Karl Marx/Friedrich Engels - Werke. (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 7, 5. Auflage 1973, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1960, Berlin/DDR. S. 198-212.
Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 7, S.
198-212
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1960
I
G. Fr. Daumer, "Die Religion des neuen Weltalters.
Versuch einer
combinatorisch-aphoristischen Grundlegung",
2 Bde., Hamburg 1850
<198> "Ein sonst sehr freisinniger fürs Neue gar nicht unempfänglicher Mann zu Nürnberg warf auf das demokratische Treiben einen ungeheuren Haß. Den Ronge verehrte er und hatte sein Bild im Zimmer hangen. Als er aber hörte, daß sich derselbe zu den Demokraten halte, hängte er das Bild in den Abtritt. Er sagte einmal: O wenn wir doch unter der russischen Knute lebten, wie glücklich würde ich mich fühlen! Er ist während der Unruhen gestorben, und ich vermute, daß ihn, wiewohl er schon alt war, bloß der Unmut und Gram über den Gang der Dinge ins Grab gebracht." II. Bd. pag. 321, 322.
Wenn dieser beklagenswerte Nürnberger Spießbürger statt zu sterben, seine Gedankenspäne aus dem "Correspondenten von und für Deutschland", aus Schiller und Goethe, aus alten Schulbüchern und neuen Leihbibliotheksmaterialien zusammengestoppelt hätte, hätte er sich den Tod erspart und Herrn Daumer seine sauer erarbeiteten zwei Bände "combinatorisch-aphoristischer Grundlegung". Uns wäre dann freilich nicht die erbauliche Gelegenheit geworden, mit der "Religion des neuen Weltalters" gleichzeitig ihren ersten Märtyrer kennenzulernen.
Das Werk des Herrn Daumer teilt sich in zwei Teile, einen "vorläufigen" und einen "eigentlichen". In dem vorläufigen Teil spricht der treue Eckart der deutschen Philosophie seine tiefe Bekümmernis darüber aus, daß selbst die denkenden und gebildeten Deutschen seit zwei Jahren sich haben verleiten lassen, die unschätzbaren Errungenschaften des Gedankens aufzugeben für die bloß "äußerliche" revolutionäre Tätigkeit. Er hält den jetzigen Moment für geeignet, nochmals an das bessere Gefühl der Nation zu appellieren; <199> er weist darauf hin, was es auf sich habe, die ganze deutsche Bildung, durch die allein der deutsche Bürger noch etwas war, so leichtfertig fahrenzulassen. Er stellt den ganzen Inhalt der deutschen Bildung in den kräftigsten Kernsprüchen zusammen, die das Schatzkästlein seiner Belesenheit bietet, und kompromittiert dadurch diese deutsche Bildung nicht minder als die deutsche Philosophie. Seine Blumenlese der erhabensten Produkte deutschen Geistes übertrifft an Plattheit und Trivialität selbst das ordinärste Lesebuch für Töchter gebildeter Stände. Von den spießbürgerlichen Ausfällen Goethes und Schillers gegen die erste französische Revolution, von dem klassischen: "Gefährlich ist's, den Leu zu wecken" an bis auf die neueste Literatur herab jagt der Hohepriester der neuen Religion emsig jeder Stelle nach, worin der deutsche Zopf mit schläfrigem Mißbehagen sich gegen die ihm widerwärtige geschichtliche Bewegung steift. Autoritäten von der Force eines Friedrich Raumer, Berthold Auerbach, Lochner, Moriz Carrière, Alfred Meißner, Krug, Dingelstedt, Ronge, "Nürnberger Bote", Max Waldau, Sternberg, German Mäurer, Louise Aston, Eckermann, Noack, "Blätter für literarische Unterhaltung", A. Kunze, Ghillany, Th. Mundt, Saphir, Gutzkow, eine "geborne Gatterer" etc. sind die Säulen, auf welchen der Tempel der neuen Religion ruht. Die revolutionäre Bewegung, wogegen hier ein so vielstimmiges Anathema ausgesprochen wird, beschränkt sich für Herrn Daumer einerseits auf die banalste Kannengießerei, wie sie in Nürnberg unter den Auspizien des "Correspondenten von und für Deutschland" an der Tagesordnung ist, und andrerseits auf Pöbelexzesse, von denen Herr Daumer die abenteuerlichste Vorstellung hegt. Die Quellen, woraus hier geschöpft wird, reihen sich den obigen würdig an: Neben dem mehrerwähnten Nürnberger "Correspondenten" figurieren die "Bamberger Zeitung", die Münchner "Landbotin", die Augsburger "Allgemeine Zeitung" usw. Dieselbe spießbürgerliche Gemeinheit, die den Proletarier stets nur als wüsten, verkommenen Lumpen kennt und sich bei den Pariser Junimassacres von 1848, wo über 3.000 dieser "Lumpen" niedergemetzelt wurden, zufrieden die Hände reibt, dieselbe Gemeinheit entrüstet sich über den Spott, dem die gemütlichen Vereine gegen Tierquälerei erlegen sind.
"Die schauderhaften Qualen", ruft Herr Daumer pag. 293, I. Bd. aus, "die das unglückliche Tier unter der grausamen Tyrannenhand des Menschen erduldet, sind diesen Barbaren ein 'Dreck', um den man sich nicht bekümmern soll!"
Der ganze moderne Klassenkampf erscheint Herrn Daumer nur als ein Kampf der "Roheit" gegen die "Bildung". Statt ihn aus den historischen Bedingungen dieser Klassen zu erklären, findet er seine Ursache im wühlerischen <200> Treiben einiger Böswilligen, die die niedern Begierden des Pöbels gegen die gebildeten Stände aufhetzen.
"Dieser demokratische Reformatismus ... reizt den Neid, den Grimm, die Raubgier der untern Klassen der Gesellschaft gegen die höheren auf; ein saubres Mittel, den Menschen edler und besser zu machen und eine höhere Kulturstufe zu gründen." I. Bd. pag. 288/289.
Herr Daumer kennt nicht einmal die Kämpfe "der unteren Klassen der Gesellschaft gegen die höheren", die es gekostet hat, selbst nur eine Nürnberger "Kulturstufe" herbeizuführen und einen Molochsfänger à la Daumer möglich zu machen.
Der zweite "eigentliche" Teil enthält nun die positive Seite der neuen Religion. Hier spricht sich der ganze Ärger des deutschen Philosophen über die Vergessenheit [aus], worin seine Kämpfe gegen das Christentum geraten sind, über die Gleichgültigkeit des Volks gegen die Religion, den einzigen der Betrachtung des Philosophen würdigen Gegenstand. Um sein durch die Konkurrenz beseitigtes Handwerk wieder zu Ehren zu bringen, bleibt unserm Weltweisen nichts andres übrig, nachdem er gegen die alte Religion hinlänglich angebellt hat, als eine neue Religion zu erfinden. Diese neue Religion aber beschränkt sich, im angemessenen Verfolg des ersten Teils, auf eine fortgesetzte Blumenlese der Sentenzen, Stammbuchverse und versus memoriales <Gedenkverse> der deutschen Spießbürgerbildung. Die Suren des neuen Koran sind nichts als eine Reihe von Phrasen, in denen die bestehenden deutschen Verhältnisse moralisch beschönigt und poetisch verbrämt werden. Phrasen, die darum nicht minder mit der alten Religion verwachsen sind, weil sie die unmittelbar religiöse Form abgestreift haben.
"Ganz neue Weltzustände und Weltverhältnisse können nur durch neue Religionen entstehn. Zu Beispielen und Beweisen dessen, was Religionen vermögen, können das Christentum und der Islam, zu einem sehr einleuchtenden und fühlbaren Belege der Ohnmacht und Resultatlosigkeit, an der die abstrakte, ausschließliche Politik leidet, die im Jahr 1848 ins Werk gesetzten Bewegungen dienen." I. Bd. pag. 313.
In diesem inhaltsvollen Satz tritt uns gleich die ganze Flachheit und Unwissenheit des deutschen "Denkers" entgegen, der die kleinen deutschen und speziell bayrischen "Märzerrungenschaften" für die europäische Bewegung von 1848 und 49 ansieht und der von den ersten selbst noch sehr oberflächlichen Eruptionen einer sich allmählich herausarbeitenden und konzentrierenden großen Revolution verlangt, daß sie schon "ganz neue Weltzustände und <201> Weltverhältnisse hervorbringen sollen. Der ganze verwickelte soziale Kampf, der zwischen Paris und Debreczin, Berlin und Palermo in den letzten zwei Jahren zu seinen ersten Tirailleurgefechten kam, beschränkt sich für den Weltweisen Daumer darauf, daß "im Januar 1849 die Hoffnungen der kontitutionellen Vereine von Erlangen in unabsehbare Ferne gerückt sind" (I. pag. 312), und auf die Furcht vor einem neuen Kampf, der Herrn Daumer noch einmal in seinen Beschäftigungen mit Hafis, Mohammed und Berthold Auerbach unangenehm aufscheuchen könnte.
Dieselbe schamlose Seichtigkeit macht es Herrn Daumer möglich, total zu ignorieren, daß dem Christentum das vollständige Zusammenbrechen der antiken "Weltzustände" vorherging, dessen bloßer Ausdruck das Christentum war; daß "ganz neue Weltzustände" nicht durch das Christentum von innen heraus entstanden, sondern erst dann, als die Hunnen und Germanen "äußerlich" über die Leiche des römischen Reichs herfielen; daß nach der germanischen Invasion nicht die "neuen Weltzustände" sich nach dem Christentum richteten, sondern das Christentum mit jeder neuen Phase dieser Weltzustände sich ebenfalls veränderte. Herr Daumer möge uns übrigens ein Exempel angeben, wo mit einer neuen Religion die alten Weltzustände sich veränderten, ohne daß zugleich die gewaltigsten "äußerlichen" und abstrakt politischen Konvulsionen eintraten.
Es ist klar, daß mit jeder großen historischen Umwälzung der gesellschaftlichen Zustände auch zugleich die Anschauungen und Vorstellungen der Menschen und damit ihre religiösen Vorstellungen umgewälzt werden. Der Unterschied der gegenwärtigen Umwälzung von allen früheren besteht aber gerade darin, daß man endlich hinter das Geheimnis dieses historischen Umwälzungsprozesses gekommen ist und daher, statt sich diesen praktischen, "äußerlichen" Prozeß unter der überschwenglichen Form einer neuen Religion abermals zu verhimmeln, alle Religion abstreift.
Nach den sanften Sittenlehren der neuen Weltweisheit, die insofern sogar über Knigge stehn, daß sie nicht nur über den Umgang mit Menschen, sondern auch über den Umgang mit Tieren das Nötige enthalten - nach den Sprüchen Salomonis kommt das Hohelied des neuen Salomo.
"Natur und Weib sind das wahrhaft Göttliche im Unterschiede von Mensch und Mann ... Hingebung des Menschlichen an das Natürliche, des Männlichen an das Weibliche ist die echte, die allein wahre Demut und Selbstentäußerung, die höchste, ja einzige Tugend und Frömmigkeit, die es gibt." II. Bd. p. 257.
Wir sehen hier, wie die seichte Unwissenheit des spekulierenden Religionsstifters sich in eine sehr prononcierte Feigheit verwandelt. Herr Daumer <202> flüchtet sich vor der geschichtlichen Tragödie, die ihm drohend zu nahe rückt, in die angebliche Natur, d.h. in die blöde Bauernidylle, und predigt den Kultus des Weibes, um seine eigene weibische Resignation zu bemänteln.
Der Naturkultus des Herrn Daumer ist übrigens eigner Art. Es ist ihm gelungen, selbst gegenüber dem Christentum reaktionär aufzutreten. Er versucht die alte vorchristliche Naturreligion in modernisierter Form herzustellen. Dabei bringt er es freilich nur zu einer christlich-germanisch-patriarchalischen Naturfaselei, die sich z.B. folgendermaßen ausspricht:
"Süße, heilige Natur,
Laß mich geh'n auf deiner Spur,
Leite mich an deiner Hand,
Wie ein Kind am Gängelband!"
"Dergleichen ist aus der Mode gekommen; aber nicht zum Vorteil der Bildung, des Fortschritts und der menschlichen Glückseligkeit." II. Bd. p. 157.
Der Naturkultus beschränkt sich, wie wir sehen, auf die sonntäglichen Spaziergänge des Kleinstädters, der seine kindliche Verwunderung darüber zu erkennen gibt, daß der Kuckuck seine Eier in fremde Nester legt (II. Bd. p. 40), daß die Tränen die Bestimmung haben, die Oberfläche des Auges feucht zu erhalten (II. Bd. p. 73) etc., und der schließlich seinen Kindern mit heiligen Schauern Klopstocks Frühlingsode vordeklamiert (II. Bd. p. 23 ff.). Von der modernen Naturwissenschaft, die in Verbindung mit der modernen Industrie die ganze Natur revolutioniert und neben andern Kindereien auch dem kindischen Verhalten der Menschen zur Natur ein Ende macht, ist natürlich keine Rede. Dafür erhalten wir geheimnisvolle Andeutungen und erstaunte Philisterahnungen über Nostradamus' Prophezeiungen, das zweite Gesicht der Schotten und den animalischen Magnetismus. Es wäre übrigens zu wünschen, daß die träge Bauernwirtschaft Bayerns, der Boden, worauf die Pfaffen und die Daumers gleichmäßig wachsen, endlich einmal durch modernen Ackerbau und moderne Maschinen umgewühlt würde.
Mit dem Kultus des Weibes verhält es sich gerade wie mit dem Naturkultus. Es versteht sich von selbst, daß Herr Daumer nicht ein Wort von der gegenwärtigen gesellschaftlichen Stellung der Frauen sagt, daß es sich im Gegenteil bloß um das Weib als solches handelt. Er sucht die Frauen über ihre bürgerliche Misere dadurch zu trösten, daß er ihnen einen ebenso leeren wie geheimnisvoll tuenden Phrasenkultus widmet. So beruhigt er sie damit, daß ihre Talente mit der Ehe aufhören, da sie dann mit den Kindern zu tun haben (II. Bd. p. 237), daß sie die Fähigkeit besitzen, selbst bis ins sechzigste Jahr Kinder zu stillen (II. Bd. p. 251) usw. Herr Daumer nennt dies "Hin- <203> gebung des Männlichen an das Weibliche". Um nun die benötigten idealen Frauengestalten für seine männliche Hingebung in seinem Vaterlande zu finden, ist er gezwungen, zu verschiedenen aristokratischen Damen des vorigen Jahrhunderts seine Zuflucht zu nehmen. Der Frauenkultus reduziert sich also wieder auf das gedrückte Literatenverhältnis zu verehrten Gönnerinnen - Wilhelm Meister.
Die "Bildung", über deren Verfall Herr Daumer Jeremiaden anstimmt, ist die Bildung der Zeit, in der Nürnberg als freie Reichsstadt florierte, in der die Nürnberger Industrie, jenes Zwitterding zwischen Kunst und Handwerk, eine bedeutende Rolle spielte, die Bildung des deutschen Kleinbürgertums, die mit diesem Kleinbürgertum zugrunde geht. Wenn der Untergang früherer Klassen, wie des Rittertums, zu großartigen tragischen Kunstwerken Stoff bieten konnte, so bringt es das Spießbürgertum ganz angemessen nicht weiter als zu ohnmächtigen Äußerungen einer fanatischen Bosheit und zu einer Sammlung Sancho Panzascher Sinnsprüche und Weisheitsregeln. Herr Daumer ist die trockne, alles Humors bare Fortsetzung von Hans Sachs. Die deutsche Philosophie, die Hände ringend und wehklagend am Sterbebette ihres Nährvaters, des deutschen Spießbürgertums, das ist das rührende Bild, das uns die "Religion des neuen Weltalters" entrollt.
II
Ludwig Simon von Trier,
"Ein Word des Rechts für alle Reichsverfassungskämpfer
an die deutschen Geschwornen",
Frankfurt a. M. 1849
"Wir hatten gegen die Erblichkeit des Reichsoberhaupts gestimmt; wir enthielten uns des andern Tages der Wahl. Als aber das ganze Werk, hervorgegangen aus dem Willen der Mehrheit einer nach allgemeinem Stimmrecht gewählten Versammlung, fertig dastand, erklärten wir, uns zu unterwerfen. Hätten wir dies nicht getan, so hätten wir bewiesen, daß wir in eine bürgerliche Gesellschaft überhaupt nicht hineinpaßten." p. 43.
Nach Herrn L. Simon "von Trier" paßten also schon die äußersten Mitglieder der Frankfurter Versammlung nicht mehr "in eine bürgerliche Gesellschaft überhaupt hinein". Herr L. Simon "von Trier" scheint sich also die Grenzen der bürgerlichen Gesellschaft überhaupt noch enger vorzustellen als die Grenzen der Paulskirche.
<204> Übrigens besaß Herr Simon den richtigen Takt, in seinem Selbstbekenntnis vom 11. April 1849 das Geheimnis sowohl seiner früheren Opposition wie seiner späteren Bekehrung zu enthüllen.
"Aus den trüben Gewässern der vormärzlichen Diplomatie sind kalte Nebel aufgestiegen. Diese Nebel werden sich als Wolken zusammenziehn, und wir werden ein verderbenschwangres Gewitter haben, welches zunächst in den Turm der Kirche einzuschlagen droht, in der wir sitzen. Wachen und sorgen Sie für einen Blitzableiter, welcher den Blitz von Ihnen ableitet!"
D.h., meine Herren, es handelt sich jetzt um unsre Haut!
Die Bettelanträge, die jämmerlichen Kompromisse, die die Frankfurter Linke in der Kaiserfrage und nach der beschämten Rückkehr der Kaiserdeputation der Majorität anbot, um sie nur in der Versammlung zu behalten, die schmutzigen Vereinbarungsversuche, die sie damals nach allen Seiten hin machte, erhalten in folgenden Worten des Herrn Simon ihre höhere Weihe:
"Das Wort Vereinbarung ist durch die Ereignisse des verflossenen Jahres zum Gegenstand eines sehr bedenklichen Spottes geworden. Man darf davon kaum mehr sprechen, ohne ausgelacht zu werden. Und dennoch ist von zwei Fällen nur einer möglich: Entweder die Menschen vereinbaren sich, oder sie stürzen aufeinander los wie die wilden Tiere." p. 43.
D.h. entweder die Parteien fechten ihren Kampf aus, oder sie schieben ihn auf durch eine beliebigen Kompromiß. Letzteres ist jedenfalls "gebildeter" und humaner. Herr Simon eröffnet sich übrigens durch seine obige Theorie eine unendliche Reihe von Vereinbarungen, durch die er in jeder "bürgerlichen Gesellschaft" möglich bleiben wird,
Die selige Reichsverfassung wird in folgender philosophischer Deduktion gerechtfertigt:
"Die Reichsverfassung war so recht eigentlich der Ausdruck des ohne neue Gewaltanstrengungen möglichen ... Sie war der lebendige (!) Ausdruck der demokratischen Monarchie, somit eines prinzipiellen Widerspruchs. Aber es hat schon vieles tatsächlich bestanden, was sich prinzipiell widersprach, und grade aus dem tatsächlichen Bestehn prinzipieller Widersprüche entwickelt sich das fernere Leben." p. 44.
Man sieht, die Anwendung der Hegelschen Dialektik bleibt immer noch etwas schwieriger als das Zitieren Schillerscher Verschen. Die Reichsverfassung, wollte sie trotz ihres "prinzipiellen Widerspruchs" "tatsächlich" bestehn, hätte wenigstens den Widerspruch "prinzipiell" aussprechen müssen, der "tatsächlich" bestand. "Tatsächlich" stand auf der einen Seite Preußen und Östreich, der militärische Absolutismus, auf der andern Seite das deut- <205> tsche Volk, geprellt um die Früchte seiner Märzaufstände, geprellt zum großen Teil durch sein albernes Vertrauen in die erbärmliche Frankfurter Versammlung, und auf dem Punkt, endlich einen neuen Kampf gegen den militärischen Absolutismus zu wagen. Dieser tatsächliche Widerspruch konnte nur durch einen tatsächlichen Kampf gelöst werden. Sprach die Reichsverfassung diesen Widerspruch aus? Nicht im entferntesten. Sie sprach den Widerspruch aus, wie er im März 1848 bestanden hatte, ehe Preußen und Östreich wieder zu Kräften gekommen waren, ehe die Opposition durch partielle Niederlagen zersplittert, geschwächt, entwaffnet war. Sie sprach weiter nichts aus als die kindische Selbsttäuschung der Herren aus der Paulskirche, die sich einbildeten, im März 1849 noch der preußischen und östreichischen Regierung Gesetze vorschreiben und sich für alle Zukunft die ebenso einträgliche wie gefahrlose Stellung deutscher Reichsbarrots sichern zu können.
Herr Simon gratuliert sich und seinen Kollegen sodann, daß sie in ihrer interessierten Verblendung über die Reichsverfassung durch nichts wankend zu machen waren:
"Gesteht es beschämt, ihr Abtrünnigen von Gotha, daß wir mitten im Drange der Leidenschaften jeder Versuchung widerstanden, unser Wort treulich gehalten und auch nicht ein Jota an dem gemeinsamen Werk geändert haben!" p. 67.
Er weist dann hin auf ihre Heldentaten in bezug auf Württemberg und die Pfalz und auf ihren Stuttgarter Beschluß vom 8. Juni, wo sie Baden unter den Schutz des Reichs stellten, obwohl schon damals wesentlich das Reich unter dem Schutz Badens stand, und ihre Beschlüsse nur bewiesen, daß sie entschlossen waren, von ihrer Feigheit "auch nicht ein Jota" abzugehen und eine Illusion gewaltsam festzuhalten, an die sie selbst nicht mehr glaubten.
Den Vorwurf, "die Reichsverfassung sei nur die Maske zur Republik gewesen", weist Herr Simon höchst sinnreich zurück wie folgt:
"Nur wenn der Kampf gegen alle Regierungen ohne Ausnahme bis zu Ende hätte durchgeführt werden müssen, ... und wer sagt euch denn, daß der Kampf gegen alle Regierungen ohne Ausnahme bis zu Ende hätte durchgeführt werden müssen? Wer kann sie alle berechnen, die möglichen Wechselfälle des Kampfes und Kriegsglücks, und wenn einmal die feindseligen Brüder (Regierungen und Volk) nach blutigem Ringen sich ermattet und entscheidungslos gegenübergestanden hätten und der Geist des Friedens und der Versöhnung wäre über sie gekommen, hatten wir die Fahne der Reichsverfassung, unter welcher sie sich die Bruderhände zur Versöhnung hätten reichen können. auch nur im mindesten beschädigt? Schaut um euch! Hand aufs Herz! Greift aufrichtig in euer inneres Gewissen, und ihr werdet, ihr müßt antworten: Nein, nein und abermals nein!" p. 70.
<206> Das ist der wahre Köcher der Beredsamkeit, aus dem Herr Simon jene Pfeile holte, die er in der Paulskirche mit so erstaunlichem Effekt verschoß! - Trotz seiner Plattheit hat dieses rührende Pathos doch sein Interesse. Es beweist, wie die Herren Frankfurter in Stuttgart ruhig saßen und harrten, bis die feindlichen Parteien sich müde gekämpft hätten, um dann im richtigen Moment zwischen die Ermatteten hinzutreten und ihnen die Versöhnungspanazee, die Reichsverfassung, anzubieten. Und wie sehr Herr Simon hier seinen Kollegen aus der Seele spricht, geht daraus hervor, daß diese Herren noch jetzt zu Bern bei Wirt Benz in der Keßlergasse forttagen und nur darauf warten, daß ein neuer Kampf losbreche, damit sie, wenn die Parteien "ermattet und entscheidungslos gegenüberstehn", zwischen sie treten können und ihnen zur Vereinbarung die Reichsverfassung darbieten, diesen vollendeten Ausdruck der Ermattung und Entscheidungslosigkeit.
"Aber ich sage euch trotz alledem, und so wehe es tut, fern vom Vaterlande, fern von der Heimat, fern von bejahrten Eltern die einsamen Wege des Exils zu wandeln, ich tausche mein reines Gewissen nicht um die Gewissensbisse der Abtrünnigen und die schlaflosen Nächte der Herrscher, und wenn man mir das Übermaß aller irdischen Glücksgüter böte"! p. 71.
Wenn es nur möglich wäre, diese Herren ins Exil zu schicken! Aber tragen sie nicht in ihren Koffern das Vaterland nach sich in der Gestalt der Frankfurter stenographischen Berichte, aus welchen ihnen ein Strom unverfälschtester Heimatluft und die Fülle der schönsten Selbstgenugtuung entgegenrauscht?
Wenn übrigens Herr Simon behauptet, ein Wort für die Reichsverfassungskämpfer einzulegen, so begeht er einen frommen Betrug. Die Reichsverfassungskämpfer hatten sein "Wort des Rechts" nicht nötig. Sie haben sich besser und energischer verteidigt. Aber Herr Simon muß sie vorschieben, um zu verhüllen, daß er im Interesse der nach allen Seiten hin kompromittierten Frankfurter, im Interesse der Reichsverfassungsmacher, im Interesse seiner selbst eine oratio pro domo <Rede in eigener Sache> zu halten für unumgänglich hält.
III
Guizot, "Pourquoi la révolution d'Angleterre a-t-elle
réussi?
Discours sur l'histoire de la révolution d'Angleterre",
<Guizot, "Warum hatte die Revolution in England Erfolg?
Vortrag zur Geschichte der englischen Revolution">,
Paris 1850
<207> Das Pamphlet des Herrn Guizot bezweckt nachzuweisen, warum Louis-Philippe und die Politik Guizots am 24. Februar 1848 eigentlich nicht hätten gestürzt werden dürfen und wie der verwerfliche Charakter der Franzosen die Schuld trägt, daß die Julimonarchie von 1830 nach achtzehnjährigem mühsamen Bestehn schmählich zusammenbrach und nicht jene Dauer erhielt, deren sich die englische Monarchie seit 1688 erfreute.
Man sieht aus diesem Pamphlet, wie selbst die tüchtigsten Leute des ancien régime <alten regimes>, wie selbst Leute, denen in ihrer Weise historisches Talent keineswegs abzusprechen ist, durch das fatale Februarereignis so vollständig in Verwirrung gebracht worden sind, daß ihnen alles geschichtliche Verständnis, daß ihnen sogar das Verständnis ihrer eignen früheren Handlungsweise abhanden gekommen ist. Statt durch die Februarrevolution zur Einsicht der gänzlich verschiedenen historischen Verhältnisse, der gänzlich verschiedenen Stellung der Klassen der Gesellschaft in der französischen Monarchie von 1830 und der englischen von 1688 getrieben zu werden, löst Herr Guizot den ganzen Unterschied auf in einige moralische Phrasen und beteuert am Schluß, daß die am 24. Februar gestürzte Politik, "wie sie die Staaten erhalte, so allein die Revolutionen bewältige".
Bestimmt formuliert lautet die Frage, die Herr Guizot beantworten will: Warum hat sich die bürgerliche Gesellschaft in England länger in der Form der konstitutionellen Monarchie entwickelt als in Frankreich?
Zur Charakteristik der Bekanntschaft des Herrn Guizot mit dem Gang der bürgerlichen Entwicklung in England kann folgende Stelle dienen:
"Unter der Regierung Georgs I. und Georgs II. nahm der öffentliche Geist eine andere Richtung: Die auswärtige Politik hörte auf, ihre Hauptangelegenheit zu sein; die innere Administration, die Aufrechterhaltung des Friedens, die Fragen der Finanzen, der Kolonien, des Handels, die Entwicklung und die Kämpfe des parlamentarischen Regimes wurden zur vorherrschenden Beschäftigung der Regierung und des Publikums." p. 168.
Herr Guizot findet in der Regierung Wilhelms III. nur zwei erwähnenswerte Momente: die Erhaltung des Gleichgewichts zwischen Parlament und <208> Krone und die Erhaltung des europäischen Gleichgewichts durch den Kampf gegen Ludwig XIV. Unter der hannoverschen Dynastie nimmt dann plötzlich "der öffentliche Geist eine andre Richtung", man weiß nicht wie und warum. Man sieht hier, wie Herr Guizot die allergewöhnlichsten Phrasen der französischen parlamentarischen Debatte auf die englische Geschichte überträgt und sie damit erklärt zu haben glaubt. Gerade so bildete sich Herr Guizot als Minister ebenfalls ein, das Gleichgewicht zwischen Parlament und Krone und das europäische Gleichgewicht auf seinen Schultern zu balancieren, während er in Wirklichkeit nichts anderes tat, als den ganzen französischen Staat und die ganze französische Gesellschaft Stück für Stück an die Finanzjuden der Pariser Börse zu verschachern.
Davon, daß die Kriege gegen Ludwig XIV. reine Konkurrenzkriege zur Vernichtung des französischen Handels und der französischen Seemacht waren, daß unter Wilhelm III. die Herrschaft der Finanzbourgeoisie durch die Errichtung der Bank und die Einführung der Staatsschuld ihre erste Sanktion erhielt, daß der Manufakturbourgeoisie durch die konsequente Durchführung des Schutzzollsystems ein neuer Aufschwung gegeben wurde, davon hält Herr Guizot zu sprechen nicht der Mühe wert. Für ihn haben nur die politischen Phrasen Bedeutung. Er erwähnt nicht einmal, daß unter der Königin Anna die herrschenden Parteien nur dadurch sich und die konstitutionelle Monarchie erhalten konnten, daß sie durch einen Gewaltstreich die Dauer der Parlamente auf sieben Jahre verlängerten und so den Einfluß des Volks auf die Regierung fast ganz vernichteten.
Unter der hannoverschen Dynastie war England bereits so weit, daß es den Konkurrenzkrieg gegen Frankreich in der modernen Form führen konnte. England selbst bekämpfte Frankreich nur noch in Amerika und Ostindien, während es auf dem Kontinent sich damit begnügte, fremde Fürsten wie Friedrich II. zum Kriege gegen Frankreich zu besolden. Und wenn so der auswärtige Krieg eine andere Form annimmt, so sagt Herr Guizot: "Die auswärtige Politik hört auf, Hauptangelegenheit zu sein", und an ihre Stelle tritt "die Aufrechterhaltung des Friedens". Inwiefern "die Entwicklung und die Kämpfe des parlamentarischen Regimes zur vorherrschenden Beschäftigung der Regierung und des Publikums wurden", darüber vergleiche man die Bestechungsgeschichten unter dem Ministerium Walpole, die allerdings den unter Herrn Guizot an die Tagesordnung gekommenen Skandalen auf ein Haar ähnlich sehn.
Warum die englische Revolution einen gedeihlicheren Fortgang nahm als die französische, das erklärt sich Herr Guizot besonders aus zwei Ursachen: zuerst daraus, daß die englische Revolution einen durchaus religiösen Charak- <209> ter hatte, also keineswegs mit allen Traditionen der Vergangenheit brach, und zweitens daraus, daß sie von vornherein nicht zerstörend, sondern konservativ auftrat, daß das Parlament die alten bestehenden Gesetze gegen die Übergriffe der Krone verteidigte.
Was den ersten Punkt angeht, so vergißt Herr Guizot, daß die Freigeisterei, die ihn bei der französischen Revolution so gewaltig schaudern macht, aus keinem andern Lande nach Frankreich importiert wurde als grade aus England. Locke war ihr Vater, und in Shaftesbury und Bolingbroke nahm sie schon jene geistreiche Form an, die später in Frankreich eine so glänzende Entwicklung fand. Wir kommen so zu dem seltsamen Resultat, daß dieselbe Freigeisterei, an der die französische Revolution nach Herrn Guizot scheiterte, eins der wesentlichsten Produkte der religiösen englischen Revolution war.
In Beziehung auf den zweiten Punkt vergißt Herr Guizot gänzlich, daß die französische Revolution ebenso konservativ, noch viel konservativer anfing als die englische. Der Absolutismus, besonders wie er zuletzt in Frankreich auftrat, war auch hier eine Neuerung, und gegen diese Neuerung erhoben sich die Parlamente und verteidigten die alten Gesetze, die us et coutumes <Sitten und Bräuche> der alten ständischen Monarchie. Und wenn der erste Schritt der französischen Revolution die Wiederbelebung der seit Heinrich IV. und Ludwig XIII. entschlafenen Generalstände war, so hat die englische Revolution dagegen kein Faktum von gleich klassischem Konservatismus aufzuweisen.
Nach Herrn Guizot war das Hauptresultat der englischen Revolution dies, daß der König in die Unmöglichkeit versetzt wurde, gegen den Willen des Parlaments und des Hauses der Gemeinen im Parlament zu regieren. Die ganze Revolution besteht nun darin, daß im Anfang beide Seiten, Krone und Parlament, ihre Schranken überschreiten und zu weit gehn, bis sie dann endlich unter Wilhelm III. das richtige Gleichgewicht finden und sich neutralisieren, Daß die Unterwerfung des Königtums unter das Parlament seine Unterwerfung unter die Herrschaft einer Klasse ist, findet Herr Guizot überflüssig zu erwähnen. Er braucht darum auch nicht weiter darauf einzugehn, wie diese Klasse sich die nötige Macht erwarb, um endlich die Krone zu ihrer Dienerin zu machen. Es handelt sich bei ihm in dem ganzen Kampf zwischen Karl I. und dem Parlament nur um rein politische Vorrechte. Wozu das Parlament und die in ihm vertreten Klasse diese Vorrechte brauchte, davon erfährt man kein Wort. Ebensowenig spricht Herr Guizot von den direkten Eingriffen Karls I. in die freie Konkurrenz, die den Handel und die Industrie Englands mehr und mehr unmöglich machten, oder von der Abhängigkeit vom Parlament, in die Karl I. <210> durch seine fortwährende Finanznot um so tiefer geriet, je mehr er dem Parlament zu trotzen versuchte. Die ganze Revolution ist ihm daher nur erklärlich durch den bösen Willen und den religiösen Fanatismus einzelner Ruhestörer, die sich nicht mit einer gemäßigten Freiheit begnügen konnten. Über den Zusammenhang der religiösen Bewegung mit der Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft weiß Herr Guizot ebensowenig Aufklärung zu geben. Die Republik ist natürlich ebenfalls das bloße Werk einiger Ehrgeiziger, Fanatiker und Böswilliger. Daß um dieselbe Zeit in Lissabon, in Neapel und Messina ebenfalls Versuche zur Einführung der Republik, und zwar, wie in England, ebenfalls im Hinblick auf Holland gemacht wurden, ist eine Tatsache, die gar nicht erwähnt wird. Obwohl Herr Guizot die französische Revolution nie aus den Augen verliert, kommt er nicht einmal zu dem einfachen Schluß, daß der Übergang von der absoluten zur konstitutionellen Monarchie überall erst nach heftigen Kämpfen und nach dem Durchgang durch die Republik zustande kommt und daß selbst dann die alte Dynastie als unbrauchbar einer usurpatorischen Seitenlinie Platz machen muß. Über den Sturz der englischen Restaurationsmonarchie weiß er daher nur die trivialsten Gemeinplätze zu sagen. Er führt nicht einmal die nächsten Ursachen an: die Furcht der durch die Reformation geschaffenen neuen großen Grundbesitzer vor der Herstellung des Katholizismus, bei der sie natürlich ihre sämtlichen geraubten ehemaligen Kirchengüter hätten wieder herausgeben müssen, d.h., bei der sieben Zehntel der gesamten Bodenfläche von England den Besitzer gewechselt hätten; die Scheu der handeltreibenden und industriellen Bourgeoisie vor dem Katholizismus, der keineswegs in ihren Commerce paßte; die Nonchalance, mit der die Stuarts zu ihrem eignen und ihres Hofadels Vorteil die ganze englische Industrie, nebst dem Handel an die Regierung Frankreichs, d.h. des einzigen Landes verkaufte, das damals den Engländern eine gefährliche und in vieler Beziehung siegreiche Konkurrenz machte, usw. Da Herr Guizot also überall die wichtigsten Momente ausläßt, so bleibt ihm nichts übrig als eine höchst ungenügende und banale Erzählung der bloß politischen Ereignisse.
Das große Rätsel für Herrn Guizot, das er sich nur durch den überlegenen Verstand der Engländer zu entziffern weiß, das Rätsel des konservativen Charakters der englischen Revolution, es ist die fortwährende Allianz, worin sich die Bourgeoisie mit dem größten Teil der großen Grundbesitzer befindet, eine Allianz, welche die englische Revolution wesentlich von der französischen unterscheidet, die den großen Grundbesitz durch die Parzellierung vernichtete. Diese mit der Bourgeoisie verbundene Klasse großer Grundbesitzer, die übrigens schon unter Heinrich VIII. entstanden war, befand sich nicht, wie der französische feudale Grundbesitz 1789, im Widerspruch, sondern viel- <211> mehr in vollständigem Einklang mit den Lebensbedingungen der Bourgeoisie. Ihr Grundbesitz war in der Tat kein feudales, sondern bürgerliches Eigentum. Sie stellten einerseits der industriellen Bourgeoisie die zum Betrieb der Manufaktur nötige Bevölkerung zur Verfügung, und waren andrerseits imstande, dem Ackerbau diejenige Entwicklung zu geben, die dem Stande der Industrie und des Handels entsprach. Daher ihre gemeinsamen Interessen mit der Bourgeoisie, daher ihre Allianz mit ihr.
Mit der Konsolidierung der konstitutionellen Monarchie in England hört für Herrn Guizot die englische Geschichte auf. Alles Folgende beschränkt sich für ihn auf ein angenehmes Wechselspiel zwischen Tories und Whigs, d.h. für ihn auf die große Debatte zwischen Herrn Guizot und Herrn Thiers. In der Wirklichkeit dagegen beginnt erst mit der Konsolidierung der konstitutionellen Monarchie die großartige Entwicklung und Umwälzung der bürgerlichen Gesellschaft in England. Wo Herr Guizot nur sanfte Ruhe und idyllischen Frieden sieht, entwickelten sich in der Wirklichkeit die gewaltigsten Konflikte, die einschneidendsten Revolutionen. Zuerst bildete sich unter der konstitutionellen Monarchie die Manufaktur zu einer bisher unbekannten Ausdehnung fort, um dann der großen Industrie, der Dampfmaschine und den riesenmäßigen Fabriken Platz zu machen. Ganze Klassen der Bevölkerung verschwinden, neue treten an ihre Stelle, mit neuen Lebensbedingungen und neuen Bedürfnissen. Eine neue, kolossalere Bourgeoisie entsteht; während die alte Bourgeoisie mit der französischen Revolution kämpft, erobert sich die neue den Weltmarkt. Sie wird so allmächtig, daß sie schon, ehe die Reformbill ihr direkt politische Macht in die Hand gibt, ihre Gegner zwingt, fast nur in ihrem Interesse und nach ihren Bedürfnissen Gesetze zu erlassen. Sie erobert sich direkte Vertretung im Parlament und benutzt sie zur Vernichtung der letzten Reste reeller Macht, die dem Grundbesitz geblieben sind. Sie ist, endlich, in diesem Augenblick damit beschäftigt, das schöne Gebäude der englischen Verfassung, vor dem Herr Guizot bewundernd stehnbleibt, von Grund aus zu demolieren.
Und während Herr Guizot den Engländern sein Kompliment darüber macht, daß bei ihnen die verwerflichen Auswüchse des französischen gesellschaftlichen Lebens, der Republikanismus und Sozialismus, die Grundsäulen der alleinseligmachenden Monarchie nicht erschüttert haben, währenddem sind in England die Klassengegensätze in der Gesellschaft zu einer Höhe entwickelt wie in keinem andern Lande, steht hier einer Bourgeoisie mit Reichtum und Produktivkräften ohnegleichen ein Proletariat gegenüber, das an Macht und Konzentration ebenfalls ohnegleichen ist. Die Anerkennung, die Herr Guizot England zollt, läuft also schließlich darauf hinaus, daß hier unter <212> dem Schutz der konstitutionellen Monarchie sich bei weitem mehr und bei weitem radikalere Elemente einer gesellschaftlichen Revolution entwickelt haben als in allen andern Ländern der Welt zusammengenommen.
Wo die Fäden der englischen Entwicklung in einen Knotenpunkt zusammenlaufen, den er selbst zum Schein nicht mehr durch die bloß politische Phrase durchhauen kann, nimmt Herr Guizot seine Zuflucht zur religiösen Phrase, zur bewaffneten Intervention Gottes. So kommt z.B. der Geist Gottes plötzlich über die Armee und verhindert Cromwell, sich zum Könige auszurufen etc. etc. Vor seinem Gewissen rettet sich Guizot durch Gott, vor dem profanen Publikum durch den Stil.
In der Tat, nicht bloß les rois s'en vont <die Könige verschwinden> sondern auch les capacités de la bourgeoisie s'en vont <die Kapazitäten der Bourgeoisie gehen unter>.