Über den Krieg - VIII | Inhalt | Über den Krieg - X
Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 17, 5. Auflage 1973, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1962, Berlin/DDR. S. 48-51.
Erstellt am 13.12.1998.
1. Korrektur.
["The Pall Mall Gazette" Nr. 1720 vom 18. August 1870]
|48| "Die französische Armee begann auf das linke Ufer der Mosel überzusetzen. Heute (Sonntag) morgen meldeten Patrouillen das Auftauchen der preußischen Vorhut. Als die Hälfte der Armee den Fluß überschritten hatte, griffen die Preußen in großer Stärke an; und nach einem Kampf, der vier Stunden dauerte, wurden die Preußen unter schweren Verlusten zurückgeschlagen."
Das war der Text der kaiserlichen Depesche, wie ihn Reuter Montag |11. August 1870| nacht brachte. Er enthielt indes einen schweren Irrtum. Der Kaiser hatte ausdrücklich berichtet, daß die Patrouillen die Anwesenheit des Feindes nicht gemeldet hatten, obgleich dieser mit beträchtlichen Kräften in unmittelbarer Nähe war. Davon abgesehen, konnte scheinbar nichts sachlicher und korrekter sein als dieses Bulletin. Man hat die ganze Sache deutlich vor Augen: Die Franzosen, eifrig beschäftigt mit der gefahrvollen Operation, den Fluß zu überschreiten; die schlauen Preußen, die stets wissen, wie man den Gegner in einer unvorteilhaften Lage überrascht, überfallen ihn, sobald die Hälfte seiner Truppen das andere Ufer erreicht hat; dann folgt die glänzende Verteidigung der Franzosen, die schließlich nach übermenschlichen Anstrengungen ein kühner Vormarsch krönt, der den Feind mit bedeutenden Verlusten zurücktreibt. Das alles ist ganz anschaulich, und es fehlt nur eines - der Name des Ortes, wo sich das alles ereignet hat.
Aus dem Bulletin können wir nur schließen, daß dieser Flußübergang und der so erfolgreich zurückgewiesene Versuch, ihn zu unterbrechen, im offenen Felde stattfand. Aber wie konnte dies geschehen, wo doch die Franzosen alle Brücken innerhalb von Metz zum Übergang zur Verfügung hatten, |49| Brücken, die vor jedem feindlichen Überfall vollkommen sicher waren, und es doch außerdem genügend Platz zum Bau weiterer Pontonbrücken an gleich sicheren Plätzen jene fünf oder sechs Meilen den Fluß entlang gab, die durch die Forts rings um Metz gedeckt sind? Der französische Stab wird uns doch nicht einreden wollen, daß er mutwillig alle diese Vorteile vernachlässigte, die Armee aus Metz herausführte, seine Brücken im offenen Felde errichtete und den Fluß in Sicht und Reichweite des Feindes überschritt, bloß um jene "Schlacht vor Metz" zu liefern, die man uns eine ganze Woche lang versprochen hatte?
Wenn sich aber der Übergang über die Mosel auf Brücken innerhalb der Werke von Metz vollzog, wie konnten da die Preußen die sich noch auf dem rechten Ufer befindlichen Franzosen angreifen, solange sich diese, wie es durchaus möglich war, innerhalb des Bereichs der detachierten Forts befanden? Die Artillerie dieser Forts würde diesen Platz für angreifende Truppen bald zu heiß gemacht haben.
Die ganze Sache erscheint unmöglich. Der französische Stab hätte zumindest den Namen des Ortes angeben können, damit wir die verschiedenen Phasen dieses glorreichen Kampfes auf der Karte verfolgen konnten. Aber diesen Namen will er nicht nennen. Zum Glück für uns sind die Preußen nicht so geheimnisvoll; sie berichten, daß der Kampf in der Nähe von Pange, auf dem Wege nach Metz stattfand. Wir sehen uns nun die Karte an, und die ganze Sache ist klar. Pange liegt nicht an der Mosel, sondern acht Meilen davon entfernt an der Nied, etwa vier Meilen außerhalb der detachierten Forts von Metz. Wenn die Franzosen die Mosel überschritten und die Hälfte ihrer Truppen bereits drüben hatten, so hatten sie in militärischer Hinsicht keine Ursache, stärkere Truppenteile in oder bei Pange zu halten. Wenn sie dennoch dorthin gingen, so nicht aus militärischen Gründen.
Napoleon, einmal gezwungen, Metz und die Mosellinie aufzugeben, konnte nicht gut ohne Kampf und - wenn möglich - ohne einen wirklichen oder Scheinsieg einen Rückzug antreten, der mindestens bis nach Châlons fortgesetzt werden muß. Die Gelegenheit war günstig. Während die eine Hälfte seiner Truppen den Fluß überschritt, konnte die andere Hälfte zwischen den östlichen Forts von Metz hervorbrechen, die preußische Vorhut zurücktreiben, ein größeres Treffen in dem Umfang herbeiführen, der zweckdienlich erschien, den Feind bis in die Reichweite der Geschütze der Forts heranziehen und ihn dann mit einem großartigen Vormarsch der ganzen Front in sichere Entfernung von den Werken zurücktreiben. Ein solcher Plan konnte nicht ganz fehlschlagen; er mußte zu etwas führen, dem |50| man den Anstrich eines Sieges verleihen konnte; das würde das Vertrauen in der Armee, vielleicht sogar das in Paris wiederherstellen und dem Rückzug nach Châlons ein minder demütigendes Aussehen geben.
Wenn man die Dinge so betrachtet, so erklärt dies das scheinbar einfache, in Wirklichkeit aber absurde Bulletin von Metz. Jedes Wort dieses Bulletins ist in einem gewissen Sinne richtig, während man auf den ersten Blick sieht, daß der ganze Kontext darauf berechnet ist, einen völlig falschen Eindruck hervorzurufen. Das erklärt auch, weshalb beide Seiten den Sieg für sich beanspruchen konnten. Die Preußen trieben die Franzosen bis unter den Schutz ihrer Forts zurück, waren aber zu dicht an diese Forts herangerückt und mußten sich ihrerseits wieder zurückziehen. Soviel über die berühmte "Schlacht vor Metz", die ebensogut hätte unterbleiben können, denn ihr Einfluß auf den Verlauf des Feldzugs wird gleich Null sein. Es ist bemerkenswert, daß Graf Palikao bei seiner Rede in der Kammer weit vorsichtiger war. Er sagte:
"Es war keine Schlacht, sondern es waren Teilgefechte, bei denen jeder Mensch, der etwas von militärischen Dingen versteht, sehen muß, daß die Preußen eine Schlappe erlitten und gezwungen waren, die Rückzugslinie der französischen Armee freizugeben."
Diese letzte Versicherung des Marschalls scheint nur einen Augenblick lang wahr gewesen zu sein, denn die sich zurückziehenden französischen Truppen sind zweifelsohne bei Mars-la-Tour und Gravelotte von den Preußen stark beunruhigt worden.
Es war in der Tat höchste Zeit, daß Napoleon und seine Armee Metz verließen. Während sie an der Mosel zögerten, überquerte die deutsche Kavallerie die Maas bei Commercy und zerstörte die Eisenbahn von dort bis Bar-le-Duc; sie erschien auch in Vigneulles und bedrohte die Flanke der Kolonnen, die sich von Metz nach Verdun zurückzogen. Was diese Kavalleristen wagten, sehen wir aus der Art, wie eine ihrer Schwadronen in Nancy einzog, 50.000 Francs requirierte und die Bevölkerung der Stadt zwang, die Eisenbahn zu zerstören. Wo aber ist die französische Kavallerie? Wo sind die dreiundvierzig Regimenter, die zu den acht Armeekorps, und die zwölf Regimenter der Reservekavallerie, die zum Bestand der Rheinarmee gehören?
Das einzige Hindernis auf dem Wege der Deutschen ist jetzt die Festung Toul, und auch das wäre ohne Bedeutung, wenn sie nicht die Eisenbahn beherrschte. Die Deutschen brauchen natürlich die Eisenbahn und werden deshalb ohne Zweifel die raschesten Maßnahmen zur Einnahme von Toul ergreifen. Toul ist eine veraltete Festung ohne detachierte Forts und somit |51| gänzlich offen für ein Bombardement. Wir werden wahrscheinlich bald hören, daß es sich ergeben hat, nachdem es zwölf Stunden oder vielleicht noch kürzer mit Feldgeschützen bombardiert worden ist.
Wenn Mac-Mahon wirklich, wie die französischen Zeitungen melden, seine Armee verlassen hat, und zwei Tage nach der Schlacht bei Wörth in Nancy war, so können wir sicher sein, daß sein Korps gänzlich desorganisiert ist und daß davon auch de Faillys Truppen angesteckt sind. Die Deutschen marschieren jetzt zur Marne, und zwar fast in gleicher Frontlinie mit den beiden französischen Armeen, eine an jeder Flanke. Bazaines Marschroute führt von Metz über Verdun und St. Ménehould nach Châlons, die der Deutschen von Nancy über Commercy und Bar-le-Duc nach Vitry; und die von Mac-Mahons Truppen (denn selbst wenn der Marschall sich mit dem Kaiser in Châlons vereint hat, so muß das ohne seine Armee geschehen sein) geht irgendwo nach Süden, aber ohne Zweifel auch in Richtung auf Vitry. Die Vereinigung der beiden französischen Armeen wird somit jeden Tag problematischer. Wenn Douays Truppen nicht zur rechten Zeit von Belfort über Vesoul und Chaumont nach Vitry beordert worden sind, so werden sie sich auf dem Wege über Troyes und Paris mit der Armee vereinigen müssen, denn der Eisenbahntransport französischer Truppen über Vitry wird bald nicht mehr möglich sein.