Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 12, Berlin/DDR 1961. S. 83-87.

Karl Marx

Der Seehandel Österreichs

Geschrieben Ende November 1856.
Aus dem Englischen.


["New-York Daily Tribune" Nr. 4906 vom 9. Januar 1857]

<83> Man kann sagen, daß der Seehandel Österreichs zu der Zeit beginnt, wo Venedig und seine Besitzungen an der adriatischen Küste dem Reich einverleibt werden; das geschah zuerst im Frieden von Campo Formio, und der Frieden von Lunéville bestärkte Österreich in seinem Besitz. Napoleon ist demnach der eigentliche Begründer dieses österreichischen Handelszweiges. Zwar hat er, als er der Vorteile gewahr wurde, die Österreich daraus erwuchsen, diese Konzenssionen im Vertrag von Preßburg und dann im Wiener Frieden 1809 aufgehoben. Aber Österreich, einmal auf die richtige Fährte gelenkt, benützte 1815 die günstige Gelegenheit, seine Vorherrschaft über das Adriatische Meer durch einen Vertrag wiederzugewinnen. Der Mittelpunkt dieses Handels ist Triest; wie sehr es allen anderen österreichischen Häfen, und zwar schon seit längerer Zeit, überlegen ist, geht aus folgender Tabelle hervor:

Häfen

Fiume

Triest

Venedig

Andere Häfen

Gesamtsumme

(in Florin)

1838

Import

200.000

32.200.000

9.000.000

8.000.000

49.400.000

Export

1.700.000

14.400.000

5.300.000

2.000.000

23.400.000

1841

Import

200.000

22.300.000

8.500.000

5.300.000

36.300.000

Export

1.600.000

11.200.000

3.100.000

1.900.000

17.800.000

1842

Import

200.000

24.900.000

11.500.000

5.100.000

41.700.000

Export

1.300.000

11.900.000

3.400.000

2.600.000

19.200.000

1839 verhielten sich die Importe Venedigs zu denen Triests wie 1 zu 2,84, ihr Exportverhältnis war 1 zu 3,8. Im gleichen Jahr stand die Anzahl der jeden der beiden Häfen anlaufenden Schiffe im Verhältnis von 1 zu 4. Gegen- <84> wärtig ist das Übergewicht Triests so bedeutend, daß es alle übrigen Häfen Österreichs, Venedig eingeschlossen, weit in den Schatten stellt. Aber wenn Triest Venedig im Adriatischen Meer verdrängt hat, so wird diese Tatsache weder durch die besondere Gunst der österreichischen Regierung, noch durch die unaufhörlichen Anstrengungen des Österreichischen Lloyd erklärt. Zu Beginn des achtzehnten Jahrhunderts eine unbekannte Bucht an felsiger Küste, von wenigen Fischern bewohnt, hatte sich Triest 1814, als die französischen Streitkräfte Istrien räumten, zu einem Handelshafen mit 23.000 Einwohnern entwickelt, dessen Handel 1815 dreimal so groß war als der Venedigs. 1832, ein Jahr vor der Gründung des Österreichischen Lloyd, betrug die Einwohnerzahl über 50.000, und zu einer Zeit, als vermutlich der Einfluß des Lloyd noch kaum ins Gewicht fallen konnte, belegte Triest im türkischen Handel den zweiten Platz, nach England, und im ägyptischen Handel den ersten Platz. Das beweisen die folgenden Ziffern für die Importe und Exporte von Smyrna in der Zeit von 1853 bis 1839:

[Import]

[Export]

Piaster

Piaster

England

126.313.146

44.618.032

Triest

93.500.456

52.477.756

Vereinigte Staaten

57.329.165

46.608.320

Die folgenden Ziffern, die die Importe und Exporte Ägyptens für 1837 angehen, sind in dieser Hinsicht ebenso aufschlußreich:

[Import]

[Export]

frs.

frs.

Triest

13.858.000

14.532.000

Türkei

12.661.000

12.150.000

Frankreich

10.702.000

11.703.000

England und Malta

15.158.000

5.404.000

Wie kam es nun, daß gerade Triest und nicht Venedig zur Wiege der wieder aufblühenden Schiffahrt in der Adria wurde? Venedig war eine Stadt der Erinnerungen; Triest hatte gleich den Vereinigten Staaten den Vorzug, überhaupt keine Vergangenheit zu besitzen. Von einer bunten Gesellschaft aus italienischen, deutschen, englischen, französischen, griechischen, armenischen und jüdischen Händlern und Spekulanten errichtet, war es nicht wie die Lagunenstadt mit Traditionen belastet. Während sich beispielsweise der venezianische Getreidehandel noch während des achtzehnten Jahrhunderts an seine alten Verbindungen klammerte, verband Triest sein Geschick mit <85> dem aufsteigenden Stern Odessas, und so gelang es ihm, zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts seinen Rivalen gänzlich aus dem Getreidehandel des Mittelländischen Meeres zu verdrängen. Der vernichtende Schlag, den die alten Handelsrepubliken Italiens am Ende des fünfzehnten Jahrhunderts infolge der Umsegelung Afrikas erlitten, wiederholte sich im kleinen in Gestalt der Kontinentalsperre Napoleons. Die letzten Reste venezianischen Handels wurden vernichtet. An jeder Möglichkeit verzweifelnd, man könne in diesen sterbenden Seehandel noch mit Gewinn Kapital investieren, übertrugen die Kapitalisten Venedigs naturgemäß ihr Kapital auf die gegenüberliegende Küste der Adria, wo zur gleichen Zeit der Triester Handel zu Lande eine Steigerung aufs Doppelte in Aussicht stellte. So förderte Venedig selbst die Größe Triests - ein Schicksal, das allen Seemächten gemeinsam ist. So legte Holland den Grundstein zu der Größe Englands; und so stärkte England die Macht der Vereinigten Staaten.

Einmal mit dem Österreichischen Reich vereint, hatte Triest eine natürliche Position inne, die sich sehr von der unterschied, die Venedig je eingenommen hatte. Triest bildete das natürliche Tor der weiten und unerschöpflichen Gebiete seines Hinterlandes, während Venedig niemals etwas anderes gewesen war als ein isolierter, entfernt liegender Hafen des Adriatischen Meeres, der sich des Güterverkehrs der Welt bemächtigte, und diese Machtstellung auf die Rückständigkeit einer Welt stützte, die sich ihrer eigenen Hilfsquellen nicht bewußt war. Das Gedeihen Triests kennt daher keine Grenzen, außer daß es von der Entwicklung der Produktivkräfte und Verkehrsmittel in dem gewaltigen Komplex von Ländern abhängig ist, die jetzt unter österreichischer Herrschaft stehen. Ein anderer Vorteil Triests ist seine Nähe zur Ostküste des Adriatischen Meeres, die zugleich die Grundlage für einen den Venezianern fast gänzlich unbekannten Küstenhandel bildet; hier ist auch die natürliche Schule jener kühnen Rasse von Seeleuten, die sich Venedig niemals ganz zunutze machen konnte. Wie der Niedergang Venedigs Schritt hielt mit dem Aufstieg des Ottomanischen Reiches, so vermehrten sich die Möglichkeiten Triests mit der zunehmenden Überlegenheit Österreichs über die Türkei. Selbst in seinen besten Zeiten war der Handel Venedigs durch die Teilung des Orienthandels behindert, die ganz und gar auf politischen Ursachen beruhte. Einerseits gab es den Donauhandelsweg, der mit der venezianischen Schiffahrt kaum etwas zu tun hatte; andererseits monopolisierten die Genuesen unter dem Schutz der griechischen Herrscher beinahe den ganzen Handel mit Konstantinopel und dem Schwarzen Meer, während Venedig unter dem Schutz der katholischen Könige den Handel Moreas, Cyperns, Ägyptens, Kleinasiens etc. monopolisierte. Erst Triest hat <86> diese beiden großen Wege des Levantehandels mit dem Donauhandel vereinigt. Ende des fünfzehnten Jahrhunderts fand sich Venedig sozusagen geographisch beiseite geschoben. Die Vorzüge seiner Nachbarschaft zu Konstantinopel und Alexandria, den damaligen Zentren des asiatischen Handels, wurden durch die Umsegelung des Kaps der Guten Hoffnung eingebüßt, die den Schwerpunkt dieses Handels zuerst nach Lissabon, dann nach Holland, endlich nach England verlegte. Die privilegierte Stellung, die Venedig verloren, wird zu unserer Zeit wahrscheinlich Triest zurückerobern, sobald der Suez-Kanal den Isthmus durchsticht. Die Triester Handelskammer hat sich nicht nur mit der französischen Kompagnie für den Suez-Kanal assoziiert, sie hat auch Agenten zur Erforschung des Roten Meeres und der Küsten des Indischen Ozeans ausgesandt, um die in jenen Gegenden beabsichtigten Handelsoperationen zu fördern. Ist der Isthmus erst einmal durchbrochen, dann wird Triest notwendigerweise ganz Osteuropa mit indischen Waren versorgen; es wird dem Wendekreis des Krebses wie Gibraltar gleich nahe sein, und eine Fahrt von 5.600 Meilen wird seine Schiffe zur Sunda-Straße bringen.

Haben wir nun den Umfang und die Aussichten des Triester Handels erörtert, so soll noch eine Tabelle folgen, die die Handelsbewegung dieses Hafens während der letzten zehn Jahre darstellt:

Schiffe

Tonnage

Schiffe

Tonnage

1846

16.782

985.514

1851

24.101

1.408.802

1847

17.321

1.007.330

1852

27.931

15.56.652

1848

17.812

926.815

1853

29.317

16.75.886

1849

20.553

12.69.258

1854

26.556

17.30.910

1850

21.124

13.23.796

1855

21.081

14.89.197

Wenn man den Durchschnitt der ersten drei Jahre dieser Periode mit dem der letzten drei Jahre vergleicht (973.220 mit 1.632.000), so wird man finden, daß die Zunahme innerhalb eines so kurzen Zeitraumes 68 von 100 beträgt. Marseille weist bei weitem nicht die gleiche Schnelligkeit des Wachstums auf. Der Aufschwung Triests beruht überdies auf um so festerer Grundlage, als er von dem vermehrten Handelsverkehr sowohl mit österreichischen, als auch mit ausländischen Häfen herrührt. Der nationale Handel stieg zum Beispiel von 1846 bis 1848 durchschnittlich auf 416.709 Tonnen im Jahr, von 1853 bis 1855 hatte er sich auf 854.753 Tonnen im Jahresdurchschnitt erhöht, das ist mehr als das Doppelte. Während der Jahre 1850 bis einschließlich 1855 betrug der Tonnengehalt der österreichischen Schiffe, die in Triest an- und ausliefen, 6.206.316, der der ausländischen 2.981.928 Tonnen. Der Handel mit <87> Griechenland, Ägypten, der Levante und dem Schwarzen Meer war während der gleichen Periode durchschnittlich von 257.741 auf 496.394 Tonnen jährlich gestiegen

Trotz alledem sind gegenwärtig der Handel und die Schiffahrt Triests noch weit von dem Punkt entfernt, wo Handel und Verkehr eine Sache gewöhnlicher lang geübter Praxis und die automatische Folge voll entfalteter Ressourcen werden. Man werfe nur einen Blick auf die ökonomische Lege des Österreichischen Reiches, auf die ungenügende Entwicklung der inländischen Verkehrswege, auf den großen Teil seiner Bevölkerung, der sich noch in Schafpelze kleidet und keinerlei höhere Bedürfnisse kennt. In dem Maße, wie Österreich seine Verkehrswege wenigstens auf den Stand bringt, der dem in den deutschen Staaten gleicht, wird auch der Handel Triests schnell und kraftvoll ins Innere des Reiches vordringen. Die Vollendung der Eisenbahnstrecke von Triest nach Wien, mit einer Zweiglinie von Cilli nach Pest, wird eine Revolution im österreichischen Handel erzeugen, aus der niemand größere Vorteile ziehen wird als Triest. Diese Bahn wird sicherlich mit einem Warenumschlag beginnen, der größer ist als der von Marseille; aber den Umfang, den er annehmen kann, vermag man sich erst vorzustellen, wenn man bedenkt, daß die Länder, für deren Seehandel das Adriatische Meer der einzige Ausgang ist, eine Bevölkerung von 30.966.000 Einwohnern besitzen, soviel wie Frankreich 1821, und daß der Triester Hafen ein Gebiet auspumpen wird, das 60.398.000 Hektar umfaßt, also um sieben Millionen Hektar mehr als Frankreich. Triest ist also dazu bestimmt, in nächster Zukunft die Bedeutung zu erlangen, die Marseille, Bordeaux, Nantes und Le Havre zusammengenommen für Frankreich besitzen.