Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 8, 3. Auflage 1972, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1960, Berlin/DDR. S. 526-534

Karl Marx

Das Attentat auf Franz Joseph -
Der Mailänder Aufstand -
Britische Politik -
Disraelis Rede -
Napoleons Testament

Aus dem Englischen.


["New-York Daily Tribune" Nr. 3710 vom 8. März 1853]

<526> London, Dienstag, 22. Februar 1853

Der elektrische Telegraph meldet aus Stuhlweißenburg <Székesfehérvár>:

"Am 18. d.M. um ein Uhr ging der Kaiser von Österreich, Franz Joseph, auf der Bastei in Wien spazieren, als sich ein ungarischer Schneidergeselle namens Lasslo Libényi, füherer Husar aus Wien, plötzlich auf ihn stürzte und mit einem Dolch nach ihm stach. Der Stoß wurde durch den Adjutanten Graf O'Donnell abgewehrt. Franz Joseph wurde unterhalb des Hinterkopfes verwundet. Der 21 Jahre alte Ungar wurde durch einen Säbelhieb des Adjutanten niedergestreckt und sofort festgenommen."

Nach anderen Versionen war die Waffe eine Muskete.

In Ungarn ist soeben eine sehr ausgedehnte Verschwörung zum Sturz der österreichischen Herrschaft entdeckt worden.

Die "Wiener Zeitung" veröffentlicht eine Reibe von Urteilen, die das Kriegsgericht über 39 Individuen fällte, die hauptsächlich der Teilnahme an der Verschwörung mit Kossuth und Ruscsak aus Hamburg angeklagt waren.

Unmittelbar nachdem die revolutionäre Erhebung in Mailand unterdrückt war, gab Radetzky Befehl, jede Mitteilung nach Piemont und der Schweiz abzufangen. Sie werden schon vor diesem Brief die spärlichen Nachrichten bekommen haben, die von Italien nach England durchsickern durften. Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit nun auf einen charakteristischen Zug der Mailänder Ereignisse lenken.

Obzwar Feldmarschall-Leutnant Graf Strassoldo in seinem ersten Erlaß vom 6. d.M. unumwunden zugibt, daß das Gros der Bevölkerung an dem Aufstand absolut unbeteiligt war, verhängt er trotzdem den strengsten Belagerungszustand über Mailand. Radetzky verdreht in einer späteren Prokla- <527> ination, datiert Verona, 9. Februar, die Darstellung seines Untergebenen und macht sich die Rebellion zunutze, um unter falschen Vorspiegelungen Geld zu erlangen. Alle Personen, die nicht notorisch der österreichischen Partei angehören, belegt er mit Geldstrafen in beliebiger Höhe zugunsten der Garnison. In seiner Proklamation vom 11. d.M. erklärt er, "daß die Mehrheit der Einwohner, mit wenigen rühmenswerten Ausnahmen, sich der kaiserlichen Regierung nicht fügen wolle" und instruiert alle gerichtlichen Behörden, d.h. die Kriegsgerichte, das Vermögen sämtlicher Mitschuldigen zu sequestrieren. Den Ausdruck "Mitschuld" erklärt er so:

"Che tale complicità consista semplicimente nella omissione della denuncia a cui ognuno è tenuto." <"Eine solche Mitschuld besteht einfach schon in der Unterlassung der Anzeige, zu der jeder verpflichtet ist.">

Er hätte ebensogut ganz Mailand auf einmal unter dem Vorwand konfiszieren können, daß die Erhebung vom 6. nicht schon am 5. von den Einwohnern angezeigt worden sei. Wer also nicht zum Spion und Spitzel der Habsburger werden will, läuft Gefahr, die gesetzliche Beute der Kroaten zu werden. Mit einem Wort, Radetzky verkündet ein neues System der Massenplünderung.

Die Mailänder Erhebung ist bedeutsam als Symptom der nahenden revolutionären Krise auf dem ganzen europäischen Kontinent. Und bewunderswert ist sie als Akt des Heroismus einiger weniger Proletarier, die, nur mit Messern bewaffnet, einen Angriff gegen die Zitadelle einer Garnison und gegen eine Armee von 40.000 Mann der besten Truppen ganz Europas wagten, indes die Söhne Mammons inmitten des Blutes und der Tränen ihrer erniedrigten und gemarterten Nation tanzten, sangen und tafelten. Armselig erscheint sie allerdings, wenn sie das Endergebnis der ewigen Verschwörung Mazzinis, seiner bombastischen Proklamationen und seiner anmaßenden Kapuzinaden gegen das französische Volk bilden soll. Hoffen wir, daß die révolutions improvisées <improvisierten Revolutionen>, wie die Franzosen sie nennen, nunmehr zu Ende sind. Hat man je gehört, daß große Improvisatoren auch große Dichter sind? Und wie in der Poesie so in der Politik. Revolutionen werden nicht auf Befehl gemacht. Seit den schrecklichen Erfahrungen von 1848 und 1849 braucht man etwas mehr als papierne Erlasse von entfernten Führern, um nationale Revolutionen heraufzubeschwören. Kossuth hat die Gelegenheit benützt, um öffentlich die Insurrektion im allgemeinen und die in seinem Namen veröffentlichte Proklamation im besonderen zu verleugnen. Gleichwohl sieht es einigermaßen verdächtig aus, daß er post factum <hintendrein> für sich eine Überlegenheit <528> über seinen Freund Mazzini als Politiker beansprucht. Der "Leader" bemerkt hierzu

"Wir halten es für nötig, unsere Leser darauf hinzuweisen, daß die Angelegenheit ausschließlich Herrn Kossuth und Herrn Mazzini angeht, und daß letzterer im Augenblick nicht in England ist."

Della Rocca, ein Freund Mazzinis, äußert sich in einem Brief an die "Daily News" über Kossuths und Agostinis Ableugnungen. Er sagt:

"Es gibt Leute, die sie im Verdacht haben, daß sie, ebenso bereit, die Ehren des Gelingens für sich zu beanspruchen, wie die Verantwortlichkeit für das Mißlingen zurückzuweisen, erst die definitiven Nachrichten über den Erfolg oder Mißerfolg des Aufstandes abwarteten."

B. Szemere, Exminister von Ungarn, protestiert in einem an den Herausgeber des "Morning Chronicle" gerichteten Brief dagegen, "daß Kossuth illegitimerweise den Namen Ungarns usurpiere". Er sagt:

"Wer sich ein Urteil über ihn als Staatsmann bilden will, der möge nur die Geschichte der letzten ungarischen Revolution aufmerksam lesen, und wer seine Geschicklichkeit als Verschwörer kennenlernen will, der werfe nur einen Rückblick auf die vorjährige unglückselige Hamburger Expedition."

Daß die Revolution selbst dann siegt, wenn sie fehlschlägt, zeigt uns der Schrecken, den die Mailänder échauffourée <kühne, aber unbesonnene Tat> den kontinentalen Herrschern bis ins Innerste einjagte. Man betrachte bloß den Brief, den die offizielle "Frankfurter Oberpostamts-Zeitung" veröffentlicht:

"Berlin, 15. Februar. Man ist hier tief beeindruckt von den Mailänder Ereignissen. Die telegraphische Nachricht erreichte den König am 9., just als er sich auf einem Hofball befand. Der König erklärte sofort, daß die Bewegung mit einer tiefgehenden Verschwörung verknüpft sei, die sich überallhin verzweige, und daß sich angesichts dieser revolutionären Bewegungen ein enges Bündnis zwischen Preußen und Österreich als unbedingte Notwendigkeit erweise... Ein hoher Würdenträger rief aus: 'Wir werden also vielleicht die preußische Krone an den Ufern des Po zu verteidigen haben!'"

So groß war der Schrecken im ersten Augenblick, daß ohne jede andere Ursache als diesen "tiefen Eindruck" etwa 20 Bewohner Berlins verhaftet wurden. Die "Neue Preußische Zeitung", das ultraroyalistische Blatt, wurde konfisziert, weil sie das angeblich von Kossuth herrührende Dokument veröffentlicht hatte. Am 13. legte der Minister von Westphalen dem Herrenhaus einen eiligen Gesetzentwurf vor, der die Regierung ermächtigen soll, alle Broschüren und Zeitungen zu konfiszieren, die außerhalb Preußens <529> erscheinen. In Wien sind Verhaftungen und Haussuchungen an der Tagesordnung. Zwischen Rußland, Preußen und Österreich fanden sofort Verhandlungen darüber statt, daß bei der englischen Regierung ein gemeinsamer, die politischen Flüchtlinge betreffender Protest einzulegen sei. So schwach, so machtlos sind die sogenannten "Mächte". Bei dem leisesten Anzeichen eines revolutionären Erdbebens fühlen sie schon die Throne Europas in ihren Grundfesten wanken. Inmitten ihrer Armeen, ihrer Verliese, ihrer Galgen zittern sie vor dem, was sie "umstürzlerische Versuche einiger weniger bezahlter Bösewichte" nennen.

"Die Ruhe ist wiederhergestellt," Jawohl, jene schreckliche, unheilvolle Ruhe zwischen dem ersten Aufbrausen des Sturmes und dem nächsten dröhnenden Donnerschlag.

Von dem bewegten Kontinent will ich nun nach dem stillen England zurückkehren. Fast scheint es, als beherrsche der Geist des kleinen Finality-John die ganze offizielle Welt, als wäre die ganze Nation so gelähmt wie die Männer an ihrer Spitze. Sogar die "Times" ruft verzweifelt aus:

"Es mag die Stille vor dem Sturme, es mag der Rauch sein, der dem Feuer vorausgeht" -

im Augenblick herrscht schläfrige Ruhe.

Die Parlamentsgeschäfte sind wieder aufgenommen worden, doch war bis jetzt die dreimalige Verbeugung von Lord Aberdeen das einzig Dramatische daran und die einzige hervorstechende Handlung des Koalitionsministeriums. Der Eindruck, den Lord Johns Programm auf seine Feinde machte, geht am besten aus den Bekenntnissen seiner Freunde hervor. So sagt die "Times":

"Lord John Russell hat eine Rede gehalten, die noch weniger feurig war als die einleitenden Bemerkungen, die ein Auktionator dem Verkauf alter Möbel, beschädigter Waren oder Ladeneinrichtungen vorausschicken würde ... Lord John Russell ruft herzlich wenig Enthusiasmus hervor."

Bekanntlich ist die neue Reformbill zurückgestellt worden unter dem Druck dringenderer praktischer Reformen, die die unmittelbarere Aufmerksamkeit der Gesetzgeber in Anspruch nehmen. Nun ist schon an einem Beispiel gezeigt worden, wie es mit der Beschaffenheit von Reformen aussehen muß, wenn das Instrument für die Reform, d.h. das Parlament, selbst unreformiert bleibt.

Am 14. Februar legte Lord Cranworth sein Programm für Rechtsreformen dem Hause der Lords vor. Der größte Teil seiner langwierigen, langweiligen und nichtssagenden Rede bestand in der Aufzählung der vielen Dinge, die <530> man von ihm erwarte, die er aber zu erledigen nicht bereit sei. Er entschuldigte sich, er sitze erst sieben Wochen auf dem Wollsack. Hierzu bemerkt die "Times":

"Lord Cranworth ist seit 63 Jahren auf dieser Welt und seit 37 Jahren Advokat."

Als echter Whig zieht er aus den verhältnismäßig großen Erfolgen der bisherigen kleinen Rechtsreformen den Schluß, daß es gegen alle Bescheidenheit verstieße, in derselben Weise mit den Reformen fortzufahren. Als echter Aristokrat scheut er davor zurück, sich mit dem Kirchenrecht zu befassen, "denn das verstieße zu sehr gegen alte begründete Interessen". Worin begründete Interessen? In der öffentlichen Macht? Nur zwei Maßnahmen von einiger Wichtigkeit hat Lord Cranworth vorbereitet: Erstens "eine Bill zur Erleichterung des Besitzwechsels von Ländereien", deren hauptsächliches Merkmal darin besteht, daß sie diesen Wechsel durch Erhöhung der Unkosten nur noch erschwert, die technischen Hindernisse vermehrt, ohne die Langwierigkeit des Besitzwechsels abzukürzen oder dessen Kompliziertheit zu vereinfachen. Zweitens einen Vorschlag zur Bildung einer Kommission, die die vom Parlament geschaffenen Gesetze systematisch ordnen soll, und deren Verdienst sich wohl darauf beschränken wird, einen Index für die 40 Quartbände Parlamentsbeschlüsse zusammenzustellen. Lord Cranworth kann sein Vorgehen den verbohrtesten Gegnern der Rechtsreform gegenüber mit derselben Entschuldigung verteidigen wie jenes arme Mädchen, das zu ihrem Beichtvater sagte, es sei ja wahr, daß sie ein Kind gehabt hätte, aber es sei doch nur ein ganz kleines gewesen.

Die einzige interessante Debatte im Unterhause knüpfte sich am 18. d.M. an Disraelis Interpellation der Minister wegen Englands Beziehungen zu Frankreich. Disraeli begann mit Poitiers und Agincourt und endete mit den Wahlreden in Carlisle und in der Tuchhalle von Halifax. Der Zweck der Übung war, Sir James Graham und Sir Charles Wood anzuprangern, weil sie sich abfällige Bemerkungen über die Person Napoleons III. erlaubt hatten. Disraeli hätte den völligen Zusammenbruch der alten Tory-Partei nicht sinnfälliger darstellen können, als daß er sich zum Apologeten der Bonapartes aufwarf, diesen Erbfeinden gerade jener politischen Klasse, deren erster Vertreter er selbst ist. Er hätte seine oppositionelle Laufbahn in keiner ungeeigneteren Weise eröffnen können, als durch die Rechtfertigung des jetzigen Regimes in Frankreich. Eine kurze Analyse wird die Schwäche dieses Teils seiner Rede dartun.

Als er die Ursachen des Unbehagens erklären wollte, das im Publikum wegen der augenblicklichen Beziehungen zwischen England und Frankreich <531> empfunden wird, mußte er notgedrungen zugeben, daß gerade die großen Rüstungen daran Schuld trügen, die unter seiner eigenen Verwaltung begonnen worden waren. Er versuchte trotz alledem zu beweisen, daß die Vermehrung und Vervollständigung der Verteidigungsmittel Großbritanniens ausschließlich in den großen Veränderungen begründet seien, die durch die moderne Anwendung der Wissenschaft auf die Kriegskunst verursacht wären. Maßgebende Autoritäten, meinte er, hätten längst die Notwendigkeit solcher Maßnahmen erkannt. 1840, zur Zeit als Thiers Minister war, hätte die englische Regierung unter Sir Robert Peel einige Anstrengungen gemacht, um wenigstens die nationale Verteidigung in ein neues System zu bringen. Jedoch vergebens! Wiederum beim Ausbruch der achtundvierziger Revolutionen auf dem Kontinent hätte sich der damaligen Regierung eine Gelegenheit geboten, die öffentliche Meinung in die von ihr gewünschte Richtung zu lenken, soweit die Landesverteidigung in Frage kam. Aber wieder ohne Resultat. Die Frage der nationalen Verteidigung sei nicht spruchreif geworden, ehe nicht er und seine Kollegen an die Spitze der Regierung berufen worden seien. Die von ihnen angenommenen Maßnahmen waren folgende:

1. Eine Miliz wurde eingeführt.
2. Die Artillerie wurde wirksam ausgebaut.
3. Es wurden Vorkehrungen getroffen, um die Arsenale im Lande und einige wichtige Punkte an der Küste gründlich zu befestigen.
4. Ein Antrag wurde gestellt, die Marine um 5.000 Matrosen und 1.500 Seesoldaten zu verstärken.
5. Es wurden Anordnungen getroffen, die alte Seemacht in Gestalt einer Kanalflotte wiederherzustellen; sie sollte aus 15 bis 20 Linienschiffen (Seglern) und aus einer entsprechenden Zahl von Fregatten und kleineren Schiffen bestehen.

Nun geht aus allen diesen Behauptungen klar hervor, daß Disraeli gerade das Gegenteil von dem begründete, was er beweisen wollte. Die Regierung war nicht imstande, die Rüstungen zu verstärken, als die syrische und die tahitische Frage die entente cordiale <das herzliche Einvernehmen> mit Louis-Philippe bedrohten; und sie war dazu ebensowenig imstande, als die Revolution sich auf dem ganzen Kontinent ausbreitete und die britischen Interessen an der Wurzel selbst zu bedrohen schien. Warum, frage ich, hat sie es jetzt fertiggebracht und warum gerade unter Mr. Disraelis Regierung? Eben weil jetzt Napoleon III. zu größeren Befürchtungen für Englands Sicherheit Anlaß gibt, als je seit 1815 bestanden. Und weiter, wie Mr. Cobden ganz richtig bemerkte:

<532> "Die beantragte Verstärkung der Seemacht sei keine Vermehrung der Zahl der Dampfschiffe, sondern eine Verstärkung der Mannschaften, und der Übergang vom Gebrauch von Segelschiffen zu Dampfschiffen bedinge gar nicht die Notwendigkeit einer größeren Zahl von Seeleuten, sondern gerade das Gegenteil."

Disraeli sagte:

"Zweitens fürchte man einen drohenden Bruch mit Frankreich, weil dort eine militärische Regierung bestehe. Wenn aber Armeen eroberungslustig seien, so läge dies daran, daß ihre Position im eigenen Lande eine unsichere sei. Frankreich werde jetzt durch die Armee regiert, nicht etwa wegen des militärischen Ehrgeizes der Truppen, sondern wegen der Unruhe der Bürger."

Mr. Disraeli scheint ganz zu übersehen, daß es sich gerade darum handelt, wie lange sich die Armee im eigenen Lande sicher fühlt und wie lange die gesamte Nation Rücksicht nehmen wird auf die egoistischen Befürchtungen einer kleinen Klasse von Bürgern und sich dem tatsächlichen Terror eines Militärdespotismus beugen wird, der schließlich nur das Instrument exklusiver Klasseninteressen ist. Die dritte Ursache sah Disraeli in

"dem beträchtlichen Vorurteil, das in diesem Lande gegen den jetzigen Herrscher Frankreichs vorhanden ist ... Man sei der Meinung, daß er bei seinem Regierungsantritt mit dem aufgeräumt habe, was hier als parlamentarische Konstitution geschätzt werde, und daß er die Pressefreiheit beschränkt habe."

Disraeli weiß diesen Vorurteilen allerdings wenig genug entgegenzuhalten. Er meint, "es sei äußerst schwierig, sich über die französische Politik eine Meinung zu bilden".

Der einfache gesunde Menschenverstand sagt dem englischen Volke, obwohl es nicht so tief in die Mysterien der französischen Politik eingeweiht ist wie Mr. Disraeli, daß der gewissenlose Abenteurer, den weder ein Parlament noch die Presse kontrolliert, gerade dazu angetan wäre, gleich einem Piraten England zu überfallen, nachdem er seinen eigenen Staatsschatz durch Extravaganz und Verschwendung erschöpft hat.

Mr. Disraeli gibt dann einige Beispiele dafür, wie sehr die harmonische Übereinstimmung der letzten Regierung mit Bonaparte zur Erhaltung des Friedens beigetragen habe - so der drohende Konflikt Frankreichs mit der Schweiz, die Erschließung der südamerikanischen Flüsse, der Konflikt zwischen Preußen und Neuchâtel, die Dreimächte-Erklärung, in der sich die Vereinigten Staaten unter Druck dem Verzicht auf Kuba anschlossen, die gemeinsame Aktion in der Levante über das Tansimat in Ägypten, die Revision des griechischen Erbfolgevertrages, das harmonische Zusammenwirken bezüglich der Regentschaft von Tunis usw. Das erinnert mich daran, wie <533> ein gewisses Mitglied der französischen Ordnungspartei in einer Rede Ende November 1851 das harmonische Einverständnis Napoleons mit der Majorität der Nationalversammlung rühmte, das ihr die Erledigung der Wahlrechts-, Koalitions- und Pressefragen so leicht gemacht habe. Zwei Tage später war dann der coup d'état <Staatsstreich> ausgeführt.

So schwach und widerspruchsvoll dieser Teil der Rede Disraelis gewesen, so glänzend war der Abschluß, der in einem Angriff gegen das Koalitionsministerium bestand.

"Es gibt noch einen anderen Grund", so schloß er, "der mich dazu zwingt, diese Untersuchung im jetzigen Moment zu betreiben, und das ist die augenblickliche Lage der Parteien in diesem Hause. Es ist dies eine ganz eigentümliche Situation. Wir haben im Augenblick ein konservatives Ministerium, und wir haben eine konservative Opposition." (Beifall.) "Die große liberale Partei kann ich überhaupt nicht entdecken." (Beifall.) "Wo sind die Whigs mit ihren großen Traditionen? Keiner meldet sich." (Erneuter Beifall.) "Wo, frage ich, sind die jugendlichen Kräfte des Radikalismus? Seine überschäumenden Erwartungen, seine hochgespannten Hoffnungen? Ich fürchte, wenn er erst aus den glühenden Träumen seiner jugendlichen Unerfahrenheit erwacht, so wird er in demselben Moment schon entdecken, daß er verbraucht und verworfen ist." (Beifall.) "Und zwar verbraucht ohne Gewissensbisse und verworfen ohne großen Aufwand an Anstand." (Beifall.) "Wo sind die Radikalen? Ist ein Mann im Hause, der sich radikal nennt?" (Hört, hört!) "Nein, nicht ein einziger. Er würde sich fürchten, man könnte zupacken und einen konservativen Minister aus ihm machen." (Schallendes Gelächter.) "Nun, wie konnte eine solche Situation zustande kommen? Wo sind die treibenden Kräfte, die diese unheilschwangere politische Kalamität hervorgerufen haben? Ich glaube, ich muß mich an jenes unerschöpfliche Arsenal von politischen Kunstgriffen wenden, an den Ersten Lord der Admiralität" (Graham), "um den jetzigen Stand der Dinge zu erklären. Vielleicht erinnert sich das Haus, daß vor etwa zwei Jahren der Erste Lord der Admiralität uns eines seiner politischen Glaubensbekenntnisse vorsetzte, von denen seine Reden überfließen. Er sagte: 'Der Stand, auf dem ich stehe, ist der Fortschritt.' Schon damals, mein Herr, dachte ich mir, der Fortschritt sei ein merkwürdig Ding, um darauf zu stehen." (Laute Heiterkeit und Beifall.) "Damals vermutete ich eine schludrige Redewendung. Aber für diesen Verdacht eines Augenblicks bitte ich um Verzeihung. Ich stelle fest, daß es sich um ein wohldurchdachtes System handelt, des jetzt in Aktion tritt. Denn jetzt haben wir ein Ministerium des Fortschritts, und alles steht still." (Beifall.) "Das Wort Reform hört man nicht mehr, wir haben kein Ministerium der Reform mehr; wir haben ein Ministerium des Fortschritts, in dem jedes Mitglied entschlossen ist, nichts zu tun. Alle schwierigen Fragen sind in der Schwebe. Alle Fragen, über die man sich nicht einigen kann, sind offene Fragen."

<534> Disraelis Gegner hatten ihm nicht viel entgegenzuhalten, mit Ausnahme des "unerschöpflichen Arsenals von politischen Kunstgriffen" des Sir James Graham, der wenigstens seine Würde wahrte, indem er die beleidigenden Ausdrücke gegen Louis-Napoleon, deren man ihn anklagte, nicht völlig zurückzog.

Lord John Russell klagte Disraeli an, die auswärtige Politik des Landes zu einer Parteifrage zu machen. Er versicherte die Opposition,

"das Land würde glücklich sein, nach dem Hader und den Kämpfen des vergangenen Jahres wenigstens eine kurze Spanne ruhigen friedlichen Fortschritts zu genießen und von den großen erschütternden Parteikämpfen verschont zu sein."

Das Resultat der Debatten wird darin bestehen, daß die Flottenvoranschläge vom Hause bewilligt werden, aber zur Beruhigung Napoleons nicht aus kriegerischen Motiven, sondern von wissenschaftlichen Gesichtspunkten aus. Suaviter in modo, fortiter in re. <Mild in der Form, radikal in der Sache.> Am letzten Donnerstag morgen erschien der Sachwalter der Königin vor Sir J. Dodson im Prerogative Court <Gericht in Testamentssachen, das dem Erzbischof von Canterbury untersteht> und forderte im Namen des Ministers des Auswärtigen, daß die Registratur das Originaltestament und Kodizill Napoleon Bonapartes <Napoleon I.> der französischen Regierung ausliefere. Diesem Verlangen wurde stattgegeben. Sollte Louis Bonaparte darangehen, dieses Testament zu öffnen und zu versuchen, dessen Bestimmungen auszuführen, so könnte es sich leicht als eine moderne Büchse der Pandora erweisen.

Karl Marx