Josef W. Stalin
19. Oktober 1928
Rede auf dem Plenum des Moskauer Komitees und der Moskauer Kontrollkommission
Ich glaube, Genossen, daß man vor allem vom Kleinkram, von persönlichen Momenten usw. absehen muß, will man die uns interessierende Frage der rechten Abweichung lösen. Gibt es bei uns in der Partei eine rechte, opportunistische Gefahr, existieren objektive Bedingungen, die eine solche Gefahr begünstigen, wie ist diese Gefahr zu bekämpfen - das sind die Fragen, vor denen wir jetzt stehen. Wir werden aber diese Frage nicht lösen, wenn wir sie nicht von all dem Kleinkram und den Nebensächlichkeiten säubern, die sie überlagern und uns daran hindern, das Wesen der Frage zu begreifen.
Im Unrecht ist Sapolski, wenn er glaubt, daß die Frage der rechten Abweichung eine zufällige Frage sei. Er behauptet, daß es sich hier nicht um eine rechte Abweichung, sondern um Zänkereien, um persönliche Intrigen usw. handele. Nehmen wir für einen Moment an, daß Zänkereien und persönliche Intrigen hier eine gewisse Rolle spielen, wie es bei jedem Kampf der Fall ist. Aber alles mit Zänkereien zu erklären und hinter den Zänkereien das Wesen der Frage nicht zu sehen, das bedeutet, vom richtigen, vom marxistischen Wege abzugehen. Es kann nicht sein, daß eine so große, alte, geschlossene Organisation, wie es die Moskauer Organisation zweifellos ist, durch die Bemühungen einiger Stänkerer oder Intriganten in Bewegung, von unten bis oben in Wallung gebracht werden könnte. Nein, Genossen, solche Wunder gibt es nicht auf der Welt. Ich spreche schon gar nicht davon, daß man die Kraft und Stärke der Moskauer Organisation nicht so gering einschätzen darf. Es ist offenkundig, daß hier tiefere Gründe wirksam waren, die weder mit Zänkereien noch mit Intrigen etwas gemein haben.
Im Unrecht ist auch Fruntow, der zwar das Vorhandensein einer rechten Gefahr zugibt, sie jedoch nicht für wert hält, daß ernste, sachliche Leute sich ernsthaft mit ihr beschäftigen. Seiner Meinung nach ist die Frage der rechten Abweichung ein Gegenstand der Beschäftigung von Schreihälsen, nicht aber von sachlichen Leuten. Ich verstehe sehr gut Fruntow, der so tief in der praktischen Tagesarbeit steckt, daß er keine Zeit hat, über die Perspektiven unserer Entwicklung nachzudenken. Das aber bedeutet noch nicht, daß wir den engen und "sachlichen" Praktizismus mancher Parteiarbeiter in ein Dogma unseres Aufbaus verwandeln sollen. Ein gesunder Praktizismus ist eine gute Sache, wenn er aber die Perspektive in der Arbeit verliert und seine Arbeit nicht der Generallinie der Partei unterordnet, so verwandelt er sich in einen Nachteil. Es ist indes nicht schwer zu begreifen, daß die Frage der rechten Abweichung die Frage der Grundlinie unserer Partei ist, die Frage danach, ob die Perspektive der Entwicklung, die unsere Partei auf dem XV. Parteitag gegeben hat, richtig oder falsch ist.
Im Unrecht sind auch jene Genossen, die bei der Erörterung des Problems der rechten Abweichung die Frage auf die Personen zuspitzen, die die rechte Abweichung vertreten. Zeigt uns die Rechten oder die Versöhnler, sagen diese Genossen, nennt die Personen, damit wir mit ihnen abrechnen können. Das ist eine falsche Fragestellung. Personen spielen natürlich eine gewisse Rolle. Doch handelt es sich hier nicht um Personen, sondern um die Umstände, um die Verhältnisse, die die rechte Gefahr in der Partei erzeugen. Man kann die Personen entfernen, aber das bedeutet noch nicht, daß wir damit die rechte Gefahr in unserer Partei mit der Wurzel ausgerottet haben. Die Personenfrage entscheidet daher die Sache nicht, wenn sie auch zweifellos von Interesse ist. Im Zusammenhang damit muß man sich einer Episode in Odessa erinnern, die sich Ende 1919 und Anfang 1920 zugetragen hat, als unsere Truppen, die die Denikinleute aus der Ukraine vertrieben hatten, mit den letzten Resten der Denikintruppen in der Umgebung von Odessa aufräumten. Ein Teil der Rotarmisten suchte damals in Odessa wie wütend die Entente, überzeugt, daß der Krieg ein Ende nehmen würde, wenn sie die Entente erwischten. Man kann sich vorstellen, daß die Rotarmisten irgendeinen von den Vertretern der Entente in Odessa erwischen konnten. Damit wäre aber die Frage der Entente natürlich nicht erledigt gewesen, da die Entente, obwohl Odessa damals das letzte Territorium der Denikinleute war, ihre Wurzeln nicht in Odessa hat, sondern im Weltkapitalismus. Das gleiche kann man von manchen unserer Genossen sagen, die in der Frage der rechten Abweichung die Sache auf die Personen zuspitzen, die die rechte Abweichung vertreten, und die Verhältnisse vergessen, die diese Abweichungen erzeugen.
Deshalb müssen wir hier vor allem die Frage klären, unter welchen Bedingungen die rechte und auch die "linke" (trotzkistische) Abweichung von der Leninschen Lehre entstanden sind.
Die rechte Abweichung im Kommunismus bedeutet UNTER DEN BEDINGUNGEN DES KAPITALISMUS die Tendenz, die Neigung, die, wenn auch nicht herausgebildete und wohl auch noch nicht zum Bewußtsein gelangte, immerhin aber vorhandene Neigung eines Teils der Kommunisten, von der vorhandenen Linie des Marxismus zur Sozialdemokratie hin abzuschwenken. Wenn gewisse Kreise von Kommunisten die Zweckmäßigkeit der Losung "Klasse gegen Klasse" im Wahlkampf leugnen (Frankreich), oder gegen selbständige Kandidaturen der Kommunistischen Partei auftreten (England), oder die Frage des Kampfes gegen die "linke" Sozialdemokratie nicht zuspitzen wollen (Deutschland) usw. usf., so bedeutet dies, daß es innerhalb der kommunistischen Parteien Leute gibt, die bestrebt sind, den Kommunismus dem Sozialdemokratismus anzupassen. Der Sieg der rechten Abweichung in den kommunistischen Parteien der kapitalistischen Länder würde den ideologischen Zusammenbruch der kommunistischen Parteien und eine gewaltige Stärkung des Sozialdemokratismus bedeuten. Was heißt aber eine gewaltige Stärkung des Sozialdemokratismus? Es ist dies eine Stärkung und Festigung des Kapitalismus, denn die Sozialdemokratie ist die Hauptstütze des Kapitalismus in der Arbeiterklasse. Folglich würde ein Sieg der rechten Abweichung in den kommunistischen Parteien der kapitalistischen Länder zur Förderung der Vorbedingungen führen, die zur ERHALTUNG des Kapitalismus notwendig sind.
Die rechte Abweichung im Kommunismus bedeutet unter den SOWJETISCHEN ENTWICKLUNGSBEDINGUNGEN, wo der Kapitalismus bereits gestürzt, aber noch nicht mit der Wurzel ausgerottet ist, die Tendenz, die Neigung, die, wenn auch nicht herausgebildete und wohl auch noch nicht zum Bewußtsein gelangte, immerhin aber vorhandene Neigung eines Teils der Kommunisten, von der Generallinie unserer Partei zur bürgerlichen Ideologie hin abzuschwenken. Wenn gewisse Kreise unserer Kommunisten die Partei von den Beschlüssen des XV. Parteitages zurückzuzerren suchen und die Notwendigkeit der Offensive gegen die kapitalistischen Elemente des Dorfes leugnen, oder wenn sie die Einschränkung unserer Industrie fordern, da sie ihr gegenwärtiges Entwicklungstempo als für das Land verderblich betrachten, oder wenn sie die Zweckmäßigkeit der staatlichen Zuwendungen für die Kollektiv- und Sowjetwirtschaften leugnen und sie (die Zuwendungen) als hinausgeworfenes Geld betrachten, oder wenn sie die Zweckmäßigkeit des Kampfes gegen den Bürokratismus auf der Grundlage der Selbstkritik leugnen, indem sie annehmen, daß die Selbstkritik unseren Apparat zerrütte, oder wenn sie die Lockerung des Außenhandelsmonopols verlangen usw. usf. - so bedeutet dies, daß es in den Reihen unserer Partei Leute gibt, die, vielleicht ohne es selber zu bemerken, bemüht sind, die Sache unseres sozialistischen Aufbaus dem Geschmack und den Bedürfnissen der "Sowjet"-Bourgeoisie anzupassen. Der Sieg der rechten Abweichung in unserer Partei würde eine ungeheure Stärkung der kapitalistischen Elemente in unserem Lande bedeuten. Was bedeutet aber die Stärkung der kapitalistischen Elemente in unserem Lande? Sie bedeutet die Schwächung der proletarischen Diktatur und die Erhöhung der Chancen für die Wiederherstellung des Kapitalismus. Folglich würde ein Sieg der rechten Abweichung in unserer Partei bedeuten, daß die Vorbedingungen gefördert werden, die FÜR DIE WIEDERHERSTELLUNG des Kapitalismus in unserem Lande nötig sind.
Gibt es bei uns, in unserem Sowjetlande, Vorbedingungen, die eine Wiederherstellung (Restauration) des Kapitalismus MÖGLICH machen? Jawohl, es gibt solche Vorbedingungen. Das mag sonderbar erscheinen, ist aber Tatsache, Genossen. Wir haben den Kapitalismus gestürzt, haben die Diktatur des Proletariats errichtet und entwickeln in gesteigertem Tempo unsere sozialistische Industrie, indem wir die bäuerliche Wirtschaft mit ihr eng verbinden. Aber wir haben den Kapitalismus noch nicht mit der Wurzel ausgetrocknet. Wo stecken diese Wurzeln des Kapitalismus? Sie stecken in der Warenproduktion, in der Kleinproduktion der Stadt und insbesondere des Dorfes. Die Kraft des Kapitalismus besteht, wie Lenin sagt, "in der Stärke der KLEINPRODUKTION. Denn Kleinproduktion gibt es auf der Welt leider noch sehr, sehr viel, die Kleinproduktion aber ERZEUGT Kapitalismus und Bourgeoisie unausgesetzt, täglich, stündlich, elementar und im Massenumfange." (Lenin, Ausgew. Werke, Bd. 10, Seite 57) Es ist klar, daß bei uns - da die Kleinproduktion Massencharakter trägt und sogar vorherrscht und da sie, besonders unter den Verhältnissen der NÖP, unausgesetzt und im Massenumfang Kapitalismus und Bourgeoisie ERZEUGT - die Vorbedingungen bestehen, die eine Wiederherstellung des Kapitalismus MÖGLICH machen.
Gibt es bei uns, in unserem Sowjetlande, die Mittel und Kräfte, die notwendig sind, um die MÖGLICHKEIT der Wiederherstellung des Kapitalismus zunichte zu machen, zu beseitigen? Jawohl, die gibt es. Gerade darauf beruht die Richtigkeit der These Lenins von der MÖGLICHKEIT der Errichtung der vollendeten sozialistischen Gesellschaft in der Sowjetunion. Notwendig dazu ist die Festigung der proletarischen Diktatur, die Stärkung des Bündnisses zwischen Arbeiterklasse und Bauernschaft, die Entwicklung unserer Kommandohöhen unter dem Gesichtswinkel der Industrialisierung des Landes, ein rasches Entwicklungstempo der Industrie, die Elektrifizierung des Landes, die Umstellung der gesamten Volkswirtschaft auf eine neue technische Basis, die genossenschaftliche Organisierung der Bauernschaft im Massenmaßstab und die Hebung der Ernteerträge ihrer Wirtschaft, die allmähliche Vereinigung der individuellen Bauernwirtschaften zu gesellschaftlichen Wirtschaften, die Entwicklung der Sowjetwirtschaften, die Einschränkung und Überwindung der kapitalistischen Elemente in Stadt und Land usw. usf.
Lenin sagt darüber folgendes:
"Solange wir in einem kleinbäuerlichen Lande leben, besteht für den Kapitalismus in Rußland eine festere ökonomische Basis als für den Kommunismus. Das darf man nicht vergessen. Jeder, der aufmerksam das Leben auf dem Lande beobachtet und es mit dem Leben in der Stadt verglichen hat, weiß, daß wir die Wurzeln des Kapitalismus nicht ausgerissen und dem inneren Feind das Fundament, den Boden nicht entzogen haben. Dieser Feind behauptet sich dank dem Kleinbetrieb, und um ihm den Boden zu entziehen, gibt es nur ein Mittel: die Wirtschaft des Landes, auch die Landwirtschaft, auf eine neue technische Grundlage, auf die technische Grundlage der modernen Großproduktion zu stellen. Eine solche Grundlage bildet nur die Elektrizität. Kommunismus - das ist Sowjetmacht plus Elektrifizierung des ganzen Landes. Sonst wird das Land ein kleinbäuerliches Land bleiben, und das müssen wir klar erkennen. Wir sind schwächer als der Kapitalismus, nicht nur im Weltmaßstab, sondern auch im Inneren unseres Landes. Das ist allbekannt. Wir haben das erkannt, und wir werden es dahin bringen, daß die wirtschaftliche Grundlage aus einer kleinbäuerlichen zu einer großindustriellen wird. Erst dann, wenn das Land elektrifiziert ist, wenn die Industrie, die Landwirtschaft und das Verkehrswesen eine moderne großindustrielle technische Grundlage erhalten, erst dann werden wir endgültig gesiegt haben." (Lenin, Sämtl. Werke, Band XXVI, Seite 58)
Daraus folgt erstens, daß, solange wir in einem kleinbäuerlichen Lande leben, solange wir die Wurzeln des Kapitalismus noch nicht ausgerissen haben, für den Kapitalismus eine festere ökonomische Basis besteht als für den Kommunismus. Es kommt vor, daß man einen Baum gefällt, die Wurzeln aber nicht ausgerissen hat, weil die Kräfte nicht ausreichten. Daraus eben ergibt sich die MÖGLICHKEIT der Wiederherstellung des Kapitalismus in unserem Lande.
Daraus folgt zweitens, daß bei uns außer der Möglichkeit der Wiederherstellung des Kapitalismus auch die MÖGLICHKEIT DES SIEGES DES SOZIALISMUS besteht, denn wir KÖNNEN die MÖGLICHKEIT der Wiederherstellung des Kapitalismus beseitigen, können die Wurzeln des Kapitalismus ausreißen und den endgültigen Sieg über den Kapitalismus erlangen, WENN wir angestrengt an der Elektrifizierung des Landes arbeiten, WENN wir für die Industrie, die Landwirtschaft und das Verkehrswesen als technische Basis eine moderne Großindustrie schaffen. Daraus eben ergibt sich die MÖGLICHKEIT des Sieges des Sozialismus in unserem Lande.
Daraus folgt schließlich, daß es unmöglich ist, den Sozialismus nur in der Industrie aufzubauen und die Landwirtschaft der Willkür einer spontanen Entwicklung zu überlassen, in der Voraussetzung, daß das Dorf der Stadt "von selbst folgen" werde. Das Bestehen einer sozialistischen Industrie in der Stadt ist der grundlegende Faktor der sozialistischen Umgestaltung des Dorfes. Das bedeutet aber noch nicht, daß dieser Faktor vollauf genügt. Damit die sozialistische Stadt das bäuerliche Dorf uneingeschränkt führen könne, ist es notwendig, wie Lenin sagt, "die Wirtschaft des Landes, AUCH DIE LANDWIRTSCHAFT, auf eine neue technische Grundlage, auf die technische Grundlage der modernen Großproduktion überzuleiten".
Steht dieses Lenin-Zitat nicht in Widerspruch mit einem anderen Lenin-Zitat, wonach "die NÖP uns vollauf die MÖGLICHKEIT sichert, das Fundament der sozialistischen Ökonomik zu errichten"? Nein, es steht nicht im Widerspruch. Im Gegenteil, die beiden Zitate stimmen völlig miteinander überein. Lenin sagt durchaus nicht, daß uns die NÖP den fertigen Sozialismus gibt. Lenin sagt nur, daß die NÖP uns die MÖGLICHKEIT sichert, das Fundament der sozialistischen Ökonomik zu errichten. Zwischen der MÖGLICHKEIT der Errichtung des Sozialismus und SEINER WIRKLICHEN ERRICHTUNG besteht ein großer Unterschied. Man darf die Möglichkeit nicht mit der Wirklichkeit verwechseln. Gerade um diese Möglichkeit in Wirklichkeit zu verwandeln, gerade darum schlägt Lenin die Elektrifizierung des Landes und die Schaffung der technischen Basis der modernen Großindustrie für Industrie, Landwirtschaft und Verkehrswesen vor, als Bedingung für den endgültigen Sieg des Sozialismus.
Doch kann diese Bedingung für die Errichtung des Sozialismus nicht in ein, zwei Jahren geschaffen werden. Man kann nicht in ein, zwei Jahren das Land industrialisieren, eine mächtige Industrie erbauen, die Millionenmassen der Bauernschaft genossenschaftlich organisieren, der Landwirtschaft eine neue technische Basis geben, die individuellen Bauernwirtschaften zu großen Kollektivwirtschaften vereinigen, die Sowjetwirtschaften entwickeln, die kapitalistischen Elemente in Stadt und Land einschränken und überwinden. Dazu sind Jahre und Jahre angestrengter Aufbauarbeit der proletarischen Diktatur nötig. Solange das nicht getan ist - und es kann nicht auf einmal getan werden -, bleiben wir immer noch ein kleinbäuerliches Land, wo die Kleinproduktion unausgesetzt und im Massenumfang Kapitalismus und Bourgeoisie erzeugt und wo die Gefahr einer Wiederherstellung des Kapitalismus bestehen bleibt. Und da das Proletariat nicht im luftleeren Raum lebt, sondern im wirklichsten, realsten Leben mit all seiner Mannigfaltigkeit, umgeben die auf der Basis der Kleinproduktion entstehenden bürgerlichen Elemente "das Proletariat von allen Seiten mit einer kleinbürgerlichen Atmosphäre, durchtränken, demoralisieren es mit ihr, rufen beständig innerhalb des Proletariats Rückfälle in kleinbürgerliche Charakterlosigkeit, Zersplitterung, Individualismus, wechselnde Begeisterung und Mutlosigkeit hervor" (Lenin, Ausgew. Werke, Band 10, Seite 78) und tragen auf diese Weise in das Proletariat und seine Partei gewisse Schwankungen, eine gewissen Wankelmut hinein.
Hier sind die Wurzeln und die Grundlage für allerlei Schwankungen und Abweichungen von der Leninschen Linie in den Reihen unserer Partei.
Deshalb darf man die Frage der rechten oder "linken" Abweichung in unserer Partei nicht als belanglose Frage betrachten.
Worin besteht die Gefahr der RECHTEN, offen opportunistischen Abweichung in unserer Partei? Darin, daß sie die Kraft unserer Feinde, die Kraft des Kapitalismus UNTERSCHÄTZT, die Gefahr der Wiederherstellung des Kapitalismus nicht sieht, die Mechanik des Klassenkampfes unter den Bedingungen der Diktatur des Proletariats nicht versteht und daher so leicht auf Zugeständnisse an den Kapitalismus eingeht, indem sie fordert, das Entwicklungstempo unserer Industrie zu verlangsamen, den kapitalistischen Elementen in Stadt und Land Erleichterungen zu gewähren, die Frage der Kollektiv- und Sowjetwirtschaften in den Hintergrund zu stellen, das Außenhandelsmonopol zu lockern usw. usf. Es steht außer Zweifel, daß ein Sieg der rechten Abweichung in unserer Partei die Kräfte des Kapitalismus entfesseln, die revolutionären Positionen des Proletariats untergraben und die Chancen für die Wiederherstellung des Kapitalismus in unserem Land erhöhen würde.
Worin besteht die Gefahr der "LINKEN" (trotzkistischen) Abweichung in unserer Partei? Darin, daß sie die Kraft unserer Feinde, die Kraft des Kapitalismus ÜBERSCHÄTZT, nur die Möglichkeit der Wiederherstellung des Kapitalismus sieht, aber die Möglichkeit der Errichtung des Sozialismus mit den Kräften unseres Landes nicht sieht, der Verzweiflung verfällt und gezwungen ist, sich mit dem Geschwätz von Thermidortendenzen in unserer Partei zu trösten. Aus den Worten Lenins, "solange wir in einem kleinbäuerlichen Lande leben, besteht für den Kapitalismus in Rußland eine festere ökonomische Basis als für den Kommunismus", aus diesen Worten Lenins ziehen die Vertreter der "linken" Abweichung den unrichtigen Schluß, daß es in der Sowjetunion überhaupt unmöglich sei, den Sozialismus zu errichten, daß mit der Bauernschaft nichts zu machen sei, daß die Idee des Bündnisses der Arbeiterklasse und der Bauernschaft eine überholte Idee sei, daß, wenn uns von der siegreichen Revolution im Westen keine Hilfe zuteil wird, die Diktatur des Proletariats in der Sowjetunion zu Fall kommen oder entarten müsse und daß, wenn der phantastische Plan der Überindustrialisierung, der selbst um den Preis des Bruches mit der Bauernschaft durchgeführt werden soll, nicht angenommen wird, die Sache des Sozialismus in der Sowjetunion als verloren zu betrachten sei. Daher das Abenteurertum in der Politk der "linken" Abweichung. Daher die "übermenschlichen" Sprünge in der Politik. Es steht außer Zweifel, daß ein Sieg der "linken" Abweichung in unserer Partei zur Loslösung der Arbeiterklasse von ihrer bäuerlichen Basis, zur Loslösung der Avantgarde der Arbeiterklasse von den übrigen Arbeitermassen und folglich zu einer Niederlage des Proletariats sowie zur Förderung der Vorbedingungen für eine Wiederherstellung des Kapitalismus führen würde.
Wie ihr seht, führen beide Gefahren, die "linke" wie die rechte, beide Abweichungen von der Leninschen Lehre, die rechte wie die "linke", zu ein und demselben Ergebnis, wenn auch von verschiedenen Seiten her.
Welche von diesen Gefahren ist schlimmer? Ich glaube, beide sind "schlimmer". Der Unterschied zwischen diesen Abweichungen, vom Standpunkte ihrer erfolgreichen Bekämpfung, besteht darin, daß die "linke" Abweichung gegenwärtig für die Partei klarer ist als die rechte Abweichung. Der Umstand, daß wir schon einige Jahre lang einen verstärkten Kampf gegen die "linke" Abweichung führen, konnte natürlich für die Partei nicht ergebnislos bleiben. Es ist klar, daß die Partei in den Jahren des Kampfes gegen die "linke", die trotzkistische Abweichung viel gelernt hat, und es ist nicht mehr leicht, sie mit "linken" Phrasen zu täuschen. Was die rechte Gefahr betrifft, die auch früher schon bestand und die jetzt, infolge der Verstärkung der kleinbürgerlichen Elementargewalt, im Zusammenhang mit der Getreidebeschaffungskrise im vergangenen Jahre krasser in Erscheinung tritt, so ist sie, wie ich glaube, gewissen Schichten unserer Partei nicht so klar. Deshalb ist es unsere Aufgabe, ohne den Kampf gegen die "linke", die trotzkistische Gefahr auch nur ein Jota abzuschwächen, das Schwergewicht auf den Kampf gegen die rechte Abweichung zu verlegen und alle Maßnahmen zu treffen, damit die Gefahr dieser Abweichung der Partei ebenso klar wird, wie ihr die trotzkistische Gefahr klar ist.
Die Frage der rechten Abweichung bestünde bei uns vielleicht nicht in dieser Schärfe, wie das jetzt der Fall ist, wenn sie nicht mit der Frage der SCHWIERIGKEITEN unserer Entwicklung zusammenhinge. Aber das ist es ja gerade, daß das Bestehen der rechten Abweichung die Schwierigkeiten unserer Entwicklung vergrößert und die Überwindung dieser Schwierigkeiten hemmt. Und gerade weil die rechte Gefahr den Kampf für die Überwindung der Schwierigkeiten erschwert, gerade darum gewinnt die Frage der Überwindung der rechten Gefahr für uns besonders große Bedeutung.
Ein paar Worte über den Charakter unserer Schwierigkeiten. Man muß im Auge behalten, daß unsere Schwierigkeiten nicht Schwierigkeiten des Stillstands oder des Verfalls sind. Es gibt Schwierigkeiten, die beim Verfall der Wirtschaft oder bei ihrem Stillstand eintreten; in diesem Falle bemüht man sich, den Stillstand weniger schmerzhaft zu machen oder dem Verfall der Wirtschaft Einhalt zu gebieten. Unsere Schwierigkeiten haben mit solchen Schwierigkeiten nichts gemein. Das Charakteristische an unseren Schwierigkeiten ist, daß sie Schwierigkeiten des AUFSTIEGS, Schwierigkeiten des Wachstums sind. Wenn man bei uns von Schwierigkeiten spricht, so handelt es sich gewöhnlich darum, um wieviel Prozent die Industrieproduktion ERHÖHT, um wieviel Prozent die Anbaufläche VERGRÖSSERT, um wieviel Pud die Ertragsfähigkeit GESTEIGERT werden soll usw. usw. Und gerade weil unsere Schwierigkeiten Schwierigkeiten des Aufstiegs und nicht des Verfalls oder Stillstands sind, gerade deshalb brauchen sie für die Partei nicht etwas besonders Gefährliches darzustellen. Aber Schwierigkeiten sind immerhin Schwierigkeiten. Und da zur Überwindung von Schwierigkeiten die Anspannung aller Kräfte erforderlich ist, da Festigkeit und Ausdauer erforderlich sind, Festigkeit und Ausdauer aber nicht bei jedem ausreichen - vielleicht als Folge der Ermüdung und Abspannung oder weil man es vorzieht, möglichst ruhig, ohne Kampf und Aufregungen zu leben -, setzen gerade hier allerlei Schwankungen ein, Abschwenkungen in der Richtung des geringsten Widerstands, Gerede von der Verlangsamung des Entwicklungstempos der Industrie, von Erleichterungen für die kapitalistischen Elemente, von Ablehnung der Kollektiv- und Sowjetwirtschaften und überhaupt alles dessen, was über den Rahmen der gewohnten und ruhigen Verhältnisse der Tagesarbeit hinausgeht. Wir können uns jedoch nicht vorwärtsbewegen, ohne die Schwierigkeiten zu überwinden, vor denen wir stehen. Um aber der Schwierigkeiten Herr zu werden, muß man vor allem die rechte Gefahr niederkämpfen, muß man vor allem die rechte Abweichung überwinden, die den Kampf gegen die Schwierigkeiten hemmt und den Willen unserer Partei, für die Überwindung der Schwierigkeiten zu kämpfen, zu untergraben versucht. Gemeint ist natürlich ein wirklicher Kampf, kein Scheinkampf, kein auf dem Papier geführter Kampf gegen die rechte Abweichung. Es gibt in unserer Partei Leute, die nicht abgeneigt sind, zur Erleichterung ihres Gewissens den Kampf gegen die rechte Gefahr zu verkünden, in der Art, wie Pfaffen manchmal "Halleluja, Halleluja" rufen, die aber keinerlei, auch nicht die geringsten praktischen Maßnahmen ergreifen, um den Kampf gegen die rechte Abweichung in der nötigen Weise in Gang zu bringen und diese Abweichung in der Tat zu überwinden. Diese Strömung wird bei uns eine gegenüber der rechten, der offen opportunistischen Abweichung VERSÖHNLERISCHE Strömung genannt. Es ist nicht schwer zu begreifen, daß der Kampf gegen ein solches Versöhnlertum ein Bestandteil des allgemeinen Kampfes gegen die rechte Abweichung, gegen die rechte Gefahr ist. Denn es ist unmöglich, die rechte, die opportunistische Abweichung zu überwinden, wenn man nicht einen systematischen Kampf gegen das Versöhnlertum führt, das die Opportunisten unter seine Fittiche nimmt.
Die Frage nach den Trägern der rechten Abweichung ist zweifellos von Interesse, wenn auch nicht entscheidend. Wir sind auf Träger der rechten Gefahr in den unteren Organisationen unserer Partei während der Getreidebeschaffungskrise im vergangenen Jahre gestoßen, als eine ganze Reihe von Kommunisten in den Landbezirken und Dörfern gegen die Politik der Partei auftrat und auf den Zusammenschluß mit den Kulakenelementen hinarbeitete. Ihr wißt, daß Elemente dieser Art im Frühjahr dieses Jahres aus unserer Partei hinausgesäubert wurden, was in dem bekannten Dokument des Zentralkomitees unserer Partei vom Februar dieses Jahres ausdrücklich erwähnt wird. Es wäre jedoch falsch zu behaupten, daß solche Elemente nicht in unserer Partei geblieben seien. Geht man höher hinauf, in die Kreis- und Gouvernementsorganisationen der Partei, forscht man im Sowjet- und Genossenschaftsapparat gründlich nach, so wird man dort ohne Mühe Träger der rechten Gefahr und des Versöhnlertums gegenüber dieser Gefahr finden können. Bekannt sind die "Briefe", "Erklärungen" und sonstigen Dokumente einer Reihe von Funktionären unseres Partei- und Sowjetapparates, in denen sich die Neigung zur rechten Abweichung mit aller Bestimmtheit gezeigt hat. Ihr wißt, daß diese Briefe und Dokumente im Stenogramm des Juliplenums des ZK erwähnt wurden. Geht man noch höher hinauf und fragt man, wie die Dinge im ZK liegen, so muß man zugeben, daß auch unter den Mitgliedern des ZK gewisse, wenn auch überaus unbedeutende Elemente versöhnlerischer Haltung gegenüber der rechten Gefahr vorhanden sind. Das Stenogramm des Juliplenums des ZK ist ein direkter Beweis dafür. Und wie sieht es im Politbüro aus? Gibt es im Politbüro irgendwelche Abweichungen? Im Politbüro gibt es weder Rechte noch Linke noch Versöhnler ihnen gegenüber. Das muß hier ganz kategorisch gesagt werden. Es ist höchste Zeit, dem Klatsch ein Ende zu bereiten, der von Elementen, die der Partei nicht wohlwollend gesinnt sind, sowie von Oppositionellen aller Art verbreitet wird, wonach es im Politbüro unseres ZK eine rechte Abweichung oder eine versöhnlerische Haltung gegenüber dieser Abweichung gebe.
Gab es in der Moskauer Organisation oder in ihrer Spitze, im Moskauer Komitee, Schwankungen? Ja, die gab es. Es wäre töricht, jetzt behaupten zu wollen, daß es dort keine Schwankungen gegeben habe. Die offenherzige Rede Penjkows ist ein direkter Beweis dafür. Penjkow ist nicht der Letzte in der Moskauer Organisation und im Moskauer Komitee. Ihr habt gehört, daß er seine Fehler in einer ganzen Reihe äußerst wichtiger Fragen unserer Parteipolitik unumwunden und offen zugegeben hat. Das bedeutet natürlich nicht, daß das gesamte Moskauer Komitee Schwankungen durchgemacht hat. Nein, keineswegs. Ein solches Dokument wie der Aufruf des Moskauer Komitees an die Mitglieder der Moskauer Organisation vom Oktober dieses Jahres zeugt unzweifelhaft davon, daß es dem Moskauer Komitee gelungen ist, die Schwankungen einiger seiner Mitglieder zu überwinden. Ich zweifle nicht daran, daß es dem führenden Kern des Moskauer Komitees gelingen wird, die Lage endgültig einzurenken.
Manche Genossen sind unzufrieden damit, daß die Rayonorganisationen in diese Angelegenheit eingegriffen und die Frage der Beseitigung der Fehler und Schwankungen einzelner Leiter der Moskauer Organisation aufgeworfen haben. Ich weiß nicht, wie man eine solche Unzufriedenheit rechtfertigen kann. Was kann Schlechtes daran sein, daß die Rayonaktivs der Moskauer Organisation ihre Stimme erhoben und die Abstellung der Fehler und Schwankungen gefordert haben? Arbeiten wir etwa nicht im Zeichen der Selbstkritik von unten? Ist es etwa nicht Tatsache, daß die Selbstkritik die Aktivität der Parteimitgliedschaft und überhaupt der proletarischen Masse steigert? Was ist Schlechtes oder Gefährliches daran, daß die Rayonaktivs sich der Lage gewachsen gezeigt haben?
Hat das ZK richtig gehandelt, als es in diese Sache eingriff? Ich glaube, daß das ZK richtig gehandelt hat. Bersin glaubt, das ZK gehe zu scharf vor, wenn es die Frage der Absetzung eines Rayonleiters stellt, gegen den sich die Parteiorganisation des Rayons gewandt hat. Das ist völlig falsch. Ich könnte Bersin einige Episoden aus dem Jahre 1919 und 1920 ins Gedächtnis rufen, als einige Mitglieder des ZK, die sich einige, wie ich glaube, nicht sehr schwerwiegende Fehler gegenüber der Parteilinie zuschulden kommen ließen, auf Vorschlag Lenins exemplarisch bestraft wurden, wobei einer von ihnen nach Turkestan geschickt wurde, ein anderer beinahe aus dem ZK ausgeschlossen worden wäre. War Lenin im Recht, als er so vorging? Ich glaube, daß er völlig im Recht war. Die Lage im ZK war damals nicht so wie heute. Damals stand die Hälfte des ZK hinter Trotzki, und im ZK selbst war die Lage nicht stabil. Heute geht das ZK unvergleichlich milder vor. Weshalb? Vielleicht weil wir milder sein wollen, als Lenin es war? Nein, nicht das ist der Kern der Sache. Der Kern der Sache ist der, daß die Lage im ZK heute stabiler ist, als sie damals war, und daß das ZK jetzt die Möglichkeit hat, milder vorzugehen. Auch Sacharow ist im Unrecht mit seiner Behauptung, das ZK habe verspätet eingegriffen. Er ist im Unrecht, weil er offensichtlich nicht weiß, daß das Eingreifen des ZK eigentlich schon im Februar dieses Jahres begonnen hat. Sacharow kann sich davon überzeugen, wenn er es wünscht. Allerdings hat das Eingreifen des ZK nicht sofort positive Resultate gezeitigt. Es wäre jedoch sonderbar, wollte man daraus dem ZK einen Vorwurf machen.
SCHLUSSFOLGERUNGEN: 1. die rechte Gefahr in unserer Partei ist eine ernste Gefahr, denn sie wurzelt in den sozialen und ökonomischen Verhältnissen unseres Landes; 2. die Gefahr der rechten Abweichung wird durch das Bestehen von Schwierigkeiten vergrößert, die nicht überwunden werden können, ohne daß die rechte Abweichung und das Versöhnlertum ihr gegenüber überwunden werden; 3. in der Moskauer Organisation waren Schwankungen, Elemente der Unbeständigkeit vorhanden; 4. der Kern des Moskauer Komitees hat mit Hilfe des ZK und der Rayonaktivs alle Maßnahmen ergriffen, um die Schwankungen zu beseitigen; 5. es ist nicht zu bezweifeln, daß es dem Moskauer Komitee gelingen wird, die früher zum Vorschein gekommenen Fehler abzustellen; 6. die Aufgabe besteht darin, den inneren Kampf zu liquidieren, die Moskauer Organisation zu einem einheitlichen Ganzen zusammenzuschließen und die Neuwahl der Zellenleitungen auf der Grundlage der vollentfalteten Selbstkritik erfolgreich durchzuführen.
19. Oktober 1928