Inhaltsverzeichnis Artikel und Korrespondenzen 1860

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 15, 4. Auflage 1972, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1961, Berlin/DDR. S. 159-163.

1. Korrektur
Erstellt am 18.09.1998

Karl Marx

Der britische Handel

Aus dem Englischen.


["New-York Daily Tribune" Nr. 6063 vom 29. September 1860]

<159> London, 8. September 1860

Die "Tribune" war die erste Zeitung, welche die Aufmerksamkeit auf die bedenkliche Abnahme des britischen Exporthandels mit Ostindien lenkte, eine Abnahme, die am deutlichsten bei den Haupthandelsartikeln, wie Baumwollwaren und Baumwollgarn wurde. Die Reaktion darauf macht sich in Lancashire und Yorkshire gerade in dem Moment bemerkbar, da der Inlandmarkt infolge einer Ernte zusammenschrumpft, die volle fünf Wochen später beginnt als die des vergangenen Jahres und die trotz der besseren Aussichten seit Donnerstag, dem 30. August, auf jeden Fall unter den Durchschnittsertrag sinken wird. Die britische Handelskammer hat deshalb Lärm geschlagen und die Regierung mit Protesten gegen das neue indische Zollgesetz bombardiert, durch das der Zoll für die Hauptimporte aus Großbritannien von 5 auf 10 Prozent erhöht wurde, also um 100 Prozent. Die englische Presse, die bis dahin vorsichtig vermieden hatte, diesen Punkt zu berühren, ist dadurch schließlich gezwungen worden, ihre Zurückhaltung aufzugeben. Der Londoner "Economist" tischt uns den "Handel Indiens" und "Die Ursache seiner Depression" auf. Abgesehen davon, daß der "Economist" in Fragen dieser Art als erste englische Autorität gilt, sind seine Artikel über Indien wegen ihrer Beziehung zum Schreibtisch des Herrn Wilson, des jetzigen indischen Schatzkanzlers, von besonderem Interesse. Die beste Antwort auf den ersten Teil des Artikels, der einen Versuch darstellt, die letzte indische Zollgesetzgebung aller Verantwortung für die gegenwärtige Schrumpfung des indischen Markts zu entheben, ist, daß der Generalgouverneur von Kalkutta sich gezwungen sah, in Kalkutta eine Kommission aus Vertretern der Steuerverwaltungen von Kalkutta, Bombay und Madras und deren verschiedenen Handels- <160> kammern zusammenzurufen und ihr die Aufgabe zu übertragen, den kürzlich eingeführten Tarif zu überprüfen und zu überarbeiten. Dieser Tarif führte nicht, wie ich bereits feststellte, als ich Ihre Leser das erste Mal mit diesem Thema bekannt machte, die indische Handelskrise herbei; er beschleunigte jedoch ihren Ausbruch durch seine plötzliche Einführung zu einer Zeit, als der indische Handel schon über seine natürliche Kapazität hinaus aufgebläht war. Die Überfüllung des indischen Marktes mit britischen Waren und des englischen Marktes mit indischen Waren wird vom "Economist" offen eingestanden.

"Wir glauben", sagt er, "es wird allerseits zugegeben werden, daß die riesigen Profite, welche im indischen Handel während eines Teils des vergangenen Jahres erzielt wurden, plötzlich zu einer größeren Zunahme der Marktlieferungen geführt haben, als für die Konsumtion erforderlich war, soweit es dieses Land betraf, und zu einem sehr ausgedehnten spekulativen Handel der einheimischen Kapitalisten zur Belieferung der inneren Märkte von den Seehäfen aus. Zum Beispiel betrug im Jahre 1859 der Export von Baumwollstoffen nach Britisch-Indien 12.043.000 Pfd.St. gegenüber 9.299.000 Pfd.St. im Jahre 1858 und 5.714.000 Pfd.St. im Jahre 1857; bei Garn betrug im Jahre 1859 der Export 2.546.000 Pfd.St. gegenüber 1.969.000 Pfd.St. im Jahre 1858 und 1.147.000 Pfd.St. im Jahre 1857. Lange Zeit hindurch wurden die Waren so schnell abgenommen wie sie ankamen, und solange die Preise stiegen, fehlte es nicht an unternehmenden Mahajuns <Wucherern>, die Einkäufe tätigten und sie auf die Inlandmärkte brachten, und es besteht nach den besten Informationen, die wir erlangen konnten, kein Zweifel daran, daß sich im Nordwesten auf allen Märkten große Warenvorräte anhäuften. In diesem Punkte stimmen die Berichte von Mirsapur, Allahabad, Lakhnau, Agra, Delhi, Amritsar und Lahor überein."

Der "Economist" fährt dann fort, ausführlich einige Umstände aufzuzählen, die dazu beitrugen, die Überfüllung der indischen Märkte in bestimmtem Maße zu verstärken. Die Hauptursache - die fortlaufenden großen Lieferungen aus England - erwähnt er nicht einmal. In erster Linie sank der Ertrag der Herbsternte des Jahres 1859 in ganz Nordindien infolge der allgemein herrschenden Dürre weit unter den Durchschnitt und erlitt sowohl an Qualität als auch an Quantität Schaden. Daher die hohen Lebensmittelpreise im Winter und Frühling, die in der späteren Jahreszeit durch die Aussicht auf eine Hungersnot noch erhöht wurden. Überdies wüteten neben der Knappheit und den hohen Preisen Seuchen.

"Im gesamten Nordwesten herrschte in den dichtbevölkerten Städten die Cholera in so erschreckendem Ausmaße, daß das alltägliche Leben in vielen Fällen unterbrochen war und die Bevölkerung wie vor einer feindlichen Invasionsarmee floh."

<161> Aber noch schlimmer war, daß

"Oberindien einen Monat beziehungsweise sechs Wochen lang vor dem Abgang der letzten Post von einem entsetzlichen Unglück betroffen wurde. Die Regenzeit, von der allein die Herbsternte abhängt, liegt gewöhnlich Mitte oder spätestens Ende Juni. In diesem Jahr war bis Mitte Juli kein Tropfen Regen gefallen. Von der nordwestlichen Grenze hinunter bis Niederbengalen, vom Khaiber-Paß bis Benares einschließlich der großen Gebiete zwischen Satledsch, Dschamna und Ganges war alles eine dürre, harte und feste Fläche vertrockneten Bodens. Nur in den ganz wenigen Orten, die von den hindurchfließenden Flüssen oder durch die Zuflüsse der großen Bewässerungsanlagen, der Dschamna- und Ganges-Kanäle, bewässert wurden, war Ackerbau möglich. Die Aussicht auf eine Hungersnot gleich der von 1837 und 1838 erregte überall größte Besorgnis. Die Preise stiegen weiter an. Das Vieh ging in Massen ein oder wurde in die Berge getrieben, anstatt mit ihm den Boden zu bearbeiten; die Menschen, so wird berichtet, sollen am Rande des Verhungerns sein."

Aber telegraphischen Berichten zufolge, die in Kalkutta während der acht Tage vor Abgang der letzten Post am 27. Juli eintrafen und veröffentlicht wurden, haben sich die schlimmsten Befürchtungen nicht bestätigt. Endlich war ausreichend Regen gefallen, noch zur rechten Zeit, um eine Hungersnot abzuwenden, wenn nicht gar eine gute Ernte zu sichern. Die im "Economist" gegebenen Einzelheiten beweisen zur Genüge, daß in der nächsten Zukunft nicht die geringste Aussicht auf eine Wiederbelebung des indischen Handels besteht, der bereits im ersten Halbjahr 1860 im Vergleich zum ersten Halbjahr 1859 um 2.000.000 Pfd.St. gesunken ist. Die australischen Märkte weisen auch alle Symptome der Schrumpfung auf, die ein übermäßiger Handel zur Folge hat. Der Handel mit Frankreich, der durch den Handelsvertrag plötzlich riesige Ausmaße annehmen sollte, ist im Gegenteil um mehr als 1.000.000 Pfd.St. gesunken, wie man aus folgender Aufstellung ersehen kann:

Die sechs Monate bis 30. Juni

1859

1860

Importe aus Frankreich

9.615.065 Pfd.St.

8.523.983 Pfd.St.

Exporte nach Frankreich

2.358.912 Pfd.St.

2.324.665 Pfd.St.

Insgesamt

11.973.977 Pfd.St.

10.848.648 Pfd.St.

Der starke Rückgang des britischen Imports aus Frankreich mag auf die diesjährigen hohen Lebensmittelpreise in Frankreich zurückzuführen sein, da 1859 Getreide und Mehl einen Hauptexportartikel Frankreichs nach England darstellte. Große Bedeutung mißt man dem vermutlich sich steigernden Verbrauch von englischen Produkten in den Vereinigten Staaten <162> als Ausgleich für den derzeitigen großen Export von Lebensmitteln in das Vereinigte Königreich bei. Doch obwohl es immer ein gewisses Gleichmaß zwischen dem Export und dem Import eines Landes geben wird, scheint die obige Schlußfolgerung etwas übereilt zu sein, wenn wir sie nach der Entwicklung des englisch-amerikanischen Handels der ersten Halbjahre von 1859 und 1860 beurteilen. Dort finden wir:

1859

1860

Britischer Export nach den Vereinigten Staaten

11.625.920 Pfd.St.

9.366.647 Pfd.St.

Britischer Import aus den Vereinigten Staaten

17.301.790 Pfd.St.

25.618.472 Pfd.St.

Das bedeutet, daß in der gleichen Zeit, in der die britischen Importe aus den Vereinigten Staaten um mehr als 8.000.000 zunahmen, die britischen Exporte nach den Vereinigten Staaten um mehr als 2.000.000 Pfd.St. abnahmen. Die einzigen Zweige des internationalen britischen Handels, die gewachsen sind, sind der englisch-türkische, der englisch-chinesische und der englisch-deutsche Handel. Gegenwärtig wird die Türkei gerade durch die russische und französische Einmischung erschüttert. China wird durch die Engländer selbst erschüttert, und Deutschland steht, während es in vielen Teilen unter einer schlechten Ernte leidet, am Vorabend schwerer politischer Erschütterungen im Innern und vor ernsthaften Zusammenstoßen mit dem Ausland. Zum englisch-chinesischen Handel will ich noch bemerken, daß ein Teil seines Anwachsens sicherlich durch den Kriegsbedarf verursacht wird; daß ein Teil des gestiegenen Exports nach China auf Kosten vieler Waren ging, die vom indischen Markt abgezogen und versuchsweise auf den chinesischen Markt geworfen wurden, und schließlich, daß der Import aus China weiterhin viel mehr Bedeutung hat als der Export nach China, was man aus folgenden Zahlen ersehen kann:

Die sechs Monate bis 30. Juni

1859

1860

Importe aus China einschließlich Hongkong

5.070.691 Pfd.St.

5.526.054 Pfd.St.

Export nach China außer Hongkong

1.001.709 Pfd.St.

1.622.525 Pfd.St.

Exporte nach Hongkong

976.703 Pfd.St.

1.236.262 Pfd.St.

Insgesamt

7.049.103 Pfd.St.

8.384.841 Pfd.St.

Inzwischen schaffen weiterhin unerwartete Fehlschläge in den meisten Geschäftszweigen ein allgemeines Gefühl des Mißtrauens. Folgende Zu- <163> sammenstellung der bisher ermittelten Passiva und Aktiva der letzten Bankrotte im Lederhandel zeigt, daß die Aktiva sich im Durchschnitt nur auf 5 sh. 6 d. pro Pfund belaufen, so daß den Inhabern von Wechseln der bankrotten Firmen ein Verlust von 1.471.589 Pfd.St. verbleibt.

Passiva

Firmen

bankrott

9

1.530.991 Pfd.St.

in Liquidation oder im Vergleich begriffen

15

499.806 Pfd.St.

Einzelheiten nicht bekanntgegeben

10

-

Insgesamt

34

2.030.797 Pfd.St.

Aktiva

Beträge

pro Pfd.St.

Fehlbetrag

bankrott

9

342.652. Pfd. St.

4 sh. 6 d.

1.188.339 Pfd.St.

in Liquidation oder im Vergleich begriffen

15

216.556 Pfd.St.

8 sh. 8 d.

283.250 Pfd.St.

Einzelheiten nicht bekanntgegeben

-

-

-

Insgesamt

34

559.208 Pfd.St.

5 sh. 6 d.

1.471.589 Pfd.St.