MLWerke | | | Leo Trotzki |
26. September 1930
Taktische Wendungen, selbst große, sind in unserer Epoche ganz unvermeidlich. Sie werden von jähen Wandlungen der objektiven Lage hervorgerufen (durch das Fehlen stabiler internationaler Beziehungen, scharfe und unregelmäßige Schwankungen der Konjunktur, heftige Reflexe der ökonomischen Schwankungen in der Politik, Spontaneität der Massen, die sich in einer ausweglosen Situation sehen usw,). Das aufmerksame Verfolgen jeder Veränderung der objektiven Lage ist gegenwärtig eine weitaus wichtigere und gleichzeitig schwierigere Aufgabe als vor dem Kriege, in der Epoche der »organischen« Entwicklung des Kapitalismus. Die Parteiführung ist in der Lage eines Chauffeurs, der sein Auto in scharfen Kurven den Berg hinaufsteuert. Jede Wendung zur Unzeit oder ein falscher Gang bringen Mitfahrer und Wagen in größte Gefahren, sogar in Todesgefahr.
Die Führung der Komintern hat uns in letzter Zeit manche Beispiele von sehr schroffen Wendungen gegeben. Die letzte Wendung haben wir in den letzten Monaten beobachten können. Wodurch werden die Wendungen der Komintern seit dem Tode Lenins hervorgerufen? Durch Veränderungen der objektiven Lage? Nein. Man kann mit Bestimmtheit behaupten, daß es schon seit 1923 keine einzige taktische Wendung gegeben hat, die von der Komintern rechtzeitig, unter dem Einfluß richtig eingeschätzter Veränderungen der objektiven Lage vorgenommen worden wäre. Im Gegenteil: jede Wendung war Resultat der unerträglichen Verschärfung der Widersprüche zwischen der Linie der Komintern und der objektiven Lage. Dasselbe können wir auch dieses Mal beobachten.
Das IX. EKKI-Plenum, der VI. Weltkongreß und besonders das X. Plenum nehmen Kurs auf einen jähen und geradlinigen revolutionären Aufschwung (»Dritte Periode«). Ein solcher Aufschwung war damals aufgrund der objektiven Gesamtsituation, die durch die ungeheuren Niederlagen in England und China, die Schwächung der kommunistischen Parteien in aller Welt und besonders den Aufstieg von Handel und Industrie, der die wichtigsten kapitalistischen Länder erfaßt hatte, völlig ausgeschlossen. Die taktische Wendung der Komintern lief somit seit Februar 1928 der realen historischen Entwicklungstendenz gänzlich zuwider. Aus diesem Widerspruch heraus kam es zu putschistischen Tendenzen, zur weiteren Isolierung der Parteien von den Massen, zur Schwächung der Organisationen usw. Erst nachdem dies bedrohlichen Charakter angenommen hatte, machte die Führung der Komintern im Februar 1930 eine neue Wendung nach rechts und zurück hinter die Taktik der »dritten Periode«.
Die Ironie des Schicksals, die gegenüber jeder Politik, die den Ereignissen hinterher hinkt, unbarmherzig ist, will es, daß die neue taktische Wendung der Komintern zeitlich mit einer neuerlichen Veränderung der objektiven Lage zusammenfällt. Die unerhörte Verschärfung der internationalen Krise eröffnet zweifellos eine Perspektive auf Radikalisierung der Klassen und soziale Erschütterungen. Gerade unter solchen Bedingungen könnte und müßte man eine Wendung nach links machen, d.h. in kühnem Tempo auf die Bahn eines revolutionären Aufschwungs einlenken. Das wäre richtig und notwendig, wenn die Führung der Komintern in den letzten drei Jahren die Periode des wirtschaftlichen Aufschwungs und der revolutionären Ebbe dazu genutzt hätte, die Position der Partei in den Massenorganisationen, vor allem in den Gewerkschaften, zu festigen. Unter diesen Bedingungen könnte und müßte der Chauffeur im Jahre 1930 den Wagen vom zweiten auf den dritten Gang umschalten oder sich wenigstens dazu bereithalten. In Wirklichkeit ist es genau umgekehrt abgelaufen. Um nicht abzustürzen, mußte der Chauffeur vom zu früh eingeschalteten dritten Gang auf den zweiten herunterschalten und - unter Bedingungen, die bei einer richtigen Strategie eine Beschleunigung des Tempos verlangen, die Geschwindigkeit drosseln.
Das ist der schreiende Widerspruch zwischen der taktischen Notwendigkeit und der strategischen Perspektive, ein Widerspruch, in dem sich gegenwärtig, infolge der Fehler ihrer Führungen, die kommunistischen Parteien einer ganzen Reihe von Ländern befinden.
Am klarsten und gefährlichsten zeigt sich dieser Widerspruch in Deutschland. Hier haben die letzten Wahlen ein äußerst eigenartiges Kräfteverhältnis aufgedeckt, das nicht nur aus den beiden Stabilisierungsperioden der deutschen Nachkriegszeit resultiert, sondern auch aus den drei Perioden der Komintern-Fehler.
Gegenwärtig stellt die offizielle Presse der Komintern das Ergebnis der deutschen Wahlen als einen grandiosen Sieg des Kommunismus hin, der die Losung »Sowjet-Deutschland« auf die Tagesordnung bringt. Die bürokratischen Optimisten wollen den Sinn des Kräfteverhältnisses, das sich in der Wahlstatistik offenbart hat, nicht verstehen. Sie betrachten das Anwachsen der kommunistischen Stimmenzahl ganz unabhängig von den revolutionären Aufgaben, die die Situation stellt, und den daraus erwachsenden Schwierigkeiten.
Die Kommunistische Partei bekam 4.600.000 Stimmen gegenüber 3.300.000 im Jahre 1928. Der Zuwachs von 1.300.000 Stimmen ist vom Standpunkt der »normalen« Parlamentsmechanik, selbst wenn man das Anwachsen der Gesamtwählerzahl berücksichtigt, ein ungeheurer. Aber der Stimmengewinn der Partei verblaßt vollkommen vor dem Sprung des Faschismus von 800.000 Stimmen auf 6.400.000 Stimmen. Keine geringere Bedeutung für die Bewertung der Wahlen besitzt die Tatsache, daß die Sozialdemokratie, trotz bedeutender Verluste, ihren Grundbestand gehalten und noch immer eine bedeutend höhere Anzahl von Arbeiterstimmen als die Kommunistische Partei bekommen hat.
Wenn man sich fragt, welche Kombination internationaler und nationaler Bedingungen geeignet wäre, die Arbeiterklasse am stärksten zum Kommunismus zu drängen, so könnte man keine günstigeren Bedingungen für eine solche Wendung anführen als die gegenwärtige Lage in Deutschland: die Schlinge des Youngplans, der Zerfall der herrschenden Gruppen, die Krise des Parlamentarismus und die erschreckende Selbstentlarvung der regierenden Sozialdemokratie. Unterm Aspekt dieser konkreten historischen Bedingungen bleibt das spezifische Gewicht der deutschen Kommunistischen Partei im öffentlichen Leben des Landes trotz der Eroberung von 1.300.000 Stimmen unverhältnismäßig gering.
Die Schwäche der kommunistischen Position, die unmittelbar mit der Politik und dem Regime der Komintern zusammenhängt, tritt noch schlagender zutage, wenn wir das aktuelle soziale Gewicht der Kommunistischen Partei zu den konkreten und unaufschiebbaren Aufgaben in Beziehung setzen, die ihr durch die gegenwärtigen historischen Bedingungen gestellt werden.
Gewiß, die Kommunistische Partei hat einen solchen Zuwachs selbst nicht erwartet. Doch das beweist, daß unter den Schlägen der Fehler und Niederlagen die Führung der Kommunistischen Partei nicht mehr gewöhnt ist, große Ziele und Perspektiven zu haben. Wenn sie gestern noch ihre eigenen Möglichkeiten unterschätzt hat, so unterschätzt sie heute wiederum die Schwierigkeiten. So verstärkt die eine Gefahr die andere.
Aber die wichtigste Fähigkeit einer wirklich revolutionären Partei ist, der Wirklichkeit ins Auge sehen zu können.
Bei jeder Wendung der Geschichte, bei jeder sozialen Krise muß man immer wieder die Frage der gegenseitigen Beziehungen der drei Klassen der gegenwärtigen Gesellschaft überprüfen: der vom Finanzkapital geführten Großbourgeoisie, der zwischen den beiden Hauptlagern schwankenden Kleinbourgeoisie und des Proletariats.
Die Großbourgeoisie, eine kleine Minderheit der Nation, kann ihre Macht nicht halten, wenn sie sich nicht auf die Kleinbourgeoisie in Stadt und Land, d.h. auf die Reste des alten und auf die Masse des neuen Mittelstandes stützen kann. Sie hält ihre Herrschaft gegenwärtig wesentlich mit Hilfe zweier Organisationen aufrecht, die politisch einander entgegengesetzt sind, historisch aber einander ergänzen: Sozialdemokratie und Faschismus. In der Sozialdemokratie führt die Kleinbourgeoisie, die dem Finanzkapital folgt, Millionen von Arbeitern hinter sich.
Gegenwärtig schwankt die deutsche Großbourgeoisie und ist zersplittert. Ihre Zwiespältigkeit besteht in der Frage, welche der beiden Heilmethoden sie in der gegenwärtigen sozialen Krise anwenden soll. Die sozialdemokratische Therapie stößt einen Teil der Großbourgeoisie wegen der Unbestimmtheit ihrer Ergebnisse und des Risikos allzugroßer Unkosten zurück (Steuer, soziale Gesetzgebung, Arbeitslohn usw.). Der chirurgische Eingriff der Faschisten erscheint dem anderen Teil als der Lage nicht entsprechend und allzu riskant. Mit anderen Worten: die Finanzbourgeoisie als ganze schwankt in der Einschätzung der Lage und sieht noch keinen hinreichenden Grund, das Eintreten ihrer »dritten Periode« zu verkünden, in der die Sozialdemokratie gänzlich durch den Faschismus ersetzt wird und bei dieser Gelegenheit - zum Lohn für die von ihr geleisteten Dienste - einem allgemeinen Pogrom zum Opfer fällt. Das Hin-und-her-Schwanken der Großbourgeoisie zwischen Sozialdemokratie und Faschismus bei gleichzeitiger Schwächung ihrer wichtigsten Parteien ist das eindeutige Symptom einer vorrevolutionären Situation. Bei Eintritt einer wirklich revolutionären Situation würden diese Schwankungen natürlich sofort aufhören.
Um aus der sozialen Krise eine proletarische Revolution werden zu lassen, ist es - abgesehen von anderen Bedingungen - nötig, daß ein entscheidender Teil der kleinbürgerlichen Klassen sich auf die Seite des Proletatiats stellt. Das gibt dem Proletariat die Möglichkeit, sich als Führer an die Spitze der Nation zu stellen. Die letzten Wahlen zeigen - und darin liegt ihre wichtige symptomatische Bedeutung - eine entgegengesetzte Tendenz. Unter den Schlägen der Krise tendierte das Kleinbürgertum nicht zur proletarischen Revolution, sondern zur äußersten imperialistischen Reaktion und zog dabei bedeutende Schichten des Proletariats mit.
Das gigantische Anwachsen des Nationalsozialismus ist Ausdruck zweier Tatsachen: der tiefen sozialen Krise, die die kleinbürgerlichen Massen aus dem Gleichgewicht bringt, und des Fehlens einer revolutionären Partei, welche schon heute in den Augen der Volksmassen der berufene revolutionäre Führer wäre. Wenn die Kommunistische Partei die Partei der revolutionären Hoffnungen ist, so ist der Faschismus als Massenbewegung die Partei der konterrevolutionären Verzweiflung. Wenn die revolutionäre Hoffnung die gesamte proletarische Masse ergreift, so zieht sie unfehlbar bedeutende und stets anwachsende Schichten des Kleinbürgertums hinter sich her auf den Weg der Revolution. Gerade auf diesem Gebiet zeigen die Wahlen ein ganz entgegengesetztes Bild: die konterrevolutionäre Verzweiflung hat die kleinbürgerliche Masse mit solcher Gewalt erfaßt, daß sie bedeutende Schichten des Proletariats mit sich zog.
Wie kann man das erklären? In der Vergangenheit sahen wir ein starkes Anwachsen des Faschismus (In Italien, in Deutschland) als Ergebnis einer verpaßten revolutionären Situation, am Ende einer revolutionären Krise, in deren Verlauf die proletarische Avantgarde sich unfähig gezeigt hatte, an die Spitze der Nation zu treten, und das Schicksal aller Klassen, auch der Kleinbourgeoisie, zu ändern. Gerade das verlieh dem Faschismus in Italien besondere Kraft. Doch in Deutschland handelt es sich gegenwärtig nicht um den Ausgang einer revolutionären Krise, sondern um deren Herannahen. Daraus ziehen die führenden Parteibeamten als Optimisten von Amts wegen die Folgerung, daß der Faschismus unfehlbar zu einer raschen Niederlage verurteilt ist, da er »zu spät« kommt ('Die Rote Fahne'). Diese Leute wollen nichts lernen. Der Faschismus kommt »zu spät« in bezug auf die alten revolutionären Krisen. Doch er kommt noch früh genug - im Morgengrauen - zur neuen revolutionären Krise. Der Umstand, daß der Faschismus eine derart mächtige Ausgangsposition bereits am Vorabend der revolutionären Periode und nicht erst an deren Ende einnehmen konnte, bezeugt nicht eine Schwäche des Faschismus, sondern des Kommunismus. Das Kleinbürgertum verläßt sich gar nicht erst auf die Fähigkeiten der Kommunistischen Partei, sein Schicksal zu verbessern. Es stützt sich auf die Erfahrungen der Vergangenheit, erinnert sich an die Lehren von 1923, an die ultralinken Bocksprünge von Maslow und Thälmann, an die opportunistische Kraftlosigkeit desselben Thälmann, an das Geschwätz von der »dritten Periode« usw. Schließlich - und das ist das wichtigste - nährt sich ihr Mißtrauen gegenüber der proletarischen Revolution vom Mißtrauen der Millionen sozialdemokratischer Arbeiter gegenüber der Kommunistischen Partei. Selbst ein Kleinbürgertum, das durch die Ereignisse völlig vom konservativen Weg abgekommen ist, kann sich nur dann auf die Seite der sozialen Revolution schlagen, wenn die Mehrheit der Arbeiter für die soziale Revolution ist. Gerade diese wichtigste Bedingung fehlt in Deutschland noch. Und das ist kein Zufall.
Die Programmerklärung der deutschen Kommunistischen Partei vor den Wahlen war voll und ganz dem Faschismus als dem Hauptfeind gewidmet. Aber der Faschismus ist als Sieger aus den Wahlen hervorgegangen, indem er nicht nur Millionen halbproletarischer Elemente, sondern auch Hunderttausende von Industriearbeitern angezogen hat. Darum hat trotz des parlamentarischen Sieges der Partei die proletarische Revolution als Ganzes bei diesen Wahlen eine ernste Niederlage erlitten, natürlich nur eine Niederlage von vorläufigem, warnendem, nicht entscheidendem Charakter. Aber diese Niederlage kann eine entscheidende werden und wird unweigerlich eine entscheidende werden, wenn die Kommunistische Partei es nicht versteht, ihren partiellen, parlamentarischen Sieg im Zusammenhang mit der »vorläufigen« Niederlage der Revolution im ganzen zu sehen und daraus alle notwendigen Folgerungen zu ziehen.
Der Faschismus ist in Deutschland zu einer wirklichen Gefahr geworden; er ist Ausdruck der akuten Ausweglosigkeit des bürgerlichen Regimes, der konservativen Rolle der Sozialdemokratie und der akkumulierten Schwäche der Kommunistischen Partei im Kampf gegen dieses Regime. Wer das leugnet, ist blind oder ein Schwätzer.
Im Jahre 1923 hat Brandler trotz all unserer Warnungen die Kräfte des Faschismus ungeheuerlich überschätzt. Aus dieser falschen Einschätzung des Kräfteverhältnisses erwuchs eine abwartende, ausweichende, defensive und feige Politik. Das hat die Revolution zugrundegerichtet. Solche Ereignisse hinterlassen ihre Spuren im Bewußtsein aller Klassen des Volkes. Die Überschätzung des Faschismus durch die kommunistische Führung schuf eine der Vorbedingungen für dessen weitere reale Verstärkung. Der entgegengesetzte Fehler, die Unterschätzung des Faschismus durch die gegenwärtige Führung der Kommunistischen Partei, kann die Revolution in eine noch schwerere Katastrophe führen, die viele Jahre lang nicht wieder gutzumachen ist.
Die Gefahr wird besonders akut im Zusammenhang mit der Frage des Entwicklungstempos, das nicht allein von uns abhängt. Der malariaartige Charakter der politischen Fieberkurve, der sich bei den Wahlen zeigte, spricht dafür, daß das Entwicklungstempo der nationalen Krise sehr rapid sein kann. Mit anderen Worten: die Ereignisse können schon in nächster Zeit in Deutschland den alten, tragischen Widerspruch zwischen einer reifen revolutionären Situation und der Schwäche und strategischen Unzulänglichkeit der revolutionären Partei auf höherem historischen Niveau entstehen lassen. Man muß das klar, offen und vor allen Dingen rechtzeitig aussprechen.
Es wäre ein ungeheuerlicher Fehler, sich damit zu trösten, daß die bolschewistische Partei 1917, nach der Ankunft Lenins, als sie sich gerade erst zur Eroberung der Macht rüstete, weniger als 80.000 Mitglieder zählte und sogar in Petrograd nicht mehr als ein Drittel der Arbeiter und noch viel weniger Soldaten hinter sich führte. Die Lage in Rußland war eine ganz andere. Die revolutionären Parteien traten erst im März aus der Illegalität hervor, nach einer beinahe dreijährigen Unterbrechung selbst jenes erstickten politischen Lebens, das vor dem Krieg existiert hatte. Die Arbeiterklasse hatte sich im Laufe des Krieges zu 40 Prozent erneuert. Die überwiegende Mehrheit des Proletariats kannte die Bolschewiki gar nicht, sie hatte nicht einmal von ihnen gehört. Die Stimmabgabe für die Menschewiki und die Sozialrevolutionäre zwischen März und Juni war einfach nur ein Ausdruck der ersten schwankenden Schritte nach dem Erwachen. Diese Stimmabgabe brachte nicht einmal den Schatten einer Enttäuschung über die Bolschewiki oder eines aufgespeicherten Mißtrauens ihnen gegenüber zum Ausdruck. Solches Mißtrauen kann nur infolge der Fehler der Partei, die die Masse am eigenen Leibe erfahren hat, entstehen. Jeder Tag der revolutionären Erfahrungen von 1917 stieß aber die Massen von den Versöhnlern weg auf die Seite der Bolschewiki. Daraus folgte das stürmische, unaufhaltsame Wachsen der Partei und besonders ihres Einflusses.
Die Lage in Deutschland ist in dieser wie in anderer Beziehung von Grund aus andersartig. Die deutsche Kommunistische Partei ist nicht erst gestern oder vorgestern auf die offene Szene getreten. 1923 stand die Mehrheit der Arbeiterklasse offen oder halboffen auf Seiten der Kommunistischen Partei. 1924 erhielt die Partei - bei fallender revolutionärer Flut - 3.600.000 Stimmen, - ein höherer Prozentsatz der Arbeiterklasse als heute für sie stimmt. Das heißt, daß sowohl die Arbeiter, die bei der Sozialdemokratie geblieben sind, als auch jene, welche diesmal für die Nationalsozialisten gestimmt haben, nicht aus Unkenntnis so gehandelt haben, weil sie erst gestern erwacht sind oder noch nicht erfahren haben, was die Kommunistische Partei ist, sondern weil sie auf Grund der Erfahrungen der letzten Jahre nicht mehr an die Kommunistische Partei glauben.
Wir dürfen nicht vergessen, daß im Februar 1928 das IX. EKKI-Plenum das Signal zu einem verstärkten, außerordentlichen, unversöhnlichen Kampf gegen die »Sozialfaschisten« gegeben hat. Die deutsche Sozialdemokratie befand sich seither fast die ganze Zeit an der Macht, wobei sie bei jedem ihrer Schritte ihre verräterische und schädliche Rolle vor den Massen offenbarte. Das alles wurde zuletzt von einer grandiosen wirtschaftlichen Krise gekrönt. Es ist schwer, sich günstigere Umstände für die Schwächung der Sozialdemokratie zu denken. Trotzdem hat sie im Grunde ihre Positionen behauptet. Wie kann man diese erstaunliche Tatsache erklären? Nur dadurch, daß die Führung der Kommunistischen Partei durch ihre gesamte Politik die Sozialdemokratie von links unterstützt hat.
Daß fünf bis sechs Millionen Arbeiter und Arbeiterinnen für die Sozialdemokratie gestimmt haben, heißt keineswegs, daß sie ihr dadurch ihr volles und unbegrenztes Vertrauen ausgedrückt haben. Man darf diese sozialdemokratischen Arbeiter nicht für Blinde halten; sie sind nicht naiv in bezug auf ihre Führer, aber sie sehen in der gegenwärtigen Lage keinen anderen Ausweg. Wir sprechen natürlich nicht von der Arbeiter-Aristokratie und -Bürokratie, sondern von den einfachen Arbeitern. Die Politik der Kommunistischen Partei flößt ihnen kein Vertrauen ein, nicht, weil die Kommunistische Partei eine revolutionäre Partei ist, sondern weil sie nicht an ihre Fähigkeit glauben, den revolutionären Sieg zu erringen, und ihren Kopf nicht umsonst riskieren wollen. Solche Arbeiter drücken, wenn sie schweren Herzens für die Sozialdemokratie stimmen, nicht ihr Vertrauen zu dieser aus, sondern ihr Mißtrauen gegenüber der Kommunistischen Partei. Darin liegt der ungeheure Unterschied der gegenwärtigen Lage der deutschen Kommunisten zur Lage der russischen Bolschewiki im Jahre 1917.
Doch damit allein sind die Schwierigkeiten nicht erschöpft. Innerhalb der Kommunistischen Partei selbst, besonders unter den Sympathisierenden oder auch den nur für sie stimmenden Arbeitern, gibt es sehr viel verhaltenes Mißtrauen gegen die Führung der Partei. Daraus erwächst die »Disproportion« zwischen dem allgemeinen Einfluß der Partei und ihrem wirklichen Bestand, vor allem in den Gewerkschaften. In Deutschland existiert zweifellos eine solche Disproportion. Offiziell erklärt man diese Disproportion damit, daß die Partei es nicht versteht, ihren Einfluß organisatorisch zu »erfassen«. Hier wird die Masse als ein rein passives Material betrachtet, dessen Eintritt oder Nichteintritt in die Partei ausschließlich davon abhängt, ob der betreffende Parteisekretär es versteht, jeden einzelnen Arbeiter beim Kragen zu packen. Die Bürokraten können nicht begreifen, daß die Arbeiter ihre eigenen Gedanken, eigene Erfahrung, eigenen Willen und ihre eigene aktive oder passive Politik gegenüber der Partei besitzen. Die Arbeiter stimmen für die Partei, für deren Fahne, für die Oktoberrevolution, für ihre eigene zukünftige Revolution. Doch wenn sie sich weigern, in die Kommunistische Partei einzutreten oder ihr im Gewerkschaftskampf zu folgen, sagen sie damit, daß sie kein Vertrauen zur Tagespolitik der Partei haben. Diese »Disproportion« ist daher letztlich ein Ausdruck des Mißtrauens der Massen gegenüber der gegenwärtigen Führung der Komintern. Dieses Mißtrauen ist entstanden und befestigt worden durch die Fehler, Niederlagen, Fälschungen und den direkten Betrug der Massen in den Jahren 1913 bis 1930; es ist eines der größten Hindernisse auf dem Weg der proletarischen Revolution.
Ohne Selbstvertrauen wird die Partei niemals die Klasse führen können. Ohne das Proletariat zu führen, wird es ihr nicht gelingen, die kleinbürgerlichen Massen vom Faschismus loszureißen. Das eine ist mit dem anderen unlösbar verbunden.
Wollte man die offizielle Terminologie des Zentrismus benutzen, so müßte man das Problem folgendermaßen formulieren: Die Führung der Komintern hat den nationalen Sektionen die Taktik der »dritten« Periode, d.h. die Taktik des unmittelbaren revolutionären Aufschwungs gerade zu einem Zeitpunkt (1928) aufgedrängt, der besonders deutlich die Züge der »zweiten« Periode trug: Stabilisierung der Bourgeoisie, Fallen der revolutionären Flut. Die daraus folgende Wendung von 1930 bedeutet den Verzicht auf die Taktik der »dritten« Periode zugunsten der Taktik der »zweiten« Periode. Diese Wendung hat sich aber ihren Weg über den bürokratischen Apparat erst zu einem Zeitpunkt gebahnt, als - wenigstens in Deutschland - wichtige Anzeichen schon eindeutig den wirklichen Anbruch der »dritten« Periode signalisierten. Geht daraus nicht die Notwendigkeit einer neuen taktischen Wendung, - zugunsten der eben erst aufgegebenen Taktik der »dritten« Periode hervor?
Wir verwenden diese Terminologie, um die Problemstellung selbst für jene Kreise, deren Bewußtsein durch die Methodologie und Terminologie der zentristischen Bürokratie verkleistert ist, deutlicher zu machen. Wir haben keineswegs vor, uns diese Terminologie, hinter der die Kombination des Stalinschen Bürokratismus und der Bucharinschen Metaphysik steckt, zu eigen zu machen. Wir lehnen die apokalyptische Vorstellung von der »dritten« Periode als einer letzten ab: die Anzahl der Perioden bis zum Sieg des Proletariats hängt ab vom Kräfteverhältnis und von der Veränderung der Situation; all das kann nur durch die Tat erwiesen werden. Wir lehnen das Prinzip des strategischen Schematismus mit seiner Numerierung der Perioden ab, denn es gibt keine abstrakte, von vornherein festgelegte Taktik für eine »zweite« und eine »dritte« Periode. Gewiß, man kann ohne bewaffneten Aufstand nicht zum Sieg und zur Eroberung der Macht kommen. Aber wie kommt man zum bewaffneten Aufstand? Mit welchen Methoden, in welchem Tempo soll man die Massen mobilisieren? Das hängt nicht nur von der allgemeinen objektiven Lage ab, sondern vor allen Dingen von dem Zustand, in dem sich das Proletariat beim Eintritt der sozialen Krise befindet, von den Verhältnissen zwischen Partei und Klasse, zwischen dem Proletariat und dem Kleinbürgertum usw. Der Zustand des Proletariats am Vorabend der »dritten« Periode hängt seinerseits von der Taktik ab, die die Partei in der vorhergehenden Periode eingeschlagen hat.
Eine normale und natürliche Veränderung der Taktik, wie sie der gegenwärtigen Veränderung der Lage in Deutschland entspräche, müßte in einer Beschleunigung des Tempos, einer Verschärfung der Kampfparolen und Methoden bestehen.
Aber diese taktische Wendung wäre nur dann normal und natürlich gewesen, wenn das politische Tempo und die Kampfparolen von gestern den Bedingungen der vorhergehenden Periode entsprochen hätten. Davon aber kann keine Rede sein! Der scharfe Widerspruch zwischen der ultralinken Politik und der stabilisierten Lage war das Motiv der taktischen Wendung. Im Augenblick, als die Veränderung der objektiven Lage parallel zu der ungünstigen allgemeinen Umgruppierung der politischen Kräfte dem Kommunismus einen großen Stimmengewinn brachte, war dann die Partei strategisch und taktisch mehr desorientiert, verwirrt und unklar als je zuvor.
Um die Widersprüche zu erklären, in die sich die deutsche KP ebenso wie die meisten anderen Sektionen der Komintern verstrickt hat, nur noch viel tiefer, wollen wir einen ganz einfachen Vergleich ziehen. Um einen Sprung über eine Barriere auszuführen, muß man vorher einen Anlauf nehmen. Je höher die Barriere ist, um so wichtiger ist es, diesen Anlauf rechtzeitig zu beginnen, nicht zu spät und nicht zu früh, damit man sich dem Hindernis mit der nötigen Energie nähern kann. Die deutsche Kommunistische Partei hat aber seit Februar 1928, besonders seit Juli 1929 nichts anderes getan, als Anlauf zu nehmen. Es ist doch deshalb nicht verwunderlich, daß der Partei der Atem auszugehen beginnt und sie kaum noch die Füße voreinander setzen kann. Endlich hat die Komintern »Kürzer treten« befohlen. Kaum aber hat die außer Atem geratene Partei begonnen, einen normalen Schritt anzunehmen, als vor ihr die Silhouette keiner erdachten, sondern einer wirklichen Barriere sichtbar wird, die einen revolutionären Sprung nötig machen kann. Genügt die Entfernung noch für einen Anlauf? Soll man auf die Wendung verzichten und eine Kehrtwendung machen? Das sind die taktischen und strategischen Fragen, die sich nun in ihrer ganzen Schärfe der deutschen Partei stellen.
Damit die führenden Parteikader die richtige Antwort auf diese Frage finden, müssen sie die Möglichkeit haben, den nächsten Wegabschnitt im Zusammenhang mit der gesamten Strategie der letzten Jahre und deren Folgen, die sich in den letzten Wahlen gezeigt haben, analysieren zu können. Wenn es indessen der Bürokratie gelingt, die Stimme der Selbstkritik mit Siegesgeschrei zu ersticken, so würde das Proletariat unfehlbar in eine noch schrecklichere Katastrophe geführt werden als die von 1923.
Die revolutionäre Situation, in der die Eroberung der Macht sich dem Proletariat als unmittelbares Problem stellt, setzt sich aus objektiven und subjektiven Elementen zusammen, die miteinander verbunden und in bedeutendem Maße voneinander abhängig sind. Doch diese wechselseitige Bedingtheit ist relativ. Das Gesetz der ungleichmäßigen Entwicklung erstreckt sich auch auf die Faktoren der revolutionären Situation. Die unzureichende Entwicklung eines der Faktoren kann dazu führen, daß diese revolutionäre Situation überhaupt nicht zum Ausbruch kommt, sondern im Sande verläuft, oder, wenn sie zum Ausbruch kommt, mit einer Niederlage der revolutionären Klasse endet. Wie ist in dieser Hinsicht die aktuelle Lage in Deutschland?
1. Eine tiefe nationale Krise (die Wirtschaftslage, die internationale Situation) ist ohne Zweifel vorhanden. Auf dem normalen Wege des bürgerlich-parlamentarischen Regimes zeigt sich kein Ausweg.
2. Die politische Krise der herrschenden Klasse und ihres Regierungssystems ist zweifellos gegeben. Das ist keine Krise des Parlamentarismus, sondern eine Krise der Klassenherrschaft.
3. Die revolutionäre Klasse ist durch tiefe innere Widersprüche zersplittert. Die Verstärkung der revolutionären Partei auf Kosten der reformistischen befindet sich noch im Anfangsstadium und geht in einem Tempo vor sich, das der gegenwärtigen Tiefe der Krise bei weitem nicht entspricht.
4. Das Kleinbürgertum hat schon bei Beginn der Krise eine Haltung eingenommen, die das gegenwärtige System der Herrschaft des Kapitals bedroht, aber gleichzeitig eine tödliche Feindschaft gegenüber der proletarischen Revolution ausdrückt.
Mit anderen Worten: die wichtigsten objektiven Vorbedingungen der proletarischen Revolution sind gegeben. Vorhanden ist eine ihrer politischen Vorbedingungen (der Zustand der regierenden Klasse); die andere (der Zustand des Proletariats) hat sich erst zugunsten der Revolution zu verändern begonnen und kann sich - ein Erbe der Vergangenheit - nicht rasch verändern. Die dritte politische Vorbedingung endlich (der Zustand des Kleinbürgertums) entwickelt sich nicht zugunsten der proletarischen Revolution, sondern zugunsten der bürgerlichen Konterrevolution. Eine günstige Änderung dieser letzten Vorbedingung kann nur durch eine radikale Änderung im Proletariat selbst erzielt werden, nämlich durch die politische Liquidierung der Sozialdemokratie.
Wir haben somit eine höchst widerspruchsvolle Lage. Einer ihrer Faktoren stellt die proletarische Revolution auf die Tagesordnung, die übrigen schließen dagegen die Möglichkeit eines Sieges der proletarischen Revolution für die nächste Periode, d.h. ohne vorherige tiefe Veränderung des politischen Kräfteverhältnisses aus.
Theoretisch sind für die weitere Entwicklung der jetzigen Lage in Deutschland mehrere Varianten denkbar, die sowohl von objektiven Gründen, zu denen auch die Politik der Klassenfeinde gehört, wie auch von der Haltung der Kommunistischen Partei selbst abhängig sind.
Wir zeichnen hier ein Schema von vier möglichen Entwicklungsvarianten auf:
1. Die Kommunistische Partei geht, erschrocken vor ihrer eigenen Strategie der »dritten Periode«, tastend, mit äußerster Vorsicht, unter Vermeidung aller gewagten Schritte vor und verpaßt kampflos die revolutionäre Situation. Das wäre eine neue Auflage der Politik Brandlers von 1921-1923. In diese Richtung, die den Druck der Sozialdemokratie widerspiegelt, werden die Brandlerianer und Halb-Brandlerianer in und außerhalb der Partei sie stoßen.
2. Unter dem Einfluß des Wahlerfolges wird die Partei vielmehr eine neue, schroffe Wendung nach links machen, zum direkten Kampf um die Macht, und wird als Partei der aktiven Minderheit eine katastrophale Niederlage erleiden. In diese Richtung stoßen sie der Faschismus, die Schreier, die Dummköpfe, die weniger Nachdenkenden, weniger Informierten und all diejenigen, die von der Agitation des Apparats betäubt sind, schließlich Verzweiflung und Ungeduld eines Teils der Arbeiterklasse, besonders der arbeitslosen Jugend.
3. Weiter ist es möglich, daß die Führung, auf nichts verzichtend, versuchen wird, empirisch die mittlere Linie zwischen beiden Varianten zu finden; sie wird dabei eine Reihe neuer Fehler begehen und das Mißtrauen des Proletariats und der halbproletarischen Massen nur so langsam zu überwinden beginnen, daß unterdessen die objektiven Bedingungen bereits in einem der Revolution ungünstigen Sinne verändert sein werden und eine neue Stabilisierungsphase eintritt. Zu dieser eklektischen Politik, die das Hinter-den-Ereignissen-Herhinken mit einer Portion Abenteurertum kombiniert, drängt die deutsche Partei hauptsächlich die Moskauer Stalin-Führung, die eine klare Stellungnahme fürchtet und sich von vornherein ein Alibi schafft, nämlich die Möglichkeit, die Verantwortung auf die »Ausführenden« abzuwälzen, - nach rechts oder nach links, je nach den Ergebnissen. Das ist die uns wohlbekannte Politik, die die welthistorischen Interessen des Proletariats dem »Prestige« der bürokratischen Spitze opfert. Theoretische Voraussetzungen eines solchen Kurses finden sich schon in der »Prawda« vom 16. September.
4. Endlich die günstigste, oder richtiger gesagt, die einzig günstigste Möglichkeit: die deutsche Partei legt sich mit Hilfe ihrer besten, bewußtesten Elemente klar Rechenschaft ab über alle Widersprüche der gegenwärtigen Situation. Es gelingt der Partei, durch eine richtige, kühne, biegsame Politik noch im Rahmen der jetzigen Situation die Mehrheit des Proletariats zu vereinigen und eine Frontänderung der halbproletarischen und der am meisten geknechteten kleinbürgerlichen Massen zu erzwingen. Die proletarische Avantgarde, die Führerin des werktätigen und geknechteten Volkes erringt den Sieg. Der Partei zu helfen, diesen Weg einzuschlagen, ist die Aufgabe der Bolschewiki-Leninisten (Linke Opposition).
Es wäre fruchtlos, raten zu wollen, welche dieser MögIichkeiten in der nächsten Periode die meisten Chancen zur Verwirklichung besitzt. Derartige Fragen werden nicht durch Rätselraten, sondern durch Kampf gelöst.
Eines der wichtigsten Elemente dieses Kampfes ist der unversöhnliche, ideologische Kampf gegen die zentristische Führung der Komintern. Aus Moskau hat man bereits das Signal zur bürokratischen Prestigepolitik gegeben, die die Fehler von gestern deckt und durch ihr Lügengeschrei über den neuen Triumph der Parteilinie die Fehler von morgen vorbereitet. Indem die »Prawda« den Sieg der Partei ungeheuerlich übertreibt und die Schwierigkeiten ungeheuerlich verkleinert, wobei sie sogar die Erfolge der Faschisten als einen positiven Faktor der proletatischen Revolution auslegt, macht sie einen kleinen Vorbehalt: »Die Erfolge der Partei dürfen ihr nicht zu Kopf steigen.« Die falsche Politik der Stalin-Führung bleibt sich auch hier gleich. Die Analyse der Lage wird im Geist eines unkritischen Ultralinkstums gegeben. Die Partei wird dadurch bewußt auf den Weg des Abenteurertums gestoßen. Stalin schafft sich von vornherein ein Alibi mit Hilfe der rituellen Phrase vom »zu Kopf steigen«. Gerade diese kurzsichtige und unehrliche Politik kann der deutschen Revolution den Untergang bringen.
Wir haben weiter oben ohne jede Einschränkung und Schönfärberei eine - ganz auf die subjektive Sphäre der Politik bezogene - Analyse der Schwierigkeiten und Gefahren gegeben, die in erster Linie aus den Fehlern und Verbrechen der Epigonen-Führung entstanden sind und heute die revolutionäre Situation, die sich vor unseren Augen bildet, offensichtlich umzustoßen drohen. Die Funktionäre werden entweder vor unserer Analyse die Augen verschließen, oder sie werden ihren Vorrat an Beschimpfungen erneuern. Aber es geht hier nicht um die hoffnungslosen Bürokraten, sondern um das Schicksal des deutschen Proletariats. Es gibt in der Partei, einschließlich des Apparats, genügend Leute, die beobachten und denken, und die morgen durch die zugespitzte Lage gezwungen werden, mit doppeltem Eifer nachzudenken. An sie wenden wir uns, mit unserer Analyse und unseren Schlußfolgerungen.
Jede kritische Lage birgt in sich viel Unvorhersehbares. Stimmungen, Ansichten, feindselige und freundschaftliche Kräfte bilden sich erst im Verlaufe der Krise selbst heraus. Man kann sie nicht mathematisch vorausberechnen. Man muß sie im Prozeß des Kampfes, durch den Kampf bestimmen und auf Grund dieser lebendigen Erfahrung die erforderlichen Korrekturen der eigenen Politik vornehmen.
Kann man die Stärke des konservativen Widerstandes der sozialdemokratischen Arbeiter im voraus berechnen? Nein! Diese Kraft erscheint im Licht der Ereignisse der letzten Jahre als gigantisch. Doch das Wesen der Sache besteht gerade darin, daß der Zusammenhalt der Sozialdemokratie am allermeisten durch die falsche Politik der KP begünstigt wurde, die in der unsinnigen Theorie vom Sozialfaschismus ihren höchsten Ausdruck fand. Um die wirkliche Widerstandsfähigkeit der sozialdemokratischen Reihen berechnen zu können, braucht man ein anderes Meßgerät: eine richtige kommunistische Taktik. Unter dieser Bedingung - und das ist keine geringe Bedingung - kann sich in verhältnismäßig kurzer Frist herausstellen, bis zu welchem Grade die Sozialdemokratie im Innern zersetzt ist.
In anderer Form gilt das oben Gesagte auch für den Faschismus. Er ist - unter anderen Bedingungen - auf der Hefe der Sinowjew-Stalinschen Strategie aufgegangen. Wie stark ist seine Angriffskraft, seine Widerstandsfähigkeit? Hat er seinen Höhepunkt schon erreicht, wie uns das die Berufsoptimisten versichern, oder steht er erst am Anfang? Das läßt sich nicht mechanisch voraussagen. Das kann man nur praktisch ausmachen. Gerade in bezug auf den Faschismus, diese scharfe Waffe in Händen des Klassenfeindes, kann eine falsche Politik der Kommunistischen Partei in kürzester Frist zu fatalen Ergebnissen führen. Andererseits kann eine richtige Politik die Positionen des Faschismus untergraben, wenn auch freilich nicht in kurzer Frist.
Die revolutionäre Partei ist während der Krise des Regimes im außerparlamentarischen Massenkampf stärker als im Rahmen des Parlamentarismus. Aber wiederum nur unter der Bedingung, daß die Partei die Lage richtig einschätzt und es versteht, die vitalen Bedürfnisse der Massen mit der Aufgabe der Machteroberung praktisch zu verbinden. Alles hängt jetzt davon ab.
Es wäre deshalb der größte Fehler, wenn man in der gegenwärtigen Lage Deutschlands nur Schwierigkeiten und Gefahren sehen wollte. Diese Situation eröffnet auch ungeheure Möglichkeiten unter der Bedingung, daß man sie vollständig begreift und richtig ausnutzt.
Was ist dazu notwendig? 1. Die erzwungene Wendung nach »rechts« im gleichen Augenblick, wo sich die Situation nach »links« hin entwickelt, verlangt eine besonders aufmerksame, gewissenhafte und verständnisvolle Beobachtung der weiteren Veränderung aller Faktoren der Lage.
Man muß die abstrakte Gegenüberstellung der Methoden der zweiten und dritten Periode über Bord werfen. Man muß die Situation so nehmen, wie sie ist, mit all ihren Widersprüchen und der lebendigen Dynamik ihrer Entwicklung. Man muß sich aufmerksam den realen Veränderungen der Lage anpassen und in der Richtung ihrer wirklichen Entwicklung auf sie einwirken, nicht nach dem Schema von Molotow und Kuusinen.
Sich in der Situation orientieren zu können, ist der wichtigste und schwierigste Teil der Aufgabe. Mit bürokratischen Methoden ist diese Aufgabe nicht zu lösen. Die Statistik, so wichtig sie an sich ist, genügt für diesen Zweck nicht. Man muß tagtäglich mit den großen Massen des Proletariats und den Arbeitenden überhaupt Kontakt halten. Man muß nicht nur lebendige und mitreißende Losungen ausgeben, sondern auch darauf achten, welchen Widerhall sie in den Massen finden. Das kann man nur durch eine aktive Partei erreichen, die überallhin zehntausende von Fühlhörnern ausstreckt, Beobachtungen sammelt, über alle Fragen diskutiert und ihre kollektive Ansicht aktiv herausarbeitet.
2. Untrennbar damit verbunden ist die Frage des Parteiregimes. Menschen, die von Moskau ohne Rücksicht auf das Vertrauen oder Mißtrauen der Partei ernannt werden, vermögen nicht, die Massen zum Sturm auf die kapitalistische Gesellschaft zu führen. Je künstlicher das gegenwärtige Regime ist, desto tiefer wird seine Krise in den Tagen und Stunden der Entscheidung sein. Die wichtigste und unaufschiebbarste von allen »Wendungen« betrifft die Änderung des Parteiregimes. Das ist eine Frage auf Leben und Tod.
3. Die Änderung des Regimes ist Voraussetzung und Resultat des Kurswechsels. Das eine ist ohne das andere undenkbar. Die Partei muß sich von der Atmosphäre der gewohnheitsmäßigen Lügen, des Verschweigens wirklicher Übel, der Verherrlichung fiktiver Werte, mit einem Worte von der verderblichen Atmosphäre des Stalinismus befreien, die nicht durch ideologischen und politischen Einfluß, sondern durch die materielle Abhängigkeit des Apparats und die darauf basierenden Kommandomethoden zustandekommt.
Eine der wichtigsten Vorbedingungen der Befreiung der Partei aus der bürokratischen Gefangenschaft bildet die umfassende Revision der »Generallinie« der deutschen Leitung seit 1923, ja selbst seit den Märztagen von 1921. Die Linke Opposition hat in einer Reihe von Dokumenten und theoretischen Arbeiten ihre Einschätzung sämtlicher Etappen der unglückseligen Politik der Komintern veröffentlicht. Diese Kritik muß die Partei sich zu eigen machen; es wird nicht gelingen, ihr auszuweichen oder sie zu verschweigen. Die Partei wird sich niemals auf das Niveau ihrer großen Aufgaben erheben, wenn sie nicht ganz offen ihr Heute im Lichte ihrer Vergangenheit analysiert.
4. Die Kommunistische Partei hat sich trotz ausnehmend günstiger Bedingungen als zu schwach erwiesen, das Gebilde der Sozialdemokratie mit Hilfe der Formel des »Sozialfaschismus« zu erschüttern; der wirkliche Faschismus bedroht dies Gebäude jetzt nicht mit den Formeln des Wortradikalismus, sondern mit den chemischen Formeln von Sprengstoffen. Mag die Feststellung, daß die Sozialdemokratie durch ihre gesamte Politik das Aufblühen des Faschismus vorbereitet, noch so richtig sein, so ist es nicht weniger richtig, daß der Faschismus vor allem für die Sozialdemokratie selbst eine tödliche Drohung darstellt, deren ganze Herrlichkelt untrennbar mit den parlamentarisch-demokratisch-pazifistischen Regierungsformen verknüpft ist.
Zweifellos werden die Führer der Sozialdemokratie und eine dünne Schicht der Arbeiter-Aristokratie den Sieg des Proletariats vorziehen. Doch gerade das Herannahen einer solchen Entscheidung bedeutet für die sozialdemokratische Führung außerordentliche Schwierigkeiten in den eigenen Reihen. Die Politik der Einheitsfront der Arbeiter gegen den Faschismus ist ein Erfordernis der gesamten Situation; sie eröffnet der Komrnunistischen Partei ungeheure Möglichkeiten. Die Bedingung des Erfolges ist das Fallenlassen von Theorie und Praxis des »Sozialfaschismus«, deren Schädlichkeit unter den gegenwärtigen Bedingungen katastrophal wird.
Die soziale Krise muß unfehlbar tiefe Risse innerhalb der Sozialdemokratie hervorrufen. Die Radikalisierung der Massen wird auch die sozialdemokratischen Arbeiter erfassen, lange bevor sie aufhören, Sozialdemokraten zu sein. Wir werden unfehlbar gezwungen sein, mit verschiedenen sozialdemokratischen Organisationen und Fraktionen Abmachungen gegen den Faschismus zu treffen, wobei wir den Führern vor den Augen der Massen bestimmte Bedingungen stellen werden. Nur erschrockene Opportunisten, die gestrigen Bundesgenossen von Purcell und Cook, von Tschiang Kai-scheck und Wang Tsching-wei, können sich im voraus durch eine formelle Verpflichtung gegen derartige Abmachungen festlegen. Man muß von der leeren, bürokratischen Phrase der Einheitsfront zur Politik der Einheitsfront zurückkehren, wie sie von Lenin formuliert und von den Bolschewiki beständig angewandt worden ist, besonders im Jahre 1917.
5. Das Problem der Arbeitslosigkeit ist einer der wichtigsten Bestandteile der politischen Krise. Der Kampf gegen die kapitalistische Rationalisierung und für den 7-Stunden-Tag bleibt ganz und gar aktuell. Doch nur die Parole einer umfassenden und planmäßigen Zusammenarbeit mit der Sowjetunion kann diesen Kampf auf die Höhe der revolutionären Aufgaben bringen. In der Programmerklärung zu den Wahlen erklärt das ZK der deutschen Partei, daß die Kommunisten nach der Machtergreifung eine wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der UdSSR herstellen werden. Das versteht sich von selbst. Doch man kann die politischen Aufgaben des heutigen Tages nicht durch eine historische Perspektive lösen. Man muß die Arbeiter, in erster Linie die Arbeitslosen, schon heute unter der Parole einer breiten wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit der Sowjetrepublik mobilisieren. Das staatliche Plan-Komitee der UdSSR muß unter Teilnahme der deutschen Kommunisten und Gewerkschaftler einen Plan zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit ausarbeiten, der, von der jetzigen Arbeitslosigkeit ausgehend, zu einer umfassenden Kooperation aller wesentlichen Wirtschaftszweige führen muß. Die Aufgabe besteht nicht darin, daß man verspricht, nach der Machtergreifung die Wirtschaft umzubauen, sondern darin, daß man die Macht ergreift. Die Aufgabe besteht nicht darin, daß man eine Zusammenarbeit Sowjet-Deutschlands und der UdSSR verspricht, sondern darin, daß man heute die Arbeitermassen für diese Zusammenarbeit gewinnt, daß man die Idee dieser Kooperation eng mit der Krise und der Arbeitslosigkeit verknüpft und sie im weiteren Verlauf zu einem gigantischen Plan des sozialistischen Umbaues beider Länder entwickelt.
6. Die politische Krise in Deutschland stellt das Versailler Regime in Frage. Das ZK der deutschen Kommunistischen Partei erklärt, daß das deutsche Proletariat nach der Machtergreifung, den Vertrag von Versailles zerreißen wird. Ist das alles? Die Aufhebung des Versailler Vertrages als höchste Errungenschaft der proletarischen Revolution! Was aber wird man an seine Stelle setzen? Darüber wird kein Wort gesagt. Eine solche nur negative Zielsetzung gleicht die Partei dem Nationalsozialismus an. Die Vereinigten Sowjetstaaten Europas, das ist die einzig richtige Losung, die einen Ausweg aus der Zerstückelung Europas zeigt, die nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa mit völligem wirtschaftlichen und kulturellen Niedergang bedroht.
Die Losung der proletarischen Vereinigung Europas bildet gleichzeitig eine sehr wichtige Waffe im Kampf gegen den niederträchtigen faschistischen Chauvinismus, gegen die Frankreichhetze usw. Am unrichtigsten und gefährlichsten ist eine Politik, die in der passiven Anpassung an den Feind besteht. Den Losungen der nationalen Verzweiflung, der nationalen Besessenheit muß man die Parolen des internationalen Auswegs entgegenstellen. Aber dazu ist es nötig, daß man die eigene Partei vom Gift des nationalen Sozialismus reinigt, dessen wichtigstes Element die Theorie vom Sozialismus in einem Lande ist.
Um alles oben Gesagte auf eine einfache Formel zu bringen, stellen wir die Frage folgendermaßen: Soll die Taktik der Kommunistischen Partei in der nächsten Periode im Zeichen der Verteidigung oder des Angriffs geführt werden? Wir antworten: Im Zeichen der Verteidigung.
Wenn es heute infolge eines Angriffs der Kommunistischen Partei zum Zusammenstoß käme, so würde die proletarische Avantgarde - unter den Bedingungen der furchtsamen Neutralität der Mehrheit der Arbeiterklasse und der direkten Unterstützung des Faschismus seitens der Mehrheit des Kleinbürgertums - sich an dem Block von Staat und Faschismus den Kopf einrennen. Die Position der Verteidigung einnehmen heißt: sich der Mehrheit der deutschen Arbeiterklasse zu nähern und mit den sozialdemokratischen und parteilosen Arbeitern eine Einheitsfront gegen die faschistische Gefahr zu bilden.
Diese Gefahr zu leugnen, zu verkleinern oder leichtsinnig zu behandeln, wäre das größte Verbrechen, das man jetzt an der proletarischen Revolution in Deutschland begehen könnte.
Was wird die Kommunistische Partei »verteidigen«? Die Weimarer Verfassung? Nein, diese Aufgabe überlassen wir Brandler. Die Kommunistische Partei muß zur Verteidigung jener materiellen und geistigen Positionen aufrufen, die das Proletariat in Deutschland bereits errungen hat. Es geht unmittelbar um das Schicksal seiner politischen Organisationen, seiner Gewerkschaften, seiner Zeitungen und Druckereien, seiner Heime, Bibliotheken usw. Der kommunistische Arbeiter muß zum sozialdemokratischen Arbeiter sagen: »Die Politik unserer Parteien ist unversöhnlich; aber wenn die Faschisten heute nacht kommen, um die Räume Deiner Organisation zu zerstören, so werde ich Dir mit der Waffe in der Hand zu Hilfe kommen. Versprichst Du, ebenfalls zu helfen, wenn die Gefahr meine Organisation bedroht?« Das ist die Quintessenz der Politik der jetzigen Periode. Die gesamte Agitation muß in diesem Stil geführt werden.
Je entschlossener, ernsthafter und überlegter wir diese Agitation führen werden - ohne Geschrei und Prahlerei, wovon die Arbeiter so rasch genug haben -, je sachlicher die organisatorischen Verteidigungsmaßnahmen sein werden, die wir in jedem Betriebe, in jedem Arbeiterviertel und Bezirk vorschlagen, um so geringer ist die Gefahr, daß der Angriff der Faschisten uns überraschen wird, umso größer ist die Gewißheit, daß dieser Angriff die Arbeiterreihen zusammenschweißen und nicht spalten wird.
Gerade die Faschisten werden aufgrund ihres schwindelnden Erfolges und der kleinbürgerlichen, undisziplinierten Masse ihrer Armee in nächster Zeit dazu tendieren, sich in die Offensive zu stürzen. Hier mit ihnen jetzt zu konkurrieren, wäre nicht nur hoffnungslos, sondern würde eine tödliche Gefahr bedeuten. Im Gegenteil, je mehr die Faschisten den sozialdemokratischen Arbeitern und den werktätigen Massen überhaupt als Angreifer erscheinen und wir als Verteidiger, um so größer werden unsere Chancen sein, nicht nur den Angriff der Faschisten niederzuschlagen, sondern auch unsererseits zu einem erfolgreichen Angriff überzugehen. Die Abwehr muß wachsam, aktiv und kühn sein. Der Stab muß das gesamte Schlachtfeld übersehen und alle Veränderungen im Auge behalten, um nicht den Augenblick zu verpassen, in dem man das Signal zum Gegenangriff geben muß.
Es gibt Strategen, die stets und unter allen Umständen für die Verteidigung sind. Zu ihnen gehören z.B. die Brandlerianer. Doch es wäre die reinste Kinderei, sich dadurch in Verlegenheit bringen zu lassen, daß die Brandlerianer auch heute von Verteidigung reden; sie tun das immer. Die Brandlerianer sind eins der Sprachrohre der Sozialdemokratie. Unsere Aufgabe besteht darin, die sozialdemokratischen Arbeiter, nachdem wir uns ihnen auf der Grundlage der Verteidigung genähert haben, zum entscheidenden Angriff zu führen. Die Brandlerianer sind dazu absolut unfähig. In dem Augenblick, wo die Kräfteverhältnisse sich radikal zugunsten der proletarischen Revolution ändern, werden die Brandlerianer abermals Ballast und Bremse der Revolution sein. Die Politik der Verteidigung, die auf eine Annäherung an die sozialdemokratischen Massen abgestellt ist, bedeutet darum auf keinen Fall eine Milderung unserer Differenz zum Stab der Brandlerianer, hinter dem keine Massen stehen und auch niemals stehen werden.
Im Zusammenhang mit der oben gegebenen Einschätzung der Kräftegruppierungen und der Aufgaben der proletarischen Avantgarde erhalten die Methoden des physischen Kampfes, wie sie die stalinistische Bürokratie in Deutschland und anderen Ländern gegen die Bolschewiki-Leninisten anwendet, eine ganz besondere Bedeutung. Das ist ein direkter Hilfsdienst für die sozialdemokratische Polizei und für die Sturmabteilungen des Faschismus. Diese Methoden, die von Grund auf den Traditionen der proletarischen Bewegung widersprechen, entsprechen umso mehr dem Geist der kleinbürgerlichen Funktionäre, die von oben sichere Gehälter bekommen und Furcht haben, sie bei Herstellung von innerparteilicher Demokratie zu verlieren. Gegen dies schamlose Verhalten der Stalinisten ist eine breite Aufklärungsarbeit erforderlich, die möglichst konkret die Rolle der unfähigen Beamten des Parteiapparats entlarvt. Die Erfahrungen in der UdSSR und in anderen Ländern zeigen, daß gerade jene Herrschaften, die vor ihren Vorgesetzten eigene Fehler und Verbrechen wie die Veruntreuung öffentlicher Gelder, Mißbrauch der Amtsgewalt oder einfach völlige Unfähigkeit zu verbergen haben, mit größter Heftigkeit gegen die Linke Opposition kämpfen. Es ist ganz klar, daß die Entlarvung der Gewalttätigkeiten des Stalinschen Apparates gegen die Bolschewiki-Leninisten um so erfolgreicher sein wird, je breiter wir unsere allgemeine Agitation auf der Grundlage der oben geschilderten Aufgaben entfalten.
Wir haben die Frage der taktischen Wendung der Komintern ganz ausschließlich im Licht der deutschen Situation betrachtet, denn einmal rückt die deutsche Krise jetzt die deutsche Kommunistische Parrei wiederum ins Zentrum der Aufmerksamkeit der internationalen proletarischen Avantgarde, und zum andern treten im Licht dieser Krise alle Probleme mit besonderer Schärfe hervor. Es wäre nicht schwer, zu zeigen, daß das hier Gesagte mehr oder weniger auch auf andere Länder zutrifft.
In Frankreich trugen nach dem Kriege alle Formen des Klassenkampfes einen ungleich weniger scharfen und entscheidenden Charakter als in Deutschland. Im allgemeinen ist aber die Entwicklungstendenz dieselbe, ganz abgesehen von der unmittelbaren Abhängigkeit des Schicksals Frankreichs vom Schicksal Deutschlands. Die politischen Wendungen der Komintern haben jedenfalls universellen Charakter. Die französische KP, die Molotow bereits 1928 zur ersten Kandidatin der Machtergreifung ernannte, führte in den letzten beiden Jahren eine vollkommen selbstmörderische Politik. Sie hat insbesondere den wirtschaftlichen Aufschwung verpaßt. Die taktische Wendung wurde in Frankreich gerade in jenem Augenblick verkündet, als die wirtschaftliche Belebung offensichtlich von einer Krise abgelöst wurde. Somit stehen die gleichen Widersprüche, Schwierigkeiten und Aufgaben, von denen wir im Hinblick auf Deutschland gesprochen haben, auch in Frankreich auf der Tagesordnung.
Die Wendung der Komintern, die mit einer Veränderung der objektiven Lage zusammenfällt, stellt der linken kommunistischen Opposition neue, äußerst wichtige Aufgaben. Ihre Kräfte sind nicht groß. Doch jede Bewegung wächst mit ihren Aufgaben. Werden diese klar erkannt, ist eine der entscheidendsten Vorbedingungen des Sieges erfüllt.
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