Die Verleumdungen der "Neuen Rheinischen Zeitung" | Inhalt | Die preußische Kontrerevolution und der preußische Richterstand

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 6, S. 129-137
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1959

Prozeß gegen Gottschalk und Genossen

["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 175 vom 22. Dezember 1848]

<129> *Köln, 21. Dezember. Heute morgen begann der Prozeß gegen Gottschalk, Anneke und Esser vor den hiesigen außerordentlichen Assisen.

Die Angeklagten wurden gleich den gemeinsten Verbrechern, enggeschlossen, von dem neuen Arresthause eskortiert nach dem Gerichtsgebäude, wo eine nicht unbedeutende bewaffnete Macht hauste.

Unsere Leser wissen, daß wir in der Jury, wie sie jetzt organisiert ist, nichts weniger als eine Garantie erblicken. Der Zensus erteilt einer bestimmten Klasse das Privilegium, aus ihrer Mitte die Geschwornen hervorgehen zu sehen. Die Anfertigung der Geschwornenlisten erteilt der Regierung das Monopol, aus der privilegierten Klasse die ihr zusagenden Individuen herauszulesen. Der Herr Regierungspräsident fertigt nämlich eine Liste von Individuen zu einer bestimmten Zahl an, die er aus den Geschwornenlisten des ganzen Regierungsbezirks auszieht; die gerichtlichen Repräsentanten der Regierung säubern diese Liste bis auf 36, wenn unser Gedächtnis nicht täuscht. Im Augenblicke der wirklichen Bildung des Geschwornengerichts endlich steht es dem öffentlichen Ministerium zu, die letzte Liste, das Ergebnis des Klassenprivilegiums und einer doppelten gouvernementalen Destillation, zum dritten Male zu säubern und bis zum letzten notwendigen Dutzend auszumerzen.

Ein wirkliches Wunder, wenn eine solche Konstitution der Jury Angeklagte, die der privilegierten Klasse und der bestehenden Staatsmacht offen opponiert haben, nicht direkt unter die absolute Gewalt ihrer rücksichtslosesten Feinde wirft.

Das Gewissen der Geschwornen, wird man uns antworten, das Gewissen, verlangt man eine größere Garantie? Aber, mon Dieu <mein Gott>, das Gewissen hängt <130> mit dem Wissen und der ganzen Daseinsweise eines Menschen zusammen.

Ein Republikaner hat ein anderes Gewissen als ein Royalist, ein Besitzender ein anderes Gewissen als ein Besitzloser, ein Denkender ein anderes als ein Gedankenloser. Ein Mensch, der keinen Beruf zum Geschwornen hat als den Zensus, hat das Gewissen des Zensus.

Das "Gewissen" der Privilegierten ist eben ein privilegiertes Gewissen.

Wenn uns also das Geschwornengericht, wie es jetzt konstituiert ist, als ein Institut zur Behauptung der Privilegien einiger und keineswegs als ein Institut zur Sicherung der Rechte aller erscheint; wenn namentlich auch in dem vorliegenden Falle das öffentliche Ministerium den ausgedehntesten Gebrauch von seiner Befugnis gemacht hat, das letzte Dutzend ihm mißfälliger Namen von der letzten Liste auszumerzen - wir zweifeln dennoch keinen Augenblick an der Freisprechung der Angeklagten. Unser Garant ist der Anklageakt. Man glaubt eine ironisch gehaltene Verteidigungsschrift von Gottschalk und Konsorten zu lesen.

Resumieren wir diesen Anklageakt, der nur im Anklageakt gegen Mellinet und Konsorten (Prozeß Risquons-Tout in Antwerpen) ein Analogon findet.

In Köln existiert ein Arbeiterverein. Gottschalk war Präsident, Anneke und Esser Ausschußmitglieder dieses Vereins. Der Arbeiterverein, belehrt uns der Anklageakt,

"hatte ein besonderes, durch Gottschalk redigiertes Organ, die 'Arbeiterzeitung', und wer nicht Gelegenheit hatte, den Sitzungen selbst beizuwohnen, konnte aus diesem Blatte die gefährlichen, dem Proletariat schmeichelnden, auf Kommunismus und Umsturz des Bestehenden hinarbeitenden Tendenzen des Vereins erkennen".

Tendenzen also konnte man erkennen, aber keine gesetzwidrigen Tatsachen. Beweis: Bis zur Verhaftung des Gottschalks etc. hat das Parquet keine Anklage gegen die "Arbeiterzeitung" erhoben, und nach Gottschalks Verhaftung wurde sie nur einmal verurteilt - in dem Monsterprozesse des hiesigen Parquets, nämlich der Klage des hiesigen Parquets wegen Beleidigung des hiesigen Parquets.

"Die 'Arbeiterzeitung' selbst", gesteht aber der Anklageakt, "scheint sich nicht bemüht zu haben, in ihren Berichten darüber" (über die Verhandlungen des Arbeitervereins, seiner Ausschußsitzungen und seiner Filialvereine) "etwas zu bemänteln."

Wenn also die "Arbeiterzeitung" wegen ihrer "Berichte" über die Verhandlungen des Arbeitervereins, so konnte der Arbeiterverein wegen seiner Verhandlungen selbst nicht gerichtlich verfolgt werden.

<131> Gegen den Arbeiterverein liegt nur vor, was gegen die "Arbeiterzeitung" vorliegt - die mißliebige Tendenz dieses Vereins. Gehören zu den Märzerrungenschaften auch die - Tendenzprozesse, Prozesse gegen Tendenzen, die bloße Tendenzen geblieben sind? Bisher sind unsere Septembergesetze noch nicht erlassen worden. Gottschalk und Konsorten wurden auch keineswegs verhaftet und in Anklagezustand gesetzt wegen gesetzwidriger Berichte der "Arbeiterzeitung" oder gesetzwidriger Verhandlungen des Arbeitervereins. Der Anklageakt macht daraus kein Geheimnis. Nicht die bisherige Wirksamkeit des Arbeitervereins setzte die Justiz in Bewegung, sondern - man höre:

"In den Tagen vom 14. - 17. Juni d.J. war zu Frankfurt ein Kongreß der Abgeordneten von einer Menge in Deutschland erstandener demokratischer Vereine versammelt. Gottschalk und Anneke repräsentierten als Abgeordnete den Kölner Arbeiterverein. Dieser Kongreß sprach sich, wie bekannt, öffentlich für die demokratische Republik aus, und die hiesigen Behörden erwarteten einen Nachhall der dortigen Bewegung, als auf Sonntag, den 25. Juni, abermals eine Generalversammlung des Arbeitervereins auf dem Gürzenich angekündigt wurde."

Die hiesigen Behörden erwarteten einen Nachhall der Frankfurter Bewegung. Aber welche Bewegung hatte denn in Frankfurt stattgefunden? Der demokratische Kongreß hatte sich öffentlich für die mißliebige Tendenz der demokratischen Republik ausgesprochen. Man erwartete also einen "Nachhall" dieser "Tendenz" und wollte in Kampf mit diesem Echo treten.

Bekanntlich hat der demokratische Kongreß zu Frankfurt und der zur Exekution seiner Beschlüsse ernannte Zentralausschuß von den Regierungen unangefochten zu Berlin getagt.

Die deutschen Regierungen mußten also trotz der mißliebigen Tendenz die Gesetzmäßigkeit des Frankfurter Kongresses und der von ihm angeordneten Organisation der demokratischen Partei anerkennen.

Aber die kölnischen Behörden "erwarteten nun einmal" einen Nachhall der Frankfurter Bewegung. Sie erwarteten eine Gelegenheit, Gottschalk und Konsorten auf gesetzwidrigem Boden zu ertappen. Zur Konstituierung dieser Gelegenheit wurden von der Polizeidirektion die "Polizeikommissare Lutter und Hünnemann" am 25. Juni in die Generalversammlung des Arbeitervereins auf den Gürzenich kommandiert und "besonders angewiesen, die Vorkommnisse daselbst zu beobachten". In derselben Generalversammlung befand sich zufällig "der Buchbinder Johann Maltheser", der, wie der Anklageakt seufzt, "ein Hauptzeuge sein würde, wenn er nicht im Solde der Polizeibehörde gestanden hätte", d.h. mit andern Worten, wenn er nicht bezahlter Polizeispion wäre. Endlich stellte sich hier, wahrscheinlich aus reinem patriotischem <132> Fanatismus, der "Referendar v. Groote" ein, der die Rede Annekes in der Generalversammlung "am ausführlichsten gibt, da er in der Sitzung selbst nachgeschrieben hat".

Man sieht: die kölnischen Behörden erwarteten am 25. Juni ein von Gottschalk und Konsorten zu begehendes Verbrechen. Alle polizeilichen Vorkehrungen, um dies eventuelle Verbrechen zu konstatieren, waren getroffen. Wenn die Behörden aber einmal "erwarten", so wollen sie nicht umsonst warten.

"Aus den Berichten" der zur Konstatierung eines erwarteten Verbrechens kommandierten Polizeikommissare und sonstiger Helfershelfer

"nahm am 2. Juli die Staatsbehörde Anlaß zu einem Antrag auf Untersuchung gegen Gottschalk und Anneke wegen ihrer in jener öffentlichen Versammlung gehaltenen" (soll heißen erwarteten) "aufreizenden Reden. Am 3. Juli hatte ihre Verhaftung nebst Beschlagnahme ihrer Papiere statt.

Am 5. Juli, nachdem bis dahin mehrere Zeugen vernommen und nähere Anzeigen eingekommen waren, wurde die Untersuchung ausgedehnt auf die gesamte vorhergehende Tätigkeit der Vorsteher des Arbeitervereins und damit gegen mehrere Mitglieder desselben, namentlich gegen den Faßbinder Esser usw. Was die Untersuchung gegen die Angeklagten ergeben hat, bezieht sich teils auf ihre Reden im Arbeiterverein, teils auf ihre Papiere und die von ihnen verbreiteten Druckschriften."

Was die Untersuchung wirklich ergeben hat - wir werden es morgen aus dem Anklageakte selbst beweisen -, ist, daß die am 25. Juni erwartete Bewegung sich auf eine Bewegung der Behörden - dies Echo der Frankfurter Bewegung - beschränkte, daß Gottschalk und Konsorten für die am 25. Juni getäuschte Erwartung der Behörden mit sechsmonatlicher enger Untersuchungshaft Buße tun mußten. Nichts gefährlicher, als die Erwartungen der Staatsbehörde, eine Rettungsmedaille um das Vaterland zu verdienen, zu täuschen. Kein Mensch wird gern in seinen Erwartungen getäuscht, am wenigsten die Staatsbehörde.

Wenn die ganze Art und Weise, wie das Verbrechen am 25. Juni in Szene gesetzt wurde, uns die Staatsbehörde als einzigen Schöpfer dieses kriminalistischen Dramas zeigt, so bieten uns die Untersuchungsakte Gelegenheit, die scharfsinnige Gewandtheit zu bewundern, womit sie den Prolog auf sechs Monate ausspann.

Wir zitieren wörtlich aus: "Der Politische Tendenzprozeß gegen Gottschalk und Konsorten", herausgegeben von M. F. Anneke. Verlag der "Neuen Kölnischen Zeitung."

"Nachdem die Untersuchung etwa fünf bis sechs Wochen gewährt hatte, wurde sie vom Instruktionsrichter Leuthaus, der an die Stelle des zum Polizeidirektor beförderten Herrn Geiger getreten war, für geschlossen erklärt. Der Staatsprokurator Hecker stellte indes nach Durchsicht der Akten neue Anträge, auf die auch vom Untersuchungs- <133> richter eingegangen wurde. Nach Verlauf von etwa 14 Tagen war die Voruntersuchung zum zweiten Male geschlossen. Nachdem Herr Hecker von neuem mit Muße die Akten durchstudiert hatte, stellte er wiederum eine Anzahl neuer Anträge. Der Untersuchungsrichter wollte nicht darauf eingehen, ebensowenig die Ratskammer. Herr Hecker appellierte an den Anklagesenat, und diese Instanz verfügte, daß einigen von den Anträgen stattzugeben, andere hingegen abzulehnen seien. Unter den letzteren befand sich nun beispielsweis der Antrag, auf Grund eines bloßen Namensverzeichnisses von Personen aus allen Teilen Deutschlands, welches sich in Annekes Brieftasche vorgefunden hatte, diese sämtlichen Personen, etwa 30 oder 40 an der Zahl, in die Untersuchung zu ziehen.

Nachdem die Untersuchung glücklich so weit ausgesponnen war und sich füglich nicht weiter mehr ausdehnen ließ, verfügte die Ratskammer am 28. September über die Überweisung der Akten an den Anklagesenat. Dieser erkannte den 10. Oktober die Anklage, und den 28. Oktober unterzeichnete der Generalprokurator den Anklageakt.

Die ordentliche Quartalsassise, welche am 9. Oktober begonnen hatte, war somit glücklich verpaßt für diesen Prozeß.

Nach dem 27. November war eine außerordentliche Assise anberaumt. Auch die sollte womöglich noch verpaßt werden. Die Akten der Voruntersuchung wurden nämlich an das Justizministerium geschickt mit dem Antrage, den Prozeß an einen andern Assisenhof zu verweisen. Das Justizministerium fand indes keinen hinreichenden Grund, und gegen November wurden die Angeklagten Gottschalk, Anneke und Esser dann endlich auf den 21. Dezember vor die hiesige außerordentliche Assise verwiesen."

Während dieses langen Prologs war der erste Instruktionsrichter, Geiger, zum kommissarischen Polizeidirektor und der Staatsprokurator Hecker zum Oberprokurator befördert worden. Da Herr Hecker in letzter Eigenschaft kurz vor Beginn der außerordentlichen Assise von Köln nach Elberfeld versetzt worden ist, so wird er nicht gleichzeitig mit den Angeklagten vor der Jury - erscheinen.

["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 176 vom 23. Dezember 1848]

*Köln, 22. Dezember. Welcher Tag war es, an dem die zur Konstatierung eines "erwarteten" Verbrechens berufene Generalversammlung auf dem Gürzenich stattfand? Es war der 25. Juni. Der 25. Juni war der Tag der definitiven Niederlage der Pariser Juniinsurgenten. An welchem Tage nahm die Staatsbehörde ihren Antrag gegen Gottschalk und Konsorten? Am 2. Juli, d.h. in dem Augenblicke, wo die preußische Bourgeoisie und die damals mit ihr verbündete Regierung in rachedurstigem Übermute den Augenblick gekommen glaubten, mit ihren politischen Gegnern ein Ende zu machen. Am 3. Juli wurden Gottschalk und Konsorten verhaftet. Am 4. Juli trat das jetzige kontrerevolutionäre Ministerium in das Ministerium Hansemann ein, in der Person <134> Ladenbergs. An demselben Tage wagte die Rechte der Berliner Vereinbarerversammlung einen Staatsstreich, indem sie einen bezüglich Polens mit Majorität gefaßten Beschluß, nachdem sich ein Teil der Linken verlaufen hatte, in derselben Sitzung ohne weiteres wieder umstieß.

Diese Data sprechen. Wir könnten den Zeugenbeweis liefern, daß eine "gewisse" Person am 3. Juli äußerte: "Die Verhaftung von Gottschalk und Konsorten habe einen günstigen Eindruck auf das Publikum gemacht." Doch genügt es, auf die Nummern der "Kölnischen", der "Deutschen" und der "Karlsruher" Zeitungen von den angegebenen Daten hinzuweisen, um sich zu überzeugen, daß in diesen Tagen nicht das "Echo" der imaginären "Frankfurter Bewegung", sondern vielmehr das "Echo" der "Cavaignacschen Bewegung" in Deutschland und unter anderm auch in Köln tausendfältig widerhallte.

Unsere Leser erinnern sich: Am 25. Juni "erwarteten" die kölnischen Behörden einen Nachhall der "Frankfurter Bewegung" bei Gelegenheit der Generalversammlung des Arbeitervereins auf dem Gürzenich. Sie erinnern sich ferner, daß die Untersuchung gegen Gottschalk und Konsorten ihren Ausgangspunkt nahm nicht von einem wirklichen Verbrechen Gottschalks usw. vor dem 25. Juni, sondern einzig und allein von der Erwartung der Behörden, daß am 25. Juni endlich ein faßbares Verbrechen stattfinden werde.

Die Erwartung des 25. Juni wird getäuscht, und plötzlich verwandelt sich der 25. Juni 1848 in das Jahr 1848. Den Angeklagten wird die Bewegung des Jahres 1848 zur Last gelegt. Gottschalk, Anneke, Esser werden beschuldigt,

"im Laufe des Jahres 1848" (man denke sich die Dehnbarkeit dieses Ausdrucks) "zu Köln ein Komplott zum Zwecke der Veränderung und des Umsturzes der betreffenden Regierung und der Erregung eines Bürgerkriegs durch Verleitung der Bürger, sich gegeneinander zu bewaffnen, gemacht oder doch" (man passe auf), "oder doch durch Reden in öffentlichen Versammlungen, durch gedruckte Schriften und angeheftete Plakate zu Attentaten und solchen Zwecken gereizt zu haben".

Das heißt also: ein Komplott gemacht "oder doch" kein Komplott "gemacht" zu haben. Aber denn doch "zu Attentaten und solchen Zwecken". D.h. zu Attentaten oder sonst dergleichen Zeug! Herrlicher Stil, der juristische!

Also lautet es in dem Verweisungsurteil des Anklagesenats.

In dem Konklusum des Anklageakts selbst wird das Komplott fallengelassen, und "demnach" werden Gottschalk, Anneke und Esser angeklagt,

"im Laufe des Jahres 1848 durch Reden in öffentlichen Versammlungen sowie durch Druckschriften ihre Mitbürger zur gewaltsamen Änderung der Staatsverfassung, zur <135> bewaffneten Auflehnung gegen die königliche Macht und zur Bewaffnung eines Teiles der Bürger gegen den andern geradezu angereizt zu haben, ohne daß jedoch diese Anreizungen einen Erfolg gehabt haben -, Verbrechen gegen Art. 102, in Verbindung mit Art. 87, 91 des Strafgesetzbuchs."

Und warum sind die Behörden nicht im Laufe des Jahres 1848 vor dem zweiten Juli eingeschritten?

Damit die Herren übrigens von einer "gewaltsamen Änderung der Staatsverfassung" sprechen könnten, hätten sie vor allem den Beweis zu liefern, daß eine Staatsverfassung bestand. Die Krone hat das Gegenteil bewiesen, indem sie die Vereinbarerversammlung zum Teufel gejagt hat. Wären die Vereinbarer mächtiger gewesen als die Krone, so hätten sie den Beweis vielleicht in umgekehrter Weise geführt.

Was nun die Anreizung "zur bewaffneten Auflehnung gegen die königliche Macht und zur Bewaffnung eines Teils der Bürger gegen den anderen" betrifft, so beweist sie der Anklageakt:

1. durch Reden der Angeklagten im Laufe des Jahres 1848;

2. aus ungedruckten,

3. aus gedruckten Schriften.

Ad. 1. Die Reden bieten dem Anklageakt folgendes corpus delicti <Beweismittel>:

In der Sitzung vom 29. März findet Esser in der "Republik" das "Heilmittel für die Leiden der Arbeiter". Anreizung zur bewaffneten Auflehnung gegen die k[öni]gl[iche] Macht! Gottschalk erklärt, daß "die Reaktionäre die Republik herbeiführen werden". Einige Arbeiter beklagen sich, daß sie nicht soviel hätten, "das nackte Leben zu fristen". Gottschalk antwortet ihnen: "Sie sollten sich vereinigen lernen, ihre Freunde von ihren verkappten Feinden unterscheiden, sich dazu befähigen, ihre eigenen Angelegenheiten selbst zu ordnen."

Offenbare Anreizung zur bewaffneten Auflehnung gegen die k[öni]gl[iche] Macht und zur Bewaffnung eines Teiles der Bürgerschaft gegen den andern!

Der Anklageakt resumiert seine Beweise in folgenden Worten:

"Die Zeugen, welche über diese früheren Versammlungen vernommen worden sind, Mitglieder und Nichtmitglieder, sprechen sich im ganzen nur belobend über Gottschalk und Anneke, besonders den erstern, aus. Er habe immer vor Exzessen gewarnt, die Massen mehr zu beschwichtigen als aufzureizen gesucht. Dabei deutete er freilich auf die Republik als letztes Ziel seiner Bestrebungen hin, welches aber nicht durch einen Straßenkrawall, sondern nur dadurch zu erreichen sei, daß man die <136> Majorität des Volkes zu der Ansicht gewinne, daß außer der Republik kein Heil sei. Indem er so, wie man deutlich sieht, darauf ausging, die Fundamente des Bestehenden allmählich zu unterwühlen, hatte er begreiflicherweise oftmal genug zu tun, die Ungeduld des rohen Haufens zu zügeln."

Eben weil die Angeklagten die Massen beschwichtigten, statt sie aufzureizen, zeigten sie deutlich ihre bösartige Tendenz, allmählich die Fundamente des Bestehenden zu unterwühlen, d.h., von der Preßfreiheit und dem Assoziationsrecht in gesetzlicher Weise einen den Behörden mißliebigen Gebrauch zu machen. Und das nennt der Anklageakt: "Anreizung zur bewaffneten Auflehnung gegen die k[öni]gl[iche] Macht und zur Bewaffnung eines Teiles der Bürger gegen den andern"!!!

Endlich kommt die von den Behörden "erwartete" Generalversammlung vom 25. Juni. Über sie, sagt der Anklageakt, "liegen umständliche Zeugnisse vor". Und was ergeben diese umständlichen Zeugnisse? Daß Gottschalk Bericht über die Frankfurter Ereignisse abstattete; daß über die Vereinigung der drei demokratischen Vereine in Köln debattiert wurde, daß Gottschalk eine "Schlußrede" hielt, welche besonders die Aufmerksamkeit des Malthesers und des Referendars von Groote fesselte und die mit der "Pointe" endete: "Ausharren fordere mehr Mut als Dreinschlagen. Man solle warten, bis die Reaktion einen Schritt tue, der auf die Proklamierung der Republik hindränge." Offenbare Anreizung zur bewaffneten Auflehnung gegen die k[öni]gl[iche] Macht und zur Bewaffnung eines Teils der Bürger gegen den andern !!!

Was nun den Anneke betrifft, so kommt nach dem Anklageakte

"weiter nichts vor, als daß er bei der Debatte über die Vereinigung der drei Vereine" (der drei demokratischen Vereine zu Köln) "sehr heftig für diese Vereinigung sprach, die Versammlung ebenfalls als Bürger Republikaner anredend".

Eine Rede für die "Vereinigung" der drei demokratischen Vereine zu Köln ist offenbar die "Anreizung zur Bewaffnung eines Teils der Bürgerschaft gegen den andern"!

Und die Anrede "Bürger Republikaner"! Die Herren Maltheser und von Groote mögen sich beleidigt durch diese Anrede gefühlt haben. Aber redet der General v. Drigalski sich selbst und die Düsseldorfer Bürgerschaft nicht an: "Bürger Kommunisten"?

Wenn man diesen Reinertrag der "erwarteten" Generalversammlung vom 25. Juni betrachtet, so begreift man, daß die Staatsbehörde zum Laufe des Jahres 1848 ihre Zuflucht nehmen mußte, und das tut sie denn auch, indem sie durch Beschlagnahme von Briefen und Druckschriften sich über die Bewegung dieses Jahres unterrichtet, z.B. drei Nummern der "Arbeiter- <137> Zeitung" konfisziert, die für vier Pfennige per Stück in jeder Straße zu kaufen waren.

Aus den Briefen aber überzeugt sie sich, welch "politischer Fanatismus"' in dem Jahre 1848 in Deutschland herrscht. Besonders "fanatisch" erscheint ihr ein Brief des Professor Karl Henkel aus Marburg an Gottschalk. Zur Strafe denunziert sie diesen Brief der kurhessischen Regierung, und sie erlebt die Genugtuung, daß gegen den Professor untersucht wird.

Als Schlußresultat aber ergibt sich aus den Briefen und Druckschriften, daß 1848 in den Köpfen und auf dem Papier allerlei Fanatismus sich umtrieb und überhaupt sich Ereignisse zutrugen, die wie ein Ei dem andern "der bewaffneten Auflehnung gegen die königl[iche] Macht und der Bewaffnung eines Teils der Bürgerschaft gegen den andern" ähnlich sehen.

Gottschalk und Konsorten aber beschäftigen sich mit all diesem Zeug, während die Staatsbehörde erst den "Nachhall" dieser erstaunlichen Bewegung durch die Konfiskation der Druckschriften und Briefe der Angeklagten kennenlernt!

Geschrieben von Karl Marx.