Herr Forstmann über den Staatskredit | Inhalt | Die Debatte über den Jakobyschen Antrag

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 5, S. 216-221
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1971


Vereinbarungsdebatten

["Neue Rheinische Zeitung Nr. 45 vom 15. Juli 1848]

<216> **Köln, 14. Juli. Wir kommen heute zur zweiten Hälfte der Vereinbarungssitzung vom 7. d. [Mts.]. Nach der für Herrn Hansemann so schmerzlichen Debatte über die Finanzkommission kam noch eine Reihe kleiner Trübsale für die Herren Minister vor. Es war der Tag der Dringlichkeitsanträge und Interpellationen, der Tag der Anfechtungen und der Ministerialbedrängnis.

Der Abgeordnete Wander trug an, jeder Beamte, der einen Bürger ungerechterweise verhaften ließe, solle zu völligem Schadenersatz verpflichtet sein und außerdem viermal solange sitzen als der von ihm Verhaftete.

Der Antrag geht, als nicht dringlich, an die Fachkommission.

Justizminister Märker erklärt, die Annahme dieses Antrags werde die bisherige Gesetzgebung gegen ungesetzlich verhaftende Beamte nicht nur nicht verschärfen, sondern sogar noch mildern. (Bravo.)

Der Herr Justizminister hat nur vergessen zu bemerken, daß es nach den bisherigen, namentlich altpreußischen Gesetzen für einen Beamten kaum möglich ist, jemanden ungesetzlich zu verhaften. Die willkürlichste Verhaftung kann nach den Paragraphen des altehrwürdigsten Landrechts gerechtfertigt werden.

Wir machen übrigens auf die höchst unparlamentarische Methode aufmerksam, die die Herren Minister sich angewöhnt haben. Sie warten, bis der Antrag an die Fachkommission oder die Abteilung verwiesen ist, und dann sprechen sie noch darüber. Sie sind dann sicher, daß ihnen niemand antworten kann. So hat es Herr Hansemann bei dem Antrage des Herrn Borries <Siehe "Vereinbarungsdebatten vom 7. Juli", S. 207> gemacht, so macht es jetzt Herr Märker. In England und Frankreich würde man <217> die Herren Minister, wenn sie solche parlamentarische Unschicklichkeiten je versucht hätten, ganz anders zur Ordnung zurückgeführt haben. Aber in Berlin!

Herr Schulze (von Delitzsch): Antrag zur Aufforderung an die Regierung, die bereits vollendeten oder bald zu vollendenden Entwürfe organischer Gesetze sofort der Versammlung zur Beratung in den Abteilungen zu übergeben.

Dieser Antrag enthielt wieder einen indirekten Tadel der Regierung wegen Lässigkeit oder absichtlicher Verschleppung in der Vorlage der die Verfassung ergänzenden organischen Gesetze. Der Tadel war um so empfindlicher, als denselben Morgen zwei Gesetzentwürfe, worunter das Bürgerwehrgesetz, vorgelegt worden waren. Der Ministerpräsident hätte also bei einiger Energie diesen Antrag entschieden zurückweisen müssen. Aber statt dessen macht er nur einige allgemeine Phrasen über das Bestreben der Regierung, den gerechten Wünschen der Versammlung in jeder Weise entgegenzukommen, und der Antrag wird mit großer Majorität angenommen.

Herr Besser interpelliert den Kriegsminister über den Mangel eines Dienstreglements. Die preußische Armee ist die einzige, der ein solches Reglement mangelt. Daher herrscht in allen Heeresabteilungen bis zu den Kompanien und Schwadronen herab die größte Verschiedenheit der Ansichten über die wichtigsten Dienstsachen, und namentlich über die Rechte und Pflichten der verschiedenen Chargen. Es bestehen zwar Tausende von Befehlen, Erlassen und Vorschriften, aber sie sind gerade wegen ihrer zahllosen Menge, ihrer Verwirrung und der in ihnen herrschenden Widersprüche schlimmer als nutzlos. Außerdem ist jedes solches Aktenstück durch ebensoviel verschiedene Zusätze, Erläuterungen, Randglossen und Glossen zu Randglossen verquickt und unkenntlich gemacht, als es Zwischenbehörden passiert hat. Diese Verwirrung kommt natürlich dem Vorgesetzten bei allen Willkürlichkeiten zugut, während der Untergebne nur den Nachteil davon zu tragen hat. Daher kennt der Untergebne keine Rechte, sondern nur Pflichten. Früher existierte ein Dienstreglement, genannt das schweinslederne Reglement, aber dies wurde in den 20er Jahren den Privatbesitzern abgenommen. Seitdem darf kein Untergebner es zu seinen Gunsten anführen, während die höheren Behörden es fortwährend gegen die Untergebnen anführen dürfen! Ebenso geht es mit den Dienstvorschriften für das Gardekorps, die der Armee nie mitgeteilt, den Untergebnen nie zugänglich wurden, nach welchen sie natürlich nur den Vorteil von dieser Konfusion, die ihnen die größte Willkür, die härteste Tyrannei gestattet. aber trotzdem bestraft werden! Die Herren Stabs- und Generaloffiziere haben Aber die Subalternoffiziere, die Unteroffiziere und Soldaten leiden darunter, und in ihrem Interesse interpelliert Herr Besser den General Schreckenstein.

<218> Wie mußte Herr Schreckenstein erstaunt sein, als er diese lange "Federfuchserei", um den beliebten Ausdruck von Anno dreizehn zu gebrauchen, zu hören bekam! Wie, die preußische Armee hat kein Dienstreglement? Welche Abgeschmacktheit! Die preußische Armee, auf Ehre, hat das allerbeste Reglement von der Welt, das zugleich das allerkürzeste ist und nur aus zwei Worten besteht: "Ordre parieren!" Bekommt ein Soldat der "ungeprügelten" Armee Püffe, Fußtritte oder Kolbenstöße, wird er von einem eben dem Kadettenhause entlaufenen unmündigen Lieutenant am Bart oder an der Nase gezupft und beklagt sich: "Ordre parieren!" Läßt ein angetrunkener Major nach dem Essen zu seiner besonderen Erheiterung sein Bataillon bis an den Leib in den Sumpf marschieren und dort Carré <Bataillonsaufstellung im Geviert> formieren, und ein Untergebner wagt zu klagen: "Ordre parieren!" Wird den Offizieren verboten, dies oder jenes Café zu besuchen, und sie erlauben sich eine Bemerkung: "Ordre parieren!" Das ist das beste Dienstreglement, denn es paßt auf alle Fälle.

Von allen Ministern ist Herr Schreckenstein der einzige, der den Mut noch nicht verloren hat. Der Soldat, der unter Napoleon gedient, der während dreiunddreißig Jahren preußischen Kamaschendienst getrieben, der manche Kugel pfeifen gehört hat, wird sich doch vor Vereinbarern und Interpellationen nicht fürchten! Und vollends wenn das große "Ordre parieren!" in Gefahr ist!

Meine Herren, sagt er, ich muß das besser wissen. Ich muß wissen, was daran zu ändern ist. Es handelt sich hier um ein Einreißen, und das Einreißen darf nicht einreißen, weil das Aufbauen sehr schwer ist. Die Wehrverfassung ist von Scharnhorst, Gneisenau, Boyen und Grolmann gemacht, umfaßt 600.000 bewaffnete und taktisch gebildete Staatsbürger und bietet jedem Staatsbürger eine sichere Zukunft, solange die Disziplin besteht. Diese werde ich aber erhalten, und damit habe ich genug gesagt.

Herr Besser: Herr Schreckenstein hat die Frage gar nicht beantwortet. Aus seinen Bemerkungen scheint aber hervorzugehen, daß er glaubt, ein Dienstreglement werde die Disziplin lockern!

Herr Schreckenstein: Ich habe schon gesagt, daß ich das tun werde, was zeitgemäß für die Armee ist und zum Nutzen des Dienstes gereicht.

Herr Behnsch: Wir haben doch wenigstens zu verlangen, daß der Minister uns Ja oder Nein antwortet oder erklärt, er wolle nicht antworten. Bis jetzt haben wir bloß abweichende Redensarten gehört.

Herr Schreckenstein, ärgerlich: Ich halte es nicht für den Dienst für nützlich, mich weiter auf diese Interpellation einzulassen.

<219> Der Dienst, immer der Dienst! Herr Schreckenstein glaubt immer noch Divisionär zu sein und mit seinem Offizierskorps zu sprechen. Er bildet sich ein, auch als Kriegsminister brauche er nur den Dienst, nicht aber die rechtliche Stellung der einzelnen Heereschargen gegeneinander und am allerwenigsten die Stellung des Heeres zum Staate im ganzen und zu seinen Bürgern zu berücksichtigen! Wir sind noch immer unter Bodelschwingh; der Geist des alten Boyen schaltet ununterbrochen fort im Kriegsministerium.

Herr Piegsa interpelliert wegen Mißhandlungen der Polen in Mielzyn am 7. Juni.

Herr Auerswald erklärt, er müsse erst vollständige Berichte abwarten.

Also einen ganzen Monat von 31 Tagen nach dem Vorfall ist Herr Auerswald noch nicht vollständig unterrichtet! Wunderbare Verwaltung!

Herr Behnsch interpelliert Herrn Hansemann, ob er bei Vorlage des Budgets eine Übersicht über die Verwaltung der Seehandlung seit 1820 und des Staatsschatzes seit 1840 vorlegen wolle.

Herr Hansemann erklärt unter schallendem Gelächter, er werde in acht Tagen antworten können!

Herr Behnsch interpelliert abermals in Beziehung auf Unterstützung der Auswanderung durch die Regierung.

Herr Kühlwetter antwortet, dies sei eine deutsche Angelegenheit, und verweist Herrn Behnsch an den Erzherzog Johann.

Herr Grebel interpelliert Herrn Schreckenstein wegen der Militär-Administrationsbeamten, die zugleich Landwehroffiziere sind, bei Landwehrübungen in aktiven Dienst treten und dadurch andern Landwehroffizieren die Gelegenheit entziehen, sich auszubilden. Er trägt darauf an, daß diese Beamten von der Landwehr entbunden werden.

Herr Schreckenstein erklärt, er werde seine Pflicht tun und die Sache sogar in Erwägung ziehen.

Herr Feldhaus interpelliert Herrn Schreckenstein wegen der am 18. Juni auf dem Marsch von Posen nach Glogau umgekommenen Soldaten und der zur Bestrafung dieser Barbarei getroffenen Maßregeln.

Herr Schreckenstein: Die Sache hat stattgefunden. Der Bericht des Regimentskommandeurs ist eingereicht. Der Bericht des Generalkommandos, das die Etappen angeordnet hat, fehlt noch. Ich kann also noch nicht sagen, ob die Marschordnung überschritten ist. Außerdem wird hier über einen Stabsoffizier geurteilt, und solche Urteile sind schmerzlich. Die "hohe Generalversammlung" (!!!) wird hoffentlich warten, bis die Berichte eingetroffen sind.

Herr Schreckenstein beurteilt diese Barbarei nicht als Barbarei, er fragt bloß, ob der betreffende Major "Ordre pariert" hat? Und was liegt daran, ob <220> 18 Soldaten auf der Landstraße wie so viel Stück Vieh elendiglich umkommen, wenn nur Ordre pariert wird!

Herr Behnsch, der dieselbe Interpellation wie Herr Feldhaus gestellt hatte: Ich ziehe meine jetzt überflüssige Interpellation zurück, verlange aber, daß der Kriegsminister einen Tag festsetze, an dem er antworten will. Es sind schon 3 Wochen seit dem Vorfall verflossen, und die Berichte könnten längst hier sein.

Herr Schreckenstein: Es ist kein Augenblick versäumt, die Berichte vom Generalkommando sind sofort eingefordert worden.

Der Präsident will die Sache überhüpfen.

Herr Behnsch: Ich bitte den Kriegsminister nur zu antworten und einen Tag festzusetzen.

Präsident: Will Herr Schreckenstein ...

Herr Schreckenstein: Das läßt sich noch gar nicht übersehen, wann dies sein wird.

Herr Gladbach: Der § 28 des Reglements legt den Ministern die Verpflichtung auf, einen Tag zu bestimmen. Ich bestehe ebenfalls darauf.

Präsident: Ich frage den Herrn Minister nochmals.

Herr Schreckenstein: Einen bestimmten Tag kann ich nicht festsetzen.

Herr Gladbach: Ich bleibe bei meiner Forderung.

Herr Temme: Ich bin derselben Meinung.

Präsident: Wird der Herr Kriegsminister etwa in 14 Tagen ...

Herr Schreckenstein: Wohl möglich. Sobald ich weiß, ob Ordre pariert worden ist, werde ich antworten.

Präsident: Also in 14 Tagen.

So tut der Herr Kriegsminister "seine Pflicht" gegen die Versammlung!

Herr Gladbach hat noch eine Interpellation an den Minister des Innern zu richten wegen Suspendierung mißliebiger Beamten und vorläufiger, nur provisorischer Besetzung erledigter Stellen.

Herr Kühlwetter antwortet sehr ungenügend, und die weiteren Bemerkungen des Herrn Gladbach werden unter dem Gemurr, Geschrei und Getrommel der endlich über soviel Unverschämtheit empörten Rechten nach tapferer Gegenwehr erdrückt.

Ein Antrag von Herrn Berends, daß die zum innern Dienst einberufene Landwehr unter das Kommando der Bürgerwehr gestellt werde, wird nicht für dringlich erkannt und danach zurückgezogen. Hierauf beginnt eine angenehme Unterhaltung über allerlei mit der posenschen Kommission verknüpfte Spitzfindigkeiten. Der Sturm der Interpellationen und Dringlich- <221> keitsanträge ist vorüber, und wie sanftes Säuseln des Zephyr und anmutiges Murmeln des Wiesenbachs verhallen die letzten versöhnenden Klänge der berühmten Sitzung vom 7. Juli. Herr Hansemann geht nach Hause mit dem Trost, daß das Poltern und Trommeln der Rechten ihm einige wenige Blumen in seine Dornenkrone gewunden hat, und Herr Schreckenstein dreht selbstzufrieden seinen Schnurrbart und murmelt: "Ordre parieren!"

Geschrieben von Friedrich Engels.