher nennen (rent of money which we call usury), der Boden- und Grundrente (rent of land and houses) gegenüber, und dozierte den Grundherren, die zwar nicht die Bodenrente, wohl aber die Geldrente gesetzlich niedermaßregeln wollten, die Eitelkeit und Fruchtlosigkeit, bürgerliche, positive Gesetze zu machen gegen das Gesetz der Natur (the vanity and fruitlessness of making civil positive law against the law of nature). In seinem »Quantulumcunque« (1682) erklärt er daher die gesetzliche Zinsregulation für ebenso albern, wie eine Regulation der Ausfuhr der edlen Metalle oder des Wechselkurses. In derselben Schrift sagt er das ein für allemal Maßgebende über raising of money (der Versuch, z.B. 1/2 Schilling den Namen von 1 Schilling zu geben, indem man die Unze Silber in doppelt so viele Schillinge ausprägt).
Mit Bezug auf letztern Punkt wird er fast nur kopiert von Locke und North. Mit Bezug auf den Zins aber knüpft Locke an Pettys Parallele von Geldzins und Bodenrente an, während North weitergehend den Zins als Kapitalrente (rent of stock) der Bodenrente und die Stocklords den Land- |221| lords gegenüberstellt. Während Locke aber die von Petty geforderte Zinsfreiheit nur mit Beschränkungen, nimmt North sie absolut.
Herr Dühring übertrifft sich selbst, wenn er, selbst noch bittrer Merkantilist im »subtileren« Sinn, Dudley Norths »Discourses upon Trade« mit der Bemerkung abfertigt, sie seien »in der Richtung auf Freihandel« geschrieben. Es ist, als sagte man von Harvey, er habe »in der Richtung« auf die Blutzirkulation geschrieben. Norths Schrift - von ihren sonstigen Verdiensten abgesehn - ist eine klassische, mit rücksichtsloser Konsequenz geschriebne Auseinandersetzung der Freihandelslehre, sowohl was äußern wie innern Verkehr betrifft, im Jahr 1691 allerdings »etwas Unerhörtes«!
Im übrigen berichtet Herr Dühring, daß
North ein »Händler«, dazu ein schlechter Kerl war, und daß seine Schrift »keinen Beifall zu finden vermocht«.
Das hätte noch gefehlt, daß eine solche Schrift zur Zeit des endgültigen Siegs des Schutzzollsystems in England »Beifall« gefunden hätte beim tonangebenden Janhagel! Dies hinderte jedoch nicht ihre sofortige theoretische Wirkung, die in einer ganzen Reihe unmittelbar nach ihr, teils noch im 17. Jahrhundert, in England erschienener ökonomischer Schriften nachweisbar ist.
Locke und North lieferten uns den Beweis, wie die ersten kühnen Griffe, die Petty fast in allen Sphären der politischen Ökonomie tat, von seinen englischen Nachfolgern einzeln aufgenommen und weiterverarbeitet wurden. Die Spuren dieses Prozesses während der Periode 1691 bis 1752 drängen sich dem oberflächlichsten Beobachter schon dadurch auf, daß alle ihr angehörigen, bedeutenderen ökonomischen Schriften, positiv oder negativ, an Petty anknüpfen. Diese Periode, voll origineller Köpfe, ist daher für die Erforschung der allmählichen Genesis der politischen Ökonomie die bedeutendste. Die »Geschichtszeichnung großen Stils«, die es Marx als unverzeihliche Sünde ankreidet, daß im »Kapital« von Petty und den Schriftstellern jener Periode soviel Aufhebens gemacht wird, streicht sie einfach aus der Geschichte aus. Von Locke, North, Boisguillebert und Law springt sie sofort zu den Physiokraten über, und dann erscheint am Eingang des wirklichen Tempels der politischen Ökonomie - David Hume. Mit Erlaubnis des Herrn Dühring stellen wir die chronologische Ordnung wieder her und damit Hume vor die Physiokraten.
Humes ökonomische »Essays« erschienen 1752. In den zusammengehörigen Essays: »Of Money«, »Of the Balance of Trade«, »Of Commerce« folgt Hume Schritt für Schritt, oft sogar in bloßen Schrullen, Jacob Vander- |222| lints: »Money answers all things«, London 1734, So unbekannt dieser Vanderlint auch Herrn Dühring geblieben sein mag, so wird er doch noch in englischen ökonomischen Schriften gegen Ende des 18. Jahrhunderts, das heißt in der nach-Smithschen Zeit, berücksichtigt.
Wie Vanderlint behandelt Hume das Geld als bloßes Wertzeichen; er kopiert fast wörtlich (und dies ist wichtig, da er die Wertzeichentheorie aus vielen andern Schriften hätte entnehmen können) aus Vanderlint, warum die Handelsbilanz nicht beständig gegen oder für ein Land sein kann; er lehrt, wie Vanderlint, das Gleichgewicht der Bilanzen, das sich natürlich, den verschiednen ökonomischen Positionen der einzelnen Länder gemäß, herstelle; er predigt, wie Vanderlint, den Freihandel, nur weniger kühn und konsequent; er hebt mit Vanderlint, nur flacher, die Bedürfnisse als Treiber der Produktion hervor; er folgt Vanderlint in dem irrigen Einfluß auf die Warenpreise, den er dem Bankgeld und sämtlichen öffentlichen Wertpapieren zuschreibt; er verwirft mit Vanderlint das Kreditgeld; wie Vanderlint macht er die Warenpreise abhängig vom Preis der Arbeit, also vom Arbeitslohn; er kopiert ihm sogar die Schrulle, daß Schatzansammlung die Warenpreise niedrig halte usw. usw.
Herr Dühring hatte schon lange orakelhaft gemunkelt von dem Mißverständnis andrer über die Humesche Geldtheorie, und namentlich bedrohsam hingewiesen auf Marx, der zudem im »Kapital« in polizeiwidriger Weise auf die Geheimzusammenhänge Humes mit Vanderlint und dem noch zu erwähnenden J. Massie |Siehe Karl Marx, »Das Kapital«, Bd. I, in: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 23, S. 137 und 537/538| hingewiesen hatte.
Mit diesem Mißverständnis verhält es sich wie folgt. Was die wirkliche Geldtheorie Humes angeht, wonach das Geld bloß Wertzeichen ist, und deshalb, unter sonst gleichbleibenden Umständen, die Warenpreise sinken {5} im Verhältnis, wie die zirkulierende Geldmenge wächst, und steigen im Verhältnis, wie sie fällt, so kann Herr Dühring beim besten Willen - ob auch in der ihm eignen lichtvollen Weise - nur seinen irrtümlichen Vorgängern nachreden. Hume aber, nachdem er besagte Theorie aufgestellt, wirft sich selbst ein (dasselbe hatte schon Montesquieu, von denselben Voraussetzungen ausgehend, getan),
es doch »gewiß«, daß seit der Entdeckung der amerikanischen Bergwerke »die Industrie bei allen Nationen Europas, außer bei den Besitzern dieser Bergwerke, gewachsen«, und daß dies »unter andern Gründen auch dem Zuwachs von Gold und Silber geschuldet sei«.
|223| Er erklärt dies Phänomen daraus, daß,
»obgleich der hohe Preis der Waren eine notwendige Folge des Zuwachses von Gold und Silber sei, er jedoch nicht unmittelbar auf diesen Zuwachs folge, sondern einige Zeit erheischt sei, bis das Geld durch den ganzen Staat zirkuliert und seine Wirkungen auf alle Volkskreise geltend macht«. In dieser Zwischenzeit wirke es wohltätig auf Industrie und Handel.
Am Schluß dieser Auseinandersetzung sagt uns Hume auch, warum, obgleich viel einseitiger als manche seiner Vorgänger und Zeitgenossen:
»Es ist leicht, das Geld im Fortschritt durch das ganze Gemeinwesen zu verfolgen, und da werden wir finden, daß es den Fleiß jedermanns anspornen muß, bevor es den Preis der Arbeit erhöht |Hervorhebung von Marx|.«
In andern Worten: Hume beschreibt hier die Wirkung einer Revolution im Wert der edlen Metalle, und zwar einer Depreziation oder, was dasselbe ist, einer Revolution im Wertmaß der edlen Metalle. Er findet richtig heraus, daß diese Depreziation, bei der nur allmählich vorgehenden Ausgleichung der Warenpreise, erst in letzter Instanz »den Preis der Arbeit erhöht«, vulgo den Arbeitslohn; also auf Kosten der Arbeiter (was er jedoch ganz in der Ordnung findet) den Profit der Kaufleute und Gewerbetreibenden vermehrt und so »den Fleiß anspornen«. Die eigentliche wissenschaftliche Frage aber: ob und wie eine vermehrte Zufuhr der edlen Metalle, bei gleichbleibendem Wert derselben, auf die Warenpreise wirkt - diese Frage stellt er sich nicht und wirft jede »Vermehrung der edlen Metalle« mit ihrer Depreziation zusammen. Hume tut also ganz genau, was Marx »Zur Kritik etc.«, Seite 173 |Siehe Karl Marx: »Kritik der politischen Ökonomie«, in: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 13, S. 135-136| ihn tun läßt. Wir kommen noch einmal vorübergehend auf diesen Punkt zurück, wenden uns vorher aber zu Humes Essay über »Interest«.
Humes ausdrücklich gegen Locke gerichtete Nachweisung, daß der Zins nicht durch die Masse des vorhandnen Geldes reguliert werde, sondern durch die Profitrate, und seine übrigen Aufklärungen über die Ursachen, welche Höhe oder Niedrigkeit des Zinsfußes bestimmen - alles dies findet sich viel exakter und weniger geistreich in einer 1750, zwei Jahre vor Humes Essay erschienenen Schrift: »An Essay on the Governing Causes of the Natural Rate of Interest, wherein the sentiments of Sir W. Petty and Mr. Locke, on that head, are considered.« Ihr Verfasser ist J. Massie, ein nach verschiednen Seiten hin rühriger und, wie aus der gleichzeitigen englischen Literatur ersichtbar, vielgelesener Schriftsteller. Adam Smiths |224| Erörterung des Zinsfußes steht Massie näher als Hume. Beide, Massie und Hume, wissen und sagen nichts über die Natur des »Profits«, der bei beiden eine Rolle spielt.
»Überhaupt«, kanzelredet Herr Dühring, »ist man in der Würdigung Humes meist sehr befangen verfahren und hat ihm Ideen unterlegt, die er gar nicht hegte.«
Und von diesem »Verfahren« gibt uns Herr Dühring selbst mehr als ein schlagendes Beispiel.
So z.B. fängt Humes Essay über den Zins an mit den Worten:
»Nichts gilt als ein gewisseres Zeichen des blühenden Zustands eines Volks als die Niedrigkeit des Zinsfußes, und mit Recht; obwohl ich glaube, daß die Ursache davon eine etwas andre ist, als man gewöhnlich annimmt.«
Also gleich im ersten Satz führt Hume die Ansicht, daß Niedrigkeit des Zinsfußes das sicherste Zeichen der blühenden Lage eines Volkes sei, an als einen in seinen Tagen bereits trivial gewordnen Gemeinplatz. Und in der Tat hatte diese »Idee« seit Child volle hundert Jahre Zeit gehabt, straßenläufig zu werden. Dahingegen:
»Aus den Ansichten« (Humes) »über den Zinsfuß ist hauptsächlich die Idee hervorzuheben, daß er der wahre Barometer der Zustände« (welcher?) »und seine Niedrigkeit ein fast untrügliches Zeichen der Blüte eines Volks sei« (S. 130).
Wer ist das »befangne« und eingefangne »man«, das so spricht? Niemand anders als Herr Dühring.
Was im übrigen eine naive Verwunderung unsres kritischen Geschichtschreibers erregt, ist, daß Hume bei Anlaß einer gewissen glücklichen Idee »sich nicht einmal für deren Urheber ausgibt«. Das wäre Herrn Dühring nicht passiert.
Wir haben gesehn, wie Hume jede Vermehrung des edlen Metalls zusammenwirft mit jener Vermehrung desselben, die begleitet ist von einer Depreziation, einer Revolution in ihrem eignen Wert, also im Wertmaß der Waren. Diese Verwechslung war bei Hume unvermeidlich, weil er nicht die allergeringste Einsicht in die Funktion der edlen Metalle als Wertmaß hatte. Er konnte sie nicht haben, weil er absolut nichts vom Wert selbst wußte. Das Wort selbst erscheint vielleicht nur einmal in seinen Aufsätzen, und zwar wo er Lockes Irrtum, die edlen Metalle hätten »einen nur eingebildeten Wert», weiter dahin verballhornt, sie hätten »hauptsächlich einen fiktiven Wert«.
Er steht hier tief, nicht nur unter Petty, sondern auch unter manchem seiner englischen Zeitgenossen. Er zeigt dieselbe »Rückständigkeit«, wenn |225| er noch immer in altmodischer Weise den »Kaufmann« als die erste Triebfeder der Produktion feiert, worüber schon Petty längst hinaus war. Was gar Herrn Dührings Versicherung betrifft, Hume habe sich in seinen Aufsätzen mit den »wirtschaftlichen Hauptverhältnissen« beschäftigt, so vergleiche man auch nur die von Adam Smith zitierte Schrift Cantillons (erschienen wie Humes Aufsätze 1752, aber viele Jahre nach dem Tod des Verfassers), um über den engen Umkreis der Humeschen ökonomischen Arbeiten zu staunen. Hume, wie gesagt {6}, bleibt trotz des ihm von Herrn Dühring ausgestellten Patents, auch im Gebiet der Politischen Ökonomie respektabel, aber er ist hier nichts weniger als ein origineller Forscher und noch viel minder epochemachend. Die Wirkung seiner ökonomischen Aufsätze auf die gebildeten Kreise seiner Zeit entsprang nicht bloß aus der vorzüglichen Darstellungsweise, sondern weit mehr noch daher, daß sie eine fortschrittlich-optimistische Verherrlichung der damals aufblühenden Industrie und des Handels, mit andern Worten, der damals in England rasch emporstrebenden kapitalistischen Gesellschaft waren, bei der sie daher »Beifall« finden mußten. Ein Fingerzeig genüge hier. Jedermann weiß, wie leidenschaftlich grade zu Humes Zeit das von dem berüchtigten Robert Walpole planmäßig zur Entlastung der Grundeigentümer, und Reichen überhaupt, ausgebeutete System der indirekten Steuern von der englischen Volksmasse bekämpft wurde. In seinem Essay über Steuern (»Of Taxes«), wo Hume, ohne ihn zu nennen, gegen seinen ihm stets gegenwärtigen Gewährsmann Vanderlint polemisiert, den heftigsten Gegner der indirekten Steuern und den entschiedensten Vorkämpfer der Grundbesteuerung, heißt es:
»Sie« (die Konsumtionssteuern) »müssen in der Tat sehr starke Steuern und sehr unvernünftig aufgelegt sein, wenn sie der Arbeiter nicht selbst durch erhöhten Fleiß und Sparsamkeit zu zahlen imstande sein sollte, ohne den Preis seiner Arbeit zu erhöhen«.|Hervorhebungen von Marx|
Man glaubt hier Robert Walpole selbst zu hören, namentlich wenn man noch die Stelle hinzunimmt, im Essay über »öffentlichen Kredit«, wo mit Bezug auf die Schwierigkeit einer Besteuerung der Staatsgläubiger gesagt wird:
|226| »Die Verminderung ihres Einkommens würde nicht verkleidet werden unter dem Schein, ein bloßer Posten der Akzise oder der Zölle zu sein« |Hervorhebung von Marx|.
Wie nicht anders bei einem Schotten zu erwarten, war Humes Bewunderung des bürgerlichen Erwerbs keineswegs rein platonisch. Armer Teufel von Haus aus, brachte er es zu einer sehr, sehr schwer tausendpfündigen jährlichen Einnahme, was Herr Dühring, da es sich hier nicht um Petty handelt, sinnig so ausdrückt:
»Er war durch eine gute Privatökonomie auf der Grundlage sehr geringer Mittel dahin gelangt, niemand zu Gefallen schreiben zu müssen.«
Wenn Herr Dühring ferner sagt:
»Er hatte nie dem Einfluß der Parteien, der Fürsten oder der Universitäten das geringste Zugeständnis gemacht«,
so ist zwar nicht bekannt, daß Hume je mit einem »Wagener« literarische Kompaniegeschäfte gemacht, wohl aber, daß er ein unverdrossener Parteigänger der Whig-Oligarchie war, die »Kirche und Staat« hochhielt, und zum Lohn für dies Verdienst erst den Posten eines Gesandtschaftssekretärs zu Paris bekam, und später den ungleich wichtigern und einträglichern eines Unterstaatssekretärs.
»In politischer Hinsicht war und blieb Hume stets konservativ und streng monarchisch gesinnt. Er wurde daher auch von den Anhängern des bestehenden Kirchentums nicht so arg verketzert als Gibbon«,
sagt der alte Schlosser.
»Dieser selbstische Hume, dieser Geschichtslügner«, schilt die englischen Mönche fett, ehe- und familienlos, vom Bettel lebend, »aber er hat nie eine Familie oder ein Weib gehabt und war selbst ein großer fetter Bursche, in beträchtlichem Umfang gemästet von öffentlichem Geld, ohne es je durch irgendwelchen wirklichen öffentlichen Dienst verdient zu haben«, sagt der »roh« plebejische Cobbett. Hume hat »in der praktischen Behandlung des Lebens in wesentlichen Richtungen vor einem Kant sehr viel voraus«,
sagt Herr Dühring.
Warum aber wird Hume in der »Kritischen Geschichte« eine so übertriebne Stellung angewiesen? Einfach weil dieser »ernste und subtile Denker« die Ehre hat, den Dühring des 18. Jahrhunderts vorzustellen. Wie ein Hume zum Beweise dient, daß
»die Schöpfung des ganzen Wissenschaftszweiges« (der Ökonomie) »eine Tat der erleuchteteren Philosophie gewesen ist«,
|227| so liegt in der Vorläuferschaft Humes die beste Gewähr dafür, daß dieser ganze Wissenschaftszweig seinen zunächst absehbaren Abschluß finden wird in jenem phänomenalen Mann, der die bloß »erleuchtetere« Philosophie umgeschaffen hat in die absolut lichtvolle Wirklichkeitsphilosophie, und bei dem sich, ganz wie bei Hume, und was
»auf deutschem Boden bisher ohne Beispiel ... die Pflege der Philosophie im engern Sinn mit wissenschaftlichen Bemühungen um die Volkswirtschaft gepaart findet«.
Wir finden demgemäß den als Ökonomen immerhin respektablen Hume aufgebläht zu einem ökonomischen Stern erster Größe, dessen Bedeutung bisher nur derselbe Neid verkennen konnte, der auch Herrn Dührings »für die Epoche maßgebende« Leistungen bisher so hartnäckig totschweigt.
*
Die physiokratische Schule hat uns bekanntlich in Quesnays »ökonomischem Tableau« ein Rätsel hinterlassen, an dem die bisherigen Kritiker und Geschichtschreiber der Ökonomie sich umsonst die Zähne ausgebissen haben. Dies Tableau, das die physiokratische Vorstellung von der Produktion und Zirkulation des Gesamtreichtums eines Landes klar zur Anschauung bringen sollte, blieb für die ökonomische Nachwelt dunkel genug. Herr Dühring wird uns auch hier das endgültige Licht aufstecken.
Was dies »ökonomische Abbild der Verhältnisse der Produktion und Verteilung bei Quesnay selbst zu bedeuten habe«, sagt er, lasse sich nur angeben, wenn man »zuvor die ihm eigentümlichen leitenden Begriffe genau untersucht hat«. Und zwar um so mehr, als diese bisher nur mit einer »schwankenden Unbestimmtheit« dargestellt und selbst bei Adam Smith ihre »wesentlichen Züge nicht zu erkennen« seien.
Solcher herkömmlichen »leichtfertigen Berichterstattung« wird nun Herr Dühring ein für allemal ein Ende machen. Und nun hält er seinen Leser durch volle fünf Seiten zum besten, fünf Seiten, auf denen allerlei gespreizte Wendungen, stete Wiederholungen und berechnete Unordnung die fatale Tatsache verdecken sollen, daß Herr Dühring über die »leitenden Begriffe» Quesnays kaum soviel mitzuteilen hat, wie die »gangbarsten Lehrbuchkompilationen«, vor denen er so unermüdlich warnt. Es ist »eine der bedenklichsten Seiten« dieser Einleitung, daß auch hier schon das bisher nur dem Namen nach bekannte Tableau schon gelegentlich beschnuppert, dann aber sich in allerhand »Reflexionen« verlaufen wird, wie z.B. »den Unterschied von Aufwendung und Erfolg«. Wenn dieser zwar in der Quesnayschen Idee nicht fertig anzutreffen ist, so wird dahingegen Herr Dühring uns ein fulminantes Exempel davon geben, sobald er von seiner |228| langgedehnten einleitenden »Aufwendung« zu seinem merkwürdig kurzatmigen »Erfolg« kommt, den Aufschluß über das Tableau selbst. Geben wir nun alles, aber auch alles wörtlich, was er über das Tableau Quesnays mitzuteilen für gut findet.
In der »Aufwendung« sagt Herr Dühring:
»Ihm« (Quesnay) »erschien es als selbstverständlich, daß man den Ertrag« (Herr Dühring hatte eben vom Nettoprodukt gesprochen) »als einen Geldwert auffassen und behandeln müsse ... er knüpfte seine Überlegungen (!) sofort an die Geldwerte an, die er als Verkaufsergebnisse aller landwirtschaftlichen Erzeugnisse bei dem Übergang aus der ersten Hand voraussetzte. Auf diese Weise (!) operierter in den Kolonnen seines Tableau mit einigen Milliarden« (d.h. Geldwerten).
Wir haben hiermit dreimal erfahren, daß Quesnay im Tableau mit den »Geldwerten« der »landwirtschaftlichen Erzeugnisse« eingeschlossen den des »Nettoprodukts« oder »Reinertrags«, operiert. Weiter im Text:
»Hätte Quesnay den Weg einer wirklich natürlichen Betrachtungsweise eingeschlagen und hätte er sich nicht bloß von der Rücksicht auf die edlen Metalle und die Geldmenge, sondern auch derjenigen auf die Geldwerte frei gemacht ... So aber rechnet er mit lauter Wertsummen und dachte sich (!) das Nettoprodukt von vornherein als einen Geldwert.«
Also zum vierten- und fünftenmal: im Tableau gibt's nur Geldwerte!
»Er« (Quesnay) »gewann dasselbe« (das Nettoprodukt), »indem er die Auslagen in Abzug brachte und hauptsächlich« (nicht herkömmliche, aber dafür desto leichtfertigere Berichterstattung) »an denjenigen Wert dachte (!), der dem Grundeigentümer als Rente zufiele.«
Immer noch nicht vom Fleck; doch jetzt wird's kommen:
»Andrerseits geht nun aber auch« - dies »nun aber auch« ist eine Perle! - »das Nettoprodukt als Naturalgegenstand in die Zirkulation und wird auf diese Weise ein Element, durch welches die als steril bezeichnete Masse ... zu unterhalten ... ist. Hier kann man sofort (!) die Verwirrung bemerken, welche dadurch entsteht, daß in dem einen Fall der Geldwert, in dem andern die Sache selbst den Gedankengang bestimmt.«
Im allgemeinen, scheint es, krankt alle Warenzirkulation an der Verwirrung, daß Waren gleichzeitig als »Naturalgegenstand« und als »Geldwert« in sie eingehn. Aber wir drehn uns immer noch im Kreis um die »Geldwerte«, denn
»Quesnay will eine doppelte Ansetzung des volkswirtschaftlichen Ertrags vermeiden«.
Mit Erlaubnis des Herrn Dühring: Unten in Quesnays »Analyse« des Tableau figurieren die verschiednen Produktarten als »Naturalgegenstände« und oben im Tableau selbst ihre Geldwerte. Quesnay hat sogar |229| später durch seinen Famulus, den Abbé Baudeau, auch gleich ins Tableau selbst die Naturalgegenstände neben ihre Geldwerte eintragen lassen.
Nach soviel »Aufwendung« endlich der »Erfolg«. Man höre und staune:
»Doch wird die Inkonsequenz« (mit Rücksicht auf die den Grundeigentümern von Quesnay zugeschriebne Rolle) »sofort klar, sobald man danach fragt, was denn aus dem als Rente angeeigneten Nettoprodukt im volkswirtschaftlichen Kreislauf werde. Hier ist für die Vorstellungsart der Physiokraten und für das ökonomische Tableau nur eine bis zum Mystizismus steigende Verworrenheit und Willkür möglich gewesen.«
Ende gut, alles gut. Also Herr Dühring weiß nicht, »was denn im wirtschaftlichen Kreislauf« (den das Tableau vorstellt) »aus dem als Rente angeeigneten Nettoprodukt werde«. Das Tableau ist für ihn die »Quadratur des Zirkels«. Er versteht eingestandnermaßen nicht das Abc der Physiokratie. Nach all dem Herumgehn um den heißen Brei, dem Leeres-Stroh-Dreschen, den Kreuz- und Quersprüngen, Harlekinaden, Episoden, Diversionen, Wiederholungen und sinnbetäubenden Durcheinanderwürflungen, die uns lediglich vorbereiten sollten auf den gewaltigen Aufschluß, »was das Tableau bei Quesnay selbst zu bedeuten habe« - nach alledem zum Schluß das beschämte Eingeständnis des Herrn Dühring, er wisse es selber nicht!
Einmal dies schmerzliche Geheimnis abgeschüttelt, diese horazische schwarze Sorge, die ihm während des Ritts durchs physiokratische Land auf dem Buckel saß, stößt unser »ernster und subtiler Denker« wieder munter in die Posaune wie folgt:
»Die Linien, welche Quesnay in seinem übrigens ziemlich einfachen (!) Tableau hin und her zieht« (es sind ihrer alles in allem ganzer sechs!) »und welche die Zirkulation des Nettoprodukts darstellen sollen«, geben zu bedenken, ob »bei diesen wunderlichen Kolonnenverknüpfungen« keine Mathematik-Phantastik unterlaufe, erinnern an Quesnays Beschäftigung mit der Quadratur des Zirkels usw.
Da Herrn Dühring diese Linien, trotz aller Einfachheit, eingestandnermaßen unverständlich bleiben, muß er sie nach seiner beliebten Manier verdächtigen. Und nun kann er getrost dem fatalen Tableau den Gnadenstoß geben:
»Indem wir das Nettoprodukt von dieser bedenklichsten Seite betrachtet haben« usw.
Nämlich das notgedrungne Eingeständnis, daß er nicht das erste Wort vom Tableau économique versteht und von der »Rolle«, die das darin figurierende Nettoprodukt dabei spielt - das nennt Herr Dühring »die bedenklichste Seite des Nettoprodukts«! Welcher Galgenhumor!
|230| Damit nun aber unsre Leser nicht in derselben grausamen Unwissenheit über das Tableau Quesnays bleiben, wie es notwendig diejenigen sind, welche ihre ökonomische Weisheit aus »erster Hand« von Herrn Dühring beziehen, in kurzem folgendes:
Bekanntlich teilt sich bei den Physiokraten die Gesellschaft in drei Klassen: 1. Die produktive, d.h. die wirklich im Ackerbau tätige Klasse, Pächter und Landarbeiter; sie heißen produktiv, weil ihre Arbeit einen Überschuß läßt - die Rente. 2. Die Klasse, welche diesen Oberschuß aneignet, umfassend die Grundbesitzer und die von ihnen abhängige Gefolgschaft, den Fürsten und überhaupt die vom Staat gezahlten Beamten und endlich auch die Kirche in ihrer besondern Eigenschaft als Aneignerin des Zehnten. Der Kürze halber bezeichnen wir im folgenden die erste Klasse einfach als »Pächter«, die zweite als »Grundeigentümer«. 3. Die gewerbetreibende oder sterile (unfruchtbare) Klasse, steril, weil sie nach physiokratischer Ansicht den ihr von der produktiven Klasse gelieferten Rohstoffen nur soviel Wert zusetzt, als sie an den ihr von derselben Klasse gelieferten Lebensmitteln verzehrt. Das Tableau Quesnays soll nun veranschaulichen, wie das jährliche Gesamtprodukt eines Landes (in der Tat Frankreichs) zwischen diesen drei Klassen zirkuliert und der jährlichen Reproduktion dient.
Die erste Voraussetzung des Tableau ist, daß das Pachtsystem und mit ihm die große Agrikultur im Sinn von Quesnays Zeit allgemein eingeführt ist, wobei ihm als Vorbild die Normandie, Picardie, Ile-de-France und einige andre französische Provinzen gelten. Der Pächter erscheint daher als der wirkliche Leiter der Agrikultur, repräsentiert im Tableau die ganze produktive (ackerbautreibende) Klasse und zahlt dem Grundeigentümer eine Rente in Geld. Der Gesamtheit der Pächter wird ein Anlagekapital oder Inventarium von zehn Milliarden Livres zugeschrieben, wovon ein Fünftel oder zwei Milliarden jährlich zu ersetzendes Betriebskapital, ein Anschlag, wofür wieder die bestbebauten Pachtungen der erwähnten Provinzen maßgebend waren.
Fernere Voraussetzungen sind: 1. Daß konstante Preise und einfache Reproduktion statthaben, der Einfachheit halber; 2. daß alle Zirkulation, die bloß innerhalb einer einzelnen Klasse stattfindet, ausgeschlossen bleibt und bloß die Zirkulation zwischen Klasse und Klasse berücksichtigt wird; 3. daß alle Käufe resp. Verkäufe, die von Klasse zu Klasse im Laufe des Betriebsjahrs stattfinden, in eine einzige Gesamtsumme zusammengefaßt |231| sind. Endlich erinnre man sich, daß zu Quesnays Zeit in Frankreich, wie mehr oder minder in ganz Europa, die eigne Hausindustrie der Bauernfamilie den weitaus beträchtlichsten Teil ihrer nicht zur Klasse der Nahrungsmittel gehörenden Bedürfnisse lieferte, und daher als selbstverständliches Zubehör des Ackerbaus hier vorausgesetzt wird.
Der Ausgangspunkt des Tableau ist die Gesamternte, das deswegen auch gleich obenan darin figurierende Bruttoprodukt der jährlichen Bodenerzeugnisse oder die »totale Reproduktion« des Landes, hier Frankreichs. Die Wertgröße dieses Bruttoprodukts wird geschätzt nach den Durchschnittspreisen der Bodenerzeugnisse bei den handeltreibenden Nationen. Es beträgt fünf Milliarden Livres, eine Summe, die nach den damals möglichen statistischen Veranschlagungen den Geldwert des landwirtschaftlichen Bruttoprodukts von Frankreich ungefähr ausdrückt. Dies, und nichts anders, ist der Grund, warum Quesnay im Tableau »mit einigen Milliarden operiert«, nämlich mit fünf, und nicht mit fünf Livres tournois.
Das ganze Bruttoprodukt, zum Wert von fünf Milliarden, befindet also in der Hand der produktiven Klasse, das heißt zunächst der Pächter, die es produziert haben durch Verausgabung eines jährlichen Betriebskapitals von zwei Milliarden, entsprechend einem Anlagekapital von zehn Milliarden. Die landwirtschaftlichen Produkte, Lebensmittel, Rohstoffe etc., die zum Ersatz des Betriebskapitals, also auch zum Unterhalt aller im Ackerbau direkt tätigen Personen erheischt sind, werden in natura von der Gesamternte {7} weggenommen und zur neuen landwirtschaftlichen Produktion verausgabt. Da, wie gesagt, konstante Preise und einfache Reproduktion auf dem einmal gültigen Maßstab unterstellt sind, ist der Geldwert dieses vorweggenommenen Teils des Bruttoprodukts gleich zwei Milliarden Livres. Dieser Teil geht also nicht in die allgemeine Zirkulation ein. Denn, wie schon bemerkt, ist die Zirkulation, soweit sie nur innerhalb des Kreises jeder besondern Klasse, aber nicht zwischen den verschiednen Klassen stattfindet, vom Tableau ausgeschlossen.
Nach Ersatz des Betriebskapitals aus dem Bruttoprodukt bleibt ein Überschuß von drei Milliarden, wovon zwei in Lebensmitteln, eine in Rohstoffen. Die von den Pächtern an die Grundeigentümer zu zahlende Rente beträgt aber nur zwei Drittel hiervon, gleich zwei Milliarden. Warum nur diese zwei Milliarden unter der Rubrik »Nettoprodukt« oder »Reineinkommen« figurieren, wird sich bald zeigen.
|232| Außer der landwirtschaftlichen »totalen Reproduktion« zum Wert von fünf Milliarden, wovon drei Milliarden in die allgemeine Zirkulation eingehn, befindet sich aber, vor Beginn der im Tableau dargestellten Bewegung, noch das ganze »pécule« |»Ersparte«| der Nation, zwei Milliarden bares Geld, in den Händen der Pächter. Es verhält sich damit so.
Da der Ausgangspunkt des Tableaus die Gesamternte ist, bildet er zugleich den Schlußpunkt eines ökonomischen Jahrs, z.B. des Jahrs 1758, nach welchem ein neues ökonomisches Jahr beginnt. Während dieses neuen Jahrs 1759 verteilt sich der für die Zirkulation bestimmte Teil des Bruttoprodukts vermittelst einer Anzahl einzelner Zahlungen, Käufe und Verkäufe, unter die zwei andern Klassen. Diese aufeinanderfolgenden, zersplitterten und über ein ganzes Jahr sich erstreckenden Bewegungen werden aber - wie das unter allen Umständen für das Tableau geschehn mußte - in wenige charakteristische, jedesmal ein ganzes Jahr auf einen Schlag einbegreifende Akte zusammengefaßt. So ist denn auch Ende des Jahrs 1758 der Pächterklasse das Geld wieder zurückgeströmt, das sie für das Jahr 1757 als Rente an die Grundbesitzer gezahlt hatte (wie das geschieht, wird das Tableau selbst zeigen), nämlich die Summe von zwei Milliarden, so daß sie diese 1759 wieder in Zirkulation werfen kann. Da nun jene Summe, wie Quesnay bemerkt, viel größer ist als in der Wirklichkeit, wo die Zahlungen sich beständig stückweis wiederholen, für die Gesamtzirkulation des Landes (Frankreichs) erheischt ist, so stellen die in der Hand der Pächter befindlichen zwei Milliarden Livres die Gesamtsumme des in der Nation umlaufenden Geldes dar.
Die Klasse der Rente einstreichenden Grundeigentümer tritt, wie das zufällig auch noch heutzutag der Fall ist, zunächst in der Rolle von Zahlungsempfängern auf. Nach Quesnays Voraussetzung erhalten die eigentlichen Grundeigentümer nur vier Siebentel der Rente von zwei Milliarden, zwei Siebentel gehn an die Regierung und ein Siebentel an die Zehntenempfänger. Zu Quesnays Zeit war die Kirche die größte Grundeigentümerin Frankreichs und empfing zudem den Zehnten von allem andern Grundeigentum.
Das von der »sterilen« Klasse während eines ganzen Jahrs verausgabte Betriebskapital (avances annuelles |jährlichen Vorschüsse|) besteht in Rohmaterial zum Wert von einer Milliarde - nur Rohmaterial, weil Werkzeuge, Maschinen etc. zu den Erzeugnissen dieser Klasse selbst zählen. Die mannigfachen Rollen aber, welche solche Erzeugnisse im Betrieb der Industrien dieser Klasse selbst |233| spielen, gehn das Tableau ebensowenig an, wie die ausschließlich innerhalb ihres Kreises vorgehende Waren- und Geldzirkulation. Der Lohn für die Arbeit, wodurch die sterile Klasse das Rohmaterial in Manufakturwaren verwandelt, ist gleich dem Wert der Lebensmittel, die sie teils direkt von der produktiven Klasse, teils indirekt durch die Grundeigentümer erhält. Obgleich sie selbst in Kapitalisten und Lohnarbeiter zerfällt, steht sie nach Quesnays Grundanschauung, als Gesamtklasse, im Sold der produktiven Klasse und der Grundeigentümer. Die industrielle Gesamtproduktion und daher auch ihre Gesamtzirkulation, die sich über das der Ernte folgende Jahr verteilt, ist ebenfalls in ein einziges Ganzes zusammengefaßt. Es ist daher vorausgesetzt, daß bei Beginn der im Tableau dargestellten Bewegung die jährliche Warenproduktion der sterilen Klasse sich ganz in ihrer Hand befindet, daß also ihr ganzes Betriebskapital, resp. Rohmaterial zum Wert von einer Milliarde, in Waren verwandelt worden ist zum Wert von zwei Milliarden, wovon die Hälfte den Preis der während dieser Umwandlung verzehrten Lebensmittel darstellt. Man könnte hier einwerfen: aber die sterile Klasse verbraucht doch auch Industrieprodukte zu ihrem eignen Hausbedarf; wo figurieren denn diese, wenn ihr eignes Gesamtprodukt durch die Zirkulation zu den andern Klassen übergeht? Hierauf erhalten wir die Antwort: Die sterile Klasse verzehrt nicht nur selbst einen Teil ihrer eignen Waren, sondern sie sucht auch noch außerdem soviel davon zurückzubehalten als möglich. Sie verkauft also ihre in die Zirkulation geworfenen Waren über dem wirklichen Wert und muß dies tun, da wir diese Waren zum Totalwert ihrer Produktion ansetzen. Dies ändert jedoch nichts an den Festsetzungen des Tableaus, denn die beiden andern Klassen erhalten nun einmal die Manufakturwaren nur zum Wert ihrer Totalproduktion.
Wir kennen also jetzt die ökonomische Position der drei verschiednen Klassen beim Beginn der Bewegung, die das Tableau darstellt.
Die produktive Klasse, nach Naturalersatz ihres Betriebskapitals, verfügt noch über drei Milliarden vom landwirtschaftlichen Bruttoprodukt und über zwei Milliarden Geld. Die Klasse der Grundeigentümer figuriert nur erst mit ihrem Rentenanspruch von zwei Milliarden an die produktive Klasse. Die sterile Klasse verfügt über zwei Milliarden Manufakturwaren. Eine zwischen nur zwei dieser drei Klassen verlaufende Zirkulation heißt bei den Physiokraten eine unvollkommne, eine durch alle drei Klassen verlaufende heißt eine vollkommne Zirkulation.
Also nun zum ökonomischen Tableau selbst.
Erste (unvollkommne) Zirkulation: Die Pächter zahlen den Grundeigentümern, ohne Gegenleistung, die diesen zukommende Rente mit zwei |234| Milliarden Geld. Mit einer dieser Milliarden kaufen die Grundeigentümer Lebensmittel von den Pächtern, denen so eine Hälfte des von ihnen zur Zahlung der Rente ausgegebnen Geldes zurückfließt.
In seiner »Analyse du tableau économique« spricht Quesnay nicht weiter vom Staat, der zwei Siebentel, und von der Kirche, die ein Siebentel der Grundrente erhält, da deren gesellschaftliche Rollen allgemein bekannt sind. Mit Bezug auf die eigentlichen Grundeigentümer {8} aber sagt er, daß ihre Ausgaben, worin auch die aller ihrer Dienstleute figurieren, mindestens zum allergrößten Teil unfruchtbare Ausgaben sind, mit Ausnahme jenes geringen Teils, der angewendet wird »zur Erhaltung und Verbesserung ihrer Güter und zur Hebung ihrer Kultur«. Aber nach dem »natürlichen Recht« bestehe ihre eigentliche Funktion grade in »der Sorge für die gute Verwaltung und für die Ausgaben zur Erhaltung ihres Erbteils«, oder wie das später entwickelt, in den avances foncières, das heißt in Ausgaben, um den Boden vorzubereiten und die Pachtungen mit allem Zubehör zu versehen, die dem Pächter erlauben, sein ganzes Kapital ausschließlich dem Geschäft der wirklichen Kultur zu widmen.
Zweite (vollkommne) Zirkulation. Mit der zweiten, noch in ihrer Hand befindlichen Milliarde Geld kaufen die Grundeigentümer Manufakturwaren von der sterilen Klasse, diese aber mit dem so eingenommnen Geld Lebensmittel von den Pächtern zum selben Betrag.
Dritte (unvollkommne) Zirkulation. Die Pächter kaufen von der sterilen Klasse, mit einer Milliarde Geld, Manufakturwaren zum selben Betrag; ein großer Teil dieser Waren besteht aus Ackerbauwerkzeugen und andern für den Landbau nötigen Produktionsmitteln. Die sterile Klasse schickt den Pächtern dasselbe Geld zurück, indem sie damit für eine Milliarde Rohstoff, zum Ersatz ihres eignen Betriebskapitals, kauft. Damit sind den Pächtern die von ihnen in Zahlung der Rente ausgegebnen zwei Milliarden Geld zurückgeflossen und die Bewegung {9} ist fertig. Und damit ist auch das große Rätsel gelöst,
»was denn aus dem als Rente angeeigneten Nettoprodukt im wirtschaftlichen Kreislauf wird«.
Wir hatten oben in den Händen der produktiven Klasse, am Anfangspunkt des Prozesses, einen Überschuß von drei Milliarden. Davon wurden |235| nur zwei als Nettoprodukt in der Gestalt von Rente an die Grundeigentümer gezahlt. Die dritte Milliarde des Überschusses bildet den Zins für das Gesamtanlagekapital der Pächter, also für zehn Milliarden zehn Prozent. Diesen Zins erhalten sie - wohlzumerken - nicht aus der Zirkulation; er befindet sich in natura in ihrer Hand, und sie realisieren ihn nur durch die Zirkulation, indem sie ihn vermittelst derselben in Manufakturwaren von gleichem Wert umsetzen.
Ohne diesen Zins würde der Pächter, der Hauptagent der Agrikultur, ihr das Anlagekapital nicht vorschießen. Bereits von diesem Standpunkt aus ist nach den Physiokraten die Aneignung des den Zins repräsentierenden Teils des landwirtschaftlichen Mehrertrags von seiten des Pächters eine ebenso notwendige Bedingung der Reproduktion wie die Pächterklasse selbst, und kann dies Element daher nicht zur Kategorie des nationalen »Nettoprodukts« oder »Reineinkommens« zählen; denn letzteres ist eben dadurch charakterisiert, daß es verzehrbar ist ohne jede Rücksicht auf die unmittelbaren Bedürfnisse der rationalen Reproduktion. Dieser Fonds von einer Milliarde aber dient nach Quesnay größtenteils für die während des Jahres nötig werdenden Reparaturen und teilweisen Erneuerungen des Anlagekapitals, ferner als Reservefonds gegen Unfälle, endlich wo möglich zur Bereicherung des Anlage- und Betriebskapitals wie zur Verbesserung des Bodens und Ausdehnung der Kultur.
Der ganze Hergang ist allerdings »ziemlich einfach«. Es wurden in die Zirkulation geworfen: von den Pächtern zwei Milliarden Geld, zur Zahlung der Rente, und für drei Milliarden Produkte, wovon zwei Drittel Lebensmittel und ein Drittel Rohstoffe; von der sterilen Klasse für zwei Milliarden Manufakturwaren. Von den Lebensmitteln im Betrag von zwei Milliarden wird die eine Hälfte von den Grundeigentümern nebst Anhang verzehrt, die andre von der sterilen Klasse in Zahlung ihrer Arbeit. Die Rohstoffe für eine Milliarde ersetzen das Betriebskapital derselben Klasse. Von den zirkulierenden Manufakturwaren im Betrag von zwei Milliarden fällt die eine Hälfte den Grundeigentümern zu, die andre den Pächtern, für welche sie nur eine verwandelte Form des erster Hand aus der landwirtschaftlichen Reproduktion gewonnenen Zinses für ihr Anlagekapital ist. Das Geld aber, das der Pächter mit Zahlung der Rente in die Zirkulation geworfen, strömt ihm durch den Verkauf seiner Produkte zurück, und so kann derselbe Kreislauf im nächsten ökonomischen Jahr von neuem durchlaufen werden.
Und nun bewundre man die »wirklich kritische«, der »herkömmlichen leichtfertigen Berichterstattung« so unendlich überlegene Darstellung des Herrn Dühring!. Nachdem er fünfmal hintereinander in geheimnisvoller |236| Weise uns vorgehalten, wie bedenklich Quesnay im Tableau mit bloßen Geldwerten operiere, was sich noch dazu als falsch erwies, kommt er endlich zu dem Resultat, daß, sobald er danach fragt,
»was denn aus dem als Rente angeeigneten Nettoprodukt im volkswirtschaftlichen Kreislauf werde«, sei »für das ökonomische Tableau nur eine bis zum Mystizismus steigende Verworrenheit und Willkür möglich«.
Wir haben gesehn, daß das Tableau, diese ebenso einfache wie für ihre Zeit geniale Darstellung des jährlichen Reproduktionsprozesses, wie er durch die Zirkulation vermittelt wird, sehr genau darauf antwortet, was aus diesem Nettoprodukt im volkswirtschaftlichen Kreislauf wird, und somit verbleibt der »Mystizismus« und die »Verworrenheit und Willkür« wiederum einzig und allein dem Herrn Dühring als »bedenklichste Seite« und einziges »Nettoprodukt« seiner physiokratischen Studien.
Ganz ebenso vertraut wie mit der Theorie der Physiokraten ist Herr Dühring mit ihrer geschichtlichen Wirkung.
»Mit Turgot«, belehrt er uns, »war die Physiokratie in Frankreich praktisch und theoretisch zu ihrem Ende gelangt.«
Wenn aber Mirabeau in seinen ökonomischen Anschauungen wesentlich Physiokrat, wenn er in der konstituierenden Versammlung von 1789 erste ökonomische Autorität war, wenn diese Versammlung in ihren ökonomischen Reformen einen großen Teil der physiokratischen Sätze aus der Theorie in die Praxis übersetzte, und namentlich auch das »ohne Gegenleistung« vom Grundbesitz angeeignete Nettoprodukt, die Grundrente mit einer starken Steuer belegte, so existiert das alles nicht für »einen« Dühring.-
Wie der lange Strich durch den Zeitraum 1691 bis 1752 alle Vorgänger Humes aus dem Weg räumte, so ein andrer Strich den zwischen Hume und Adam Smith liegenden Sir James Steuart. Von dessen großem Werk, das, abgesehn von seiner historischen Wichtigkeit, das Gebiet der politischen Ökonomie nachhaltig bereichert hat, steht in dem »Unternehmen« des Herrn Dühring keine Silbe. Dafür aber belegt dieser den Steuart mit dem stärksten Schimpfwort, das es in seinem Lexikon gibt, und sagt, er sei »ein Professor« zur Zeit A. Smiths gewesen. Leider ist diese Verdächtigung rein erfunden. Steuart war in der Tat ein schottischer Großgrundbesitzer, der, wegen angeblicher Beteiligung an der Stuartschen Verschwörung aus Großbritannien verbannt, durch seinen längern Aufenthalt und seine Reisen auf dem Kontinent sich mit den ökonomischen Zuständen verschiedner Länder vertraut machte.
|237| Kurzum: nach der »Kritischen Geschichte« hatten alle frühern Ökonomen nur den Wert, entweder als »Ansätze« zu Herrn Dührings »maßgebender« tieferer Grundlegung oder aber durch ihre Verwerflichkeit ihr erst recht als Folie zu dienen. Jedennoch gibt es auch in der Ökonomie einige Heroen, die nicht nur »Ansätze« zur »tiefern Grundlegung« bilden, sondern »Sätze«, aus denen sie, wie in der Naturphilosophie vorgeschrieben, nicht »entwickelt«, sondern gradezu »komponiert« ist: nämlich die »unvergleichlich hervorragende Größe« List, die zu Nutz und Frommen deutscher Fabrikanten die »subtilern« merkantilistischen Lehren eines Ferrier und anderer in »gewaltigere« Worte aufgebläht hat; ferner Carey, der in folgendem Satz den aufrichtigen Kern seiner Weisheit bloßlegt:
»Ricardos System ist ein System der Zwietracht ... es läuft hinaus auf die Erzeugung der Klassenfeindschaft ... seine Schrift ist das Handbuch des Demagogen, der die Macht anstrebt vermittelst der Landteilung, des Kriegs und der Plünderung«;
endlich zu guter Letzt der Londoner City Confusius Macleod.
Danach dürften die Leute, die in der Gegenwart und zunächst absehbaren Zukunft Geschichte der politischen Ökonomie studieren wollen, immer noch bedeutend sicherer fahren, wenn sie sich bekannt machen mit den »wässerigen Erzeugnissen«, »Plattheiten« und »breiten Bettelsuppen« der »gangbarsten Lehrbuchkompilationen«, als wenn sie sich verlassen auf die »Geschichtszeichnung großen Stils« des Herrn Dühring.
*
Was ergibt sich nun schließlich als das Resultat unsrer Analyse des Dühringschen »eigen erzeugten Systems« der politischen Ökonomie? Nichts als die Tatsache, daß wir mit all den großen Worten und noch gewaltigern Versprechungen ebenso hinters Licht geführt worden sind wie in der »Philosophie«. Die Theorie des Werts, dieser »Prüfstein der Gediegenheit ökonomischer Systeme«, lief darauf hinaus, daß Herr Dühring unter Wert fünferlei total verschiedne und einander schnurstracks widersprechende Dinge versteht, und also im besten Fall selbst nicht weiß, was er will. Die mit soviel Pomp angekündigten »Naturgesetze aller Wirtschaft« erwiesen sich als lauter weltbekannte und oft noch nicht einmal richtig gefaßte Plattheiten der ärgsten Art. Die einzige Erklärung ökonomischer Tatsachen, die uns das eigen erzeugte System zu geben hat, ist, daß sie Resultate der »Gewalt« seien, eine Redensart, womit der Philister aller Nationen sich seit Jahrtausenden über alles ihm widerfahrne Ungemach tröstet, und |238| womit wir nicht mehr wissen als vorher. Statt diese Gewalt aber nach ihrem Ursprung und ihren Wirkungen zu untersuchen, mutet Herr Dühring uns zu, uns bei dem bloßen Wort »Gewalt« als letzter Endursache und endgültiger Erklärung aller ökonomischen Erscheinungen dankbarst zu beruhigen. Gezwungen, über die kapitalistische Ausbeutung der Arbeit weitere Aufschlüsse zu geben, stellt er sie erst im allgemeinen dar als beruhend auf Bezollung und Preisaufschlag, hier ganz die Proudhonsche »Vorwegnahme« (prélèvement) sich aneignend, um dann nachher im besondern sie zu erklären vermittelst der Marxschen Theorie von Mehrarbeit, Mehrprodukt und Mehrwert. Er bringt es also fertig, zwei total widersprechende Anschauungsweisen glücklich zu versöhnen, indem er sie beide in Einem Atem abschreibt. Und wie er in der Philosophie nicht grobe Worte genug hatte für denselben Hegel den er unaufhörlich verseichtigend ausbeutet, so dient in der »Kritischen Geschichte« die bodenloseste Verlästerung von Marx nur zur Verdeckung der Tatsache, daß alles noch einigermaßen Rationelle, was sich im »Cursus« über Kapital und Arbeit vorfindet, eben, falls ein verseichtigendes Plagiat an Marx ist. Die Unwissenheit, die im »Cursus« an den Anfang der Geschichte der Kulturvölker den »großen Grundbesitzer« stellt und kein Wort weiß von der Gemeinschaft des Grundeigentums der Stamm- und Dorfgemeinden, von der alle Geschichte in Wirklichkeit ausgeht - diese heutzutage fast unbegreifliche Unwissenheit wird beinahe noch übertroffen von derjenigen, die sich in der »Kritischen Geschichte« als »universelle Weite des geschichtlichen Umblicks« nicht wenig auf sich selbst zugute tut und von der wir nur ein paar abschreckende Beispiele gegeben haben. In Einem Wort: erst die kolossale »Aufwendung« von Selbstanpreisung, von marktschreierischen Posaunenstößen, von einander übergipfelnden Verheißungen; und dann der »Erfolg« - gleich Null.
Fußnoten von Friedrich Engels
(1) Im preußischen Generalstab weiß man dies auch schon ganz gut. »Die Grundlage des Kriegswesens ist in erster Reihe die wirtschaftliche Lebensgestaltung der Völker überhaupt«, sagt Herr Max Jähns, Hauptmann im Generalstab, in einem wissenschaftlichen Vortrag (»Köln. Ztg.«, 20. April 1876, drittes Blatt). <=
(2) Die Vervollkommnung des letzten Erzeugnisses der großen Industrie für den Seekrieg, des sich selbst fortbewegenden Torpedos, scheint dies verwirklichen zu sollen; das kleinste Torpedoboot wäre damit dem gewaltigsten Panzerschiff überlegen. (Man erinnere sich übrigens, daß obiges 1878 geschrieben wurde.) <=
(3) Und auch dies nicht einmal. Rodbertus sagt (»Sociale Briefe«, 2. Brief, S. 59): »Rente ist nach dieser« (seiner) »Theorie alles Einkommen, was ohne eigne Arbeit, lediglich auf Grund eines Besitzes bezogen wird.« <=
Textvarianten
{1} Bei Engels: nötigen - korrigiert nach Karl Marx »Das Kapital« <=
{2} Bei Marx in der zweiten Ausgabe in griechischen Buchstaben <=
{3} An Stelle der folgenden sechs Absätze enthielt das Manuskript ursprünglich eine ausführlichere Variante, die jedoch von Engels aus dem Manuskript herausgenommen, mit der Überschrift »Taktik der Infanterie aus den materiellen Ursachen abgeleitet. 1700-1870« versehen und als besonderer Aufsatz aufbewahrt wurde (siehe Friedrich Engels: »Taktik der Infanterie aus den materiellen Ursachen abgeleitet. 1700 bis 1870«, in: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 20, S. 597-603) <=
{4} Umgeändert aus »Warenproduktion« auf Grund des Marxschen Manuskripts »Randnoten zu Dührings 'Kritischer Geschichte der Nationalökonomie'« <=
{5} Offenbar müßten hier die Worte »sinken« und »steigen« wechselseitig umgestellt werden; siehe dazu Karl Marx: »Kritik der politischen Ökonomie«, in: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 13, S. 135-140, wo Humes Geldtheorie dargestellt ist. <=
{6} Die Worte »wie gesagt« nehmen Bezug auf die Textstelle, die mit »Warum aber wird Hume ...« beginnt und mit »... hartnäckig totschweigt« endet (siehe S. 226/227). Dieser Text stand in der 1. und 2. Auflage hinter »- David Hume« (siehe S. 221). Die beiden Worte wurden von Engels stehengelassen, als er für die 3. Auflage den Text anders ordnete. <=
{7} Hier sowie auf S. 232 umgeändert aus »Gesamtrente« auf Grund des Marxschen Manuskripts »Randnoten zu Dührings 'Kritischer Geschichte der Nationalökonomie'« <=
{8} Umgeändert aus »Grundeigentum« auf Grund des Marxschen Manuskripts »Randnoten zu Dührings 'Kritischer Geschichte der Nationalökonomie'« <=
{9} Umgeändert aus »Berechnung« auf Grund des Marxschen Manuskripts »Randnoten zu Dührings 'Kritischer Geschichte der Nationalökonomie'« <=
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