Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 13, 7. Auflage 1971, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1961, Berlin/DDR. S. 402-404.

1. Korrektur.
Erstellt am 04.08.1998

Friedrich Engels

Die Schlacht bei Solferino


["Das Volk" Nr. 9 vom 2. Juli 1859]

<402> Der ritterliche Franz Joseph, den die Lorbeeren des falschen Napoleon nicht schlafen ließen, hat uns gezeigt, was es heißt, wenn "ein angestammter Kriegsherr" die Zügel des Kommandos ergreift. Wir sahen bereits vorige Woche, wie die Armee zuerst die Position auf den Höhen von Castiglione einnehmen mußte und in dem Augenblick, wo jedermann eine Schlacht zu erwarten berechtigt war, ohne Schwertstreich und ohne Grund die Stellung räumte, um hinter den Mincio zu gehn. Aber Franz Joseph hielt dies noch nicht für genug, um seine jämmerliche Schwäche und Inkonsequenz zu betätigen. Kaum war die Armee hinter dem Mincio, so besann der "Heldenjüngling" sich eines Besseren: Es war eines Habsburgers nicht würdig, so ohne Widerstand das Feld zu räumen; die Armee muß kehrtmachen, den Mincio wieder passieren und den Feind angreifen.

Nachdem Franz Joseph durch dies kindische Kreuz- und Quermarschieren das Vertrauen seiner Truppen in ihren allerhöchsten Kriegsherrn hinlänglich bestärkt hatte, führte er sie gegen den Feind. Es waren ihrer höchstens 150.000 Mann, auf mehr schätzt sie der Wahrheitsfreund Bonaparte selbst nicht. Auf einer mindestens 2 engl[ische] Meilen langen Linie griffen die Österreicher an. Es kamen also höchstens 12.500 Mann auf jede Meile (2.100 Schritt) Frontausdehnung, ein für eine kürzere Linie gewiß unter Umständen ausreichendes Stärkeverhältnis, aber bei so langer Front unbedingt zu schwach, für eine Offensive aber erst recht unpassend, da die einzelnen Hauptstöße so jedenfalls nicht mit hin reichendem Nachdruck geführt werden konnten. Nun aber kam noch hinzu, daß der Feind unbedingt überlegen, die österreichische Offensive also schon von vornherein fehlerhaft war; ein überlegner Feind war ziemlich sicher, solch eine dünne Linie an irgend- <403> einem gegebenen Punkt zu durchbrechen. Am Donnerstag, 23. Juni, begann das allgemeine Vorrücken der Österreicher; sie trieben überall die feindlichen Vortruppen mit Leichtigkeit zurück, besetzten Pozzolengo, Volta, Cuidizzolo und drangen am Abend bis Solferino und Castelgoffredo vor. Am nächsten Morgen warfen sie die feindliche Avantgarde noch weiter zurück, wobei der linke Flügel bis nahe an den Chiese kam; jetzt aber stießen sie auf die feindliche Hauptmacht, und die Schlacht wurde allgemein. Die beiden Flügel der Österreicher blieben im Vorteil, namentlich der rechte, der die Piemontesen sich gegenüber hatte und sie arg zurichtete, so daß hier die Österreicher offenbar siegreich waren. Aber im Zentrum bewährte sich die fehlerhafte Disposition. Solferino, der Schlüssel zum Zentrum, blieb nach hartnäckigem Kampf schließlich in den Händen der Franzosen, die gleichzeitig gegen den österreichischen linken Flügel starke Übermacht entwickelten. Diese beiden Umstände bewogen den Franz Joseph, der wahrscheinlich bis auf seinen letzten Mann engagiert hatte, den Befehl zum Rückgang zu geben. Die Österreicher zogen sich - offenbar in der besten Ordnung und unverfolgt - zurück und passierten den Mincio vollkommen unbelästigt.

Die Details der Schlacht sind uns nicht mehr rechtzeitig zugekommen, um noch in dieser Nummer besprochen werden zu können. Soviel aber ist gewiß, daß die österreichischen Truppen wieder mit ausgezeichneter Tapferkeit gekämpft haben. Das beweist ihr standhaftes Aushalten, 16 Stunden, gegen einen überlegnen Feind, und namentlich ihr geordneter und unbehelligter Rückzug. Sie scheinen vor den Herren Franzosen gar keinen besonderen Respekt zu haben; Montebello, Magenta, Solferino scheinen ihnen keinen andern Eindruck zu hinterlassen als die Gewißheit, daß sie bei numerischer Gleichheit nicht nur mit den Franzosen, sondern auch mit der Dummheit ihrer eignen Generale fertig werden. Daß sie 30 Kanonen und angeblich 6.000 Gefangene verloren haben, ist ein sehr erbärmliches Resultat für den Sieger in einer solchen Hauptschlacht; die vielen Dorfgefechte konnten ihm nicht weniger einbringen. Aber so brillant die Truppen sich der Übermacht gegenüber benehmen, so erbärmlich ist wieder die Führung. Unentschlossenheit, Wankelmut, widersprechende Befehle, als sollten die Truppen recht absichtlich demoralisiert werden - das ist, wodurch Franz Joseph sich in 3 Tagen vor den Augen seiner Armee unwiederbringlich ruiniert hat. Etwas Kläglicheres ist gar nicht zu denken als dieser arrogante Junge, der sich unterfängt, eine Armee kommandieren zu wollen, und der wie ein Rohr im Winde den widersprechendsten Einflüssen nachgibt, heute dem alten Heß folgt, um morgen wieder auf Herrn Grünnes entgegengesetzten Rat zu hören, der heute sich zurückzieht und morgen plötzlich angreift und überhaupt nie <404> selbst weiß, was er will. Er hat nun indessen genug und zieht sich, beschämt und begossen, nach Wien zurück, wo er schön wird empfangen werden.

Der Krieg aber fängt jetzt erst an. Die österreichischen Festungen treten jetzt erst in Wirksamkeit; die Franzosen müssen sich teilen, sowie sie über den Mincio gehen, und damit beginnt eine Reihe von Kämpfen um einzelne Posten uns Stellungen, von Detailgefechten untergeordneter Art, in denen die Österreicher die jetzt endlich den General Heß an der Spitze haben, selbst bei im ganzen geringeren Kräften doch größere Chancen des Siegs haben. Ist hierdurch und durch Verstärkungen dann das Gleichgewicht zwischen den Kämpfenden wieder hergestellt, so können die Österreicher mit konzentrierter Übermacht auf den geteilten Feind fallen und die Gefechte von Sommacampagna und Custozza in zehnfach vergrößertem Maßstabe wiederholen. Dies ist die Aufgabe der nächsten sechs Wochen. Übrigens ziehen sie jetzt erst die Reserven ein, die der Armee in Italien mindestens 120.000 Mann Verstärkung bringen werden, während Louis-Napoleon seit der preußischen Mobilmachung sich in Verlegenheit befindet, woher er Verstärkung nehmen soll.

Die Chancen des Krieges haben sich also durch die Affäre von Solferino wenig geändert. Aber ein großes Resultat ist erzielt: Einer unsrer Hauptlandesväter hat sich aufs gründlichste blamiert, und sein ganzes altösterreichisches System wackelt. In ganz Österreich bricht die Unzufriedenheit mit der Konkordatswirtschaft, der Zentralisation, der Beamtenherrschaft aus, und das Volk verlangt den Umsturz eines Systems, das im Innern durch Druck und nach außen durch Niederlagen sich auszeichnet. Die Stimmung in Wien ist derart, daß Franz Joseph sich schleunigst dorthin begibt, um Konzessionen zu machen. Gleichzeitig blamieren sich unsre übrigen Landesväter ebenfalls aufs erfreulichste; nachdem der Prinzregent, der ritterliche, als Politiker dieselbe Wackelei und Charakterlosigkeit bewiesen wie Franz Joseph als General, fangen die kleinen Raubstaaten wieder an, mit Preußen sich wegen den Truppendurchmärschen zu katzbalgen, und erklärt die Bundesmilitärkommission, über Preußens Vorschlag wegen freier Bundeskorps am Oberrhein erst nach vollen 14 Tagen Bedenkzeit Bericht erstatten zu können. Die Sachen verwickeln sich vortrefflich. Diesmal können sich die Herren Fürsten indes blamieren, ohne daß unsrer Nationalität Gefahr droht; im Gegenteil, das deutsche Volk, ein ganz anderes Volk seit der Umwälzung von 1848, ist stark genug geworden, um nicht nur mit den Franzosen und Russen, sondern auch gleichzeitig mit den 33 Landesvätern fertig zu werden.