Inhaltsverzeichnis Artikel und Korrespondenzen 1860
Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 15, 4. Auflage 1972, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1961, Berlin/DDR. S. 23-26.
1. Korrektur
Erstellt am 18.09.1998
Aus dem Englischen.
["New-York Daily Tribune" Nr. 5878 vom 25. Februar 1860]
<23> London, 11. Februar 1860
Der gestrige Abend war bedeutend im parlamentarischen Sinne des Wortes. Herr Gladstone enthüllte in einer brillanten Rede gleichzeitig die Geheimnisse seines Budgets und des Handelsvertrages, indem er beide sorgfältig miteinander verband und die Schwäche des einen durch die Verwegenheit des anderen stützte. Was den Vertrag betrifft, der jetzt der Welt in allen Einzelheiten vorliegt, so werden Sie feststellen, daß die kurze Charakteristik, die ich Ihnen vor einigen Wochen gab, ganz richtig war, und ich habe eigentlich der generellen Kritik, die zu üben ich mir damals erlaubte, nichts hinzuzufügen. Deshalb beabsichtige ich, Herrn Gladstones Budget als einfache englische Finanzoperation zu betrachten; eine solche Behandlung dieser Frage ist um so mehr angebracht, als die bevorstehenden Parlamentsdebatten uns sicher nach und nach Aufklärung über die diplomatischen Hintergründe der Fakten und Zahlen des Herrn Gladstone verschaffen werden.
Man kann Widersprüche in den Einzelheiten des Budgets ausfindig machen, man kann politische Einwände auch gegen den klugen Einfall erheben, ein Defizit von mehr als 14 Prozent der Gesamteinkünfte und ein großes Anwachsen der Ausgaben mit dem völligen Wegfegen vieler bestehender Zölle zu beantworten, von denen allerdings ein Teil die Masse des Volkes kaum belastete. Das einfache Gerechtigkeitsgefühl jedoch verpflichtet zu sagen, daß das Budget des Herrn Gladstone ein großes und kühnes finanzielles Meisterstück darstellt und daß es – wenn man die Doktrinen des britischen Freihandels einmal akzeptiert hat –, abgesehen von einigen offensichtlichen Mißverhältnissen, die durch den Vertrag mit <24> Frankreich und die Nachsicht bedingt sind, die jeder britische Schatzkanzler immer für die Renteneinnahmen der 50.000 obersten Grundherren aufbringen wird, ein ordentliches Budget ist. Die Lage des Herrn Gladstone war voller Schwierigkeiten, die er sich selbst geschaffen hatte. Er war der Mann, welcher 1853 in seinem sogenannten Standardbudget, das sich über einen Zeitraum von sieben Jahren erstrecken sollte, sich feierlich verpflichtet hatte, 1860/1861 endgültig die Einkommensteuer abzuschaffen. Er hatte weiterhin in einem Zusatzbudget, das der russische Krieg ins Leben gerufen hatte, versprochen, die Kriegssteuer auf Tee und Zucker in nicht allzu ferner Zukunft aufzuheben. Nun, da sein eigener Wechsel fällig geworden ist, tritt derselbe Mann mit einem Plan auf, in welchem diese Kriegssteuer beibehalten wird, während die Einkommensteuer von 9 d. auf 10 d. pro Pfund erhöht wird, d.h. um 111/9%. Sie werden sich erinnern, daß ich in meinen kritischen Bemerkungen zu seinem Budget von 1853 zu beweisen versuchte, daß – bedeutet die Finanzgesetzgebung des Freihandels überhaupt etwas – dann nur, indem die indirekte Besteuerung durch direkte Besteuerung ersetzt wird. Ich wies bereits damals daraufhin, daß Herrn Gladstones Versprechen, Zölle und Akzisen weiter zu beseitigen, mit dem gleichzeitigen Versprechen, die Einkommensteuer völlig aus dem Verzeichnis des Steuereinnehmers zu streichen, unvereinbar ist. Die Einkommensteuer, wenn auch einseitig, ungerecht und sogar unsinnig auferlegt, ist das Beste am englischen Finanzgesetz. Daß Herr Gladstone eine Kriegssteuer auf so lebenswichtigen Dingen wie Tee und Zucker beibehält, statt den Grundbesitz ernstlich zu besteuern, ist eine Feigheit, die viel mehr der aristokratischen Zusammensetzung des Parlaments als Herrn Gladstones Engstirnigkeit zuzuschreiben ist. Hätte er gewagt, Hand an die Renteneinnahmen zu legen, dann hätte das Kabinett, dessen Lebensaussichten unsicher genug sind, sofort gehen müssen. Ein altes Sprichwort sagt, daß der Bauch keine Ohren habe, doch ebenso wahr ist, daß die Renteneinnahmen kein Gewissen haben.
Bevor ich eine kurze Darstellung der von Herrn Gladstone beabsichtigten Änderungen gebe, möchte ich zuerst die Aufmerksamkeit des Lesers auf einige gelegentliche Bemerkungen lenken, die er im Verlauf seiner Rede fallen ließ. Erstens gab der Schatzkanzler zu, daß die allgemeine Ansicht, der Freihandel sei im englischen Finanzsystem verkörpert, eine bloße Phrase sei. Zweitens gab er zu, daß England keinen nennenswerten Handel mit Frankreich habe, während Frankreich einen sehr ausgedehnten und wachsenden Handel mit England betreibe. Drittens konnte er nicht umhin zuzugeben, daß die Palmerstonsche Politik, die sich hinter dem Rücken <25> des Parlaments auf "freundschaftliche Expeditionen" einließ, den Ausschlag gegeben und den Gewinn, der der Staatskasse aus der Erweiterung des britischen Handels und der Industrie zufloß, auf Null reduziert hatte. Schließlich, obwohl er die bittere Pille versüßte und sie in ebenso netter Form anbot, wie französische Apotheker das gräßlichste pharmazeutische Zeug gewöhnlich anbieten, mußte er zugeben, daß der gleiche teure Verbündete, dem Großbritannien im Begriff ist, fast zwei Millionen seines Einkommens zu opfern, die Hauptursache des Anwachsens der britischen Ausgaben für Militär und Marine für das Jahr 1860/1861 auf den riesigen Betrag von 30 Millionen ist. Man sollte nicht vergessen, daß 18 Millionen das Höchstmaß an Kriegsausgaben war, das der Eiserne Herzog <Wellington> vor vierundzwanzig Jahren dem gesunden Menschenverstand der Engländer zu schlucken zumutete.
Nach diesen einleitenden Bemerkungen komme ich zu den von Herrn Gladstone vorgeschlagenen Änderungen. Sie umfassen zwei Kategorien: Die eine resultiert aus dem Vertrag mit Frankreich, die andere umfaßt zusätzliche Änderungen, die Herr Gladstone einführen mußte, um sein Budget von dem Vorwurf zu befreien, eine von einer ausländischen despotischen Macht erzwungene Konzession zu sein, und um ihm den angenehmeren Anstrich einer allgemeinen Reform des bestehenden Zolltarifs zu geben.
Die infolge des Handelsvertrages mit Frankreich eingeführten Veränderungen sind:
Industrieerzeugnisse werden sofort, absolut und vollständig aus dem britischen Zolltarif gestrichen, mit Ausnahme von nur drei Artikeln für eine beschränkte Frist, nämlich Kork, Handschuhe und ein anderer unbedeutender Artikel. Der Branntweinzoll wird von 15 sh. pro Gallone auf den Stand des Zolls für Kolonialwaren, also auf 8 sh., gesenkt werden. Der Zoll für alle ausländischen Weine wird sofort von rund 5 sh. 10 d. auf 3 sh. pro Gallone gesenkt werden. England verpflichtet sich weiterhin, den Zoll ab 1. April 1861 proportional nach dem Alkoholgehalt des Weines zu senken. Alle Zölle für ausländische Artikel, die auch in England produziert werden und hier einer Akzise unterliegen, werden auf den Stand der Inlandsakzise gesenkt werden. Das ist der Kern der ersten Kategorie der einzuführenden Änderungen. Die Änderungen, die unabhängig vom Handelsvertrag mit Frankreich dem gegenwärtigen Budget den Charakter einer allgemeinen Reform der britischen Finanzgesetzgebung verleihen sollen, sind folgende:
<26> Die Zölle auf Butter, Talg, Käse, Orangen und Zitronen, Eier, Muskatnuß, Pfeffer, Süßholz und verschiedene andere Artikel, deren Gesamtzoll im Jahr ungefähr 382.000 Pfd.St. beträgt, sollen sofort und völlig beseitigt werden. Der jetzige Zoll auf Bauholz soll von 7 sh. und 7 sh. 6 d. auf den Kolonialsatz von 1 sh. und 1 sh. 6 d. reduziert werden; bei Korinthen von 15 sh. 9 d. auf 7 sh,; bei Rosinen und Feigen von 10 sh. auf 7 sh.; bei Hopfen von 45 sh. auf 15 sh. Schließlich soll die Akzise für Papier beseitigt werden.
Die Bilanz des Finanzjahres 1860 sieht folgendermaßen aus:
Ausgaben |
Pfd.St. |
Konsolidierte und nichtkonsolidierte Schuld |
26.200.000 |
Lasten auf dem konsolidierten Fonds |
2.000.000 |
Armee und Miliz |
15.800.000 |
Flotte und Paketbootdienst |
13.900.000 |
Verschiedenes und Zivildienst |
7.500.000 |
Departement für Staatseinnahmen |
4.700.000 |
insgesamt |
70.100.000 |
Einnahmen |
Pfd.St. |
Zölle |
22 700.000 |
Akzise |
1 9.170.000 |
Stempelsteuer |
8.000.000 |
Direkte Steuern |
3.250.000 |
Einkommensteuer |
2.400.000 |
Poststeuer |
3.400.000 |
Kronländereien |
280.000 |
Verschiedene Einnahmen |
1.500.000 |
insgesamt |
60.700.000 |
Vergleicht man nun die Ausgaben mit den Einnahmen, so stellt man fest, laß ein Defizit von fast 10.000.000 Pfd.St. zugegeben wird, welches Herr Gladstone, wie bereits erwähnt, durch Erhöhung der Einkommensteuer von 9 d. auf 10 d. und durch Beibehaltung der Kriegssteuer für Tee und Zucker auszugleichen gedenkt. Die kleinen Änderungen, durch die er beabsichtigt, hier und da einen Penny zu bekommen, brauchen wir bei diesem allgemeinen Überblick über das britische Budget von 1860/1861 nicht zu berücksichtigen.