[Aufforderung des Rheinischen Kreisausschusses der Demokraten zur Steuerverweigerung] | Inhalt | Der Stadtrat

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 6, S. 34-36
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1959

Wahlen für das Bundesgericht - Verschiedenes

["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 150 vom 23. November 1848]

<34> **Bern, 18. November. Gestern gab ich Ihnen die acht erstgewählten Bundesrichter an. Im Verfolg der gestrigen gemeinsamen Sitzung wurden noch ernannt: Folly von Freiburg (einer der dortigen Nationalräte, deren Wahl kassiert wurde), Dr. Karl Brenner, Red[akteur] der "Schweiz[erischen] National-Zeitung" von Basel, und Adv[okat] Jauch von Uri, wodurch das Bundesgericht auf die volle Zahl von elf Richtern gebracht wird. Zum Präsidenten wurde Kern, zum Vizepräsidenten Dr. K. Pfuffer ernannt.

Wie Sie wissen, hat der Nat[ional]-Rat die Wahlen des Kant[ons] Freiburg kassiert, weil nur diejenigen Wähler zur Abstimmung zugelassen wurden, welche die neue Bundesverfassung zu beschwören bereit waren. Er hat sein Votum am folgenden Tage durch fast einstimmige (73 gegen 13) Verwerfung des Funkschen Antrags, die Sache durch beide Räte entscheiden zu lassen, bestätigt. Abgesehen von dem Berner Lokalklatsch, den dieser Beschluß hervorgerufen, hat er aber auch Anlaß gegeben zu sehr bittern Erörterungen zwischen den Radikalen der deutschen und französischen Schweiz. Die Sache ist folgende: Die Bundesverfassung bestimmt, der erste Nationalrat soll von allen Schweizern gewählt werden, welche 20 Jahre wenigstens alt und sonst in ihrem Kanton Wähler sind. Im übrigen ist die ganze Anordnung, Reglement und nähere Bestimmungen den einzelnen Kantonen überlassen. Der von der Freiburger Regierung verlangte Eid ist auch in manchen andern Kantonen Bedingung des Wahlrechts; in diesen Kantonen muß jeder Schweizer Bürger, der zum erstenmal sein Wahlrecht ausübt, die Kantonalverfassung beschwören. Es ist klar, die Absicht der Verfasser der neuen Konstitution war, für die Wahlen das allgemeine Stimmrecht zu sichern; aber nach dem Wortlaut hat die Freiburger Regierung recht, und nach den Umständen, in denen sie sich einer kompakten feindlichen, von den Pfaffen beherrschten Majorität gegen- <35> über befindet, mußte sie entweder den Eid verlangen oder abdanken. Die deutschen Radikalen halten nun an der Absicht des Gesetzgebers fest, die französischen, Waadt an ihrer Spitze, stützen sich auf den Buchstaben der Verfassung, um die Freiburger Regierung und die ihnen so erwünschten fünf radikalen Stimmen im Nationalrat zu retten. Sie erklären den Beschluß des Nationalrats für eine indirekte Billigung der Rebellion des Freiburger Bischofs, die, was ganz richtig ist; den Sturz der Freiburger radikalen Regierung und die Herstellung einer Sonderbundsregierung in diesem Kanton nach sich ziehen müsse. Sie titulieren die Berner und sonstigen deutschen Radikalen "Theoretiker", "Fabrikanten hohler Abstraktionen", "Doktrinäre" usw. Es ist richtig, daß die deutsch-schweizerischen Radikalen, meist Advokaten, ihren juristischen Standpunkt oft zu sehr festhalten, während die Waadtländer und Genfer, in der revolutionären französischen Schule gebildet, bessere Politiker sind und das Jus zuweilen auf die leichte Achsel nehmen.

Das entschiedenste Blatt dieser französisch-schweizerischen Richtung ist der "Nouvelliste Vaudois" von Lausanne, das "Organ der in Permanenz erklärten Revolution", wie die Konservativen und selbst die gesetzten Liberalen ihn nennen. Dies übrigens gar nicht ohne Geist und Leichtigkeit geschriebene Blatt pflanzt ohne weiteres die Fahne der roten Republik auf, erklärt sich für die Juni-Insurgenten in Paris, nennt den Tod Latours in Wien "einen gewaltigen Akt souveräner Volksjustiz" und verspottet mit bitterer Ironie den pietistisch-reaktionären "Courrier Suisse", der ob solcher Greuel heulend die Augen verdrehte. Und doch ist dieser "Nouvelliste" das Organ einer mächtigen Partei in der Waadtländer Regierung, ja man kann fast sagen, das Organ der Majorität dieser Regierung; und dennoch geht in Waadt durchaus alles in Ordnung, das Volk ist ruhig und hängt seiner Regierung enthusiastisch an, wie gerade die Nationalratswahlen wieder beweisen.

Nach einer halboffiziellen Mitteilung der "Revue de Genève" wird Genf die Beschlüsse der Diözesankonferenz wegen des Bischofs von Freiburg (die werden Sie längst kennen) mit einigen geringen, durch alte Konkordate bedingten Vorbehalten ratifizieren. Die übrigen Kantone der Diözese haben bereits ratifiziert. Sobald alle Ratifizierungen eingelaufen, berichtet sie weiter, wird Bischof Marilley freigelassen werden, da der Kanton Freiburg erklärt hat, die gegen ihn eingeleitete Kriminaluntersuchung wegen Beteiligung an dem letzten Aufstandsversuch niederschlagen zu wollen.

Man ist sehr gespannt auf die Wahl der Bundesstadt. Wenn Bern nicht gewählt werden sollte, und man will ein Vorzeichen dafür in dem Umstand sehen, daß kein Berner weder zum Präsidenten noch zum Vizepräsidenten des Bundesrats ernannt, so wird hier eine Bewegung ausbrechen, die den Sturz <36> Ochsenbeins, eine Majorität der radikalen Richtung (Stämpfli, Niggeler, Stockmar etc.) und die Revision der kaum eingeführten Bundesverfassung zur Folge haben würde. Nach der Verfassung müssen nämlich die beiden Räte aufgelöst und neue zur Verfassungsrevision gewählt werden, sobald 50.000 wahlfähige Schweizer Bürger dies verlangen. Bern allein bringt diese Zahl von Unterschriften leicht zusammen, ungerechnet die Massen, die aus den avancierten romanischen Kantonen kommen würden, gespornt durch die Aussicht auf Einkammersystem und größere Zentralisation. Aber alle Vermutungen über Voten schweizerischer Räte sind gerade ins Blaue hinein; die grenzenlose Zersplitterung, diese notwendige Folge der historischen Föderativ-Republik, die namenlose Konfusion der Interessen und das unbegreifliche Durcheinander der bestimmenden Motive machen alle Kannengießereien über Wahrscheinlichkeit und Möglichkeit zuschanden.

Geschrieben von Friedrich Engels.