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< VII. Das Urteil Inhalt Zur Geschichte des Bundes d. Kommunisten >

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke. (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 18, 5. Auflage 1973, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1962, Berlin/DDR. S. 568-571.

2. Korrektur.
Erstellt am 04.03.1999

Karl Marx

Nachwort
[zu "Enthüllungen über den Kommunisten-Prozeß zu Köln"]

Nach: "Enthüllungen über den Kommunistenprozeß zu Köln",
Neuer Abdruck, Leipzig 1875.


|568| Die "Enthüllungen über den Kommunisten-Prozeß zu Köln", deren Wiederveröffentlichung der "Volksstaat" für zeitgemäß hielt, erschienen ursprünglich zu Boston, Massachusetts, und zu Basel. Letztere Auflage ward größtenteils an der deutschen Grenze konfisziert. Die Schrift sah das Licht wenige Wochen nach Schluß des Prozesses. Damals galt es vor allem, keine Zeit zu verlieren und war daher mancher Irrtum im einzelnen unvermeidlich. So z.B. in der Namensangabe der Kölner Geschworenen. So soll nicht M. Heß, sondern ein gewisser Levy der Verfasser des roten Katechismus sein. So versichert W. Hirsch in seiner "Rechtfertigungsschrift", Chervals Flucht aus dem Pariser Gefängnis sei zwischen Greif, der französischen Polizei und Cherval selbst abgekartet worden, um letzteren während der Gerichtsverhandlungen als Mouchard zu London verwenden zu können. Es ist dies wahrscheinlich, weil eine in Preußen begangene Wechselfälschung und die daraus entspringende Gefahr der Auslieferung den Crämer (dies der wirkliche Name Chervals) kirren mußten. Meine Darstellung des Vorganges beruht auf "Selbstgeständnissen" Chervals an einen meiner Freunde. Hirschs Angabe wirft ein noch grelleres Licht auf Stiebers Meineid, die Ränke der preußischen Gesandtschaft zu London und zu Paris, die schamlosen Eingriffe Hinckeldeys.

Als der "Volksstaat" das Pamphlet in seinen Spalten abzudrucken begann, schwankte ich einen Augenblick, oh es nicht passend sei, Abschnitt VI (Fraktion Willich-Schapper) wegzulassen. Bei näherem Erwägen jedoch erschien jede Verstümmelung des Textes als Fälschung eines historischen Dokuments.

Der gewaltsame Niederschlag einer Revolution läßt in den Köpfen ihrer Mitspieler, namentlich der vom heimischen Schauplatz ins Exil geschleu- |569| derten, eine Erschütterung zurück, welche selbst tüchtige Persönlichkeiten für kürzere oder längere Zeit sozusagen unzurechnungsfähig macht. Sie können sich nicht in den Gang der Geschichte finden, sie wollen nicht einsehen, daß sich die Form der Bewegung verändert hat. Daher Konspirations- und Revolutionsspielerei, gleich kompromittierlich für sie selbst und die Sache, in deren Dienst sie stehen; daher auch die Fehlgriffe Schappers und Willichs. Willich hat im nordamerikanischen Bürgerkriege gezeigt, daß er mehr als ein Phantast ist, und Schapper, lebenslang Vorkämpfer der Arbeiterbewegung, erkannte und bekannte, bald nach Ende des Kölner Prozesses, seine augenblickliche Verirrung. Viele Jahre später, auf seinem Sterbebett, einen Tag vor seinem Tode, sprach er mir noch mit beißender Ironie von jener Zeit der "Flüchtlingstölpeleien".- Andererseits erklären die Umstände, in denen die "Enthüllungen" verfaßt wurden, die Bitterkeit des Angriffs auf die unfreiwilligen Helfershelfer des gemeinsamen Feindes. In Augenblicken der Krise wird Kopflosigkeit zum Verbrechen an der Partei, das öffentliche Sühne herausfordert.

"Die ganze Existenz der politischen Polizei hängt von der Entscheidung dieses Prozesses ab!" In diesen Worten, die Hinckeldey während der Kölner Gerichtsverhandlungen an die Gesandtschaft zu London schrieb (siehe meine Schrift "Herr Vogt", pag. 271), verriet er das Geheimnis des Kommunistenprozesses. "Die ganze Existenz der politischen Polizei", das ist nicht nur die Existenz und Tätigkeit des mit diesem Fache unmittelbar betrauten Personals. Es ist die Unterordnung der ganzen Regierungsmaschinerie mit Einschluß der Gerichte (siehe das preußische Disziplinargesetz für die richterlichen Beamten vom 7. Mai 1851) und der Presse (siehe Reptilienfonds) unter jenes Institut, wie das gesamte Staatswesen in Venedig der Staatsinquisition unterworfen war. Die politische Polizei, während des Revolutionssturms in Preußen lahmgelegt, bedurfte einer Umgestaltung, für welche das zweite französische Kaiserreich mustergültig war und blieb.

Nach dem Untergange der Revolution von 1848 existierte die deutsche Arbeiterbewegung nur noch unter der Form theoretischer, zudem in enge Kreise gebannter Propaganda, über deren praktische Gefahrlosigkeit die preußische Regierung sich keinen Augenblick täuschte. Ihr galt die Kommunistenhetze nur als Einleitung zum Reaktionskreuzzug gegen die liberale Bourgeoisie, und die Bourgeoisie selbst stählte die Hauptwaffe dieser Reaktion, die politische Polizei, durch die Verurteilung der Arbeitervertreter |570| und die Freisprechung von Hinckeldey-Stieber. So verdiente Stieber seine Rittersporen vor den Assisen zu Köln. Damals war Stieber der Name eines untergeordneten Polizei-Individuums, auf wilder Jagd nach Gehalts- und Amtserhöhung; jetzt bedeutet Stieber die unbeschränkte Herrschaft der politischen Polizei im neuen heiligen preußisch-deutschen Reiche. Er hat sich so gewissermaßen in eine moralische Person verwandelt, moralisch in dem bildlichen Sinne, wie z.B. der Reichstag ein moralisches Wesen ist. Und diesmal schlägt die politische Polizei nicht auf den Arbeiter, um den Bourgeois zu treffen. Umgekehrt. Grade in seiner Eigenschaft als Diktator der deutsch-liberalen Bourgeoisie wähnt Bismarck sich stark genug, die Arbeiterpartei aus der Welt stiebern zu können. An dem Wachstum der Größe Stieber kann das deutsche Proletariat daher den Fortschritt der Bewegung messen, die es selbst seit dem Kölner Kommunistenprozeß zurückgelegt hat.

Die Unfehlbarkeit des Papstes ist eine Kinderei verglichen mit der Unfehlbarkeit der politischen Polizei. Nachdem sie in Preußen während ganzer Dezennien jugendliche Brauseköpfe ins Loch gesteckt, von wegen Schwärmerei für deutsche Einheit, deutsches Reich, deutsches Kaisertum, kerkert sie heuerig sogar alte Glatzköpfe ein, die für jene Gottesgaben zu schwärmen verweigern. Heute müht sie sich ebenso vergeblich ab, die Reichsfeinde auszuroden, wie damals die Reichsfreunde. Welch schlagender Beweis, daß sie nicht dazu berufen ist, Geschichte zu machen, wäre es auch nur die Geschichte des Zanks um des Kaisers Bart!

Der Kommunistenprozeß zu Köln selbst brandmarkt die Ohnmacht der Staatsmacht in ihrem Kampf gegen die gesellschaftliche Entwicklung. Der kgl. preußische Staatsanwalt begründete die Schuld der Angeklagten schließlich damit, daß sie die staatsgefährlichen Prinzipien des "Kommunistischen Manifestes" heimlich verbreiteten. Und werden trotzdem dieselben Prinzipien zwanzig Jahre später nicht in Deutschland auf offener Straße verkündet? Erschallen sie nicht selbst von der Tribüne des Reichstags? Haben sie in der Gestalt des Programms der Internationalen Arbeiterassoziation nicht die Reise um die Welt gemacht, allen Regierungssteckbriefen zum Trotz? Die Gesellschaft findet nun einmal nicht ihr Gleichgewicht, bis sie sich um die Sonne der Arbeit dreht.

Die "Enthüllungen" sagen am Schluß: "Jena! ... das ist das letzte Wort für eine Regierung, die solcher Mittel zum Bestehen, und für eine Gesellschaft, die solch einer Regierung zum Schutze bedarf. Das ist das letzte Wort des Kommunistenprozesses - Jena!" Eine gelungene Vorhersage |571| dies, kichert der erste beste Treitschke mit stolzem Hinweis auf Preußens jüngste Waffentat und das Mausergewehr. Mir genügt zu erinnern, daß es nicht nur ein inneres Düppel gibt, sondern auch ein inneres Jena.

London, den 8. Januar 1875

Karl Marx


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