Über den Krieg - XXXVI | Inhalt | Über den Krieg - XXXVIII
Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 17, 5. Auflage 1973, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1962, Berlin/DDR. S. 243-248.
Erstellt am 13.12.1998.
1. Korrektur.
["The Pall Mall Gazette" Nr. 1854 vom 21. Januar 1871]
|243| Das war eine sehr unglückliche Woche für die französischen Waffen. Nach Chanzys Niederlage wurde Bourbakis Offensive vor Belfort zurückgeschlagen, und jetzt kommt die Schlappe dazu, die, nach preußischen Berichten, Faidherbe soeben vor St. Quentin erlitten hat.
Über Bourbakis Niederlage kann kein Zweifel sein. Seit dem Scharmützel in Villersexel am 9. Januar hat er bei allen Bewegungen eine Langsamkeit gezeigt, die entweder von Unentschlossenheit auf seiten des Generals oder von ungenügender Widerstandsfähigkeit auf seiten der Truppen zeugt. Den Angriff auf die verschanzten Stellungen, die Werder zum Schutz der Belagerung von Belfort jenseits der Lisaine (oder nach anderen Karten Isel) vorbereitet hatte, begann Bourbaki nicht vor dem 15. und gab ihn am Abend des 17. als hoffnungslos auf. Zweifellos ist das Unternehmen mit ungenügenden Kräften durchgeführt worden. Das XV. Armeekorps war bei Nevers gelassen worden, vom XIX. haben wir seit einem Monat nichts gehört; die Truppen, die aus Lyon eingetroffen sind, beschränken sich auf ein Armeekorps, das XXIV. Wir hören jetzt, daß beträchtliche Verstärkungen nach Dijon geschickt werden, aber angesichts der erheblichen Verstärkungen, die auch der Gegner laufend erhält, werden sie Bourbaki nicht sofort in den Stand setzen, die Offensive wieder aufzunehmen.
Man könnte fragen, ob Bourbaki seine jungen Truppen in einen Angriff auf verschanzte Stellungen hätte führen sollen, die mit Hinterladern verteidigt wurden; aber wir wissen bis jetzt wenig von den taktischen Bedingungen, unter denen der dreitägige Kampf stattfand; es ist möglich, daß Bourbaki nicht anders handeln konnte.
Daß das preußische Hauptquartier nicht mit demselben verächtlichen Achselzucken auf Bourbakis Unternehmen sah wie die meisten Leute hier in London, erweist sich aus dem angespannten Eifer, mit dem es Gegen- |244| maßnahmen ergriff. Diese Maßnahmen lassen keinen Zweifel darüber, daß Bourbakis Bewegung in Versailles bekannt war, als er seinen Marsch nach Osten begann, wenn nicht schon früher. Am 2. Januar erhielt das II. Korps den Befehl, von Paris in südöstlicher Richtung nach dem Becken der oberen Seine zu marschieren. Fast gleichzeitig verließ Zastrow mit der 13. Division die Umgegend von Metz, um nach Châtillon zu marschieren. Unmittelbar nach der Einnahme von Rocroi am 9., wurde die 14. Division (die von Zastrows VII. Korps übriggeblieben war) von Charleville nach Paris beordert; von da an folgt sie dem II. Korps; und bereits am 15. finden wir ihre Vorhut (ein Bataillon des 77. Regiments) bei Langres in ein Gefecht verwickelt. Gleichzeitig werden Landwehrtruppen eilig von Deutschland nach dem südlichen Elsaß geworfen. Manteuffel verdankt augenscheinlich sein neues Kommando keinem anderen Grund als dieser ersten ernsthaften Bewegung gegen den schwächsten Punkt der ganzen deutschen Linie. Wenn Bourbaki genügend Truppen aufgebracht hätte, Werder zu überrennen, so konnte er ihn in das Rheintal zurückwerfen, die Kette der Vogesen zwischen Werder und seine eigenen Truppen bringen und mit dem größeren Teil seiner Kräfte gegen jene deutschen Verstärkungen marschieren, die er dann hätte einzeln angreifen können, so wie sie aus den verschiedenen Richtungen herankamen. Er konnte bis zur Eisenbahn Paris - Straßburg vordringen; und es ist recht zweifelhaft, ob in diesem Fall die Einschließung von Paris hätte fortgesetzt werden können. Seine Niederlage beweist nichts gegen die Strategie seiner Bewegung; sie beweist nur, daß sie mit ungenügenden Kräften unternommen wurde. Der Schreiber dieser Artikel ist nach wie vor der Meinung, daß der kürzeste und sicherste Weg, Paris zu entsetzen, ein Angriff auf die Eisenbahnlinie Paris - Straßburg ist, die einzige durchgehende Eisenbahnlinie der Deutschen; denn wir wissen jetzt, daß die andere Linie, über Thionville und Mézières, wegen der Sprengung eines Ardennentunnels noch unpassierbar ist und es für die nächste Zeit auch bleiben wird. Das ist, nebenbei gesagt, das zweitemal in diesem Kriege, daß die Zerstörung eines Tunnels eine Eisenbahnlinie für Monate unterbricht, während zerstörte Brücken und Viadukte stets in unglaublich kurzer Zeit wiederhergestellt worden sind.
Was Chanzy anbetrifft, so hat er offensichtlich einen sehr großen Fehler gemacht, sich überhaupt auf eine regelrechte Schlacht einzulassen. Er muß von Bourbakis Bewegung wenigstens seit einem Monat gewußt haben; er muß gewußt haben, daß dies die eigentliche Bewegung zur Entsetzung von |245| Paris war und daß inzwischen das ganze Gewicht von Friedrich Karls Armee über ihn hereinbrechen konnte. Er war nicht gezwungen, eine Schlacht anzunehmen; im Gegenteil, er hätte seinen Gegner, weiter als für diesen gut war, weglocken können, und zwar durch einen langsamen Rückzug unter fortwährenden Nachhutgefechten, ähnlich jenen, durch die er im Dezember seinen Ruf begründete. Er hatte reichlich Zeit, seine Vorräte an sichere Plätze zu senden, und hatte auch die Wahl, sich entweder in die Bretagne mit ihren befestigten Seehäfen oder über Nantes in das Gebiet südlich der Loire zurückzuziehen. Überdies konnte ihm Friedrich Karl mit seiner gesamten Truppenmacht nicht sehr weit folgen. Ein solcher militärischer Rückzug würde auch unseren bisherigen Erfahrungen mit Chanzy eher entsprochen haben; und da er wissen mußte, daß die neuen Verstärkungen, die er erhalten hatte, vorläufig weder in Hinblick auf Ausrüstung, Bewaffnung noch Disziplin zu einem Hauptschlag fähig waren, müssen wir zu dem Schluß kommen, daß die Schlacht vor Le Mans nicht aus militärischen, sondern aus politischen Gründen geschlagen wurde und daß der hierfür verantwortliche Mann nicht Chanzy, sondern Gambetta ist. Chanzys jetziger Rückzug ist allerdings durch die vorangegangene Niederlage sehr erschwert; aber Chanzy zeichnet sich durch geschickte Rückzüge aus, und bisher scheinen die Sieger den Zusammenhalt seiner Armee nicht wesentlich gelockert zu haben, andernfalls würden sie wirkliche Beweise für ihre Behauptung beibringen, daß diese Armee "Spuren der Auflösung zeigt". Ob Chanzys Rückzug wirklich ein exzentrischer ist, ist nicht gewiß. Auf alle Fälle ist aus der Tatsache, daß sich ein Teil seiner Truppen nach Alençon und ein anderer nach Laval zurückgezogen hat, nicht unbedingt zu schließen, daß der eine Teil auf die Halbinsel Cotentin nach Cherbourg und der andere in die Bretagne nach Brest getrieben wurde. Da die französische Flotte in wenigen Stunden von einem Hafen zum andern fahren kann, wäre sogar das kein ernstes Unglück. Das Gelände der Bretagne ist durch seine zahlreichen, dichtgepflanzten Hecken - dicht wie auf der Insel Wight, nur noch viel zahlreicher - für die Verteidigung ausgezeichnet geeignet, besonders für unerfahrene Truppen, deren Unterlegenheit dort kaum in Erscheinung treten wird. Friedrich Karl wird sich wahrscheinlich nicht in ein Labyrinth wagen, in dem die Armeen der Ersten Republik jahrelang gegen einen bloßen Bauernaufstand kämpften.
Wir kommen bei der Beurteilung des ganzen Januarfeldzugs zu dem Schluß, daß die Franzosen überall verloren haben, weil sie zu viele verschiedene Dinge zur gleichen Zeit zu tun versuchten. Sie können nur dann zu gewinnen hoffen, wenn sie ihre Massen auf einen Punkt konzentrieren, auf |246| die Gefahr hin, an den anderen Punkten zeitweilig zurückgetrieben zu werden, wobei sie natürlich regelrechte Schlachten vermeiden müßten. Tun sie das nicht, und tun sie es nicht bald, so kann Paris als verloren betrachtet werden. Wenn sie aber nach diesem altbewährten Grundsatz handeln, können sie noch gewinnen, wie düster die Dinge heute auch für sie ausschauen mögen. Die Deutschen haben jetzt alle Verstärkungen erhalten, auf die sie für die nächsten drei Monate rechnen konnten, während die Franzosen in ihren Ausbildungslagern mindestens 200.000 bis 300.000 Mann haben müssen, die in dieser Zeit zum Kampf gegen den Feind bereit sein werden.