Inhaltsverzeichnis Artikel und Korrespondenzen 1862

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 15, 4. Auflage 1972, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1961, Berlin/DDR. S. 478-481.

1. Korrektur.
Erstellt am 25.10.1998.

Karl Marx

Amerikanische Angelegenheiten

Geschrieben um den 26. Februar 1862.


["Die Presse" Nr. 61 vom 3. März 1862]

|478| Präsident Lincoln wagt nicht einen Schritt vorwärts, bevor die Konjunktur der Umstände und der allgemeine Ruf der öffentlichen Meinung längeres Zögern verbieten. Hat sich "Old Abe" aber einmal überzeugt, daß ein solcher Wendepunkt eingetreten, so überrascht er Freund und Feind gleichmäßig durch eine plötzliche, möglichst geräuschlos vollzogene Operation. So hat er in der jüngsten Zeit, in der unscheinbarsten Weise, einen Coup ausgeführt, der ihm vor einem halben Jahre vielleicht den Präsidentenstuhl kosten konnte, und noch vor wenigen Monaten einen Sturm von Debatten hervorgerufen hätte. Wir meinen die Beseitigung McClellans von seinem Posten als Commander in chief |Oberbefehlshaber| sämtlicher Unionsarmeen. Lincoln ersetzte vorerst den Kriegsminister Cameron durch einen energischen und rücksichtslosen Juristen, Herrn Edwin Stanton. Stanton erließ sodann einen Tagesbefehl an die Generale Buell, Halleck, Butler, Sherman und andere Kommandanten ganzer Departements oder Führer von Expeditionen, worin denselben angezeigt wird, sie würden künftig alle Ordres, öffentliche und private, vom Kriegsministerium direkt empfangen, und hätten andererseits direkt an das Kriegsministerium zu berichten. Endlich erteilte Lincoln einige Befehle, worin er sich mit dem ihm konstitutionell zustehenden Attribut "Commander in chief of the Army and Navy" |"Oberbefehlshaber der Armee und Flotte"| unterzeichnet. In dieser "stillen" Weise wurde "der junge Napoleon" seines bisherigen Oberkommandos über sämtliche Armeen beraubt, und auf das Kommando der Armee am Potomac beschränkt, obgleich ihm der Titel "Commander in chief" verblieb. Die Erfolge in Kentucky, Tennessee und an der atlantischen Küste haben die Übernahme des Oberkommandos durch Präsident Lincoln günstig inauguriert.

|479| Der Posten des Commander in chief, den McClellan bisher bekleidet hatte, ist den Vereinigten Staaten von England vermacht worden und entspricht ungefähr der Würde eines Grand Connetable in der altfranzösischen Armee. Während des Krimkrieges entdeckte selbst England die Zweckwidrigkeit dieses altmodischen Instituts. Es fand daher ein Kompromiß statt, wodurch ein Teil der bisherigen Attribute des Commander in chief auf das Kriegsministerium übertragen wurde.

Zur Beurteilung von McClellans fabischer Taktik am Potomac fehlt noch das erforderliche Material. Daß sein Einfluß aber wie ein Hemmschuh auf die allgemeine Kriegführung wirkte, unterliegt keinem Zweifel. Man kann von McClellan sagen, was Macaulay von Essex sagt:

"Die militärischen Fehler des Essex entsprangen großenteils aus politischer Bedenklichkeit. Er war ehrlich, aber keineswegs warm an die Sache des Parlaments attachiert, und nächst einer großen Niederlage fürchtete er nichts so sehr als einen großen Sieg."

McClellan, wie die meisten zu West Point gebildeten, der regulären Armee angehörigen Offiziere, sind durch esprit de corps |Korpsgeist| mit ihren alten Kameraden im feindlichen Lager mehr oder minder verbunden. Sie sind von gleicher Eifersucht gegen die Parvenus unter den "Zivilsoldaten" beseelt. Der Krieg in ihrer Ansicht muß rein geschäftsmäßig, mit steter Hinsicht auf die Wiederherstellung der Union auf ihrer alten Basis geführt, daher vor allem von prinzipiellen und revolutionären Tendenzen freigehalten werden. Eine schöne Auffassung eines Krieges, der wesentlich ein Prinzipienkrieg ist! Die ersten Generale des englischen Parlaments verfielen in denselben Fehler.

"Aber", sagt Cromwell in seiner Anrede an das Rumpfparlament vom 4. Juli 1653, "wie änderte sich alles, sobald Männer an die Spitze traten, die a principle of godliness and religion |ein Prinzip der Frömmigkeit und der Religion| bekannten!"

Der Washington "Star"', das Spezialorgan McClellans erklärt noch in einer seiner letzten Nummern:

"Der Zweck aller militärischen Kombinationen des Generals McClellan ist die Wiederherstellung der Union ganz so, wie sie vor Ausbruch der Rebellion existierte."

Kein Wunder daher, wenn am Potomac, unter den Augen des Obergenerals, die Armee zur Sklavenfängerei abgerichtet ward! Erst neulich verjagte McClellan durch Spezialordre die Musikantenfamilie Kutchinson aus dem Lager, weil sie Antisklavereilieder sang.

|480| Von solchen "antitendenziellen" Demonstrationen abgesehen, streckte McClellan seinen rettenden Schild über die Verräter in der Unionsarmee. So z.B. beförderte er Maynard zu einem höhern Posten, obgleich Maynard, wie die von dem Untersuchungskomitee des Repräsentantenhauses veröffentlichten Papiere beweisen, als Agent der Sezessionisten wirkte. Von General Patterson, dessen Verrat die Niederlage bei Manassas entschied, bis zu General Stone, der die Niederlage bei Balls Bluff im direkten Einverständnis mit den Feinden bewerkstelligte, wußte McClellan jeden militärischen Verräter den Kriegsgerichten, ja meistens der Amtsentsetzung zu entziehen. Das Untersuchungskomitee des Kongresses hat in dieser Hinsicht die überraschendsten Tatsachen enthüllt. Lincoln beschloß, durch einen energischen Schritt zu beweisen, daß mit seiner Übernahme des Oberkommandos die Stunde für die epaulettierten Verräter geschlagen habe und eine Wendung in der Kriegspolitik eingetreten sei. Auf seinen Befehl wurde General Stone am 10. Februar, morgens um 2 Uhr, in seinem Bett arretiert und nach dem Fort Lafayette transportiert. Einige Stunden später erschien der Verhaftungsbefehl, unterzeichnet Stanton, worin die Anklage auf Hochverrat, die ein Kriegsgericht aburteilen wird, formuliert ist. Die Verhaftung Stones und seine Versetzung in Anklagezustand fanden statt ohne vorherige Mitteilung an General McClellan.

McClellan war offenbar entschlossen, so lange er selbst in Untätigkeit verharrte und bloße Vorschußlorbeerkronen trug, keinen anderen General das Präveniere zu erlauben. General Halleck und Pope hatten eine kombinierte Bewegung beschlossen, um General Price, der durch Intervention von Washington schon einmal von Frémont gerettet worden, zu einer entscheidenden Schlacht zu zwingen. Ein Telegramm McClellans verbot ihnen, den Schlag zu führen. General Halleck wurde durch ein ähnliches Telegramm von der Wegnahme des Fort Columbus "abbefohlen", zu einer Zeit, wo dies Fort halb unter Wasser stand. McClellan hatte ausdrücklich den Generalen im Westen verboten, untereinander zu korrespondieren. Jeder derselben mußte sich erst nach Washington wenden, sobald eine kombinierte Bewegung bezweckt war. Präsident Lincoln hat ihnen die notwendige Freiheit der Aktion jetzt wiedergegeben.

Wie ersprießlich McClellans allgemeine Kriegspolitik der Sezession war, beweist am besten die Panegyrik, womit ihn der "New-York Herald" fortwährend überschüttet. Er ist der Held nach dem Herzen des "Herald". Der berüchtigte Bennett, der Besitzer und Hauptredakteur des "Herald", hatte früher die Administrationen von Pierce und Buchanan durch seine "Spezialrepräsentanten", alias Korrespondenten, zu Washington beherrscht. |481| Unter Lincolns Administration suchte er dieselbe Macht auf einem Umweg wieder zu gewinnen, indem sich sein "Spezialrepräsentant", Dr. Ives, ein Mann des Südens und Bruder eines zur Konföderation übergelaufenen Offiziers, in die Gunst McClellans einschlich. Große Freiheiten müssen diesem Ives unter McClellans Patronage zur Zeit, wo Cameron an der Spitze des Kriegsministeriums stand, gestattet worden sein. Er erwartete offenbar von Stanton Gewähr derselben Privilegien, und fand sich dem gemäß am 8. Februar in dem Kriegsbüro ein, wo der Kriegsminister, sein Hauptsekretär und einige Kongreßmitglieder eben Kriegsmaßregeln berieten. Man wies ihm die Türe. Er stellte sich auf die Hinterfüße und trat endlich den Rückzug an, mit der Drohung, der "Herald" werde sein Feuer auf das jetzige Kriegsministerium eröffnen, falls dieses ihm sein "Spezialprivilegium" entziehe, im Kriegsdepartement besonders mit den Kabinettsberatungen, Telegrammen, öffentlichen Mitteilungen und Kriegsnachrichten betraut zu werden. Am nächsten Morgen, 9. Februar, hatte Dr. Ives den ganzen Generalstab McClellans zu einem Champagnerfrühstück bei sich versammelt. Jedoch das Unglück schreitet schnell. Ein Unteroffizier mit sechs Mann trat ein, bemächtigte sich des gewaltigen Ives, und brachte ihn nach dem Fort Mac Henry, wo er, wie die Ordre des Kriegsministers ausdrücklich besagt, "als Spion in strenger Wacht zu halten".