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Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/ Friedrich Engels - Werke. (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 40. Berlin/DDR. 1973. S. 237-255.
1. Korrektur
Erstellt am 15.01.2000
|237| Kap. VIII. »Da [sagte] Vellejus, ganz selbstsicher, wie sie selbst (d.h. die Epikureer) es gewöhnt sind, nichts so sehr fürchtend, als daß es scheinen könnte, er sei über etwas im Zweifel, so als wäre er eben aus dem Rat der Götter und aus den Intermundien des Epikur herabgestiegen« etc. etc.
Kap. XIII. Sehr schön ist die Stelle des Antisthenes:
»In dem Buch, das Über die Natur überschrieben ist, sagt er, Volksgötter gäbe es viele, aber nur einen natürlichen Gott [...].«
Kap. XIV heißt es vom Stoiker Zeno:
»Wenn er aber Hesiods Theogonie erklärt, hebt er die herkömmlichen und allgemein angenommenen Vorstellungen von den Göttern gänzlich auf; denn weder Jupiter, noch Juno, noch Vesta, niemand, der so genannt wird, zählt er zu den Göttern, sondern er lehrt, diese Namen seien unbeseelten und stummen Dingen in einer gewissen Bedeutung beigelegt worden«.
Kap. XV heißt es von dem Stoiker Chrysippus:
»[...] Im zweiten aber (d.h. Buch über die Natur der Götter) will er die Mythen des Orpheus, Musäus, Hesiod und Homer an das anpassen, was er selbst im ersten Buch über die unsterblichen Götter gesagt hat; damit sogar die ältesten Dichter, die dies nicht einmal geahnt haben, so erscheinen, als wären sie Stoiker gewesen«.
»Ihm folgend überträgt Diogenes der Babylonier in dem Buch, das Über Minerva überschrieben ist, die Entbindung Jupiters und die Geburt der jungfräulichen Göttin auf die Physiologie und trennt sie vom Mythus«.
Kap. XVI. »[...] er allein (d.h. Epikur) nämlich hat gesehen, daß zuerst deswegen Götter sein müssen, weil die Natur selbst in die Seelen aller den Begriff von ihnen eingeprägt habe. Denn welches Volk oder welches Geschlecht von Menschen gibt es, das nicht schon ohne Belehrung einen gewissen Vorbegriff von den Göttern hätte? Diesen |239| nennt Epikur προληψις |(prolepsis)| das heiίt einen vorgefaßten Begriff von einer Sache, ohne den weder etwas begriffen, noch untersucht, noch erörtert werden kann. Die Bedeutung und die Nützlichkeit dieser Überlegung haben wir aus der unvergleichlichen Schrift Epikurs über die Regel und das Urteil erfahren«.
Kap. XVII. »... so ist es notwendig, sich vorzustellen, daß es Götter gibt, da wir von ihnen eingewurzelte oder besser angeborene Vorstellungen haben. Worin aber die Natur aller übereinstimmt, das muß wahr sein. ... Wenn dem so ist, dann ist der Satz Epikurs richtig: was ewig und glücklich sei, das habe weder selbst eine Tätigkeit, noch gebe es einem andern etwas zu tun: daher empfinde es weder Zorn noch Zuneigung, weil ja alles, was so sei, schwach sei. ... es genießt [...] gerechte Verehrung alles, was sich auszeichnet [...]«.
Kap. XVIII. » ... von Natur stellen wir uns alle, Angehörige aller Völker, die Götter nicht anders vor als in Menschengestalt ... Aber damit nicht alles auf die ersten Eindrücke zurückgeführt wird, läßt dasselbe auch der Verstand selbst deutlich werden ... welche Gestalt ... kann schöner sein als die menschliche? ... so muß man zugeben, daß die Götter ein menschliches Äußeres haben. Dennoch ist dieses Äußere kein Körper, sondern ein Quasikörper und hat kein Blut, sondern Quasiblut«.
»Epikur ... der [...] so darstellt, daß er [...] lehrt, die Kraft und die Natur der Götter seien derart, daß sie erstens nicht mit den Sinnen, sondern mit dem Verstand erfaßt werden, und zwar nicht als etwas Dichtes noch einer Zahl nach wie all das, was er wegen seiner Festigkeit στερεμνια |(steremnia)| nennt, sondern durch Bilder, die durch Vergleich und Übertragung wahrgenommen werden«.
Kap. XIX. »Da eine unendlich große Zahl von Erscheinungen ähnlichster Bilder aus unzähligen Atomen entstehe und auf die Götter überströme, begreife unser mit größter Lust auf diese Bilder aufmerksame Geist und auf sie gerichteter Verstand, was ein glückseliges und ewiges Wesen sei. Das höchste Prinzip der Unendlichkeit aber ist einer langen und sorgfältigen Betrachtung ganz besonders würdig; hierbei muß man erkennen, daß die Natur so beschaffen sei, daß immer Gleiches Gleichem entspricht; das nennt Epikur ισονομια |(isonomia)|, das heiίt gleichmäßige Verteilung. Heraus ergibt sich daher, daß, wenn die Zahl der Sterblichen so und so groß ist, die der Unsterblichen nicht geringer sei; und wenn die vernichtenden Kräfte zahllos sind, müssen auch die erhaltenden Kräfte unbegrenzt sein. Auch pflegt ihr uns, Balbus, zu fragen, was für ein Leben die Götter führen und wie sie ihr Leben zubringen. Es ist offenbar so, daß man sich nichts Glückseligeres als dies denken kann, nichts, wo es größeren Überfluß an allen Gütern gibt. Denn ein Gott tut nichts: er ist in keine Geschäfte verwickelt: er plagt sich mit keiner Arbeit: er freut sich seiner Weisheit und Tugend: er weiß sicher, daß er ständig in größter und in ewiger Lust leben wird«.
Kap. XX. »Diesen Gott können wir mit Recht einen glücklichen nennen, euren jedoch einen sehr geplagten. Denn sei es, die Welt selbst ist Gott, was kann es geben, das weniger Ruhe bietet, als ohne jede Unterbrechung mit staunenerregender Schnelligkeit sich um die Himmelsachse zu drehen? Ohne Ruhe aber gibt es keine Glückseligkeit. |241| Sei es aber, daß in der Welt selbst ein Gott ist, der regiert, der lenkt, der den Lauf der Sterne, den Wechsel der Jahre, den Wandel und den geordneten Gang der Dinge aufrechterhält, seine Blicke über Länder und Meere schweifen läßt und der Menschen Glück und Leben schützt: wirklich, jener ist in beschwerliche und mühsame Geschäfte verwickelt. Wir aber verlegen das glückliche Leben in die Gemütsruhe und in das Freisein von allen Pflichten. Denn derselbe hat uns neben allem anderen gelehrt die Natur habe die Welt hervorgebracht und eine künstliche Schöpfung wäre nicht nötig gewesen; und die Sache, von der ihr sagt, sie könne nicht ohne göttliche Kunstfertigkeit entstehen, sei so leicht, daß die Natur zahllose Weiten hervorbringen werde, hervorbringe und hervorgebracht habe. Weil ihr nicht seht, auf welche Weise dies die Natur, ohne Denkvermögen zu besitzen, hervorbringen könne, nehmt ihr, wie tragische Dichter, wenn ihr den Ausgang einer Sache nicht erklären könnt, Zuflucht zu einem Gott. Dessen Wirken würdet ihr sicher nicht vermissen, wenn ihr die gewaltige und nach allen Seiten unbegrenzte Weite des Raumes sehen würdet, in die sich der Geist hineinstützt und in der er einen Weg sucht, wobei er so weit und breit umherirrt, daß er trotzdem keine äußerste Grenze sieht, an der er haltmachen könne. In diesen unermeßlichen Breiten, Längen und Höhen fliegen unendlich viele Atome umher, die, obwohl der leere Raum zwischen ihnen liegt, trotzdem unter sich zusammenhängen und eins im andere greifend eine ununterbrochene Folge bilden, woraus diese Formen und Gestalten der Dinge entstehen, von denen ihr glaubt, daß sie nicht ohne Blasebälge und Ambosse entstehen [können]. Daher habt ihr uns einen ewigen Herrn in den Nacken gesetzt, den wir Tag und Nacht fürchten müssen. Denn wer soll nicht einen Gott fürchten, der alles voraussieht, bedenkt und bemerkt und glaubt, daß sich alles auf ihn beziehe, sich um alles kümmert und voller Tätigkeit ist? Daraus ist euch zuerst jene schicksalhafte Notwendigkeit entstanden, die ihr ειμαρμενη |(heimarmene)| nennt, so daß ihr sagt, was auch immer geschehe, das sei aus der ewigen Wahrheit und aus dem Zusammenhang der Ursachen geflossen. Was soll man aber von dieser Philosophie halten, welcher, wie alten und zwar ungelehrten Vetteln, alles durch das Fatum zu geschehen scheint? Es folgt daraus μαντικη |(mantike)|, die lateinisch divinatio heißt, durch die wir, wenn wir auf euch hören wollten, von einem so großen Aberglauben erfüllt werden würden, daß wir die Eingeweideschauer, Vogelflugdeuter, Wahrsager, Seher und Traumdeuter verehren müßten. Von diesem Schrecken sind wir vom Epikur erlöst, in Freiheit gesetzt worden und fürchten nicht die, von denen wir einsehen, daß sie weder sich irgendeinen Verdruß bereiten noch einem andern einen zu schaffen suchen, und verehren fromm und mit heiliger Scheu die erhabene und großartige Natur«.
Kap. XXI. Nun kömmt Cottas Entgegnung.
»[...] ich meine ... du hast klar gesprochen und nicht nur gedankenreich, sondern auch in wohlgesetzteren Worten, als es eure Anhänger zu tun pflegen.«
Kap. XXIII. »Denn daß Menschen aller Völker und Klassen dieser Meinung wären, hast du behauptet, sei ein hinreichend starkes Argument dafür, warum wir |243| zugeben müßten, daß es Götter gibt; ist dies schon an sich ein schwaches Argument, so ist es auch noch falsch«. ... (Cotta, nachdem er erzählt hat, die Bücher des Protagoras, der die Götter leugnete, seien in der Volksversammlung verbrannt und er selbst sei aus dem Lande vertrieben worden, [sagte weiter:]) »Hierdurch jedenfalls meine ich, sind viele veranlaßt worden, beim öffentlichen Bekennen dieser Meinung zurückhaltender zu sein, da ja nicht einmal der Zweifel der Strafe hatte entgehen können«.
Kap. XXIV. »Denn die schandbaren Behauptungen Demokrits oder auch vorher Leukipps, es gäbe Körperchen, einige wären glatt, andere rauh, noch andere rund, teilweise aber wären sie eckig, einige gebogen und quasi hakenförmig; aus diesen seien Himmel und Erde entstanden, nicht von einem Wesen erzwungen, sondern durch ein zufälliges Zusammenstoßen. ... Dies also ist die Wahrheit? Denn wegen des glücklichen Lebens widerspreche ich in nichts, von dem du meinst, daß es nicht einmal die Gottheit habe, wenn sie nicht ganz in Muße erschlafft ist . ... Ich will also zugeben, daß alles aus unteilbaren Körpern besteht. Was tut das zur Sache? Denn es wird nach der Natur der Götter gefragt. Sollen sie meinetwegen aus Atomen bestehen. Also sind sie nicht ewig. Denn was aus Atomen besteht, das ist irgendwann einmal entstanden. Wenn sie aber entstanden sind, gab es keine Götter, bevor sie entstanden sind. Und wenn es ein Entstehen der Götter gibt, muß es notwendigerweise auch ein Vergehen geben, wie du eben über Platos Welt behauptetest. Wo ist also jenes euer glückseliges und ewiges Wesen, mit welchen beiden Ausdrücken ihr Gott bezeichnet? Wenn ihr das beweisen wollt, begeht ihr euch in ein Dickicht. Denn du sagtest, keinen Körper habe [Gott], sondern einen Quasikörper, kein Blut, sondern Quasiblut«.
Kap. XXV. »Dies tut ihr sehr oft, daß ihr, wenn ihr etwas Unwahrscheinliches sagt und dem Tadel entgehen möchtet, etwas vorbringt, was überhaupt nicht geschehen kann, so daß es besser gewesen wäre, das, worum der Streit ging, zu konzedieren, als so unverschämt darauf zu bestehen. So zum Beispiel Epikur; da er einsah, daß, wenn die Atome durch ihr eigenes Gewicht abwärts getrieben würden, nichts in unserer Gewalt stände, weil ihre Bewegung bestimmt und notwendig ist: erfand er ein Mittel, der Notwendigkeit zu entgehen, was offenbar dem Demokrit entgangen war; er sagt, das Atom, obgleich es durch Gewicht und Schwere von oben nach unten getrieben wird, weiche ein klein wenig aus. Dies zu behaupten, ist schmählicher, als das, was er will, nicht verteidigen zu können«.
Es ist eine wesentlich merkwürdige Erscheinung, daß der Zyklus der 3 griechischen philosophischen Systeme, die den Schluß der reinen griechischen Philosophie bilden, das epikureische, stoische, skeptische System die Hauptmomente ihrer Systeme aufnehmen als vorgefundne aus der Vergangenheit. So ist die stoische Naturphilosophie großenteils heraklitisch, ihre Logik analog mit Aristoteles, so daß schon Cicero bemerkt,
»es scheint, die Stoiker stimmen mit den Peripatetikern in der Sache überein, in den Worten aber weichen sie von ihnen ab.« Über die Natur der Götter. Buch I. Kap. VII.
|245| Die Naturphilosophie des Epikur ist den Grundzügen nach demokritisch, die Moral analog mit den Kyrenaikern. Die Skeptiker endlich sind die Gelehrten unter den Philosophen, ihre Arbeit ist das Entgegenstellen, also auch das Aufnehmen der vorgefundnen, verschiednen Behauptungen. Sie haben einen gleichmachenden, applanierenden gelehrten Blick auf die Systeme hinter sich geworfen und damit den Widerspruch und Gegensatz herausgestellt. Auch ihre Methode hat an der eleatischen, sophistischen und vorakademischen Dialektik den allgemeinen Prototyp. Und dennoch sind diese Systeme originell und ein Ganzes.
Aber nicht nur, daß sie vollständige Baustücke zu ihrer Wissenschaft vorfanden; die lebendigen Geister ihrer Geisterreiche sind diesen selbst gleichsam als Propheten vorhergegangen. Die Persönlichkeiten, die zu ihrem System gehören, waren historische Personen, System war dem System gleichsam das Inkorporierte. So Aristipp, Antisthenes, die Sophisten und andre.
Wie dies zu begreifen?[1]
Was Aristoteles bei der »ernährenden Seele« bemerkt:
»Dies kann von den andern getrennt bestehen, unmöglich aber bei den sterblichen Wesen die andern von diesem«, Aristoteles, Über die Seele, Buch II, Kap. II,
ist ebenso bei der epikureischen Philosophie ins Auge zu fassen, teils sie selbst zu begreifen, teils Epikurs eigne scheinbare Absurditäten, wie die Ungeschicklichkeit seiner spätern Beurteiler.
Die allgemeinste Form des Begriffs ist bei ihm das Atom; als dies allgemeinste Sein desselben, das aber in sich konkret und Gattung ist, selbst eine Art gegen höhre Besondrungen und Konkretionen des Begriffs seiner Philosophie.
Das Atom bleibt also das abstrakte Ansichsein, z.B. der Person, des Weisen, Gottes. Dies sind höhre qualitative Fortbestimmungen desselben Begriffs. Es ist also bei der genetischen Entwicklung dieser Philosophie nicht Bayles und Plutarchs u.a. ungeschickte Frage aufzuwerfen, wie kann eine Person, ein Weiser, ein Gott aus Atomen entstehn und zusammengesetzt werden? Andrerseits scheint diese Frage durch Epikur selbst gerechtfertigt zu werden, denn bei höhren Entwicklungen, z.B. Gott, wird er sagen, dieser bestehe aus kleinern und feinern Atomen. Hierüber ist |247| zu bemerken, daß sein eignes Bewußtsein zu dessen Entwicklungen, zu den ihm aufgedrungnen Weiterbestimmungen seines Prinzips [sich] verhält wie das unwissenschaftliche Bewußtsein der Spätern zu seinem System.
Wenn z.B. bei Gott etc., abstrahiert von der weitern Formbestimmung, die er als ein notwendiges Glied im Systeme hat, nach seinem Bestehn, seinem Ansichsein gefragt wird, so ist das allgemeine Bestehn überhaupt das Atom und die vielen Atome; aber eben in dem Begriff Gottes, des Weisen ist dies Bestehn untergegangen in eine höhre Form. Sein spezifisches Ansichsein ist eben seine weitere Begriffsbestimmung und Notwendigkeit im Ganzen des Systems. Wird nach einem Sein außer diesem gefragt, so ist dies ein Rückfall in die untre Stufe und Form des Prinzips.
Epikur muß aber stets so zurückfallen, denn sein Bewußtsein ist ein atomistisches wie sein Prinzip. Das Wesen seiner Natur ist auch das Wesen seines wirklichen Selbstbewußtseins. Der Instinkt, der ihn treibt, und die weitren Bestimmungen dieses instinktmäßigen Wesens sind ihm ebenso wieder eine Erscheinung neben anderm, und aus der hohen Sphäre seines Philosophierens sinkt er in die allgemeinste zurück, vorzüglich, da das Bestehn, als Fürsichsein überhaupt, ihm die Form alles Bestehns überhaupt ist.
Das wesentliche Bewußtsein des Philosophen trennt sich von seinem eignen erscheinenden Wissen, aber dies erscheinende Wissen selbst in seinen Selbstgesprächen gleichsam über sein eigentliches innres Treiben, über den Gedanken, den es denkt, ist bedingt, bedingt durch das Prinzip, was das Wesen seines Bewußtseins ist.
Die philosophische Geschichtschreibung hat es nicht sowohl damit zutun, die Persönlichkeit, sei [es] auch die geistige des Philosophen, gleichsam als den Fokus und die Gestalt seines Systems zu fassen, noch weniger in psychologisches Kleinkramen und Klugsein sich zu ergehn; sondern sie hat in jedem Systeme die Bestimmungen selbst, die durchgehenden wirklichen Kristallisationen von den Beweisen, den Rechtfertigungen in Gesprächen, der Darstellung der Philosophen, soweit diese sich selbst kennen, zu trennen; den stumm fortwirkenden Maulwurf des wirklichen philosophischen Wissens von dem gesprächigen, exoterischen, sich mannigfach gebärdenden phänomenologischen Bewußtsein des Subjekts, das das Gefäß und die Energie jener Entwicklungen ist. In der Trennung dieses Bewußtseins ist eben seine Einheit als wechselseitige Lüge nachgewiesen [2]. Dies kritische Moment bei der Darstellung einer historischen Philosophie ist ein durchaus notwendiges, um die wissenschaftliche Darstellung eines Systems mit seiner |249| historischen Existenz zu vermitteln, eine Vermittlung, die nicht zu [um]gehn ist, eben weil die Existenz eine historische ist, zugleich aber als eine philosophische behauptet, also ihrem Wesen nach entwickelt werden muß. Am wenigsten darf bei einer Philosophie auf Autorität und guten Glauben angenommen werden, daß sie eine Philosophie sei, sei auch die Autorität ein Volk und der Glaube der von Jahrhunderten. Der Beweis kann aber nur durch Exposition ihres Wesens geliefert werden. In beidem [3] trennt ja jeder, der Geschichte der Philosophie schreibt, Wesentliches und Unwesentliches, Darstellung und Inhalt, er dürfte sonst nur abschreiben, kaum übersetzen, noch weniger dürfte er selbst mitsprechen oder ausstreichen etc. Er wäre bloßer Kopist einer Kopie.
Es ist also vielmehr zu fragen, wie kommt der Begriff einer Person, eines Weisen, Gottes und die spezifischen Bestimmungen dieser Begriffe in das System herein, wie entwickeln sie sich aus ihm?[4]
Kap. VI. »Zuerst [...] in der Physik, in der er (d.h. Epikur) am meisten prahlt, ist er ein vollkommener Fremdling. ... Jener (d.h. Demokrit) meint, daß die ... Atome, die wegen ihrer Dichte unteilbaren Körper, in dem unendlich Leeren, in dem es nichts, weder Höhe noch Tiefe noch Mitte, weder Anfang noch Ende gibt, sich so bewegen, daß sie durch Zusammenstoßen miteinander Verbindungen eingehen, woraus all das entsteht, was ist und was wahrgenommen wird, und diese Bewegung der Atome müsse nicht als von einem Anfang an, sondern als von Ewigkeit her bestehend angesehen werden. ... Er (Epikur) behauptet ... jene unteilbaren und dichten Körper wurden durch ihr Gewicht abwärts getrieben in gerader Linie: diese Bewegung sei die natürliche aller Körper. Dann aber fiel es dem scharfsinnigen Manne auf, daß, wenn alle von oben nach unten getrieben würden und, wie gesagt, in gerader Linie, nie ein Atom das andere treffen könne. Der Mann nahm daher zu einer Lüge seine Zuflucht. Er sagte, das Atom weiche ein ganz wenig aus, was aber durchaus unmöglich ist. Daher entständen Komplexionen, Kopulationen und Adhäsionen der Atome unter sich, und aus diesen die Welt und alle Teile der Welt und was in ihr ist ... auch die Deklination selbst ist eine willkürliche Erfindung (er sagt nämlich, daß das Atom ohne Ursache dekliniere, und etwas Schmählicheres könne einem Physiker nicht passieren, als zu behaupten, daß etwas ohne Ursache geschehe) ... Die Sonne scheint dem Demokrit groß, |251| weil er ein wissenschaftlicher und in der Geometrie vollendeter Mann ist; diesem [d.h. dem Epikur] etwa von zwei Fuß Größe, denn er urteilt, sie sei so groß, als sie scheint, oder entweder etwas größer oder etwas kleiner. So verdirbt er das, was er verändert, und das, welchem er folgt, gehört ganz dem Demokrit: die Atome, das Leere, die Bilder, die sie idola nennen, durch deren Eindringen wir nicht nur sehen, sondern auch denken: die Unendlichkeit selbst, die sie απειπια |(apeiria)| nennen, alles ist von ihm: ebenso auch die unzähligen Welten, die täglich entstehen und vergehen« etc.
Kap. VII. »Auch im zweiten Teil der Philosophie ... den man λογικη |(logike) Logik| nennt, ist dieser euer Meister ... völlig wehr- und hilflos: er hebt die Definitionen auf, lehrt nichts über Einteilung und Gliederung: sagt nicht, wie ein Beweis schlüssig erbracht wird: zeigt nicht, auf welchem Wege man Trugschlüsse entwirrt und Zweideutigkeiten beseitigt: die Urteile über die Dinge weist er den Sinnen zu und glaubt, daß, wenn ihnen einmal irgend etwas falsches als wahr erschienen sei, jede Entscheidung über wahr und falsch aufgehoben sei. [...] Er betont ganz besonders das, was, wie er sagt, die Natur selbst gutheißt und verwirft, das ist die Lust und den Schmerz: hierauf bezieht er alles, sowohl was wir vermeiden, als auch was wir erstreben sollen [...].«
Kap. IX. »[...] dies sieht Epikur in der Lust: das sei, so will er, das höchste Gut, und das schlimmste Übel sei der Schmerz, und er bemüht sich, das so zu beweisen: Jedes Lebewesen strebe von Geburt an nach Lust und freue sich über sie als höchstes Gut; es verabscheue den Schmerz als schlimmstes Übel und suche ihn, soweit als möglich, von sich fernzuhalten; und das tue es noch unverdorben, wo die Natur selbst noch rein und unverfälscht urteilt; daher leugnet er, daß ein Grund dafür oder eine Erörterung darüber nötig sei, weshalb die Lust zu erstreben, der Schmerz zu meiden sei . ... so ist es notwendig, daß darüber, was der Natur entspreche oder was gegen sie sei, die Natur selbst bestimme ... «
Kap. XI. » ... so bewirkt in jeder Sache die Entfernung des Schmerzes die Nachfolge der Lust. Daher war Epikur nicht der Meinung, daß es ein Mittelding zwischen Schmerz und Lust gäbe«.
Kap. XII. »Denn wer in einem solchen Zustand ist, muß notwendigerweise eine Charakterstärke haben, die weder den Tod noch den Schmerz fürchtet, weil der Tod empfindungslos ist und der Schmerz auf die Dauer leicht, bei großer Heftigkeit aber kurz [zu sein] pflegt, so daß über seine Stärke sein schnelles Vorübergehen, über seine lange Dauer sein Leichterwerden hinwegtröstet. Wenn dazu noch kommt, daß er weder das Walten der Gottheit fürchtet, noch vergangene Lust aus seinem Gedächtnis entschwinden läßt und sich an der ständigen Erinnerung an sie freut, was kann hierzu noch Besseres hinzukommen? ... Da aber das das höchste, äußerste und letzte Gut ist, was die Griechen τελος |(telos) Endziel| nennen, weil es selbst auf nichts anderes, auf es aber alles zurückgeht, muß man gestehen, daß es das höchste Gut sei, angenehm zu leben.«
Kap. XIII. » ... Denn welche Einteilung ist brauchbarer oder für ein gutes Leben geeigneter als die, welche Epikur benutzt hat? Er stellte eine Gruppe von Begierden auf, die natürlich und notwendig wären, eine zweite, die natürlich, aber nicht notwendig |253|*, eine dritte, die weder natürlich noch notwendig wären; deren Verhältnis sieht so aus, daß die notwendigen ohne viel Arbeit und Aufwand befriedigt werden und die natürlichen auch nicht viel erfordern, deswegen weil die Natur selbst dafür gesorgt hat, daß die Reichtümer, mit denen sie zufrieden ist, sowohl leicht zu besorgen als auch begrenzt sind, wohingegen sich für die eitlen Begierden weder Maß noch Ziel finden läßt.«
Kap. XVIII. »Epikur, der, von dem ihr sagt, er sei allzusehr der Lust ergeben, erklärt nachdrücklich: man könne nicht angenehm leben, wenn man nicht vernünftig, ehrenhaft und rechtlich lebe, und man könne nicht vernünftig, ehrenhaft und rechtlich leben, wenn man nicht angenehm lebe. ... (um so weniger) kann die mit sich selbst uneinige und zerstrittene Seele irgend etwas von der reinen und freien Lust genießen [...].«
Kap. XIX. »[...] denn so wird von Epikur der immer glückliche Weise eingeführt: Er hat seine Begierden gezügelt; er ist gleichgültig gegen den Tod; über die unsterblichen Götter ist er ohne jede Furcht der richtigen Meinung; er zögert nicht, wenn es so besser ist, aus dem Leben zu gehen. Mit diesen Eigenschaften ausgestattet, befindet er sich immer im Zustand der Lust. Denn es gibt keine Zeit, wo er nicht mehr Lust empfindet als Schmerz. Denn er erinnert sich dankbar an die Vergangenheit und wird auch mit der Gegenwart so gut fertig, daß er sieht, wie groß und angenehm sie ist; und er ist nicht von der Zukunft abhängig, sondern erwartet sie und genießt die Gegenwart; ... wenn er das Leben der Törichten mit seinem vergleicht, überkommt ihn große Lust; Schmerzen aber haben, wenn sie einmal kommen, niemals eine solche Gewalt, daß der Weise nicht mehr hat, was ihn freut als was ihn beunruhigt. Sehr gut aber sagt Epikur, daß das Schicksal auf den Weisen nur wenig einwirke und daß von ihm die größten und schwerwiegendsten Dinge durch seine Einsicht und Vernunft geregelt werden und daß sich aus einer unbegrenzten Lebenszeit nicht mehr Lust ziehen lasse als aus diesem Leben, was, wie wir sehen, begrenzt ist. In eurer Dialektik aber, meinte er, stecke keine Kraft, weder für ein besseres Leben noch um die Erörterung bequemer zu machen. Auf die Physik gab er sehr viel. ... Wenn wir aber das Wesen aller Dinge erkannt haben, kommen wir vom Aberglauben los, werden von der Furcht vor dem Tode befreit und hören auf, durch die Unkenntnis des Sachverhalts beunruhigt zu werden, aus der oft entsetzliche Schreckgespenster entstehen. Endlich werden wir auch sittlich besser werden, wenn wir gelernt haben, was die Natur verlangt ...«
|: Indem wir die Natur als vernünftig erkennen, hört unsere Abhängigkeit von derselben auf. Sie ist kein Schrecken unsres Bewußtseins mehr, und grade Epikur macht die Form des Bewußtseins, in ihrer Unmittelbarkeit, das Fürsichsein zur Form der Natur. Nur indem die Natur ganz frei gelassen wird von der bewußten Vernunft, als Vernunft in ihr selber betrachtet wird, ist sie ganz Eigentum der Vernunft. Jede Beziehung zu ihr als solche ist zugleich ein Entfremdetsein derselben.:|
»Wenn wir aber nicht die Natur der Dinge erkannt haben, werden wir in keiner Hinsicht die Urteile der Sinne verteidigen können. Außerdem kommt alles, was wir mit |255| dem Geist wahrnehmen, von den Sinnen. Wenn diese sämtlich zuverlässig sind, wie Epikurs Theorie lehrt: dann erst kann etwas erkannt und begriffen werden. Diejenigen, welche diese ausschalten und sagen, daß man nichts begreifen könne, die können, nachdem sie die Sinne beiseite geschoben haben, nicht einmal das darlegen, was sie behaupten [...]. So gewinnt man aus der Physik sowohl Mut gegenüber der Furcht vor dem Tode wie Standhaftigkeit gegenüber der Furcht vor der Religion [...].«
Kap. XX. »[...] Epikur sagt ... von allen Dingen, welche die Weisheit vorbereitet habe, damit man glücklich leben könne, sei nichts großartiger, nichts fruchtbarer, nichts angenehmer als die Freundschaft ...Glänzend sagt das Epikur etwa mit diesen Worten: Dasselbe Wissen, welches die Seele bestärkt hat, daß sie kein Übel als ewig und dauernd zu fürchten hätte, hat auch erkannt, daß in dieser Lebensspanne der Schutz der Freundschaft der stärkste Schutz sei.«
Kap. XXI. »[...] wenn alles, was ich gesagt habe, aus der Quelle der Natur geschöpft ist, wenn unsere ganze Rede ihre gesamte Glaubwürdigkeit durch die Sinne, das heißt durch unbestechliche und integre Zeugen erhält ...
Aber nicht Epikur war ohne Erudition, sondern diejenigen [sind] ungelehrt, die glauben, was dem Knaben Schande macht, nicht zu wissen, sei noch vom Greise herzusagen«.
Kap. II. (a.a.O.) »[..] denn er sagt, er sei nicht dafür, eine Sache zu definieren [...].«
Kap. VII. (eine Stelle aus den κυριαι δοξαι |(kyriai doxai) Hauptlehren| des Epikur]) »Wenn das, was den Wollüstigen Lust bereitet, sie von der Furcht vor den Göttern, dem Tode und dem Schmerz befreien und sie lehren würde, wo die Begierden ihre Grenzen haben, wären wir nicht in Verlegenheit: da sie von allen Seiten von Lust erfüllt würden und von keiner Seite her Schmerz oder Kummer hätten, d.h. aber einem Übel ausgesetzt wären«.
Kap. XXVI. »[...] darin glaubte ich einen Ausspruch von Epikur selbst zu erkennen: die Freundschaft könnte von der Lust nicht getrennt und müßte deshalb gepflegt werden, weil man ohne sie sicher und ohne Angst nicht leben könnte und darum auch nicht angenehm«.
Kap. XXXI. »[...] denn er (d.h. Epikur) schrieb: der Tod gehe uns nichts an: denn was aufgelöst sei, das sei ohne Empfindung: was aber ohne Empfindung sei, das gehe uns überhaupt nichts an [...].«
Kap. I. »Epikur sagt selbst [...]: es bedürfe nicht einmal einer Beweisführung über die Lust [...].«
[1] In der Handschrift befindet sich zwischen dieser Frage und dem folgenden Absatz ein Trennungsstrich <=
[2] Die beiden letzten Worte nicht eindeutig zu entziffern <=
[3] Die beiden letzten Worte nicht eindeutig zu entziffern <=
[4] In der Handschrift folgt nach dieser Frage ein Trennungsstrich <=
Pfad: »../me/me40«
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