MLWerke | | | Inhalt | | | Marx/Engels |
Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/ Friedrich Engels - Werke. (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 40. Berlin/DDR. 1973. S. 141-183.
1. Korrektur
Erstellt am 15.01.2000
|141| »Denn es ist einer von Epikurs Grundsätzen, daß niemand von etwas unwiderruflich überzeugt sein könne außer dem Weisen.« S. 1117.
Eine wichtige Stelle für das Verhältnis Epikurs zur Skepsis.
»[...] aber die Überlegung, die zu der Meinung führt, daß die sinnlichen Wahrnehmungen nicht exakt und nicht zuverlässig genug seien, um darauf zu vertrauen, hebt nicht dem Umstand auf, daß uns jedes einzelne Ding erscheint, sondern, wenn wir uns der sinnlichen Wahrnehmungen so, wie sie uns erscheinen, für unsere Handlungen bedienen, [erlaubt sie uns nur nicht, sie] für absolut wahr und [untrüglich] zu halten. [Denn es genügt, daß sie notwendig und daß] sie nützlich sind, weil es etwas anderes, was besser wäre, nicht gibt.« S. 1118.
»Wenn er [d.h. Kolotes] aber den Sokrates total auslacht und verächtlich macht, weil er untersuche, was der Mensch sei, und prahlerisch erkläre (wie er, d.h. Kolotes, sagt), er wisse es auch nicht, so zeigt er damit nur, daß er selbst sich damit nie beschäftigt hat [...].« S. 1118.
»[...] er sagt (d.h. Kolotes), das Leben werde von ihm unmöglich gemacht, wenn er sagt, es lasse sich von Einem nicht etwas anderes aussagen. Denn wie sollen wir leben, wenn wir nicht sagen dürfen: der Mensch ist gut etc., sondern nur: Mensch ist Mensch ... gut ist gut« etc. S. 1119.
Während man von Kolotes wirklich gestehn muß, daß er die Schwächen des Gegners herauszufühlen weiß, gehn dem Plutarch so sehr alle philosophischen Fühlhörner ab, daß er nicht einmal weiß, worum es sich handelt, sondern, wenn der Satz der abstrakten Identität als Tod alles Lebens ausgesprochen und gerügt wird, folgende pinselhafte, des dümmsten Dorfschulmeisters würdige Replique entgegenwirft.
|143| »Welcher Mensch hat aber deswegen schlechter gelebt? Wer aber hat, wenn er den Satz (d.h. Stilpos Satz) gehört hat, nicht verstanden, daß er von einem geistreichen Spötter stammt oder von einem, der andern dies als Übung in der Dialektik vorlegen wollte? Nicht einen Menschen, Kolotes, nicht gut zu nennen ... ist schlimm, sondern Gott nicht Gott zu nennen und nicht an ihn zu glauben (was ihr tut), die ihr weder zugeben wollt, daß es einen Zeus gebe, der über die Geburten wacht, noch Demeter, die Gesetzgeberin, noch Poseidon, den Erzeuger. Diese Trennung der Bezeichnungen ist übel und erfüllt das Leben mit Verachtung der Götter und Unverschämtheit, da ihr, indem ihr den Göttern die mit ihnen verbundenen Beinamen entzieht, zugleich auch Opfer, Mysterien, Festzüge und Feste mitabschafft.« S. 1119.
»[...] mit Stilpos Satz steht es folgendermaßen: Wenn wir von einem Pferd aussagen, es laufe, so, sagt er, sei das Ausgesagte nicht dasselbe wie das, wovon es ausgesagt wird, sondern der Begriff dessen, was der Mensch ist, sei eine Sache, der des Guten eine andere. [...] Denn wenn wir zur Definition beider aufgefordert werden, so geben wir nicht von beiden dieselbe Definition. Daher begehen die einen Fehler, die das eine vom andern aussagen.[1]
Denn wenn der Mensch und das Gute dasselbe ist ... wie [können wir] dann das Gute auch vom Brot und vom Medikament [... aussagen] ?« S. 1120.
Eine sehr gute und wichtige Auseinandersetzung von Stilpo.
»Denn sie (die Kyrenaiker) sagen, man werde vom Süßen ... und von der Dunkelheit affiziert, wobei jede dieser Einwirkungen eine spezifische und unveränderbare Wirksamkeit in sich habe. Wenn aber der Honig süß ... und die Luft bei Nacht dunkel sei, so werde von vielen Tieren, Dingen und Menschen das Gegenteil bezeugt, da die einen [den Honig] verschmähen, die andern aber zu sich nehmen ... Daher bleibt die Meinung nur dann frei von Irrtum, wenn sie sich an die Empfindungen hält, geht sie aber darüber hinaus und befaßt sie sich unbefugt mit der kritischen Beurteilung der äußeren Erscheinungen, so verwirrt sie sich oft und widerspricht anderen, die von denselben Dingen entgegengesetzte Eindrücke und abweichende Vorstellungen erhalten.« S. 1120.
»Denn die, welche, wenn uns ein Abbild, das rund ist, und ein anderes, das gebrochen ist, erreicht, sagen, die sinnliche Wahrnehmung empfange von der Form zwar den richtigen Eindruck, dabei aber nicht zulassen zu behaupten, daß der Turm rund, das Ruder gebrochen ist, bekräftigen ihre Empfindungen als wirkliche Erscheinungen; daß aber die Außenwelt sich so verhält, wollen sie nicht zugeben ... Denn das Bild, von dem das Auge den Reiz empfangen hat, ist gebrochen; ... Da also der Eindruck von dem äußeren Gegenstand verschieden ist, muß die Glaubwürdigkeit entweder bei der Empfindung stehenbleiben oder, wenn sie mit dem Scheinen auch das Sein beansprucht, bewiesen werden.« S. 1121.
|145| Was Plutarch hierüber sagt, beschränkt sich darauf, daß die Akademiker 3 Bewegungen, φανταστικον, ορμητικον |(phantastikon, hormetikon) vorstellende, bewegende| und συγκαταθετικον |(sygkatathetikon) zustimmende| [S. 1122], annehmen, in der letzten ist der Irrtum; so fällt nicht das Sinnliche praktisch und theoretisch fort, sondern die Meinung.
Den Epikureern sucht er nachzuweisen, daß sie viel Evidentes bezweifeln.
herausgegeben von Eichstädt. 1801. Band I
Es versteht sich, daß Lucretius nur wenig benutzt werden kann.
»Als vor den Blicken der Menschen das Leben schmachvoll auf Erden
Niedergebeugt von der Last schwerwuchtender Religion war,
Die ihr Haupt aus des Himmels erhabenen Höhen hervorstreckt
Und mit greulicher Fratze die Menschheit furchtbar bedräuet,
Da erkühnte zuerst sich ein Grieche, das sterbliche Auge
Gegen das Scheusal zu heben und kühn sich entgegenzustemmen.
Nicht das Göttergefabel, nicht Blitz und Donner des Himmels
Schreckt' ihn mit ihrem Drohn ...
...
So liegt wie zur Vergeltung die Religion uns zu Füßen,
Völlig besiegt, doch uns, uns hebt der Triumph in den Himmel.«
V. 63-80.
»Nichts kann je aus dem Nichts entstehn durch göttliche Schöpfung.«
V. 151.
»Gäb' es Entstehung aus Nichts, dann könnt' aus allem ja alles
Ohne weitres entstehen und nichts bedürfte des Samens.«
V. 160 u. 161.
»Daß dich nicht Mißtraun etwa zu meinen Worten beschleiche,
Weil man die Urelemente mit Augen zu sehn nicht imstand ist.«
V. 268 u. 269.
»Unsichtbar sind also die Körper, durch die die Natur wirkt.«
V. 329.
»Denn nicht überall wird die Materie gedrängt gehalten
Durch die Natur, weil es gibt noch im Innern der Dinge das Leere.«
V. 330 u. 331.
|147| »Denn es« (scilicet inanis cognitio |d.h. das Wissen um die Leere [2]|) läßt dich nicht ... immerzu grübeln
Über das Ganze der Welt ...
Also es gibt einen Ort, der unberührt, gähnend und leer ist.
Wäre das Leere nicht da, dann könnt' auf keinerlei Weise
Irgendein Ding sich bewegen ...
[...]
... Es könnte daher voran nichts kommen,
Da ja kein Ding den Anfang machte zu weichen dem andern.
... [...
...] Doch fehlte nun etwa das Leere,
[...
...] es fehlte durchaus auch die Möglichkeit jeder Erzeugung,
Da sich der überall drängende Stoff nicht zu rühren vermachte.«
V. 333-346.
»[...] gehörig zu den Dingen sei das Leere,
Das jedem Ding eröffnet die Möglichkeit, sich zu bewegen.«
V. 383 u. 384.
»Alle Natur ... muß also bestehen
Aus zwei Dingen allein. Denn Körper nur gibt es und Leeres.«
V. 420 u. 421.
»[Auch] ist die Zeit kein Ding an sich [...
...]
Niemand kann ja die Zeit an sich mit den Sinnen erfassen,
Ganz von der Dinge Bewegung getrennt, in friedlicher Ruhe.«
V. 460-464.
»Nicht auf sich selber beruhn und nicht wie die Körper bestehen [d.h. die Geschehnisse],
Noch auch so wie das Leere besondre Benennung verdienen,
Sondern nur so, daß man richtig vielmehr von Ereignissen redet,
Die an den Körper und Ort, wo jedes geschieht, sind gebunden.«
V. 480-483.
»[...] da eine zweifache, gänzlich verschiedne Natur nun
Haben zwei Dinge, wie längst schon gefunden man hat und erwiesen,
Körper und leerer Raum ...
jedes für sich muß selbständig bestehn und rein sich erhalten.
Denn wo immer der Raum sich erstreckt ...
Ist kein Körper vorhanden, und [...] wo sich der Körper
Ausdehnt, fehlt vollständig ...das Leere.«
V. 504-5 10.
|149| »[...] der ewige Urstoff [...]«
V. 541.
»[...] ein äußerster Punkt bei jedem Urelemente
Ist [...
...] dieser nicht mehr besitzt weitere Teilchen,
Sondern ist schlechthin das Kleinste, das nie für sich hat bestanden
Als selbständiger Teil und nie als solcher bestehen wird.«
V. 600 - 604.
[...] es gibt Urkörperchen, [...
...]
sie gleichen nimmer dem Feuer
Noch auch anderen Dingen, die unseren Sinnen Atome
Zuzusenden vermögen und unser Gefühl zu erregen.«
V. 685 - 690.
»Endlich, wenn alles zumal aus den vier Elementen entstehn soll
Und auch wieder zerfallen in ganz die nämlichen Stoffe,
Kann man denn jene nur ansehn als Urelemente der Dinge
Und nicht ebensogut betrachten auch umgekehrt das Verhältnis?«
V. 764 - 767.
»Dann kann nie dir entstehen ein Ding aus den vier Elementen,
Mag es beseelt, mag leblos es sein wie der Baum auf der Heide.
Denn es behauptet ja doch in der Mischung verschiedener Stoffe
Jegliches seine Natur, und vermischt wird die Luft immer
Bleiben in jedem Fall mit der Erde und auch mit dem Wasser.
Aber beim Zeugungswerk darf nur in den Urelementen
Heimlich und unsichtbar die Natur sich bekunden, damit nicht
Irgend etwas erscheine, was gegen das eigene Wesen
Jeglichen neuen Dinges sich hemmend und feindlich erweise.«
V. 773-781.
»Und [...] lassen
[...]
Nimmer erschöpfen sich so der Verwandlungen ewigen Kreislauf
(nämlich die Erhebung des Feuers in Luft, dann wird Regen,
dann Erde, und von der Erde kehrt wieder alles zurück)[3]
Nieder vom Himmel zur Erde und wieder von hier zu den Sternen.
Doch dies darf durchaus nicht geschehn bei den Urelementen.
Etwas Beharrliches muß in dem Kreis der Verwandlungen bleiben,
Soll dir nicht alles zuletzt in das Nichts vollständig versinken.
|151| Denn was immer sich ändert und seine bisherigen Sitze
Wechselt, erleidet sofort die Vernichtung des früheren Zustands.«
V. 783 - 793.
»... da auf vielerlei Weise gemeinsame Grundelemente
Sich in vielerlei Dingen natürlich zusammen gesellen,
Ist bei verschiedenen Dingen die Nahrung auch selber verschieden.«
V. 814 - 816.
Denn dieselbigen Stoffe begründen ja Himmel und Erde,
Meer und Ströme und Sonne wie Korn, Obst, lebendes Wesen.
Ihre Bewegung jedoch ist verschieden nach Mischung und Auswahl.«
V. 820 - 822.
»Weiter nun denkt er« (d.h. Anaxagoras) sich gar zu schwächlich die Urelemente
[...]
Denn was kann denn von diesen dem mächtigen Drucke begegnen
Und dem Verhängnis entfliehn [...]
Feuer? Das Wasser? Die Luft? Was sonst? Oder Blut oder Knochen?
Nichts von diesen, vermut' ich; wenn gleichermaßen vergänglich
Sein soll jegliches Ding, wie das, was mit eigenen Augen
Untergehen wir sehen durch irgendwelche Gewalten.«
V. 847 u. 856.
»Wenn sich im Holze die Flamme verbirgt und der Rauch und die Asche,
Müßten die Hölzer bestehn aus ganz fremdartigen Körpern.«
V. 872 u. 873.
»Freilich, hier bleibt zum Entkommen, so schmal er auch ist, noch ein Ausweg,
Den Anaxagoras wählt. Denn er meint, daß alles mit allem
Innig vermischt in den Körpern verborgen sich halte.
Nur eines Trete besonders hervor, von dem sich die meisten Partikeln
In dem Gemenge befänden und mehr sich im Vordergrund hielten.
Aber auch dies heißt weit von dem Weg der Wahrheit entfernt sein!
Denn dann müßten natürlich beim Korn oft, wenn es der Mühlstein
Rollend zerquetscht mit bedrohlicher Wucht, auch Spuren von Blut sich
Zeigen ...
[...]
Ferner müßt' in den Hölzern der Rauch und die Asche sich zeigen,
Wenn man in Stücke sie bricht, und kleine verborgene Fünkchen.
Da nichts derart geschieht - das liegt ja deutlich vor Augen -,
Kann man ersehn, daß die Dinge nicht so miteinander vermischt sind,
Sondern daß vielfach gemischte, gemeinsame Keime zu vielen
Dingen verbergen sich müssen in all den verschiedenen Dingen.«
V. 874-895.
|153| »Siehst du nun, wie sich bestätigt, was dir vor kurzem gesagt ward,
Wichtig vor allem sei dies, wie dieselben Grundelemente
Untereinander verkehren und wie sie in wechselnder Lage
Sich gegenseitig Bewegung geben und auch Bewegung empfangen?
Siehst du, wie ebendieselben erzeugen mit wenig Verändrung
Stamm nicht minder wie Flamme? So zeigen die Wörter auch selber
Wenig Veränderung nur in ihren Grundelementen,
Wenn wir Flamm' und Stamm mit verschiedenen Lauten bezeichnen.«
V. 906-913.
»Also hat alles, was ist, nach keiner der Richtungen irgend
Welche Begrenzung. Es müßte ja dann auch ein Äußerstes haben;
Aber ein Äußerstes gibt es nur dann, wenn irgendein Körper
Jenseits, der es begrenzt, vorhanden ist; [...
...]
Weiter nun muß man gestehn, daß es nichts gibt außer dem Weltall,
So gibt's auch kein Äußerstes hier, kein Maß und kein Ende.«
V. 957-963.
»Wäre nun außerdem die gesamte Masse des Weltraums
Ringsumher umschlossen von festverrammelten Schranken,
... [...]
Ja es gäbe dann gar keinen Himmel [...
...]
Doch nun gibt's in der Tat für die Körper der Urelemente
Nirgends ein Ausruhn. Gibt es doch nirgends ein völliges Unten,
Wo sie sich könnten vereinen und festere Sitze gewinnen.
Alles regt sich und rühret sich stets in beständ'ger Bewegung
Auf allen Seiten; es schnellen die ewigen Körper des Urstoffs
Aus dem unendlichen Raume hervor und ersetzen die Lücken.«
V. 983-996.
»[...] sie läßt drum den Körper
Sich durch das Leere begrenzen und wieder das Leere durch jenen.
So ist wechselseitig Unendlichkeit allem verbürget.
Oder wenn eins von den beiden Prinzipien Schranken erhielte,
Würde das andre durch seine Natur sich schrankenlos weiten.«
V. 1008-1012.
»[...] dies wäre nicht möglich, wofern nicht reichlicher Urstoff
Aus dem unendlichen Raum stets neu könnt' entstehen,
Um die erlittnen Verluste auch zur richtigen Zeit zu ersetzen.
Denn wie der Nahrung beraubt die Natur der beseelten Geschöpfe
Siechet dahin und den Körper verliert, so müßte auch alles
Übrige schnell sich zersetzen, sobald sich der Stoff ihm versagte,
Weil er an einem Punkte vom richtigen Wege gelenkt ward.«
V. 1034 -1040.
|155| Wie die Natur im Frühling sich nackt hinlegt und gleichsam siegbewußt alle ihre Reize zur Schau stellt, während sie im Winter ihre Schmach und Kahlheit verdeckt mit Schnee und Eis, so verschieden ist Lucretius, der frische, kühne, poetische Herr der Welt, vom Plutarch, der im Schnee und Eis der Moral sein kleines Ich zudeckt. Wenn wir ein ängstlich-zugeknöpftes, in sich geducktes Individuum sehn, so greifen wir unwillkürlich nach Rock und Schnalle, sehn, ob wir auch noch da sind, und fürchten uns gleichsam zu verlieren. Aber beim Anblick eines bunten Luftspringers vergessen wir uns, fühlen wir uns über unsre Haut erhaben als allgemeine Mächte und atmen kühner. Wem ist es sittlicher, freier zumute, einem, der eben aus der Schulstube des Plutarch kömmt, über die Ungerechtigkeit nachdenkend, daß die Guten mit dem Tode die Frucht ihres Lebens verlieren, oder einem, der die Ewigkeit erfüllt sieht, das kühne donnernde Lied des Lucretius:
»[...] mächtig
Hat mir die große Hoffnung auf Ruhm das Herz nun erschüttert
Mit scharfem Thyrsusstab, und sie weckte in meinem Gemüte
Süßeste Lust zum Gesang. Sie trieb mich, mit strebendem Geiste
Unwegsame, von niemand betretene Musengefilde
Zu durchwandern. Da freut's, jungfräuliche Quellen zu finden,
Draus ich schöpfe, da freut's, frischsprießende Blumen zu pflücken,
Und sie zum herrlichen Kranz um das Haupt mir zu winden, wie solchen
Keinem der Früheren je um die Schläfen gewunden die Musen.
Denn mein Gesang gilt erstlich erhabenen Dingen: ich strebe,
Weiter [den Geist] aus den Banden der Religion zu befreien.
Ferner erleuchtet mein Dichten die Dunkelheit dieses Gebietes
Hell, weil über das Ganze der Zauber der Musen sich breitet.«
V. 921 ff.
Wem es nicht mehr Vergnügen macht, aus eignen Mitteln die ganze Welt zu bauen, Weltschöpfer zu sein, als in seiner eignen Haut sich ewig herumzutreiben, über den hat der Geist sein Anathema ausgesprochen, der ist mit dem Interdikt belegt, aber mit einem umgekehrten, er ist aus dem Tempel und dem ewigen Genuß des Geistes gestoßen und darauf hingewiesen, über seine eigne Privatseligkeit Wiegenlieder zu singen und nachts von sich selber zu träumen.
»Die Glückseligkeit [ist] nicht der Lohn der Tugend, sondern die Tugend selbst.«
Wir werden auch sehn, wie unendlich philosophischer Lucretius den Epikur auffaßt als Plutarch. Die erste Grundlage philosophischer Forschung ist ein kühner freier Geist.
|157| Zuerst ist die treffliche Kritik der früheren Naturphilosophen von epikureischem Standpunkt aus anzuerkennen. Sie ist um so eher zu betrachten, da sie das Spezifische der epikureischen Lehre meisterhaft hervorhebt.
Wir betrachten hier besonders, was über den Empedokles und Anaxagoras gelehrt wird, da dies noch mehr von den übrigen gilt.
1. Es sind keine bestimmten Elemente für die Substanz zu halten, denn wenn in sie alles gelegt wird und alles aus ihnen entsteht, wer gibt uns das Recht, in diesem Wechselprozeß nicht vielmehr die Totalität der anderen Dinge für ihre Prinzipien zu halten, da sie selbst nur eine bestimmte, beschränkte Art der Existenz neben den andern sind und ebenso durch den Prozeß dieser Existenzen hervorgebracht werden? Wie umgekehrt (v. 764 bis 7671).
2. Werden mehre bestimmte Elemente für die Substanz gehalten, so offenbaren diese einerseits ihre natürliche Einseitigkeit, indem sie im Konflikt sich gegeneinander erhalten, ihre Bestimmtheit geltend machen und so im Gegensatz sich auflösen, andrerseits geraten sie in einen natürlichen mechanischen oder anderweitigen Prozeß und offenbaren ihre Bildungsfähigkeit als eine auf ihre Einzelnheit beschränkte.
Wenn wir die jonischen Naturphilosophen damit historisch entschuldigen, daß ihnen Feuer, Wasser etc. nicht dies Sinnliche, sondern ein Allgemeines waren, so hat Lukrez als Gegner durchaus recht, ihnen dies zur Last zu legen. Werden offenbare, dem sinnlichen Tageslicht offenbare Elemente als die Grundsubstanzen angenommen, so haben diese ihr Kriterium an der sinnlichen Wahrnehmung und den sinnlichen Formen ihrer Existenz. Sagt man, es sei eine anderweitige Bestimmung derselben, worin sie die Prinzipien des Seienden sind, so ist es also eine ihrer sinnlichen Einzelnheit verborgne, nur innerliche, also äußerliche Bestimmung, in der sie Prinzipien sind, d.h. sie sind es nicht als dies bestimmte Element, grade in dem nicht, was sie von andern unterscheidet, als Feuer, Wasser etc. (v. 773 sqq.)
3. Aber drittens widerstreitet nicht nur der Ansicht, bestimmte besondre [4] Elemente als Prinzipien anzusehn, ihr beschränktes Dasein neben den andern, aus deren Zahl sie willkürlich herausgenommen sind, also auch keine andre Differenz gegen sie haben als die Bestimmtheit der Zahl, welche aber als beschränkte vielmehr durch die Vielheit, Unendlichkeit der andern prinzipiell bestimmt zu werden scheint, nicht nur ihr Verhalten gegen sich wechselseitig in ihrer Besonderheit, die ebensowohl Exklusion |159| als eine in natürliche Grenzen eingeschloßne Bildungsfähigkeit offenbart, sondern der Prozeß selbst, in welchem sie die Welt hervorbringen sollen, zeigt an ihnen selbst ihre Endlichkeit und Wandelbarkeit nach.
Da sie in besondere Natürlichkeit eingeschloßne Elemente sind, so kann ihr Schaffen nur ein besondres sein, d.h. ihr eignes Umgeschaffenwerden, das auch wieder die Gestalt der Besonderheit, und zwar der natürlichen Besonderheit hat; d.h. ihr Schaffen ist ihr natürlicher Verwandlungsprozeß. So lassen diese Naturphilosophen das Feuer sich in der Luft wälzen, so entsteht der Regen, der fällt nieder, so die Erde. Was sich hier zeigt, ist also ihre eigne Wandelbarkeit und nicht ihr Bestehn, nicht ihr substantielles Sein, das sie als Prinzipien geltend machen; denn ihr Schaffen ist vielmehr der Tod ihrer besondren Existenz, und das Hervorgegangne ist so vielmehr in ihrem Nichtbestehn. (v. 783 sqq.)
Die wechselseitige Notwendigkeit der Elemente und natürlichen Dinge zu ihrem Bestehn ist nichts, als daß ihre Bedingungen als eigne Mächte ebensowohl außer ihnen als in ihnen sind.
4. Lukrez kömmt jetzt auf die Homöomerien des Anaxagoras. Er wirft ihnen vor, daß es zu
»gar schwächliche [...] Urelemente sind« [V. 847. 848]«,
denn da die Homöomerien dieselbe Qualität haben, dieselbe Substanz sind wie das, dessen Homöomerien sie sind, so müssen wir ihnen dieselbe Vergänglichkeit zuschreiben, die wir vor Augen sehn in ihren konkreten Ausdrücken. Birgt sich im Holz Feuer und Rauch, so ist es also ex alienigeneis |aus fremdartigen Körpern| [V. 873] gemischt. Bestünde jeder Körper aus allen sinnlichen Samen, so müßte er, zerbrochen, nachweisen, daß er sie enthält.
Es kann sonderbar scheinen, daß eine Philosophie wie die epikureische, die von der Sphäre des Sinnlichen ausgeht und sie wenigstens in der Erkenntnis als das höchste Kriterium preist, ein so Abstraktes, eine so caeca potestas |blinde Kraft|, wie das Atom ist, als Prinzip hinstellt. Darüber v. 773 sqq., 783 sqq., wo es sich nachweist, daß das Prinzip ein selbständiges Bestehn ohne irgendeine besondere sinnliche, physische Eigenschaft sein muß. Es ist Substanz:
»[...] dieselbigen Stoffe begründen ja Himmel und Erde, Meer und Ströme« etc.
V. 820 f.
Es kömmt ihm Allgemeinheit zu.
|161| Über das Verhältnis des Atoms und der Leere eine wichtige Bemerkung. Lukrez sagt von dieser duplex natura |zweifachen Natur|:
»Jedes für sich muß selbständig bestehn und rein sich erhalten.«
V. 504 ff.
Sie schließen sich ferner aus:
»Denn wo immer der Raum sich erstreckt,
Ist kein Körper vorhanden« etc.
Jedes ist selbst das Prinzip, also ist weder das Atom noch das Leere Prinzip, sondern ihr Grund, das, was jedes als selbständige Natur ausdrückt. Diese Mitte wird sich am Schlusse der epikureischen Philosophie auf den Thron setzen.
Das Leere als Prinzip der Bewegung, v. 363 sqq., und zwar als immanentes Prinzip, v. 383 sqq., το κενον και το ατομον |(to kenon kai to atomon) das Leere und das Atom| der objektivierte Gegensatz von Denken und Sein.
»Doch nichts Süßeres gibt's als die heiteren Tempel zu hüten,
Welche die Lehre der Weisen auf sicheren Höhen errichtet.«
V. 71.
»O wie arm ist der Menschen Verstand, wie blind ihr Verlangen!
In welch finsterer Nacht und in wieviel schlimmen Gefahren
Hingeht dies Leben, es sei, wie es sei!«
V. 149.
»[...] so wie Kinder im lichtlosen Dunkel erzittern, erbeben
Und alles fürchten, so ängstigen wir uns am hellichten Tage
... [...]
Jene Gemütsangst nun und die lastende Geistesverfinstrung
Kann nicht der Sonnenstrahl und des Tages leuchtende Helle
Treiben von dannen, sondern allein der Natur vernünft'ge Betrachtung.«
V. 549.
|163| »[...] da sie schweifen im Leeren, so muß sich notwendigerweise
Jedes Urelement bewegen durch eigene Schwere
Oder durch Stoß eines andren [...]«
V. 82 ff.
»[...] erinnre dich, daß es im Weltall
Nirgends ein Unterstes gibt, daß nirgends die Urelemente
Kommen zur Ruhe im Raum, der sich endlos, grenzenlos ausdehnt;
Denn daß er überallhin sich tief ins Unendliche strecke,
Das ist ausführlich bewiesen [...]«
V. 89 ff.
[...] es gibt in den Tiefen des Leeren
Nirgends Rast noch Ruhe für unsere Grundelemente,
Sondern getrieben vielmehr von beständ'ger, verschiedner Bewegung« [etc.]
V. 94 ff.
Das Hervorgehn der Bildungen aus den Atomen, ihre Repulsion und Attraktion ist geräuschvoll. Ein lärmender Kampf, eine feindliche Spannung bildet die Werkstätte und Schmiedestätte der Welt. Die Welt ist im Innern zerrissen, in deren innerstem Herzen es so tumultuarisch zugeht.
Selbst der Strahl der Sonne, der in die Schattenplätze fällt, ist ein Bild dieses ewigen Krieges.
»Winzige Stäubchen [...
...] in dem Lichtstrahl,
[...] wie in ewigem Kriege in Schlachten und Kämpfen sich streiten
Gleichsam in Scharen und keine Pause je eintreten lassen
Bei ihrem Drang, sich stets zu vereinen und wieder zu trennen.
Daraus kannst du ersehen, wie alles gehet vonstatten,
Wenn sich der Urstoff stets im unendlichen Leeren beweget.«
V. 115 ff.
Man sieht, wie die blinde, unheimliche Macht des Schicksals in die Willkür der Person, des Individuums übergeht und die Formen und Substanzen zerbricht.
»Um so mehr ist es nötig, daß man dieses auch richtig beachtet,
Wie in dem Sonnenstrahle die winzigen Körper sich tummeln,
Weil dergleichen Gewimmel beweist, auch in der Materie
Gibt's ein unsichtbares, verborgenes Wirken der Kräfte.
Denn viele Körper, so wirst du bemerken, verändern die Richtung,
Trifft sie ein heimlicher Stoß, und sie wenden getrieben sich rückwärts.«
V. 124 ff.
»Denn es bewegen zuerst durch sich selbst die Urelemente,
Hierauf werden die Körper, die wenig Verbindungen haben
|165| Und in der Kraft am nächsten kommen den Urelementen,
Durch unmerkbare Stöße von diesen dann weiter getrieben,
Und sie geben dann selbst den Stoß an die größeren weiter.
So geht von dem Atom die Bewegung hinauf, und sie endet
Langsam bei unseren Sinnen, bis endlich auch das sich beweget,
Was wir im Lichte der Sonne mit Augen zu schauen vermögen,
Ohne doch deutlich die Stöße zu sehn, die Bewegung erzeugen.«
V. 132 ff.
»[...] wenn die Urelemente, die einfach sind und solide,
Schweifen im stofflosen Leeren und nichts sie von außen zurückhält,
Und sie selbst mit den eig'nen zur Einheit verbundenen Teilchen
Auf ein einziges Ziel die begonnene Richtung verfolgen,
Müssen - das ist kein Wunder - an Schnelle sie alles besiegen
Und sich weit schneller bewegen sogar ab die Strahlen der Sonne.«
V. 156 ff.
»[...] selbst wenn ich daß Wesen der Urelemente nicht kennte,
Wagt' ich doch dies zu behaupten, gestützt auf die Kenntnis des Himmels
Und auf gar mancherlei andere Gründe, daß nie und nimmer
Ist ein göttliches Werk, das für uns erschaffen, das Wesen
Und die Natur der Welt [...]«
V. 177 ff.
»[...] es kann durch eigenen Antrieb
Körperliches sich nicht erheben und steigen nach oben.«
V. 185 f.
Die declinatio atomorum a via recta |Ausbeugung der Atome von der graden Linie| ist eine der tiefsten, im innersten Vorgang der epikureischen Philosophie begründete Konsequenz. Cicero hat gut darüber lachen, ihm ist die Philosophie ein so fremdes Ding wie der Präsident der nordamerikanischen Freistaaten.
Die grade Linie, die einfache Richtung, ist Aufheben des unmittelbaren Fürsichseins, des Punktes, sie ist der aufgehobne Punkt. Die grade Linie ist das Anderssein des Punktes. Das Atom, das Punktuelle, welches das Anders. sein aus sich ausschließt, absolutes unmittelbares Fürsichsein ist, schließt also die einfache Richtung aus, die grade Linie, es beugt von ihr aus. Es weist nach, daß seine Natur nicht die Räumlichkeit, sondern das Fürsichsein ist. Das Gesetz, dem es folgt, ist ein andres als das der Räumlichkeit.
Die grade Linie ist nicht nur das Aufgehobensein des Punktes, sie ist auch sein Dasein. Das Atom ist gleichgültig gegen die Breite des Daseins, es geht nicht in seiende Unterschiede auseinander, aber ebenso ist es nicht das bloße Sein, das Unmittelbare, das gleichsam nicht neidisch auf sein |167| Sein ist, sondern es ist grade im Unterschiede vom Dasein, es verschließt sich in sich [5] gegen dasselbe, d.h. sinnlich ausgedrückt, es beugt aus von der graden Linie.
Wie das Atom von seiner Voraussetzung ausbeugt, seiner qualitativen Natur sich entzieht und darin nachweist, daß dies Entziehn, dieses voraussetzungslose, inhaltslose Insichbeschlossensein für es selbst ist, daß so seine eigentliche Qualität erscheint, so beugt die ganze epikureische Philosophie den Voraussetzungen aus, so ist z.B. die Lust bloß das Ausbeugen vom Schmerze, also dem Zustande [6], worin das Atom als ein differenziertes, daseiendes, mit einem Nichtsein und Voraussetzungen behaftetes erscheint. Daß der Schmerz aber ist etc., daß diese Voraussetzungen, denen ausgebeugt wird, sind für den einzelen, das ist seine Endlichkeit, und darin ist er zufällig. Zwar finden wir schon, daß an sich diese Voraussetzungen für das Atom sind [7], denn es beugte nicht der graden Linie aus, wenn sie nicht für es wäre. Aber dies liegt in der Stellung der epikureischen Philosophie, sie sucht das Voraussetzungslose in der Welt der substantialen Voraussetzung, oder logisch ausgedrückt, indem ihr das Fürsichsein das ausschließliche, unmittelbare Prinzip ist, so hat sie das Dasein sich unmittelbar gegenüber, sie hat es nicht logisch überwunden.
Dem Determinismus wird so ausgebeugt, indem der Zufall, die Notwendigkeit, indem die Willkür zum Gesetz erhoben wird; der Gott beugt der Welt aus, sie ist nicht für ihn, und drin ist er Gott.
»Wichen sie nicht so ab, dann würden [...]
Gradaus alle hinab in die Tiefen des Leeren versinken.
Keine Begegnung und Stoß erfahren alsdann die Atome,
Niemals hätte daher die Natur mit der Schöpfung begonnen.«
V. 221 ff.
Indem die Welt geschaffen wird, indem das Atom sich auf sich, das ist auf ein andres Atom bezieht, so ist seine Bewegung also nicht die, die ein Anderssein unterstellt, die der graden Linie, sondern die ausbeugt davon, sich auf sich selbst bezieht. Sinnlich vorgestellt, kann das Atom sich nur auf das Atom beziehn, indem jedes derselben der graden Linie ausbeugt.
|169| »Wieder und wieder müssen die Körper deshalb sich neigen
Etwas zur Seite, doch nur um ein wenig, damit es nicht heiße,
Ihre Bewegung sei schräg, denn das widerstreitet der Wahrheit.«
V. 243 ff.
»Endlich, wenn immer sich schließt die Kette der ganzen Bewegung
Und an den früheren Ring sich der neue unweigerlich anreiht,
Und die Atome nicht weichen vom Lote und dadurch bewirken
Jener Bewegung Beginn, die des Schicksals Bande zertrümmert,
Das sonst lückenlos schließt die unendliche Ursachenkette:
Freiheit des Willens hier für die Lebewesen auf Erden,
Woher, frag ich dich, stammt der dem Schicksal entwundene Wille,
Der einem jeden zu gehen gestattet, wohin er nur Lust hat.«
V. 251 ff.
»Seinem entscheidenden Willen gelingt's, die Massen des Stoffes
Jeweils zu zwingen dazu, daß sie beugen die Glieder« etc.
V. 281 f.
Die declinatio a recta via ist das arbitrium |Wille|, die spezifische Substanz, die wahre Qualität des Atoms.
»Ebenso mußt du daher auch bei den Atomen gestehen,
Daß noch ein anderer Grund zur Bewegung, außer den Stößen
Und dem Gewichte, besteht, woraus denn bei ihnen die Kraft stammt.
Denn aus nichts kann nie - dies sehen wir - etwas entstehen.
Nämlich die Schwere verhindert, daß alles durch Stöße bewirkt wird
Gleichsam durch äußre Gewalt; doch daß den Geist in uns selber
Nicht ein innerer Zwang bei allen Geschäften behindert,
Und er so gleichsam gefesselt zum Dulden und Leiden verdammt sei,
Ist der geringen Beugung der Urelemente zu danken,
Die indes weder bestimmt durch den Ort noch bestimmt durch die Zeit ist.«
V. 284 ff.
Diese declinatio, dies clinamen ist weder regione loci certa noch tempore certo |bestimmt durch den Ort noch bestimmt durch die Zeit|, es ist keine sinnliche Qualität, es ist die Seele des Atoms.
In der Leere fällt die Differenz des Gewichtes fort, d.i. sie ist keine äußere Bedingung der Bewegung, sondern die fürsichseiende, immanente, absolute Bewegung selbst.
»Dahingegen vermöchte das Leere sich niemals und nirgends
Wider irgendein Ding als Halt entgegenzustellen,
Sondern es weicht ihm beständig, wie seine Natur es erfordert.
|171| Deshalb müssen die Körper mit gleicher Geschwindigkeit alle
Trotz ungleichem Gewicht durch das ruhende Leere sich stürzen.«
V. 235 ff.
Lukrez macht dies geltend gegen die durch sinnliche Bedingungen eingeschränkte Bewegung:
»Denn was immer im Wasser sowie in den Lüften herabfällt,
Muß, je schwerer es ist, um so eiliger in seinem Fall sein,
Deshalb, weil die gar leichte Luft und das schwerere Wasser
Nicht in der nämlichen Weise den Fall zu verzögern imstand sind,
Sondern je schwerer der Druck, um so schneller auch weichen zur Seite.«
V. 230 ff.
»Siehst du nun wohl, daß, ob viele sich auch durch äußeren Einfluß
Treiben und nötigen lassen zu unfreiwilligem Fortgehn
Und zu haltlosem Stürzen[, doch] immer in unserem Busen
Etwas bleibt, was dagegen sich sträubt und das Fremde zurückweist« etc.
V. 277 ff.
Siehe die oben zitierten Verse.
Diese potestas |Kraft|, dies declinare |Ausbeugen| ist der Trotz, die Halsstarrigkeit des Atoms, das quiddam in pectore |Etwas im Busen| desselben, sie bezeichnet nicht ihr Verhältnis zur Welt, wie das Verhältnis der entzweigebrochnen, mechanischen Welt zum einzelnen Individuum.
Wie Zeus unter den tosenden Waffentänzen der Kureten aufwuchs, so hier die Welt unter dem klingenden Kampfspiel der Atome.
Lukrez ist der echt römische Heldendichter, denn er besingt die Substanz des römischen Geistes; statt der heitern, kräftigen, totalen Gestalten des Homer haben wir hier feste, undurchdringliche, gewappnete Helden, denen alle andern Qualitäten abgehn, den Krieg omnium contra omnes |aller gegen alle|, die starre Form des Fürsichseins, eine entgötterte Natur und einen entwelteten Gott.
Wir kommen jetzt zu der Bestimmung der näheren Qualitäten der Atome, ihre innere, immanente spezifische Qualität, die aber vielmehr ihre Substanz ist, haben wir gesehn. Diese Bestimmungen sind sehr schwach bei Lukrez, wie überhaupt einer der willkürlichsten und daher schwierigsten Teile der ganzen epikureischen Philosophie.
»Nie war des Urstoffs Masse zu dichteren Klumpen geballet
Oder durch weiteren Abstand der einzelnen Teilchen gelockert
...
Auch kann keine Gewalt die Weit im ganzen verändern.«
V. 294 f. [u. 303.]
»Hierbei ist es jedoch nicht verwunderlich, daß uns das Weltall,
Während sich alle Atome in steter Bewegung befinden,
Dennoch den Eindruck macht, zu verharren in völliger Ruhe
.. [...]
Denn der Atome Natur liegt weitab unter der Schwelle
Unserer Sinne verborgen. Drum muß sich dir, da du sie selber
Doch gar nicht wahrnehmen kannst, auch ihre Bewegung verbergen.
Hehlen doch oft schon Dinge, die wir mit den Augen erblicken,
Ihre Bewegungen uns, wenn sie allzu entfernt von uns stehen.«
V. 308 ff.
2. Figur
»Doch jetzt höre von mir, wie die Grundelemente der Dinge
Alle sich mannigfaltig in ihren Gestalten erweisen.
Nicht als ob gar viele zu wenig sich ähneln im Aussehn:
... [...
...] Die Fülle der Urelemente
Ist ja so groß, wie gesagt, daß sie zahllos scheint und unendlich;
Denn nicht sämtlich dürfen sie sämtlichen ähnlich gezwirnt sein,
Noch auch selbstverständlich in ähnlichen Formen erscheinen.«
V. 333 ff.
»Darum müssen mithin die Gestalten der Urelemente
Völlig verschieden sein, um verschiedne Gefühle zu wecken.«
V. 442 f.
»[...] die Urelemente der Dinge
Nur in begrenzter Zahl die Gestalten vermögen zu ändern.
Denn sonst müßten auch wieder gewisse Atome sich finden,
Die endloser Vergrößrung des Körpers sich fähig erwiesen.
Nämlich die Kleinheit des Stoffs, die für jedes Atom ist dieselbe,
Hindert, daß gar zu viel voneinander verschiedne Gestalten
Können entstehen. Es seien an kleinsten Partikeln zum Beispiel
Drei vereint in dem einen Atom oder einige weitre:
Stellst du dann um alle Teilchen des Einen Atomes im ganzen,
Oben und Unten vertauschend, Rechtes und Linkes umwechselnd,
|175| Prüfst du auf jegliche Art nun, wie jegliche Ordnung beeinflußt
Form und Gestalt des ganzen Atoms, das diente als Beispiel,
Mußt du doch endlich noch andre Partikeln den übrigen zutun,
Wenn du noch weiter die Formen zu ändern wünschest. Es folgt nun,
Daß in ähnlicher Weise noch andre Partikeln die Ordnung
Weiter verlangt, wenn du weiter die Formenveränderung wünschest.
So wird Körpervergrößrung die Folge der neuen Gestaltung.
Deshalb ist es unmöglich erlaubt, sich die Meinung zu bilden
Unsre Atome besäßen unendlich verschiedne Gestalten.
Denn sonst müßtest du ja auch welche von riesiger Größe
Denken dir können, was, wie ich schon oben erklärt, doch nicht angeht.«
V. 479 ff.
Dies epikureische Dogma, daß die figurarum varietas nicht infinita |Mannigfaltigkeit der Gestalten nicht unendlich| ist, wohl aber die corpuscula ejusdem figurae infinita sind, e quorum perpetuo concursu mundus perfectus est resque gignuntur |Körperchen mit derselben Gestalt unendlich sind, aus deren fortwährendem Zusammenstoß die Welt entstanden ist und die Dinge hervorgehn|, ist die wichtigste, immanenteste Betrachtung der Stellung, welche die Atome zu ihren Qualitäten haben, zu sich als Prinzipien einer Welt.
»Trefflicher würde das eine dann stets als das andere werden.«
V. 507.
»Ebenso könnte natürlich auch alles zum Schlechteren rückwärts
Wieder sich wenden, grad so wie zum Bessern, was eben wir sagten.
Auch beim Zurück das eine könnt' schlechter wohl sein als das andre« [etc.]
V. 508 ff.
»Da dem nicht so ist, vielmehr durch sichere Schranken
Hüben und drüben das Ganze begrenzt ist, mußt du gestehen,
Daß auch im Urstoff nicht sind unendlich verschiedene Formen.«
V. 512 ff.
»Da ich dich dieses gelehrt, verbind' ich damit noch ein weitres,
Was sich aus diesem erweist, daß die Urelemente der Dinge,
Deren Gestalten einander in ähnlicher Weise geformt sind,
Selbst in unendlicher Zahl vorhanden sind. Da der Gestalten
Unterschiede begrenzt sind, so muß entweder die Anzahl
Derer, die ähnlich sind, unendlich sein, oder der Urstoff
Wäre im ganzen begrenzt, was oben als nichtig erwiesen.«
V. 522 ff.
Die Distanz, die Differenz der Atome ist endlich; nähme man sie nicht endlich an, so wären die Atome in sich selbst vermittelte, enthielten in sich |177| eine ideale Mannigfaltigkeit. Die Unendlichkeit der Atome als Repulsion, als negative Beziehung auf sich, zeugt unendlich viel ähnliche, quae similes sint, infinitas |eine unendliche Zahl derer, die ähnlich sind|, ihre Unendlichkeit hat mit ihrem qualitativen Unterschied nichts zu schaffen. Nimmt man die Unendlichkeit der Verschiedenheit der Form des Atoms an, so enthält jedes Atom das andre in sich aufgehoben, und es gibt dann Atome, die die ganze Unendlichkeit der Welt vorstellen, wie die Leibnizischen Monaden.
»Also ist klar, daß für jegliche Art in unzähliger Menge
Urelemente sich finden, woraus dann Alles beschafft wird.«
V. 568 f.
»Also waltet der Krieg in unentschiedenem Wettstreit
Seit undenklicher Zeit in den Reihen der Urelemente.
Denn bald hier, bald dort sind die Lebenskräfte im Vorteil,
Ähnlich erliegen sie auch, und die Totenklage vermischt sich
Mit dem Gewimmer der Kindlein, die eben das Licht erst erblicken.
Niemals folgt dem Tage die Nacht und der Nacht dann der Morgen,
Der nicht zusammen mit Kindergewimmer das Stöhnen der Kranken
Hören uns läßt, das den Tod und das schwarze Begräbnis begleitet.«
V. 574 ff.
»Ja, je mehr es in sich an Kräften und Wirkungen herbergt,
Desto größere Menge von Arten der Urelemente
Zeigt sich hierin vereint und desto verschiednere Formung.«
V. 587 ff.
»Denn es versteht sich von selbst, das ganze Wesen der Götter
Muß sich vollkommnen Friedens erfreun und unsterblichen Lebens,
Weit entfernt und geschieden von unseren Leiden und Sorgen,
Frei von jeglichen Schmerzen und frei von allen Gefahren,
Selbst gestützt auf die eigene Macht, nie unser bedürfend,
Wird es durch unser Verdienst nicht gelockt noch vom Zorne bezwungen.«
V. 646 ff.
»[...] die Grundelemente doch stets sich dem Lichte entziehen.«
V. 796.
»Aber vermeine nur nicht, es fehle den Urelementen
Nur die Farbe. Sie sind vielmehr auch von Wärme und Kälte
Und von der dampfenden Hitze vollständig für immer geschieden,
Wie sie des Tones entbehren, geschmacklos und nüchtern erscheinen
Und aus den Körpern auch nie ihre eignen Gerüche verbreiten.«
V. 842 ff.
|179| »Alles muß sein daher getrennt von den Urelementen,
Wenn wir gedenken die Welt auf ewigem Grunde zu bauen,
Welcher die sichere Stütze gewährt für das Heil der Gesamtheit,
Soll dir nicht alles zumal in das Nichts vollständig versinken.«
V. 861 ff.
»Daher weiß man, daß nimmer den Schmerz die Grundelemente,
Nie aber auch die Lust von sich aus können empfinden.
Da sie doch selber nicht wieder aus Urstoffkörpern bestehen,
Deren erneute Bewegung sie schmerzhaft müßten empfinden
Oder auch hieraus gewinnen die lebenspendende Wonne.
Also dürfen Atome mit keiner Empfindung begabt sein.«
V. 967 ff.
»Endlich wenn alle Geschöpfe nur dann Empfindung besäßen,
Falls man sie auch den Atomen, daraus sie gebildet sind, gäbe« [etc.]
V. 973 f.
Die Antwort darauf ist:
»Denn da sie (d.h. die Urelemente) ähnlich in allem wären wie sterbliche Menschen,
Müßten auch solche Atome nun wieder aus andern bestehen,
Diese dann wieder aus andern, so daß kein Ende zu sehn ist.«
V. 980 ff.[8]
»Erstlich behaupt' ich, er [d.h. der Geist] sei aus den allerfeinsten und kleinsten
Urelementen gebildet [...]«
V. 180 f.
»Aber nun kann doch ein Ding, das so leicht sich bewegt, nur bestehen
Aus ganz kuglig runden und allerkleinsten Atomen.«
V. 187 f.
»Denn das Gefüge des Stoffes hänget untereinander
Hier viel fester zusammen; es hat ja weniger glatte,
Weniger feine und auch viel weniger runde Atome.«
V. 194 ff.
»[...] alle, die größer an Masse werden gefunden,
Und nicht minder die rauhen, sind um so besser gefestigt.«
V. 202 f.
Aufheben der Kohäsion, der spezifischen Schwere.
|181| »[...] solltest du lernen,
Daß die Natur wie den Geist so die Seele aus winzigen Keimen
Schuf, weil, wenn sie entweichen, sich nichts im Gewichte verändert.
Aber man darf [sich] nun doch dies Wesen zu einfach nicht denken.
Denn aus des Sterbenden Munde entweicht ein ganz feiner Windhauch,
Der ist vermischt mit Dunst, und der Dunst zieht wieder die Luft mit.
Wärme zudem ist immer vermischt mit jeglicher Luftart.«
V. 229 ff.
»So hat sich dreifach bereits das Wesen des Geistes enthüllet;
Doch dies alles genügt nicht, um Sinnesempfindung zu wecken,
Da der Verstand es nicht faßt, daß eins von den drein auf die Sinne
Einzuwirken vermag, [...]
Ihnen müssen wir also ein viertes Wesen gesellen;
Doch ward dieses bisher noch mit keinerlei Namen bezeichnet.
Ihm vergleicht sich wohl nichts an Beweglichkeit oder an Feinheit,
Denn nichts reicht an die Glätte und Kleinheit seiner Atome.«
V. 238 ff.
»Aber zumeist hört schon an der Oberfläche des Leibes
Alle Bewegung auf. So können das Leben wir retten.«
V. 257 f.
»Ferner, daß wer nicht lebt, auch niemals elend kann werden,
Ja, daß es grade so ist, als wären wir nimmer geboren,
Wenn der unsterbliche Tod uns das sterbliche Leben genommen.«
V. 880 ff.
Man kann sagen, daß in der epikureischen Philosophie das Unsterbliche der Tod ist. Das Atom, die Leere, Zufall, Willkür, Zusammensetzung sind an sich der Tod.
»Denn wenn es schlimm ist, im Tod von dem Biß und den Kiefern der Bestien
Übel mißhandelt zu werden, so find' ich es ebenso bitter,
Auf das Feuer gelegt und in glühenden Flammen gebraten
Oder gebettet zu sein in erstickende Honigklumpen
Oder im Frost zu erstarren auf eisiger Marmorplatte
Oder von oben zerdrückt durch der Erde Gewicht sich zu fühlen.«
V. 901 fl.
»Könnten die Menschen sich doch, wie sie selbst die Last auf der Seele
Scheinen zu fühlen, die schwer sie bedrückt und gänzlich ermattet,
Über den Grund der Belastung zur Klarheit kommen, woher nur
Soviel Leids wie ein Stein auf der Brust sich bei ihnen gelagert:
Anders führten ihr Leben sie dann als jetzt man es meistens
|183| Sieht. Was er eigentlich will, weiß niemand so recht, und so sucht er
Immer die Stelle zu wechseln, als könnt' er sich dadurch entlasten.«
V. 1066 ff.
Ende des dritten Buches
Es ist bekannt, daß bei den Epikureern der Zufall die herrschende Kategorie ist. Eine notwendige Konsequenz davon ist, daß die Idee nur als Zustand angeschaut wird, der Zustand ist das an sich zufällige Bestehn. Die innerste Kategorie der Welt, das Atom, seine Verknüpfung etc. ist deswegen in die Ferne geschoben, wird als ein verfloßner Zustand betrachtet. Dasselbe findet man bei den Pietisten und Supranaturalisten. Die Schöpfung der Welt, die Erbsünde, die Erlösung, all dieses und alle ihre gottseligen Bestimmungen, wie das Paradies etc., ist nicht eine ewige, an keine Zeit gebundne, immanente Bestimmung der Idee, sondern ein Zustand. Wie Epikur die Idealität seiner Welt, die Leere aus ihr hinausschiebt in die Weltschöpfung, so verkörpert der Supranaturalist die Voraussetzungslosigkeit, die Idee der Welt im Paradies.
[1] Lücke in der Xylander-Ausgabe <=
[2] Bemerkung von Marx <=
[3] Diese in Klammern gesetzten Worte bringt Marx als Zusammenfassung des Inhalts von V. 784-786 <=
[4] »besondre« steht in der Handschrift über »bestimmte« <=
[5] »es verschließt sich in sich« nicht eindeutig zu entziffern <=
[6] In der Handschrift: des Zustandes <=
[7] In der Handschrift: ist <=
[8] Das hierauf folgende Blatt scheint in der Handschrift zu fehlen <=
Pfad: »../me/me40«
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