Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 12, Berlin/DDR 1961. S. 88-94.
Geschrieben Ende November 1856.
Aus dem Englischen.
["New-York Daily Tribune" Nr. 5082 vom 4. August 1857]
<88> In einem früheren Artikel haben wir die natürlichen Bedingungen dargestellt, die zur Wiederbelebung des Adriahandels in Triest geführt haben. Die Entwicklung dieses Handels ist größtenteils den Bemühungen des Österreichischen Lloyd zu verdanken, einer Gesellschaft, die von Engländern gegründet wurde, aber seit 1836 in der Hand Triester Kapitalisten ist. Zu Anfang besaß der Lloyd nur einen Dampfer, der einmal wöchentlich zwischen Triest und Venedig verkehrte. Diese Verbindung wurde bald zu einer täglichen ausgestaltet. Nach und nach rissen die Dampfer des Lloyd den Handel von Rovigno, Fiume, Pirano, Zara und Ragusa an der istrischen und der dalmatinischen Küste an sich. Als nächstes wurde die Romagna in den Verkehr einbezogen, dann kamen Albanien, Epirus und Griechenland an die Reihe. Die Dampfer hatten das Adriatische Meer noch nicht verlassen, als der Archipel, Saloniki, Smyrna, Beirut, Ptolemais und Alexandria sich um Aufnahme in das Verkehrsnetz bewarben, das der Lloyd plante. Schließlich drangen seine Schiffe ins Schwarze Meer und nahmen unmittelbar vor den Augen Rußlands und der Türkei die Linien in Besitz, die Konstantinopel mit Sinope, Trapezunt, Varna, Braila und Galatz verbinden. So rückt eine Gesellschaft, die nur für die österreichische Küstenschiffahrt im Adriatischen Meer gegründet worden ist, immer weiter ins Mittelländische Meer vor und wartet, nachdem sie sich das Schwarze Meer gesichert, offensichtlich nur auf den Durchstich des Isthmus von Suez, um in das Rote Meer und den Indischen Ozean vorzudringen.
Das Kapital des Lloyd, ursprünglich auf 1.000.000 Florin festgesetzt, ist durch wiederholte Emissionen neuer Aktien und durch Anleihen auf <89> 13.000.000 Florin gestiegen. Kapitalbewegung und Geschäfte der Gesellschaft seit 1836 werden im letzten Direktorenbericht folgendermaßen sichtbar:
1836/37 |
1853/54 |
|
Kapital |
1.000.000 fl. |
8.000.000 fl. |
Zahl der Dampfer |
7 |
47 |
Pferdekräfte |
630 |
7.990 |
Tonnengehalt |
1.944 |
23.665 |
Wert der Dampfer |
798.824 fl. |
8.010.000 fl. |
Zahl der Fahrten |
87 |
1.465 |
Zurückgelegte Meilen |
43.652 |
776.415 |
Zahl der Reisenden |
7.967 |
331.688 |
Beförderte Edelmetalle |
3.934.269 fl. |
59.523.125 fl. |
Briefe und Depeschen |
35.205 |
748.930 |
Stückgüter |
5.752 |
565.508 |
Gesamtausgaben |
232.267 fl. |
3.611.156 fl. |
In siebzehn Jahren betrugen die Gesamtausgaben der Gesellschaft (einschließlich Dividenden) |
25.147.403 fl. |
Die Gesamteinnahmen |
26.032.452 fl. |
Folglich bleibt eine Reserve von |
885.049 fl. |
Wie aus der angeführten Tabelle hervorgeht, ist der Lloyd eine Handelsunternehmung von großer Bedeutung und hat, wohin immer auch seine Schiffe vorgedrungen sind, das Wachstum von Industrie und Handel außerordentlich gefördert. Man hat den Wert des österreichischen Quintals auf 300 fl. und das Gepäck eines jeden Passagiers auf 10 fl. veranschlagt und danach berechnet, daß der Lloyd von 1836 bis 1853 transportiert hat:
An Waren |
1.255.219.200 Florin |
An Gepäck |
84.847.930 Florin |
An Münzgeld und Edelmetallbarren |
461.113.767 Florin |
Insgesamt |
1.801.180.897 Florin |
"Es ist gewiß", sagt ein französischer Autor, "daß die stille, aber beharrliche Tätigkeit dieser Gesellschaft von Kaufleuten für die Angelegenheiten der Levante auf Jahre hinaus zumindest ebenso bedeutsam und um vieles ehrenhafter gewesen ist als die Tätigkeit der österreichischen Diplomatie."
Die Wiederbelebung des Handels und die Entwicklung der Dampfschiffahrt im Adriatischen Meer muß über kurz oder lang eine adriatische Flotte ins Leben rufen, die seit dem Niedergang Venedigs nicht mehr bestand. <90> Napoleon wollte, ganz seiner Mentalität entsprechend, diese Flotte schaffen, ohne erst auf die Wiederherstellung des Seehandels zu warten - ein Experiment, das er gleichzeitig in Antwerpen und in Venedig anstellte. War es ihm gelungen, Armeen zu sammeln, ohne daß ein Volk hinter ihnen stand, so zweifelte er auch nicht an seiner Macht, Kriegsflotten aufzubauen ohne eine Handelsmarine als Grundlage. Aber abgesehen von den Unmöglichkeiten, die einem solchen Plan notwendigerweise anhaften, stieß Napoleon auf völlig unerwartete Schwierigkeiten lokalen Charakters. Nachdem er seine fähigsten Ingenieure nach Venedig gesandt, die Befestigungen der Stadt vervollständigt, das schwimmende matériel <Inventar> instand gesetzt, die Werften zur früheren Aktivität wiedererweckt hatte, stellte sich plötzlich heraus, daß durch den technischen Fortschritt in Seekrieg und Seefahrt Venedigs Hafen zu der gleichen Bedeutungslosigkeit verurteilt war, zu der die neuen Handelswege seinen Handel und Schiffsverkehr verdammt hatten. Es erwies sich, daß der Hafen Venedigs, wie vortrefflich er sich auch für die alten Galeeren eignen mochte, nicht die erforderliche Tiefe für moderne Linienschiffe hatte, und daß sogar Fregatten nicht einlaufen konnten, ohne ihre Geschütze auszuladen, es sei dann, daß Südwind und Springflut zusammenfielen. Nun ist es für moderne Kriegshäfen eine Lebensfrage, daß sie jederzeit Schiffen Einfahrt gewähren und tief und geräumig genug sind, eine ganze Flotte aufzunehmen, sei es zum Angriff oder zur Verteidigung. Bonaparte sah außerdem ein, daß er noch einen anderen Fehler begangen hatte. Mit den Verträgen von Campo Formio und Lunéville hatte er Venedig von der Ostküste des Adriatischen Meeres abgeschnitten und es so der Seeleute beraubt, die es zur Bemannung seiner Schiffe brauchte. Von der Mündung des Isonzo bis Ravenna suchte er vergeblich nach einer seetüchtigen Bevölkerung, da die Gondoliere Venedigs und die Fischer der Lagunen (ein furchtsamer und schmächtiger Menschenschlag) gar nicht vermögen, irgendeinen tüchtigen Matrosen zu stellen. Napoleon erkannte jetzt, was die Venezianer bereits im zehnten Jahrhundert entdeckt hatten, daß die Herrschaft über das Adriatische Meer nur dem Besitzer seiner Ostküsten gehören kann. Er begriff, daß seine Verträge von Campo Formio und Lunéville kolossale Mißgriffe waren, da sie Österreich die seetüchtige Bevölkerung des Adriatischen Meeres auslieferten, und ihm selbst nur den Namen eines verfallenen Hafens (magni nominis umbram <den Schatten eines großen Namens>) übrigließen. Um seine früheren Schnitzer wiedergutzumachen, eignete er sich in den folgenden Verträgen von Preßburg und Wien Istrien und Dalmatien an.
<91> Strabon wies schon vor langer Zeit darauf hin, daß die gegenüberliegende Küste Illyriens an ausgezeichneten Hafen überreich ist, während an der adriatischen Küste Italiens Buchten und Hafen völlig fehlen; und während der Bürgerkriege in Rom sehen wir, wie Pompejus an den Küsten von Epirus und Illyrien mühelos große Flotten aufstellen kann, während es Cäsar auf der italienischen Seite nur nach beispielloser Anstrengung gelingt, eine kleine Zahl von Booten zusammenzubringen, um seine Truppen in Abteilungen überzusetzen. Mit ihren tiefen Einschnitten, ihren wilden Felseninseln, ihren an jedem Ort lauernden Sandbänken, ihren vortrefflichen Schlupfhäfen ist die Küste Illyriens und Dalmatiens eine erstklassige natürliche Schule für tüchtige Seeleute - Matrosen mit kraftvollen Gliedern und furchtlosen Herzen, abgehärtet in den Stürmen, die fast täglich das Adriatische Meer aufwühlen. Die Bora, der große Störenfried dieses Meeres, erhebt sich stets ohne das kleinste Warnungszeichen; mit der Gewalt eines Tornados überfällt sie die Seeleute und gestattet nur dem Kühnsten, auf Deck zu bleiben. Manchmal tobt sie wochenlang und am heftigsten zwischen der Bucht von Cattaro und dem Südende von Istrien. Der Dalmatiner aber ist von Kindheit an gewöhnt, ihr zu trotzen, er wird hart unter ihrem Atem und verachtet die armseligen Winde anderer Meere. So tun sich Luft, Land und See zusammen, um den robusten und nüchternen Seefahrer dieser Küste zu zeugen.
Sismondi hat bemerkt, daß die Seidenweberei so zu den lombardischen Bauern gehört wie das Seidenspinnen zum Seidenwurm. So gehört das Leben auf dem Meere ebenso zum Dalmatiner wie zum Seevogel. Piraterie ist das Thema ihrer Volkslieder wie der Landraub das Thema der alten teutonischen Dichtung. Der Dalmatiner pflegt noch immer das Andenken an die wilden Heldentaten der Uskoken, die anderthalb Jahrhunderte lang die regulären Truppen Venedigs und der Türkei in Schach hielten und deren Kriegszügen erst der Vertrag zwischen Österreich und der Türkei 1617 ein Ende setzte, während die Uskoken sich bis dahin einer gehörigen Protektion des Kaisers erfreut hatten. Die Geschichte der Uskoken kann man nur mit der Geschichte der Kosaken am Dnepr - vergleichen die einen wurden aus der Türkei, die anderen aus Polen vertrieben; jene verbreiteten Furcht und Schrecken über das Adriatische, diese über das Schwarze Meer; die ersteren wurden anfangs von Österreich heimlich unterstützt und dann vernichtet, und die letzteren von Rußland. Die dalmatinischen Matrosen in dem Mittelmeergeschwader des Admirals Émerian erregten die Bewunderung Napoleons. Zweifellos besitzt also die Ostküste des Adriatischen Meeres die Menschenreserven, um <92> eine erstklassige Flotte zu bemannen. Das einzige, was ihnen fehlt, ist Disziplin. Durch eine Zählung im Jahre 1813 stellte Napoleon fest, daß 43.500 Seeleute an dieser Küste wohnen:
In Triest |
12.000 |
In Fiume |
6.000 |
In Zara |
9.500 |
In Spalato |
5.000 |
In Ragusa |
8.500 |
In Cattaro |
2.500 |
Insgesamt |
43.500 |
Heute müssen es mindestens 55.000 sein.
Nachdem die Mannschaft gefunden war, suchte Napoleon nach den Häfen für eine adriatische Flotte. Die illyrischen Provinzen wurden definitiv durch den Wiener Frieden 1809 erworben, aber französische Truppen hielten sie schon seit der Schlacht bei Austerlitz besetzt und Napoleon benützte die Vorteile, die der Kriegszustand ihm bot, um die großen Arbeiten vorzubereiten, die im Frieden ausgeführt werden sollten. 1806 wurde Herr Beautemps-Beaupré, von mehreren Ingenieuren und Hydrographen der französischen Flotte unterstützt, zur Besichtigung der Küsten nach Istrien und Dalmatien geschickt, um den geeignetsten Ort für die in der Adria geplante Flottenbasis ausfindig zu machen. Die ganze Küste wurde erforscht, und die Aufmerksamkeit der Ingenieure fiel schließlich auf den Hafen Pola, der an der Südspitze der Halbinsel Istrien liegt. Die Venezianer, die sich dagegen sträubten, ihre Seemacht anderwärts als in Venedig zu stationieren, hatten Pola nicht nur vernachlässigt, sondern auch eifrig das Gerücht verbreitet, daß angeblich eine Sandbank Pola für Kriegsschiffe unzugänglich mache. Herr Beaupré stellte jedoch fest, daß eine solche Sandbank nicht existiere, und Pola alle Bedingungen eines modernen Kriegshafens erfülle. Zu verschiedenen Zeiten hatte es als Stützpunkt der Seestreitkräfte des Adriatischen Meeres gedient. Es war der Mittelpunkt der Seekampfhandlungen der Römer während der illyrischen und pannonischen Kriegszüge und wurde unter dem Römischen Reich ständige Flottenstation. Zu verschiedenen Zeiten ist es von den Genuesen, den Venezianern und zuletzt von den Uskoken besetzt gewesen. Tief und geräumig in jeder Richtung, wird der Hafen von Pola vom Meere her durch Inseln geschützt, und im Rücken durch Felsen, die die Stellung beherrschen. Sein einziger Nachteil besteht in seinem ungesunden Klima und den Fiebern, welche aber, wie Herr Beautemps-Beaupré versichert, bei einer systematischen Entwässerung verschwinden werden, einer Kanalisation, die bisher nicht angelegt worden ist.
<93> Die Österreicher haben sich mit dem Gedanken, eine Seemacht zu werden, nur sehr langsam vertraut gemacht. Bis vor ganz kurzer Zeit war in ihren eigenen Augen die Marine nur eine Unterabteilung des Heeres. Ein Oberst in der Armee kam an Rang einem Linienkapitän gleich, ein Oberstleutnant einem Fregattenkapitän, ein Major einem Korvettenkapitän; und die gleiche Stellung in der Rangliste schien den Österreichern auch die gleiche Stellung in der Marine und im Heer zu garantieren. Galt es einen Seekadetten zu ernennen, so hielten sie es für das ratsamste, ihn zuvor zu einem Husarenfähnrich auszubilden. Die Rekruten wurden für die Flotte auf dieselbe Weise ausgehoben wie für das Heer, mit dem einzigen Unterschied, daß die Provinzen Istrien und Dalmatien ausschließlich für den Seedienst bestimmt waren. Die Dienstzeit war gleich, acht Jahre zu Land wie zur See.
Die Trennung von Armee und Flotte ist, wie jeder neuzeitliche Fortschritt in Österreich, das Ergebnis der Revolution von 1848. Trotz der Erfahrungen, die Napoleon gemacht hatte, blieb Venedig bis 1848 das einzige Arsenal Österreichs. Venedigs Mängel berührten Österreich nicht, weil es faktisch überhaupt keine moderne Flotte hatte. Seine Seemacht bestand aus nur 6 Fregatten, 5 Korvetten, 7 Briggs, 6 Schaluppen, 16 Dampfern und 36 armierten Booten - insgesamt 850 Geschütze. Um die italienische Revolution zu bestrafen, verlegte Österreich die Marineakademie, das Observatorium, das hydrographische Institut, das schwimmende Inventar und den Artilleriepark von Venedig nach Triest. Die Werften und die Speicher blieben in Venedig; und so wurde das Marinewesen aus Bürokratenrache in zwei Teile geschnitten. Anstatt Venedig zu bestrafen, beraubte man beide Teile ihrer Leistungsfähigkeit. Allmählich entdeckte die österreichische Regierung, daß, so glänzend Triest sich auch als Handelshafen eignen möge, es doch für einen Flottenstützpunkt ungeeignet sei. Sie mußte sich endlich an die Lehre erinnern, die Napoleon im Adriatischen Meer erhalten hatte, und Pola zum Zentrum der Marineverwaltung machen. Ganz nach österreichischer Gewohnheit sind die ersten Jahre nach der Verlegung der Admiralität nach Pola dazu verwendet worden, Kasernen statt Werften zu bauen. Das Verteidigungssystem besteht in einem Kreuzfeuer, das von den Inseln auf den Hafeneingang gerichtet wird, und in einer Kette von Maximilians-Türmen, die Schiffe daran hindern sollen, Bomben in den Hafen zu werfen. Außer den strategischen Vorteilen besitzt Pola auch die für einen guten Hafen unentbehrliche Bedingung, nämlich in der Lage zu sein, eine starke Flotte zu versorgen. Istrien hat Eichen wie Neapel; Krain, Kärnten und Steiermark sind unerschöpflich reich an Fichten, die schon den Hauptartikel der Triester Ausfuhr bilden; Steiermark besitzt große Eisenvorkommen; für die Ausfuhr <94> des Hanfs von Ancona ist Pola der bequemste Ort; Kohle wird bis jetzt noch aus England eingeführt, aber in den dalmatinischen Gruben bei Sebenico beginnt man Kohle besserer Qualität zu fördern, und wenn die Eisenbahnstrecke Triest-Wien eröffnet ist, kann vom Semmering her beste Qualität kommen. Die Produkte Istriens, auf kalkigem Boden wachsend, vertragen lange Transporte. Öl ist reichlich vorhanden, ungarisches Getreide ganz in der Nähe, Schweine liefert das Donautal in ungeheuren Massen. Diese Schweine werden jetzt nach Galatz und Hamburg befördert, aber die Eisenbahn wird sie nach Triest und Pola bringen.
Bei all diesen ausgezeichneten Bedingungen für die Erneuerung einer Seemacht im Adriatischen Meer gibt es nur ein Hindernis - Österreich selbst. Könnte Österreich bei seiner jetzigen Organisation und unter seiner gegenwärtigen Regierung eine starke Handels- und Seemacht im Adriatischen Meer gründen, so würde es mit allen Traditionen der Geschichte brechen, die seit jeher Macht zur See mit Freiheit verbunden hat. Aber die Traditionen über den Haufen werfen hieße andererseits, Österreich selbst über den Haufen werfen.