Inhaltsverzeichnis Aufsätze für "The New American Cyclopædia"
Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 14, 4. Auflage 1972, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1961, Berlin/DDR. S. 88-90.
1. Korrektur.
Erstellt am 22.08.1998.
Geschrieben zwischen 10. und 15. September 1857.
Aus dem Englischen.
["The New American Cyclopædia", Band II]
<88> Barclay de Tolly, Michail, russischer Fürst und Feldmarschall, geboren 1761 <In der "New American Cyclopædia" irrtümlich 1759> in Livland, gestorben 26. Mai 1818 bei Insterburg in Ostpreußen. Trat 1769, noch nicht 11 Jahre alt, in die russische Armee ein und machte 29 Jahre die verschiedenen Feldzüge gegen die Türken, die Schweden und die Polen mit, blieb jedoch bis 1798 in den unteren Rängen. Er zeichnete sich in dem Feldzug von 1806 aus. Sein militärischer Ruhm beginnt mit dem Jahre 1807, als er an der Spitze der russischen Avantgarde aufs tapferste Preußisch-Eylau verteidigte, indem er in den Straßen, der Kirche und auf dem Friedhof der Stadt hartnäckigen Widerstand leistete. 1808 trieb er die Schweden nach Karelien zurück und wiederholte 1809, als General der Infanterie, in einem viel größeren Ausmaße den denkwürdigen Marsch Karl Gustavs <Karl X. Gustav> über den gefrorenen Kleinen Belt, als er 12.000 Russen mit Artillerie, Munition, Proviant und Train über das Eis des Bottnischen Meerbusens marschieren ließ. Er nahm Umeå, beschleunigte durch sein Erscheinen die Umsturzvorbereitungen gegen Gustav IV. und zwang die Schweden, um Frieden zu bitten. Nach 1810 wurde er mit der Leitung des russischen Kriegsministeriums betraut.
Im Jahre 1812 übernahm er den Oberbefehl über die 1. Westarmee. Ihre Hauptkräfte, die ihm direkt unterstanden, und die die offiziellen Berichte auf 550.000 Mann anschwellen ließen, beliefen sich, wie sich herausstellte, auf nur 104.000 Mann, während die Gesamtzahl der zwischen der Küste der Ostsee und den Ufern des Pruth stationierten Truppen nicht mehr als 200.000 Mann ausmachte. Darum war der Rückzug der russischer Armee - dessen ursprünglichen Plan Napoleon in seinen Memoiren vor St. Helena fälschlich Barclay de Tolly zuschrieb, während ihn lange vor <89> dem Bruch zwischen Rußland und Frankreich der preußische General Phull ausgearbeitet hatte, und auf dessen Verwirklichung Bernadotte bei Alexander nach der Kriegserklärung erneut bestand - jetzt keine Sache der freien Wahl, sondern der zwingenden Notwendigkeit geworden. Es ist Barclay de Tollys großes Verdienst, daß er dem unsinnigen Geschrei nach einer Schlacht widerstand, das sowohl die russischen Soldaten als auch das Hauptquartier erhoben. Stattdessen vollzog er den Rückzug mit erstaunlicher Geschicklichkeit und setzte ununterbrochen einen Teil seiner Truppen ein, um es dem Fürsten Bagration zu ermöglichen, sich mit ihm zu vereinen, und es Admiral Tschitschagow zu erleichtern, dem Gegner in den Rücken zu fallen. Als er, wie bei Smolensk, gezwungen war, eine Schlacht zu liefern, bezog er eine Stellung, in der es zu keiner Entscheidungsschlacht kommen konnte. Als unweit von Moskau einer Entscheidungsschlacht nicht länger auszuweichen war, wählte er die starke Stellung bei Gshatsk, die frontal kaum angegriffen und nur auf sehr langen, umständlichen Wegen umgangen werden konnte. Er hatte seine Armee schon aufgestellt, als Kutusow eintraf, in dessen Hände die Intrigen der russischen Generale und das Murren der russischen Armee gegen den Ausländer, der den heiligen Krieg anführte, das Oberkommando gelegt hatten. Aus Groll gegen Barclay de Tolly verließ Kutusow die Stellung bei Gshatsk; die Folge war, daß die russische Armee die Schlacht in der ungünstigen Stellung von Borodino annehmen mußte. Während jener Schlacht, am 26. August <alten Stils>, war Barclay, der den rechten Flügel befehligte, der einzige General, der seine Stellung hielt, sich bis zum 27. nicht zurückzog und so den Rückzug der russischen Armee deckte, die ohne ihn völlig vernichtet worden wäre. Nach dem Rückzug von Borodino über Moskau hinaus war es wiederum Barclay de Tolly, der jeden nutzlosen Versuch einer Verteidigung der heiligen Stadt verhinderte.
Während des Feldzuges von 1813 eroberte Barclay am 4, April 1813 die Festung Thorn, besiegte Lauriston bei Königswartha, deckte nach der Niederlage von Bautzen am 8. Mai den Rückzug der Verbündeten, gewann die Schlacht von Görlitz, trug zu Vandammes Kapitulation bei und zeichnete sich in der Schlacht von Leipzig aus. Während des Feldzuges von 1814 befehligte er kein selbständiges Korps, und seine Tätigkeit trug mehr administrativen und diplomatischen als militärischen Charakter. Die strenge Disziplin, der er die unter seiner unmittelbaren Kontrolle stehenden Truppen unterwarf, gewann ihm die Achtung des französischen Volkes. <90> Bei der Rückkehr Napoleons von Elba traf er zu spät aus Polen ein, um noch an der Schlacht von Waterloo mitzuwirken, machte dann jedoch die zweite Invasion Frankreichs mit. Er starb auf einer Reise nach Karlsbad. Die letzten Jahre seines Lebens waren durch Verleumdung getrübt. Er war zweifellos der beste von Alexanders Generalen, bescheiden, standhaft, entschlossen und besaß viel gesunden Menschenverstand.