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Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 6, S. 339-343
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1959
[Drei neue Gesetzentwürfe]
["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 244 vom 13. März 1849, Außerordentliche Beilage]
<339> *Köln, 12. März. Das preußische Königtum hält es endlich an der Zeit, seine volle Glorie zu entwickeln. Die "ungeschwächte" Krone von Gottes Gnaden oktroyiert uns heute drei neue Gesetzentwürfe über die Klubs und Versammlungen, über die Plakate und über die Presse, in denen die Kammern aufgefordert werden, uns eine geschlossene Phalanx der liebenswürdigsten Septembergesetze aufzuladen.
Wir geben morgen den Text der Entwürfe nebst den Motiven, soweit sie uns zugekommen. Wir werden - mehr als einmal - auf diese prachtvollen preußischen Produkte zurückkommen. <Siehe "Der Hohenzollernsche Gesamtreformplan", "Der Hohenzollernsche Preßgesetzentwurf", "Die Sitzung der zweiten Kammer in Berlin am 13. April" und "Die Debatte über das Plakatgesetz">Für heute nur ein kurzes Resumé!
I. Klubgesetz. "Alle Versammlungen müssen 24 Stunden vorher angezeigt werden." Rasch berufene Versammlungen bei plötzlich eintretenden wichtigen Ereignissen sind damit unterdrückt - und diese Versammlungen sind ja gerade die allerwichtigsten. Jedermann muß der Zutritt gestattet werden, also ist es verboten, ein Eintrittsgeld für die Kosten der Versammlung zu erheben. Bei Versammlungen von Vereinen muß der vierte Teil des Raums den Nicht-Vereinsangehörigen überlassen werden, damit die Vereine gezwungen werden, sich größere und kostspieligere Lokale anzuschaffen, und damit bezahlte Polizeiagenten durch Lärmen, Toben und Poltern jede Beratung stören, jede Versammlung unmöglich machen können. Und wenn das alles noch nicht fruchten sollte, so steht es ja den "Abgeordneten der Polizeibehörde" frei, jede Versammlung unter dem ersten besten Vorwande in derselben Weise "sofort aufzulösen, wie die höchste Spitze der "Polizeibehörde", Se. Majestät unser Allergnädigster König, die Vereinbarungsversammlung "sofort aufgelöst" hat.
<340> Und sobald die Polizei die Versammlung für aufgelöst erklärt, muß sich jeder entfernen, wenn es ihm nicht gehen soll wie den Berliner Vereinbarungsrittern, d.h. wenn er nicht durch Bajonette aus dem Saal entfernt werden will.
Die Klubs haben zwar keine "vorgängige Genehmigung" nötig, haben dafür aber eine solche Menge vorgängiger Anzeigen und Formalitäten bei der Ortsbehörde zu erfüllen, daß sie schon deswegen halb unmöglich gemacht sind. Öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel, Aufzüge etc. etc. dagegen bedürfen allerdings der vorgängigen Genehmigung der Polizei. Und damit den roten Bändern, Kokarden und Mützen ein Ende gemacht werde, wird dagegen noch schließlich eine Erneuerung der alten Hetzjagds-Verordnungen gegen schwarzrotgoldene Abzeichen oktroyiert.
Das ist das "Vereins- und Versammlungsrecht", das uns der wahrheitsliebende und worthaltende Hohenzoller vor einem Jahre mit bebenden Lippen garantierte!
II. Plakatgesetz. Alle Plakate politischen Inhalts, mit Ausnahme der Einladungen zu gesetzlichen, erlaubten Versammlungen (alle Versammlungen sind also wieder bloß gnädigst "erlaubte"!), sind verboten. Die Ausschüsse der Klubs dürfen in bewegten Zeiten also nicht einmal durch Plakate das Volk zur Ruhe auffordern, damit der heldenmütigen Soldateska ja nicht ein einziges Opfer entgehe! Ferner: Das Verkaufen oder Verteilen von Druckschriften auf öffentlicher Straße wird ebenfalls verboten, es sei denn, man besitze eine jederzeit widerrufbare Konzession! Mit andern Worten: Das preußische Königtum sucht uns mit einer verbesserten Auflage des Gesetzes über die crieurs publics zu beglücken, das in Frankreich unter der schlimmsten Zeit des louis-philippistischen Bourgeois-Despotismus dem Schrecken der Kammern abgenötigt wurde.
Und die Motive zu diesem Gesetz? Weil durch die Plakate und die Kolporteurs die Passage in den Straßen versperrt und durch Plakate gar manches öffentliche Gebäude verunziert wird!
III. Preßgesetz. Alles das ist aber noch gar nichts gegen die anmutigen Vorschläge, mit denen man der Presse einen Knebel anzulegen gedenkt. Man weiß, die hohenzollersche Volksbeglückung bestand seit 1830 überhaupt bloß darin, den preußischen väterlichen Patriarchalismus durch die Verkoppelung mit der louis-philippistischen modern-raffinierten Knechtschaft zu veredeln. Man behielt die Prügel bei und fügte den Bagno hinzu; man ließ die Zensur bestehen und beglückte uns zugleich mit der Blüte der Septembergesetzgebung; man ließ uns, mit einem Wort, zu gleicher Zeit die Vorteile der feudalistischen Knechtung, der bürokratischen Polizeiwirtschaft und der modern- <341> bürgerlichen gesetzlichen Brutalität zugute kommen. Das nannte man "den weltbekannten Freisinn Friedrich Wilhelms IV.".
Das neue hohenzollersche Preßgesetz-Projekt, nach einer langen Reihe erschwerender Formbestimmungen, beglückt uns mit einer unübertrefflichen Verschmelzung 1. des Code Napoléon, 2. der französischen Septembergesetze, 3. und hauptsächlich des löblichen preußischen Landrechts.
§ 9 vertritt den Code: In den Provinzen, wo das Landrecht besteht, wurde bisher der Versuch, die Aufforderung zu einem Verbrechen weniger streng bestraft, selbst wenn sie von Erfolg begleitet war, als das Verbrechen selbst. Für diese Landesteile wird nun die Bestimmung des Code eingeführt, daß die von Erfolg begleitete Aufforderung zum Verbrechen dem Verbrechen selbst gleichgeachtet wird.
§ 10. die französische Septembergesetzgebung: Wer die im Eigentum oder der Familie beruhenden Grundlagen der bürgerlichen Gesellschaft angreift oder die Bürger zum Haß oder zur Verachtung gegeneinander aufreizt, hat Gefängnis bis zu zwei Jahren verwirkt.
Vgl. Loi du 9. Sept. 1835, Art. 8: "Toute attaque contre la propriété ... Toute provocation à la baine entre les diverses classes de la société, sera punie" etc. <Gesetz vom 9. Sept. 1835, Art. 8: Jeder Angriff auf das Eigentum ... jede Aufreizung zum Haß zwischen den verschiedenen Klassen der Gesellschaft wird bestraft" etc.>" Nur daß die preußische Übersetzung: die Bürger im allgemeinen zum Haß etc. gegeneinander anreizen, noch zehnmal unbezahlbarer ist.
Alle folgenden Paragraphen des Entwurfes sind bloß verfertigt, um die Rheinprovinz wieder mit denselben landrechtlichen Herrlichkeiten zu beglücken, die man uns bald nach dem 18. März entzog, nachdem wir sie 33 Jahre lang in vollstem Maße genossen. Man will uns unter andern folgende, unsrer eigenen rheinischen Gesetzgebung gänzlich unbekannte neue Verbrechen oktroyieren:
1. Begründung von Haß und Verachtung gegen die Einrichtungen des Staats oder die Staatsregierung mittelst tatsächlicher Unwahrheiten oder juristisch unbeweisbarer Tatsachen.
2. "Auslassung" über eine gesetzlich bestehende Religionsgesellschaft (nach der oktroyierten Verfassung sind ja selbst die Türken und Heiden gesetzlich bestehende Religionsgesellschaften!) in einer Weise, welche geeignet (!) ist, Haß und Verachtung gegen dieselbe zu verbreiten.
Diese beiden neuen Verbrechen führen a) das altpreußische "Erregen von Mißvergnügen" und b) den altpreußischen Begriff der Religionsbeleidigung bei uns ein und werden mit Gefängnis bis zu 2 Jahren bestraft.
<342> 3. Die Majestätsbeleidigung, und zwar als Verletzung der Ehrfurcht (!!) gegen
a) den König (!)
b) die Königin (!!)
c) den Thronfolger (!!!)
d) ein andres Mitglied des k. Hauses (!!!!)
e) das Oberhaupt eines deutschen Staats (!!!!!),
was mit Gefängnis von 1 Monat bis zu fünf Jahren bestraft wird!
4. Die erbauliche Bestimmung, daß die Behauptung selbst erweislich wahrer Tatsachen als Beleidigung zu bestrafen ist, wenn die Absicht einer Beleidigung daraus hervorgeht!
5. Beleidigung
1) einer der beiden Kammern,
2) eines ihrer Mitglieder,
3) einer Behörde (der Code kennt keine Beleidigung von Korporationen als solchen);
4) eines Beamten oder Mitgliedes der bewaffneten Macht.
Alles "in Beziehung auf ihren Beruf ". Gefängnis bis zu 9 Monaten
6. Beleidigung oder Verleumdung auf dem Privatwege. Der Code Napoléon kennt bloß öffentlich ausgestoßene oder verbreitete Beleidigungen oder Verleumdungen. Der neue Gesetzentwurf will dagegen alle in Privatgespräch, im eignen Hause, im Schoß der Familie, in Privatbriefen gemachten Äußerungen der Kontrolle der Polizei und des öffentlichen Ministeriums unterwerfen resp. für strafbar erklären, d.h. die niederträchtigste, allgemeinste Spionage organisieren. Der Militärdespotismus des allmächtigen französischen Kaisertums respektierte wenigstens die Freiheit des Privatgesprächs; er blieb - wenigstens in der Gesetzgebung - vor der Schwelle der Wohnung stehn. Die preußische väterlich-konstitutionelle Beaufsichtigung und Züchtigung erstreckt sich bis ins Innerste des Privathauses, bis in das geheimste, selbst von Barbaren für unantastbar gehaltene Asyl des Familienlebens. Und dasselbe Gesetz bestraft drei Artikel vorher alle Angriffe auf die Familie mit zwei Jahren Gefängnis!
Das sind die neuen "Errungenschaften", die man uns gewährleisten will. Ergänzung der drei brutalsten Gesetzgebungen, eine durch die andre, um eine Spitze der Brutalität und Perfidie zu erreichen, die bisher unerhört war - das ist der Preis, um den die ungeschwächte Krone den Kammern die Aufhebung des Belagerungszustandes von Berlin verschachern will!
Was man will, liegt auf der Hand. Der Preßgesetzentwurf wenigstens oktroyiert den alten Provinzen nicht so sehr viel Neues. Das Landrecht war schon schlimm genug. Der Hauptzorn der inkorporierten Gnade Gottes richtet <343> sich gegen uns Rheinländer. Man will uns dasselbe infame Landrecht wieder aufbürden, das wir kaum losgeworden sind und seit dessen Entfernung wir endlich einmal, solange wir an Preußen gekettet sind, wieder etwas freier geatmet haben.
Was die Krone von Gottes Gnaden will, das spricht sie klar aus in den Motiven zu dem anmutigen Aktenstück, durch den Mund ihres Knechts Manteuffel: Sie will die "Herstellung eines möglichst gleichförmigen Rechtszustandes" - d.h. die Verdrängung des verhaßten französischen Gesetzes und die allgemeine Einführung des schmachvollen Landrechts. Sie will ferner die "Lücke ausfüllen", welche "in dem größten Teil der Rheinprovinz" (hört ihr's!) durch Aufhebung "der auf die Majestätsbeleidigung bezüglichen Strafgesetze infolge der Verordnung vom 15. April 1848" entstanden ist!
D.h., das neue Strafgesetz soll uns Rheinländern das Einzige nehmen, was wir noch von den Folgen der sogenannten Revolution von 1848 besitzen: die unverkümmerte Geltung unsres eignen Rechts.
Wir sollen um jeden Preis Preußen werden, Preußen nach dem Herzen des Allergnädigsten, mit Landrecht, Adelsübermut, Beamtentyrannei, Säbelherrschaft, Stockprügel, Zensur und Ordre-Parieren. Diese Gesetzvorschläge sind nur der erste Anfang. Der Plan der Kontrerevolution liegt vor uns, und unsere Leser werden sich wundern über die Pläne, die man im Sinne hat. Wir zweifeln nicht, die Herren in Berlin werden sich abermals in den Rheinländern merkwürdig täuschen.
Wir werden aber und abermals auf diese schmählichen Gesetzvorlagen zurückkommen, wegen dem allein die Minister in Anklagestand versetzt werden müssen. Das aber müssen wir schon heute sagen: Geht in der Kammer irgend etwas durch, was dieser Vorlage auch nur entfernt ähnlich sieht, so ist es Pflicht der rheinischen Abgeordneten, sofort aus der Kammer auszutreten, die durch solche Beschlüsse ihre Kommittenten in die patriarchalische Barbarei der altpreußischen Gesetzgebung zurückschleudern will.
Geschrieben von Karl Marx.