Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 7, 5. Auflage 1973, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1960, Berlin/DDR. S. 255-291.
I
"Latter-Day Pamphlets", edited by Thomas Carlyle -
Nr. I "The Present
Time", Nr. II "Model Prisons" -, London 1850
<"Zeitgenössische Pamphlete", herausgegeben von Thomas
Carlyle
- Nr. I "Die Gegenwart", Nr. II "Mustergefängnisse">
<255> Thomas Carlyle ist der einzige englische Schriftsteller, auf den die deutsche Literatur einen direkten und sehr bedeutenden Einfluß ausgeübt hat. Schon aus Höflichkeit darf der Deutsche seine Schriften nicht unbeachtet vorübergehen lassen.
Wir haben an der neuesten Schrift von Guizot (Heft II der "N. Rh. Z.") gesehn, wie die Kapazitäten der Bourgeoisie im Untergehn begriffen sind. In den vorliegenden zwei Broschüren von Carlyle erleben wir den Untergang des literarischen Genies an den akut gewordenen geschichtlichen Kämpfen, gegen die es seine verkannten, unmittelbaren, prophetischen Inspirationen geltend zu machen sucht.
Thomas Carlyle hat das Verdienst, literarisch gegen die Bourgeoisie aufgetreten zu sein zu einer Zeit, wo ihre Anschauungen, Geschmacksrichtungen und Ideen die ganze offizielle englische Literatur vollständig unterjochten, und in einer Weise, die mitunter sogar revolutionär ist. So in seiner französischen Revolutionsgeschichte, in seiner Apologie Cromwells, in dem Pamphlet über den Chartismus, in "Past and Present". Aber in allen diesen Schriften hängt die Kritik der Gegenwart eng zusammen mit einer seltsam unhistorischen Apotheose des Mittelalters, auch sonst häufig bei englischen Revolutionären, z.B. bei Cobbett und einem Teil der Chartisten. Während er in der Vergangenheit wenigstens die klassischen Epochen einer bestimmten Gesellschaftsphase bewundert, bringt ihn die Gegenwart zur Verzweiflung, graut ihm vor der <256> Zukunft. Wo er die Revolution anerkannt oder gar apotheosiert, konzentriert sie sich ihm in ein einzelnes Individuum, einen Cromwell oder Danton. Ihnen widmet er denselben Heroenkultus, den er in seinen "Lectures on Heroes and Hero-Worship" als einzige Zuflucht aus der verzweiflungsschwangern Gegenwart, als neue Religion gepredigt hat.
Wie die Ideen, so der Stil Carlyles. Er ist eine direkte, gewaltsame Reaktion gegen den modern-bürgerlichen englischen Pecksniff-Stil, dessen gespreizte Schlaffheit, vorsichtige Weitschweifigkeit und moralisch-sentimentale zerfahrene Langweiligkeit von den ursprünglichen Erfindern, den gebildeten Cockneys, auf die ganze englische Literatur übergegangen ist. Ihr gegenüber behandelte Carlyle die englische Sprache wie ein vollständig rohes Material, das er von Grund aus umzuschmelzen hatte. Veraltete Wendungen und Worte wurden wieder hervorgesucht und neue erfunden nach deutschem und speziell Jean Paulschem Muster. Der neue Stil war oft himmelstürmend und geschmacklos, aber häufig brillant und immer originell. Auch hierin zeigen die "Latter-Day Pamphlets" einen merkwürdigen Rückschritt.
Übrigens ist es bezeichnend, daß aus der ganzen deutschen Literatur derjenige Kopf, der am meisten Einfluß auf Carlyle geübt hat, nicht Hegel war, sondern der literarische Apotheker Jean Paul.
Dem Kultus des Genius, den Carlyle mit Strauß teilt, ist in den vorliegenden Broschüren der Genius abhanden gekommen. Der Kultus ist geblieben.
"The Present Time" beginnt mit der Erklärung, daß die Gegenwart die Tochter der Vergangenheit und die Mutter der Zukunft, jedenfalls aber eine neue Ära ist.
Die erste Erscheinung dieser neuen Ära ist ein reformierender Papst. Das Evangelium in der Hand, wollte Pius IX. vorn Vatikan herab der Christenheit "das Gesetz der Wahrheit" verkünden.
"Vor mehr als dreihundert Jahren erhielt der Thron Sankt Peters peremptorische gerichtliche Aufkündung, authentische Ordre, registriert in der Kanzlei des Himmels, und seitdem lesbar in den Herzen aller wackern Männer, sich auf und davon zu machen, zu verschwinden und uns nichts mehr zu tun zu machen mit ihm und seinen Täuschungen und gottlosen Delirien; - und seitdem blieb er stehn auf seine eigne Gefahr und wird exakten Schadenersatz zu leisten haben für jeden Tag, den er so gestanden hat. Gesetz der Wahrheit? Was dieses Papsttum dem Gesetz der Wahrheit gemäß zu tun hatte, das war, aufzugeben sein faules galvanisiertes Leben, diese Schmach vor Gott und dem Menschen, ehrbar zu sterben und sich begraben zu lassen. Fern hiervon war, was der arme Papst unternahm; und doch war es im ganzen wesentlich nur das ... Ein reformierender Papst? Turgot und Necker waren nichts dagegen. Gott ist groß, und wenn ein Ärgernis enden soll, beruft er dazu einen gläubigen Mann, der Hand ans Werk legt in Hoffnung, nicht in Verzweiflung." p. 3.
<257> Mit seinen Reformmanifesten hatte der Papst Fragen auferweckt,
"Mütter von Wirbelwinden, Weltbränden, Erdbeben ... Fragen, welche alle offiziellen Männer wünschten und meist auch hofften aufzuschieben bis zum jüngsten Tag. Der jüngste Tag selbst war gekommen, das war die schreckliche Wahrheit." p. 4.
Das Gesetz der Wahrheit war proklamiert. Die Sizilianer
"waren das erste Volk, das sich daran gab, diese neue, vom heiligen Vater sanktionierte Regel anzuwenden: Wir gehören nicht durch das Gesetz der Wahrheit Neapel an und diesen neapolitanischen Beamten. Wir wollen, mit der Gunst des Himmels und des Papstes, uns von diesen befreien."
Daher die sizilische Revolution.
Das französische Volk, das sich selbst als eine "Art von Messiasvolk" betrachtet, als der "auserwählte Soldat der Freiheit", fürchtete, daß die armen verachteten Sizilianer ihm diesen Industriezweig (trade) aus der Hand nehmen möchten - Februarrevolution.
"Wie durch sympathetische unterirdische Elektrizitäten explodierte ganz Europa, schrankenlos, unkontrollierbar; und wir hatten das Jahr 1848, eins der seltsamsten, unheilvollsten, erstaunlichsten und im ganzen demütigendsten Jahres welche die europäische Welt jemals sah... Die Könige überall und die regierenden Personen stierten in plötzlichem Schrecken, als die Stimme der ganzen Welt in ihre Ohren bellte: Hebt euch von dannen, ihr Schwachköpfe, Heuchler, Histrionen, nicht Heroen! Weg mit euch, weg! Und was eigentümlich war, und in diesem Jahr zuerst erhört: die Könige alle beschleunigten sich zu gehn, als wenn sie ausriefen: Wir sind arme Histrionen; das sind wir - braucht ihr Heroen? Bringt uns nicht um, was können wir dafür! - Nicht einer von ihnen wandte sich rückwärts und stand fest auf seinem Königtum als auf einem Recht, wofür er sterben oder seine Haut riskieren könnte. Das, wiederhole ich, ist die beängstigende Besonderheit der Gegenwart. Die Demokratie, bei dieser neuen Gelegenheit, findet alle Könige bewußt, daß sie nichts andres sind als Komödianten. Sie flohen jählings, einige von ihnen mit sozusagen ausgesuchter Schmach - in Angst vor dem Zuchthaus oder Schlimmerem. Und das Volk, oder der Pöbel, übertrug allerorten seine eigne Regierung sich selbst, und offne Königslosigkeit (kinglessness), was wir Anarchie nennen - glücklich, wenn Anarchie plus einem Straßenkonstabler -, ist überall an der Tagesordnung. Solches war die Geschichte vom Baltischen bis zum Mittelmeer, in Italien, Frankreich, Preußen, Östreich, von einem Ende Europas bis zum andern in jenen Märztagen von 1848. Und so blieb kein König in Europa, kein König, außer dem öffentlichen 'haranguer' <'Redner', Schwätzer>, harangierend auf dem Bierfaß, im Leitartikel oder sich mit seinesgleichen versammelnd im Nationalparlament. Und für ungefähr vier Monate war ganz Frankreich und in einem hohen Grade ganz Europa, abgehetzt durch jede Art von Delirium, ein auf und nieder wogender Pöbel, präsidiert von Herrn von Lamartine auf <258> dem Hôtel de Ville. Ein sorgenschwangeres Schauspiel für denkende Männer, solange er währte, dieser arme Herr von Lamartine, mit nichts in ihm, außer melodischem Wind und weichlichem Speichelfluß. Traurig genug: Die beredteste, letzte Verkörperung des rehabilitierten 'Chaos', fähig für sich selbst zu sprechen und mit glatten Worten einzureden, es sei 'Kosmos'! Aber ihr braucht nur kurze Zeit zu harren in solchen Fällen; alle Luftballone müssen ihr Gas von sich geben unter dem Druck der Dinge und fallen widerlich schlaff zusammen bevor lange." p. 6-8.
Wer war es, der diese allgemeine Revolution schürte, zu der der Stoff allerdings vorhanden war?
"Studenten, junge Literaten, Advokaten, Zeitungsschreiber, heißblütige unerfahrene Enthusiasten und wilde, mit Recht bankrotte Desperados. Nimmer bis jetzt haben junge Leute und beinahe Kinder solch ein Kommando geführt in den menschlichen Dingen. Veränderte Zeit, seit das Wort senior, seigneur oder Aldermann zuerst erdacht wurde, um Herr oder Vorgesetzter zu bedeuten, wie wir es in den Sprachen aller Menschen finden! ... Wenn ihr genauer zuseht, werdet ihr finden, daß der Alte aufgehört hat, ehrwürdig und daß er begonnen hat, verächtlich zu sein, ein törichter Knabe noch, aber ein Knabe ohne die Anmut, den Großsinn und die üppige Kraft der jungen Knaben. - Dieser wahnsinnige Stand der Dinge wird natürlich binnen kurzem sich selbst Erleichterung verschaffen, wie er das überall schon zu tun begonnen hat; die gewöhnlichen Notwendigkeiten des täglichen Lebens können nicht mit ihm bestehn, und diese, was sonst auch beiseite geworfen werden mag, gehn ihren Weg fort. Eine beliebige Reparatur der alten Maschine unter neuen Farben und veränderten Formen wird wahrscheinlich bald in den meisten Ländern erfolgen; die alten Theaterkönige werden wieder zugelassen werden unter Bedingungen, unter Konstitutionen mit nationalen Parlamenten oder dgl. fashionablem Zubehör, und allerorten wird das alte tägliche Leben versuchen, von Anfang wieder anzufangen. Aber dermalen ist keine Hoffnung, daß solche Ausgleichungen Dauer haben könnten. - In solchen fluchbringenden Schwingungen, treibend wie unter abgrundlos tobenden Strudeln und sich bekriegenden Seeströmungen, nicht stehend auf festgegründeten Fundamenten, muß die europäische Gesellschaft fortfahren zu taumeln - bald heillos stolpernd, dann wieder mühselig sich aufraffend in immer kürzeren Intervallen, bis endlich einmal die neue Felsenbasis ans Tageslicht kommt und die auf und nieder wogenden Sündfluten der Meuterei und der Notwendigkeit der Meuterei sich wieder verlaufen." p. 8-10.
Soweit die Geschichte, die auch in dieser Form wenig tröstlich ist für die alte Welt. Jetzt kommt die Moral:
"Die allgemeine Demokratie, was man auch von ihr denken möge, ist das unvermeidliche Faktum der Tage, worin wir leben." p. 10.
Was ist die Demokratie? Eine Bedeutung muß sie haben, oder sie wäre nicht da. Es kommt also alles darauf an, die wahre Bedeutung der Demokratie <259> zu finden. Gelingt uns dies, so können wir mit ihr fertig werden; wo nicht, sind wir verloren. Die Februarrevolution war "ein allgemeiner Bankerutt des Betrugs; das ist ihre kurze Erklärung". p. 14. Der Schein und Scheingestalten, "shams", "delusions", "phantasms" <"Täuschungen", "Illusionen", "Trugbilder">, bedeutungslos gewordne Namen anstatt der wirklichen Verhältnisse und Dinge, mit einem Wort der Lug anstatt der Wahrheit hat in der modernen Zeit geherrscht. Die individuelle und soziale Ehescheidung von diesen Scheingestalten und Gespenstern, das ist die Aufgabe der Reform, und die Notwendigkeit, daß aller sham, aller Betrug aufhöre, ist unleugbar.
"Allerdings mag dies manchem befremdlich erscheinen; und manch einem soliden Engländer, der mit gesundem Behagen seinen Pudding verdaut, unter den sogenannten gebildeten Klassen, scheint es über die Maßen befremdlich, eine verrückte unwissende Vorstellung, durchaus heterodox und schwanger nur mit Ruin. Ihm sind angewöhnt worden Formen des Anstands, denen seit langer Zeit ihre Bedeutung abhanden gekommen ist, plausible Verhaltungsweisen, rein zeremoniell gewordne Feierlichkeiten - was ihr in eurem bilderstürmenden Humor shams nennt - sein ganzes Leben durch; nimmer hörte er, daß irgendein Harm in ihnen wäre, daß irgendein Vorankommen wäre ohne sie. Spann nicht die Baumwolle sich selbst, mästete sich nicht das Vieh, und Kolonialwaren und Spezereien, kamen sie nicht von Osten und Westen herein durchaus komfortabel an der Seite der shams?" p. 15.
Wird nun die Demokratie diese notwendige Reform, die Befreiung von den shams, vollbringen?
"Die Demokratie, wenn sie organisiert ist vermittelst des allgemeinen Stimmrechts, wird sie diesen heilenden allgemeinen Übergang von der Illusion zum Wirklichen, vom Falschen zum Wahren durchführen und nach und nach eine gesegnete Welt schaffen?" p. 17.
Carlyle leugnet dies. Er sieht überhaupt in der Demokratie und in dem allgemeinen Stimmrecht nur eine Ansteckung aller Völker durch den englischen Aberglauben an die Unfehlbarkeit der parlamentarischen Regierung. Die Bemannung jenes Schiffs, das den Weg um Kap Horn verloren hatte und statt nach Wind und Wetter auszuschauen und den Sextanten zu gebrauchen über den einzuschlagenden Weg abstimmte und die Entscheidung der Majorität für unfehlbar erklärte - das ist das allgemeine Stimmrecht, das den Staat lenken will. Wie für jeden einzelnen, so für die Gesellschaft kommt es nur darauf an, die wahren Regulationen des Universums, die ewig währenden Gesetze der Natur mit Bezug auf die jedesmal vorliegende Aufgabe zu entdecken <260> und darnach zu handeln. Wer uns diese ewigen Gesetze enthüllt, dem folgen wir, "sei es der Zar von Rußland oder das chartistische Parlament, der Erzbischof von Canterbury oder der Dalai-Laina". Wie aber entdecken wir diese ewigen Vorschriften Gottes? Jedenfalls ist das allgemeine Stimmrecht, das jedem einen Stimmzettel gibt und die Köpfe zählt, der schlechteste Weg dazu. Das Universum ist sehr exklusiver Natur und hat von jeher seine Geheimnisse nur wenigen Auserwählten, nur einer kleinen Minorität von Edlen und Weisen mitgeteilt. Es hat daher auch nie eine Nation auf der Grundlage der Demokratie existieren können. Griechen und Römer? Jeder weiß heutzutage, daß sie keine Demokratien bildeten, daß die Sklaverei die Grundlage ihrer Staaten war. Von den verschiedenen französischen Republiken ist es ganz überflüssig zu sprechen. Und die nordamerikanische Musterrepublik? Von den Amerikanern kann bis jetzt nicht einmal gesagt werden, daß sie eine Nation, einen Staat bilden. Die amerikanische Bevölkerung lebt ohne Regierung; was hier konstituiert, ist die Anarchie plus einem Straßenkonstabler. Was diesen Zustand möglich macht, sind die enormen Strecken noch unbebauten Landes und der aus England herübergebrachte Respekt vor dem Konstablerstock. Mit dem Wachsen der Bevölkerung hat auch das ein Ende.
"Welche große menschliche Seele, welchen großen Gedenken, welche große edle Sache, die man anbeten oder der man loyale Bewunderung zollen könnte, hat Amerika noch erzeugt?" p. 25. -
Es hat seine Bevölkerung alle zwanzig Jahre verdoppelt - voilà tout <das ist allles>.
Also diesseits und jenseits des Atlantischen Ozeans ist die Demokratie für immer unmöglich. Das Universum selbst ist eine Monarchie und eine Hierarchie. Keine Nation, worin die göttliche immerwährende Pflicht der Leitung und Kontrollierung der Unwissenden nicht dem edelsten mit seiner auserwählten Reihe von Edleren anvertraut ist, hat das Reich Gottes, entspricht den ewigen Naturgesetzen.
Jetzt erfahren wir auch das Geheimnis, den Ursprung und die Notwendigkeit der modernen Demokratie. Es besteht einfach darin, daß der falsche Edle (sham-noble) erhöht und durch Tradition oder neu erfundene Täuschungen konsekriert worden ist.
Und wer soll den wahren Edelstein entdecken mit seiner ganzen Einfassung von kleineren Menschenjuwelen und Perlen? Sicher nicht das allgemeine Stimmrecht, denn nur der Edle kann den Edlen ausfinden. Und so erklärt Carlyle daß England noch eine Menge solcher Edlen und "Könige" besitze, und fordert diese p. 38 auf, sich bei ihm zu melden.
<261> Man sieht, wie der "Edle" Carlyle von einer durchaus pantheistischen Anschauungsweise ausgeht. Der ganze geschichtliche Prozeß wird bedingt nicht durch die Entwicklung der lebendigen Massen selbst, die natürlich von bestimmten, aber selbst wieder historisch erzeugten wechselnden Voraussetzungen abhängig ist, er wird bedingt durch ein ewiges, für alle Zeiten unveränderliches Naturgesetz, von dem er sich heute entfernt und dem er sich morgen wieder nähert und auf dessen richtige Erkenntnis alles ankommt. Diese richtige Erkenntnis des ewigen Naturgesetzes ist die ewige Wahrheit, alles andre ist falsch. Mit dieser Anschauungsweise lösen sich die wirklichen Klassengegensätze, so verschieden sie in verschiednen Epochen sind, sämtlich auf in den einen großen und ewigen Gegensatz derer, die das ewige Naturgesetz ergründet haben und darnach handeln, der Weisen und Edlen, und derer, die es falsch verstehn, es verdrehn und ihm entgegen wirken, der Toren und Schurken. Der historisch erzeugte Klassenunterschied wird so zu einem natürlichen Unterschied, den man selbst als einen Teil des ewigen Naturgesetzes anerkennen und verehren muß, indem man sich vor den Edlen und Weisen der Natur beugt: Kultus des Genius. Die ganze Anschauung des historischen Entwicklungsprozesses verflacht sich zur platten Trivialität der Illuminaten und Freimaurerweisheit des vorigen Jahrhunderts, zur einfachen Moral aus der "Zauberflöte" und zu einem unendlich verkommenen und banalisierten Saint-Simonismus. Damit kommt natürlich die alte Frage, wer denn eigentlich herrschen soll, die mit hochwichtiger Seichtigkeit des breitesten diskutiert und endlich dahin beantwortet wird, daß die Edlen, Weisen und Wissenden herrschen sollen, woran sich dann ganz ungezwungen die Folgerung anschließt, daß viel, sehr viel regiert werden müsse, daß nie zuviel regiert werden könne, da ja das Regieren die stete Enthüllung und Geltendmachung des Naturgesetzes gegenüber der Masse ist. Wie aber sollen die Edlen und Weisen entdeckt werden? Kein überirdisches Wunder enthüllt sie; man muß sie suchen. Und hier kommen die zu rein natürlichen Unterschieden gemachten historischen Klassenunterschiede wieder zum Vorschein. Der Edle ist edel, weil er Weiser, Wissender ist. Er wird also zu suchen sein unter den Klassen, die das Monopol der Bildung haben - unter den privilegierten Klassen, und dieselben Klassen werden es sein, die ihn in ihrer Mitte auszufinden, die über seine Ansprüche auf den Rang eines Edlen und Weisen zu entscheiden haben. Damit werden die privilegierten Klassen sofort, wenn nicht geradezu zur edlen und weisen, doch zur "artikulierten" Klasse; die unterdrückten Klassen sind natürlich die "stummen unartikulierten", und so ist die Klassenherrschaft neu sanktioniert. Die ganze hochentrüstete Polterei verwandelt sich in eine etwas versteckte Anerkennung der bestehenden Klassen- <262> herrschaft, die bloß darüber grämelt und murrt, daß die Bourgeois ihren verkannten Genies keine Stelle an der Spitze der Gesellschaft anweisen und aus sehr praktischen Rücksichten nicht auf die schwärmerischen Faseleien dieser Herren eingehn. Wie übrigens auch hier die hochtrabende Salbaderei in ihr Gegenteil umschlägt, wie der Edle, Wissende und Weise in der Praxis sich in den Gemeinen, Unwissenden und Narren verwandelt, davon liefert uns Carlyle schlagende Exempel.
Er wendet sich, da bei ihm auf die starke Regierung alles ankommt, mit höchster Entrüstung gegen das Geschrei nach Befreiung und Emanzipation;
"Laßt uns alle frei sein; der eine von dem andern. Frei ohne Band oder Verschlingung, ausgenommen der der baren Zahlung; ehrlicher Tageslohn für ehrliches Tageswerk, festgesetzt durch freiwilligen Vertrag und durch das Gesetz der Nachfrage und Zufuhr; dies bildet man sich ein, sei die wahre Lösung aller Schwierigkeiten und Ungerechtigkeiten, die zwischen Mensch und Mensch vorgefallen sind. Um das Verhältnis, das zwischen zwei Menschen existiert, zu berichtigen, gibt es keine andere Methode, als es ganz und gar zu beseitigen?" p. 29.
Diese vollständige Auflösung aller Bande, aller Verhältnisse zwischen den Menschen erreicht natürlich ihre Spitze in der Anarchie, dem Gesetz der Gesetzlosigkeit, dem Zustand, in dem das Band der Bänder, die Regierung, vollständig zerschnitten ist. Und dahin strebt man in England wie auf dem Kontinent, ja sogar in dem "soliden Germanien".
So poltert Carlyle mehrere Seiten hindurch fort, indem er auf eine höchst befremdliche Weise rote Republik, fraternité <Brüderlichkeit>, Louis Blanc usw. mit dem free trade, der Abschaffung der Kornzölle etc. zusammenwirft. Vgl. p. 29-42. Die Vernichtung der traditionell noch forterhaltenen Reste des Feudalismus, die Reduktion des Staats auf das unumgänglich nötige und allerwohlfeilste, die vollständige Durchführung der freien Konkurrenz durch die Bourgeois vermischt und identifiziert Carlyle also mit der Aufhebung eben dieser Bourgeoisverhältnisse, mit der Abschaffung des Gegensatzes von Kapital und Lohnarbeit, mit dem Sturz der Bourgeoisie durch das Proletariat. Glänzende Rückkehr zu der "Nacht des Absoluten", in der alle Kühe grau sind! Tiefe Wissenschaft des "Wissenden", der nicht das erste Wort von dem weiß, was um ihn vorgeht! Seltsamer Scharfsinn, der mit der Abschaffung des Feudalismus oder der freien Konkurrenz alle Beziehungen zwischen den Menschen abgeschafft glaubt! Gründliche Ergründung des "ewigen Naturgesetzes", die in allem Ernst glaubt, daß keine Kinder mehr zur Welt <263> kommen, sobald die Eltern nicht vorher auf die Mairie gehn, um sich ehelich zu "verbinden"!
Nach diesem erbaulichen Beispiel von der Weisheit, die auf die pure Unwissenheit hinausläuft, gibt uns Carlyle auch noch den Beweis, wie der hochbeteuernde Edelmut sofort in die unverhüllte Niedertracht umschlägt, sobald er aus seinem Phrasen- und Sentenzenhimmel in die Welt der wirklichen Verhältnisse hinabsteigt.
"In allen europäischen Ländern, speziell in England, hat eine Klasse von Hauptleuten und Kommandeuren von Menschen, erkennbar als der Beginn einer neuen, realen und nicht imaginären Aristokratie, sich bereits einigermaßen entwickelt: die Hauptleute der Industrie, glücklicherweise die Klasse, welche vor allen andern in diesen Zeiten nottut. Und sicher, von der andern Seite ist kein Mangel an Menschen, die nötig haben kommandiert zu werden: Diese traurige Klasse von Brudermenschen, die wir beschrieben haben als Hodges emanzipierte Pferde, reduziert zu vagabondierender Hungerleiderei, diese Klasse ebenfalls hat sich in allen Ländern entwickelt und entwickelt sich immer mehr in unheilschwangrer geometrischer Progression mit beängstigender Geschwindigkeit. Auf diesen Grund hin kann es mit Wahrheit gesagt werden, daß die Organisation der Arbeit die allgemeine Lebensaufgabe der Welt ist." p. 42, 43.
Nachdem Carlyle auf den ersten vierzig Seiten seinen ganzen tugendhaften Grimm gegen den Egoismus, die freie Konkurrenz, Abschaffung der feudalen Bande zwischen Mensch und Mensch, Nachfrage und Zufuhr, laissez faire, Baumwollspinnen, bare Zahlung etc. etc. aber und abermals ausgepoltert hat, finden wir jetzt auf einmal, daß die Hauptvertreter aller dieser shams, die industriellen Bourgeois, nicht nur zu den gefeierten Heroen und Genien gehören, sondern sogar den zunächst notwendigen Teil dieser Heroen ausmachen, daß der Trumpf aller seiner Angriffe gegen die Bourgeoisverhältnisse und Ideen die Apotheose der Bourgeoispersonen ist. Sonderbarer erscheint es, daß Carlyle, nachdem er die Kommandierenden und die Kommandierten der Arbeit vorgefunden hat, also eine bestimmte Organisation der Arbeit, dennoch diese Organisation für ein noch zu lösendes großes Problem erklärt. Aber man täusche sich nicht. Es handelt sich nicht um die Organisation der einregimentierten, sondern um die der nicht einregimentierten, der führerlosen Arbeiter, und diese hat Carlyle sich selbst vorbehalten. Wir sehn ihn am Schluß seiner Broschüre plötzlich als britischen Premierminister in partibus auftreten, die drei Millionen irische und andre Bettler, arbeitsfähige Habenichtse, nomadisch oder stationär, und die allgemeine Nationalversammlung der britischen Paupers außer dem workhouse und im workhouse zusammenrufen und in einer Rede "harangieren", worin er den Habenichtsen <264> erstlich alles wiederholt, was er dem Leser schon früher anvertraut hat, und dann die auserlesene Gesellschaft anredet wie folgt:
"Vagabondierende Habe- und Taugenichtse, töricht manche von euch, Verbrecher viele von euch, Elende alle! Euer Anblick erfüllt mich mit Staunen und Verzweiflung. Hier sind an die drei Millionen von euch, manche von euch in den Abgrund des direkten Bettlertums gefallen, und schrecklich zu sagen, jeder, der fällt, beschwert mit seinem Gewicht um soviel mehr die Kette, die die andern herüberzieht. Am Rande dieses Abgrunds hangen ungezählte Millionen, die sich vermehren, wie man mir sagt, um zwölfhundert jeden Tag, fallend, fallend einer nach dem andern, und die Kette wird immer schwerer, und wer zuletzt wird noch stehn können? - Was nun mit euch anfangen? ... Die andern, die noch stehn, ringen mit ihren eignen Nöten, das kann ich euch sagen; aber ihr, durch mangelhafte Energie und überflüssigen Appetit, durch zuwenig getane Arbeit und zuviel getrunkenes Bier, ihr habt bewiesen, daß ihr es nicht könnt. Wißt, daß wer auch immer die Söhne der Freiheit sein mögen, ihr für euren Teil seid es nicht und könnt es nicht sein; ihr seid handgreiflich Gefangene, nicht Freie ... Ihr habt die Natur von Sklaven, oder wenn ihr lieber wollt, von nomadisch vagabundierenden Knechten, die keinen Herrn zu finden wissen ... Nicht als glorreich unglückliche Söhne der Freiheit, sondern als notorische Gefangene, als unglückliche gefallne Brüder, die verlangen, daß ich sie kommandieren und wenn nötig, sie kontrollieren und unterjochen soll, könnt ihr von nun an mit mir in Verbindung treten ... Vor dem Himmel und der Erde und Gott, dem Schöpfer unser aller, erkläre ich es ein Ärgernis, solch ein Leben in euch erhalten zu sehn, durch den Schweiß und das Herzblut eurer Brüder, und daß, wenn wir es nicht bessern können, der Tod vorzuziehen wäre ... Schreibt euch ein in meine irischen, meine schottischen, meine englischen Regimenter der neuen Ära, ihr armen wandernden Banditen, gehorcht, arbeitet, duldet, fastet, wie alle von uns tun mußten ... Industrielle Obersten, Werkmeister, Aufseher, Herren über Leben und Tod, billig wie Rhadamanth und unbeugsam wie er, die tun euch not, und sie werden für euch findbar sein, sobald ihr einmal unter den Kriegsartikeln steht ... Zu jedem von euch werde ich dann sagen: Hier ist Werk für euch; macht euch tapfer dran, mit männlichem, soldatischem Gehorsam und gutem Mut, und fügt euch gemäß den Methoden, die ich hier diktiere, - Lohn folgt für euch ohne Schwierigkeit ... Weigert euch, hebt vor saurer Arbeit zurück, gehorcht nicht den Vorschriften, und ich werde euch ermahnen und anzustacheln suchen; wenn vergeblich, werde ich euch peitschen; wenn immer noch vergeblich, werde ich euch endlich niederschießen." p. 46-55.
Die neue Ära, worin der Genius herrscht, unterscheidet sich von der alten Ära also hauptsächlich dadurch, daß die Peitsche sich einbildet, genial zu sein. Der Genius Carlyle unterscheidet sich vorn ersten besten Gefängniszerberus oder Armenvogt durch die tugendhafte Entrüstung und das moralische Bewußtsein, daß er die Paupers nur schindet, um sie zu seiner Höhe zu erheben. Wir sehen hier den hochbeteuernden Genius in seinem welterlösenden Zorn die Infamien des Bourgeois phantastisch rechtfertigen und über- <265> treiben. Hatte die englische Bourgeoisie die Paupers den Verbrechern assimiliert, um vom Pauperismus abzuschrecken, hatte sie das Armengesetz von 1834 geschaffen, so klagt Carlyle die Paupers des Hochverrats an, weil der Pauperismus den Pauperismus erzeugt. Wie vorhin die historisch entstandene herrschende Klasse, die industrielle Bourgeoisie, schon weil sie herrschte, des Genius teilhaftig war, so ist jetzt jede unterdrückte Klasse, je tiefer sie unterdrückt ist, desto mehr vom Genius ausgeschlossen, desto mehr der tobenden Wut unsres verkannten Reformators ausgesetzt. So hier die Paupers. Aber sein sittlich-edler Grimm erreicht die höchste Spitze gegenüber den absolut Niederträchtigen und Ignobeln, den "Schurken", d.h. den Verbrechern. Von diesen handelt er in der Broschüre über die Mustergefängnisse.
Diese Broschüre unterscheidet sich von der ersten nur durch eine noch viel größere Wut, um so wohlfeiler, als sie sich gegen die von der bestehenden Gesellschaft offiziell Ausgestoßenen, gegen Leute unter Schloß und Riegel richtet; eine Wut, die selbst das wenige von Scham abstreift, was die gewöhnlichen Bourgeois anstandshalber noch zur Schau tragen. Wie Carlyle im ersten Pamphlet eine vollständige Hierarchie der Edeln aufstellt und dem Edelsten der Edeln nachspürt, so arrangiert er hier eine ebenso komplette Hierarchie der Schurken und Niederträchtigen und trachtet danach, den Schlechtesten der Schlechten, den größten Schurken in England zu erjagen, um die Wollust zu haben, ihn zu hängen. Gesetzt, er finge ihn und hing ihn auf; so ist uns ein andrer der Schlechteste und muß wieder gehangen werden und dann wieder ein anderer, bis die Reihe endlich an die Edlen, und dann an die Edleren kömmt und zuletzt niemand übrigblieb als Carlyle, der Edelste, der als Verfolger der Schurken zugleich Mörder der Edlen ist und auch in den Schurken das Edle gemordet hat, der Edelste der Edeln, der sich plötzlich in den Niederträchtigsten der Schurken verwandelt und als solcher sich selbst zu hängen hat. Damit wären dann alle Fragen über die Regierung, den Staat, die Organisation der Arbeit, die Hierarchie des Edlen gelöst, und das ewige Naturgesetz endlich verwirklicht.
II
"Les Conspirateurs", par A. Chenu, ex-capitaine des gardes du citoyen Caussidière - Les sociétés secrètes; La préfecture de police sous Caussidière; Les corps-francs -, Paris 1850
"La naissance de la République en Févier 1848", par Lucien de la Hodde, Paris 1850
<"Die Verschwörer", von A. Chenu, Ex-Hauptmann der Garden
des Bürgers Caussidière - Die geheimen Gesellschaften; Die Polizeipräfektur
unter Caussidière; Die Freikorps -
"Die Geburt der Republik im Februar 1848", von Lucien de la Hodde>
<266> Nichts ist wünschenswerter, als daß die Leute, die an der Spitze der Bewegungspartei standen, sei es vor der Revolution in den geheimen Gesellschaften oder in der Presse, sei es später in offiziellen Stellungen, endlich einmal mit derben rembrandtschen Farben geschildert werden, in ihrer ganzen Lebendigkeit. Die bisherigen Darstellungen malen uns diese Persönlichkeiten nie in ihrer wirklichen, nur in ihrer offiziellen Gestalt, mit dem Kothurn am Fuß und der Aureole um den Kopf. In diesen verhimmelten raffaelschen Bildern geht alle Wahrheit der Darstellung verloren.
Die beiden vorliegenden Schriften entfernen zwar den Kothurn und die Aureole, mit denen die "großen Männer" der Februarrevolution bisher zu erscheinen pflegten. Sie dringen in das Privatleben dieser Personen ein, sie zeigen sie uns im Negligé, mit ihrer ganzen Umgebung von subalternen Subjekten sehr verschiedener Art. Aber darum sind sie nicht weniger weit entfernt von einer wirklichen, treuen Darstellung der Personen und Ereignisse. Von ihren Verfassern ist der eine ein eingestandner langjähriger Mouchard <Polizeispion> Louis-Philippes, der andre ein alter Verschwörer von Profession, dessen Beziehungen zur Polizei ebenfalls sehr zweideutig sind und dessen Auffassungsfähigkeit schon dadurch charakterisiert wird, daß er zwischen Rheinfelden und Basel "jene prächtige Alpenkette, deren silberne Gipfel das Auge blenden", und zwischen Kehl und Karlsruhe "die rheinischen Alpen, deren ferne Gipfel sich im Horizont verloren", gesehn haben will. Von solchen Leuten, besonders wenn sie obendrein zu ihrer persönlichen Rechtfertigung schreiben, ist allerdings nur eine mehr oder minder chargierte chronique scandaleuse <Klatschgeschichte> der Februarrevolution zu erwarten.
Herr de la Hodde sucht sich in seiner Broschüre als den Spion des Cooperschen Romans darzustellen. Er habe, behauptet er, sich um die Gesellschaft verdient gemacht, indem er die geheimen Gesellschaften während acht <267> Jahren paralysierte. Aber vom Cooperschen Spion bis zu Herrn de ja Hodde ist weit, sehr weit. Herr de la Hodde, Mitarbeiter am "Charivari", Mitglied des Zentralkomitees der "société des nouvelles Saisons" seit 1839, Mitredakteur der "Réforme" seit ihrer Gründung und gleichzeitig bezahlter Spion des Polizeipräfekten Delessert, ist durch niemanden mehr kompromittiert als durch Chenu. Seine Schrift ist direkt provoziert durch Chenus Enthüllungen, hütet sich aber sehr wohl, auch nur eine Silbe auf das zu erwidern, was Chenu über de la Hodde selbst sagt. Dieser Teil der Chenuschen Memoiren wenigstens ist also authentisch.
"In einer meiner nächtlichen Wanderungen", erzählt Chenu, "bemerkte ich de la Hodde, wie er den Quai Voltaire auf- und abwandelte. Der Regen floß stromweise, und dieser Umstand machte mich nachdenklich. Sollte zufällig dieser teure de la Hodde auch in der Kasse der geheimen Fonds schöpfen? Aber ich erinnerte mich seiner Gesänge, seiner herrlichen Strophen über Irland und Polen, und namentlich der heftigen Artikel, die er im Journal 'La Réforme_ schrieb" (während Herr de la Hodde sich als den Besänftiger der "Réforme hinzustellen sucht). "Guten Abend, de la Hodde, was Teufels treibst du hier zu dieser Stunde und in diesem schauderhaften Wetter? - Ich warte auf einen Schwerenöter, der mir Geld schuldig ist, und da er alle Abend zu dieser Stunde hier vorüberkommt, wird er mir zahlen, oder - und er schlug heftig mit seinem Stock auf die Brustwehr des Quais."
De la Hodde sucht ihn loszuwerden und geht nach dem Pont du Carrousel zu. Chenu entfernt sich nach der entgegengesetzten Seite, aber nur, um sich unter den Arkaden des Instituts zu verbergen. De la Hodde kommt bald zurück, sieht sich sorgfältig nach allen Seiten um und spaziert von neuem auf und ab.
"Eine Viertelstunde nachher bemerkte ich den Wagen mit den zwei kleinen grünen Laternen, den mir mein Ex-Agent signalisiert hatte" (ein ehemaliger Spion, der Chenu im Gefängnis eine Menge Polizeigeheimnisse und Erkennungszeichen verraten hatte). "Er hielt an der Ecke der Rue des Vieux-Augustins. Ein Mann stieg aus; de la Hodde ging geradeswegs auf ihn zu; sie sprachen einen Augenblick zusammen, und ich sah de la Hodde die Bewegung eines Menschen machen, der Geld in seine Tasche steckt. - Nach diesem Vorfall wandte ich alles an, um de la Hodde aus unsern Zusammenkünften zu entfernen und vor allem Albert zu verhindern, in eine Schlinge zu fallen, denn er war der Eckstein unsres Gebäudes. Einige Tage nachher wies die 'Réforme' einen Artikel des Herrn de la Hodde zurück. Seine literarische Eitelkeit wurde dadurch verletzt. Ich riet ihm, sich zu rächen durch Gründung eines andern Journals. Er folgte diesem Rat und publizierte mit Pilhes und Dupoty sogar den Prospektus eines Blattes 'Le Peuple', und während dieser Zeit waren wir ihn fast ganz los." - Chenu, p. 46-48.
Wir sehn: Der Coopersche Spion verwandelt sich in den politischen Prostituierten der gemeinsten Art, der auf der Straße im Regenwetter auf die <268> Auszahlung seines cadeau <seiner Belohnung> durch den ersten besten officier de paix <Friedensrichter, hier: Polizeibeamten> lauert. Wir sehn ferner: Nicht de la Hodde, wie er glauben machen möchte, sondern Albert stand an der Spitze der geheimen Gesellschaften. Dies folgt überhaupt aus der ganzen Darstellung Chenus. Der Mouchard "im Interesse der Ordnung" verwandelt sich hier plötzlich in den beleidigten Schriftsteller, der sich ärgert, daß auf der "Réforme" die Artikel des Mitarbeiters am "Charivari" nicht ohne weiteres aufgenommen werden, und der deshalb bricht mit der "Réforme", einem wirklichen Parteiorgan, bei dem er der Polizei nützlich werden konnte, um ein neues Blatt zu gründen, wo er höchstens seine Literateneitelkeit befriedigen konnte. Wie die Prostituierten durch ein gewisses Sentiment, so suchte der Mouchard sich durch seine schriftstellerischen Ansprüche aus seiner schmutzigen Stellung zu retten. Der Haß gegen die "Réforme", der durch sein ganzes Pamphlet geht, löst sich auf in die trivialste Schriftstellerranküne. Endlich sehen wir, daß de la Hodde in der wichtigsten Zeit der geheimen Gesellschaften, kurz vor der Februarrevolution, mehr und mehr aus ihnen verdrängt wurde; und hieraus erklärt sich, warum sie, ganz im Gegensatz zu Chenu, in dieser Zeit nach seiner Darstellung mehr und mehr verfallen.
Wir kommen jetzt zu der Szene, in der Chenu die Enthüllung der Verrätereien de la Hoddes nach der Februarrevolution schildert. Die Partei der "Réforme" war bei Albert im Luxembourg auf Caussidières Einladung versammelt. Monnier, Sobrier, Grandmenil, de la Hodde, Chenu etc. waren erschienen. Caussidière eröffnete die Versammlung und sagte dann:
"Es befindet sich ein Verräter unter uns. Wir werden uns als geheimes Tribunal konstituieren, um ihn zu richten. - Grandmenil als der älteste Anwesende wurde zum Präsidenten und Tiphaine zum Sekretär ernannt. Bürger, fuhr Caussidière als öffentlicher Ankläger fort, lange haben wir brave Patrioten angeklagt. Wir waren weit entfernt zu ahnen, welche Schlange sich unter uns geschlichen hatte. Heute habe ich den wirklichen Verräter entdeckt: es ist Lucien de la Hodde! - Dieser, der bisher ganz ruhig gesessen hatte, sprang auf bei dieser direkten Anklage. Er machte eine Bewegung gegen die Tür. Caussidière schloß sie rasch, zog eine Pistole und rief: Wenn du dich rührst, zerschmettre ich dir den Schädel! - De la Hodde beteuerte feurig seine Unschuld. Gut, sagte Caussidière. Hier ist ein Aktenstoß, der achtzehnhundert Berichte an den Polizeipräfekten enthält - und er gab jedem unter uns die ihn speziell betreffenden Berichte. De la Hodde leugnete hartnäckig, daß diese Berichte, unterzeichnet Pierre, von ihm herrührten, bis Caussidière den in seinen Memoiren veröffentlichten Brief vorlas, einen Brief, worin de la Hodde seine Dienste dem Polizeipräfekten anbot und den er mit seinem wahren Namen unterzeichnet hatte. Von diesem Augenblick leugnete der <269> Unglückliche nicht mehr, er suchte sich zu entschuldigen durch das Elend, das ihm den fatalen Gedanken eingegeben, sich in die Arme der Polizei zu werfen. Caussidière reichte ihm die Pistole dar, letztes Rettungsmittel, das ihm bleibe. De la Hodde flehte darauf zu seinen Richtern, er wimmerte um ihre Milde, aber sie blieben unbeugsam. Bocquet, einer der Anwesenden, dem die Geduld ausging, ergriff die Pistole und reichte sie ihm dreimal dar mit den Worten: Allons <Los>, zerschmettre dir den Schädel, Feigling, Feigling, oder ich selbst töte dich! - Albert riß sie ihm aus der Hand: Aber bedenke, ein Pistolenschuß, hier im Luxembourg, alarmiert alle Welt! - Richtig, rief Bocquet, wir müssen Gift haben. - Gift? sagte Caussidière, ich habe Gift mitgebracht, und zwar von allen Sorten. Er nahm ein Glas, füllte es mit Wasser, das er zuckerte, schüttete dann ein weißes Pulver hinein, bot es dem de la Hodde dar, der zurückschauderte: Ihr wollt mich also meucheln? - Jawohl, sagte Bocquet, trink. - De la Hodde war schrecklich anzuschauen. Seine Züge wurden fahl, seine sehr krausen und wohl frisierten Haare bäumten sich auf seinem Haupt. Der Schweiß überschwemmte sein Gesicht. Er flehte, er weinte: Ich will nicht sterben! Aber Bocquet, unbeugsam, hielt ihm immer noch das Glas dar. Allons, trink doch, sagte Caussidière, du wirst zum Teufel sein, ehe du dich versiehst. - Nein, nein, ich werde nicht trinken! Und in seiner Geisteszerrüttung fügte er mit einer schrecklichen Gebärde hinzu: O, ich werde mich rächen für alle diese Martern!
Als man sah, daß aller Appell ans point d'honneur <Ehrgefühl> nichts fruchtete, wurde de la Hodde auf Alberts Fürsprache endlich begnadigt und ins Gefängnis der Conciergerie gebracht." Chenu. p. 134-136.
Der angeblich Coopersche Spion wird immer erbärmlicher. Wir sehn ihn hier in seiner ganzen Verächtlichkeit, wie er seinen Gegnern bloß durch seine Feigheit Widerstand zu leisten weiß. Wir werfen ihm vor, nicht daß er nicht sich selbst, sondern daß er nicht den ersten besten seiner Gegner niederschoß. Er sucht sich nachträglich durch eine Schrift zu retten, worin er die ganze Revolution als eine bloße escroquerie <Gaunerei> darzustellen sucht. Der richtige Titel dieser Schrift ist: "Der enttäuschte Polizist." Sie weist nach, daß eine wirkliche Revolution das gerade Gegenteil ist von den Vorstellungen des Mourchards, der mit den "Männern der Tat" übereinstimmend in jeder Revolution das Werk einer kleinen Koterie sieht. Während alle von Koterien mehr oder weniger willkürlich provozierten Bewegungen bloße Emeuten blieben, geht aus de la Hoddes Darstellung selbst hervor, einerseits, daß die offiziellen Republikaner im Anfang der Februartage noch an der Eroberung der Republik verzweifelten, andrerseits, daß die Bourgeoisie die Republik erobern helfen mußte, ohne sie zu wollen, daß also die Februarrepublik notwendig durch die Umstände herbeigeführt wurde, die die Massen des außer allen Koterien <270> stehenden Proletariats in die Straßen trieb und die Majorität der Bourgeoisie zu Hause hielt oder zu gemeinsamer Aktion mit ihm zwang. - Was de la Hodde im übrigen mitteilt, ist äußerst dürftig und reduziert sich auf die banalsten Klatschereien. Nur eine Szene ist interessant: die Zusammenkunft der offiziellen Demokraten im Lokal der "Réforme" am 21. Februar abends, in der die Chefs sich entschieden gegen einen gewaltsamen Angriff aussprachen. Der Inhalt ihrer Reden zeugt im ganzen, für diesen Tag, noch von einer richtigen Auffassung der Verhältnisse. Lächerlich ist nur die hochtrabende Form und die spätere Prätension derselben Leute, die Revolution von Anfang an mit Bewußtsein und Absicht herbeigeführt zu haben. Das Schlimmste, was de la Hodde ihnen übrigens nachsagen kann, ist, daß sie ihn so lange unter sich duldeten.
Kommen wir zu Chenu. Wer ist Herr Chenu? Er ist ein alter Konspirateur, seit 1832 in allen Emeuten beteiligt und der Polizei wohlbekannt. Zur Konskription herangezogen, desertiert er bald und bleibt unentdeckt in Paris, trotz seiner abermaligen Beteiligung an Verschwörungen und an der Emeute von 1839. 1844 stellt er sich bei seinem Regiment, und sonderbarerweise wird ihm, trotz seiner wohlbekannten Antezedentien, das Kriegsgericht vom Divisionsgeneral erlassen. Noch mehr: er dient seine Zeit beim Regiment nicht ab, sondern kann nach Paris zurückkehren. 1847 ist er in die Brandbombenverschwörung verwickelt; er entkommt bei einem Verhaftungsversuch, bleibt aber nichtsdestoweniger in Paris, obwohl er in contumaciam <in Abwesenheit> zu vier Jahren verurteilt wird. Erst von seinen Mitverschwörern angeklagt, mit der Polizei in Verbindung zu stehn, geht er nach Holland, von wo er am 21. Februar 1848 zurückkommt. Nach der Februarrevolution wird er Hauptmann in Caussidières Garden. Caussidière hat ihn bald im Verdacht (ein Verdacht der viel Wahrscheinlichkeit besitzt), mit Marrasts Spezialpolizei in Verbindung zu stehn, und entfernt ihn ohne viel Widerstand nach Belgien und später nach Deutschland. Herr Chenu läßt sich ziemlich gutwillig nacheinander in die belgischen, deutschen und polnischen Freikorps einrangieren. Und alles dies zu einer Zeit, wo Caussidières Macht schon zu wanken begann, und obwohl Chenu ihn vollständig beherrscht haben will; so behauptet er, ihn durch einen Drohbrief, als er einmal verhaftet war, zu seiner sofortigen Freilassung gezwungen zu haben. Soviel über den Charakter und die Glaubwürdigkeit unsres Autors.
Die Massen von Schminke und Patschuli, worunter die Prostituierten die weniger anziehenden Seiten ihrer physischen Existenz zu ersticken suchen, <271> finden sich literarisch reproduziert in dem bel-esprit <Schöngeistigen>, womit de la Hodde sein Pamphlet parfümiert. Der literarische Charakter des Chenuschen Buchs dagegen erinnert in der Naivetät und Lebendigkeit der Darstellung häufig an Gil Blas. Wie Gil Blas in den verschiedensten Abenteuern stets Bedienter bleibt und alles nach dem Maßstab des Bedienten beurteilt, so bleibt Chenu von der Emeute von 1832 bis zu seiner Entfernung aus der Präfektur immer derselbe subalterne Konspirateur, dessen spezielle Borniertheit sich übrigens sehr genau unterscheiden läßt von den platten Reflexionen des ihm vom Elysee zugewiesenen literarischen "Faiseurs". Es ist klar, daß auch bei Chenu von einem Verständnis der revolutionären Bewegung nicht die Rede sein kann. Interessant bleiben in seiner Schrift daher nur die Kapitel, wo er mehr oder weniger unbefangen aus eigner Anschauung schildert: die Konspirateurs und Held Caussidière.
Man kennt die Neigung der romanischen Völker zu Verschwörungen und die Rolle, die die Verschwörungen in der modernen spanischen, italienischen und französischen Geschichte gespielt haben. Nach den Niederlagen der spanischen und italienischen Verschwörer im Anfang der zwanziger Jahre wurden Lyon und namentlich Paris die Zentren der revolutionären Verbindungen. Es ist bekannt, wie bis 1830 die liberalen Bourgeois an der Spitze der Verschwörungen gegen die Restauration standen. Nach der Julirevolution trat die republikanische Bourgeoisie an ihre Stelle; das Proletariat, schon unter der Restauration zum Konspirieren erzogen, trat in dem Maße in den Vordergrund, worin die republikanischen Bourgeois durch die vergeblichen Straßenkämpfe von den Konspirationen zurückgeschreckt wurden. Die société des saisons, mit der Barbès und Blanqui die Ermeute von 1839 machten, war schon ausschließlich proletarisch, und ebenso waren es die nach der Niederlage gebildeten nouvelles saisons, an deren Spitze Albert trat, und woran Chenu, de la Hodde, Caussidière etc. sich beteiligten. Die Verschwörung stand durch ihre Chefs fortwährend in Verbindung mit den in der "Réforme" repräsentierten kleinbürgerlichen Elementen, hielt sich jedoch immer sehr unabhängig. Diese Konspirationen umfaßten natürlich nie die große Masse des Pariser Proletariats. Sie beschränkten sich auf eine verhältnismäßig kleine, stets schwankende Zahl von Mitgliedern, die teils aus alten, stationären, von jeder geheimen Gesellschaft ihrer Nachfolgerin regelmäßig überlieferten Verschwörern, teils aus neu angeworbenen Arbeitern bestand.
Unter diesen alten Verschwörern schildert Chenu fast ausschließlich nur die Klasse, zu der er selbst gehört: die Konspirateurs von Profession. Mit der <272> Ausbildung der proletarischen Konspirationen trat das Bedürfnis der Teilung der Arbeit ein; die Mitglieder teilten sich in Gelegenheitsverschwörer, conspirateurs d'occasion, d.h. Arbeiter, die die Verschwörung nur neben ihrer sonstigen Beschäftigung betrieben, nur die Zusammenkünfte besuchten und sich bereithielten, auf den Befehl der Chefs am Sammelplatz zu erscheinen, und in Konspirateure von Profession, die ihre ganze Tätigkeit der Verschwörung widmeten und von ihr lebten. Sie bildeten die Mittelschicht zwischen den Arbeitern und den Chefs und schmuggelten sich häufig sogar unter diese.
Die Lebensstellung dieser Klasse bedingt schon von vornherein ihren ganzen Charakter. Die proletarische Konspiration bietet ihnen natürlich nur sehr beschränkte und unsichre Existenzmittel. Sie sind daher fortwährend gezwungen, die Kassen der Verschwörung anzugreifen. Manche von ihnen kommen auch direkt in Kollisionen mit der bürgerlichen Gesellschaft überhaupt und figurieren mit mehr oder weniger Anstand vor den Zuchtpolizeigerichten. Ihre schwankende, im einzelnen mehr vom Zufall als von ihrer Tätigkeit abhängige Existenz, ihr regelloses Leben, dessen einzig fixe Stationen die Kneipen der marchands de vin <Schankwirte> sind - die Rendezvoushäuser der Verschwornen -, ihre unvermeidlichen Bekanntschaften mit allerlei zweideutigen Leuten rangieren sie in jenen Lebenskreis, den man in Paris la bohême nennt. Diese demokratischen Bohemiens proletarischen Ursprungs - es gibt auch eine demokratische Boheme bürgerlichen Ursprungs, die demokratischen Bummler und piliers d'estaminet <Kneipenstammgäste> - sind also entweder Arbeiter, die ihre Arbeit aufgegeben haben und dadurch dissolut geworden sind, oder Subjekte, die aus dem Lumpenproletariat hervorgehn und alle dissoluten Gewohnheiten dieser Klasse in ihre neue Existenz übertragen. Man begreift, wie unter diesen Umständen fast in jeden Konspirationsprozeß ein paar repris de justice <Vorbestrafte> sich verwickelt finden.
Das ganze Leben dieser Verschwörer von Profession trägt den ausgeprägtesten Charakter der Boheme. Werbunteroffiziere der Verschwörung, ziehen sie von marchand de vin zu marchand de vin, fühlen den Arbeitern den Puls, suchen ihre Leute heraus, kajolieren sie in die Verschwörung hinein und lassen entweder die Gesellschaftskasse oder den neuen Freund die Kosten der dabei unvermeidlichen Konsumtion von Litres tragen. Der marchand de vin ist überhaupt ihr eigentlicher Herbergsvater. Bei ihm hält der Verschwörer sich meistens auf; hier hat er seine Rendezvous mit seinen Kollegen, mit den Leuten seiner Sektion, mit den Anzuwerbenden; hier endlich finden die ge- <273> heimen Zusammenkünfte der Sektionen und Sektionschefs (Gruppen) statt. Der Konspirateur, ohnehin wie alle Pariser Proletarier sehr heitrer Natur, entwickelt sich in dieser ununterbrochenen Kneipenatmosphäre bald zum vollständigsten Bambocheur <Zechbruder>. Der finstre Verschwörer, der in den geheimen Sitzungen eine spartanische Tugendstrenge an den Tag legt, taut plötzlich auf und verwandelt sich in einen überall bekannten Stammgast, der den Wein und das weibliche Geschlecht sehr wohl zu schätzen versteht. Dieser Kneipenhumor wird noch erhöht durch die fortwährenden Gefahren, denen der Konspirateur ausgesetzt ist; jeden Augenblick kann er auf die Barrikade gerufen werden und dort fallen, auf jedem Schritt und Tritt legt ihm die Polizei Schlingen, die ihn ins Gefängnis oder gar auf die Galeeren bringen können. Solche Gefahren machen eben den Reiz des Handwerks aus; je größer die Unsicherheit, desto mehr beeilt sich der Verschwörer, den Genuß des Moments festzuhalten. Zugleich macht ihn die Gewohnheit der Gefahr im höchsten Grade gleichgültig gegen Leben und Freiheit. Im Gefängnis ist er zu Hause wie beim marchand de vin. Jeden Tag erwartet er den Befehl zum Losbruch. Die verzweifelte Tollkühnheit, die in jeder Pariser Insurrektion hervortritt, wird gerade durch diese alten Verschwörer von Profession, die hommes de coups de main <Männer des Handstreichs>, hereingebracht. Sie sind es, die die ersten Barrikaden aufwerfen und kommandieren, die den Widerstand organisieren, die Plünderung der Waffenläden, die Wegnahme der Waffen und Munition aus den Häusern leiten und mitten im Aufstand jene verwegnen Handstreiche ausführen, die die Regierungspartei so oft in Verwirrung bringen. Mit einem Wort, sie sind die Offiziere der Insurrektion.
Es versteht sich, daß diese Konspirateurs sich nicht darauf beschränken, das revolutionäre Proletariat überhaupt zu organisieren. Ihr Geschäft besteht gerade darin, dem revolutionären Entwicklungsprozeß vorzugreifen, ihn künstlich zur Krise zu treiben, eine Revolution aus dem Stegreif, ohne die Bedingungen einer Revolution zu machen. Die einzige Bedingung der Revolution ist für sie die hinreichende Organisation ihrer Verschwörung. Sie sind die Alchimisten der Revolution und teilen ganz die Ideenzerrüttung und die Borniertheit in fixen Vorstellungen der früheren Alchimisten. Sie werfen sich auf Erfindungen, die revolutionäre Wunder verrichten sollen: Brandbomben, Zerstörungsmaschinen von magischer Wirkung, Emeuten, die um so wundertätiger und überraschender wirken sollen, je weniger sie einen rationellen Grund haben. Mit. solcher Projektenmacherei beschäftigt, haben sie keinen andern Zweck als den nächsten des Umsturzes der bestehenden <274> Regierung und verachten aufs tiefste die mehr theoretische Aufklärung der Arbeiter über ihre Klasseninteressen. Daher ihr nicht proletarischer, sondern plebejischer Ärger über die habits noirs <Befrackten>, die mehr oder minder gebildeten Leute, die diese Seite der Bewegung vertreten, von denen sie aber, als von den offiziellen Repräsentanten der Partei, sich nie ganz unabhängig machen können. Die habits noirs müssen ihnen von Zeit zu Zeit auch als Geldquelle dienen. Es versteht sich übrigens, daß die Konspirateurs der Entwicklung der revolutionären Partei mit oder wider Willen folgen müssen.
Der Hauptcharakterzug im Leben der Konspirateurs ist. ihr Kampf mit der Polizei, zu der sie grade dasselbe Verhältnis haben wie die Diebe und die Prostituierten. Die Polizei toleriert die Verschwörungen, und zwar nicht bloß als ein notwendiges Übel: Sie toleriert sie als leicht zu überwachende Zentren, in denen sich die gewaltsamsten revolutionären Elemente der Gesellschaft zusammenfinden, als Werkstätten der Emeute, die in Frankreich ein ebenso notwendiges Regierungsmittel geworden ist wie die Polizei selbst, und endlich als Rekrutierungsplatz für ihre eignen politischen Mouchards. Grade wie die brauchbarsten Spitzbubenfänger, die Vidocq und Konsorten, aus der Klasse der höheren und niederen Gauner, der Diebe, escrocs <Betrüger> und falschen Bankeruttiers genommen werden und oft wieder in ihr altes Handwerk zurückfallen, geradeso rekrutiert sich die niedere politische Polizei aus den Konspirateurs von Profession. Die Verschwörer behalten unaufhörlich Fühlung mit der Polizei, sie kommen jeden Augenblick in Kollision mit ihr; sie jagen auf die Mouchards, wie die Mouchards auf sie jagen. Die Spionage ist eine ihrer Hauptbeschäftigungen. Kein Wunder daher, daß der kleine Sprung vom handwerksmäßigen Verschwörer zum bezahlten Polizeispion, erleichtert durch das Elend und das Gefängnis, durch Drohungen und Versprechungen, sich so häufig macht. Daher das grenzenlose Verdachtsystem in den Verschwörungen, das die Mitglieder vollständig blind macht und sie in ihren besten Leuten Mouchards und in den wirklichen Mouchards ihre zuverlässigsten Leute erkennen läßt. Daß diese aus den Verschwörern angeworbenen Spione sich mit der Polizei meist in dem guten Glauben einlassen, sie düpieren zu können, daß es ihnen eine Zeitlang gelingt, eine doppelte Rolle zu spielen, bis sie den Konsequenzen ihres ersten Schritts mehr und mehr verfallen, und daß die Polizei wirklich oft von ihnen düpiert wird, ist einleuchtend. Ob übrigens ein solcher Konspirateur den Schlingen der Polizei verfällt, hängt von rein zufälligen Umständen ab und von einem mehr quantitativen als qualitativen Unterschied der Charakterfestigkeit.
<275> Das sind die Konspirateure, die uns Chenu oft sehr lebendig vorführt und deren Charakter er bald mit, bald wider Willen schildert. Er selbst übrigens ist, bis in seine nicht ganz klaren Verbindungen mit der Delessertschen und Marrastschen Polizei hinein, das schlagendste Bild eines Konspirateurs von Handwerk.
In demselben Maß, wie das Pariser Proletariat selbst als Partei in den Vordergrund trat, verloren diese Konspirateurs an leitendem Einfluß, wurden sie zersprengt, fanden sie eine gefährliche Konkurrenz in proletarischen geheimen Gesellschaften, die nicht die unmittelbare Insurrektion, sondern die Organisation und Entwicklung des Proletariats zum Zweck hatten. Schon die Insurrektion von 1839 hatte einen entschieden proletarischen und kommunistischen Charakter. Nach ihr aber traten die Spaltungen ein, über die die alten Konspirateure so viel klagen; Spaltungen, die aus dem Bedürfnis der Arbeiter hervorgingen, sich über ihre Klasseninteressen zu verständigen, und die sich teils in den alten Verschwörungen selbst, teils in neuen propagandistischen Verbindungen äußerten. Die kommunistische Agitation, die Cabet bald nach 1839 mit Macht begann, die Streitfragen, die sich innerhalb der kommunistischen Partei erhoben, wuchsen den Konspirateuren bald über den Kopf. Chenu wie de la Hodde geben zu, daß die Kommunisten zur Zeit der Februarrevolution bei weitem die stärkste Fraktion des revolutionären Proletariats gewesen seien. Die Konspirateure, um ihren Einfluß auf die Arbeiter und damit ihr Gegengewicht gegen die habits noirs nicht zu verlieren, mußten dieser Bewegung folgen und sozialistische oder kommunistische Ideen adoptieren. So entstand schon vor der Februarrevolution der Gegensatz der Arbeiterverschwörungen, die durch Albert repräsentiert wurden, gegen die Leute von der "Réforme", derselbe Gegensatz, der sich bald nachher in der provisorischen Regierung reproduzierte. Es fällt uns übrigens nicht ein, Albert mit diesen Konspirateurs zu verwechseln. Aus beiden Schriften geht hervor, daß Albert sich eine persönliche unabhängige Stellung über diesen seinen Werkzeugen zu behaupten wußte und keineswegs in die Klasse von Leuten gehört, die das Konspirieren als Nahrungszweig betrieben.
Die Bombengeschichte von 1847, eine Angelegenheit, in der die Polizei mehr als in allen früheren direkt einwirkte, sprengte endlich die hartnäckigsten und widersinnigsten alten Konspirateurs und warf ihre bisherigen Sektionen in die direkte proletarische Bewegung hinein.
Diese Konspirateurs von Profession, die heftigsten Leute ihrer Sektionen und die détenus politiques <politischen Gefangenen> proletarischen Ursprungs, meist selbst alte Kon- < 276> spirateurs, finden wir nach der Februarrevolution als Montagnards in der Polizeipräfektur wieder. Die Konspirateurs bilden aber den Kern der ganzen Gesellschaft. Man begreift, daß diese Leute, hier auf einmal bewaffnet zusammengedrängt, mit ihren Präfekten und ihren Offizieren meist ganz vertraut, ein ziemlich turbulentes Korps bilden mußten. Wie die Montagne der Nationalversammlung die Parodie der alten Montagne war und durch ihre Impotenz aufs schlagendste bewies, daß die alten revolutionären Traditionen von 1793 heute nicht mehr ausreichen, so bewiesen die Montagnards der Polizeipräfektur, die Reproduktion der alten Sansculotten, daß in der modernen Revolution auch dieser Teil des Proletariats nicht mehr hinreicht und daß allein das gesamte Proletariat sie durchführen kann.
Chenu schildert den sansculottischen Lebenswandel dieser ehrenwerten Gesellschaft in der Präfektur höchst lebendig. Diese humoristischen Szenen, wobei Herr Chenu offenbar selbsttätig mitgewirkt hat, sind zuweilen etwas toll, aber bei dem Charakter der alten konspirierenden Bambocheurs höchst erklärlich und bilden ein notwendiges und selbst gesundes Gegenstück gegen die Orgien der Bourgeoisie in den letzten Jahren Louis-Philippes.
Wir zitieren bloß ein Beispiel aus der Erzählung ihrer Installation in der Präfektur.
"Als der Tag anbrach, sah ich nach und nach die Gruppenchefs mit ihren Mannschaften ankommen, aber meist unbewaffnet. Ich machte Caussidière hierauf aufmerksam. Ich werde ihnen Waffen besorgen, sagte er. Suche einen passenden Ort aus, um sie in der Präfektur zu kasernieren. Ich führte sofort diesen Auftrag aus und schickte sie, den Posten der alten Stadtsergeanten zu besetzen, wo ich einst so unwürdig behandelt worden war. Einen Augenblick nachher sah ich sie im Lauf zurückkommen. Wohin geht ihr? frug ich sie, - Der Posten ist besetzt durch einen Schwarm von Stadtsergeanten, antwortete mir Devaisse; sie schlafen ruhig, und wir suchen Instrumente, um sie zu wecken und herauszuwerfen. - Sie bewaffneten sich nun mit allem, was ihnen in die Hand fiel, Ladstöcken, Säbelscheiden, Riemen, die sie doppelt legten, und Besenstielen. Dann fielen meine Jungen, die sich alle mehr oder minder zu beklagen gehabt hatten über die Insolenz und Brutalität der Schläfer, mit gehobenem Arm über sie her und brachten ihnen während mehr als einer halben Stunde eine so rauhe Lektion bei, daß einige davon längere Zeit krank waren. Auf ihren Angstschrei stürzte ich hinzu, und es gelang mir nur mit Mühe, die Türe zu öffnen, die die Montagnards wohlweislich von innen verschlossen hielten. Es war der Mühe wert, jetzt die Stadtsergeanten halbnackt in den Hof stürzen zu sehen; sie sprangen mit einem Satz die Treppe hinunter, und wohl bekam es ihnen, alle Schliche der Präfektur zu kennen, um aus den Augen ihrer sie hetzenden Feinde zu verschwinden. Einmal Meister des Platzes, dessen Garnison sie mit soviel Höflichkeit abgelöst hatten, schmückten sich unsre Montagnards siegesstolz mit der Hinterlassenschaft der Besiegten, und während langer Zeit sah man sie auf und <277> ab wandeln im Hof der Präfektur, den Degen an der Seite, den Mantel um die Schulter und ihr Haupt geziert mit dem dreieckigen Hut, einst so gefürchtet von der Mehrzahl unter ihnen." p 83-85.
Wir haben die Montagnards kennengelernt, wir kommen zu ihrem Chef, dem Helden der Epopöe Chenu, zu Caussidière. Chenu führt ihn uns um so häufiger vor, als er es ist, gegen den das ganze Buch sich eigentlich richtet.
Die Hauptvorwürfe, die Caussidière gemacht wurden, beziehen sich auf seinen moralischen Lebenswandel, Wechselreitereien und sonstige kleine Versuche, Geld aufzutreiben, wie sie jedem verschuldeten und lebenslustigen commis voyageur <Handlungsreisender> in Paris vorkommen können und vorkommen. Es hängt überhaupt nur von der Größe des Kapitals ab, ob die Prellereien, Profitmachereien, Schwindeleien und Börsenspiele, auf denen der ganze Handel beruht, mehr oder weniger an den Code pénal <an das Strafgesetzbuch> streifen. Über die Börsencoups und den chinesischen Betrug, die speziell den französischen Handel charakterisieren, vergleiche man z.B. Fouriers pikante Schilderungen in den "Quatre mouvements", der "Fausse Industrie", dem "Traité de l'unité universelle" und seinem Nachlaß. Herr Chenu versucht nicht einmal zu beweisen, daß Caussidière seine Stellung als Polizeipräfekt zu seinen Privatzwecken exploitiert habe. Überhaupt kann eine Partei sich Glück wünschen, wenn ihre siegreichen Gegner auf die Enthüllung solcher handelsmoralischen Erbärmlichkeiten sich beschränken müssen. Die kleinen Experimente des commis voyageur Caussidière und die großartigen Skandale der Bourgeoisie von 1847, welcher Kontrast! Der ganze Angriff hat nur einen Sinn, insofern Caussidière der Partei der "Réforme" angehörte, die ihren Mangel an revolutionärer Energie und Verstand durch republikanische Tugendbeteuerungen und einen finstern Ernst der Gesinnung zu verdecken suchte.
Caussidière ist unter den Chefs der Februarrevolution die einzige erheiternde Figur. In seiner Eigenschaft als loustic <Spaßmacher> der Revolution war er der ganz passende Chef der alten Konspirateurs von Handwerk. Sinnlich und humoristisch, alter Stammgast in Cafés und Kneipen der verschiedensten Art, der selbst lebte und leben ließ, dabei militärisch mutig, unter einer breitschultrigen Bonhomie und Ungeniertheit eine große Geriebenheit, schlaue Reflexion und feine Beobachtung verbergend, besaß er einen gewissen revolutionären Takt und revolutionäre Energie. Caussidière war damals ein echter Plebejer, der die Bourgeoisie instinktmäßig haßte und alle plebejischen Leidenschaften im höchsten Grade teilte. Kaum auf der Präfektur installiert, konspiriert er schon gegen den "National", ohne darüber die Küche und den <278> Keller seines Vorgängers zu vernachlässigen. Er organisiert sich sofort eine militärische Macht, sichert sich ein Journal, lanciert Klubs, verteilt die Rollen und agiert überhaupt im ersten Moment mit großer Sicherheit. In vierundzwanzig Stunden ist die Präfektur in eine Festung verwandelt, in der er seinen Feinden trotzen kann. Aber alle seine Pläne bleiben entweder bloße Projekte oder laufen in der Praxis auf pure plebejische Späße ohne Resultat hinaus. Als die Gegensätze sich schroffer gestalten, teilt er das Los seiner Partei, die zwischen den Leuten vom "National" und den proletarischen Revolutionären wie Blanqui unentschieden in der Mitte stehnbleibt. Seine Montagnards spalten sich; die alten Bambocheurs wachsen ihm über den Kopf und sind nicht mehr zu zügeln, während der revolutionäre Teil zu Blanqui übergeht. Caussidière selbst verbürgert in seiner offiziellen Stellung als Präfekt und Repräsentant immer mehr; am 15. Mai hält er sich vorsichtig zurück und rechtfertigt sich in der Kammer auf eine unverantwortliche Weise; am 23. Juni läßt er die Insurrektion direkt im Stich. Zum Lohn wird er natürlich von der Präfektur entfernt und bald darauf ins Exil geschickt.
Wir lassen einige der bezeichnendaten Stellen aus Chenu und de la Hodde über Caussidière folgen.
Kaum ist de la Hodde am Abend des 24. Februar als Generalsekretär der Präfektur von Caussidière installiert, so sagt ihm dieser:
"'Ich brauche hier solide Leute. Die administrative Boutique wird immer so ziemlich ihren Gang gehn; ich habe provisorisch die alten Beamten beibehalten; sobald sie die Patrioten gebildet haben, werden wir sie balancieren. Das ist Nebensache. Es handelt sich darum, aus der Präfektur die Zitadelle der Revolution zu machen; instruiert unsre Leute danach; sie sollen alle herkommen. Haben wir erst eintausend Stück handfester Kameraden hier, so halten wir die Katze am Schwanz. Ledru-Rollin, Flocon, Albert und ich verstehn uns, und ich hoffe, daß die Sache sich machen wird. Der 'National' muß purzeln. Das geschehn, werden wir das Land schon republikanisieren, es mag wollen oder nicht.'
Gleich darauf kam Garnier-Pagès, Maire von Paris, unter dessen Befehl der "National" die Polizei gestellt hatte, einen Besuch abstatten und schlug Caussidière vor, anstatt des unangenehmen Postens auf der Präfektur lieber die Kommandantur des Schlosses von Compiègne anzunehmen. Caussidière antwortete ihm mit der kleinen Flötenstimme, die ihm zu Gebot stand und die so merkwürdig mit seinen breiten Schultern kontrastierte: 'Ich nach Compiègne? Unmöglich. Es ist notwendig, daß ich hier bleibe. Ich habe da unten mehrere Hundert gemütliche Jungen, die wacker arbeiten; ich erwarte ihrer noch zweimal soviel. Wenn der gute Wille oder der Mut euch auf dem Hôtel de Ville fehlt, so werde ich euch helfen können. Ha, ha, la révolution fera son petit bonhomme de chemin, il le faudra bien! < die Revolution wird ihr Stückchen Weg schon schaffen, sie muß es einfach!>' - 'Die Revolution? aber sie ist fer- <279> tig!' - 'Bah, sie hat noch gar nicht angefangen!' - Der arme Maire stand da wie ein Tölpel." De la Hodde, p. 72.
Zu den heitersten Szenen, die Chenu schildert, gehört der Empfang der Polizeikommissäre und ofiiciers de paix durch den neuen Präfekten, der bei ihrer Anmeldung gerade bei Tische war.
"Sie sollen warten, sagte Caussidière, der Präfekt arbeitet. Er arbeitete noch eine gute halbe Stunde und arrangierte dann die Szenerie für den Empfang der Herrn Kommissäre, die unterdessen die große Treppe entlang standen. Caussidière setzte sich majestätisch nieder in seinen Sessel, seinen großen Säbel an der Seite. Zwei wüste Montagnards mit kannibalischer Miene bewachten die Tür, die Muskete beim Fuß, die Pfeife im Mund. Zwei Hauptleute mit gezogenem Säbel standen an jeder Seite seines Pults. Außerdem waren in dem Salon gruppiert alle Sektionschefs und die Republikaner, die seinen Generalstab bildeten; alles bewaffnet mit großen Säbeln und Kavalleriepistolen, mit Büchsen und Jagdflinten. Alle Welt rauchte, und die Rauchwolke, die den Salon erfüllte, verfinsterte noch die Gesichter und gab dieser Szene eine wirklich erschreckende Physiognomie. In der Mitte war ein Platz für die Kommissäre freigeblieben. Jeder bedeckte sich, und Caussidière gab Befehl, sie einzuführen. Diese armen Kommissäre verlangten nichts sehnlicher, denn sie waren den Grobheiten und Drohungen der Montagnards ausgesetzt, die sie in allen möglichen Saucen frikassieren wollten. Schurkenbande, brüllten sie, jetzt halten wir euch auch einmal! Ihr kommt nicht mehr fort, ihr müßt eure Haut hier lassen! - Bei ihrem Eintritt in das Kabinett des Präfekten glaubten sie, von der Scylla in die Charybdis zu geraten. Der erste, der seinen Fuß auf die Schwelle setzte, schien einen Augenblick zu schwanken. Er wußte nicht recht, sollte er vorwärtsgehn oder zurück, so finster richteten sich alle Blicke auf ihn. Endlich wagte er sich, tat einen Schritt vor und grüßte, noch einen Schritt und grüßte tiefer, einen andern Schritt und grüßte noch tiefer. Jeder machte sein Entree mit tiefen Verbeugungen gegen den schrecklichen Präfekten, der alle diese Huldigungen kalt und schweigend empfing, die Hand gestützt auf den Griff seines Säbels. Die Kommissäre betrachteten diese sonderbare Schaustellung mit glotzigen Augen. Einige, welche der Schrecken verwirrte und welche uns zweifelsohne den Hof machen wollten, fanden das Tableau imposant, majestätisch. - Stille! gebot ein Montagnard mit Grabesstimme. - Als sie alle eingetreten waren, brach Caussidière, der bis dahin stumm und unbeweglich geblieben war, das Schweigen und sagte mit seiner furchtbarsten Stimme:
'Vor acht Tagen habt ihr nichts weniger erwartet, als mich hier an diesem Platz zu finden, umgeben von treuen Freunden. Sie sind also heute eure Gebieter, diese Pappendeckelrepublikaner, wie ihr sie einst nanntet. Ihr zittert vor denen, die ihr mit der unedelsten Behandlung überhäuft habt. Sie, Vassal, waren der niederträchtigste seïde <Fanatiker> der gestürzten Regierung, der heftigste Verfolger der Republikaner, und jetzt sind Sie gefallen in die Hände Ihrer unerbittlichsten Feinde, denn keiner ist hier gegenwärtig, der Ihren Verfolgungen entgangen wäre. Wenn ich auf die gerechten Reklamationen <280> hören wollte, die man an mich richtet, würde ich Repressalien gebrauchen; ich ziehe es vor zu vergessen. Kehrt alle zu euren Funktionen zurück; aber wenn ich jemals erfahre, daß ihr die Hand bietet zu irgendeiner reaktionären Mogelei, werde ich euch wie Ungeziefer zertreten. Geht!'
Die Kommissäre hatten die ganze Stufenleiter des Schreckens durchlaufen, und zufrieden, mit einer Strafpredigt des Präfekten davonzukommen, schoben sie ganz fidel ab. Die Montagnards, die sie unten an der Treppe erwarteten, geleiteten sie mit einem lärmenden Charivari bis an das Ende der Rue de Jerusalem. Kaum war der letzte verschwunden, als wir eine ungeheure Lache aufschlugen. Caussidière strahlte und lachte mehr als alle andern über den herrlichen Streich, den er seinen Kommissären gespielt hatte." Chenu, p. 87-90.
Nach dem 17. März, an dem Caussidière vielen Anteil hatte, sagte er zu Chenu:
"Ich kann nach meinem Belieben die Massen erheben und sie auf die Bourgeoisie stürzen." Chenu, p. 140.
Caussidière brachte es überhaupt nie weiter mit seinen Gegnern, als Bangemachen mit ihnen zu spielen.
Endlich über das Verhältnis Caussidières zu den Montagnards sagt Chenu:
"Wenn ich zu Caussidière von den Exzessen sprach, denen sich seine Leute überließen, seufzte er, aber die Hände waren ihm gebunden. Die größte Zahl hatte sein Leben mitgelebt, er hatte ihr Elend geteilt und ihre Freuden, mehrere hatten ihm Dienste erwiesen. Wenn er sie nicht niederhalten konnte, war dies die Folge seiner eignen Vergangenheit." p. 97.
Wir erinnern unsre Leser, daß diese beiden Bücher geschrieben wurden zur Zeit der Agitation für die Wahlen vom 10. März. Was ihre Wirkung war, geht hervor aus dem Wahlresultat - dem glänzenden Sieg der Roten.
III
"Le socialisme et l'impôt", par Émile de Girardin,
Paris 1850
<"Der Sozialismus und die Steuer", Von Émile de Girardin >
Es gibt zweierlei Arten von Sozialismus, den "guten" Sozialismus und den "schlechten" Sozialismus.
Der schlechte Sozialismus, das ist "der Krieg der Arbeit gegen das Kapital". Auf seine Rechnung fallen alle die Schreckensbilder: gleiche Verteilung der Ländereien, Aufhebung der Familienbande, organisierte Plünderung usw.
<281> Der gute Sozialismus, das ist "die Eintracht von Arbeit und Kapital". In seinem Gefolge befinden sich die Abschaffung der Unwissenheit, die Entfernung der Ursachen des Pauperismus, die Konstitution des Kredits, die Vervielfältigung des Eigentums, die Reform der Steuer, mit einem Wort, "das Regime, das sich am meisten der Vorstellung nähert, die sich der Mensch vom Reich Gottes auf Erden macht".
Man muß sich des guten Sozialismus bedienen, um den schlechten zu ersticken.
"Der Sozialismus hat einen Hebel; dieser Hebel war das Budget. Aber es fehlte ihm ein Stützpunkt, um die Welt aus den Angeln zu heben. Dieser Stützpunkt, die Revolution vom 24. Februar hat ihn gegeben: das allgemeine Stimmrecht."
Die Quelle des Budgets ist die Steuer. Die Wirkung des allgemeinen Stimmrechts auf das Budget soll also seine Wirkung auf die Steuer sein. Und durch diese Wirkung auf die Steuer realisiert sich der "gute" Sozialismus.
"Frankreich kann nicht über 1.200 Millionen Franken jährlicher Steuer zahlen. Wie wollt ihr es anfangen, um die Ausgaben auf diese Summe zu reduzieren?"
"Seit fünfunddreißig Jahren habt ihr dreimal in zwei Charten und eine Konstitution geschrieben, daß alle Franzosen im Verhältnis ihres Vermögens zu den Staatslasten beitragen sollen. Seit fünfunddreißig Jahren ist diese Gleichheit der Steuer eine Lüge ... Betrachten wir uns das französische Steuersystem."
I. Grundsteuer. Die Grundsteuer trifft die Grundeigentümer nicht gleichmäßig:
"Wenn zwei benachbarte Grundstücke dieselbe Katasterschätzung erhalten haben, so zahlen die zwei Grundeigentümer dieselbe Steuer, ohne Unterschied zwischen dem scheinbaren und dem reellen Eigentümer",
d h. dem hypothekenbeladenen und dem hypothekenfreien Eigentümer.
Ferner: Die Grundsteuer steht nicht im Verhältnis zu den Steuern, die auf die übrigen Arten des Eigentums fallen. Als die Nationalversammlung 1790 sie einführte, stand sie unter dem Einfluß der physiokratischen Schule, welche die Erde als die einzige Quelle des Nettoeinkommens betrachtete und daher alle Steuerlast auf die Grundeigentümer wälzte. Die Grundsteuer beruht also auf einem ökonomischen Irrtum. Bei einer gleichen Verteilung der Steuern würden auf den Grundbesitzer 20% seines Einkommens fallen, während er jetzt 53% zahlt.
Endlich sollte die Grundsteuer, ihrer ursprünglichen Bestimmung nach, nur den Eigentümer, nie den Pächter oder den Mieter treffen. Statt dessen trifft sie nach Herrn Girardin stets den Pächter und Mieter.
Hier begeht Herr Girardin einen ökonomischen Irrtum. Entweder ist der Pächter wirklicher Pächter, und dann trifft die Grundsteuer den Eigentümer <282> oder den Konsumenten, aber nie ihn; oder er ist unter dem Schein des Pachtverhältnisses im Grunde nur der Arbeiter des Eigentümers, wie in Irland und häufig in Frankreich, und dann werden die auf den Eigentümer gelegten Steuern immer ihn treffen, sie mögen heißen wie sie wollen.
II. Personal- und Mobiliarsteuer. Der Zweck dieser Steuer, die auch 1790 von der Nationalversammlung dekretiert wurde, war, das mobile Kapital direkt zu treffen. Als Maßstab für die Höhe des Kapitals nahm man die Wohnungsmiete. Die Steuer trifft in Wirklichkeit den Grundeigentümer, den Bauern und den Industriellen, während sie den Rentier nur unbedeutend oder gar nicht beschwert, Sie ist also die völlige Verkehrung der Absichten ihrer Urheber. Ein Millionär kann außerdem in einem Dachkämmerchen mit zwei gebrechlichen Stühlen wohnen - unbillig etc.
III. Tür- und Fenstersteuer. Attentat auf die Gesundheit des Volks. Fiskalmaßregel gegen die Reinheit der Luft und das Tageslicht.
"Beinahe die Hälfte der Wohnungen in Frankreich hat entweder nur eine Tür und kein Fenster oder höchstens eine Tür und ein Fenster."
Diese Steuer wurde den 24. Vendémiaire des Jahres VII (14. Oktober 1799) angenommen aus dringendem Geldbedürfnis, als nur vorübergehende, außerordentliche Maßregel, im Prinzip aber verworfen.
IV. Patentsteuer (Gewerbsteuer). Steuer nicht auf den Gewinn, sondern auf die Ausübung der Industrie. Strafe für die Arbeit. Wo sie den Industriellen treffen soll, trifft sie größtenteils den Konsumenten. Überhaupt handelte es sich bei Auflegung dieser Steuer im Jahr 1791 auch nur um die Befriedigung eines augenblicklichen Geldbedürfnisses.
V. Enregistrement und Stempel. Das droit d'enregistrement stammt von Franz I. her und hatte zunächst keinen fiskalischen Zweck (?). 1790 wurde der Einschreibungszwang für Kontrakte, die das Eigentum betrafen, ausgedehnt und die Gebühr erhöht. Die Steuer ist so eingerichtet, daß Kauf und Verkauf mehr zahlen als Schenkungen und Erbschaften. Der Stempel ist eine rein fiskalische Erfindung, welche gleichmäßig ungleiche Profite trifft.
VI. Getränkesteuer. Inbegriff aller Unbilligkeit, Hemmung der Produktion vexatorisch, die teuerste in der Eintreibung. (Siehe übrigens Heft III: 1848 bis 1849, Folgen des 13. Juni.)
VII. Zölle. Planloser, traditionell akkumulierter Wust von einander widersprechenden, zwecklosen, der Industrie schädlichen Zollsätzen. Z.B. die rohe Baumwolle zahlt in Frankreich per 100 Kilogr. eine Steuer von 22 frs. 50 cts. Passons outre. <Gehen wir weiter>
<283> VIII. Oktroi. Hat nicht einmal den Vorwand, einen nationalen Industriezweig zu schützen. Douane im Innern des Landes. Ursprünglich lokale Armensteuer, jetzt hauptsächlich auf die ärmeren Klassen drückend und ihre Lebensmittel verfälschend. Setzt der nationalen Industrie ebensoviel Barrieren entgegen als es Städte gibt.
Soweit Girardin über die einzelnen Steuern. Der Leser wird bemerkt haben, daß seine Kritik ebenso flach als richtig ist. Sie reduziert sich auf drei Argumente:
1. daß jede Steuer nie die Klasse trifft, die sie in der Absicht der Steueraufleger treffen soll, sondern einer andern Klasse aufgewälzt wird;
2. daß jede temporäre Steuer sich festsetzt und verewigt;
3. daß keine Steuer dem Vermögen proportionell, gerecht, gleichmäßig, billig ist.
Diese allgemein-ökonomischen Einwürfe gegen die bestehenden Steuern wiederholen sich in allen Ländern. Das französische Steuersystem hat aber eine charakteristische Eigentümlichkeit. Wie die Engländer für das öffentliche und Privatrecht, so sind die Franzosen, die sonst überall von allgemeinen Gesichtspunkten aus kodifiziert, vereinfacht und mit der Tradition gebrochen haben, für das Steuersystem das eigentlich historische Volk. Girardin sagt über diesen Punkt:
"In Frankreich leben wir unter der Herrschaft fast aller fiskalischen Prozeduren des alten Regimes. Taille, Kopfsteuer, Aide, Douanen, Salzsteuer, Steuer auf die Kontrolle, Insinuationen, Greffe, Tabaksmonopol, übertriebne Profite auf den Postdienst und Pulververkauf, Lotterie, Gemeinde- oder Staatsfronden, Einquartierung, Oktrois, Fluß- und Straßenzölle, außerordentliche Auflagen - alles das hat seinen Namen verändern können, aber alles das besteht der Sache nach fort und ist weder minder drückend für das Volk noch mehr produktiv für den Staatsschatz geworden. Unser Finanzsystem beruht auf durchaus keiner wissenschaftlichen Basis. Es reflektiert einzig und allein die Überlieferungen des Mittelalters, welche selbst wieder die Hinterlassenschaft der unwissenden und raubgierigen römischen Fiskalität sind."
Dennoch haben unsre Väter schon in der Nationalversammlung der ersten Revolution gerufen:
"Wir haben die Revolution nur gemacht, um die Steuer in unsre Hand zu bekommen."
Aber wenn dieser Zustand fortdauern konnte unter dem Kaiserreich, unter der Restauration, unter der Julimonarchie, jetzt hat seine Stunde geschlagen:
"Die Abschaffung des Wahlprivilegiums zieht notwendig nach sich die Abschaffung jeder fiskalischen Ungleichheit. Es ist also durchaus keine Zeit zu verlieren, um die <284> Finanzreform in Angriff zu nehmen, wenn nicht die Gewalt an die Stelle der Wissenschaft treten soll ... Die Steuer ist beinahe die einzige Grundlage, auf der unsre Gesellschaft beruht ... Man sucht sehr in der Ferne und sehr in der Höhe die sozialen und politischen Reformen; die wichtigsten sind enthalten in der Steuer. Suchet hier, so werdet ihr finden."
Was finden wir nun?
"Wie wir die Steuer begreifen, soll die Steuer eine Assekuranzprämie sein, bezahlt durch die, welche besitzen, um sich zu versichern gegen alle Risikos, welche sie in ihren Besitz und ihrem Genuß stören könnten ... Diese Prämie muß proportionell sein und von einer strengen Genauigkeit. Jede Steuer, welche nicht die Garantie für ein Risiko ist, der Preis für eine Ware oder das Äquivalent für eine Dienstleistung, muß aufgegeben werden - wir lassen nur zwei Ausnahmen zu: Steuer auf das Ausland (Douane) und Steuer auf den Tod (Enregistrement) ... So tritt an die Stelle des Steuerpflichtigen der Assekurierte ... Jeder, der ein Interesse hat zu zahlen, zahlt und zahlt nur nach dem Maß seines Interesses ... Wir gehn noch weiter und sagen: Jede Steuer verdammt sich schon dadurch, daß sie den Namen Steuer, Auflage trägt. Jede Steuer muß abgeschafft werden, denn das Eigentümliche der Steuer ist, gezwungen zu sein, der Charakter der Assekuranz ist, freiwillig zu sein."
Man muß diese Assekuranzprämie nicht mit einer Steuer auf das Einkommen verwechseln; sie ist vielmehr eine Steuer auf das Kapital, wie denn die Assekuranzprämie nicht das Einkommen garantiert, sondern den ganzen Stock des Vermögens. Der Staat macht es gerade wie die Assekuranzkompanien, die von der versicherten Sache wissen wollen, nicht was sie einbringt, sondern was sie wert ist.
"Das französische Nationalvermögen wird auf ein Aktivum von 134 Milliarden geschätzt, wovon ein Passivum von 28 Milliarden abzuziehen ist. Wenn das Ausgabebudget auf 1.200 Millionen reduziert wird, wäre also bloß 1% vom Kapital zu erheben, um den Staat auf die Höhe einer kolossalen wechselseitigen Assekuranzkompanie zu bringen."
Von diesem Moment an - "keine Revolution mehr"!
"An die Stelle des Worts Autorität tritt das Wort Solidarität; das gemeinschaftliche Interesse wird zum Band der Gesellschaftsmitglieder."
Herr Girardin begnügt sich nicht mit diesem allgemeinen Vorschlag, sondern gibt uns zugleich das Schema einer Assekuranzpolice oder Inskription, wie sie jeder Bürger vom Staat ausgestellt erhalten soll.
Jedes Jahr gibt der frühere Steuereinnehmer dem Versicherten eine Police, die "aus vier Seiten von der Größe eines Passes" besteht. Auf der ersten Seite befindet sich der Name des Versicherten mit seiner Immatrikulations- <285> nummer, nebst dem Schema für die Quittungen der Prämienraten. Auf der zweiten Seite befindet sich die genaue Personalbeschreibung des Versicherten und seiner Familie, nebst der richtig zertifizierten detaillierten Selbsteinschätzung seines Gesamtvermögens; auf der dritten Seite das Staatsbudget nebst einer Generalbilanz von Frankreich und auf der vierten allerlei mehr oder weniger nützliche statistische Nachrichten. Diese Police dient als Paß, als Wahlkarte, als Wanderbuch für Arbeiter usw. Die Register über diese Policen dienen dem Staat wieder zur Anfertigung der vier großen Bücher, des großen Buchs der Bevölkerung, des großen Buchs des Eigentums, des großen Buchs der öffentlichen Schuld und des großen Buchs der Hypothekarschuld, welche zusammen eine vollständige Statistik über alle Ressourcen Frankreichs enthalten.
Die Steuer ist also nur mehr die Prämie, welche der Versicherte zahlt, um zur Teilnahme an folgenden Vorteilen zugelassen zu werden: 1. Recht auf öffentlichen Schutz, auf unentgeltliche Rechtspflege, unentgeltliche Religionsübung, unentgeltlichen Unterricht, Kredit auf Unterpfand, Sparkassenpension; 2. Entbindung von der Militärpflicht in Friedenszeit; 3. Bewahrung vor dem Elend; 4. Entschädigung bei Verlusten durch Feuersbrunst, Überschwemmungen, Hagelschlag, Viehseuchen, Schiffbruch.
Wir bemerken noch, daß Herr Girardin die Entschädigungsgelder, die der Staat bei Verlusten der Versicherten zu zahlen hat, durch verschiedne Geldstrafen etc., durch den Ertrag der Nationaldomänen und der beibehaltenen Enregistrements- und Douanengebühren sowie der Staatsmonopole decken will.
Die Steuerreform ist das Steckenpferd aller radikalen Bourgeois, das spezifische Element aller bürgerlich-ökonomischen Reformen. Von den ältesten mittelalterlichen Spießbürgern bis zu den modernen englischen Freetradern dreht sich der Hauptkampf um die Steuern.
Die Steuerreform bezweckt entweder Abschaffung traditionell überkommener Steuern, die der Entwickelung der Industrie im Wege stehn, wohlfeileren Staatshaushalt oder gleichmäßigere Verteilung. Der Bourgeois jagt dem chimärischen Ideal der gleichen Steuerverteilung um so eifriger nach, je mehr es in der Praxis seinen Händen entschwindet.
Die Distributionsverhältnisse; die unmittelbar auf der bürgerlichen Produktion beruhen, die Verhältnisse zwischen Arbeitslohn und Profit, Profit und Zins, Grundrente und Profit, können durch die Steuer höchstens in Nebenpunkten modifiziert, nie aber in ihrer Grundlage bedroht werden. Alle Untersuchungen und Debatten über die Steuer setzen den ewigen Bestand dieser bürgerlichen Verhältnisse voraus. Selbst die Aufhebung der Steuern <286> könnte die Entwicklung des bürgerlichen Eigentums und seiner Widersprüche nur beschleunigen.
Die Steuer kann einzelne Klassen bevorzugen und andre besonders drücken, wie wir dies z.B. unter der Herrschaft der Finanzaristokratie sehn. Sie ruiniert nur die Mittelschichten der Gesellschaft zwischen Bourgeoisie und Proletariat, deren Stellung nicht erlaubt, die Last der Steuer einer andern Klasse zuzuwälzen.
Das Proletariat wird durch jede neue Steuer eine Stufe tiefer herabgedrückt; die Abschaffung einer alten Steuer erhöht nicht den Arbeitslohn, sondern den Profit. In der Revolution kann die zu kolossalen Proportionen geschwellte Steuer als eine Form des Angriffs gegen das Privateigentum dienen; aber selbst dann muß sie zu neuen, revolutionären Maßregeln weitertreiben oder schließlich auf die alten bürgerlichen Verhältnisse zurückführen.
Die Verminderung, die billigere Verteilung etc. etc. der Steuer, das ist die banale bürgerliche Reform. Die Abschaffung der Steuer, das ist der bürgerliche Sozialismus. Dieser bürgerliche Sozialismus wendet sich namentlich an die industriellen und kommerziellen Mittelstände und an die Bauern. Die große Bourgeoisie, die schon jetzt in ihrer besten Welt lebt, verschmäht natürlich die Utopie einer besten Welt.
Herr Girardin schafft die Steuer ab, indem er sie in eine Assekuranzprämie verwandelt. Die Mitglieder der Gesellschaft versichern sich wechselseitig, gegen Zahlung gewisser Prozente, ihr Vermögen gegen Feuerschaden und Wassernot, gegen Hagelschlag und Bankerutt, gegen alle nur möglichen Risikos, die heutzutage die Ruhe des bürgerlichen Genießens stören. Der jährliche Beitrag wird nicht nur durch sämtliche Versicherte festgesetzt, er wird von jedem einzelnen selbst bestimmt. Er selbst schätzt sein Vermögen. Die Handels- und Ackerbaukrisen, die massenhaften Verluste und Falliten, die sämtlichen Schwankungen und Wechselfälle der bürgerlichen Existenz, epidemisch seit der Einführung der modernen Industrie, die ganze poetische Seite der bürgerlichen Gesellschaft verschwindet. Die allgemeine Sicherheit und Versicherung realisiert sich. Der Bürger hat es schriftlich vom Staat, daß er unter keinen Umständen ruiniert werden kann. Alle Schattenseiten der bestehenden Welt sind entfernt, alle ihre Lichtseiten bestehn in höherem Glanze fort, kurz, das Regime ist realisiert, "das sich am meisten der Vorstellung nähert, die sich der Bürger vom Reich Gottes auf Erden macht". Statt der Autorität, die Solidarität; statt des Zwangs, die Freiheit; statt des Staats, ein Verwaltungsausschuß - und das Ei des Kolumbus ist gefunden, der mathematisch genaue Beitrag jedes "Versicherten" nach seinem Vermögen. Jeder "Versicherte" trägt einen vollständigen konstitutionellen Staat, ein ausgebil- <287> detes Zweikammersystem in seiner Brust. Die Besorgnis, dem Staat zuviel zu zahlen, die bürgerliche Opposition der Deputiertenkammer, treibt ihn, sein Vermögen zu niedrig anzugeben. Das Interesse an der Erhaltung seines Besitzes, das konservative Element der Pairskammer, macht ihn geneigt, es zu überschätzen. Aus dem konstitutionellen Spiel dieser entgegengesetzten Richtungen geht notwendig das wahre Gleichgewicht der Gewalten hervor, die genau-richtige Angabe des Vermögens, die exakte Verhältnismäßigkeit des Beitrags.
Jener Römer wünschte, sein Haus möchte von Glas sein, damit jede seiner Handlungen vor aller Augen offen daliege. Der Bürger wünscht nicht, daß sein Haus, sondern das seines Nachbarn von Glas sei. Auch dieser Wunsch wird erfüllt. Zum Beispiel: Ein Bürger will Vorschüsse von mir haben oder sich mit mir assoziieren. Ich fordere seine Police, und in ihr habe ich seine vollständige detaillierte Beichte über alle seine bürgerlichen Verhältnisse, garantiert durch sein wohlverstandnes Interesse und kontrasigniert vom Verwaltungsrat der Assekuranz. Ein Bettler klopft an meine Tür und verlangt ein Almosen. Heraus mit der Police. Der Bürger muß wissen, daß er sein Almosen an den rechten Mann bringt. Man nimmt einen Domestiken, man führt ihn bei sich ein, man überliefert sich ihm auf den Zufall hin: Heraus mit der Police!
"Wieviel Ehen werden geschlossen, ohne daß man von der einen und der andern Seite genau weiß, woran sich halten über die Realität des Zugebrachten oder die wechselseitig übertriebnen Erwartungen":
Heraus mit der Police!
Der Austausch der schönen Seelen wird sich in Zukunft beschränken auf den Austausch der beiderseitigen Policen. So verschwindet die Prellerei, die heutzutage den Genuß und die Pein des Lebens bildet, und das Reich der Wahrheit im eigentlichen Sinne des Worts verwirklicht sich. Noch mehr:
"In dem gegenwärtigen System kosten die Gerichte dem Staat an 7 1/2 Millionen, in unserm System bringen die Vergehen ihm ein, statt ihm zu kosten, denn sie verwandeln sich alle in Geldbußen und in Schadenersatz - welche Idee!"
In dieser besten Welt ist alles profitlich: Die Verbrechen vergehen, und die Vergehen bringen Geld ein. Endlich, da in diesem System das Eigentum gegen alle Risikos geschützt und der Staat nur noch eine allgemeine Assekuranz aller Interessen ist, so sind die Arbeiter stets beschäftigt: "Keine Revolutionen mehr!"
Wenn das nicht gut für den Bürger ist,
Dann weiß ich nicht, was besser ist!
Der bürgerliche Staat ist weiter nichts als eine wechselseitige Assekuranz der Bourgeoisklasse gegen ihre einzelnen Mitglieder wie gegen die exploitierte Klasse, eine Assekuranz, die immer kostspieliger und scheinbar immer selbständiger gegenüber der bürgerlichen Gesellschaft werden muß, weil die Niederhaltung der exploitierten Klasse immer schwieriger wird. Die Veränderung des Namens ändert nicht das mindeste an den Bedingungen dieser Assekuranz. Die scheinbare Selbständigkeit, die Herr Girardin den einzelnen gegenüber der Assekuranz einen Augenblick zuschreibt, muß er selbst sogleich wieder aufgeben. Wer sein Vermögen zu niedrig taxiert, verfällt in Strafe: Die Assekuranzkasse kauft ihm sein Eigentum zum angegebenen Wert ab und provoziert sogar durch Belohnungen die Denunziation. Noch mehr:
Wer sein Vermögen lieber gar nicht versichert, wird außerhalb der Gesellschaft stehend, wird direkt vogelfrei erklärt. Die Gesellschaft kann natürlich nicht dulden, daß sich in ihr eine Klasse bildet, die sich gegen ihre Existenzbedingungen auflehnt. Der Zwang, die Autorität, die bürokratische Einmischung, die Girardin gerade entfernen will, kehren wieder in die Gesellschaft ein. Wenn er einen Augenblick von den Bedingungen der bürgerlichen Gesellschaft abstrahiert hat, so geschah es nur, um auf einem Umweg zu ihnen zurückzukommen.
Hinter der Abschaffung der Steuer verbirgt sich die Abschaffung des Staats. Die Abschaffung des Staats hat nur einen Sinn bei den Kommunisten als notwendiges Resultat der Abschaffung der Klassen, mit denen von selbst das Bedürfnis der organisierten Macht einer Klasse zur Niederhaltung der andern wegfällt. In bürgerlichen Ländern bedeutet die Abschaffung des Staats die Zurückführung der Staatsgewalt auf den Maßstab von Nordamerika. Hier sind die Klassengegensätze nur unvollständig entwickelt; die Klassenkollisionen werden jedesmal vertuscht durch den Abzug der proletarischen Überbevölkerung nach dem Westen; das Einschreiten der Staatsmacht, im Osten auf ein Minimum reduziert, existiert im Westen gar nicht. In feudalen Ländern bedeutet die Abschaffung des Staats die Abschaffung des Feudalismus und die Herstellung des gewöhnlichen bürgerlichen Staats. In Deutschland verbirgt sich hinter ihr entweder die feige Flucht aus den unmittelbar vorlegenden Kämpfen, die überschwengliche Verschwindelung der bürgerlichen Freiheit zur absoluten Unabhängigkeit und Selbständigkeit des einzelnen oder endlich die Gleichgültigkeit des Bürgers gegen jede Staatsform, vorausgesetzt, daß die bürgerlichen Interessen in ihrer Entwicklung nicht gehemmt werden. Daß diese Abschaffung des Staats "im höheren Sinn" in so <289> alberner Weise gepredigt wird, dafür können natürlich die Berliner Stirner und Faucher nicht. La plus belle fille de la France ne peut donner que ce qu'elle a. <Das schönste Mädchen Frankreichs kann nur das geben, was es hat.>
Was von der Assekuranzkompanie des Herrn Girardin übrigbleibt, ist die Steuer auf das Kapital im Unterschied von der Steuer auf das Einkommen und an der Stelle aller übrigen Steuern. Das Kapital des Herrn Girardin beschränkt sich nicht auf das in der Produktion beschäftigte Kapital, es umfaßt alles bewegliche und unbewegliche Hab und Gut. Von dieser Steuer auf das Kapital rühmt er:
"Sie ist das Ei des Kolumbus, sie ist die Pyramide, die auf der Basis steht und nicht auf der Spitze, der Strom, der sein eignes Bett gräbt, die Revolution ohne die Revolutionäre, der Fortschritt ohne den Rückschritt, die Bewegung ohne Stoß, sie ist endlich die einfache Idee und das wahre Gesetz".
Von allen marktschreierischen Reklamen, die Herr Girardin je gemacht hat - und ihre Zahl ist bekanntlich Legion -, ist dieser Prospektus der Kapital-Steuer jedenfalls das Meisterstück.
Übrigens hat die Steuer auf das Kapital als einzige Steuer ihre Vorzüge. Alle Ökonomen, namentlich Ricardo, haben die Vorteile einer einzigen Steuer nachgewiesen. Die Kapitalsteuer als einzige Steuer beseitigt mit einem Schlage das zahlreiche und kostspielige Personal der bisherigen Steuerverwaltung, greift am wenigsten ein in den regelmäßigen Gang der Produktion, Zirkulation und Konsumtion und trifft allein von allen Steuern das Luxuskapital.
Aber darauf beschränkt sich bei Herrn Girardin die Kapitalsteuer nicht. Sie hat noch ganz besondre Gnadenwirkungen.
Kapitalien von gleicher Größe werden gleiche Steuerprozente an den Staat zahlen müssen, gleichviel ob sie 6%, 3% oder gar kein Einkommen tragen, Die Folge davon ist, daß die untätigen Kapitalien in Tätigkeit gesetzt werden, also die Masse der produktiven Kapitalien vermehren und daß die schon tätigen sich noch mehr anstrengen, d.h. in weniger Zeit mehr produzieren. Das Resultat von beidem ist der Fall des Profits und des Zinsfußes. Herr Girardin dagegen behauptet, daß dann Profit und Zins steigen werden - ein wahres ökonomisches Wunder. Die Verwandlung unproduktiver Kapitalien in produktive und die wachsende Produktivität der Kapitalien überhaupt hat den Lauf der industriellen Entwicklung der Krisen vermehrt und gesteigert und den Profit und Zinsfuß herabgedrückt. Die Kapitalsteuer kann <290> nur diesen Prozeß beschleunigen, die Krisen verschärfen und damit die Anhäufung revolutionärer Elemente vermehren. - "Keine Revolutionen mehr!"
Eine zweite wundertätige Wirkung der Kapitalsteuer ist nach Herrn Girardin, daß sie die Kapitalien von wenig einträglichem Grund und Boden zur einträglicheren Industrie hinüberziehn, die Bodenpreise zum Fallen bringen, die Konzentrierung des Grundbesitzes, die große englische Kultur und damit die ganze entwickelte englische Industrie nach Frankreich verpflanzen würde. Abgesehn davon, daß dazu die übrigen Bedingungen der englischen Industrie ebenfalls nach Frankreich einwandern müßten, begeht Herr Girardin hier ganz eigentümliche Irrtümer. In Frankreich leidet der Ackerbau nicht am Überfluß, sondern am Mangel an Kapital. Nicht durch Wegziehn des Kapitals vom Ackerbau, sondern im Gegenteil durch Hinüberwerfen des industriellen Kapitals auf den Grund und Boden ist die englische Konzentration und der englische Ackerbau zustande gekommen. Der Bodenpreis in England ist bei weitem höher als in Frankreich; der Gesamtwert des englischen Grundes und Bodens ist fast so hoch wie der ganze französische Nationalreichtum nach Girardins Schätzung. Der Bodenpreis in Frankreich müßte mit der Konzentrierung also nicht nur nicht fallen, er müßte im Gegenteil steigen. Die Konzentration des Grundeigentums in England hat ferner ganze Generationen der Bevölkerung vollständig weggeschwemmt. Dieselbe Konzentration, zu der die Kapitalsteuer durch schnelleren Ruin der Bauern allerdings beitragen muß, würde in Frankreich diese große Masse der Bauern in die Städte treiben und die Revolution nur um so unvermeidlicher machen. Und endlich, wenn in Frankreich die Umkehr aus der Parzellierung zur Konzentration schon angefangen hat, so geht in England das große Grundeigentum mit Riesenschritten seiner abermaligen Zerschlagung entgegen und beweist unwiderleglich, wie der Ackerbau sich fortwährend in diesem Kreislauf von Konzentrierung und Zersplitterung des Bodens bewegen muß, solange die bürgerlichen Verhältnisse überhaupt fortbestehn.
Genug von diesen Wundern. Kommen wir zum Kredit auf Unterpfand. Der Kredit gegen Unterpfand wird zunächst nur dem Grundbesitz eröffnet. Der Staat gibt Hypothekarscheine aus, die ganz den Banknoten entsprechen, nur daß nicht bares Geld oder Barren, sondern der Grund und Boden die Garantie dafür bildet. Diese Hypothekenscheine werden den verschuldeten Bauern zu 4% vom Staat vorgeschossen, um damit ihre Hypothekengläubiger zu befriedigen; statt des Privatgläubigers hat nun der Staat Hypothek auf das Grundstück und konsolidiert die Schuld, so daß er sie nie zurückfordern kann. Die gesamte Hypothekarschuld in Frankreich beläuft sich auf 14 Milliarden. Girardin rechnet zwar nur auf die Ausgabe von 5 Mil- <291>
liarden Hypothekenscheine; aber die Vermehrung des Papiergelds um eine solche Summe würde hinreichen, nicht um das Kapital wohlfeiler zu machen, sondern um das Papiergeld vollständig zu entwerten. Dabei wagt Girardin nicht, diesem neuen Papier Zwangskurs zu geben. Um die Entwertung zu vermeiden, schlägt er den Inhabern dieser Scheine vor, sie gegen 3%-Staatsschuldscheine al pari <zum Nennwert> umzutauschen. Das Ende von der Transaktion ist also dies: Der Bauer, der früher 5% Zinsen und 1% Umschreibe-, Erneuerungs- etc. Gebühr zahlte, zahlt nur noch 4%, gewinnt also 2%; der Staat leiht zu 3% an und leiht zu 4% aus, gewinnt also 1%; der Exhypothekargläubiger, der früher 5% erhielt, wird durch die drohende Entwertung der Hypothekenscheine gezwungen, die ihm vom Staat gebotenen 3% dankbar
anzunehmen; er verliert also 2%. Außerdem braucht der Bauer seine Schuld nicht zu zahlen und kann der Gläubiger seine Forderung an den Staat nie eintreiben. Das Geschäft läuft also hinaus auf eine direkte, durch die Hypothekenscheine schlecht verhüllte Beraubung der Hypothekargläubiger um 2% aus 5. Das einzige Mal also, wo Herr Girardin, außer der Steuer, die gesellschaftlichen Verhältnisse selbst verändern will, ist er zu einem direkten Angriff auf das Privateigentum gezwungen, muß er revolutionär werden und seine ganze Utopie aufgeben. Und dieser Angriff rührt nicht einmal von ihm her. Er hat ihn von den deutschen Kommunisten entlehnt, die nach der Februarrevolution zuerst die Verwandlung der Hypothekarschuld in eine Schuld an den Staat forderten, freilich in ganz andrer Weise wie Herr Girardin, der sogar dagegen auftrat. Es ist bezeichnend, daß das einzige Mal, wo Herr Girardin eine einigermaßen revolutionäre Maßregel vorschlägt, er nicht den Mut hat, etwas andres als ein Palliativ aufzustellen, das die Entwicklung der Parzellierung in Frankreich nur chronischer machen, um nur einige Dezennien zurückschrauben kann, um schließlich wieder den heutigen Stand herbeizuführen.
Das einzige, was der Leser in der ganzen Darstellung Girardins vermißt haben wird, sind die Arbeiter. Aber der bürgerliche Sozialismus unterstellt ja überall, daß die Gesellschaft aus lauter Kapitalisten besteht, um nachher, von diesem Standpunkt aus, die Frage zwischen Kapital und Lohnarbeit lösen zu können.