Inhaltsverzeichnis Aufsätze für "The New American Cyclopædia"

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 14, 4. Auflage 1972, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1961, Berlin/DDR. S. 117-121.

1. Korrektur
Erstellt am 22.08.1998.

Friedrich Engels

Schlacht

Geschrieben um den 21. September 1857.
Aus dem Englischen.


["The New American Cyclopædia", Band II]

<117> Schlacht. - Der Zusammenstoß von zwei feindlichen Truppenkörpern wird Schlacht genannt, wenn diese die Hauptarmeen beider Seiten bilden oder zumindest selbständig auf ihrem eigenen, separaten Kriegsschauplatz in Aktion treten.

Vor der Einführung des Schießpulvers wurden alle Schlachten durch den Kampf Mann gegen Mann entschieden. Bei den Griechen und Makedoniern führte der Angriff der geschlossenen, von Speeren starrenden Phalanx, gefolgt von einem kurzen Kampf mit Schwertern, die Entscheidung herbei. Bei den Römern ließ der Angriff der Legion durch ihre Aufstellung in 3 Linien einen erneuten Angriff der zweiten und eine die Entscheidung herbeiführende Bewegung der dritten Linie zu. Die römische Linie ging bis auf 10 oder 15 Yard an den Feind heran, schleuderte ihre pila, sehr schwere Wurfspieße, auf ihn und griff dann mit dem Schwert an. Wurde die erste Linie zum Stehen gebracht, so rückte die zweite durch die Intervalle der ersten vor, und war der Widerstand noch nicht gebrochen, so fiel die dritte Linie, d.h. die Reserve, über das Zentrum des Feindes oder einen seiner Flügel her,

Im Mittelalter mußten die Angriffe der gepanzerten Kavallerie der Ritter die Hauptkampfhandlungen entscheiden, bis die Einführung der Artillerie und der Handfeuerwaffen das Übergewicht der Infanterie wieder herstellte. Von dieser Zeit an war die Überlegenheit in der Anzahl sowie die Konstruktion der Feuerwaffen einer Armee das Hauptelement in der Schlacht, bis im Verlauf des 18. Jahrhunderts alle Armeen Europas ihre Infanterie mit Musketen ausgerüstet und eine ungefähre Gleichheit der Qualität ihrer Feuerwaffen erreicht hatten. Nun wurde die in einer bestimmten Zeit mit durchschnittlicher Präzision abgefeuerte Anzahl von Schüssen zum entscheidenden Element. Die Infanterie war in langen Linien, 3 Mann tief, aufgestellt. Sie wurde mit äußerster Sorgfalt gedrillt, <118> um Festigkeit und schnelles Feuern, bis zu 5 Schuß in der Minute, zu sichern. Unterstützt vom Kartätschenfeuer der Artillerie, rückten die langen Linien, ununterbrochen feuernd, langsam gegeneinander vor. Schließlich gerieten die Truppen einer Seite durch die erlittenen Verluste ins Wanken, und dieser Moment wurde von der anderen Seite zum Vorrücken mit dem Bajonett benutzt, was im allgemeinen die Entscheidung brachte.

Wenn eine der beiden Armeen schon vor Beginn der Schlacht ihre Stellung bezogen hatte, versuchte gewöhnlich die andere, sie im spitzen Winkel anzugreifen, um einem ihrer Flügel in die Flanke zu fallen und ihn zu umfassen. Dieser Flügel und der am nächsten liegende Teil des Zentrums wurde so durch überlegene Kräfte in Unordnung gebracht und in großen Massen zusammengedrängt, auf welche die angreifende Seite das Feuer ihrer schweren Artillerie richtete. Dies war das Lieblingsmanöver Friedrichs des Großen, das sich besonders bei Leuthen bewährt hatte. Manchmal wurde auch die Kavallerie gegen die ins Wanken geratene Infanterie des Feindes eingesetzt und dann vielfach mit beachtlichem Erfolg; aber im allgemeinen brachte das Schnellfeuer der Infanterielinien die Entscheidung - und dieses Feuer war so wirksam, daß die Schlachten jener Periode die blutigsten der modernen Zeit wurden. Friedrich der Große verlor bei Kolin 12.000 Mann von 18.000 und bei Kunersdorf 17.000 von 30.000, während in der blutigsten Schlacht aller Feldzüge Napoleons, bei Borodino, der Verlust der Russen an Toten und Verwundeten nicht ganz die Hälfte ihrer Truppen ausmachte.

Die Französische Revolution und Napoleon änderten das Bild der Schlachten völlig. Die Armee war in Divisionen von ungefähr 10.000 Mann organisiert, die sich aus Infanterie, Kavallerie und Artillerie zusammensetzten. Sie kämpfte jetzt nicht mehr ausschließlich in Linie, sondern auch in Kolonne und in aufgelöster Ordnung. In dieser Aufstellung war es nicht mehr notwendig, nur freies Gelände als Schlachtfeld zu wählen; Wälder, Dörfer Bauernhöfe, jedes unübersichtliche Gelände war erwünscht.

Nachdem alle Armeen diese neue Aufstellung übernommen hatten, bekam eine Schlacht einen ganz anderen Charakter als im 18. Jahrhundert. Damals entschieden, obwohl im allgemeinen die Armee in 3 Linien auf gestellt war, ein Angriff oder höchstens zwei oder drei in schneller Folge durchgeführte Angriffe das Schicksal der Schlacht. Jetzt kann ein Treffen einen Tag und sogar zwei oder drei Tage andauern, wobei während der <119> ganzen Zeit Angriffe, Gegenangriffe und Truppenbewegungen mit unterschiedlichem Erfolg einander ablösen.

Gegenwärtig wird eine Schlacht allgemein von der Avantgarde der Angreifer begonnen, die Schützen werden vorgeschickt und dauernd unterstützt. Sobald diese auf ernsthaften Widerstand stoßen, was im allgemeinen auf einem zur Verteidigung günstigen Gelände erfolgt, rückt die leichte Artillerie vor, gedeckt durch Schützentrupps und kleine Gruppen von Kavallerie, und die Hauptgruppe der Avantgarde geht in Stellung. In der Regel folgt eine Kanonade, und eine Menge Munition wird vergeudet, um das Rekognoszieren zu erleichtern und den Feind zu veranlassen, seine Stärke zu zeigen. In der Zwischenzeit trifft Division auf Division ein, die - den bis dahin bekanntgewordenen Maßnahmen des Feindes entsprechend - in ihre Kampfstellungen geführt werden. An den für einen Angriff günstigen Punkten werden Schützenschwärme vorgeschickt und, wenn notwendig, durch Infanterielinien und Artillerie unterstützt. Flankenangriffe werden vorbereitet und Truppen für den Angriff auf die wichtigen Punkte vor der Hauptstellung des Feindes konzentriert, der seinerseits Gegenmaßnahmen trifft. Einige Truppenbewegungen werden durchgeführt, um Verteidigungsstellungen oder einen bevorstehenden Angriff durch einen Gegenangriff zu bedrohen.

Die Armee rückt nach und nach an den Feind, die Punkte des Angriffs werden endgültig festgelegt, und die Masse der Truppen rückt aus den bisherigen gedeckten Positionen vor. Das auf die anzugreifenden Stellungen gerichtete Feuer der Infanterielinien und das der Artillerie ist nun vorherrschend. Es folgt der Vormarsch der für den Angriff bestimmten Truppen, gelegentlich von einem nicht sehr umfangreichen Kavallerieangriff unterbrochen. Der Kampf um wichtige Punkte hat nun begonnen; diese werden erobert und vom Gegner wieder zurückerobert, wobei frische Truppen abwechselnd von jeder Seite vorgeschickt werden. Die Abstände zwischen diesen Punkten werden jetzt zum Schlachtfeld für aufmarschierende Infanterielinien und für gelegentliche Bajonettangriffe, die jedoch kaum zu einem ernsthaften Kampf Mann gegen Mann führen; hingegen wird in Dörfern, Bauernhöfen, Verschanzungen usw. das Bajonett häufig genug wirksam benutzt. Sobald sich die Möglichkeit bietet, jagt auch die Kavallerie auf diesem offenen Gelände nach vorn, wobei die Artillerie weiterfeuert und in neue Stellungen vorrückt.

So zeichnen sich im Hin und Her der Schlacht die Absichten, die Anordnungen und vor allen Dingen die Stärke der beiden sich bekämpfenden Armeen deutlicher ab. Es nehmen immer mehr Truppen am Kampf teil, <120> und es zeigt sich bald, welche Seite die größte Anzahl frischer Kräfte für den endgültigen und entscheidenden Angriff in Reserve hat. Entweder war die angreifende Seite bisher erfolgreich und riskiert es nun, ihre Reserve auf das Zentrum oder den Flügel der sich verteidigenden Seite zu werfen, oder aber der Angriff wurde bis dahin zurückgewiesen und kann nicht durch frische Truppen aufrechterhalten werden; in diesem Falle werden die Verteidiger möglicherweise ihre Reserve einsetzen und durch einen machtvollen Angriff die Zurückweisung des Gegners in eine Niederlage für ihn verwandeln. In den meisten Fällen ist der entscheidende Angriff gegen einen Abschnitt der feindlichen Front gerichtet, um deren Linie zu durchbrechen. Auf diesen bestimmten Abschnitt wird so viel Artillerie wie möglich konzentriert; die Infanterie geht in geschlossener Masse vor, und sobald sich ihr Angriff als erfolgreich erwiesen hat, sprengt die Kavallerie in die so entstandene Bresche, entfaltet sich nach links und rechts, greift die feindliche Linie in den Flanken und im Rücken an und rollt sie, wie man sagt, nach ihren beiden Flügeln auf. Solch ein Angriff muß jedoch, um wirklich entscheidend zu sein, mit starken Kräften unternommen werden, und zwar erst dann, wenn der Feind seine letzten Reserven eingesetzt hat. Andernfalls würden die erlittenen Verluste in keinem Verhältnis zu den sehr geringe Ergebnissen stehen und könnten sogar den Verlust der Schlacht verursachen.

In den meisten Fällen wird ein Befehlshaber eine Schlacht, die ein zweifellos ungünstige Wendung nimmt, eher abbrechen als seine letzte Reserven einsetzen und den entscheidenden Angriff seines Feindes abwarten. Bei der gegenwärtigen Organisation und Taktik kann dies mit verhältnismäßig geringen Verlusten geschehen, da nach einer gut geführte Schlacht die Kräfte des Gegners im allgemeinen ebenfalls erschöpft sind. Die Reserven und die Artillerie beziehen weiter hinten eine neue Stellung, unter deren Deckung sich die Truppen allmählich vom Feinde lösen und zurückziehen. Dann hängt es von der Schnelligkeit der Verfolgung ab, ob der Rückzug geordnet durchgeführt werden kann oder nicht. Der Feind wird seine Kavallerie gegen die Truppen schicken, die sich zu lösen versuchen. Zur Unterstützung der letzteren muß deshalb die eigene Kavallerie bereitstehen.

Wenn aber die Kavallerie des sich zurückziehenden Truppenkörpers in die Flucht geschlagen worden ist und seine Infanterie eingeholt wird, ehe sie außer Reichweite ist, wird die Niederlage allgemein, und die Nachhut wird in ihrer neuen Verteidigungsstellung schwere Kämpfe zu bestehe haben, falls nicht, wie meistens, die Nacht anbricht.

<121> Das ist der übliche Ablauf einer modernen Schlacht, vorausgesetzt, daß sich die kämpfenden Parteien in Stärke und Führung ziemlich gleich sind. Ist die eine Partei entschieden überlegen, so verkürzt sich der Verlauf wesentlich, und es finden Kombinationen mit unzähligen Varianten statt; aber unter allen Umständen werden moderne Schlachten zwischen den Armeen zivilisierter Völker im allgemeinen den von uns beschriebenen Charakter tragen.