Der "Musterstaat" Belgien | Inhalt | Das deutsche Reichsbürgerrecht und die preußische Polizei
Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 5, S. 319-363Am 27. Juli 1848 hatte die Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche nach einer dreitägigen Debatte beschlossen, den größten Teil des preußisch besetzten Teils von Polen in den Deutschen Bund aufzunehmen, d.h. zu annektieren. In der hier wiedergegebenen Artikelserie unterwarf die Neue Rheinische Zeitung die Debatte einer beißenden Kritik und wiederholte ihre strategische Position, wonach Polen als die "notwendige Nation" als wiedervereinigter und unabhängiger Staat wiederhergestellt werden müßte, durchzusetzen durch einen revolutionären Krieg gegen das zaristische Rußland, was wiederum untrennbar verbunden sei mit der Errichtung von Deutschland, Ungarn und Italien als Republiken.
Ein halbes Jahrhundert später hat Franz Mehring in seinem Vorwort zu der dreibändigen Ausgabe von Schriften von Marx und Engels den historischen Kontext dieser im Jahre 1848 aktuellen Artikel dargestellt und einige kritische Anmerkungen dazu gemacht. Siehe den Artikel "Die polnische Frage" in unserem Archiv.
Der von Engels kritisierte Ausschußbericht, der mündliche Bericht von Stenzel dazu
sowie die Diskussionsbeiträge der Abgeordneten kann man online
im Digitalisat des Wortprotokolls der Nationalversammlung bei der Bayerischen Staatsbibliothek nachlesen:
Stenographischer Bericht über die Verhandlungen der
deutschen constituirenden Nationalversammlung zu Frankfurt am Main.
Hrsg. auf Beschluss der Nationalversammlung durch die Redactions-Commission
und in deren Auftrag von Franz Wigard, Frankfurt a. M., Bd. 2 1848, S. 1124-1129
Red. mlwerke.de
Geschrieben von Friedrich Engels
["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 70 vom 9. August 1848]
<319> **Köln, 7. August. Die Frankfurter Versammlung, deren Debatten selbst in den erregtesten Momenten nie den Charakter einer echt deutschen Gemütlichkeit verloren, hat sich endlich bei der Posener Frage emporgerafft. Hier, wo preußische Schrapnells und gehorsame Bundestagsbeschlüsse ihr vorgearbeitet hatten, hier mußte sie einen entscheidenden Beschluß fassen; hier war keine Vermittlung möglich; sie mußte Deutschlands Ehre retten oder sie abermals beflecken. Die Versammlung hat unsern Erwartungen entsprochen; sie hat die sieben Teilungen Polens sanktioniert, sie hat die Schmach von 1772, 1794 und 1815 von den Schultern der deutschen Fürsten auf ihre eigenen Schultern gewälzt.
Noch mehr! Die Frankfurter Versammlung hat die sieben Teilungen Polens für ebenso viele an die Polen verschwendete Wohltaten erklärt. Hat nicht das gewaltsame Eindringen der jüdisch-germanischen Race Polen zu einer Höhe der Kultur, zu einer Stufe der Wissenschaft emporgeschwungen, von der das Land früher keine Ahnung hatte? Verblendete, undankbare Polen! Hätte man euch nicht geteilt, ihr selbst müßtet bei der Frankfurter Versammlung um die Gnade nachsuchen, geteilt zu werden!
Der Pfarrer Bonavita Blank im Kloster Paradies bei Schaffhausen erzog sich Elstern und Stare zum Aus- und Einfliegen. Er hatte ihnen die untere Hälfte des Schnabels ausgeschnitten, daß sie ihr Futter nicht selbst suchen, sondern es bloß aus seiner Hand empfangen konnten. Die Philister, welche von fern die Vögel auf die Schultern des Ehrwürdigen fliegen und vertraulich mit ihm verkehren sahen, bewunderten seine hohe Kultur und Wissenschaft. - Die Vögel, sagt sein Biograph, liebten ihn wie ihren Wohltäter.
Und die gefesselten, verstümmelten, gebrandmarkten Polen wollen ihre Wohltäter nicht lieben!
<320> Wir können die den Polen durch das Preußentum erwiesenen Wohltaten nicht besser schildern, als indem wir auf den völkerrechtlichen Ausschußbericht des gelehrten Historienschreibers, Herrn Stenzel, eingehen, den Bericht, der der Debatte als Text zugrunde liegt.
Der Bericht erzählt zuerst, ganz im Stile der gewöhnlichsten diplomatischen Aktenstücke, die Entstehung des Großherzogtums Posen im Jahre 1815 durch "Einverleibung" und "Zusammenschlagung". Dann folgen die von Friedrich Wilhelm III. den Posenern zu gleicher Zeit gemachten Versprechungen: Aufrechthaltung der Nationalität, Sprache und Religion, Einsetzung eines eingebornen Statthalters, Teilnahme an der berühmten preußischen Konstitution.
Was von diesen Versprechungen gehalten worden, ist bekannt. Die Verkehrsfreiheit zwischen den drei Bruchstücken Polens, die der Wiener Kongreß um so ruhiger beschließen konnte, je unausführbarer sie war, trat natürlich nie ins Leben.
Jetzt kommt das Bevölkerungsverhältnis. Herr Stenzel rechnet heraus, daß 1843 im Großherzogtum 790.000 Polen, 420.000 Deutsche und fast 80.000 Juden wohnten, zusammen fast 1.300.000 Einwohner.
Der Behauptung des Herrn Stenzel stehen die polnischen Behauptungen, unter andern des Erzbischofs Przyluski entgegen, wonach weit über 800.000 Polen, und nach Abzug der Juden, Beamten und Soldaten, kaum 250.000 Deutsche in Posen leben.
Bleiben wir jedoch bei der Behauptung des Herrn Stenzel. Sie reicht vollständig hin für unsere Zwecke. Geben wir zu, um uns alle weitere Debatte zu ersparen, daß 420.000 Deutsche in Posen wohnen. Wer sind diese durch Hinzuziehung der Juden auf eine halbe Million gebrachten Deutschen?
Die Slawen sind ein vorwiegend ackerbautreibendes Volk, wenig geschickt zum Betrieb städtischer Gewerbe, wie sie bisher in slawischen Ländern möglich waren. Der Handelsverkehr auf seiner ersten, rohesten Stufe, wo er noch bloßer Schacher war, wurde den hausierenden Juden überlassen. Als Kultur und Bevölkerung sich vermehrten, als das Bedürfnis städtischer Gewerbe und städtischer Konzentration fühlbar wurde, zogen Deutsche nach den slawischen Ländern. Die Deutschen, die überhaupt ihre höchste Blüte in der Kleinbürgerei der mittelalterlichen Reichsstädte, in dem trägen, karawanenmäßigen Binnenhandel und beschränkten Seehandel, im zünftigen Handwerksbetrieb des 14. und 15. Jahrhunderts erreichten, die Deutschen bewiesen ihren Beruf, die Pfahlbürger der Weltgeschichte zu werden, namentlich dadurch, daß sie bis auf den heutigen Tag den Kern der Kleinbürgerschaft von ganz Ost- und Nordeuropa, ja von Amerika bilden. In Petersburg, <321> Moskau, Warschau und Krakau, in Stockholm und Kopenhagen, in Pest, Odessa und Jassy, in New York und Philadelphia sind die Handwerker, Krämer und kleinen Zwischenhändler zum großen, oft zum größten Teil Deutsche oder von deutscher Abkunft. In allen diesen Städten gibt es Stadtviertel, wo ausschließlich deutsch gesprochen wird; einzelne Städte, wie Pest, sind sogar fast ganz deutsch.
Diese deutsche Einwanderung ist, namentlich in den slawischen Ländern, seit dem 12. und 13. Jahrhundert fast ununterbrochen vor sich gegangen. Seit der Reformation wurden außerdem durch Sektenverfolgungen von Zeit zu Zeit ganze Massen von Deutschen nach Polen getrieben, wo sie mit offenen Armen aufgenommen wurden. In andern slawischen Ländern, in Böhmen, Mähren usw., wurde die slawische Bevölkerung durch Eroberungskriege der Deutschen dezimiert und die deutsche Bevölkerung durch Invasion vermehrt.
Die Sachlage ist gerade in Polen am klarsten. Die deutschen Spießbürger, die dort seit Jahrhunderten ansässig sind, haben sich von jeher ebensowenig politisch zu Deutschland gerechnet wie die Deutschen in Nordamerika, wie die "französische Kolonie" in Berlin oder die 15.000 Franzosen in Montevideo zu Frankreich. Sie sind, soweit es in den dezentralisierten Zeiten des 17. und 18. Jahrhunderts möglich war, Polen geworden, deutsch redende Polen, sie hatten längst vollkommen verzichtet auf allen Zusammenhang mit dem Mutterlande.
Aber sie haben Kultur, Bildung und Wissenschaft, Handel und Gewerbe nach Polen gebracht! - Allerdings den Kleinhandel und die Zunfthandwerke haben sie hingebracht; durch ihre Konsumtion und den beschränkten Verkehr, den sie herstellten, haben sie einigermaßen die Produktion gehoben. Von großer Bildung und Wissenschaft hat man bis 1772 in ganz Polen und seitdem auch in Östreichisch- und Russisch-Polen noch nicht viel gehört; vom preußischen werden wir noch näher sprechen. Dafür haben die Deutschen in Polen die Bildung polnischer Städte mit polnischer Bourgeoisie verhindert; sie haben die Zentralisation, das gewaltigste politische Mittel zur raschen Entwicklung eines Landes, durch ihre verschiedene Sprache, durch ihr Abschließen von der polnischen Bevölkerung, durch ihre tausendfach verschiedenen Privilegien und städtischen Rechtsverfassungen erschwert. Fast jede Stadt hatte ihr eigenes Recht, ja, in gemischten Städten bestand und besteht oft noch verschiedenes Recht für Deutsche, für Polen und für Juden. Die Deutschpolen sind auf der alleruntergeordnetsten Stufe der Industrie stehengeblieben, sie haben weder große Kapitalien gesammelt, noch haben sie sich die große Industrie anzueignen gewußt, noch haben sie sich der ausgedehnten <322> Handelsverbindungen bemächtigt. Der Engländer Cockerill mußte erst nach Warschau kommen, ehe die Industrie in Polen Wurzel fassen konnte. Kramhandel, Handwerk und höchstens Kornhandel und Manufaktur (Weberei etc.) im beschränktesten Maßstabe - das war die ganze Tätigkeit der Deutschpolen. Und daß sie deutsches Philistertum, deutsche spießbürgerliche Beschränktheit nach Polen importiert, daß sie die schlechten Eigenschaften beider Nationen ohne die guten in sich vereinigen, darf bei den Verdiensten der Deutschpolen ebenfalls nicht vergessen werden.
Herr Stenzel sucht die Sympathie der Deutschen für die Deutschpolen rege zu machen:
"Als die Könige ... vorzüglich im 17. Jahrhundert immer ohnmächtiger wurden und auch die eingebornen polnischen Bauern gar nicht mehr gegen die härteste Unterdrückung durch den Adel schützen konnten, verfielen auch die deutschen Dörfer und Städte, von denen viele in den Besitz des Adels kamen. Nur die größern königlichen Städte retteten einen Teil ihrer alten Freiheiten" (lies: Privilegien).
Verlangt Herr Stenzel etwa, die Polen hätten die (übrigens auch "eingebornen") "Deutschen" (lies: Deutschpolen) besser schützen sollen als sich selbst? Es versteht sich doch wohl von selbst, daß die in ein Land eingewanderten Ausländer nichts mehr verlangen können, als gute und böse Tage mit der Urbevölkerung zu teilen!
Kommen wir jetzt zu den Wohltaten, welche die Polen speziell der preußischen Regierung zu verdanken haben.
1772 wurde der Netzdistrikt durch Friedrich II. geraubt und im folgenden Jahr der Bromberger Kanal angelegt, der zwischen der Oder und der Weichsel eine Binnenschiffahrt herstellte.
"Die seit Jahrhunderten zwischen Polen und Pommern streitigen, durch zahllose Verheerungen und große Moräste vielfach wüsten Umgebungen [...] wurden nun urbar gemacht und durch zahlreiche Kolonisten bevölkert."
Die erste Teilung Polens war also kein Raub. Friedrich II. bemächtigte sich nur eines "seit Jahrhunderten streitigen" Gebietes. Aber seit wie lange bestand kein selbständiges Pommern mehr, das dieses Gebiet hätte streitig machen können? Seit wie langen Jahrhunderten war es wirklich den Polen nicht mehr streitig gemacht worden? Und was soll überhaupt diese rostige und verrottete Theorie der "Streitigmachungen" und "Ansprüche", die gut genug war, im 17. und 18. Jahrhundert die Nacktheit der Handels- und Arrondierungsinteressen zu verhüllen, was soll sie im Jahre 1848, wo allem historischen Recht und Unrecht der Boden unter den Füßen weggezogen ist?
<323> Übrigens sollte Herr Stenzel doch bedenken, daß nach dieser Rumpelkammerdoktrin die Rheingrenze zwischen Frankreich und Deutschland "seit Jahrtausenden streitig", ist und die Polen Ansprüche auf die Lehnshoheit über die Provinz Preußen und selbst Pommern geltend machen könnten!
Genug. Der Netzdistrikt wurde preußisch und war somit nicht mehr "streitig". Friedrich II. ließ ihn von Deutschen kolonisieren, und so entstanden die in der posenschen Angelegenheit so ruhmvoll genannten "Netzbrüder". Die Germanisierung von Staats wegen beginnt mit dem Jahre 1773.
"Die Juden in dem Großherzogtum sind allen zuverlässigen Angaben nach durchgehends Deutsche und wollen es auch sein ... Die religiöse Toleranz, welche ehemals in Polen vorherrschte, sowie mehrere Eigenschaften, welche den Polen abgingen, haben den Juden seit Jahrhunderten einen tiefeingreifenden" (in die Geldbeutel der Polen nämlich) "Wirkungskreis in Polen gegeben. In der Regel sind sie beider Sprachen mächtig, obgleich sie in ihren Familien, wie von Jugend auf ihre Kinder, deutsch sprechen."
Die unerwartete Sympathie und Anerkennung, welche die polnischen Juden in der letzten Zeit in Deutschland gefunden, hat hier ihren offiziellen Ausdruck erlangt. Verrufen, soweit der Einfluß der Leipziger Messe reicht, als der vollständigste Ausdruck des Schachers, der Filzigkeit und des Schmutzes, sind sie plötzlich deutsche Brüder geworden; der biedere Michel drückt sie unter Wonnetränen an sein Herz, und Herr Stenzel reklamiert sie im Namen der deutschen Nation als Deutsche, welche auch Deutsche sein wollen.
Und warum sollten die polnischen Juden keine echten Deutschen sein? Sprechen sie nicht "in ihren Familien, sowie von Jugend auf ihre Kinder, deutsch"? Und welches Deutsch noch obendrein!
Wir machen übrigens Herrn Stenzel darauf aufmerksam, daß er auf diese Weise ganz Europa und halb Amerika, ja einen Teil von Asien reklamieren kann. Deutsch ist bekanntlich die jüdische Weltsprache. In New York wie in Konstantinopel, in Petersburg wie in Paris "sprechen die Juden in ihren Familien, sowie von Jugend auf ihre Kinder, deutsch", und teilweise noch klassischeres Deutsch als die "stammverwandten" Bundesgenossen der Netzbrüder, die posenschen Juden.
Der Bericht fährt nun fort, die Nationalitätsverhältnisse möglichst unbestimmt und möglichst zugunsten der aus Deutschpolen, Netzbrüdern und Juden bestehenden angeblichen halben Million Deutschen darzustellen. Der bäuerliche Grundbesitz der Deutschen sei größer als der der polnischen Bauern (wir werden sehen, wie das zugeht). Seit der ersten Teilung Polens sei der Haß zwischen Polen und Deutschen, namentlich Preußen, aufs höchste gestiegen.
<324>"Preußen vorzüglich störte durch Einführung seiner besonders fest geregelten Staats- und Verwaltungsanordnungen" (welches Deutsch!) "und deren strenge Handhabung die alten Gewohnheiten <In der "Neuen Rheinischen Zeitung": Gerechtigkeiten> und herkömmlichen Einrichtungen der Polen auf das empfindlichste."
Wie sehr die "festgeregelten" und "strenge gehandhabten" Maßregeln der löblichen preußischen Bürokratie nicht nur die alten Gewohnheiten und herkömmlichen Einrichtungen, sondern das ganze gesellschaftliche Leben, die industrielle und ackerbauende Produktion, den Handelsverkehr, den Bergbau, kurz alle gesellschaftlichen Beziehungen ohne Ausnahme "störten", davon wissen nicht nur die Polen, sondern auch die übrigen Preußen, und ganz besonders wir Rheinländer, wunderbare Dinge zu erzählen. Herr Stenzel spricht aber hier nicht einmal von der Bürokratie von 1807-1848, sondern von der von 1772-1806, von den Beamten des eigentlichsten Stockpreußentums, deren Gemeinheit, Bestechlichkeit, Habgier und Brutalität in den Verrätereien von 1806 so glänzend zutage kam. Diese Beamten hätten den polnischen Bauern gegen den Adel geschützt und puren Undank geerntet; freilich hätten die Beamten fühlen müssen, "daß alles, auch Gutes geben und aufzwingen, nicht für den Verlust nationaler Selbständigkeit entschädigt".
Auch wir kennen die Art, in der die preußischen Beamten noch in letzter Zeit gewohnt waren, "alles zu geben und aufzuzwingen". Wo ist der Rheinländer, der nicht mit frisch importierten altpreußischen Beamten zu tun gehabt, der nicht Gelegenheit gehabt hat, dies unvergleichliche, naseweise Besserwissen, dies unverschämte Dreinreden, diese Vereinigung von Beschränktheit und Unfehlbarkeit, diese apodiktische Grobheit zu bewundern! Bei uns freilich haben die Herren Altpreußen ihre härtesten Ecken meist bald abgeschlissen; sie hatten keine Netzbrüder, keine geheime Inquisition, kein Landrecht und keine Stockprügel zu ihrer Verfügung, und an dem Mangel der letzteren ist mancher vor Gram gestorben. Wie sie aber erst in Polen gehaust haben mögen, wo sie nach Herzenslust prügeln und geheim inquirieren lassen konnten, das braucht uns nicht erst beschrieben zu werden.
Genug, die preußische Willkürherrschaft wußte sich so beliebt zu machen, daß "schon nach der Schlacht von Jena sich der Haß der Polen durch einen allgemeinen Aufstand und Verjagung der preußischen Beamten zeigte". Damit hatte die Beamtenwirtschaft einstweilen ihr Ende erreicht.
Aber im Jahr 1815 kam sie in etwas veränderter Gestalt wieder. Das "reformierte", "gebildete", "unbestechliche", "beste" Beamtentum versuchte sein Glück an diesen widerhaarigen Polen.
<325>"Auch mit Errichtung des Großherzogtums Posen konnte kein gutes Vernehmen hergestellt werden, indem ... der König von Preußen damals unmöglich darauf eingehen konnte, eine einzelne Provinz ganz selbständig zu organisieren und aus seinem Staate gewissermaßen einen Bundesstaat zu machen."
Also der König von Preußen konnte nach Herrn Stenzel "unmöglich darauf eingehen", seine eigenen Versprechungen und die Wiener Verträge zu halten!
"Als im Jahre 1830 die Sympathien des polnischen Adels für den Aufstand in Warschau Besorgnisse erregten und seitdem planmäßig dahin gearbeitet wurde, durch mehrere getroffene Einrichtungen (!), namentlich durch Aufkaufen, Zerschlagen und Verteilen polnischer Rittergüter an Deutsche, vorzüglich den polnischen Adel nach und nach völlig zu beseitigen, stieg die Erbitterung derselben gegen Preußen."
"Durch mehrere getroffene Einrichtungen!" Durch das Verbot, subhastierte Grundstücke an Polen zu verkaufen und andere derartigen Maßregeln, die Herr Stenzel mit dem Mantel der Liebe bedeckt.
Was würden die Rheinländer dazu sagen, wenn bei uns die preußische Regierung ebenfalls verboten hätte, gerichtlich verkaufte Grundstücke an Rheinländer zu verkaufen! Vorwände genug wären dazu dagewesen: um die Bevölkerung der alten und neuen Provinzen zu verschmelzen; um die Eingeborenen der alten Provinzen an den Wohltaten der Parzellierung und der rheinischen Gesetzgebung teilnehmen zu lassen; um die Rheinländer zu veranlassen, ihre Industrie auch in den alten Provinzen durch Einwanderung einheimisch zu machen, usw. Gründe genug, um uns ebenfalls mit preußischen "Kolonisten" zu beglücken! Wie würden wir eine Bevölkerung betrachten, die unsern Grund und Boden, bei ausgeschlossener Konkurrenz, zu Spottpreisen aufkaufte und außerdem noch vom Staate dabei unterstützt würde; eine Bevölkerung, die uns ausdrücklich zu dem Zwecke aufgeladen würde, um den Begeisterungsfusel mit Gott für König und Vaterland bei uns einheimisch zu machen?
Und wir sind doch noch Deutsche, wir sprechen dieselbe Sprache wie die alten Provinzen. In Posen aber wurden diese Kolonisten systematisch, mit unerbittlicher Regelmäßigkeit auf die Domänen, in die Wälder, auf die parzellierten polnischen Rittergüter geschickt, um die eingeborenen Polen und ihre Sprache von ihrem eigenen Lande zu verdrängen und eine echtpreußische Provinz zu bilden, die in schwarz-weißem Fanatismus selbst Pommern übertreffen sollte.
Und damit die preußischen Bauern in Polen nicht ohne natürliche Vorgesetzte blieben, sandte man ihnen die Blüte der preußischen Ritterschaft, einen Tresckow, einen Lüttichau, nach, die dort ebenfalls Rittergüter zu Spott- <326> preisen und mit Staatsvorschüssen aufkauften. Ja, nach dem Polenaufstande von 1846 bildete sich eine ganze Aktiengesellschaft in Berlin, unter dem gnädigen Schutze hoher, höchster und noch höherer Personen, die den Zweck hatte, polnische Güter für deutsche Ritter aufzukaufen. Die hungrigen Schlucker vom märkischen und pommerschen Adel sahen voraus, daß der Polenprozeß eine Menge polnischer Rittergutsbesitzer ruinieren, daß man ihre Güter nächstens spottwohlfeil verschleudern werde. Welch ein gefunden Futter für so manchen in Schulden ertrinkenden uckermärkischen Don Ranudo! Ein schönes Rittergut fast umsonst, polnische Bauern zum Prügeln und obendrein noch das Verdienst, König und Vaterland sich verpflichtet zu haben - welche brillante Aussicht!
So entstand die dritte deutsche Einwanderung nach Polen: preußische Bauern und preußischer Adel, die sich überall in Posen festsetzten, und die, von der Regierung unterstützt, mit der offenen Absicht nicht der Germanisierung, sondern der Verpommerung hinkamen. Hatten die deutschpolnischen Bürger die Entschuldigung, zur Hebung des Handels ein Kleines beigetragen zu haben, konnten die Netzbrüder sich rühmen, einige Moräste urbar gemacht zu haben, so fehlte dieser letzten preußischen Invasion aller Vorwand. Nicht einmal die Parzellierung hatten sie konsequent eingeführt; der preußische Adel folgte den preußischen Bauern auf dem Fuß.
["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 73 vom 12. August 1848]
**Köln, 11. August. Wir haben im ersten Artikel die "historische Grundlage" des Stenzelschen Berichts untersucht, insoweit er auf die Lage Posens vor der Revolution eingeht. Wir kommen heute auf Herrn Stenzels Geschichte der Revolution und Kontrerevolution in Posen.
"Das deutsche Volk, immer voll Teilnahme für jeden Unglücklichen" (solange die Teilnahme nichts kostet), "hatte jederzeit das große Unrecht tief gefühlt, was von seinen Fürsten gegen die Polen begangen worden war."
Allerdings, "tief gefühlt" im stillen deutschen Herzen, wo die Gefühle so "tief" sitzen, daß sie nie in Taten herausbrechen! Allerdings, "Teilnahme" durch einige Almosen 1831, durch Zweckessen und Polenbälle, solange es galt, zum Besten der Polen zu tanzen, Champagner zu trinken und zu singen: "Noch ist Polen nicht verloren!" Aber wirklich etwas Ernsthaftes tun, wirklich einmal ein Opfer bringen - wo ist das je der Deutschen Sache gewesen!
"Die Deutschen boten aufrichtig die Bruderhand, um zu sühnen, was ihre Fürsten früher verbrochen."
<327> Allerdings, wenn rührende Phrasen und träge Kannegießereien irgend etwas "sühnen" könnten, dann stände kein Volk so rein in der Geschichte da wie gerade die Deutschen.
"In demselben Augenblick aber, als die Polen einschlugen" (nämlich in die dargebotene Bruderhand), "trennten sich auch schon beider Nationen Interessen und Ziele. Die Polen dachten nur an die Wiederherstellung ihres alten Reichs, mindestens in der Landesausdehnung vor der ersten Teilung im Jahr 1772."
Wahrlich, nur der gedankenlose, wüste Enthusiasmus ins Blaue hinein, der von jeher eine Hauptzierde des deutschen Nationalcharakters war, konnte es zuwege bringen, daß die Deutschen von der Forderung der Polen überrascht waren! Die Deutschen wollten das an Polen begangene Unrecht "sühnen". Womit begann dies Unrecht? Von früheren Verrätereien nicht zu sprechen, doch gewiß mit der ersten Teilung 1772. Wie war dies zu "sühnen"? Doch nur dadurch, daß der Status quo vor 1772 wiederhergestellt wurde, oder mindestens dadurch, daß die Deutschen den Polen das herausgaben, was sie seit 1772 von ihnen geraubt hatten. Aber das Interesse der Deutschen war dagegen? Gut, sprechen wir von Interessen, so kann von den Sentimentalitäten wegen "Sühnen" usw. keine Rede mehr sein, so spreche man die Sprache der kalten, gefühllosen Praxis und verschone uns mit Toastphrasen und Großmutsempfindungen.
Übrigens haben die Polen erstens keineswegs "nur" an die Wiederherstellung des Polens von 1772 "gedacht". Woran die Polen "gedacht" haben, geht uns überhaupt wenig an. Sie verlangten vorderhand nur Reorganisation des ganzen Posens und sprachen von weitern Eventualitäten nur für den Fall eines deutsch-polnischen Kriegs gegen Rußland.
Zweitens "trennten sich beider Nationen Interessen und Ziele" nur so lange, als die "Interessen und Ziele" des revolutionierten Deutschlands in völkerrechtlicher Beziehung ganz dieselben blieben wie die des alten, absolutistischen Deutschlands. Russische Allianz, wenigstens Friede mit Rußland um jeden Preis, wenn das Deutschlands "Interesse und Ziel" ist, muß in Polen allerdings alles beim alten bleiben. Wir werden aber später sehen, wie sehr die wirklichen Interessen Deutschlands mit denen Polens identisch sind.
Jetzt kommt ein breiter, verworrener, verlegener Passus, in welchem Herr Stenzel sich darüber ausläßt, wie recht die Deutschpolen hatten, wenn sie zwar Polen Gerechtigkeit widerfahren lassen, zugleich aber preußisch und deutsch bleiben wollten. Daß das Zwar das Aber und das Aber das Zwar unmöglich macht, geht Herrn Stenzel natürlich nichts an.
Daran schließt sich eine ebenso breite und verworrene Geschichtserzählung, worin Herr Stenzel im einzelnen zu beweisen sucht, daß bei den "sich <328> trennenden Interessen und Zielen beider Nationen", bei der dadurch sich stets steigernden gegenseitigen Erbitterung ein blutiger Zusammenstoß unvermeidlich war. Die Deutschen hielten das "nationale" Interesse fest, die Polen das bloß "territoriale". D.h., die Deutschen verlangten Scheidung des Großherzogtums nach den Nationalitäten, die Polen wollten ihr ganzes altes Gebiet für sich.
Dies ist wieder nicht wahr. Die Polen verlangten Reorganisation, erklärten aber zugleich, sie seien mit Abtretung der gemischten Grenzbezirke, da wo die Mehrheit deutsch sei und zu Deutschland geschlagen sein wolle, vollständig einverstanden. Nur solle man die Leute nicht nach dem Belieben der preußischen Beamten deutsch oder polnisch machen, sondern nach ihrem eigenen Willen.
Willisens Mission, fährt Herr Stenzel fort, mußte natürlich scheitern an dem (vorgegebenen, nirgends existierenden) Widerstand der Polen gegen die Abtretung der überwiegend deutschen Bezirke. Herrn Stenzel lagen die Erklärungen Willisens über die Polen und die der Polen über Willisen zur Einsicht vor. Diese gedruckten Erklärungen beweisen das Gegenteil. Aber das liegt daran, wenn man, wie Herr Stenzel sagt, "ein Mann ist, der seit vielen Jahren sich mit Geschichte beschäftigt und es sich zur Pflicht gemacht hat, nichts Unwahres zu sagen und nichts Wahres zu verhehlen"!
Mit derselben Treue, die nichts Wahres verhehlt, geht Herr Stenzel über den in Posen verübten Kannibalismus, über den schnöden Treubruch der Konvention von Jaroslawiec, über die Metzeleien von Trzemeszno, Miloslaw und Wreschen, über das verheerende Wüten einer des Dreißigjährigen Krieges würdigen Soldateska leicht hinweg, ohne davon auch nur eine Silbe zu erwähnen.
Herr Stenzel kommt nun zu den vier neuen Teilungen Polens durch die preußische Regierung. Zuerst wurde der Netzdistrikt nebst vier andern Kreisen abgerissen (14. April); dazu schlug man noch einige Teile anderer Kreise, zusammen mit einer Bevölkerung von 593.390 Köpfen und ließ sie in den Deutschen Bund aufnehmen (22. April). Dann nahm man die Stadt und Festung Posen nebst dem Rest des linken Wartheufers hinzu - wieder 273.500 Seelen, also zusammen mehr als doppelt soviel, als selbst nach preußischen Angaben Deutsche in ganz Posen wohnen. Das geschah durch Kabinettsordre vom 26. April <In der "Neuen Rheinischen Zeitung" irrtümlich: 29. April>, und schon am 2. Mai erfolgte die Aufnahme in den Deutschen Bund. Herr Stenzel wimmert nun der Versammlung vor, wie es durchaus nötig sei, daß Posen in deutschen Händen bleibe, Posen, eine wich- <329> tige, gewaltige Festung, wo über 20.000 Deutsche (von denen die meisten polnische Juden) wohnen, denen 2/3 des gesamten Grundbesitzes gehört usw. Daß Posen mitten in rein polnischem Lande liegt, daß es gewaltsam germanisiert worden ist und daß polnische Juden keine Deutsche sind, das ist höchst gleichgültig für Leute, die "nie Unwahres berichten und nie Wahres verschwiegen", für Historiker von der Force eines Herrn Stenzel!
Genug, aus militärischen Gründen durfte man Posen nicht aus den Händen geben. Als ob man diese Festung, die nach Willisen einer der größten strategischen Fehler ist, nicht hätte schleifen und dafür Breslau befestigen können. Aber man hatte zehn Millionen hineingesteckt (beiläufig wieder nicht wahr, kaum fünf Millionen), und es ist natürlich vorteilhafter, das teure Kunstwerk zu behalten und 20-30 Quadratmeilen polnischer Erde dazu.
Hat man aber erst die "Stadt und Festung" Posen, so bietet sich die ungezwungenste Gelegenheit, noch mehr zu nehmen.
"Um aber die Festung zu behaupten, wird man genötigt sein, ihr auch die Zugänge von Glogau, Küstrin und Thorn sowie einen Festungsbezirk gegen Osten zu sichern" (der nur 1.000 bis 2.000 Schritte zu sein brauchte, wie der von Maestricht gegen Belgien und Limburg). "Dadurch", schmunzelt Herr Stenzel weiter, "wird zugleich der ungestörte Besitz des Bromberger Kanals behauptet, es werden aber auch zahlreiche Striche, in denen die polnische Bevölkerung überwiegend ist, dem Deutschen Bunde einverleibt werden müssen."
Aus allen diesen Gründen hat denn auch der bekannte Menschenfreund Pfuel von Höllenstein zwei neue Teilungen Polens vorgenommen, wodurch alle Wünsche des Herrn Stenzel befriedigt und drei Viertel des ganzen Großherzogtums zu Deutschland geschlagen werden. Herr Stenzel erkennt dies Verfahren um so dankbarer an, als er, der Historiker, in dieser potenzierten Erneuerung der Reunionskammern Ludwigs XIV. offenbar sehen muß, daß die Deutschen gelernt haben, die Lehren der Geschichte zu benutzen.
Die Polen, meint Herr Stenzel, sollen sich damit trösten, daß ihr Anteil fruchtbarer ist als das einverleibte Gebiet, daß sie weit weniger Grundbesitz haben als die Deutschen und daß "kein Unbefangener leugnen wird, daß der polnische Landmann sich weit erträglicher unter einer deutschen Regierung als der deutsche unter einer polnischen befinden wird"!! Wovon die Geschichte merkwürdige Beweise liefert.
Schließlich ruft Herr Stenzel den Polen zu, auch das kleine Stückchen, das ihnen geblieben, werde ihnen genügen, um sich durch Ausübung aller bürgerlichen Tugenden
"würdig auf den Augenblick vorzubereiten, den die Zukunft ihnen jetzt noch verhüllt und den sie in sehr verzeihlicher Weise vielleicht zu stürmisch herbeizurufen suchen. <330> 'Es gibt', ruft einer ihrer einsichtsvollsten Mitbürger sehr treffend, 'eine Krone, welche auch würdig ist, euren Ehrgeiz zu reizen, es ist die Bürgerkrone!' Ein Deutscher darf hinzusetzen: Sie glänzt nicht, aber sie ist gediegen!"
"Sie ist gediegen!" Noch "gediegener" aber sind die wirklichen Gründe der erneuerten vier Teilungen Polens durch die preußische Regierung.
Deutscher Biedermann! Du glaubst, die Teilungen seien vorgenommen, um deine deutschen Brüder von der polnischen Herrschaft zu retten? Um dir in der Festung Posen ein Bollwerk gegen jeden Angriff zu sichern? Um die Straßen von Küstrin, Glogau und Bromberg, um den Netzkanal sicherzustellen? Welche Täuschung!
Man hat dich schmählich hintergangen. Die neuen Teilungen Polens sind gemacht worden aus keinem andern Grunde, als um die Kassen des preußischen Staats zu füllen.
Die ersten Teilungen Polens bis 1815 waren ein Länderraub mit bewaffneter Hand, die Teilungen von 1848 sind ein Diebstahl.
Und jetzt merke auf, deutscher Biedermann, wie man dich hintergangen hat!
Nach der dritten Teilung Polens konfiszierte Friedrich Wilhelm II. die polnischen starosteilichen und die der katholischen Geistlichkeit gehörenden Güter zum Besten des Staats. Namentlich die Güter der Kirche machten "einen sehr beträchtlichen Teil des ganzen Landeigentums aus", wie die Besitzergreifungsdeklaration vom 28. Juli <In der "Neuen Rheinischen Zeitung" irrtümlich: März> 1796 selbst sagte. Diese neuen Domänen wurden für königliche Rechnung verwaltet oder verpachtet und waren so ausgedehnt, daß zu ihrer Administration 34 Domänenämter und 21 Oberförstereien errichtet werden mußten. Zu jedem dieser Domänenämter gehörten eine Menge Ortschaften, z.B. zu den 10 Ämtern des Bromberger Regierungsbezirks zusammen 636 und zu dem einzigen Domänenamt Mogilno 127 Ortschaften.
Außerdem hat Friedrich Wilhelm II. 1796 die Güter und Forsten des Nonnenklosters zu Owinsk konfisziert und dem Kaufmann von Tresckow (Vorfahren des tapfern preußischen Bandenführers Tresckow aus dem letzten Heldenkriege) verkauft; diese Güter bestehen aus 24 Ortschaften nebst Mühlen und 20.000 Morgen Forst, im Wert von mindestens 1.000.000 Taler.
Ferner wurden die Domänenämter Krotoschin, Rozdrazewo, Orpiszewo und Adelnau, im Wert von mindestens 2 Millionen Taler, 1819 dem Fürsten Thurn und Taxis zur Entschädigung für das Postregal in mehreren an Preußen gefallenen Provinzen abgetreten.
<331> Die sämtlichen Güter hatte Friedrich Wilhelm II. unter dem Vorwande, sie besser zu verwalten, übernommen. Trotzdem aber sind sie, ein Eigentum der polnischen Nation, verschenkt, abgetreten, verkauft worden, und die Kaufgelder sind in die preußische Staatskasse geflossen.
Die Domänenämter Gnesen, Skorzencin, Trzemeszno sind zerschlagen und veräußert worden.
Es bleiben also noch 27 Domänenämter und die Oberförstereien in einem Kapitalwert von allermindestens zwanzig Millionen Taler in den Händen der preußischen Regierung. Wir sind erbötig, mit der Karte in der Hand zu beweisen, daß diese Domänen und Forsten sämtlich - mit sehr wenigen oder gar keinen Ausnahmen - in dem einverleibten Teil von Posen liegen. Um diesen reichen Schatz vor allem Rückfall an die polnische Nation zu retten, mußte er in den Deutschen Bund aufgenommen werden; und da er nicht zum Deutschen Bunde kommen konnte, so mußte der Deutsche Bund zu ihm kommen, und 3/4 von Posen wurden einverleibt.
Das ist der wahre Grund der vier berühmten Teilungen Polens binnen zwei Monaten. Nicht die Reklamationen dieser oder jener Nationalität, nicht angeblich strategische Gründe haben entschieden: Die Lage der Domänen, die Habgier der preußischen Regierung allein hat die Grenzlinie bestimmt.
Während die deutschen Bürger für die erdichteten Leiden ihrer armen Brüder in Posen blutige Tränen vergossen, während sie sich für die Sicherung der deutschen Ostmark begeisterten, während sie sich durch erlogene Berichte von polnischen Barbareien gegen die Polen in Harnisch jagen ließen, operierte die preußische Regierung ganz im stillen und brachte ihr Schäfchen ins trockene. Der grund- und zwecklose deutsche Enthusiasmus hat zu weiter nichts gedient, als die schmutzigste Handlung der neueren Geschichte zu bemänteln.
So, deutscher Biedermann, wird dir von deinen verantwortlichen Ministern mitgespielt!
Aber in der Tat, du konntest es vorher wissen. Wo Herr Hansemann beteiligt ist, handelt es sich nie um deutsche Nationalität, militärische Notwenigkeit und andere dergleichen leere Phrasen, sondern stets um bare Zahlung und klaren Profit.
["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 81 vom 20. August 1848]
**Köln, 19. August. Wir haben den Bericht des Herrn Stenzel, die Grundlage der Debatte, in seinen Einzelnheiten verfolgt. Wir haben nachgewiesen, wie er die ältere und neuere Geschichte Polens und der Deutschen in Polen verfälscht, wie er die ganze Frage verrückt, wie der Historiker Stenzel nicht <332> nur absichtliche Verfälschung, sondern sich auch grobe Unwissenheit hat zuschulden kommen lassen.
Ehe wir auf die Debatte selbst eingehen, müssen wir noch einen Blick auf die polnische Frage werfen.
Die Posener Frage ist, für sich betrachtet, ohne allen Sinn, ohne Möglichkeit der Lösung. Sie ist ein Fragment der polnischen Frage, und nur in und mit dieser kann sie gelöst werden. Die Grenze zwischen Deutschland und Polen kann erst bestimmt werden, wenn Polen wieder existiert.
Aber kann und wird Polen wieder bestehen? In der Debatte ist dies geleuguet worden.
Ein französischer Historiker hat gesagt: Il y a des peuples nécessaires: es gibt notwendige Völker. Zu diesen notwendigen Völkern gehört im 19. Jahrhundert unbedingt das polnische Volk.
Die nationale Existenz Polens ist aber für niemand notwendiger als gerade für uns Deutsche.
Worauf stützt sich zunächst die Macht der Reaktion in Europa seit 1815, ja, teilweise seit der ersten französischen Revolution? Auf die russisch-preußisch-östreichische Heilige Allianz. Und was hält diese Heilige Allianz zusammen? Die Teilung Polens, von der alle drei Alliierten Nutzen zogen.
Der Riß, den die drei Mächte durch Polen zogen, ist das Band, das sie aneinanderkettet; der gemeinsame Raub hat sie einer für den andern solidarisch gemacht.
Von dem Augenblick an, wo der erste Raub an Polen begangen wurde, war Deutschland in die Abhängigkeit Rußlands geraten. Rußland befahl Preußen und Östreich, absolute Monarchien zu bleiben, und Preußen und Östreich mußten gehorchen. Die ohnehin schlaffen und schüchternen Anstrengungen, namentlich der preußischen Bourgeoisie, sich die Herrschaft zu erobern, scheiterten vollends an der Unmöglichkeit, von Rußland loszukommen, an dem Rückhalt, den Rußland der feudalistisch-absolutistischen Klasse in Preußen bot.
Dazu kam, daß von dem ersten Unterdrückungsversuche der Alliierten an die Polen nicht nur insurrektionell für ihre Unabhängigkeit kämpften, daß sie zugleich revolutionär gegen ihre eigenen inneren gesellschaftlichen Zustände auftraten.
Die Teilung Polens war zustande gekommen durch das Bündnis der großen Feudalaristokratie in Polen mit den drei teilenden Mächten. Sie war kein Fortschritt, wie der Ex-Poet Herr Jordan behauptet, sie war das letzte Mittel für die große Aristokratie, sich vor einer Revolution zu retten, sie war durch und durch reaktionär.
<333> Die Folge schon der ersten Teilung war ganz natürlich eine Allianz der übrigen Klassen, d.h. des Adels, der Bürgerschaft der Städte und teilweise der Bauern, sowohl gegen die Unterdrücker Polens wie gegen die große Aristokratie des Landes selbst. Wie sehr die Polen es schon damals begriffen, daß ihre Unabhängigkeit nach außen unzertrennlich sei von dem Sturz der Aristokratie und von der agrarischen Reform im Innern, beweist die Konstitution von 1791.
Die großen ackerbauenden Länder zwischen der Ostsee und dem Schwarzen Meere können sich aus der patriarchalisch-feudalen Barbarei retten nur durch eine agrarische Revolution, die die leibeigenen oder fronpflichtigen Bauern in freie Grundbesitzer verwandelt, eine Revolution, die ganz dieselbe ist wie die französische von 1789 auf dem platten Lande. Die polnische Nation hat das Verdienst, unter allen ihren ackerbauenden Nachbarvölkern dies zuerst proklamiert zu haben. Der erste Reformversuch war die Verfassung von 1791; in dem Aufstande von 1830 wurde die agrarische Revolution von Lelewel als einziges Mittel zur Rettung des Landes ausgesprochen, aber zu spät vom Reichstage anerkannt; in den Insurrektionen von 1846 und 1848 wurde sie offen proklamiert.
Von dem Tage ihrer Unterdrückung an traten die Polen revolutionär auf und fesselten dadurch ihre Unterdrücker um so fester an die Kontrerevolution. Sie zwangen ihre Unterdrücker, den patriarchalisch-feudalen Zustand nicht nur in Polen, sondern auch in ihren übrigen Ländern aufrechtzuhalten. Und namentlich seit dem Krakauer Aufstand von 1846 ist der Kampf für die Unabhängigkeit Polens zugleich der Kampf der agrarischen Demokratie - der in Osteuropa einzig möglichen - gegen den patriarchalisch-feudalen Absolutismus.
Solange wir also Polen unterdrücken helfen, solange wir einen Teil von Polen an Deutschland schmieden, solange bleiben wir an Rußland und die russische Politik geschmiedet, solange können wir den patriarchalisch-feudalen Absolutismus bei uns selbst nicht gründlich brechen. Die Herstellung eines demokratischen Polens ist die erste Bedingung der Herstellung eines demokratischen Deutschlands.
Die Herstellung Polens und seine Grenzregulierung mit Deutschland ist aber nicht nur notwendig, sie ist bei weitem die lösbarste von all den politischen Fragen, die seit der Revolution in Osteuropa aufgetaucht sind. Die Unabhängigkeitskämpfe der Völker aller Stämme, die südlich von den Karpaten bunt durcheinandergewürfelt sind, sind ganz anders verwickelt, werden weit mehr Blut, Verwirrung und Bürgerkrieg kosten als der polnische Unabhängigkeitskampf und die Feststellung der Grenze zwischen Deutschland und Polen.
<334> Es versteht sich, daß es sich nicht von der Herstellung eines Scheinpolen handelt, sondern von der Herstellung eines Staats auf lebensfähiger Grundlage. Polen muß wenigstens die Ausdehnung von 1772 haben, muß nicht nur die Gebiete, sondern auch die Mündungen seiner großen Ströme und muß wenigstens an der Ostsee einen großen Küstenstrich besitzen.
Alles das konnte ihm Deutschland garantieren und doch dabei seine Interessen und seine Ehre sicherstellen, wenn es nach der Revolution in seinem eignen Interesse den Mut hatte, von Rußland die Herausgabe Polens mit den Waffen in der Hand zu fordern. Daß bei dem Durcheinander von Deutsch und Polnisch an der Grenze und namentlich an der Küste beide Teile sich gegenseitig etwas nachgeben, daß mancher Deutsche polnisch, mancher Pole hätte deutsch werden müssen, verstand sich von selbst und hätte keine Schwierigkeit gemacht.
Aber nach der halben deutschen Revolution hatte man den Mut nicht, so entschieden aufzutreten. Pomphafte Reden halten über die Befreiung Polens, die durchziehenden Polen an den Eisenbahnstationen empfangen und ihnen die glühendsten Sympathien des deutschen Volks anbieten (wem sind die nicht schon angeboten worden?) - das ließ sich hören; aber einen Krieg mit Rußland anfangen, das ganze europäische Gleichgewicht in Frage stellen und vollends irgendein Läppchen des geraubten Gebiets herausgeben - ja, da müßte man seine Deutschen nicht kennen!
Und was war der Krieg mit Rußland? Der Krieg mit Rußland war der vollständige, offne und wirkliche Bruch mit unsrer ganzen schmachvollen Vergangenheit, war die wirkliche Befreiung und Vereinigung Deutschlands, war die Herstellung der Demokratie auf den Trümmern der Feudalität und des kurzen Herrschaftstraums der Bourgeoisie. Der Krieg mit Rußland war der einzig mögliche Weg, unsre Ehre und unsre Interessen gegenüber unsren slawischen Nachbarn und namentlich gegenüber den Polen zu retten.
Aber wir waren Spießbürger und wir blieben Spießbürger. Wir machten ein paar Dutzend kleine und große Revolutionen, vor denen wir uns selbst fürchteten, noch ehe sie vollendet waren. Nachdem wir den Mund recht voll genommen hatten, führten wir gar nichts aus. Die Revolution, statt unsern Gesichtskreis zu erweitern, verengerte ihn. Mit der zaghaftesten, borniertesten, engherzigsten Philisterei wurden alle Fragen behandelt und damit natürlich unsre wirklichen Interessen wieder kompromittiert. Auf dem Standpunkte dieser kleinlichen Philisterei reduzierte sich denn auch die große Frage von der Befreiung Polens auf die winzige Phrase von der Reorganisation eines Teils der Provinz Posen, verwandelte sich unser Enthusiasmus für die Polen in Schrapnells und Höllenstein.
<335> Die einzig mögliche, die einzige Lösung, die Deutschlands Ehre, Deutschlands Interessen gewahrt hätte, wir wiederholen es, war der Krieg mit Rußland. Man hat ihn nicht gewagt, und das Unvermeidliche ist erfolgt: Die Soldateska der Reaktion, in Berlin geschlagen, erhob ihr Haupt wieder in Posen; unter dem Scheine, Deutschlands Ehre und Nationalität zu retten, pflanzte sie das Banner der Kontrerevolution auf und erdrückte die revolutionären Polen, unsre Bundesgenossen - und das geprellte Deutschland jauchzte einen Augenblick seinen siegreichen Feinden Beifall zu. Die neue Teilung Polens wurde vollzogen, und es fehlte ihr nur noch die Sanktion der deutschen Nationalversammlung.
Es war für die Frankfurter Versammlung noch ein Weg möglich, um die Sache wieder gutzumachen: Man hätte ganz Posen vom Deutschen Bunde ausschließen und die Grenzfrage für offen erklären müssen, bis man mit dem wiederhergestellten Polen darüber d'égal à égal <als Gleicher mit Gleichen> verhandeln könne.
Aber das wäre zuviel verlangt gewesen von unsern Frankfurter Professoren, Advokaten und Pastören der Nationalversammlung! Die Lockung war zu groß: Sie, die ruhigen Bürger, die nie eine Flinte abgefeuert, sollten durch Aufstehen und Sitzenbleiben ein Land von 500 Quadratmeilen für Deutschland erobern, 800.000 Netzbrüder, Deutschpolen, Juden und Polen einverleiben, wenn auch auf Kosten der Ehre und der wirklichen, dauernden Interessen Deutschlands - welche Versuchung! - Sie sind ihr erlegen, sie haben die Teilung Polens bestätigt.
Aus welchen Gründen, werden wir morgen sehn.
["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 82 vom 22. August 1848]
**Köln, 21. August. Wir übergehen die Vorfrage, ob die Posener Abgeordneten mitberaten und abstimmen sollen, und gehen gleich zur Debatte über die Hauptfrage.
Herr Stenzel, der Berichterstatter, eröffnete sie mit einer erschrecklich konfusen und diffusen Rede. Er stellt sich als Historiker und gewissenhaften Mann hin, er spricht von Festungen und Feldschanzen, Himmel und Hölle, Sympathien und deutschen Herzen; er geht zurück auf das 11. Jahrhundert, um zu beweisen, daß der polnische Adel den Bauern immer unterdrückt habe; er benutzt einige spärliche Data der polnischen Geschichte als Entschuldigung für einen endlosen Strom der plattesten Gemeinplätze über Adel, Bauern, Städte, Wohltaten der absoluten Monarchie usw.; er entschuldigt in <336> holpriger und verlegener Sprache die Teilung Polens; er setzt die Bestimmungen der Konstitution vom 3. Mai 1791 in einer so bunten Konfusion auseinander, daß die Mitglieder, die sie bisher nicht kannten, jetzt erst recht nicht wissen, woran sie sind; er will eben auf das Großherzogtum Warschau übergehen, als er durch den lauten Ruf: "Das geht zu weit!" und durch den Präsidenten unterbrochen wird.
Der große Geschichtsforscher, gänzlich in Verwirrung gebracht, fährt fort in folgenden rührenden Worten:
"Ich werde kurz sein. Es fragt sich nun: Was wollen wir tun. Diese Frage ist ganz natürlich" (! buchstäblich). "Der Adel will das Reich wiederherstellen. Er behauptet, er sei demokratisch. Ich zweifle nicht dran, daß er's ehrlich meint. Allein, meine Herren, es ist natürlich (!), daß manche Stände sich große Illusionen machen. Ich glaube an die Aufrichtigkeit vollkommen, allein, wenn Fürsten und Grafen in das Volk übergehen sollen, so weiß ich nicht, wie die Verschmelzung stattfinden wird" (was geht das auch den Herrn Stenzel an!). "Das ist in Polen unmöglich etc."
Herr Stenzel tut, als ob in Polen Adel und Aristokratie ganz dasselbe sei. Lelewels "Histoire de Pologne", die er selbst zitierte, Mieroslawskis "Débat entre la révolution et la contrerévolution en Pologne" und eine Masse anderer neuerer Schriften könnten den "Mann, der sich seit Jahren mit Geschichte beschäftigt", eines Bessern belehren. Die meisten "Fürsten und Grafen", von denen Herr Stenzel spricht, sind ja gerade diejenigen, gegen welche die polnische Demokratie selbst ankämpft.
Man soll also, meint Herr Stenzel, den Adel fallenlassen mit seinen Illusionen und ein Polen gründen für den Bauern (indem man ein Stück Polen nach dem andern zu Deutschland schlägt).
"Reichen Sie vielmehr den armen Bauern die Hände, damit diese emporkommen, damit es ihnen vielleicht (!) gelinge, ein freies Polen herzustellen, aber nicht nur herzustellen, sondern auch zu erhalten. Das, meine Herren, ist die Hauptsache!"
Und unter dem Jubelruf der Nationalsalbaderer der Zentren": "Sehr brav!" "Ausgezeichnet!" verläßt der siegestrunkne Geschichtsforscher die Tribüne. Die neue Teilung Polens als eine Wohltat für die polnischen Bauern darstellen, diese überraschend unsinnige Wendung mußte allerdings die im Zentrum der Versammlung vereinigte Masse von Gemütlichkeit und Menschenliebe bis zu Tränen rühren!
Folgt Herr Goeden von Krotoszyn, ein Deutschpole vom reinsten Wasser. Nach ihm tritt Herr Senff von Inowroclaw auf, ein schönes Musterbild eines Netzbruders, an dem kein Falsch ist, der sich gegen den Ausschußantrag hatte einschreiben lassen und der dafür sprach, so daß ein Redner gegen den Antrag um seine Reihenfolge für das Wort geprellt war.
<337> Die Art und Weise, wie die Herren Netzbrüder hier auftreten, ist die possierlichste Komödie von der Welt und zeigt abermals, wozu ein echter Preuße fähig ist. Wir alle wissen, die profitwütigen jüdisch-preußischen Winkelmänner aus Posen bekämpften die Polen in der innigsten Harmonie mit der Bürokratie, mit dem k[öniglich]-preußischen Offizierskorps und mit der märkischen und pommerschen Junkerschaft, kurz mit allem, was reaktionär, was altpreußisch war. Der Verrat an Polen war die erste Schilderhebung der Kontrerevolution, und niemand war kontrerevolutionärer als gerade die Herren Netzbrüder.
Und nun sehe man diese preußenwütigen Schulmeister und Beamten mit Gott für König und Vaterland hier in Frankfurt, wie sie ihren kontrerevolutionären Verrat an der polnischen Demokratie für eine Revolution, für eine wirkliche und echte Revolution im Namen der souveränen Netzbrüderschaft erklären, wie sie das historische Recht mit Füßen treten und über der angeblichen Leiche Polens ausrufen: Nur der Lebende hat recht !
Aber so ist der Preuße: An der Spree von Gottes Gnaden, an der Warta souveränes Volk; an der Spree Pöbelaufruhr, an der Warta Revolution; an der Spree historisches Recht, "das keinen Datum nicht hat" <Ausspruch Lichnowskis; siehe. S. 351>, an der Warta Recht der lebendigen Tatsache, die von gestern datiert - und trotz alledem ohne Falsch, ehrlich und brav im treuen preußischen Herzen!
Hören wir den Herrn Goeden.
"Zum zweiten Male sollen wir eine Sache verteidigen, die von solcher Bedeutsamkeit, von solcher Folgewichtigkeit für unser Vaterland ist, daß, hätte sie sich nicht in sich selber als eine durchaus rechtliche für uns herausgearbeitet (!), sie notwendig dazu gemacht werden müßte (!!). Unser Recht hat weniger in der Vergangenheit als in den heißen Pulsschlägen" (und namentlich den Kolbenschlägen) "der Gegenwart seine Wurzeln."
"Der polnische Bauer und Bürger fühlte sich durch die" (preußische) "Besitzergreifung in einen solchen Zustand der Sicherheit und des Wohlseins versetzt, wie er ihn nie gekannt hatte." (Namentlich seit den polnisch-preußischen Kriegen und den Teilungen Polens nicht.)
"Der Bruch der Gerechtigkeit, der in der Teilung Polens liegt, ist durch die Humanität Ihres" (des deutschen) "Volks" (und besonders durch die Stockprügel der preußischen Beamten), "durch seinen Fleiß" (auf geraubtem und verschenktem polnischem Grundeigentum), "und im April dieses Jahres auch durch sein Blut vollständig gesühnt worden!"
Das Blut des Herrn Goeden von Krotoszyn!
"Die Revolution ist unser Recht, und kraft derselben sind wir hier!"
<338> "Die Beweistitel unsrer rechtmäßigen Einverleibung in Deutschland bestehen nun nicht in vergilbten Pergamenten, wir sind nicht angeheiratet, nicht angeerbt, nicht durch Kauf oder Tausch erworben worden; wir sind Deutsche und gehören unserem Vaterlande an, weil uns ein vernünftiger, rechtlicher, ein souveräner Wille dazu treibt, ein Wille, der bedingt ist durch unsre geographische Lage, unsre Sprache und Sitte, unsre Zahl (!), unsern Besitz, vor allem aber durch unsre deutsche Gesinnung und unsre Liebe zum Vaterlande."
"Unsre Rechte sind so sichere, so tief im modernen Weltbewußtsein ruhende, daß nicht einmal ein deutsches Herz dazu gehört, sie anerkennen zu müssen!"
Es lebe der im modernen Weltbewußtsein beruhende, auf die Schrapnell-Revolution gestützte, in den heißen Pulsschlägen der standrechtlichen Gegenwart wurzelnde souveräne Wille der preußisch-jüdischen Netzbrüderschaft! Es lebe das Deutschtum der posenschen Bürokratengehälter, des Kirchen- und Starosteigüterraubs und der Geldvorschüsse à la Flottwell!
Nach dem deklamatorischen Ritter der höheren Berechtigung kommt der unverschämte Netzbruder. Für den Herrn Senff von Inowroclaw ist selbst der Stenzelsche Antrag noch zu höflich gegen die Polen, und daher schlägt er eine etwas gröbere Fassung vor. Mit derselben Stirn, mit der er sich unter diesem Vorwand als Redner gegen den Antrag einschreiben ließ, erklärte er, es sei ein himmelschreiendes Unrecht, die Posener von der Abstimmung auszuschließen:
"Ich glaube, daß die Posener Abgeordneten erst recht dazu berufen seien mitzustimmen, denn es handelt sich gerade um die wichtigsten Rechte derjenigen, die uns hergeschickt haben."
Herr Senff geht dann auf die Geschichte Polens seit der ersten Teilung ein und bereicherte sie mit einer Reihe absichtlicher Fälschungen und schreiender Unwahrheiten, wovor Herr Stenzel als der beklagenswerteste Stümper dasteht. Alles Erträgliche, was in Posen existiert, verdankt seinen Ursprung der preußischen Regierung und den Netzbrüdern.
"Das Großherzogtum Warschau entstand. An die Stelle der preußischen Beamten traten polnische, und im Jahre 1814 war kaum noch eine Spur dessen zu bemerken, was die preußische Regierung für diese Provinzen Gutes getan hatte."
Herr Senff hat recht. Weder von der Leibeigenschaft, noch von den etatsmäßigen Zahlungen polnischer Distrikte an preußische Bildungsanstalten, z.B. für die Universität Halle, noch von den Erpressungen und Brutalitäten preußischer, des Polnischen unkundiger Beamten war "noch eine Spur zu bemerken". Aber noch war Polen nicht verloren, denn Preußen kam von Rußlands Gnaden wieder in Flor, und Posen kam wieder an Preußen.
<339> "Von da ab erneuerten sich die Bestrebungen der preußischen Regierung, gerichtet auf Verbesserung der Verhältnisse der Provinz Posen."
Wer darüber etwas Näheres wissen will, der lese die Flottwellsche Denkschrift von 1841 nach. Bis 1830 geschah durch die Regierung gar nichts. Flottwell fand nur vier Meilen Chaussee im ganzen Großherzogtum vor! Und sollen wir die Flottwellschen Wohltaten aufzählen? Herr Flottwell, ein schlauer Bürokrat, suchte die Polen durch Chausseebauten, Schiffbarmachungen von Flüssen, Trockenlegungen von Sümpfen etc. etc. zu bestechen; aber nicht mit dem Gelde der preuß[ischen] Regierung, sondern mit ihrem eignen Gelde bestach er sie. Alle jene Verbesserungen geschahen hauptsächlich aus Privat- oder Kreismitteln; und wenn die Regierung hie und da einige Gelder zuschoß, so war das nur der kleinste Teil der Summen, die sie an Steuern und am Ertrag der polnischen National- und Kirchendomänen aus der Provinz zog. Ferner verdanken die Polen dem Herrn Flottwell nicht nur das Fortbestehen der Suspendierung der Wahl der Landräte durch die Kreise (seit 1826), sondern speziell noch die langsame Expropriation der polnischen Gutsbesitzer durch die Regierungsaufkäufe subhastierter Rittergüter, die nur an gutgesinnte Deutsche wieder verkauft wurden (Kabinettsordre von 1833). Eine schließliche Wohltat der Flottwellschen Verwaltung war die Verbesserung des Schulwesens. Aber diese war wieder eine Verpreußungsmaßregel. Die höheren Schulen sollten die jungen Adligen und zukünftigen katholischen Geistlichen, die niederen sollten die Bauern durch preußische Lehrer verpreußen. Wie es mit den Bildungsanstalten gemeint war, hat der Bromberger Regierungspräsident, Herr Wallach, in einer unbewachten Aufwallung verraten; er schreibt an den Oberpräsidenten Herrn Beurmann, die polnische Sprache sei ein Haupthindernis der Verbreitung von Bildung und Wohlstand unter der ländlichen Bevölkerung! Allerdings ganz richtig, wenn der Schulmeister kein Polnisch versteht. - Wer übrigens diese Schulen bezahlte, das waren wieder die Polen selbst, denn 1. wurden die meisten und wichtigsten, aber nicht gerade der Verpreußung dienenden Institute aus Privatbeiträgen oder von den Provinzialständen gegründet und dotiert, und 2. wurden selbst die Verpreußungsschulen von den Einkünften der am 31. März 1833 säkularisierten Klöster erhalten, und die Staatskasse bewilligte nur 21.000 Taler jährlich auf zehn Jahre. - Im übrigen gesteht Herr Flottwell zu, daß alle Reformen von den Polen selbst ausgegangen. Daß die größten Wohltaten der preußischen Regierung in der Einziehung bedeutender Renten und Steuern und in der Verwendung der jungen Leute für den preußischen Kriegsdienst bestanden, verschweigt Herr Flottwell nicht minder als Herr Senff.
<340> Kurz, die sämtlichen Wohltaten der preußischen Regierung reduzieren sich auf die Versorgung von preußischen Unteroffizieren im Posenschen, sei es als Exerziermeister, Schulmeister, Gendarmen oder Steuereintreiber.
Auf die weiteren grundlosen Verdächtigungen der Polen sowie auf die falschen statistischen Angaben des Herrn Senff können wir weiter nicht eingehen. Genug, Herr Senff spricht bloß, um die Polen bei der Versammlung gehässig zu machen.
Es folgt Herr Robert Blum. Wie gewöhnlich hält er einen sogenannten gediegenen Vortrag, d.h. einen Vortrag, der mehr Gesinnung als Gründe und mehr Deklamation als Gesinnung enthält, und der übrigens als Deklamatorium - wir müssen es gestehen - keinen größeren Effekt macht als das moderne Weltbewußtsein des Herrn Goeden von Krotoszyn. Polen, der Wall gegen nordische Barbarei -- wenn die Polen Laster haben, so ist das die Schuld ihrer <In der "Neuen Rheinischen Zeitung" seiner> Unterdrücker -- der alte Gagern erklärt die Teilung Polens für den Alp, der auf unserer Zeit laste -- die Polen lieben ihr Vaterland warm, und wir könnten ein Beispiel dran nehmen -- Gefahren, die von Rußland drohen ---- wenn nun in Paris die rote Republik siegte und Polen mit Gewalt der Waffen befreien wollte, wie dann, meine Herren? - Seien wir unparteiisch usw. usw.
Es tut uns leid für Herrn Blum, aber wenn man alle diese schönen Sachen ihres deklamatorischen Flitters beraubt, so bleibt nichts übrig als die allertrivialste Kannegießerei, wenn auch - was wir gern zugeben - Kannegießerei auf großem Fuß und in erhabener Arbeit. Selbst wenn Herr Blum meint, die Nationalversammlung müsse in Schleswig, Böhmen, Welschtirol, den russischen Ostseeprovinzen und dem Elsaß konsequenterweise nach demselben Prinzip verfahren wie in Posen, so ist das ein Grund, der nur berechtigt ist gegenüber den gedankenlosen Nationalitätslügen und der bequemen Inkonsequenz der Majorität. Und wenn er meint, nur mit einem schon existierenden Polen könne Deutschland anständigerweise wegen Posens verhandeln, so werden wir ihm das nicht leugnen, aber doch bemerken, daß dieser einzige triftige Grund in seiner Rede schon hundertmal und viel besser von den Polen selbst entwickelt ist, während er bei Herrn Blum als stumpfer rhetorischer Pfeil mit "Mäßigung und schonender Milde" auf die verhärtete Brust der Majorität fruchtlos abgeschossen wird.
Herr Blum hat recht, wenn er sagt, Schrapnells sind keine Gründe, aber er hat unrecht - und er weiß es -, wenn er sich unparteiisch auf einen "gemäßigten" höhern Standpunkt stellt. Mag Herr Blum über die Polenfrage <341> nicht im klaren sein, das ist seine eigne Schuld. Aber daß er 1. glaubt, bei der Majorität durchzusetzen, auch nur daß sie von der Zentralgewalt Bericht einverlange, und 2. daß er sich einbildet, durch den Bericht dieser Zentralgewaltsminister, die sich bei Gelegenheit des 6. August so schmählich vor den preußischen Souveränetätsgelüsten gebeugt haben - durch den Bericht dieser Minister werde er auch nur das geringste gewinnen, das ist schlimm für Herrn Blum. Will man auf der "entschiednen Linken" sitzen, so ist das erste Erfordernis, daß man alle schonende Milde beiseite legt und daß man darauf verzichtet, irgend etwas, sei es auch noch so gering, bei der Majorität durchzusetzen.
Überhaupt ergeht sich in der Polenfrage, wie immer, fast die ganze Linke in Deklamationen oder gar in phantastischen Schwärmereien, ohne auf das tatsächliche Material, auf den praktischen Inhalt der Frage auch nur im entferntesten einzugehn. Und doch war gerade hier das Material so reichhaltig, die Tatsachen so schlagend. Dazu gehört freilich, daß man die Frage studiert, und das kann man sich natürlich sparen, wenn man einmal durch das Fegefeuer der Wahl passiert und keinem Menschen weiter verantwortlich ist.
Auf die wenigen Ausnahmen kommen wir im Verlauf der Debatte zurück. Morgen ein Wörtchen mit Herrn Wilhelm Jordan, der keine Ausnahme ist, sondern diesmal im buchstäblichen Sinne, und aus Gründen, mit dem großen Haufen läuft.
["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 86 vom 26. August 1848]
**Köln, 25. August. Endlich verlassen wir, gottlob, die platte Sandebene der alltäglichen Kannegießerei, um die erhabenern Alpenpartien der großen Debatte zu betreten! Endlich besteigen wir jenen wolkenteilenden Gipfel, wo die Adler horsten, wo der Mensch dem Göttlichen Aug ins Auge blickt, von wo er verächtlich herabsieht auf das kleine Gewürm, das tief, tief unten sich mit den wenigen Argumenten des gewöhnlichen Menschenverstandes herumschlägt! Endlich, nach den Scharmützeln eines Blum mit einem Stenzel, einem Goeden, einem Senff von Inowroclaw, eröffnet sich die große Schlacht, in der ariostische Helden mit den Lanzensplittern ihres Geistes das Blachfeld übersäen!
Die Reihen der Kämpfer eröffnen sich ehrfurchtsvoll, und mit geschwungenem Schwert sprengt vor Herr Wilhelm Jordan von Berlin.
Wer ist Herr Wilhelm Jordan von Berlin?
Herr Wilhelm Jordan von Berlin war zur Zeit der Blüte deutschen Literatentums Literat in Königsberg. Man hielt halberlaubte Versammlungen <342> auf dem Böttchershöfchen; Herr Wilhelm Jordan ging hin, las ein Gedicht vor: "Der Schiffer und sein Gott", und wurde ausgewiesen.
Herr Wilhelm Jordan von Berlin ging nach Berlin. Dort hielt man Studentenversammlungen. Herr Wilhelm Jordan las ein Gedicht vor: "Der Schiffer und sein Gott", und wurde ausgewiesen.
Herr Wilhelm Jordan von Berlin ging nach Leipzig. Dort waren ebenfalls irgendwelche unschuldige Zusammenkünfte. Herr Wilhelm Jordan las ein Gedicht vor: "Der Schiffer und sein Gott", und wurde ausgewiesen.
Herr Wilhelm Jordan gab ferner mehrere Schriften heraus: Ein Gedicht "Glocke und Kanone"; eine Sammlung litauischer Volkslieder, darunter auch eigenes Fabrikat, namentlich selbstverfaßte Polenlieder; Übersetzungen von George Sand; eine Zeitschrift, die unbegreifliche "begriffene Welt" usw. im Dienst des rühmlichst bekannten Herrn Otto Wigand, der es noch nicht so weit gebracht hat wie sein französisches Original, Herr Pagnerre; ferner eine Übersetzung von Lelewels "Histoire de Pologne" mit polenschwärmender Vorrede usw.
Die Revolution kam. En un lugar de la Mancha, cuyo nombre no quiero acordarme <In einem Flecken des Ländchens la Mancha, an dessen Namen ich mich nicht erinnern mag (Anfangsworte des Romans "Don Quijote von Cervantes)> - in einem Ort der deutschen Mancha, der Mark Brandenburg, wo die Don Ouixoten wachsen, einem Ort, auf dessen Namen ich mich nicht besinnen mag, präsentierte sich Herr Wilhelm Jordan von Berlin als Kandidat für die deutsche Nationalversammlung. Die Bauern des Kreises waren gemütlich-konstitutionell. Herr Wilhelm Jordan hielt mehrere eindringliche Reden, voll der konstitutionellsten Gemütlichkeit Die entzückten Bauern wählten den großen Mann zum Deputierten. Kaum in Frankfurt angekommen, setzt sich der edle Unverantwortliche auf die "entschiedene" Linke und stimmt mit den Republikanern. Die Bauern, die in ihrer Eigenschaft als Wahlmänner diesen parlamentarischen Don Ouixote gezeugt hatten, senden ihm ein Mißtrauensvotum, erinnern ihn an seine Versprechungen, rufen ihn zurück. Aber Herr Wilhelm Jordan hält sich an sein Wort ebensowenig gebunden wie ein König und fährt fort, bei jeder Gelegenheit seine "Glocke und Kanone" in der Versammlung ertönen zu lassen.
Jedesmal, wenn Herr Wilhelm Jordan auf die Kanzel der Paulskirche trat, hat er im Grunde nur ein Gedicht vorgelesen: "Der Schiffer und sein Gott", - womit jedoch nicht gesagt ist, daß er damit verdient hätte, ausgewiesen zu werden.
Hören wir das letzte Glockengeläute und den neuesten Kanonendonner des großen Wilhelm Jordan über Polen.
<343> "Vielmehr glaube ich, daß wir uns erheben müssen auf den weltgeschichtlichen Standpunkt, auf dem die Posener Angelegenheit zu untersuchen ist in ihrer Bedeutung als Episode des großen polnischen Dramas."
Mit einem Ruck hebt uns der gewaltige Herr Wilhelm Jordan weit über die Wolken, auf den schneebedeckten, himmelanstrebenden Chimborazo des "weltgeschichtlichen Standpunkts" und eröffnet uns die unermeßlichste Aussicht.
Vorab aber ergeht er sich noch einen Augenblick auf dem alltäglichen Gebiet der "speziellen" Beratung, und zwar mit vielem Glück. Einige Proben:
"Später kam er" (der Netzdistrikt) "durch den Vertrag von Warschau" (d.h. die erste Teilung) "an Preußen und ist seitdem bei Preußen geblieben, wenn man von der kurzen Zwischenexistenz des Herzogtums Warschau absehen will."
Herr Jordan spricht hier vom Netzdistrikt im Gegensatz zum übrigen Posen. Er, der Ritter des welthistorischen Standpunkts, der Kenner polnischer Geschichte, der Übersetzer Lelewels, welcher Quelle folgt er hier? Keiner andern, als der Rede des Herrn Senff von Inowroclaw! Er folgt ihr so sehr, daß er sogar ganz vergißt, wie auch der übrige, großpolnische Teil von Posen 1794 "an Preußen kam und seitdem, wenn man von der kurzen Zwischenexistenz des Herzogtums Warschau absehen will, bei Preußen geblieben ist". Aber davon hatte der Netzbruder Senff nicht gesprochen, und daher weiß [es] der "weltgeschichtliche Standpunkt" nicht anders, als daß der Regierungsbezirk Posen erst 1815 "an Preußen kam".
"Ferner sind die Westkreise Birnhaum, Meseritz, Bornst, Fraustadt seit urdenklicher Zeit, wie Sie schon aus den Namen dieser Städte entnehmen können, in der überwiegenden Mehrzahl ihrer Bewohner deutsch gewesen."
Und der Kreis Miedzychod, Herr Jordan, war "seit urdenklicher Zeit", wie Sie schon aus dem Namen entnehmen können, in der überwiegenden Mehrzahl seiner Bewohner "polnisch", nicht wahr, Herr Jordan?
Der Kreis Miedzychod ist aber kein anderer als der Kreis Birnbaum. Die Stadt heißt auf polnisch Miedzychod.
Welch eine Stütze werden diese etymologischen Reunionskammern des "weltgeschichtlichen Standpunktes" der "begriffenen Welt" erst an dem christlich-germanischen Herrn Leo finden! Davon nicht zu sprechen, daß Mailand, Lüttich, Genf, Kopenhagen, "wie Sie schon aus den Namen entnehmen, seit urdenklicher Zeit deutsch" sind; ersieht der "weltgeschichtliche Standpunkt" nicht auch "schon aus den Namen" die urdenkliche Deutschheit von Haimons-Eichicht, Welsch-Leyden, Jenau und Kaltenfelde? Der weltgeschichtliche Standpunkt wird freilich verlegen sein, diese <344> urdenklichen deutschen Namen auf der Karte zu finden, und er verdankte es bloß dem Herrn Leo, der sie selbst fabriziert hat, wenn er erfährt, daß darunter Le Quesnoi, Lyon, Genua und Campo Freddo gemeint sind.
Was wird der weltgeschichtliche Standpunkt sagen, wenn die Franzosen nächstens Cologne, Coblence, Mayence und Francfort <französische Namen für Köln, Koblenz, Mainz und Frankfurt> als urdenklich französisches Land reklamieren, und dann wehe dem welthistorischen Standpunkt!
Doch verweilen wir nicht länger bei diesen petites misères de la vie humaine <kleinen Mißgeschicken des irdischen Lebens>, die auch schon Größeren passiert sind. Folgen wir Herrn Wilhelm Jordan von Berlin in die höheren Regionen seines Fluges. Da heißt es von den Polen, man habe sie "desto mehr lieb, je weiter man von ihnen entfernt ist und je weniger man sie kennt, und desto weniger, je näher man ihnen rückt", und daher beruhe "diese Zuneigung nicht sowohl auf einem wirklichen Vorzuge des polnischen Charakters, als auf einem gewissen kosmopolitischen Idealismus".
Wie aber wird es der weltgeschichtliche Standpunkt erklären, daß die Völker der Erde ein anderes Volk, weder wenn man sich "von ihm entfernt", noch wenn man ihm "näher rückt", "lieb haben", daß sie mit einer seltnen Übereinstimmung dies Volk verachten, exploitieren, verspotten und mit Füßen treten? Dies Volk sind die Deutschen.
Der weltgeschichtliche Standpunkt wird sagen, dies beruhe auf einem "kosmopolitischen Materialismus", und damit ist er gerettet.
Aber unbekümmert um solche kleinen Einwände, schwingt der weltgeschichtliche Aar seine Fittiche immer kühner, immer höher, bis er endlich im reinen Äther der an-und-für-sich-seienden Idee in folgenden heroisch-weltgeschichtlich-hegelschen Hymnus ausbricht:
"Mag man immerhin der Geschichte recht geben, die auf ihrem von der Notwendigkeit vorgezeichneten Gange ein Volkstum, das nicht mehr stark genug ist, sich zu erhalten unter ebenbürtigen Nationen, mit ehernem Fuße stets unerbittlich zertritt, so wäre es doch unmenschlich und barbarisch, sich gegen alle Teilnahme zu verschließen beim Anblick der langen Passion eines solchen Volks, und ich bin weit entfernt von solcher Gefühllosigkeit." (Gott wird's Euch nicht unbelohnt lassen, edler Jordan!) "Ein andres aber ist es, ergriffen zu sein von einem Trauerspiel, und ein andres, dies Trauerspiel gleichsam rückgängig machen zu wollen. Eben nur die eiserne Notwendigkeit, welcher der Held unterliegt, macht sein Geschick zur wahren Tragödie, und in den Gang dieses Schicksals eingreifen, aus menschlicher Teilnahme das umrollende Rad der Geschichte aufhalten und noch einmal zurückdrehen zu wollen, das <345> hieße sich selbst der Gefahr preisgeben, von ihm zermalmt zu werden. Polen bloß deswegen herstellen zu wollen, weil sein Untergang mit gerechter Trauer erfüllt - das nenne ich eine schwachsinnige Sentimentalität!"
Welche Gedankenfülle! Welch eine Tiefe der Weisheit! Welche schwunghafte Sprache! So spricht der weltgeschichtliche Standpunkt, wenn er seine stenographierten Reden nachträglich verbessert hat.
Die Polen haben die Wahl: Wollen sie eine "wahre Tragödie" spielen, dann müssen sie demütig unter dem ehernen Fuß und dem umrollenden Rad der Geschichte sich zerreiben lassen und zu Nikolaus sprechen: Herr, dein Wille geschehe! Oder wollen sie rebellieren und versuchen, ob sie nicht auch einmal ihren Unterdrückern den "ehernen Fuß der Geschichte" auf den Nacken setzen können, dann spielen sie keine "wahre Tragödie", und Herr Wilhelm Jordan von Berlin kann sich nicht mehr für sie interessieren. So spricht der vom Professor Rosenkranz ästhetisch gebildete weltgeschichtliche Standpunkt.
Worin lag die unerbittliche, die eiserne Notwendigkeit, die Polen momentan vernichtete? In dem Verfall der auf der Leibeigenschaft beruhenden Adelsdemokratie, d.h. im Aufkommen einer großen Aristokratie innerhalb des Adels. Das war ein Fortschritt, insofern es der einzige Weg war, aus dem überlebten Zustand der Adelsdemokratie herauszukommen. Was war die Folge davon? Daß der eherne Fuß der Geschichte, d.h. daß die drei Autokraten des Ostens Polen erdrückten. Die Aristokratie war zum Bund mit dem Ausland gezwungen, um mit der Adelsdemokratie fertig zu werden. Die polnische Aristokratie blieb bis vor kurzem, ja teilweise bis heute, der redliche Bundesgenosse der Erdrücker Polens.
Und worin liegt die unerbittliche, die eherne Notwendigkeit, daß Polen sich wieder befreit? Darin, daß die Herrschaft der Aristokratie in Polen, die seit 1815 wenigstens in Posen und Galizien, und selbst teilweise in Russisch-Polen nicht aufgehört hat, heute ebenso überlebt und untergraben ist wie 1772 die Demokratie des kleinen Adels; darin, daß die Herstellung der agrarischen Demokratie für Polen nicht nur eine politische, sondern auch eine gesellschaftliche Lebensfrage geworden ist; darin, daß die Existenzquelle des polnischen Volks, der Ackerbau, zugrunde geht, wenn der leibeigene oder robotpflichtige Bauer nicht freier Grundbesitzer wird; darin, daß die agrarische Revolution unmöglich ist ohne die gleichzeitige Eroberung der nationalen Existenz, des Besitzes der Ostseeküste und der Mündungen der polnischen Flüsse.
Und das nennt Herr Jordan von Berlin das umrollende Rad der Geschichte aufhalten und noch einmal zurückdrehen wollen!
<346> Allerdings, das alte Polen der Adelsdemokratie ist längst tot und begraben, und die "wahre Tragödie" dieses Polens rückgängig zu machen, kann nur Herr Jordan jemanden zumuten; aber dieser "Held" des Trauerspiels hat einen robusten Sohn gezeugt, vor dessen näherer Bekanntschaft es allerdings manchem geckenhaften Berliner Literaten grausen mag; und dieser Sohn, der sich erst anschickt, sein Drama aufzuführen und Hand zu legen an das "umrollende Rad der Geschichte", dem aber der Sieg gewiß ist - dieser Sohn ist das Polen der Bauerndemokratie.
Etwas abgenutzter belletristischer Pomp, etwas nachaffektierte Weltverachtung - die bei Hegel eine Kühnheit war, bei Herrn Jordan eine wohlfeile plattgetretene Albernheit wird - kurz, etwas Glocke und etwas Kanone, Schall und Rauch in schlechte Sätze gebracht, und dazu eine namenlose Verwirrung und Unwissenheit über die gewöhnlichen geschichtlichen Verhältnisse - darauf reduziert sich der ganze weltgeschichtliche Standpunkt!
Es lebe der weltgeschichtliche Standpunkt mit seiner begriffenen Welt!
["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 90 vom 31. August 1848]
**Köln, 26. August. Der zweite Schlachttag bietet ein noch großartigeres Bild als der erste. Freilich fehlt uns ein Wilhelm Jordan von Berlin, dessen Lippen die Herzen aller Hörer fesseln; aber bescheiden wir uns: ein Radowitz, ein Wartensleben, ein Kerst und ein Rodomont-Lichnowski sind auch nicht zu verachten.
Herr Radowitz besteigt zuerst die Tribüne. Der Chef der Rechten spricht kurz, bestimmt, berechnet. Nicht mehr Deklamation, als gerade nötig. Falsche Voraussetzungen, aber zusammengedrängte raschfolgende Schlüsse aus diesen Voraussetzungen. Appell an die Furcht der Rechten. Kaltblütige Gewißheit des Erfolgs, fußend auf der Feigheit der Majorität. Gründliche Verachtung der ganzen Versammlung, rechts wie links. Das sind die Grundzüge der kurzen Rede, die Herr Radowitz gehalten hat, und wir begreifen sehr wohl den Effekt, den diese eiskalten und prunklosen wenigen Worte in einer Versammlung machen mußten, die die pomphaftesten und hohlsten rhetorischen Übungen zu hören gewohnt ist. Herr Wilhelm Jordan von Berlin würde glücklich sein, wenn er mit all seiner "begriffenen" und unbegriffenen Bilderwelt nur den zehnten Teil des Effekts hervorgebracht hätte, wie Herr Radowitz mit seiner kurzen und im Grunde auch ganz gehaltlosen Rede.
Herr Radowitz ist kein "Charakter", kein gesinnungstüchtiger Biedermann, aber er ist eine Figur mit scharfen, bestimmten Umrissen, von dem man nur eine Rede zu lesen braucht, um ihn vollständig zu kennen.
<347> Wir haben nie nach der Ehre gegeizt, ein Organ irgendeiner parlamentarischen Linken zu sein. Wir haben es bei den vielfachen verschiedenen Elementen, aus denen sich die demokratische Partei in Deutschland gebildet hat, im Gegenteil für dringend nötig gehalten, niemanden schärfer zu überwachen als gerade die Demokraten. Und bei dem Mangel an Energie, an Entschiedenheit, an Talent und an Kenntnissen, der uns mit sehr wenigen Ausnahmen bei den Führern aller Parteien gegenübertritt, muß es uns freuen, in Herrn Radowitz wenigstens einen ebenbürtigen Gegner zu finden.
Nach Herrn Radowitz Herr Schuselka. Trotz aller vorher[ge]gangenen Warnungen dennoch ein rührender Appell ans Herz. Unendlich breiter Vortrag, unterbrochen durch seltene historische Einwände und hie und da durch etwas östreichischen praktischen Verstand. Im ganzen ist der Eindruck ermattend.
Herr Schuselka ist nach Wien gegangen, wohin er auch in den Reichstag gewählt wurde. Dort ist er an seinem Platze. Wenn er in Frankfurt auf der Linken saß, gerät er dort ins Zentrum; wenn er in Frankfurt eine gewisse Rolle spielen konnte, macht er in Wien mit der ersten Rede Fiasko. Das ist das Schicksal aller dieser belletristischen, philosophischen und kannegießernden Größen, die die Revolution nur dazu benutzt haben, sich Positionen zu verschaffen; setzt sie einen Augenblick auf wirklich revolutionären Boden, und im Nu sind sie verschwunden.
Es folgt der ci-devant <ehemalige> Graf v. Wartensleben. Herr Wartensleben tritt als behäbiger, von Wohlwollen überfließender Biedermann auf, erzählt Anekdoten über seinen Zug als Landwehrmann an die polnische Grenze im Jahre 1830, spielt über in den Sancho Pansa, indem er den Polen Sprüchwörter zuruft: Ein Sperling in der Hand sei besser als hundert auf dem Dache, und weiß dabei recht unschuldig die perfide Bemerkung einzuschmuggeln:
"Woher kommt es, daß sich nicht einmal polnische Beamte fanden, welche die Reorganisation in dem abzutretenden Teil übernehmen wollten? Ich fürchte, sie fürchten sich vor sich selbst, sie fühlen, daß sie noch nicht so weit sind, daß sie die Bevölkerung ruhig organisieren könnten, und sie schieben aus diesem Grunde nur vor, daß es die Vaterlandsliebe gegen Polen sei, welche sie verhindere, auch nur den Keim zu legen zu einem fröhlichen Auferstehen!"
Mit andern Worten, die Polen kämpfen seit achtzig Jahren mit Aufopferung ihres Lebens und ihres Vermögens unaufhörlich für eine Sache, die sie selbst für unmöglich und unsinnig halten.
Schließlich ist Herr Wartensleben der Meinung des Herrn Radowitz.
<348> Herr Janiszewski aus Posen, Mitglied des Posenschen Nationalkomitees, besteigt die Tribüne.
Die Rede des Herrn Janiszewski ist das erste Stück wirklicher parlamentarischer Beredsamkeit, das von der Tribüne der Paulskirche herab vorgetragen wurde. Endlich einmal hören wir einen Redner, der nicht bloß nach dem Beifall des Saales hascht, der die Sprache der wirklichen, lebendigen Leidenschaft spricht und der eben deshalb einen ganz andern Effekt macht als alle Redner vor ihm. Blums Appell an das Gewissen der Versammlung, Jordans wohlfeiler Bombast, Radowitz' kalte Konsequenz, Schuselkas gemütliche Breite verschwinden gleichmäßig vor diesem Polen, der die Existenz seiner Nation verteidigt und sein gutes Recht zurückfordert. Janiszewski spricht erregt, heftig, aber er deklamiert nicht, er trägt nur die Tatsachen vor mit der gerechten Indignation, in der allein eine richtige Schilderung solcher Tatsachen möglich ist, und die doppelt gerecht ist nach den schamlosen Entstellungen, die in der bisherigen Debatte vorgebracht waren. Seine Rede, die in der Tat den Mittelpunkt der Debatte bildet, widerlegt alle früheren Angriffe auf die Polen, macht alle Fehler der Polenfreunde wieder gut, führt die Debatte auf ihren einzig praktischen und richtigen Boden zurück und schneidet den späteren Rednern der Rechten die volltönendsten Argumente von vornherein ab.
"Ihr habt die Polen verschluckt, verdauen werdet Ihr sie bei Gott nicht!"
Dies schlagende Resumé der Rede Janiszewskis wird bleiben, ebenso wie der Stolz, mit dem er auf all die Betteleien der Polenfreunde erklärt:
"Ich komme nicht als Bettler zu Ihnen, ich komme mit meinem guten Rechte; nicht Sympathien rufe ich an, nur die Gerechtigkeit."
Nach Herrn Janiszewski Herr Direktor Kerst aus Posen. Nach dem Polen, der für die Existenz, für die soziale und politische Freiheit seines Volks kämpft, der nach Posen eingewanderte preußische Schulmeister, der für seinen Gehalt kämpft. Nach der schönen indignierten Leidenschaft des Unterdrückten die platte Unverschämtheit des Bürokraten, der von der Unterdrückung zehrt.
Die Teilung Polens, "die man heute eine Schmach nennt", war seinerzeit "ein ganz gewöhnliches Ereignis".
"Das Recht der Völker, sich nach Nationalitäten zu sondern, ist ein nagelneues und nirgends anerkanntes Recht ... In der Politik entscheidet nur der faktische Besitzstand."
Das sind einige von den Kraftsprüchen, auf die Herr Kerst seine Argumentation basiert. Dann folgen die plumpesten Widersprüche:
<349> "Mit Posen ist ein Strich Landes zu Deutschland gekommen, der allerdings überwiegend polnisch ist" - und nicht lange nachher: "Was den polnischen Teil Posens betrifft, so hat er nicht um den Anschluß an Deutschland gebeten, und soviel ich weiß, sind Sie, meine Herren, nicht gesonnen, diesen Teil wider seinen Willen aufzunehmen!"
Daran knüpfen sich statistische Angaben über die Bevölkerungsverhältnisse - Angaben nach den berühmten netzbrüderlichen Aufnahmen, wonach nur diejenigen für Polen gelten, die kein Deutsch verstehen, und alle diejenigen für Deutsche, die etwas Deutsch radbrechen. Und endlich eine höchst künstliche Kalkulation, worin er nachrechnet, daß bei der Abstimmung des Posener Provinziallandtags die Minorität von 17 gegen 26, die für den Anschluß an Deutschland stimmte, eigentlich die Majorität war.
"Nach dem Provinzialgesetz wäre allerdings notwendig, daß die Majorität 2/3 sein müßte, wenn sie beschlußfähig sein sollte. Nun ist allerdings 17 nicht voll 2/3 zu 26, aber der Bruchteil, der dazu fehlt, ist so klein, daß er bei einer so ernsten Frage nicht wohl in Betracht kommen kann."!!
Also wenn die Minorität 2/3 von der Majorität ist, so ist sie "nach dem Provinzialgesetz" die Majorität! Das Altpreußentum wird Herrn Kerst krönen für diese Entdeckung. - In der Tat aber steht die Sache so: Um einen Antrag zu machen, mußten 2/3 der Stimmen dafür sein. Aufnahme in den Deutschen Bund war ein solcher Antrag. Die Aufnahme war also erst gesetzlich beantragt, wenn 2/3 der Versammlung, 2/3 von 43 Stimmenden dafür stimmten. Statt dessen stimmen fast 2/3 dagegen. Aber was hilft das? 17 sind ja beinahe "2/3 zu 43"!
Daß die Polen keine so "gebildete" Nation sind wie die Bürger des "Staats der Intelligenz", ist sehr begreiflich, wenn der Staat der Intelligenz ihnen solche Rechenmeister zu Lehrern gibt.
Herr Clemens aus Bonn macht die richtige Bemerkung, daß es der preußischen Regierung nicht darauf angekommen sei, Posen zu germanisieren, sondern zu verpreußen, und vergleicht mit den Verpreußungsversuchen Posens die ähnlichen Versuche im Rheinlande.
Herr Ostendorf von Soest. Der Sohn der roten Erde verliest ein Repertorium von politischen Plattheiten und Kannegießereien, ergeht sich in Möglichkeiten, Wahrscheinlichkeiten und Vermutungen, die vom Hundertsten ins Tausendste gehn, von Herrn Jordan zu den Franzosen, von der roten Republik zu den Rothäuten von Nordamerika, mit denen er die Polen auf eine Stufe stellt, wie die Netzbrüder mit den Yankees. Kühne Parallele, würdig der roten Erde! Herr Kerst, Herr Senff, Herr Goeden als Hinterwäldler mit Blockhaus, Büchse und Schaufel - welche unvergleichliche Komödie!
<350> Herr Franz Schmidt von Löwenberg besteigt die Tribüne. Er spricht ruhig und ohne Prunk, was um so mehr anzuerkennen ist, als Herr Schmidt einem Stande angehört, der sonst die Deklamation über alles liebt, dem Stand der deutsch-katholischen Geistlichen. Herr Schmidt, dessen Rede nach der von Janiszewski jedenfalls die beste, weil die schlagendste und sachkundigste in der ganzen Debatte ist, Herr Schmidt weist dem Ausschuß nach, wie hinter seinem scheinbaren Aufwand von Gelehrsamkeit (deren Gehalt wir untersucht haben <Siehe S. 319-331>) die grenzenloseste Unwissenheit über die tatsächlich vorliegenden Verhältnisse versteckt liegt. Herr Schmidt hat jahrelang im Großherzogtum Posen gelebt und weist dem Ausschuß selbst für den kleinen Distrikt, den er genauer kennt, die gröbsten Schnitzer nach. Er zeigt, wie der Ausschuß gerade in allen entscheidenden Punkten die Versammlung ohne Aufklärung gelassen hat, wie er sie geradezu auffordert, ohne irgendein Material, ohne alle Kenntnis der Sache ins Blaue hinein zu beschließen. Er verlangt vor allem Aufklärung über die faktische Lage der Dinge. Er weist nach, wie die Ausschußanträge mit ihren eigenen Voraussetzungen im Widerspruch stehen; er zitiert Flottwells Denkschrift und fordert ihn, der auch als Deputierter gegenwärtig ist, aufzutreten, wenn dies Aktenstück unecht sei. Er denunziert endlich dem Publikum, wie die Netzbrüder zu Gagern gekommen seien und ihn durch die falsche Nachricht von einem in Posen ausgebrochenen Aufstand zum raschen Schluß der Debatte bewegen wollten. Gagern leugnet dies zwar, indes Herr Kerst hat sich dessen laut gerühmt.
Die Majorität hat sich an Herrn Schmidt für diese mutige Rede dadurch gerächt, daß sie für Verfälschung derselben in den stenogr[aphischen] Berichten Sorge getragen hat. An einer Stelle hat Herr Schmidt den hineingeschriebenen Unsinn dreimal selbst korrigiert, und dennoch ist er im Druck stehengeblieben. Trommeln gegen Schlöffel <Siehe "Die Frankfurter Versammlung", S. 16>, offene Gewalttat gegen Brentano, Fälschung gegen Schmidt - in der Tat, die Herren von der Rechten sind feine Kritiker!
Herr Lichnowski schließt die Sitzung. Diesen Freund indes behalten wir uns für den nächsten Artikel vor; einen Redner vom Kaliber des Herrn Lichnowski bricht man nicht übers Knie!
["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 91 vom 1. September 1848]
**Köln, 31. August. Auf die Tribüne schreitet mit ritterlich-galantem Anstand und selbstgefälligem Lächeln der bel-homme <schöne Mann> der Versammlung, der deutsche Bayard ohne Furcht und Tadel, der Ex-Fürst (§ 6 der Grund- <351> rechte) von Lichnowski. Mit dem reinsten Akzent des preußischen Lieutenants und mit verächtlicher Nonchalance debitiert er die wenigen Gedankenspäne, die er der Versammlung mitzuteilen hat.
Der schöne Ritter bildet in dieser Debatte ein durchaus notwendiges Moment. Wer an den Herren Goeden, Senff und Kerst sich noch nicht hinlänglich genug davon überzeugt hat, welche achtungswerten Leute die Deutschpolen sind, der kann an dem Ritter Lichnowski sehen, welche unästhetische Erscheinung - trotz der netten Figur - der verpreußte Slawe ist. Herr Lichnowski ist der Stammverwandte der Deutschpolen, er vervollständigt die Akten durch sein bloßes Auftreten auf der Tribüne. Der in den preußischen Krautjunker aufgegangene Slachcic <polnische Adlige> aus der Wasserpolackei liefert uns ein lebendes Exempel von dem, was die liebevolle preußische Regierung aus dem posenschen Adel zu machen gedenkt. Herr Lichnowski ist trotz aller seiner Beteuerungen kein Deutscher, er ist ein "reorganisierter" Pole; er spricht auch kein Deutsch, sondern Preußisch.
Herr Lichnowski beginnt mit der Beteuerung seiner ritterlichsten Sympathie für die Polen, er macht Herrn Janiszewski Komplimente, er vindiziert den Polen "die große Poesie des Märtyrertums" und schlägt dann plötzlich um: Warum haben diese Sympathien abgenommen? Weil in allen Insurrektionen und Revolutionen "die Polen in erster Linie auf den Barrikaden waren"! Das ist allerdings ein Verbrechen, das nicht mehr vorkommt, sobald die Polen "reorganisiert" sind; wir können übrigens dem Herrn Lichnowski die beruhigende Versicherung geben, daß auch unter der "polnischen Emigration", auch unter dem nach ihm so tief gesunkenen polnischen Adel in der Verbannung Leute sind, die sich von aller Berührung mit den Barrikaden gänzlich unbefleckt erhielten.
Jetzt folgt eine heitere Szene.
Lichnowski: "Die Herren von der Linken, welche die vergilbten Pergamente mit Füßen treten, haben auf eine auffallende Weise das historische Recht heraufbeschworen. Es gibt kein Recht, ein Datum für die polnische Sache mehr als ein anderes in Anspruch zu nehmen. Für das historische Recht gibt es kein Datum nicht." (Großes Gelächter auf der Linken.)
"Für das historische Recht gibt es keinen Datum nicht." (Großes Gelächter auf der Linken.)
Präsident: "Meine Herren, lassen Sie doch den Redner den Satz ausführen, unterbrechen Sie ihn nicht."
Lichnowski: "Das historische Recht hat keinen Datum nicht." (Gelächter auf der Linken.)
<352> Präsident: "Ich bitte den Redner nicht zu unterbrechen, ich bitte um Ruhe!" (Unruhe.)
Lichnowski: "Es gibt für das historische Recht keinen Datum" (Bravo und Heiterkeit auf der Linken), "welches einem früheren Datum gegenüber ein größeres Recht vindizieren könnte!"
Hatten wir nicht recht, zu sagen, der edle Ritter spreche kein Deutsch, sondern Preußisch?
Das historische Recht, das keinen Datum nicht hat, findet einen furchtbaren Gegner an unserm edlen Paladin:
"Gehen wir in der Geschichte weiter zurück, so finden wir" (in Posen) "viele Kreise, die schlesisch und deutsch waren; gehen wir noch weiter, kommen wir auf die Zeit, wo Leipzig und Dresden durch Slawen erbaut worden sind, und dann kommen wir auf Tacitus, und Gott weiß, wohin uns die Herren führen würden, wenn wir auf dies Thema eingingen."
Es muß schlimm in der Welt stehen. Die Güter der preußischen Ritterschaft müssen unrettbar verpfändet, die jüdischen Gläubiger müssen furchtbar dringend geworden sein, die Verfalltage der Solawechsel müssen sich überstürzen, Subhastation, Körperhaft, Entlassung aus dem Dienst wegen leichtsinnigen Schuldenmachens, alle diese Schrecken der blassen Finanznot müssen die preußische Ritterschaft mit unaufhaltsamem Ruin bedrohen, ehe es dahin kommen konnte, daß ein Lichnowski dasselbe historische Recht bekämpft, für das er sich in der Tafelrunde des Don Carlos die Rittersporen verdiente!
Allerdings, Gott weiß, wohin die Herren Gerichtsvollzieher die magere Ritterschaft führen würden, wenn wir auf das Thema des historischen Schuldenrechts eingehen wollten! Und doch, sind die Schulden nicht die beste, die einzig entschuldigende Eigenschaft der preußischen Paladine?
Auf sein Thema übergehend, meinte der bel-homme, man dürfe den Deutschpolen gegenüber nicht "mit dem unklaren Bilde einer in fernstem Dunkel liegenden Zukunft Polens (!) auftreten"; er meint, die Polen würden sich an Posen nicht genügen lassen:
"Wenn ich die Ehre hätte, ein Pole zu sein, dann dächte ich alle Morgen und alle Abend daran, das alte Königreich Polen wiederherzustellen."
Da aber Herr Lichnowski nicht "die Ehre hat", da er nur ein reorganisierter Wasserpolack ist, so denkt er "alle Morgen und alle Abend" an ganz andere, weniger vaterländische Dinge.
"Um ehrlich zu sein, muß ich sagen, einige 100.000 Polen müssen Deutsche werden, was, aufrichtig gesagt, auch für sie kein Unglück wäre nach den jetzigen Verhältnissen."
<353> Im Gegenteil, wie schön, wenn die preußische Regierung eine neue Pflanzschule anlegte, um noch mehr von dem Holze wachsen zu lassen, woraus man die Lichnowkis schneidet.
In gleicher liebenswürdig-nonchalanter Weise, die im Grunde für die Damen auf der Galerie berechnet, aber auch für die Versammlung selbst immer noch gut genug ist, plaudert der schnurrbartkräuselnde Ritter noch eine Zeitlang weiter und schließt dann:
"Ich habe nichts mehr zu sagen, beschließen Sie jetzt; nehmen Sie 500.000 Deutsche unter uns auf, oder geben Sie sie weg, ... aber dann streichen Sie auch das Lied unsers alten Volkssängers: 'So weit die deutsche Zunge klingt, und Gott im Himmel Lieder singt.' Streichen Sie dies Lied!"
Es ist allerdings schlimm, daß der alte Arndt bei seinem Liede nicht an die polnischen Juden und ihr Deutsch gedacht hat. Aber glücklicherweise ist unser oberschlesischer Paladin da. Wer kennt nicht die alten, im Laufe der Jahrhunderte ehrwürdig gewordenen Verpflichtungen des Adels gegen die Juden? Was der alte Plebejer übersah, dessen erinnert sich der Ritter Lichnowski.
So weit ein polnischer Jude deutsch kauderwelscht,
Auf Wucher leiht, Münz und Gewicht verfälscht -
so weit reicht das Vaterland des Herrn Lichnowski!
["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 93 vom 3. September 1848]
**Köln, 2. September. Der dritte Tag der Debatte zeigt eine allgemeine Ermattung. Die Argumente wiederholen sich, ohne sich zu verbessern, und wenn nicht der erste ehrenwerte Redner, der Bürger Arnold Ruge, seinen reichen Schatz neuer Gründe vorbrächte, so wäre der stenographische Bericht vollends zum Einschlafen.
Der Bürger Ruge [kennt] aber auch seine Verdienste besser als sonst irgend jemand. Er verspricht:
"Alle meine Leidenschaft, die ich habe, und alle meine Kenntnisse, die ich besitze, will ich anwenden."
Er macht einen Antrag, der aber kein gewöhnlicher, kein Antrag im allgemeinen, sondern der einzig richtige, der wahre Antrag, der absolute Antrag ist:
"Es ist gar nichts anderes zu beantragen und zulässig. Man kann etwas anderes tun, meine Herren, denn es ist dem Menschen gegeben, vom Richtigen abzuweichen. <354> Dadurch, daß er vom Richtigen abweicht, dadurch hat der Mensch einen freien Willen ... darum hört aber das Richtige nicht auf, richtig zu sein. Und in unseren Falle ist, was ich beantrage, das einzig Richtige, was geschehen kann." (Der Bürger Ruge opfert also diesmal seinen "freien Willen" dem "Richtigen".)
Sehen wir uns die Leidenschaft, die Kenntnisse und das einzig Richtige des Bürgers Ruge näher an.
"Die Aufhebung Polens ist darum ein schmachvolles Unrecht, weil eine wertvolle Entwickelung der Nation unterdrückt wurde, die um die europäische Völkerfamilie sich große Verdienste erworben hat und die eine Phase der mittelalterlichen Existenz, das ritterliche Wesen, zu einer glanzvollen Gestalt entwickelt hatte. Die Adelsrepublik ist unterbrochen worden durch den Despotismus, ihre eigene innerliche (!) Aufhebung zu vollziehen, die möglich gewesen wäre durch die Verfassung, welche in der Revolutionszeit angebahnt wurde."
Die südfranzösische Nationalität war im Mittelalter mit der nordfranzösischen nicht verwandter, als die polnische es jetzt mit der russischen ist. Die südfranzösische, vulgo provenzalische Nation hatte im Mittelalter nicht nur eine "wertvolle Entwickelung", sie stand sogar an der Spitze der europäischen Entwickelung. Sie hatte zuerst von allen neueren Nationen eine gebildete Sprache. Ihre Dichtkunst diente sämtlichen romanischen Völkern, ja den Deutschen und Engländern zum damals unerreichten Vorbild. In Ausbildung der feudalen Ritterlichkeit wetteiferte sie mit den Castilianern, Nordfranzosen und englischen Normannen; in der Industrie und dem Handel gab sie den Italienern nichts nach. Nicht nur "eine Phase der mittelalterlichen Existenz" entwickelte sie "zur glanzvollen Gestalt", sie brachte sogar einen Abglanz des alten Hellenentums im tiefsten Mittelalter hervor. Die südfranzösische Nation hat sich also nicht nur große, sondern unendliche "Verdienste um die europäische Völkerfamilie erworben". Dennoch wurde sie, wie Polen, erst geteilt zwischen Nordfrankreich und England und später ganz von den Nordfranzosen unterjocht. Von den Albigenserkriegen bis auf Ludwig XI. führten die Nordfranzosen, die in der Bildung ebensosehr hinter ihren südlichen Nachbarn zurückstanden wie die Russen hinter den Polen, ununterbrochene Unterjochungskriege gegen die Südfranzosen und endigten mit der Unterwerfung des ganzen Landes. Die südfranzösische "Adelsrepublik" (die Benennung ist ganz richtig für die Blütezeit) "ist unterbrochen worden durch den Despotismus" (Ludwig XI.), "ihre eigene innerliche Aufhebung zu vollziehen", die wenigstens ebenso möglich gewesen wäre durch die Entwickelung der Bürgerschaft der Städte, wie die der polnischen durch die Verfassung von 1791.
Jahrhundertelang kämpften die Südfranzosen gegen ihre Unterdrücker an. Aber die geschichtliche Entwickelung war unerbittlich. Nach dreihundert- <355> jährigem Kampf war ihre schöne Sprache zum Patois herabgedrängt, und sie selbst waren Franzosen geworden. Dreihundert Jahre dauerte der nordfranzösische Despotismus über Südfrankreich, und dann erst machten die Nordfranzosen ihre Unterdrückung wieder gut - durch die Vernichtung der letzten Reste südfranzösischer Selbständigkeit. Die Konstituante zerschlug die unabhängigen Provinzen, die eiserne Faust des Konvents machte die Bewohner des südlichen Frankreichs erst zu Franzosen und gab ihnen zur Entschädigung für ihre Nationalität die Demokratie. Aber während der dreihundert Jahre der Unterdrückung paßt wörtlich auf sie, was der Bürger Ruge von den Polen sagt:
"Der Despotismus Rußlands hat die Polen nicht befreit, die Zerstörung des polnischen Adels und die Verbannung so vieler edlen Familien aus Polen, das alles hat in Rußland keine Demokratie, keine humane Existenz gegründet."
Und dennoch hat man nie die Unterdrückung Südfrankreichs durch die Nordfranzosen "ein schmachvolles Unrecht" genannt. Wie kommt das, Bürger Ruge? Entweder ist die Unterdrückung Südfrankreichs ein schmachvolles Unrecht, oder die Unterdrückung Polens ist kein schmachvolles Unrecht. Der Bürger Ruge möge wählen.
Worin liegt aber nun der Unterschied zwischen den Polen und den Südfranzosen? Warum wurde Südfrankreich bis zur völligen Vernichtung seiner Nationalität von den Nordfranzosen als hülfloser Ballast ins Schlepptau genommen, während Polen alle Aussicht hat, sehr bald an der Spitze aller slawischen Stämme zu stehen?
Südfrankreich wurde - infolge von sozialen Verhältnissen, die wir hier nicht weiter entwickeln können - der reaktionäre Teil von Frankreich. Seine Opposition gegen Nordfrankreich wurde sehr bald zur Opposition gegen die progressiven Klassen des ganzen Frankreichs. Es wurde der Hauptrückhalt des Feudalismus und ist bis heute die Stärke der Kontrerevolution von Frankreich geblieben.
Polen dagegen wurde, infolge von sozialen Verhältnissen, die wir oben (Nr. 81 <Siehe S. 331-335>) entwickelt haben, der revolutionäre Teil von Rußland, Östreich und Preußen. Seine Opposition gegen seine Unterdrücker war zugleich die Opposition gegen die hohe Aristokratie in Polen selbst. Sogar der Adel, der zum Teil noch auf feudalem Boden stand, schloß sich mit einer beispiellosen Aufopferung der demokratisch-agrarischen Revolution an. Polen war schon der Herd der osteuropäischen Demokratie geworden, als Deutschland noch in <356> der plattesten konstitutionellen und der überschwenglichsten philosophischen Ideologie umhertappte.
Darin, und nicht in der glanzvollen Entwickelung des längst begrabnen ritterlichen Wesens, liegt die Garantie, die Unvermeidlichkeit der Wiederherstellung Polens.
Aber Herr Ruge hat noch ein zweites Argument für die Notwendigkeit eines unabhängigen Polens in der "europäischen Völkerfamilie":
"Die Gewalt, die an Polen verübt worden ist, diese Gewalt hat die Polen in ganz Europa zerstreut, sie sind überall hingeworfen worden mit ihrem Zorn über das erlittene Unrecht ... der polnische Geist hat sich in Frankreich, in Deutschland (!?) humanisiert und geläutert: Die polnische Emigration ist die Propaganda der Freiheit geworden" (Nr. 1). " ... Die Slawen sind fähig geworden, in die große europäische Völkerfamilie" (die "Familie" ist unvermeidlich!) "einzutreten, weil ... ihre Emigration ein wahres Apostelamt der Freiheit ausübt" (Nr. 2). " ... Die ganze russische Armee (!!) ist von den Ideen der Neuzeit infiziert durch diese Apostel der Freiheit, die Polen" (Nr. 3). " ... Ich achte die ehrenhafte Gesinnung der Polen, die sie überall in Europa an den Tag gelegt haben, um mit Gewalt Propaganda zu machen für die Freiheit" (Nr. 4). " ... Sie werden, solange die Geschichte reden kann, in derselben dafür geehrt werden, daß sie die Vorkämpfer waren" (Nr. 5), "wo sie es gewesen sind (!!!) ... Die Polen sind das Element der Freiheit" (Nr. 6), "das in das Slawentum geworfen wurde; sie haben den Slawenkongreß in Prag zur Freiheit angeführt" (Nr. 7), "sie haben in Frankreich, Rußland und Deutschland gewirkt. Die Polen sind also ein wirkendes Element auch noch in der jetzigen Bildung, sie wirken gut, und weil sie gut wirken, weil sie notwendig sind, sind sie keineswegs tot."
Der Bürger Ruge soll beweisen, daß die Polen 1. notwendig und 2. nicht tot sind. Er tut dies, indem er sagt: "Weil sie notwendig sind, sind sie keineswegs tot."
Man nehme aus dem obigen langen Passus, der siebenmal dasselbe sagt, die paar Worte heraus: Polen - Element - Freiheit - Propaganda - Bildung - Apostelamt, und man sehe, was von dem ganzen Bombast übrigbleibt.
Der Bürger Ruge soll beweisen, daß die Wiederherstellung Polens notwendig ist. Dies beweist er wie folgt: Die Polen sind nicht tot, sie sind im Gegenteil sehr lebendig, sie wirken gut, sie sind die Apostel der Freiheit in ganz Europa. Wie kommen sie dazu? Die Gewalt, das schmachvolle Unrecht, das an ihnen verübt, hat sie über ganz Europa zerstreut mit ihrem Zorn über das erlittene Unrecht, ihrem gerechten revolutionären Zorn. Diesen Zorn haben sie in der Verbannung "geläutert", und dieser geläuterte Zorn befähigte sie zum Apostolat der Freiheit und stellte sie "zuvörderst auf die Barrikaden". Was folgt daraus? Nehmt das schmachvolle Unrecht, die verübte Gewalt hinweg, stellt Polen wieder her, so fällt der "Zorn" fort, so kann er <357> nicht mehr geläutert werden, so gehen die Polen nach Hause und hören auf, die "Apostel der Freiheit" zu sein. Wenn nur der "Zorn über das erlittene Unrecht" sie zu Revolutionären macht, so wird die Hinwegnahme des Unrechts sie zu Reaktionären machen. Ist der Gegendruck gegen die Unterdrückung das Einzige, was die Polen am Leben erhält, so hebt die Unterdrückung auf, und sie sind tot.
Bürger Ruge beweist also das gerade Gegenteil von dem, was er beweisen will; seine Gründe führen dahin, daß Polen im Interesse der Freiheit und der europäischen Völkerfamilie nicht wiederhergestellt werden darf.
Es wirft übrigens ein sonderbares Licht auf die "Kenntnisse" des Bürgers Ruge, daß er bei Polen nur die Emigration erwähnt, nur die Emigration auf den Barrikaden sieht. Wir sind weit entfernt, der polnischen Emigration, die ihre Energie und ihren Mut auf dem Schlachtfeld und in achtzehn Jahren Konspiration für Polen bewiesen, zu nahe treten zu wollen. Aber wir können es nicht leugnen: Wer die polnische Emigration kennt, der weiß, daß sie lange nicht so freiheitsapostolisch und barrikadensüchtig war, als der Bürger Ruge dem Exfürsten Lichnowski in gutem Glauben nachschwatzt. Die polnische Emigration hat standhaft ausgehalten, hat viel gelitten und viel gearbeitet für die Herstellung Polens. Aber haben die Polen in Polen selbst etwa weniger getan, haben sie nicht größeren Gefahren getrotzt, setzten sie sich nicht den Kerkern von Moabit und dem Spielberg <Berg mit Zitadelle bei Brünn>, der Knute und den sibirischen Bergwerken, den galizischen Metzeleien und den preußischen Schrapnells aus? Aber alles das existiert für Herrn Ruge nicht. Er hat ebensowenig bemerkt, wie die nichtemigrierten Polen viel mehr die allgemeine europäische Bildung in sich aufgenommen, viel besser die Bedürfnisse Polens, das sie fortwährend bewohnten, erkannt haben, als mit Ausnahme von Lelewel und Mieroslawski fast die gesamte Emigration. Der Bürger Ruge schiebt alle Intelligenz, die in Polen existiert, oder, um seine Sprache zu reden, die "unter die Polen und über die Polen gekommen ist", auf ihren Aufenthalt im Ausland. Wir haben in Nr. [81] <Siehe S. 331-335> nachgewiesen, daß die Polen die Erkenntnis der Bedürfnisse ihres Landes weder bei den französischen politischen Schwärmern, die seit Februar an ihren eigenen Phrasen gescheitert sind, noch bei den deutschen tiefsinnigen Ideologen, die noch keine Gelegenheit zum Scheitern finden konnten, zu suchen brauchten; daß Polen selbst die beste Schule war, um zu lernen, was Polen not tut. Das Verdienst der Polen besteht darin, die agrarische Demokratie als die einzig mögliche Form der Befreiung für alle slawischen Nationen zuerst erkannt und verbreitet, nicht aber darin, wie der <358> Bürger Ruge sich einbildet, allgemeine Phrasen, wie "den großen Gedanken der politischen Freiheit, der in Frankreich reif wurde, und selbst (!) die Philosophie, die in Deutschland aufgetaucht" (und in der Herr Ruge untergetaucht) "ist, nach Polen und Rußland hinübergetragen zu haben".
Gott bewahre uns vor unsern Freunden, vor unsern Feinden werden wir uns selbst wahren! - können die Polen nach dieser Rede des Bürgers Ruge ausrufen. Aber es ist von jeher das größte Unglück der Polen gewesen, von ihren nichtpolnischen Freunden mit den schlechtesten Gründen von der Welt verteidigt zu werden.
Es spricht sehr für die Frankfurter Linke, daß sie mit wenig Ausnahmen von der Polenrede des Bürgers Ruge vollkommen entzückt war, von einer Rede, in der es heißt:
"Wir wollen uns nicht darüber entzweien, meine Herren, ob wir die demokratische Monarchie, die demokratisierte Monarchie (!) oder die reine Demokratie meinen, im ganzen wollen wir dasselbe, die Freiheit, die Volksfreiheit, die Herrschaft des Volks!"
Und wir sollen uns für eine Linke begeistern, die davon hingerissen wird, wenn man sagt, sie wolle im "ganzen dasselbe" wie die Rechte, wie Herr Radowitz, Herr Lichnowski, Herr Vincke und die übrige fette oder magere Ritterschaft? für eine Linke, die sich selbst vor Entzücken nicht mehr kennt, die alles vergißt, sobald sie so ein paar hohle Schlagworte hört wie "Volksfreiheit" und "Herrschaft des Volks"?
Doch lassen wir die Linke und kehren wir zum Bürger Ruge zurück.
"Noch ist keine größere Revolution über den Erdball hingegangen als die Revolution von 1848."
"Sie ist die humanste in ihren Prinzipien" - weil diese Prinzipien aus der Vertuschung der entgegengesetztesten Interessen entstanden sind.
"Die humanste in ihren Dekreten und Proklamationen" - weil diese ein Kompendium der philanthropischen Schwärmereien und sentimentalen Brüderlichkeitsphrasen aller Hohlköpfe von Europa sind.
"Die humanste in ihrer Existenz" - nämlich in den Metzeleien und Barbareien von Posen, in den Mordbrennereien Radetzkys, in den kannibalischen Grausamkeiten der Pariser Junisieger, in den Schlächtereien von Krakau und Prag, in der allgemeinen Herrschaft der Soldateska, kurz, in all den Infamien, welche heute, am 1. September 1848, die "Existenz" dieser Revolution ausmachen und mehr Blut in vier Monaten gekostet haben als 1793 und 1794 zusammen.
Der "humane" Bürger Ruge!
<359>["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 96 vom 7. September 1848]
**Köln, 6. September. Wir haben den "humanen" Bürger Ruge auf dem Wege seiner geschichtlichen Untersuchungen über die Notwendigkeit Polens verfolgt. Bisher hat der Bürger Ruge von der schlechten Vergangenheit, von der Zeit des Despotismus gesprochen, er hat die Ereignisse der Unvernunft redigiert; jetzt kommt er zur Gegenwart, zum glorreichen Jahr 1848, zur Revolution, jetzt betritt er heimischen Boden, jetzt redigiert er die "Vernunft der Ereignisse".
"Wie kann die Freilassung Polens geschehen? Sie kann durch Verträge geschehen, an welchen die beiden großen zivilisierten Nationen Europas teilnehmen, die mit Deutschland, dem befreiten Deutschland, zusammen notwendig eine neue Tripelallianz darum bilden müssen, weil sie dasselbe denken und im ganzen dasselbe wollen."
Da haben wir in einem kühnen Satz die ganze Vernunft der Ereignisse für die auswärtige Politik. Allianz zwischen Deutschland, Frankreich und England, die alle drei "dasselbe denken und im ganzen dasselbe wollen", neuer Rütlibund zwischen den modernen drei Schweizern Cavaignac, Leiningen und John Russell! Allerdings sind Frankreich und Deutschland mit Gottes Hülfe inzwischen wieder so weit rückwärts gekommen, daß ihre Regierungen über allgemeine politische Prinzipien ziemlich "dasselbe denken" wie das offizielle England, jener unerschütterte kontrerevolutionäre Fels im Meer.
Aber die Länder "denken" nicht nur dasselbe, sie "wollen auch im ganzen dasselbe". Deutschland will Schleswig, und England will es ihm nicht überlassen; Deutschland will Schutzzölle, und England will Handelsfreiheit; Deutschland will Einheit, und England wünscht ihm Zersplitterung; Deutschland will selbständig sein, und England strebt darnach, es industriell zu unterjochen - aber was tut das? "Im ganzen" wollen sie doch "dasselbe"! Und Frankreich, Frankreich erläßt Zollgesetze gegen Deutschland, sein Minister Bastide moquiert sich über den Schulmeister Raumer, der dort Deutschland vertritt - also will es offenbar "im ganzen dasselbe" wie Deutschland! In der Tat, England und Frankreich beweisen aufs schlagendste, daß sie dasselbe wollen wie Deutschland, indem sie es, England wegen Schleswigs, Frankreich wegen der Lombardei, mit Krieg bedrohen!
Der Bürger Ruge hat die ideologische Naivetät, zu glauben, Nationen, denen gewisse politische Vorstellungen gemeinsam seien, würden schon deshalb eine Allianz eingehen. Der Bürger Ruge hat überhaupt nur zwei Farben <360> auf seiner politischen Palette: schwarz und weiß, Sklaverei und Freiheit. Die Welt teilt sich für ihn in zwei große Hälften: in zivilisierte Nationen und Barbaren, in Freie und in Knechte. Die Grenzlinie der Freiheit, die vor sechs Monaten jenseits des Rheines lag, fällt jetzt mit der russischen Grenze zusammen, und diesen Fortschritt nennt man die Revolution von 1848. In dieser wüsten Gestalt spiegelt sich die gegenwärtige Bewegung im Kopfe des Bürgers Ruge wider. Das ist die pommersche Übersetzung des Barrikadenschlachtrufs vom Februar und März.
Übersetzen wir aus dem Pommerschen ins Deutsche zurück, so stellt sich heraus, daß die drei zivilisierten Nationen, die drei freien Völker, diejenigen sind, bei denen in verschiedenen Formen und Entwicklungsstufen die Bourgeoisie herrscht, während die "Sklaven und Knechte" die Völker sind, die unter der Herrschaft des patriarchalisch-feudalen Absolutismus stehen. Unter Freiheit versteht der farouche <wilde> Republikaner und Demokrat Arnold Ruge den ganz gewöhnlichen "seichten" Liberalismus, die Herrschaft der Bourgeoisie, allenfalls mit etwas scheindemokratischen Formen - das des Pudels Kern!
Weil in Frankreich, England und Deutschland die Bourgeoisie herrscht, darum sind sie natürliche Alliierte, so räsoniert der Bürger Ruge. Und wenn die materiellen Interessen der drei Länder einander schnurstracks entgegenlaufen, wenn Handelsfreiheit mit Deutschland und Frankreich eine unumgängliche Lebensbedingung für die englische, wenn Schutzzölle gegen England eine unumgängliche Lebensbedingung für die französische und deutsche Bourgeoisie sind, wenn ähnliche Verhältnisse in vieler Hinsicht wieder zwischen Deutschland und Frankreich stattfinden, wenn diese Tripelallianz in der Praxis auf die industrielle Unterjochung Frankreichs und Deutschlands hinausliefe? - "bornierter Egoismus, schäbige Krämerseelen", brummt der pommersche Denker Ruge in seinen blonden Bart.
Herr Jordan hat in seiner Rede von der tragischen Ironie der Weltgeschichte gesprochen. Der Bürger Ruge liefert ein schlagendes Exempel davon. Er, sowie die ganze mehr oder weniger ideologische Linke, sieht seine teuersten Lieblingsschwärmereien, seine höchsten Gedankenefforts <Gedankenanstrengungen> scheitern an der Klasse, deren Repräsentant er ist. Sein philanthropisch-kosmopolitisches Projekt scheitert an den schäbigen Krämerseelen, und er muß gerade, ohne es selbst zu wissen und zu wollen, diese Krämerseelen in mehr oder weniger ideologisch-verdrehter Weise vertreten. Der Ideologe denkt und der Krämer lenkt. Tragische Ironie der Weltgeschichte!
<361> Der Bürger Ruge entwickelt nun, wie Frankreich "gesagt hat, die Verträge von 1815 sind zwar zerrissen, allein es wolle den Territorialbestand anerkennen, wie er gegenwärtig ist". "Dies ist sehr richtig <Im stenographischen Bericht: wichtig> ", denn was bisher niemand in dem Manifest Lamartines gesucht hat, das findet der Bürger Ruge darin: Es ist die Grundlage eines neuen Völkerrechts. Dies wird folgendermaßen entwickelt:
"Aus diesem Verhältnis mit Frankreich muß das neue historische (!) Recht" (Nr. 1) "hervorgehen. Das historische Recht ist das Recht der Völker" (! Nr. 2). "Es ist in dem Fall, wovon wir sprechen (?), das neue Völkerrecht"(! Nr. 3). "Das ist die allein richtige Auffassung des historischen Rechts" (! Nr. 4). "Jede andere Auffassung des historischen Rechts" (! Nr. 5) "ist absurd. Es gibt kein anderes Völkerrecht" (! Nr. 6). "Das historische Recht" (Nr. 7) "ist das Recht" (endlich!), "welches die Historie herbeiführt und die Zeit sanktioniert, indem sie" (wer?) "die bisherigen Verträge aufhebt, zerreißt und neue an ihre Stelle setzt."
Mit einem Wort: Das historische Recht ist - die Redaktion der Vernunft der Ereignisse!
So steht geschrieben buchstäblich in der Apostelgeschichte der deutschen Einheit, in den stenogr[aphischen] Berichten von Frankfurt, pag. 1186, erste Spalte. Und man beschwert sich, daß die "Neue Rheinische Zeitung" Herrn Ruge durch Ausrufungszeichen kritisiert! Aber natürlich, bei diesem schwindelnden Wirbeltanz von historischem Recht und Völkerrecht mußte der biedermännischen Linken Hören und Sehen vergehen, und sie mußte in Bewunderung aufgehen, als der Philosoph von Pommern ihr mit apodiktischer Gewißheit in die Ohren rief: "Das historische Recht ist das Recht, welches die Historie herbeiführt und die Zeit sanktioniert" usw.
Die "Historie" hat ja stets das gerade Gegenteil von dem "herbeigeführt", was die "Zeit sanktioniert" hatte, und die Sanktion der "Zeit" bestand immer gerade darin, daß sie das umstieß, was die "Historie herbeigeführt" hatte.
Jetzt stellt der Bürger Ruge den "einzig richtigen und zulässigen" Antrag:
"Die Zentralgewalt zu beauftragen, in Gemeinschaft mit England und Frankreich einen Kongreß zur Wiederherstellung eines freien und unabhängigen Polens, bei welchem alle beteiligten Mächte durch Gesandte zugezogen werden, einzuleiten."
Welche braven, biedermännischen Gesinnungen! Lord John Russell und Eugen Cavaignac sollen Polen wiederherstellen; die englische und französische Bourgeoisie sollen Rußland mit einem Kriege drohen, um die Freiheit Polens zu erzwingen, an der ihnen in diesem Augenblick vollends gar nichts liegt! In dieser <362> Zeit der allgemeinen Verwirrung und Verwicklung, wo jede beruhigende Nachricht, die die Kurse ein Achtel Prozent steigen macht, durch sechs störende Schläge wieder vereitelt wird, die Industrie mit dem langsamen Bankerutt kämpft, wo der Handel stockt, wo das unbeschäftigte Proletariat mit unerschwinglichen Geldsummen unterstützt werden muß, um nicht in einen allgemeinen, letzten Verzweiflungskampf hineingejagt zu werden - da sollen die Bourgeois der drei zivilisierten Nationen noch eine neue Schwierigkeit schaffen? Und welche Schwierigkeit! Einen Krieg mit Rußland, das seit Februar der intimste Bundesgenosse Englands ist! Einen Krieg mit Rußland, einen Krieg, der, wie jedermann weiß, der Sturz der deutschen und französischen Bourgeoisie wäre! Und um welche Vorteile zu erlangen? Gar keine. In der Tat, das ist mehr als pommersche Naivetät!
Aber der Bürger Ruge schwört darauf, daß die "friedliche Lösung" der polnischen Frage möglich sei. Immer besser! Und warum? Weil es sich jetzt darum handelt:
"Was die Wiener Verträge wollen, muß jetzt realisiert und wirklich ausgeführt werden ... Die Wiener Verträge, sie wollten das Recht aller Nationen gegen die große Nation der Franzosen, ... wollten die Wiederherstellung der deutschen Nation."
Jetzt erklärt es sich, weshalb Herr Ruge "im ganzen dasselbe will - wie die Rechte. Die Rechte will auch die Ausführung der Wiener Verträge.
Die Wiener Verträge sind das Resumé des großen Siegs des reaktionären Europa über das revolutionäre Frankreich. Sie sind die klassische Form, in der die europäische Reaktion unter der Restaurationszeit 15 Jahre herrschte. Sie stellen die Legitimität, das Königtum von Gottes Gnaden, den Feudaladel, die Pfaffenherrschaft, die patriarchalische Gesetzgebung und Verwaltung wieder her. Da aber der Sieg erkämpft war mit Hülfe der englischen, deutschen, italienischen, spanischen und namentlich der französischen Bourgeoisie, so mußten der Bourgeoisie ebenfalls Konzessionen gemacht werden. Während Fürsten, Adel, Pfaffen und Bürokraten nun die fetten Bissen der Beute unter sich teilten, wurde die Bourgeoisie mit Wechseln auf die Zukunft abgespeist, die nie honoriert wurden und die niemand beabsichtigte zu honorieren. Und statt den wirklichen, praktischen Inhalt der Wiener Verträge zu betrachten, glaubt Herr Ruge, diese leeren Versprechungen seien der eigentliche Inhalt derselben, während die reaktionäre Praxis nur mißbräuchlich hineingedeutet sei!
In der Tat, man muß merkwürdig gutmütiger Natur sein, um nach 33 Jahren, nach den Revolutionen von 1830 und 1848 noch an die Auszahlung dieser Wechsel zu glauben, um sich einzubilden, daß die sentimentalen Phrasen, <363> in welche die Wiener Scheinversprechungen gehüllt sind, noch im Jahre 1848 irgendeinen Sinn haben!
Der Bürger Ruge als Don Quixote der Wiener Verträge!
Schließlich enthüllt der Bürger Ruge der Versammlung das tiefe Geheimnis: Die Revolutionen von 1848 seien bloß dadurch hervorgerufen, daß man 1846 in Krakau die Verträge von 1815 gebrochen. Zur Warnung für alle Despoten!
Kurzum, der Bürger Ruge hat sich, seit wir ihm zuletzt auf literarischem Felde begegneten, in keinem Punkte verändert. Es sind noch immer dieselben Phrasen, die er einstudiert und wiederholt hat, seitdem er bei den "Hallischen" und "Deutschen Jahrbüchern" den Portier der deutschen Philosophie vorstellte; noch immer dieselbe Wirrnis, dasselbe Tohuwabohu der Anschauung, derselbe Mangel an Gedanken; dasselbe Talent, die hohlköpfigsten und widersinnigsten Gedanken in pomphafter Form vorzutragen; derselbe Mangel an "Kenntnissen", und namentlich dieselben Ansprüche auf den Beifall des deutschen Philisters, der so etwas in seinem Leben noch nicht gehört hat.
Hiermit schließen wir unser Resumé der Polendebatte. Auf Herrn Löw aus Posen und die andern großen Geister, die noch folgen, einzugehen, wäre zu viel verlangt.
Die ganze Debatte hinterläßt einen wehmütigen Eindruck. So viel lange Reden und so wenig Inhalt, so wenig Bekanntschaft mit dem Gegenstande, so wenig Talent! Die schlechteste Debatte der ehemaligen oder jetzigen französischen Kammer oder des englischen Unterhauses enthält mehr Geist, mehr Sachkenntnis, mehr wirklichen Inhalt als dies dreitägige Gespräch über einen der interessantesten Gegenstände der modernen Politik. Es war alles daraus zu machen, und die Nationalversammlung hat reine Kannegießerei darüber gemacht.
In der Tat, eine Versammlung wie diese hat noch nie und nirgends gesessen!
Die Beschlüsse sind bekannt. Man hat 3/4 von Posen erobert; man hat sie erobert weder durch Gewalt noch durch "deutschen Fleiß", noch durch den "Pflug", sondern durch Kannegießerei, erlogene Statistik und furchtsame Beschlüsse.
"Ihr habt die Polen verschluckt, verdauen werdet Ihr sie bei Gott nicht!"
Geschrieben von Friedrich Engels.