Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 13, 7. Auflage 1971, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1961, Berlin/DDR. S. 410-413.

1. Korrektur.
Erstellt am 04.08.1998

Friedrich Engels

Die Schlacht von Solferino


["Das Volk" Nr. 10 vom 9. Juli 1859]

<410> Der Zusammenhang zwischen der blutigen Niederlage von Solferino und der zudringlichen Dummheit von Franz Joseph wurde schon in der vorigen Nummer des "Volks" auseinandergesetzt. Daß wir trotzdem den Scharfsinn des "Heldenjünglings" noch überschätzt hatten, beweisen die später veröffentlichten Berichte über die Einzelheiten der Schlacht. Das Jahr 1859 ruft die Sieger von 1849 zu einem Staatsexamen, worin sie der Reihe nach durchfallen.

Die österreichische Armee hatte am 23. Juni nicht weniger als 9 Armeekorps disponibel, von denen das 1., 2., 3., 5., 7., 8. ganz oder teilweise schon früher engagiert gewesen, das 9., 10. und 11. aber noch ganz intakt, noch nicht vor dem Feinde gewesen waren. Die sechs ersten mochten 130.000, die drei letzten 75.000 Mann zusammen zählen. Der Feind konnte also mit wenigstens 200.000 Mann angegriffen werden. Was tat nun Franz Joseph? Er sandte das zehnte und elfte Korps von Mantua auf Asola am Chiese, um den Franzosen in den Rücken zu fallen, und damit diese Bewegung gegen einen etwaigen Angriff des fünften franz[ösischen] Korps (Prinz Napoleon), das man in der Nähe vermutete, gedeckt sei, ließ er das zweite Korps bei Mantua stehen. Hiernach blieben ihm nur 6 Korps übrig, d.h. 24 Brigaden, mit denen er die Fronte der Franko-Piemontesen angreifen wollte. Die Bewegung wurde aber so langsam gemacht. daß die Armee am Abend des 23. Juni nur etwa sechs englische Meilen vom Mincio biwakierte und der Vormarsch am 24. erst um 9 Uhr morgens erfolgen sollte. Die am 23. auf der ganzen Linie zurückgetriebenen Vortruppen der Alliierten sowie deren Kundschafter hatten natürlich im französischen Lager Alarm gegeben, und so kam es, daß die Österreicher, statt um 9 Uhr anzugreifen, <411> um 5 Uhr selbst angegriffen wurden. Die Alliierten entwickelten gegen die 24 österreichischen Brigaden, die zusammen etwa 136.000 Mann zählen mochten, nacheinander nicht weniger als 33 Brigaden (9 piemontesische gleich 45.000 Mann und 24 französische (1) gleich 150.000 Mann) oder mindestens 195.000 Mann und behielten außerdem noch eine piemontesische (Garde) und zwei französische Brigaden (Division Bourbaki) in Reserve. Sie hatten also mindestens 210.000 Mann auf dem Schlachtfelde. Mit einer solchen Übermacht war der Sieg den Alliierten sicher. Trotzdem schlug General Benedek mit dem achten österr[eichischen] Korps die Angriffe der ganzen piemontesischen Armee siegreich zurück und hatte auf dem rechten Flügel einen vollständigen Sieg errungen, obwohl sein eignes Korps nur vier Brigaden stark war und er vielleicht von der Garnison von Peschiera höchstens noch eine fünfte Brigade Verstärkung erhalten hatte. Das Zentrum, von 12 österreichischen schwachen Brigaden besetzt, wurde von 14 starken französischen Brigaden angegriffen und geworfen und der linke Flügel, 8 Brigaden, ebenfalls von 10 stärkeren französischen Brigaden, denen noch dazu die zahlreiche franz[ösische] Kavallerie und Artillerie beigegeben war, nach langem Kampf zurückgedrängt. Auf diesem Flügel sowie im Zentrum wäre eine massenhafte österreichische Artillerie-Aufstellung am Platze gewesen, aber Franz Joseph zog vor, die 13 Batterien der Reserveartillerie (104 Kanonen) ruhig in Valeggio stehen zu lassen, ohne einen Schuß zu tun! Die Überlegenheit des französischen Artilleriefeuers erklärt sich also ganz einfach, nicht aus der Vorzüglichkeit der gezogenen Kanonen, sondern aus der hülflosen und ratlosen Verwirrung im Kopf des österreichischen Kaisers, der seine Geschützreserven gar nicht ins Feuer brachte.

Wo aber bleibt das zehnte und elfte Korps? Während man sich vom Gardasee bis Guidizzolo schlug, irrten sie weitab südlich in der Ebene herum; das elfte Korps soll einige feindliche Truppen von weitem gesehen haben, das zehnte kam nicht einmal so weit; und als die Schlacht entschieden war, hatten beide noch nicht zum Schuß kommen können, ja, sie waren noch so weit ab, daß Canrobert, der gegen diese, den Franzosen bekannte <412> Umgehung Front machen sollte, alle seine Truppen bis auf eine Division gegen die österreichische Hauptarmee verwenden und den Kampf auf dem österreichischen linken Flügel entscheiden konnte.

Das zweite Korps machte inzwischen Front bei Mantua gegen den imaginären Angriff des Prinzen Plon-Plon, der sich mit seiner Armee an demselben Tage in Parma, 8 Tagemärsche vom Schlachtfeld, fetieren ließ!

Hier haben wir einen schlagenden Beweis davon, was es heißt, wenn ein deutscher angestammter "Kriegsherr" das Kommando führt. Zwei Korps (50.000 Mann) nutzlos weitab vom Schlachtfeld spazieren geführt, ein drittes (20.000 Mann) bei Mantua Front gegen das Blaue machend und 104 Kanonen bei Valeggio nutzlos im Park aufgefahren, also ein volles Drittel der gesamten Streitkräfte und die ganze Reserve und Artillerie absichtlich vom Schlachtfeld entfernt, damit die übrigen zwei Drittel von weit überlegnen Kräften zwecklos erdrückt werden - solchen sonnenklaren Blödsinn kann nur ein deutscher Landesvater begehen!

Die österreichischen Truppen haben sich so ausgezeichnet tapfer geschlagen, daß es den Alliierten, die ihnen um die Hälfte überlegen waren, nur nach den größten Anstrengungen gelang, sie an zwei Punkten von dreien zurückzutreiben, und daß selbst diese Übermacht nicht imstande war, sie in Unordnung zu bringen oder einen Versuch zur Verfolgung möglich zu machen. Wie hätte es um den Ausgang der Schlacht gestanden, hätten die 70.000 Mann und 104 Kanonen, die Franz Joseph verzettelte, zwischen Volta und Pozzolengo eine Reservestellung genommen? Die Franzosen wären unzweifelhaft geschlagen worden, und damit war der Feldzug von Mincio und Chiese wieder an den Tessin verlest. Die österreichischen Truppen sind nicht von den Alliierten, sondern von der Dummheit und Anmaßung ihres eigenen Kaisers besiegt worden. Wenn ein österreichischer Soldat auf Vorposten das geringste Versehen macht, so erhält er 50 Stockprügel. Das mindeste, das Franz Joseph tun kann, um seine groben Schnitzer und Kopflosigkeiten einigermaßen zu büßen, ist, daß er sich beim General Heß meldet, um seine wohlverdienten Fünfzig in Empfang zu nehmen.

Der Krieg ist nun auf das Festungsviereck gespielt, und die erste Wirkung der Festungen auf die Manöver der Alliierten beginnt sich zu zeigen: Sie müssen sich teilen. Ein Detachement ist bei Brescia zurückgeblieben, um die Tiroler Pässe zu beobachten. Das fünfte französische Korps (Plon-Plon) ist bei Goito gegen Mantua aufgestellt und durch eine Division verstärkt worden. Zur Belagerung von Peschiera ist ein großer Teil der piemontesischen Armee verwandt. Peschiera, früher eine kleine Festung, soll seit <413> 1848 durch einen Halbkreis detachierter Forts in ein verschanztes Lager verwandelt sein (s. "Revue des deux Mondes", 1 Avril 1859) ist dies der Fall, so werden die Piemontesen vollauf zu tun haben, und es bleibt zu den "Operationen" gegen Verona, die Louis Bonaparte pomphaft ankündigt, nur noch die um eine Division und die Verluste von Solferino geschwächte französische Armee (73 Brigaden, schwerlich viel über 130.000 M.) übrig. Wenn Heß jetzt wirklich das Kommando übernommen hat, und zwar mit unbeschränkter Vollmacht so wird er wohl bald Gelegenheit finden, einzelne siegreiche Gefechte zu bestehn und dadurch einen größeren Sieg vorzubereiten. Den Franzosen ziehen an Verstärkungen die drei Divisionen der Lyoner Armee und, wie es heißt, noch eine Division der Pariser Armee zu, in allem an 50.000 bis 60.000 Mann. Den Österreichern das sechste Korps aus Südtirol, das vierte von Triest her, und außerdem noch die vierten Feldbataillone der in Italien stehenden Regimenter, d.h. mindestens 54 Bataillone alter Soldaten, so daß die sämtlichen österreichischen Verstärkungen sich auf beinahe 100.000 Mann belaufen werden. Die Hauptsache für die Österreicher ist aber um Ende die, daß das Gleichgewicht auf dem Schlachtfeld nicht so sehr durch frische Zuschüsse als vielmehr durch ein einheitliches und verständiges Kommando hergestellt werde, und das kann nur dadurch geschehen, daß der unberufene Franz Joseph beseitigt wird und Heß das volle Kommando übernimmt.


Fußnoten von Friedrich Engels

(1) Piemontesen: Division Mollard, Division Fanti, Division Durando - jede à 2 Brigaden und die Brigaden Savoyen, alle engagiert. Franzosen: Garde - 4 Brigaden; 1. Korps, Baraguay - 6 Brigaden: 2. Korps, Mac-Mahon - 4 Brigaden; 3. Korps, Canrobert - 4 Brigaden engagiert, 2 in Reserve; 4. Korps, Niel - 6 Brigaden engagiert. Zusammen 33 Brigaden engagiert, 3 in Reserve. Alle diese Angaben sind aus dem offiziellen Bericht Napoleons des Kleinen. Wir zählen übrigens bloß die Infanterie auf. <=