Inhaltsverzeichnis Dokumente der Internationalen Arbeiter-Assoziation 1870

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 16, 6. Auflage 1975, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1962, Berlin/DDR. S. 409-420.

1. Korrektur.
Erstellt am .

Karl Marx

Konfidentielle Mitteilung

Geschrieben um den 28. März 1870.
Nach der Handschrift.


|409| Der Russe Bakunin (obgleich ich ihn seit 1843 kenne, übergehe ich hier alles nicht absolut zum Verständnis des Folgenden Nötige) hatte kurz nach Stiftung der Internationale eine Zusammenkunft mit Marx zu London. Letztrer nahm ihn dort in die Gesellschaft auf, für welche B[akunin] nach besten Kräften zu wirken versprach. B. reiste nach Italien, erhielt dort von M[arx] die provisorischen Statuten und Adresse an die arbeitenden Klassen zugeschickt, antwortete "sehr enthusiastisch", tat nichts. Nach Jahren, worin man nichts von ihm hört, taucht er wieder in der Schweiz auf. Dort schließt er sich an nicht an die Internationale, sondern an die Ligue de la Paix et de la Liberté. Nach dem Kongreß dieser Friedensligue (Genf 1867) bringt B. sich in den Vollziehungsausschuß derselben, findet hier jedoch Gegner, die ihm nicht nur keinen "diktatorischen" Einfluß erlauben, sondern ihn als "russisch verdächtig" überwachen. Kurz nach dem Brüßler Kongreß (September 1868) der Intern[ationale] hält die Friedensligue ihren Kongreß zu Bern. Diesmal tritt B. als firebrand |Aufwiegler| auf und - was en passant zu bemerken - hält seine Denunziation der okzidentalen Bourgeoisie in dem Ton, worin die moskowitischen Optimisten die westliche Zivilisation - zur Beschönigung ihrer eignen Barbarei - anzugreifen pflegen. Er schlägt eine Reihe von Beschlüssen vor, die, an sich abgeschmackt, darauf berechnet sind, den bürgerlichen Kretins Schrecken einzujagen, und Herrn Bakunin erlauben, mit Eklat aus der Friedensligue aus- und in die Internationale einzutreten. Es genügt zu sagen, daß sein dem Berner Kongreß vorgeschlagnes Programm solche Absurditäten enthält wie die "Gleichheit" der "Klassen", "Abschaffung des Erbrechts als Anfang der sozial[en] Rev[olution]" etc. - gedankenlose Schwätzereien, ein Rosenkranz von hohlen Einfällen, die schauerlich zu sein prätendieren, kurz eine insipide Improvisation, die bloß |410| auf einen gewissen Tageseffekt berechnet war. Die Freunde B's in Paris (wo ein Russe Mitherausgeber der "Revue Positiviste") und London zeigen der Welt den Austritt B's aus der Friedensligue als un événement |ein Ereignis| an und künden sein groteskes Programm - diese Olla podrida abgeschliffner Gemeinplätze - als etwas wunderlich Grauses und Originelles an.

B. war unterdes in die Branche Romande |den Romanischen Zweig| der Internationalen (zu Genf) eingetreten. Es hatte Jahre gekostet, bis er sich zu diesem Schritt entschloß. Aber es kostete noch keine Tage, bevor Herr Bakunin beschloß, die Intern. umzuwälzen und sie in sein Instrument zu verwandeln.

Hinter dem Rücken des Londoner Generalrats - dieser wurde erst unterrichtet, nachdem alles anscheinlich fertig war - bildete er die sog. Alliance des Démocrates Socialistes. Das Programm dieser Gesellschaft war kein andres als das von B. dem Berner Friedenskongreß vorgelegte. Die Gesellschaft kündete sich damit also von vornherein an als Propagandagesellschaft spezifisch B'scher Geheimweisheit, und B. selbst, einer der unwissendsten Menschen auf dem Feld der sozialen Theorie, figuriert hier plötzlich als Sektenstifter. Das theoretische Programm dieser Alliance war jedoch bloße Farce. Die ernste Seite lag in ihrer praktischen Organisation. Diese Gesellschaft sollte nämlich international sein, mit ihrem Zentralkomitee in Genf, d.h. unter B's persönlicher Leitung. Zugleich aber sollte sie ein "integraler" Bestandteil der Intern. Arbeiterassoziation sein. Ihre branches |Zweiggesellschaften| sollten einerseits vertreten sein auf dem "nächsten Kongreß" der Intern. (zu Basel) und zugleich ihren eigenen Kongreß neben dem andern in Separatsitzungen abhalten etc. etc.

Das Menschenmaterial, worüber B. zunächst verfügte, war die damalige Majorität des Comité Fédéral Romand |Romanisches Föderalkomitees| der Intern. zu Genf, J. Ph. Becker, dessen Propagandaeifer zuweilen mit seinem Kopf durchbrennt, wurde vorgeschoben. In Italien und Spanien hatte B. einige Alliierte.

Der Generalrat zu London war vollständig unterrichtet. Er ließ jedoch Bakunin ruhig vorangehn bis zu dem Augenblick, wo letztrer genötigt war, durch J. Ph. Becker die Statuten (nebst Programm) der Alliance des Dém. Soc. dem Generalrat zur Genehmigung zukommen zu lassen. Darauf erfolgte ein weitläufig motivierter Bescheid - ganz "richterlich" und "objektiv" gehalten, aber in seinen "Erwägungsgründen" voller Ironie -, der damit schloß:

1. Der Generalrat läßt die Alliance nicht als branche der Intern. zu.

|411| 2. Alle Paragraphen des Statuts der Alliance, die sich auf ihr Verhältnis zur Intern. beziehn, sind für null und nichtig erklärt.

In den Erwägungsgründen war klar und schlagend bewiesen, daß die Alliance nichts als eine Maschine zur Desorganisation der Int. sei.

Dieser Schlag kam unvermutet. B. hatte bereits die "Égalité", das Zentralorgan der französisch sprechenden Mitglieder der Int. in der Schweiz, in sein Organ verwandelt, außerdem zu Locle sich einen kleinen Privatmoniteur gestiftet - den "Progrès". Der "Progrès" spielt bis heute noch diese Rolle unter Redaktion eines fanatischen Anhängers B's, eines gewissen Guillaume.

Nach mehrwöchentlichem Bedenken schickt endlich das Zentralkomitee der Alliance - unter der Signatur Perrons, eines Genfers - Antwortschreiben an den Generalrat. Die Alliance will aus Eifer für die gute Sache ihre selbständige Organisation aufopfern, aber nur auf eine Bedingung hin, nämlich auf Erklärung des Generalrats, daß er ihre "radikalen" Prinzipien anerkennt.

Der Generalrat antwortete: Es sei nicht seine Funktion, theoretisch über die Programme der verschiednen Sektionen zu Gericht zu sitzen. Er habe nur zu sehn, daß in denselben nichts direkt den Statuten und ihrem Geist Widersprechendes enthalten sei. Er müsse daher darauf bestehn, daß aus dem Programm der Alliance die abgeschmackte Phrase über die "égalité des classes" |"Gleichheit der Klassen"| weggestrichen und statt dessen "abolition des classes" |"Abschaffung der Klassen"| gesetzt werde (was auch geschah). Im übrigen könnten sie eintreten nach Auflösung ihrer selbständigen intern. Organisation und nachdem sie (was notabene nie geschah) dem Generalrat eine Liste über ihre sämtlichen branches zugestellt.

Damit war dieser incident |Zwischenfall| erledigt. Die Alliance löste sich nominell auf und blieb faktisch unter B's Leitung fortbestehn, der zugleich das Genfer Comité Romand Fédéral der Intern. beherrschte. Zu ihren bisherigen Organen kam noch die "Federación" zu Barcelona hinzu (nach dem Basler Kongreß noch die "Eguaglianza" zu Neapel).

B. suchte nun seinen Zweck - die Internationale in sein Privatwerkzeug zu verwandeln - auf andre Weise zu erreichen. Er ließ durch unser Genfer Romanisches Komitee dem Generalrat vorschlagen, die "Erbschaftsfrage" auf das Programm des Basler Kongresses zu setzen. Der Generalrat ging darauf ein, um B. direkt auf den Kopf schlagen zu können. B's Plan war der: Indem der Basler Kongreß die von B. zu Bern aufgestellten "Prinzipien" (?) annimmt, wird der Welt gezeigt, daß B. nicht zur Intern., sondern |412| die Intern. zu B. übergetreten ist. Einfache Konsequenz, der Londoner Generalrat (dessen Gegnerschaft gegen die Aufwärmung der vieillerie Saint-Simoniste |des Saint-Simonistischen Kohls| dem B. bekannt war) muß abtreten, und der Basler Kongreß wird den Generalrat nach Genf verlegen, d.h. die Internationale wird der Diktatur B. anheimfallen.

B. setzte eine völlige Konspiration ins Werk, um sich die Majorität auf dem Basler Kongreß zu sichern. Sogar an falschen Vollmachten fehlte es nicht, wie die des Herrn Guillaume für Locle etc. B. selbst bettelte sich Vollmachten von Neapel und Lyon. Verleumdungen aller Art gegen den Generalrat wurden ausgestreut. Den einen sagte man, das élément bourgeois |bürgerliche Element| wiege in ihm vor, den andern, er sei der Sitz des communisme autoritaire |autoritären Kommunismus| etc.

Das Resultat des Basler Kongresses ist bekannt. B's Vorschläge drangen nicht durch, und der Generalrat blieb in London.

Der Ärger über diesen Fehlschlag - mit dessen Gelingen B. vielleicht allerlei Privatspekulationen verknüpft hatte in "seines Herzens Geist und Empfindung" - machte sich in gereizten Äußerungen der "Égalité" und des "Progrès" Luft. Diese Blätter nahmen unterdes mehr und mehr die Form offizieller Orakel an. Bald wurde diese, bald jene Schweizer Sektion der Intern. mit Bann belegt, weil sie gegen B's ausdrückliche Vorschrift sich an der politischen Bewegung beteiligt hatten etc. Endlich brach die lang verhaltne Wut gegen den Generalrat offen aus. "Progrès" und "Égalité" mokierten sich, griffen an, erklärten, der Generalrat erfüllte seine Pflichten nicht, z.B. in betreff des dreimonatlichen Bulletins; der Generalrat müsse sich der direkten Kontrolle über England entledigen und neben sich ein englisches Zentralkomitee, das sich nur mit englischen Angelegenheiten [befasse], gründen lassen; die Beschlüsse des Generalrats über die gefangenen Fenier seien eine Überschreitung seiner Funktionen, da er sich nicht mit lokalpolitischen Fragen zu beschäftigen habe. Es wurde ferner in "Progrès" und "Égalité" Partei für Schweitzer genommen und der Generalrat kategorisch aufgefordert, sich offiziell und publiquement |öffentlich| über die Frage Liebknecht-Schweitzer zu erklären. Das Journal "Le Travail" (in Paris), worin die Pariser Freunde Schweitzers ihm günstige Artikel eingeschmuggelt, wurde darüber belobt von "Progrès" und "Égalité" und in letztrer aufgefordert, gemeinsame Sache gegen den Generalrat zu machen.

Die Zeit war jetzt daher gekommen, wo eingeschritten werden mußte. Folgendes ist wörtliche Kopie des Sendschreibens des Generalrats an das |413| Genfer Romanische Zentralkomitee. Das Dokument zu lang, um es ins Deutsche zu übersetzen.

"Der Generalrat an den Föderalrat der romanischen Schweiz in Genf.

In seiner außerordentlichen Sitzung vom 1. Januar 1870 hat der Generalrat beschlossen:

1. Wir lesen in der 'Égalité', vom 11. Dezember 1869:

'Es ist sicher, daß der Generalrat äußerst wichtige Dinge vernachlässigt ... Wir erinnern den Generalrat an seine Pflichten durch den Artikel 1 des Reglements: "Der Generalrat ist verpflichtet, die Kongreßbeschlüsse auszuführen." ... Wir hätten genug Fragen an den Generalrat, so daß seine Antworten ein ziemlich langes Dokument ergäben. Sie werden später kommen. In der Erwartung etc.'

Der Generalrat kennt weder in den Statuten noch im Reglement einen Artikel, der ihn verpflichtete, sich in eine Korrespondenz oder eine Polemik mit der 'Égalité' einzulassen oder 'Fragen' irgendeiner Zeitung zu 'beantworten'.

Allein der Föderalrat der romanischen Schweiz vertritt die Zweiggesellschaften der romanischen Schweiz vor dem Generalrat. Wenn der Föderalrat Anfragen oder Vorwürfe an uns richtet, und zwar auf dem einzig legitimen Wege, das heißt durch seinen Sekretär, wird der Generalrat immer bereit sein, darauf zu antworten. Aber der Romanische Föderalrat hat weder das Recht, seine Funktionen an die 'Égalité' und den 'Progrès' abzutreten, noch seine Funktionen von diesen Zeitungen usurpieren zu lassen.

Allgemein gesprochen: die Korrespondenz des Generalrats mit den nationalen und lokalen Komitees könnte nicht veröffentlicht werden, ohne den allgemeinen Interessen der Assoziation großen Schaden zuzufügen.

Wenn also die anderen Organe der Internationale dem 'Progrès' und der 'Égalité' nachahmen würden, sähe sich der Generalrat vor die Alternative gestellt, sich entweder durch sein Schweigen vor der Öffentlichkeit zu diskreditieren oder seine Pflichten durch eine öffentliche Antwort zu verletzen.

Die 'Égalité' hat sich dem 'Progrès' beigesellt, um den 'Travail' aufzufordern, vom Generalrat Erklärungen zu verlangen. Das ist beinahe eine Liga für das öffentliche Wohl!

2. Angenommen, die von der 'Égalité' gestellten Fragen gehen vom Romanischen Föderalrat aus, so wollen wir sie beantworten, aber nur unter |414| der Bedingung, daß solche Fragen an uns nicht wieder in dieser Weise gestellt werden.

3. Die Frage des Bulletins.

Die Beschlüsse des Genfer Kongresses, die in das Reglement aufgenommen wurden, schreiben vor, daß die nationalen Komitees dem Generalrat Dokumente über die proletarische Bewegung einzusenden haben und daß der Generalrat dann ein Bulletin in den verschiedenen Sprachen veröffentlichen soll, 'sooft seine Mittel es ihm erlauben'. ('As often as its means permit, the General Council shall publish a report etc.')

Die Verpflichtung des Generalrats war demnach an Bedingungen geknüpft, die niemals erfüllt wurden. Selbst die in den Statuten vorgeschriebene statistische Untersuchung, die von mehreren aufeinander folgenden allgemeinen Kongressen beschlossen und Jahr für Jahr vom Generalrat verlangt wurde, ist niemals durchgeführt worden. Was die Mittel anbelangt, so hätte der Generalrat ohne die regionalen Beiträge aus England und ohne die persönlichen Opfer seiner Mitglieder schon längst aufgehört zu existieren.

So ist das vom Genfer Kongreß angenommene Reglement ein toter Buchstabe geblieben.

Was den Kongreß zu Basel anbelangt, so hat er nicht über die Ausführung eines bestehenden Reglements, sondern nur über die Opportunität eines zu schaffenden Bulletins diskutiert und keinen Beschluß darüber gefaßt.

Übrigens glaubt der Generalrat, daß der ursprüngliche Zweck eines von ihm herausgegebenen Bulletins zur Zeit vollkommen von den verschiedenen Organen der Internationale erfüllt wird, die in verschiedenen Sprachen erscheinen und auf dem Wege des gegenseitigen Austauschs verbreitet werden. Es wäre absurd, durch kostspielige Bulletins erreichen zu wollen, was bereits ohne Kosten erreicht wird. Andererseits würde ein Bulletin, das Dinge veröffentlicht, die in den Organen der Internationale nicht gedruckt werden, nur dazu dienen, unsere Feinde hinter die Kulissen sehen zu lassen.

4. Die Frage der Trennung des Generalrats vom Föderalrat für England.

Lange vor der Gründung der 'Égalité' wurde dieser Vorschlag wiederholt im Generalrat selbst von einem oder zwei seiner englischen Mitglieder eingebracht. Man hat ihn aber stets fast einstimmig abgelehnt.

Obgleich die revolutionäre Initiative wahrscheinlich von Frankreich ausgehen wird, kann allein England als Hebel für eine ernsthafte ökonomische Revolution dienen. Es ist das einzige Land, wo es keine Bauern mehr gibt und wo der Grundbesitz in wenigen Händen konzentriert ist. Es ist das |415| einzige Land, wo die kapitalistische Form - das heißt die auf großer Stufenleiter kombinierte Arbeit unter kapitalistischen Unternehmern - sich fast der gesamten Produktion bemächtigt hat. Es ist das einzige Land, wo die große Mehrheit der Bevölkerung aus Lohnarbeitern (wages labourers) besteht. Es ist das einzige Land, wo der Klassenkampf und die Organisation der Arbeiterklasse durch die Trade-Unions einen gewissen Grad der Reife und der Universalität erlangt haben. Dank seiner Herrschaft auf dem Weltmarkt ist England das einzige Land, wo jede Revolution in den ökonomischen Verhältnissen unmittelbar auf die ganze Welt zurückwirken muß. Wenn der Landlordismus und der Kapitalismus ihren klassischen Sitz in diesem Lande haben, so sind andererseits die materiellen Bedingungen ihrer Vernichtung dort am meisten herangereift. Der Generalrat ist jetzt in der glücklichen Lage, seine Hand direkt auf diesem großen Hebel der proletarischen Revolution zu haben; welche Torheit, ja, man könnte fast sagen, welches Verbrechen wäre es, ihn englischen Händen allein zu überlassen!

Die Engländer verfügen über alle notwendigen materiellen Voraussetzungen für eine soziale Revolution. Woran es ihnen mangelt, ist der Geist der Verallgemeinerung und die revolutionäre Leidenschaft. Dem kann nur der Generalrat abhelfen und somit eine wahrhaft revolutionäre Bewegung in diesem Land und folglich überall beschleunigen. Die großen Erfolge, die wir bereits in dieser Hinsicht erzielt haben, werden von den klügsten und angesehensten Zeitungen der herrschenden Klassen bezeugt, wie zum Beispiel von der 'Pall Mall Gazette', der 'Saturday Review', dem 'Spectator' und der 'Fortnightly Review', ganz abgesehen von den sogenannten radikalen Mitgliedern des Unterhauses und des Oberhauses, die noch vor kurzem einen großen Einfluß auf die Führer der englischen Arbeiter ausübten. Sie klagen uns öffentlich an, wir hätten den englischen Geist der Arbeiterklasse vergiftet und fast erstickt und sie zum revolutionären Sozialismus getrieben.

Die einzige Methode, diese Veränderung zu erreichen, besteht darin, daß wir als Generalrat der Internationalen Assoziation handeln. Als Generalrat können wir Maßnahmen veranlassen (wie zum Beispiel die Gründung der Land and Labour League), die dann später, bei ihrer Ausführung, vor der Öffentlichkeit als spontane Bewegungen der englischen Arbeiterklasse erscheinen.

Würde ein Föderalrat außerhalb des Generalrats gebildet, welche unmittelbaren Auswirkungen hätte dies? Der Föderalrat befände sich zwischen dem Generalrat der Internationale und dem Allgemeinen Rat der Trade-Unions und besäße keinerlei Autorität. Andererseits würde der Generalrat der Internationale diesen großen Hebel aus den Händen lassen. Wenn |416| wir laute Marktschreierei ernster und unsichtbarer Arbeit vorzögen, darin hätten wir vielleicht den Fehler begangen, öffentlich auf die Frage der 'Égalité' zu antworten, warum 'der Generalrat sich in diese so lästige Häufung von Funktionen fügt'.

England darf nicht einfach den anderen Ländern gleichgesetzt werden. Man muß es als die Metropole des Kapitals betrachten.

5. Die Frage der Resolution des Generalrats über die irische Amnestie.

Wenn England das Bollwerk des europäischen Landlordismus und Kapitalismus ist, so ist Irland der einzige Punkt, wo man den großen Schlag gegen das offizielle England führen kann.

Erstens ist Irland das Bollwerk des englischen Landlordismus. Wenn er in Irland fiele, so fiele er auch in England. In Irland kann dies hundertmal leichter erreicht werden, weil sich der ökonomische Kampf dort ausschließlich auf den Grundbesitz konzentriert, weil dieser Kampf dort gleichzeitig ein nationaler ist und weil das Volk dort revolutionärer und erbitterter ist als in England. Der Landlordismus in Irland wird ausschließlich durch die englische Armee aufrechterhalten. In dem Moment, wo die Zwangsunion zwischen den beiden Ländern aufhört, wird in Irland eine soziale Revolution ausbrechen, wenn auch in veralteten Formen. Der englische Landlordismus wird nicht nur eine bedeutende Quelle seiner Reichtümer verlieren, sondern auch seine größte moralische Kraft - die Kraft, die Herrschaft Englands über Irland zu repräsentieren. Andererseits macht das englische Proletariat seine Landlords in England selbst unverwundbar, solange es ihre Macht in Irland aufrechterhält.

Zweitens hat die englische Bourgeoisie das irische Elend nicht nur ausgenutzt, um durch die erzwungene Einwanderung der armen Iren die Lage der Arbeiterklasse in England zu verschlechtern, sondern sie hat überdies das Proletariat in zwei feindliche Lager gespalten. Das revolutionäre Feuer des keltischen Arbeiters vereinigt sich nicht mit der soliden, aber langsamen Natur des angelsächsischen Arbeiters. Im Gegenteil, es herrscht in allen großen Industriezentren Englands ein tiefer Antagonismus zwischen dem irischen und englischen Proletarier. Der gewöhnliche englische Arbeiter haßt den irischen als einen Konkurrenten, der die Löhne und den standard of life |Lebensstandard| herabdrückt. Er empfindet ihm gegenüber nationale und religiöse Antipathien. Er betrachtet ihn fast mit denselben Augen, wie die poor whites |armen Weißen| der Südstaaten Nordamerikas die schwarzen Sklaven betrachteten. Dieser Antagonismus zwischen den Proletariern in England selbst |417| wird von der Bourgeoisie künstlich geschürt und wachgehalten. Sie weiß, daß diese Spaltung das wahre Geheimnis der Erhaltung ihrer Macht ist.

Dieser Antagonismus wiederholt sich auch jenseits des Atlantik. Die von ihrem heimatlichen Boden durch Ochsen und Hammel vertriebenen Iren finden sich in den Vereinigten Staaten wieder, wo sie einen ansehnlichen und ständig wachsenden Teil der Bevölkerung bilden. Ihr einziger Gedanke, ihre einzige Leidenschaft ist der Haß gegen England. Die englische und die amerikanische Regierung, das heißt die Klassen, welche sie repräsentieren, nähren diese Leidenschaften, um den Kampf zwischen den Nationen zu verewigen, der jede ernsthafte und aufrichtige Allianz zwischen den Arbeiterklassen zu beiden Seiten des Atlantik und folglich deren gemeinsame Emanzipation behindert.

Irland ist der einzige Vorwand der englischen Regierung, um eine große stehende Armee zu unterhalten, die im Bedarfsfalle, wie es sich gezeigt hat, auf die englischen Arbeiter losgelassen wird, nachdem sie in Irland zur Soldateska ausgebildet wurde. Schließlich wiederholt sich im England unserer Tage das, was uns das Alte Rom in ungeheurem Maßstab zeigte. Das Volk, das ein anderes Volk unterjocht, schmiedet seine eigenen Ketten.

Der Standpunkt der Internationalen Assoziation in der irischen Frage ist also völlig klar. Ihre erste Aufgabe ist es, die soziale Revolution in England zu beschleunigen. Zu diesem Zwecke muß man den entscheidenden Schlag in Irland führen.

Die Resolution des Generalrats über die irische Amnestie soll nur dazu dienen, andere Resolutionen einzuleiten, in denen zum Ausdruck gebracht werden wird, daß es, abgesehen von jeglicher internationaler Gerechtigkeit, eine Vorbedingung für die Emanzipation der englischen Arbeiterklasse ist, die bestehende Zwangsunion - das heißt der Versklavung Irlands - in eine gleiche und freie Konföderation umzuwandeln, wenn das möglich ist, oder die völlige Trennung zu erzwingen, wenn es sein muß.

Übrigens sind die Doktrinen der 'Égalité' und des 'Progrès' über den Zusammenhang oder vielmehr über das Nichtvorhandensein eines Zusammenhangs zwischen der sozialen und politischen Bewegung unseres Wissens auf keinem unserer Kongresse anerkannt worden. Sie stehen im Gegensatz zu unseren Statuten. Dort heißt es:

'That the economical emancipation of the working classes is ... the great end to which every political movement ought to be subordinate as a means.'

|'Daß die ökonomische Emanzipation der Arbeiterklasse ... der große Endzweck ist, dem jede politische Bewegung, als Mittel, unterzuordnen ist.'|

|418| Diese Worte 'as a means' ('als Mittel') wurden in der französischen Übersetzung, die 1864 vom Pariser Komitee angefertigt wurde, weggelassen. Auf die Anfrage des Generalrats hin entschuldigte sich das Pariser Komitee mit den Schwierigkeiten seiner politischen Situation.

Es gibt noch andere Verstümmelungen des authentischen Textes der Statuten. Der erste Erwägungsgrund der Statuten hat folgenden Wortlaut:

'The struggle for the emancipation of the working classes means ... a struggle ... for equal rights and duties, and the abolition of all class rule.'

|'Der Kampf für die Emanzipation der Arbeiterklasse ist ... ein Kampf ... für gleiche Rechte und Pflichten und für die Vernichtung aller Klassenherrschaft.'|

Die Pariser Übersetzung spricht von 'den gleichen Rechten und Pflichten', das heißt sie gebraucht die allgemeine Phrase, die man in fast allen demokratischen Manifesten seit einem Jahrhundert findet und die von den verschiedenen Klassen verschieden ausgelegt wird, aber sie läßt die konkrete Forderung der 'Vernichtung der Klassen' weg.

Dann liest man im zweiten Absatz der Erwägungen zu den Statuten:

'That the economical subjection of the man of labour to the monopoliser of the means of labour, that is the sources of life etc.'

|'Daß die ökonomische Unterwerfung des Arbeiters unter den Aneigner der Arbeitsmittel, d.h. der Lebensquellen etc.'|

Die Pariser Übersetzung setzt 'Kapital' an Stelle von 'means of labour, that is the sources of life', obwohl der letztere Ausdruck den Grund und Boden ebenso einschließt wie die übrigen Arbeitsmittel.

Der ursprüngliche und authentische Text wurde in der französischen Übersetzung wiederhergestellt, die 1866 in Brüssel veröffentlicht wurde.

6. Die Frage Liebknecht-Schweitzer.

Die 'Égalité' sagt: 'Diese beiden Gruppen gehören der Internationale an.'

Das ist falsch. Die Gruppe der Eisenacher (die der 'Progrès' und die 'Égalité' in eine Gruppe des Bürgers Liebknecht zu verwandeln geruhen) gehört zur Internationale. Die Gruppe Schweitzers gehört ihr nicht an.

Schweitzer selbst hat in seinem Blatt, dem 'Social-Demokrat', ausführlich erklärt, warum die Lassalleanische Organisation sich nicht der Internationale anschließen könne, ohne sich selbst zu vernichten. Er hat die Wahrheit gesagt, ohne es zu wissen. Seine künstliche Sektenorganisation steht im Gegensatz zur wirklichen Organisation der Arbeiterklasse.

Der 'Progrés' und die 'Égalité' haben den Generalrat aufgefordert, öffentlich seine 'Meinung' über die persönlichen Differenzen zwischen Liebknecht und Schweitzer zu äußern. Da der Bürger J. Ph. Becker (der in dem Blatte Schweitzers ebenso verleumdet wird wie Liebknecht) zu den Mit- |419| gliedern des Redaktionskomitees der 'Égalité' gehört, erscheint es wirklich recht sonderbar, daß seine Redakteure über die Tatsachen nicht besser unterrichtet sind. Sie mußten wissen, daß Liebknecht im 'Demokratischen Wochenblatt' Schweitzer öffentlich aufgefordert hat, den Generalrat als Schiedsrichter ihrer Differenzen anzuerkennen, und daß Schweitzer es nicht weniger öffentlich abgelehnt hat, die Autorität des Generalrats anzuerkennen.

Der Generalrat hat nichts unversucht gelassen, um diesem Skandal ein Ende zu machen. Er hat seinen Sekretär für Deutschland beauftragt, mit Schweitzer in Korrespondenz zu treten, was auch geschah, doch alle Versuche des Rats scheiterten an dem festen Entschluß Schweitzers, mit der Sektenorganisation um jeden Preis seine autokratische Macht aufrechtzuerhalten.

Es ist Sache des Generalrats, einen günstigen Moment zu bestimmen, wo seine öffentliche Intervention in diesem Streit mehr nützen als schaden wird.

Im Auftrag des Generalrats etc."

Die französischen Komitees (obgleich Bakunin stark in Lyon und Marseille intrigiert und einige junge Brauseköpfe gewonnen hatte) ebenso wie der Conseil [Général] Belge |belgische Generalrat| (Bruxelles) haben sich ganz einverstanden mit diesem Reskript des Generalrats erklärt.

Die Abschrift für Genf (weil der Sekretär für die Schweiz, Jung, sehr beschäftigt war) wurde etwas verzögert. Sie kreuzte sich daher unterwegs mit einem offiziellen Schreiben von Perret, Sekretär des Genfer Romanischen Zentralkomitees, an den Generalrat.

Die Krise war nämlich in Genf vor Ankunft unsres Briefs ausgebrochen. Einige Redakteure der "Égalité" hatten sich der von Bak. diktierten Richtung widersetzt. Bakunin und seine Anhänger (wovon 6 Redakteure der "Égalité") wollten das Genfer Zentralkomitee zur Entlassung der Widerspenstigen zwingen. Das Genfer Komitee dagegen war längst die Despotie B's müd und sah sich mit Unwillen durch ihn in Gegensatz zu den übrigen deutschen Schweizer Komitees, zu dem Generalrat etc. hineingezogen. Es bestätigte also umgekehrt die B. mißfälligen Redakteure der "Égalité". Darauf gaben seine 6 Mann ihre Entlassung von der Redaktion, indem sie dadurch das Blatt stillzusetzen glaubten.

In Antwort auf unsre Missive erklärt das Genfer Zentralkomitee, daß die Angriffe der "Égalité" wider seinen Willen stattgefunden, daß es die in |420| derselben gepredigte Politik nie gebilligt, daß das Blatt jetzt unter strenger Aufsicht des Komitees redigiert wird usw.

Bakunin zog sich darauf von Genf nach Tessin zurück. Er hat nur noch - was die Schweiz betrifft - im "Progrès" |Locle) seine Hand.

Bald darauf starb Herzen. Bakunin, der seit der Zeit, wo er als Lenker der europ. Arbeiterbewegung sich aufwerfen wollte, seinen alten Freund und Patron Herzen verleugnet hatte, stieß sofort nach dessen Tod in die Lobesposaune. Warum? Herzen, trotz seines persönlichen Reichtums, ließ sich jährlich 25.000 frs. für Propaganda von der ihm befreundeten pseudo-sozialistischen panslawistischen Partei in Rußland zahlen. Durch sein Lobesgeschrei hat Bakunin diese Gelder auf sich gelenkt und damit "die Erbschaft Herzens" - malgré sa haine del'héritage' |trotz seiner Abneigung gegen das Erbrecht| - pekuniär und moralisch sine beneficio inventarii angetreten.

Gleichzeitig hat sich in Genf eine junge russische refugee colony |Flüchtlingskolonie| angesiedelt, flüchtige Studenten, die es wirklich ehrlich meinen und ihre Ehrlichkeit dadurch beweisen, daß sie die Bekämpfung des Panslawismus als Hauptpunkt in ihr Programm aufgenommen.

Sie publizieren zu Genf ein Journal: "La voix du peuple".

Sie haben vor about |ungefähr| 2 Wochen sich nach London gewandt, ihre Statuten und Programm eingesandt, Bestätigung zur Bildung einer russischen branche verlangt. Ist gegeben worden.

In einem besondern Brief an Marx haben sie ihn ersucht, sie im Zentralrat provisorisch zu repräsentieren. Dies ditto akzeptiert. Sie haben zugleich angezeigt - und schienen sich deswegen bei Marx entschuldigen zu wollen -, daß sie nächstens dem Bakunin öffentlich die Maske abreißen müßten, in dem dieser Mensch zweierlei ganz verschiedne Sprachen führe, eine andre in Rußland, eine andre in Europa.

So wird das Spiel dieses höchst gefährlichen Intriganten - wenigstens auf dem Terrain der Internationalen - bald ausgespielt sein.