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Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke. (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 18, 5. Auflage 1973, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1962, Berlin/DDR. S. 165-170.

1. Korrektur.
Erstellt am 04.03.1999

Friedrich Engels

Der Haager Kongreß

[Brief an Bignami]

Aus dem Italienischen.


["La Plebe" Nr. 106 vom 5. Oktober 1872]

|165| London, 1. Oktober 1872

Mein lieber Bignami!

Vom 2. bis 7. September hielten in Den Haag die 64 Delegierten der Internationalen Arbeiterassoziation ihre Tagung ab. Von diesen Delegierten vertraten 16 Frankreich, 10 Deutschland, 7 Belgien, 5 England, 5 Amerika, 4 Holland, 4 Spanien, 3 die Romanische Föderation (Schweiz), 2 die Jura-Föderation (ebenfalls Schweiz), 1 Irland, 1 Österreich, 1 Ungarn, 1 Polen, 1 Portugal, 1 Australien und 2 Dänemark. - Ihrer Nationalität nach waren es 20 Franzosen, 16 Deutsche, 8 Belgier, 6 Engländer, 1 Pole, 1 Ire, 1 Korse, 1 Däne.

Die Mandatsprüfung nahm mehr als zwei Tage in Anspruch. Unter dieser Form wurden alle internen Fragen behandelt, mit denen sich die Internationale seit ihrem letzten Kongreß beschäftigt hatte; und fast immer handelte es sich um die Tätigkeit des Generalrats.

Von den drei Mandaten des Bürgers Lafargue, des Vertreters von Portugal und zweier lokaler spanischer Föderationen, wurde jenes der Neuen Madrider Föderation von den anderen spanischen Delegierten angefochten. Die Neue Madrider Föderation, die von Mitgliedern der Internationale gebildet worden ist, welche von der alten Föderation eigenmächtig und in Verletzung der Statuten ausgeschlossen worden waren, war von dem Spanischen Föderalrat nicht anerkannt worden; sie hatte sich an den Londoner Generalrat gewandt, der sie anerkannte.

Der Kongreß bestätigte einstimmig diesen Beschluß.

|166| Die sechs Delegierten, die der Generalrat, sich nach dem Vorgang der früheren Kongresse richtend, entsandt hatte - die übrigens, bis auf eine Ausnahme, auch mit anderen Mandaten versehen waren -, wurden zugelassen. Dem Delegierten der Sektion der revolutionären Propaganda und Aktion in Genf, eine Sektion, die vom Generalrat nicht anerkannt worden war, wurde das Mandat für die ganze Dauer des Kongresses suspendiert und die Sektion nicht anerkannt. Die vier Delegierten der Spanischen Föderation wurden erst zugelassen, nachdem sie die dem Generalrat geschuldeten Mitgliedsbeiträge für das Jahr 1871/1872 bezahlt hatten. Schließlich wurde der Delegierte der 12. Sektion von New York, die vom Generalrat suspendiert worden war, trotz einer Rede, die mehr als eine Stunde dauerte, nicht zum Kongreß zugelassen. Alle diese Beschlüsse, die mit einer Dreiviertelmehrheit gefaßt wurden, waren ebensoviele Zeugnisse des Vertrauens für den Generalrat, dessen "autoritäre" Aktion (wie sie mancher zu nennen pflegte) von der überwiegenden Mehrheit des Kongresses vollauf bestätigt wurde.

Nach diesen Diskussionen, die viele Meinungsverschiedenheiten beseitigten, die im Schoße der Internationale entstanden waren, und die deshalb durchaus nicht unnütz waren, ging man unmittelbar zur Frage des Generalrats selbst über. Sollte man ihn abschaffen? Und im Falle, daß man ihn beibehielte, wäre es notwendig, auch dessen Autorität zu bewahren, oder sollte man ihn zu einem einfachen Büro für Korrespondenz und Statistik machen, das heißt zu einer boîte aux lettres |Briefkasten|. Die Antwort des Kongresses ließ keinen Zweifel darüber bestehen. Der Artikel 2 des Kapitels II der Verwaltungsverordnungen war so formuliert:

"Der Generalrat ist gehalten, die Kongreßbeschlüsse auszuführen."

Der Haager Kongreß fügte dem hinzu:

"und darauf zu achten, daß die Grundsätze, Statuten und Verwaltungsverordnungen der Internationale in jedem Lande strikt eingehalten werden" (40 Stimmen für diesen Zusatz, 5 gegen, 11 Stimmenthaltungen).

Der Artikel 6 desselben Kapitels, der dem Generalrat das Recht verlieh, eine Sektion zu suspendieren, wurde wie folgt formuliert:

"Art. 6 - Der Generalrat hat ebenfalls das Recht, Zweiggesellschaften, Sektionen, Föderalräte oder Föderalkomitees und Föderationen der Internationale bis zum nächsten Kongreß zu suspendieren.

|167| Gegenüber Sektionen, welche einer Föderation angehören, soll er dieses Recht indessen nur ausüben, nachdem er den betreffenden Föderalrat konsultiert hat ...

Im Falle der Suspendierung einer ganzen Föderation soll der Generalrat alle Föderationen unverzüglich davon benachrichtigen. Wenn die Mehrheit der Föderationen es verlangt, soll der Generalrat eine außerordentliche Konferenz einberufen, welche aus einem Delegierten jeder Nationalität bestehen, einen Monat nachher zusammentreten und den Streitfall endgültig entscheiden wird.

Nichtsdestoweniger versteht es sich von selbst, daß die Länder, wo die Internationale verboten ist, dieselben Rechte ausüben werden wie die regulären Föderationen."

Es ist klar, daß dieser neue Artikel der Verordnungen, der mit größerer Klarheit die Befugnisse des Generalrats umreißt, diese auch mit den nötigen Garantien umgibt, um ihren Mißbrauch zu verhindern.

Der Kongreß hat erklärt, er wolle, daß der Generalrat eine Autorität besitze, aber eine verantwortungsvolle Autorität. Dieser Artikel wurde mit einer Mehrheit von 36 Stimmen gegen 11 Stimmen bei 9 Stimmenthaltungen angenommen.

Es folgte die Frage des neuen Generalrats. Wenn der Generalrat, dessen Mandat ablief, sich vollständig oder zum Teil hätte wiederwählen lassen wollen, wäre er fast der Einstimmigkeit sicher gewesen, da sich in dieser Frage die Belgier und Holländer von der Minderheit trennten und für London stimmten. Aber um zu beweisen, daß sie nicht für sich persönlich ausgedehntere und besser definierte Befugnisse für den Generalrat verlangt hatten, schlugen Marx, Engels, Serraillier, Wróblewski, Dupont und andere Mitglieder des scheidenden Rats vor, den Generalrat nach New York zu verlegen, dem einzigen Orte außer London, an dem die zwei Hauptbedingungen gesichert wären: die Sicherheit der Archive und der internationale Charakter der Zusammensetzung des Rats. Von allen Vorschlägen, die vom alten Rate gemacht worden waren, war dies der einzige, der auf einige Schwierigkeiten stieß, da alle, mit Ausnahme der Jurassier und der Spanier, sich einig waren, die Leitung der Internationale in denselben Händen zu belassen, in denen sie sich bisher befand. Erst nach der förmlichen Erklärung der aktivsten und bekanntesten Mitglieder des alten Rats, kein neues Mandat mehr annehmen zu wollen, wurde die Verlegung nach New York mit absoluter Mehrheit angenommen. Man ging zur Wahl des neuen Rats über, |168| der sich aus 2 Iren, 1 Schweden, 1 Italiener, 3 Franzosen, 1 Amerikaner und 4 Deutschen zusammengesetzt ergab, mit dem Recht, sich noch andere drei Mitglieder beizufügen.

Es ist bekannt, daß die Resolution IX der Londoner Konferenz (September 1871) über die politische Wirksamkeit der Arbeiterklasse von den Jurassiern, einigen Spaniern und der Mehrheit der Italiener als angeblich im Widerspruch zu. den Grundsätzen der Internationale stehend scharf bekämpft wurde. Nun gut, diese Resolution bildet heute den Artikel 7a {1} der Allgemeinen Statuten der Internationale, der folgendermaßen abgefaßt ist:

"Art. 7a - In seinem Kampf gegen die kollektive Macht der besitzenden Klassen kann das Proletariat nur dann als Klasse handeln, wenn es sich selbst als besondere politische Partei im Gegensatz zu allen alten, von den besitzenden Klassen gebildeten Parteien konstituiert.

Diese Konstituierung des Proletariats als politische Partei ist unerläßlich, um den Triumph der sozialen Revolution und ihres höchsten Zieles, der Aufhebung der Klassen, zu sichern.

Die durch den ökonomischen Kampf bereits erreichte Vereinigung der Kräfte der Arbeiterklasse muß in den Händen dieser Klasse auch als Hebel in ihrem Kampf gegen die politische Macht ihrer Ausbeuter dienen.

Da die Herren des Bodens und des Kapitals sich ihrer politischen Privilegien stets bedienen, um ihre ökonomischen Monopole zu verteidigen und zu verewigen und die Arbeit zu unterjochen, wird die Eroberung der politischen Macht zur großen Pflicht des Proletariats."

Diese Resolution wurde mit 28 gegen 13 Stimmen (Stimmenthaltungen einbegriffen) angenommen; und da die Mehrheit die zwei Drittel übersteigt, bildet diese Resolution auch einen Bestandteil der Allgemeinen Statuten. Zu der Mehrheit sind noch die Stimmen von 6 deutschen und 4 französischen Delegierten hinzuzurechnen, die gezwungen waren, Den Haag zu verlassen, und ihre Ja-Stimme schriftlich zurückgelassen hatten, so daß die Politik der Abstention durch eine Dreiviertelmehrheit verurteilt wurde. Es blieb nur noch eine wichtige Frage. Der Generalrat hatte dem Kongreß das Bestehen einer Geheimgesellschaft im Schoße der Internationale angezeigt, die entstanden war, nicht um gegen die bestehenden Regierungen, sondern gegen unsere Assoziation selbst zu kämpfen, die sich in drei verschiedene Einweihungsgrade teilt und von ihrem Gründer Michail Bakunin geleitet wird. Diese Gesellschaft hatte zum Ziel, sich der zentralen Leitung der Internationale zu bemächtigen und, wenn dies sich nicht als möglich |169| erweisen sollte, sie zu desorganisieren, um sie besser beeinflussen zu können. Zu diesem Zweck wurden die Losungen von der Autonomie der Sektionen, von dem Widerstand gegen die autoritären Tendenzen des Generalrats verbreitet. Der Kongreß ernannte eine Kommission zur Untersuchung dieser Gesellschaft, deren Bericht in der letzten Sitzung verlesen wurde. Dieser Bericht erklärte, daß die Existenz und der feindliche Charakter dieser Gesellschaft erwiesen sind und schloß mit der Forderung nach Ausschluß von Bakunin, Guillaume, Schwitzguébel, Malon und zwei anderen aus der Internationale.

Die Schlußfolgerungen des Berichtes in bezug auf die Allianz wurden vom Kongreß akzeptiert; was die Personen betrifft, so wurden Bakunin und Guillaume ausgeschlossen, Schwitzguébel durch ein kleines Stimmenübergewicht gerettet und die anderen amnestiert.

Dies sind die wichtigsten Beschlüsse des Haager Kongresses; diese Beschlüsse sind von recht entscheidender Bedeutung und zu gleicher Zeit von außerordentlicher Mäßigung. Der Generalrat hat sich, gestützt auf eine Dreiviertelmehrheit, bemüht, dem neuen Rat eine klare und genau definierte Stellung zu sichern, das politische Programm der Internationale, das von einer sektiererischen Minderheit in Zweifel gezogen worden war, klar zu formulieren und eine Geheimgesellschaft zu zerschlagen, die statt gegen die bestehenden Regierungen zu konspirieren, gegen die Internationale selbst konspiriert. Darauf lehnte er es ab, sich wiederwählen zu lassen und hatte größte Mühe, den eigenen Rücktritt annehmen zu lassen.

Die Mehrheit des Kongresses setzte sich hauptsächlich aus französischen, deutschen, ungarischen, dänischen, polnischen, portugiesischen, irischen, australischen, amerikanischen Delegierten und den Delegierten der romanischen Schweiz zusammen; die Minderheit - aus Belgiern, Holländern, Spaniern, Jurassiern sowie einem Amerikaner. Die Engländer waren unter sich geteilt und stimmten unterschiedlich ab. Die Minderheit (einbegriffen die Stimmenthaltungen) überstieg niemals die Zahl von 20 Stimmen bei 64 Delegierten. Im allgemeinen waren es 12 bis 16.

Es war ein italienischer Delegierter |Carlo Carfierro| anwesend, der Vorsitzende der Föderation von Rimini, doch legte er nicht sein Mandat vor; sicher hätte der Kongreß es nicht anerkannt. Er wohnte den Sitzungen als Zuschauer bei.

Nach meiner Rückkehr von Den Haag fand ich in der "Favilla" von Mantua einen mit Atheist |Carlo Terzaghi| gezeichneten Artikel, in dem die Richtigkeit der |170| Feststellung bestritten wird, daß unter den 21 Sektionen, deren Delegierte die Resolution von Rimini unterzeichnet haben, sich nur eine (Neapel) befinde, die der Internationale angehört.

"Wenn der große Rat behauptet, daß nur die Sektion von Neapel eine reguläre sei, dann lügt er. Der Arbeiterzirkel von Mailand, die Gesellschaft von Girgenti, jene von Ravenna, von Rom, die Sektion von Turin, die die Initiatorin war, haben schon seit langem die von den Allgemeinen Statuten vorgeschriebenen 10 Centesimi entrichtet."

Um zu sehen, ob der Generalrat lügt oder der Herr Atheist, genügt es festzustellen, daß weder die Sektion von Mailand, noch die von Girgenti, noch jene von Turin sich unter den Unterzeichnern der Resolution von Rimini befinden, und daß die Sektion von Rom sich erst nach jener Konferenz an den Generalrat gewandt hat (und ich glaube, daß es nicht die gleiche Sektion ist, die in Rimini vertreten war).

Die italienischen Internationalen mögen indessen zur Überzeugung gelangen, daß solange es eine Internationale, einen Kongreß, einen Generalrat, Allgemeine Statuten und Verwaltungsverordnungen gibt, keine Sektion anerkannt werden wird, weder vom Kongreß, noch vom Rat, solange sie sich weigert, die in den Allgemeinen Statuten und den Verwaltungsverordnungen festgelegten Bedingungen anzunehmen, die für alle gleich sind.

Friedrich Engels


Textvarianten

{1} In "La Plebe" steht hier: Artikel 8 <=


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