Inhaltsverzeichnis Artikel und Korrespondenzen 1862

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 15, 4. Auflage 1972, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1961, Berlin/DDR. S. 567-569.

1. Korrektur.
Erstellt am 25.10.1998.

Karl Marx

Die Absetzung McClellans

Geschrieben am 24. November 1862.


["Die Presse" Nr. 327 vom 29. November 1862]

|567| McClellans Absetzung! ist Lincolns Antwort auf die Wahlsiege der Demokraten.

Die demokratischen Journale hatten mit höchster Zuversicht erklärt, daß die Wahl Seymours zum Gouverneur des Staates New York den Widerruf der Proklamation, worin Lincoln die Sklaverei in Sezessia vom 1. Januar 1863 an für abgeschafft erklärt, unmittelbar nach sich ziehen würde. Ihr prophetisches Löschpapier hatte kaum die Druckerpresse verlassen, als ihr Lieblingsgeneral - ihr Liebling, weil er "nächst einer großen Niederlage einen entscheidenden Sieg am meisten fürchtete" - seines Kommandos beraubt und ins Privatleben zurückgetreten war.

Man erinnert sich, daß McClellan auf jene Proklamation Lincolns mit einer Gegenproklamation erwiderte, einem Tagesbefehl an seine Armee, worin er ihr zwar jede Kundgebung gegen die Maßregel des Präsidenten verbot, zugleich aber die verhängnisvollen Worte einfließen ließ: "Es sei die Aufgabe der Bürger, durch die Wahlurne die Irrtümer der Regierung zu rektifizieren oder ihre Handlungen zu richten." McClellan, an der Spitze der Hauptarmee der Vereinigten Staaten, appellierte also vom Präsidenten an die bevorstehenden Wahlen. Er warf das Gewicht seiner Stellung in die Waagschale. Ein Pronunziamento in spanischer Manier abgerechnet, konnte er seine Feindschaft gegen die Politik des Präsidenten nicht auffallender kundtun. Nach dem demokratischen Wahlsieg blieb Lincoln daher nur die Wahl, entweder selbst zum Werkzeug der sklavereifreundlichen Kompromißpartei herabzusinken oder mit McClellan ihr den Stützpunkt in der Armee unter den Füßen wegzuziehen. McClellans Absetzung in diesem Augenblicke ist daher eine politische Demonstration. Jedoch war sie ohnehin unerläßlich geworden. Hallek, |568| der commander in chief |Oberbefehlshaber|, in einem Bericht an den Kriegsminister, hatte McClellan des direkten Ungehorsams bezichtigt. Kurz nach der Niederlage der Konföderierten in Maryland, am 6. Oktober, ordnete Halleck nämlich das Überschreiten des Potomac an, speziell, weil der niedrige Wasserstand des Potomac und seiner Nebenflüsse militärische Operationen damals begünstigte. McClellan, diesem Befehl zum Trotz, blieb unbeweglich, unter dem Vorwand der Marschunfähigkeit seiner Armee aus Mangel an Provisionen. Halleck, in dem erwähnten Bericht, beweist, daß dies eine leere Ausflucht, daß die Ostarmee in bezug auf das Kommissariat große Privilegien im Vergleich zur Westarmee genoß und daß die noch mangelnde Zufuhr ebensogut südlich als nördlich vom Potomac empfangen werden konnte. Diesem Bericht Hallecks schließt sich ein zweiter Bericht an, worin das zur Untersuchung über die Übergabe von Harpers Ferry an die Konföderierten niedergesetzte Komitee McClellan anklagt, er habe die in der Nähe jenes Waffenarsenals befindlichen Unionstruppen in unbegreiflich langsamer Weise - er ließ sie nur 6 englische Meilen (ungefähr 11/2 deutsche Meile) per Tag marschieren - zum Entsatz konzentriert. Beide Berichte, der Hallecks und der des Komitees, befanden sich in der Hand des Präsidenten vor dem Wahlsieg der Demokraten.

McClellans Feldherrnschaft ist so wiederholt in diesen Blättern geschildert worden |siehe: "Amerikanische Angelegenheiten", "Die Lage auf dem amerikanischen Kriegsschauplatze", "Zur Kritik der Dinge in Amerika" und "Abolitionistische Kundgebungen in Amerika"|, daß es genügt, zu erinnern, wie er strategische Umgehung an die Stelle taktischer Entscheidung zu setzen suchte und unermüdlich in der Entdeckung von Generalstabsweisheits-Erwägungen war, die ihm entweder verboten, Siege zu benützen oder Niederlagen zuvorzukommen. Der kurze Maryland-Feldzug hat eine falsche Aureole um sein Haupt geworfen. Indes ist hier zu erwägen, daß er seine allgemeinen Marsch-Ordres von General Halleck erhielt, der auch den Plan zum ersten Kentucky-Feldzug entworfen, und daß der Sieg auf dem Schlachtfeld ausschließlich der Bravour der Unterfeldherren, insbesondere des gefallenen Generals Reno und des von seinen Wunden noch nicht ganz hergestellten Hooper, geschuldet war. Napoleon schrieb einst seinem Bruder Joseph, die Gefahr auf dem Schlachtfeld sei an allen Punkten gleich, und man laufe ihr am sichersten in den Rachen, wenn man ihr auszuweichen suche. McClellan scheint dies Axiom begriffen zu haben, aber ohne die Nutzanwendung, die Napoleon seinem Bruder insinuierte. Während seiner ganzen militärischen Laufbahn hat McClellan sich nie auf dem Schlachtfelde, nie im Feuer befunden, eine Eigentümlichkeit, die General Kearny stark betont in einem Briefe, welchen |569| sein Bruder veröffentlicht hat, nachdem Kearny unter Pope in einer der Schlachten vor Washington gefallen war.

McClellan verstand es, seine Mittelmäßigkeit unter der Maske rückhaltigen Ernstes, lakonischer Schweigsamkeit und würdevoller Verschlossenheit zu verstecken. Seine Mängel selbst sicherten ihm das unerschütterliche Vertrauen der Demokratischen Partei im Norden und "loyale Anerkennung" auf seiten der Sezessionisten. Anhänger unter den höheren Offizieren seiner Armee warb er durch die Bildung eines Generalstabes von einem Umfang, wie er bisher unerhört in den Annalen der Kriegsgeschichte. Ein Teil der ältern, der ehemaligen Unionsarmee-Angehörigen und auf der Akademie zu West Point erzogenen Offiziere fanden in ihm einen Stützpunkt für ihre Rivalität gegen die neu aufgeschossenen "Zivilgenerale" und ihre geheimen Sympathien mit den "Kameraden" im feindlichen Lager. Der Soldat endlich kannte seine militärischen Eigenschaften nur vom Hörensagen, während er im übrigen ihm alle Verdienste des Kommissariats zuschrieb und von seiner gehaltenen Leutseligkeit viel Rühmliches zu erzählen wußte. Eine einzige Gabe des Oberfeldherrn besaß McClellan - die, sich der Popularität bei seiner Armee zu versichern.

McClellans Nachfolger, Burnside, ist zu unbekannt, um ein Urteil über ihn zu fällen. Er gehört der Republikanischen Partei an. Hooker dagegen, der den Oberbefehl über das speziell unter McClellan dienende Armeekorps übernimmt, ist unstreitig einer der tüchtigsten Haudegen der Union. "Fighting Joe" ("Joseph der Dreinschläger"), wie die Truppen ihn nennen, hatte den größten Anteil an den Erfolgen in Maryland. Er ist Abolitionist.

Dieselben amerikanischen Zeitungen, die uns die Nachricht von McClellans Absetzung bringen, teilen Äußerungen Lincolns mit, worin er entschieden erklärt, daß er kein Haarbreit von seiner Proklamation abweichen werde.

"Lincoln", bemerkt der "Morning Star" mit Recht, "hat sich der Welt als einen langsamen, aber soliden Mann erprobt, der mit außerordentlicher Behutsamkeit vorgeht, aber nie zurückschreitet. Jeder Schritt seiner administrativen Laufbahn war in der rechten Richtung und ist energisch festgehalten worden. Ausgehend von dem Entschluß, die Sklaverei von den Territorien auszuschließen, ist er endlich angelangt bei dem Endzwecke aller 'Anti-Sklaverei-Bewegung', der Ausrottung des Ungetüms vom Boden der Union, und bereits nimmt er die glorreiche Stellung ein, jede Verantwortlichkeit der Union für die Fortdauer der Sklaverei aufgehoben zu haben."