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Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/ Friedrich Engels - Werke. (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 40. Berlin/DDR. 1973. S. 47-91.
1. Korrektur
Erstellt am 15.01.2000

Karl Marx

Hefte zur epikureischen, stoischen und skeptischen Philosophie - Zweites Heft


I. Diogenes Laertius. Zehntes Buch.
II. Sextus Empiricus.
III. Plutarch. Beweis, daß man nach Epikur nicht glücklich leben kann

I. Diogenes Laertius. Zehntes Buch. Kommentiert von Gassendi

Epikur an Herodot. Fortsetzung

|47| »Die Zeit ist nämlich nicht zu untersuchen wie die übrigen Dinge, die wir an dem Zugrundeliegenden untersuchen, indem wir sie auf die Vorstellungen von den Dingen beziehen, die wir vor Augen haben; sondern die Enargie selbst ist festzuhalten, nach welcher wir die Zeit lang oder kurz nennen ... Und man darf weder neue Bezeichnungen einführen, als wären sie besser, sondern muß die dafür vorhandenen gebrauchen, noch darf man etwas anderes über sie aussagen, als habe es dasselbe Wesen wie dieses Idiom, ... sondern nur, wie wir das diesem Eigne verbinden und messen, ist hauptsächlich zu überlegen. Denn auch das bedarf keines Beweises, sondern nur der Überlegung, daß wir es mit den Tagen und Nächten und deren Teilen verbinden, ebenso aber auch mit den Affekten und dem Freisein von Affekten, mit Bewegung und Stillstand, wobei wir als ein diesen eigenes Merkmal wiederum eben das betrachten, was wir Zeit nennen.« S. 52 u. 53. »[...] alles löst sich wieder auf [...] S. 53.

»Daraus erhellt, daß er [d.h. Epikur] die Welten auch für vergänglich erklärt, da sich ihre Teile verändern. Er sagt dies aber auch an anderen Stellen.« S. 53.

»Außerdem aber darf man auch nicht meinen, daß die Welten notwendigerweise ein und dieselbe Gestalt haben, sondern muß annehmen, daß sie auch verschiedengestaltig sind«. S. 53.

»Denn weder seien die Lebewesen notwendigerweise vom Unendlichen getrennt, noch vom Himmel gefallen. ... man muß begreifen, daß auch die Natur in vielem und sehr verschiednem der Belehrung und dem Zwang der Dinge folgt; das Denken aber das ihm von ihr Übermittelte in der Folge präzisiert und noch manches dazu ermittelt, bei manchem schneller, bei anderm langsamer, und daß es hierfür manchmal mehr, manchmal weniger Zeit braucht.« S. [53-]54.

Siehe Seite 54 Schluß und S. 55 Anfang, wo über die αρχαι των ονοματων |(archai ton onematon) Herkunft der Bezeichnungen| gesprochen wird.

|49| »Was die Meteore betrifft, muß man glauben, daß in ihnen Bewegung und Lage und Eklipsis und [Aufgang und] Untergang und diesen Verwandtes nicht entsteht, indem einer regiert und anordnet oder angeordnet hat, der zugleich alle Seligkeit«

(hier ist das zu vergleichen, was Simplicius vom Anaxagoras über den die Welt ordnenden νους |(nous) Nous| sagt)

»neben der Unzerstörbarkeit besäße (denn nicht stimmen Handlungen und Sorgen und Zorn und Gunst mit der Seligkeit überein, sondern, der Schwäche, der Furcht und dem Bedürfnis am meisten verwandt, geschehen sie). Noch ist, da dies zugleich beschwerlich ist und [zur Seligkeit] [1] in Widerspruch steht, zu meinen, daß das Wesen, das die Seligkeit erworben hat, willkürlich diesen Bewegungen sich unterzieht; sondern man muß vielmehr seine ganze Erhabenheit wahren, indem man sich einer Ausdrucksweise bedient, die zu solchen Vorstellungen führt, aus denen keine der Erhabenheit entgegengesetzten Meinungen entstehen. Stimmt man nun hiermit nicht überein: so bereitet dieser Gegensatz selbst die größte Verwirrung den Seelen. Daher muß man denn annehmen, daß bei der Entstehung der Welt sowohl die ursprüngliche Eingliederung dieser Zusammenballungen als auch diese Zwangsläufigkeit und Periodizität der Bewegungen entstanden sind.« S. 55 u. 56.

Hier das Prinzip des Denkbaren, um die Freiheit des Selbstbewußtseins einerseits zu behaupten, anderseits dem Gott die Freiheit von jeder Determination zuzuschreiben.

»[..] daß das Beseligende in der Erkenntnis der Meteore, ... besonders in der genauen Erforschung [liegt], welcher Art die Naturen sind, die bei unseren Meteoren beobachtet werden, und was diesen irgendwie verwandt ist nach dem Grundsatz: [Es gibt hierbei das ›auf mehrfache Weise sein‹], das ›möglicherweise sein‹ und das ›irgendwie anders sein‹;[2] vielmehr ist absolute Norm, daß nichts einer unzerstörbaren und seligen Natur zukommen kann, was Gefahr hervorbringe, was die Ataraxie störe. Das Bewußtsein muß fassen, daß dies ein absolutes Gesetz ist.« S. 56.

Epikur spricht sich ferner S. 56 u. 57 gegen das stupende bloße Anstaunen der Himmelskörper als einem beschränkenden, Furcht einflößenden aus: er macht die absolute Freiheit des Geistes geltend.

»[...] fern muß man sich halten von dem Vorurteil, als sei die Forschung über jene Gegenstände nicht gründlich und subtil genug, soweit sie nur auf unsere Ataraxie und Glückseligkeit hinzielt. Daher müssen wir, indem wir darauf achten, wie oft bei uns das Gleiche geschieht, über die Meteore und alles Unbekannte Forschungen anstellen.« S. 57.

»Zu diesem allen ist das hinzuzudenken, daß die größte Verwirrung den menschlichen Seelen dadurch entsteht, daß sie glauben, es gäbe Wesen, die selig und unzerstörbar sind, und diese hätten gleichzeitig derartigen Eigenschaften entgegengesetzte Wünsche, Handlungen und Affekte, und daß sie gewissermaßen eine ewige Pein |51| erwarten und Verdacht schöpfen nach den Mythen (und auf Grund des Empfindungslosseins im Tode fürchten, es einst auch zu sein) und daß sie sich nicht von richtigen Vorstellungen leiten lassen, ... so daß sie, wenn sie dem Schrecklichen keine Grenzen setzen, die gleiche oder noch gesteigerte Unruhe erfahren, als wäre das, was sie sich vorgestellt haben, wirklich. Die Ataraxie aber bedeutet, sich von all dem frei gemacht zu haben ...« S. [57-]58.

»Daher muß man auf alle Dinge achten, die wir vor uns haben, und auf die sinnlichen Wahrnehmungen, beim Gemeinsamen auf die gemeinsamen, beim Eigenen auf die eigenen, und auf die ganze bei jedem einzelnen Kriterium vorhandene Evidenz.« S. 58.

Epikur an Pythokles

Epikur wiederholt im Beginn seiner Abhandlung über die Meteore als Zweck dieser γνωσεως |(gnoseos) Erkenntnis| die αταραξια und die πιστις βεβαια, καθαπερ και επι των λοιπων |Ataraxie und die feste Zuversicht wie es auch bei allem andern der Fall ist|. Allein die Betrachtung dieser Himmelskörper unter scheidet sich auch wesentlich von der andern Wissenschaft:

»[...] noch darf man auf alles dieselbe Theorie anwenden wie in der Ethik oder bei der Klärung der anderen physischen Probleme, z.B. daß das All aus Körpern und unkörperlicher« (quod το κενον |(quod to kenon) das ist der leere Raum [3]|) »Natur besteht oder daß es unteilbare Elemente gibt und dergleichen, wo nur eine einzige Erklärung den Phänomenen entspricht [4]. Denn dies findet bei den Meteoren nicht statt. Diese haben keine einfache Ursache der Entstehung und mehr als eine Kategorie des Wesens, welche den Wahrnehmungen entspricht.« S. 60 u. 61.

Wichtig ist es für die ganze Vorstellungsweise Epikurs, daß die zölestischen Körper als ein Jenseits der Sinne nicht auf denselben Grad von Evidenz Anspruch machen können wie die übrige moralische und sinnliche Welt. Bei ihnen tritt Epikurs Lehre von der disjunctio |ausschließenden Urteil| praktisch ein, daß es kein aut aut |entweder - oder| gebe, daß also die innere Determination geleugnet wird und das Prinzip des Denkbaren, des Vorstellbaren, des Zufalls, der abstrakten Identitas und Freiheit sich als das, was sie ist, manifestiert, als das Bestimmungslose, das eben deswegen von einer ihm äußerlichen Reflexion bestimmt wird. Es zeigt sich hier, daß die Methode des fingierenden, vorstellenden Bewußtseins sich nur mit ihrem eignen Schatten schlägt, was der Schatten ist, hängt davon ab, wie er gesehn wird, wie das Spiegelnde sich aus ihm in sich zurückreflektiert. Wie bei dem Organischen an sich, versubstantiiert, der Widerspruch der atomistischen Anschauung hervorbricht |53|*, so gesteht das philosophierende Bewußtsein jetzt, wo der Gegenstand selbst in die Form der sinnlichen Gewißheit und des vorstellenden Verstandes tritt, ein, was es treibt. Wie dort das vorgestellte Prinzip und seine Anwendung sich als eins vergegenständlicht finden und die Widersprüche dadurch zu den Waffen gerufen werden als ein Widerstreit der substantiierten Vorstellungen selbst, so bricht hier, wo der Gegenstand gleichsam über den menschlichen Köpfen hängt, wo er durch die Selbständigkeit, durch die sinnliche Unabhängigkeit und mysteriöse Ferne seiner Existenz das Bewußtsein herausfordert, - so bricht hier das Bewußtsein in ein Bekenntnis seines Treibens und Tuns aus, es schaut an, was es tut, Vorstellungen, die in ihm präexistieren, zur Verständlichkeit herabzurufen und als sein Eigentum zu vindizieren, wie sein ganzes Tun nur das Kämpfen mit der Ferne ist, die wie ein Bann das ganze Altertum umstrickt, wie es nur die Möglichkeit, den Zufall zu seinem Prinzip hat und eine Tautologie zwischen sich und seinem Objekt auf irgendeine Art zu bewerkstelligen sucht, so gesteht es dies, sobald diese Ferne in gegenständlicher Unabhängigkeit als Himmelskörper ihm gegenübertritt. Es ist ihm gleich, wie es erklärt; es behauptet, daß nicht eine Erklärung, sondern daß mehre, d.i. daß jede ihm genügt; es gesteht so sein Tun als tätige Fiktion ein. Die Meteore und die Lehre von denselben sind deshalb im Altertum überhaupt, dessen Philosophie nicht voraussetzungslos ist, das Bild, worin es seinen Mangel anschaut, selbst Aristoteles. Epikur hat es ausgesprochen, und das ist sein Verdienst, die eiserne Konsequenz seiner Anschauungen und Entwicklungen. Die Meteore trotzen dem sinnlichen Verstand, aber er überwindet ihren Trotz und will nichts, als sich über dieselben klingen zu hören.

»Denn nicht nach leeren Axiomen und Gesetzen ist die Physiologie zu betreiben, sondern wie es die Phänomene erfordern. ... (das Leben [erfordert]), daß wir ohne Verwirrung leben.« S. 61.

Hier bedarf es keiner Grundsätze und Voraussetzungen mehr, wo die Voraussetzung selbst sich dem wirklichen Bewußtsein schreckend entgegensetzt. In Schrecken geht die Vorstellung aus.

Epikur spricht daher wieder, gleichsam, als wenn er sich selbst darin fände, wieder den Satz aus:

»Alles geschieht also, sobald man es unbeirrbar auf verschiedene Weise erklärt, in Übereinstimmung mit den Phänomenen, wenn man, was man über sie glaubhaft festgestellt hat, entsprechend gelten läßt. Wenn man aber das eine gelten läßt, das andere aber, obwohl es gleichfalls mit den Phänomenen in Übereinstimmung steht, verwirft, so überschreitet man offen die Grenzen der Physiologie und wirft sich dem Mythos in die Arme.« S. 61.

|55| Es fragt sich nun, wie dann das Erklären einzurichten ist:

»Gewisse Anzeichen für die Vorgänge bei den Meteoren aber kann man aus den Vorgängen bei uns entnehmen, die sich beobachten lassen oder vorhanden sind, ebenso wie die Phänomene bei den Meteoren. Denn diese können sich auf mehrfache Weise vollziehen. Doch muß man die Erscheinung eines jeden Dings beobachten und außerdem auch noch das, was damit zusammenhängt, erklären. Dem wird nicht widersprochen durch das, was bei uns geschieht, daß es auf vielfache Weise geschieht.« S. 61.

Der Klang seiner selbst überdonnert oder überblitzt der epikureischen Anschauungsweise Donner und Blitz des Himmels. Wieviel Epikur sich mit [5] seiner neuen Erklärungsweise weiß, wie er darauf ausgeht, das Wunderhafte abzustreifen, wie er immer darauf dringt, nicht eine, sondern mehre Erklärungen anzuwenden, wovon er uns selbst höchst leichtsinnige Proben bei jeder Sache gibt, wie er es fast gradezu ausspricht, daß, indem er die Natur frei läßt, es ihm nur um die Freiheit des Bewußtseins zu tun ist, kann man schon aus der eintönigen Wiederholung entnehmen. Der einzige Erklärungsbeweis ist, nicht αντιμαρτυρεισθαι |(antimartyreisthai) widerlegt zu werden| durch die sinnliche Evidenz und Erfahrung, durch die Phänomene, den Schein, wie es überhaupt nur um den Schein der Natur zu tun ist. Diese Sätze werden wiederholt.

Über die Entstehung von Sonne und Mond:

»Denn auch dies gibt uns in dieser Weise die sinnliche Wahrnehmung ein.« S. 63.

Über die Größe der Sonne und Gestirne:

»[...] auch die Erscheinungen bei uns sehen wir ..., wie wir sie wahrnehmen.« S. 63.

Über Auf- und Untergang der Gestirne:

»Denn von den Phänomenen widerspricht nichts.« S. 64.

Über die Tropen der Sonne und des Mondes:

»Denn all das und was damit verwandt ist, widerspricht keiner der evidenten Erscheinungen, wenn man sich immer bei derartigen Teilfragen an das Mögliche hält und jede einzelne von ihnen mit den Phänomenen in Übereinstimmung zu bringen vermag, ohne Angst vor den sklavischen Kunststücken der Astrologen.« S. [64-]65.

Über Ab- und Zunahme des Mondlichtes:

»[...] und auf alle Arten und Weisen, mit denen auch die Phänomene bei uns zur Erklärung dieses Problems auffordern, wenn man nicht, in eine einzige Erklärungsweise verliebt, die andern leichtfertig verwirft, oder auch nicht zu sehen vermag, was einem Menschen zu erkennen möglich ist, und deswegen Unmögliches zu erkennen trachtet.« S. 65.

|57| Über die species vultus |Gesicht| im Monde:

»[...] überhaupt auf jede Art und Weise, die als mit den Phänomenen in Übereinstimmung stehend betrachtet wird. Denn bei allen Meteoren muß man diesen Weg einschlagen, ist hinzuzufügen. Denn wenn einer dem, was evident ist, widerstreitet, wird er niemals echter Ataraxie teilhaftig werden können.« S. 66.

Besonders die Verbannung einer göttlichen, teleologischen Wirksamkeit in der Stelle über den ordo periodicus |Systems des periodischen Umlaufs|, wo es rein hervortritt, daß das Erklären bloß ein Sichvernehmen des Bewußtseins und das Sachliche vorgespiegelt ist:

»[...] muß angesehen werden wie etwas Übliches, was auch bei uns geschieht, und die Gottheit braucht hierfür gar nicht bemüht zu werden, sondern soll von Leistungen frei bleiben in all ihrer Seligkeit. Denn wenn man dies nicht tut, wird die ganze Ätiologie über die Meteore unsinnig, wie es schon einigen ergangen ist, die sich nicht einer möglichen Erklärungsweise bedienten, sondern in eitle Erklärerei verfielen in dem Glauben, es geschehe nur auf eine Weise, wobei sie alle anderen möglichen Erklärungsweisen ausschlossen und auf Dinge gerieten, die unmöglich sind, und die Phänomene nicht auf Zeichen aufzufassen verstanden, was man muß, und nicht gewillt waren, sich mit Gott zu freuen.« S. [66-]67.

Dieselben Betrachtungen wiederholen sich oft fast wörtlich:

Über die wechselnde Länge von Tag und Nacht, bei den μεκε νυκτων και ημερων παραλλαττοντα |(meke nykton kai hemeron parallattonta)|, S. 67,
bei den επισημασιαι |(episemasiai) Witterungsanzeichen|, S.67,
bei der Genesis der νεφη |(nephe) Wolken|, S. 68,
der βρονται |(brontai) Donner| [S. 68], der αστραπαι |(astrapai) Blitze|, S. 69; so sagt er bei dem κεραυνος |(keraunoss) Donnerschlag|:

»Aber auch auf manche andere Art und Weise können Donnerschläge entstehen, nur der Mythos sei entfernt. Er wird aber entfernt sein, wenn man, den Phänomenen folgend, von ihnen auf das Unsichtbare schließt.« S. 70.

Nachdem er viele Erklärungen der σεισμοι |(seismoi)|, terrae motus |Erdbeben|, beigebracht, wird wie immer hinzugefügt:

»[Aber] auch auf andere Art und Weise« etc. S. 71.

Über die Kometen (S. 75.):

»Auch auf manche andere Art und Weise kann dies geschehen, wenn man es vermag, das herauszufinden, was mit den Phänomenen übereinstimmt.«

|59| De stellis fixis et errantibus |Über die Fix- und Wandelsterne|:

»Aber einen einzigen Grund hierfür anzugeben, während die Phänomene mehrere erfordern, ist Wahnsinn und eine Ungehörigkeit derer, die von der sinnlosen Astrologie besessen sind und aufs Geratewohl Gründe für gewisse Erscheinungen angeben, wenn sie die Gottheit keineswegs von Leistungen befreien.« S. 76.

Ja, er beschuldigt selbst diejenigen, die simpliciter, απλως |(haplos) einfach, absolut| über dergleichen urteilen,

portentosum quidpiam coram multitudine ostentare atiectare = »das paßt für die, die der Menge etwas vormachen wollen«. S. 76.

Er sagt bei Gelegenheit der επισημασιαι |(episemasiai) Witterungsanzeichen|, der Vorherahnung der tempestas |Unwetter| in den Tieren, welche einige mit Gott in Beziehung setzten:

»Denn kein Lebewesen, wenn es auch nur ein bißchen Geist besäße, könne eine solche Dummheit begehen, geschweige denn das Wesen, das die reine Glückseligkeit besitzt.« S. 77.

Man kann daraus beiläufig sehn, wie Peter Gassendi, der die göttliche Einwirkung retten, die Fortdauer der Seele etc. behaupten und dennoch Epikureer sein will (sieh z.B. esse animos immortales, contra Epicurum, Pet. Gassendi animadvers. in 1. dec. Diog. Laert. |Daß die Seelen unsterblich sind, gegen Epikur [in] Pet. Gassendi, Bemerkungen zum zehnten Buch des Diog. Laert.|, S. 549-602, oder esse deum authorem mundi, contra Epicurum |Daß Gott der Schöpfer der Welt ist, gegen Epikur|, S. 706-725, gerere deum hominum curam, contra Epicurum |Daß Gott sich um die Menschen kümmert, gegen Epikur|, S. 738-751, etc. Vergl. Feuerbach »Geschichte der neuern Philosophie«: »Peter Gassendi«, S. 127-150), den Epikur durchaus nicht verstanden hat, noch weniger uns über ihn belehren kann. Bei [6] Gassendi ist vielmehr nur das Bestreben, uns aus dem Epikur zu belehren, nicht über ihn. Wo er dessen eiserne Konsequenz bricht, geschieht es, um sich nicht mit seinen religiösen Voraussetzungen zu überwerfen. Dieser Kampf ist das Bedeutende in Gassendi, wie überhaupt die Erscheinung, daß die neuere Philosophie darin aufersteht, worin die ältere untergeht, einesteils mit Cartesius im universellen Zweifel, während die Skeptiker die griechische Philosophie zu Grabe läuten, andrerseits in der rationalen Naturbetrachtung, während die antike Philosophie im Epikur gebrochen wird, konsequenter noch als bei den Skeptikern. Das Altertum wurzelte in der Natur, im Substantiellen. Ihre Degradation, ihre Profanierung bezeichnet gründlich den Bruch des substantiellen, gediegnen Lebens; die moderne |61| Welt wurzelt im Geist, und er kann frei sein, andres, die Natur, aus sich entlassen. Aber ebenso ist umgekehrt, was bei den Alten Profanierung der Natur war, bei den Modernen Erlösung aus den Fesseln der Glaubensdienerschaft, und wovon die alte jonische Philosophie wenigstens dem Prinzip nach beginnt, das Göttliche, die Idee in der Natur verkörpert zu sehn, dazu muß die moderne rationale Naturanschauung erst aufsteigen.

Wer wird sich nicht hier der begeisterten Stelle des Aristoteles, des Gipfels alter Philosophie, in seiner Abhandlung περι της φυσεως ζωικης |(peri tis physeos zoikes) über die Natur der Tiere| erinnern, die ganz anders klingt als Epikurs nüchterne Eintönigkeit!

Merkwürdig für die Methode der epikureischen Anschauung ist die Schaffung der Welt, ein Problem, aus dem immer der Standpunkt einer Philosophie ersehn werden kann; denn er bezeichnet, wie der Geist in ihm die Welt schafft, das Verhältnis einer [7] Philosophie zur Welt, die schöpferische Potenz, den Geist einer [8] Philosophie.

Epikur sagt (S. 61 u. 62):

»Die Welt ist eine zölestische Komplexion (περιοχη τις ουρανου |(perioche tis ouranou)|) Gestirne, Erde und alle Erscheinungen umfassend, einen Auszug (Abschnitt, αποτομην |(apotomen)|) der Unendlichkeit enthaltend und aufhörend in einer Grenze, sei diese ätherisch oder fest (durch deren Aufhebung alles in ihr in ein Chaos zusammenfällt), sei diese ruhend, rund, dreieckig oder von irgendeiner beliebigen Gestalt. Denn auf allerlei Art ist dies möglich; da keine dieser Bestimmungen durch Phänomene widerlegt wird. Worin die Welt endet, ist nämlich nicht zu kapieren; daß es aber der Zahl nach unendliche Welten gibt, ist einzusehn.«

Jedem wird nun gleich die Dürftigkeit dieser Weltkonstruktion ins Auge fallen [9]. Daß die Welt eine Komplexion der Erde, Sterne etc. ist, heißt nichts, da später erst die Entstehung des Mondes etc. vor sich geht und erklärt wird.

Komplexion überhaupt ist jeder konkrete Körper, nämlich nach Epikur Komplexion der Atome. Die Bestimmtheit dieser Komplexion, ihr spezifischer Unterschied liegt in ihrer Grenze, und deswegen ist es überflüssig, wenn die Welt einmal ein Ausschnitt aus der Unendlichkeit genannt, das andermal als nähere Bestimmung die Grenze hinzugefügt wird, denn ein Ausschnitt scheidet sich von andrem aus und ist ein konkret Unterschiednes, also gegen andres Begrenztes. Die Grenze ist aber nun grade zu bestimmen, denn begrenzte Komplexion überhaupt ist noch keine Welt. Nun heißt es aber weiter, die Grenze könne auf jede Art bestimmt werden, πανταχως|(pantachos)|, und endlich wird gar gestanden, es sei unmöglich, ihre spezifische Differenz zu bestimmen, daß es aber eine gebe, sei begreifbar.

|63| Es ist also weiter nichts gesagt, als daß es die Vorstellung der Rückkehr einer Totalität von Unterschieden in unbestimmte Einheit, d.h. die Vorstellung »Welt« im Bewußtsein gebe, im gemeinen Denken sich vorfinde. Die Grenze, der spezifische Unterschied, damit die Immanenz und Notwendigkeit dieser Vorstellung sei nicht begreifbar; daß diese Vorstellung da sei, könne begriffen werden, nämlich tautologiae halber, weil sie da ist; für das Unbegreifbare wird also das, was erklärt werden soll, die Schaffung, die Entstehung und inwendige Produktion einer Welt durch den Gedanken, und für die Erklärung wird das Dasein dieser Vorstellung im Bewußtsein ausgegeben.

Es ist dasselbe, als wenn man sagt, es sei beweisbar, daß es einen Gott gebe, aber seine differentia specifica, quid sit |spezifische Bestimmung, was er sei|, das Was dieser Bestimmung sei unerforschlich.

Wenn ferner Epikur sagt, die Grenze kann auf jede Art gedacht werden, d.h. jede Bestimmung, die wir sonst an einer räumlichen [10] Grenze unterscheiden, könne ihr zugelegt werden, so ist die Vorstellung Welt nichts als die Rückkehr in eine unbestimmte, also auf jede Weise bestimmbare sinnliche Einheit, oder allgemeiner, da die Welt eine unbestimmte Vorstellung des halb sinnlich, halb reflektierenden Bewußtseins ist, so ist also die Welt in diesem Bewußtsein mit allen andern sinnlichen Vorstellungen zusammen und von ihnen begrenzt, ihre Bestimmtheit und Grenze ist also so vielfach als diese sie umlagernden sinnlichen Vorstellungen, jede derselben kann als ihre Grenze und so als ihre nähre Bestimmung und Erklärung angesehn werden. Das ist das Wesen aller epikureischen Erklärungen und um so wichtiger, da es das Wesen aller Erklärungen des vorstellenden, in Voraussetzungen gefangenen Bewußtseins ist.

Ebenso verhält es sich bei den Modernen mit Gott, wenn ihm Güte, Weisheit etc. zugeschrieben wird. Jede dieser Vorstellungen, die bestimmt sind, kann als Grenze der unbestimmten Vorstellung Gott, die zwischen ihnen liegt, betrachtet werden.

Das Wesen dieser Erklärung ist also, daß eine Vorstellung aus dem Bewußtsein genommen wird, die erklärt werden soll. Die Erklärung oder nähre Bestimmung ist dann, daß als bekannt angenommene Vorstellungen aus derselben Sphäre in Beziehung zu ihr stehn, also, daß sie überhaupt im Bewußtsein, in einer bestimmten Sphäre liegt. Hier gesteht Epikur den Mangel seiner und der ganzen alten Philosophie, zu wissen, daß Vorstellungen im Bewußtsein sind, aber nicht ihre Grenze, ihr Prinzip, ihre Notwendigkeit zu wissen.

|65| Allein Epikur ist nicht zufrieden, den Begriff seiner Weltschöpfung gegeben zu haben, er führt das Drama selbst auf, er verobjektiviert sich, was er eben getan hat, und erst jetzt beginnt eigentlich seine Schöpfung. Es heißt nämlich weiter:

»Es kann auch eine solche Welt entstehn in einem Intermundium (so nennen wir nämlich den Zwischenraum von Welten), in einem weithin leeren Raume, in einer großen durchsichtigen Leere, nämlich so, daß hierzu taugliche Samen aus einer Welt oder einem Intermundium oder von mehren Welten ausströmen und allmählich Zusammensetzungen, Gliederungen, wie es sich trifft, auch Verwechslungen des Ortes bilden und von außen soviel Zuströmungen in sich aufnehmen, als die zugrunde liegenden Substrate die Zusammensetzung ertragen können. Denn, wenn im Leeren eine Welt entsteht, so genügt nicht die Bildung eines Haufens, noch eines Strudels, noch einer Vermehrung, solange er mit anderm zusammentrifft, wie einer von den Physikern |Demokrit| behauptet. Denn das widerstreitet den Phänomenen.« [S. 62.]

Hier sind also erstens zur Schaffung der Welt Welten vorausgesetzt, der Ort, worin sich dies Ereignis zuträgt, ist die Leere. Also, was oben im Begriff der Schöpfung lag, daß das, was geschaffen werden soll, vorausgesetzt ist, wird hier substantiiert. Die Vorstellung ohne ihre nähere Bestimmung und Verhältnis zu den andren, also, wie sie einstweilen vorausgesetzt wird, ist leer oder verkörpert, ein Intermundium, ein leerer Raum. Wie nun ihre Bestimmung hinzukömmt, wird so angegeben, daß sich zu einer Weltschöpfung taugliche Samen so verbinden, wie es zu einer Weltschöpfung notwendig ist, d.h. es wird keine Bestimmung angegeben, keine Differenz. Im ganzen haben wir also wieder nichts als das Atom und das κενον |(kenon) Leere|, sosehr sich Epikur selbst dagegen sträubt etc. Aristoteles hat schon auf eine tiefe Weise die Oberflächlichkeit der Methode kritisiert, die von einem abstrakten Prinzip ausgeht, ohne dies Prinzip selbst in höheren Formen sich aufheben zu lassen. Nachdem er an den Pythagoreern gelobt, daß sie zuerst die Kategorien von ihren Substraten befreit, nicht als eine besondere Natur, wie sie dem Prädikat zukommen, betrachtet, sondern als immanente Substanz selbst aufgefaßt haben,

»sie glaubten, daß das Endliche und das Unendliche [...] nicht irgendwelche besonderen Naturen seien, wie Feuer oder Erde etc., sondern ... das Wesen dessen, wovon sie ausgesagt werden«,

tadelt er an ihnen, daß sie

»das, wozu die erste Begriffsbestimmung passe, für das Wesen der Sache hielten [...].« [Aristoteles.] Buch I, Kap. V.

|67|II. Sextus Empiricus

Wir gehn jetzt zum Verhältnis der epikureischen Philosophie zum Skeptizismus über, soweit sich dieses aus Sext. Empiricus ergibt.

Vorher muß aber noch eine Grundbestimmung des Epikur selbst aus dem Diog. Laert. lib. X bei der Beschreibung des Weisen zitiert werden:

»(d.h. der Weise) werde Lehrsätze und nicht bloße Zweifel vortragen«. S. 81.

Aus der ganzen Darstellung des epikureischen Systems, worin ihr wesentliches Verhältnis zur alten Philosophie gegeben ist, sein Prinzip der Denkbarkeit, was er über die Sprache, über die Entstehung der Vorstellungen sagt, sind wichtige Dokumente und enthalten implicite seine Stellung zu den Skeptikern. Es ist einigermaßen interessant zu sehn, welche Ursache Sext. Empiricus von dem Philosophieren Epikurs angibt:

»Denn wenn ... jemand fragt, woraus das Chaos entstanden ist, wird er nichts zu sagen haben. Und dies, sagen einige, sei für Epikur grade der Grund geworden, sich auf das Philosophieren zu stürzen. Denn als er ein kleiner Junge war, fragte er den Lehrer, der ihm vorlas: ›[...] woraus entstand das Chaos, wenn es zuerst entstand.‹ Als dieser ihm sagte, es sei nicht seine Sache, das zu lehren, sondern Sache derer, die Philosophen genannt würden, da sagte Epikur: ›Zu ihnen muß ich gehen, wenn sie die Wahrheit der Dinge wissen.‹« Sext. Empiricus. Genf 1621. Gegen die Mathematiker. S. 383.

»Denn Demokrit sagt: ›Ein Mensch ist, was wir alle kennen‹ etc. Denn in Wahrheit gebe es, sagt dieser Mann, allein die Atome und das Leere, welche, wie er sagt, nicht nur den Lebewesen, sondern auch allen zusammengesetzten Körpern innewohnen. Daher können wir, soweit es diese betrifft, die Eigentümlichkeit des Menschen nicht begreifen, da sie allem gemeinsam sind. Aber etwas anderes liegt hierbei nicht zugrunde. Wir werden also nichts haben, wodurch wir den Menschen von den andern Lebewesen unterscheiden und uns von ihm eine klare Vorstellung werden machen können. Epikur aber sagt, ein Mensch sei die so und so beschaffene Gestalt mit einer Seele. Und da ihm zufolge der Mensch durch Zeigen sichtbar gemacht wird, ist, wer nicht gezeigt wird, kein Mensch. Und wenn nun einer eine Frau zeigt, wird der Mann kein Mensch sein; wenn aber die Frau einen Mann zeigt, wird sie kein Mensch sein.« Pyrrhonische Hypothyposen. Buch II. S. 56.

»Denn sowohl Pythagoras als auch Empedokles und die Jonier, sowohl Sokrates als auch Plato und Aristoteles und die Stoiker und vielleicht auch die Gartenphilosophen lassen, wie die von Epikur gehaltenen Vorträge bezeugen, Gott bestehen.« S. 320. Gegen die Mathematiker.

»Denn man darf auch nicht annehmen, daß die Seelen nach unten getragen werden ... sie lösen sich nicht, wie Epikur zu sagen pflegte, von den Körpern getrennt, auf wie Rauch. Denn auch vorher war es nicht der Körper, der sie festhielt; sondern sie selbst waren |69| für den Körper der Grund seines Zusammenhaltens, viel eher aber noch für sich selbst.« S. 321. Gegen die Mathematiker.

»Und Epikur läßt, wie einige meinen, was die große Masse betrifft, Gott bestehen, was aber die Natur der Dinge angeht, keineswegs.« S. 319. Gegen die Mathematiker.

»Die Epikureer aber [...] wußten nicht, daß, wenn das, was gezeigt wird, ein Mensch ist, das, was nicht gezeigt wird, kein Mensch ist. Und weiter, ein derartiges Zeigen geschieht entweder bei einem Mann [...] einem Plattnasigen oder Adlernasigen, Langhaarigen oder Kraushaarigen oder bei den anderen Merkmalen.« S. 187. Gegen die Mathematiker.

»[...] zu ihnen muß man auch den Epikur zählen, wenn er auch ein Feind der Vertreter der Wissenschaft zu sein scheint.« S. 11. Gegen die Mathematiker.

»Da man nach Meinung des weisen Epikur weder forschen noch zweifeln kann, ohne eine Prolepsis zu haben, dürfte es gut sein, vor allem zu betrachten, was die Grammatik ist [...].« S. 12. Gegen die Mathematiker.

»Wir werden aber finden, daß selbst die Verächter der Grammatik, Pyrrho und Epikur, deren Notwendigkeit zugeben. [...] Epikur aber wird ertappt, das Beste seiner Lehrsätze von den Dichtern geraubt zu haben. Denn den Satz, daß der äußerste Gipfel der Lust die Befreiung von allem Schmerz sei, hat er, wie sich gezeigt hat, aus einem Vers genommen:

›Aber nachdem die Begierde des Tranks und der Speise gestillt war.‹

Den Satz aber, daß der Tod nichts gegen uns vermag, hat ihm Epicharmus eingegeben, der sagt:

›Gestorben oder tot zu sein, ist mir einerlei.‹

Ebenso aber hat er auch den Satz, daß die Körper, zur Leiche geworden, empfindungslos seien, aus Homer gestohlen, der schreibt:

›Denn unempfindlichen Staub mißhandelt er, tobend vor Unsinn!‹«

S. 54. Gegen die Mathematiker.

»[...] ihm« (dem Archelaus von Athen, der die Philosophie in το φυσικον και ηθικον |(to physikon kai ethikon) Physik und Ethik|)[11] abteilt »[...] stellen sie auch den Epikur zur Seite als einen, der auch die logische Betrachtung verwerfe. Es gab aber andere, die sagten, daß er die Logik nicht allgemein ablehnte, sondern allein die der Stoiker.« S. 140. Gegen die Mathematiker.

»Die Epikureer aber gehen von der Logik aus, denn sie untersuchen zuerst die Kanonik und schaffen sich die Lehre über das Sichtbare und das Verborgne und die sie begleitenden Erscheinungen.« S. 141. Gegen die Mathematiker.

»Den Widerspruch gegen die Vertreter der Wissenschaft scheinen die Epikureer und die Anhänger des Pyrrho gemeinsam zu vertreten, aber nicht aus derselben Einstellung heraus; die Epikureer, da die Wissenschaften angeblich nichts beitragen zur Vollendung der Weisheit«

(d.h. die Epikureer halten das Wissen von den Dingen, als ein Anderssein des Geistes, für impotent, seine Realitas zu erhöhn; die Pyrrhoniker halten die Impotenz des Geistes, die Dinge zu kapieren, für sein wesentliches Fach, |71| für eine reale Energie desselben. Es ist, wenn auch beide Seiten degradiert, nicht in der philosophischen antiken Frische erscheinen, ein ähnliches Verhältnis zwischen den Frömmlern und Kantianern in ihrer Stellung zur Philosophie. Die ersten entsagen aus Gottseligkeit dem Wissen, d.h. sie glauben mit den Epikureern, daß das Göttliche im Menschen das Nichtwissen sei, daß diese Göttlichkeit, welche Faulheit ist, gestört werde durch den Begriff. Die Kantianer hingegen sind sozusagen die angestellten Priester des Nichtwissens, ihr tägliches Geschäft ist einen Rosenkranz abzubeten über ihre eigne Impotenz und die Potenz der Dinge. Die Epikureer sind konsequenter: wenn das Nichtwissen im Geiste liegt, so ist das Wissen kein Zuwachs der geistigen Natur, sondern ein gleichgiltiges für denselben, und das Göttliche für den, der nicht weiß, ist nicht die Bewegung des Wissens, sondern die Faulheit);

»oder, wie einige vermuten, da sie annehmen, daß dies eine Bemäntelung ihrer Unwissenheit sei. Denn in vielem wird Epikur als unwissend überführt und in den gewöhnlichen Gesprächen als auch nicht immer genau.« S. 1. Gegen die Mathematiker.

Nachdem Sextus Empiricus noch einige Klatschgeschichten beigebracht, die deutlich seine Verlegenheit beweisen, statuiert er folgendermaßen den Unterschied des skeptischen Verhaltens zur Wissenschaft gegen das epikureische:

»Die Anhänger des Pyrrho [nämlich kämpften gegen die Wissenschaft], weder weil sie nichts zur Weisheit beitrüge, denn diese Behauptung wäre dogmatisch, noch weil sie ungebildet waren. ... sie hatten dieselbe Einstellung gegenüber den Wissenschaften wie gegenüber der gesamten Philosophie

(Man sieht hier, wie μαθηματα |(mathemata) Wissenschaft| und φιλσοφια |(philosophia) Philosophie| zu unterscheiden und daß die Geringschätzung Epikurs gegen μαθηματα sich auf das erstreckt, was wir Kenntnisse nennen, wie genau mit suo systemati omni diese assertio consentit |seinem ganzen System diese Behauptung übereinstimmt|.)

»Denn ebenso wie sie sich an diese wandten in dem Wunsche, zur Wahrheit zu gelangen, aber als sie einer einem Kampf ähnlichen Anomalie der Dinge begegneten, sich zurückhaltend verhielten, so fanden sie auch, als sie sich auf die Wissenschaften stürzten, um sie in sich aufzunehmen, und auch das in ihnen enthaltene Wahre zu erfahren suchten, die gleichen Schwierigkeiten und verschleierten sie nicht.« S. 2. a.a.O.

In den »Pyrrhonischen Hypotyposen«[12] , liber I, caput XVII, wird auf treffende Art die Ätiologie, die besonders Epikur anwendet, widerlegt, so daß jedoch ebenso die eigne Impotenz der Skeptiker hervorsieht.

|73| »Vielleicht aber reichen auch die fünf Tropen der Enthaltung des Urteils gegen die Ätiologien aus. Denn entweder wird einer einen Grund angeben, der mit allen Richtungen der Philosophie und der Skepsis und den Phänomenen übereinstimmt, oder nicht. Und einen übereinstimmenden Grund anzugeben ist vielleicht nicht möglich.«

(Allerdings: einen Grund angeben, der erstens durchaus nichts ist als Phänomen, ist deswegen unmöglich, weil der Grund die Idealität des Phänomens, das aufgehobne Phänomen ist. Ebensowenig kann ein Grund mit der Skepsis übereinstimmen, weil die Skepsis der fachmäßige Widerspruch gegen alle Gedanken ist, das Aufheben des Bestimmens selbst. Naiv wird die Skepsis in die φαινομενα |(phainomena) Phänomene| zusammengestellt, denn das Phänomen ist das Verlorensein, das Nichtsein des Gedankens: die Skepsis ist dasselbe Nichtsein desselben als in sich reflektiert, aber das Phänomen ist an sich selbst verschwunden, es scheint nur, die Skepsis ist das sprechende Phänomen und verschwindet mit seinem Verschwinden, ist auch nur ein Phainomenon.)

»Denn sowohl über alle Phänomene als auch über alles Nichtoffenbare besteht Widerspruch. Wenn er aber widerspricht, wird er auch für diesen Grund nach dem Grund gefragt werden«

(d.h. der Skeptiker will einen Grund, der selbst nur Schein ist, also nicht Grund).

»Wenn er aber einen erscheinenden für einen erscheinenden oder einen nichtoffenbaren für einen nichtoffenbaren annimmt, verliert er sich ins Unendliche; [...]«

(d.h. weil der Skeptiker nicht aus dem Schein heraus und diesen als solchen festhalten will, kommt er nicht aus dem Schein heraus, und dies manœuvre kann ins Unendliche festgehalten werden; Epikur will zwar vom Atom zu weiteren Bestimmungen, aber weil er das Atom als solches nicht auflösen lassen will, kommt er nicht heraus über atomistische, sich selbst äußerliche und willkürliche Bestimmungen, der Skeptiker dagegen nimmt alle Bestimmungen auf, aber in der Bestimmtheit des Scheins; seine Beschäftigung ist also ebenso willkürlich und enthält überall dieselbe Dürftigkeit. Er schwimmt so zwar im ganzen Reichtum der Welt, aber er bleibt bei derselben Armut und ist selbst die lebendige Impotenz, die er in den Dingen sieht; Epikur entleert von vornherein die Welt, aber er endet so bei dem ganz Bestimmungslosen, der in sich ruhenden Leere, dem otiosen Gotte).

»Sobald er aber irgendwo stehenbleibt, wird er entweder sagen, was das Gesagte betreffe gelte der Grund und führt das Auf-etwas-Bezügliche ein, wobei er das Auf-die-Natur-Bezügliche aufhebt«

|75| (grade beim Schein, beim Phänomen ist das προς τι |(pros ti) Auf-etwas-Bezügliche| das προς την φυσιν |(pros ten physin) Auf-die-Natur-Bezügliche|);

»oder wenn er aus einer Voraussetzung etwas annimmt, wird ihm Einhalt geboten werden.« S. 36. Pyrrhonische Hypotyposen.

Wie den alten Philosophen die Meteore, der sichtbare Himmel, das Symbol und die Anschauung ihrer substantiellen Befangenheit, so daß selbst ein Aristoteles die Sterne für Götter nimmt, sie wenigstens in unmittelbare Verbindung mit der höchsten Energie bringt, so ist der geschriebne Himmel, das versiegelte Wort des im Lauf der Weltgeschichte sich offenbar gewordnen Gottes, das Losungswort zum Kampfe der christlichen Philosophie. Die Voraussetzung der Alten ist Tat der Natur, die der Modernen Tat des Geistes. Der Kampf der Alten konnte nur enden, indem der sichtbare Himmel, das substantielle Band des Lebens, die Schwerkraft der politischen und religiösen Existenz zertrümmert ward, denn die Natur muß entzweigeschlagen werden, damit der Geist sich in sich selbst eine. Griechen zerbrachen sie mit dem kunstreichen hephaistischen Hammer, schlugen sie in Statuen auseinander; der Römer tauchte sein Schwert in ihr Herz, und die Völker starben, aber die moderne Philosophie entsiegelt das Wort, läßt es verrauchen im heiligen Feuer des Geistes, und als Kämpfer des Geistes mit dem Geiste, nicht als vereinzelter aus der Schwerkraft der Natur gefallner Apostat wirkt sie allgemein und zerschmilzt die Formen, die das Allgemeine nicht hervorbrechen lassen.

III. Plutarch, herausgegeben von G. Xylander

Beweis, daß man nach Epikur nicht glücklich leben kann

Es versteht sich, daß von vorliegender Abhandlung des Plutarch nur wenig benutzt werden kann. Man muß nur die Einleitung lesen, die plumpe Renommisterei und krasse Auffassung der epikureischen Philosophie, um über die gänzliche Impotenz Plutarchs zur philosophischen Kritik keinen Zweifel übrigzubehalten.

Mag er mit Metrodorus' Ansicht immerhin übereinstimmen:

»Sie [d.h. die Epikureer] glauben, das höchste Gut seien der Bauch und all die andern Kanäle des Fleisches, durch die Lust und nicht Schmerz eindringt, und alle |77| schönen und weisen Erfindungen seien wegen der Lust des Bauches und der frohen Zuversicht hierauf gemacht worden [...] « S. 1087,

so ist dies minime |am wenigsten| Epikurs Lehre. Selbst Sextus Empiricus findet seinen Unterschied von der kyrenaischen Schule darin, daß er die volupta |Lust| als voluptas animi |Sinnenlust| festsetzt.

»[...] Epikur sagt: ›Oft lacht der Weise, wenn er krank ist, sogar über die größten körperlichen Leiden.‹ Wie können also für die, denen die Schmerzen des Körpers so unwichtig und gleichgültig sind, die Lustgefühle etwas Wesentliches bedeuten?« S. 1088.

Es ist klar, daß Plutarch Epikurs Konsequenz nicht versteht. Die höchste voluptas des Epikur ist das Freisein vom Schmerz, der Differenz, die Voraussetzungslosigkeit; der Körper, der keinen andern voraussetzt in der Empfindung, der diese Differenz nicht empfindet, ist gesund, positiv. Diese Position, die im otiosen Gotte des Epikur ihre höchste Form erhält, ist in der anhaltenden Krankheit von selbst da, indem durch die Dauer die Krankheit aufhört, Zustand zu sein, sozusagen familiär und eigentümlich wird. Wir haben gesehn in der Naturphilosophie des Epikur, daß er diese Voraussetzungslosigkeit, dieses Wegschieben der Differenz ebenso im Theoretischen als Praktischen erstrebt. Das höchste Gut des Epikur ist die αταραξια |(ataraxia) Ataraxie|, denn der Geist, um den es sich handelt, ist der empirisch einzelne. Plutarch faselt in Gemeinplätzen, er räsoniert wie ein Handwerksbursche.

Beiläufig können wir über die Bestimmung des σοφος |(sophos) Weisen| reden, der gleichmäßig ein Objekt der epikureischen, stoischen und skeptischen Philosophie ist. Aus seiner Betrachtung wird sich ergeben, daß er am konsequentesten in die atomistische Philosophie des Epikur gehört und daß auch von dieser Seite her der Untergang der antiken Philosophie in vollständiger Objektivierung bei Epikur sich darstellt.

Der Weise, σοφος, ist nach zwei Bestimmungen in der alten Philosophie zu begreifen, die aber beide eine Wurzel haben.

Was theoretisch in der Betrachtung der Materie erscheint, erscheint praktisch in der Bestimmung des σοφος. Die griechische Philosophie beginnt mit sieben Weisen, unter denen der jonische Naturphilosoph Thales sich befindet, und sie schließt mit dem Versuch, den Weisen begrifflich zu porträtieren. Anfang und Ende, aber nicht weniger das Zentrum, die Mitte, ist ein σοφος, nämlich Sokrates. Das ist kein exoterisches Faktum, daß um |79| diese substantiellen Individuen die Philosophie sich bewegt, gradesowenig, als daß Griechenland politisch untergeht zu der Zeit, wo Alexander seine Weisheit in Babylon verliert.

Da das griechische Leben und der griechische Geist zu ihrer Seele die Substanz haben, die in ihnen zuerst als freie Substanz erscheint, so fällt das Wissen von derselben in selbständige Existenzen, Individuen, die als merkwürdige einerseits den andren äußerlich gegenüberstehn, deren Wissen anderseits das inwendige Lebender Substanz und so ein den Bedingungen der Wirklichkeit, die sie umgibt, innerliches ist. Der griechische Philosoph ist ein Demiurgos, seine Welt ist eine andre als die in der natürlichen Sonne des Substantiellen blüht.

Die ersten Weisen sind nur die Behälter, die Pythia, aus denen die Substanz in allgemeinen, einfachen Geboten hervorklingt, ihre Sprache ist nur noch die der Substanz, die zu Worten gekommen ist, die einfachen Mächte des sittlichen Lebens, die sich offenbaren. Sie sind daher auch teilweise tätige Werkmeister des politischen Lebens, Gesetzgeber.

Die jonischen Naturphilosophen sind ebenso vereinzelte Erscheinungen, als die Form[en] des Naturelements erscheinen, unter welchen sie das All zu fassen suchen. Die Pythagoreer bilden sich ein innerliches Leben im Staate, die Form, in der sie ihr Wissen von der Substanz verwirklichen, steht in der Mitte zwischen der gänzlichen bewußten Isolierung, die nicht bei den Joniern ist, deren Isolierung vielmehr die unreflektierte, naive der elementarischen Existenzen ist, und dem vertrauensvollen Hinleben in der sittlichen Wirklichkeit. Die Form ihres Lebens ist selbst die substantielle, politische, nur abstrakt gehalten, in ein Minimum von Extension und naturhaften Grundlagen gebracht, wie ihr Prinzip, die Zahl, in der Mitte zwischen der farbigen Sinnlichkeit und dem Ideellen steht. Die Eleaten als die ersten Entdecker der idealen Formen der Substanz, die selbst noch in rein innerlicher und abstrakter, intensiver Weise die Innerlichkeit der Substanz begreifen, sind die vom Pathos begeisterten, prophetischen Verkünder der aufgehenden Morgenröte. In das einfache Licht versunken, wenden sie sich unwillig vom Volke ab und von den alten Göttern. Aber in Anaxagoras wendet sich das Volk selbst an die alten Götter gegen den einzelnen Weisen und erklärt ihn als solchen, indem es ihn von sich ausscheidet. Man hat dem Anaxagoras in neuerer Zeit (siehe z.B. »Ritter Geschichte der alten Philosophie«. Erster Band [. 1829. S. 300 ff.]) Dualismus vorgeworfen. Aristoteles sagt im ersten Buche der »Metaphysik«, daß er den νους |(nous) Nous| wie |81| eine Maschine gebrauche und nur da anwende, wo ihm natürliche Erklärungen ausgehn. Allein dieser Schein des Dualismus ist einerseits das Dualistische selbst, das das innerste Herz des Staats zu Anaxagoras' Zeit zu zerspalten anfängt, andrerseits muß er tiefer gefaßt werden. Der νους ist da tätig und wird da angewandt, wo die natürliche Bestimmtheit nicht ist. Er ist selbst das non ens |Nichtsein| des Natürlichen, die Idealität. Ferner aber tritt die Tätigkeit dieser Idealität nur da ein, wo dem Philosophen der physische Blick ausgeht, d.h. der νους ist der eigne νους des Philosophen, der sich da an die Stelle setzt, wo er seine Tätigkeit nicht mehr zu objektivieren weiß. Damit ist der subjektive νους hervorgetreten als Kern des fahrenden Scholasten, und in seiner Macht als Idealität der reellen Bestimmtheit erweist er sich einerseits in den Sophisten, andrerseits im Sokrates.

Wenn die ersten griechischen Weisen der eigne Spiritus, das verkörperte Wissen von der Substanz sind, wenn ihre Aussprüche ebenso in gediegner Intensität sich halten als die Substanz selbst, wenn, je nachdem die Substanz mehr und mehr idealisiert wird, die Träger ihres Fortschrittes ein ideelles Leben in ihrer partikularen Wirklichkeit gegen die Wirklichkeit der erscheinenden Substanz, des wirklichen Volkslebens geltend machen, so ist die Idealität selbst nur noch in der Form der Substanz. Es wird nicht gerüttelt an den lebendigen Mächten, die ideellsten dieser Periode, die Pythagoreer und Eleaten, preisen das Staatsleben als die wirkliche Vernunft; ihre Prinzipien sind objektiv, eine Macht, die über sie selber übergreift, die sie halb mysteriös, in poetischer Begeistrung, verkünden, d.i. in der Form, welche die natürliche Energie zur Idealität heraufbildet, sie nicht verzehrt, sondern bearbeitet und das Ganze in der Bestimmtheit des Natürlichen läßt. Diese Verkörperung der idealen Substanz geschieht in den Philosophen selbst, die sie verkünden, nicht nur ihr Ausdruck ist der plastisch-poetische, ihre Wirklichkeit ist diese Person, und ihre Wirklichkeit ist ihre eigne Erscheinung, sie selbst sind die lebendigen Bilder, die lebendigen Kunstwerke, die das Volk in plastischer Größe aus sich hervorgehn sieht; wo ihre Tätigkeit, wie bei den ersten Weisen, das Allgemeine bildet, da sind ihre Aussprüche die wirklich geltende Substanz, Gesetze.[13]

Diese Weisen sind daher ebensowenig populär wie die Statuen der olympischen Götter; ihre Bewegung ist die Ruhe in sich selbst, ihr Verhalten zum Volk ist dieselbe Objektivität wie ihr Verhalten zur Substanz. Die Orakelsprüche des delphischen Apollo waren nur so lange göttliche |83| Wahrheit für das Volk, nur so lange in das Helldunkel einer unbekannten Macht gehüllt, solange die eigne offenbare Macht des griechischen Geistes vom pythischen Dreifuß erklang; nur so lange verhielt sich das Volk theoretisch zu ihnen, als sie die eigne tönende Theorie des Volkes waren, sie waren nur so lange populär, als sie unpopulär waren. Ebenso diese Weisen. Allein mit den Sophisten und Sokrates, der δυναμις |(dynamis) Potenz, Kraft| nach im Anaxagoras, kehrt sich die Sache um. jetzt ist es die Idealität selbst, die in ihrer unmittelbaren Form, dem subjektiven Geiste, das Prinzip der Philosophie wird. Wenn in den früheren griechischen Weisen die ideale Form der Substanz, ihre Identität sich offenbarte gegen das bunte, aus verschiednen Völkerindividualitäten gewirkte Gewand ihrer erscheinenden Wirklichkeit, wenn daher diese Weisen einerseits das Absolute nur in den einseitigsten, allgemeinsten ontologischen Bestimmungen fassen, andrerseits selbst die Erscheinung der in sich abgeschloßnen Substanz in der Wirklichkeit an sich darstellen und so, wie sie ausschließend gegen die πολλοι |(polloi) Menge, Masse| sich verhalten, wie sie das redende Mysterium ihres Geistes sind, andrerseits gleich den plastischen Göttern auf den Marktplätzen in ihrer seligen Insichgekehrtheit zugleich die eignen Zierden des Volks sind und in ihrer Einzelnheit in es zurückfallen, so ist es jetzt hingegen die Idealität selbst,- die reine für sich gewordne Abstraktion, die der Substanz gegenübertritt; die Subjektivität, die sich als Prinzip der Philosophie hinstellt. Weil sie unpopulär ist, diese Subjektivität, gegen die substantiellen Mächte des Volkslebens gekehrt, ist sie populär, d.h. sie kehrt sich nach außen gegen die Wirklichkeit, ist praktisch in sie verwickelt, und ihre Existenz ist die Bewegung. Diese beweglichen Gefäße der Entwicklung sind die Sophisten. Ihre innerste, von den unmittelbaren Schlacken der Erscheinung gereinigte Gestalt ist Sokrates, den das delphische Orakel den σοφατατον |(sophotaton) Weisesten| nennt.

Indem ihre eigne Idealität der Substanz gegenübersteht, ist diese in eine Masse akzidenteller beschränkter Existenzen und Institutionen verfallen, deren Recht, die Einheit, die Identitas ihr gegenüber in die subjektiven Geister entwichen ist. Der subjektive Geist selbst ist so als solcher der Behälter der Substanz, aber weil diese Idealität der Wirklichkeit gegenübersteht, ist sie objektiv als ein Sollen in den Köpfen vorhanden, subjektiv als Streben. Der Ausdruck dieses subjektiven Geistes, der die Idealität in sich selbst zu haben weiß, ist das Urteil des Begriffs, das zum Maßstab des einzelnen das in sich selbst Bestimmte, den Zweck, das Gute hat, das hier aber noch ein Sollen der Wirklichkeit ist. Dieses Sollen der Wirklichkeit |85| ist ebenso ein Sollen des Subjekte, daß dieser Idealität sich bewußt geworden, denn es steht selbst in der Wirklichkeit, und die Wirklichkeit außer ihm ist sein. Die Stellung dieses Subjekts ist damit ebenso bestimmt wie sein Schicksal.

Erstens, daß diese Idealität der Substanz in den subjektiven Geist getreten, von ihr selbst abgefallen ist, ist ein Sprung, ein in dem substantiellen Leben selbst bedingter Abfall von demselben. Damit ist diese seine Bestimmung dem Subjekt selbst ein Geschehn, eine fremde Macht, als deren Träger es sich vorfindet, das Daimonion des Sokrates. Das Daimonion ist die unmittelbare Erscheinung davon, daß dem griechischen Leben die Philosophie ebensowohl ein nur Innerliches als nur Äußerliches ist. Durch die Bestimmung des Daimonions ist das Subjekt als empirisch einzelnes bestimmt, weil es das naturhafte Abbrechen von dem substantiellen, also naturbedingten Leben in diesem Leben ist, denn das Daimonion erscheint als Naturbestimmung. Die Sophisten sind selbst diese Dämonen, die sich noch nicht von ihrem Tun unterscheiden. Sokrates hat das Bewußtsein, das Daimonion in sich zu tragen. Sokrates ist die substantielle Weise, in der die Substanz sich selbst im Subjekt verliert. Er ist daher ein ebenso substantielles Individuum wie die früheren Philosophen, aber in der Weise der Subjektivität, nicht abgeschlossen, kein Götterbild, sondern ein menschliches, nicht mysteriös, sondern hell und licht, kein Seher, sondern ein leutseliger Herr.

Die zweite Bestimmung ist dann, daß dieses Subjekt ein Urteil des Sollens, des Zwecks fällt. Die Substanz hat ihre Idealität in den subjektiven Geist verloren, er ist so ihre Bestimmung in sich selbst geworden, ihr Prädikat, während sie selbst ihm gegenüber zur unmittelbaren, unberechtigten, nur seienden Verbindung von selbständigen Existenzen herabgesunken ist. Das Bestimmen des Prädikats, da es sich auf ein Seiendes bezieht, ist daher selbst unmittelbar, da dies Seiende der lebendige Volksgeist, so ist es praktisches Bestimmen der einzelnen Geister, Erziehung und Belehrung. Das Sollen der Substantialität ist die eigne Bestimmung des subjektiven Geistes, der es ausspricht; der Zweck der Welt ist also sein eigner Zweck, die Lehre von demselben ist sein Beruf. Er stellt den Zweck, das Gute also sowohl in seinem Leben wie in seiner Lehre an sich selbst dar. Er ist der Weise, wie er in praktische Bewegung getreten ist.

Endlich aber, indem dies Individuum das Urteil des Begriffs über die Weit fällt, ist es in sich selbst geteilt und verurteilt, denn es wurzelt einesteils selbst im Substantiellen, es hat das Recht seiner Existenz nur im Recht |87| seines Staates, seiner Religion, kurz aller substantiellen Bedingungen, die an ihm als seine Natur erscheinen. Andrerseits hat er in sich selbst den Zweck, der der Richter jener Substantialität ist. Seine eigne Substantialität ist also in ihm selbst verurteilt, und somit geht er zugrunde, eben weil der substantielle und nicht der freie Geist, der alle Widersprüche erträgt und überwältigt, der keine Naturbedingung anzuerkennen hat als solche, die Stätte seiner Geburt ist.

Sokrates ist deswegen so wichtig, weil sich das Verhältnis der griechischen Philosophie zum griechischen Geiste und daher ihre innere Schranke in sich selbst in ihm darstellt. Wie töricht es war, wenn in neuester Zeit das Verhältnis der Hegelschen Philosophie zum Leben mit ihm verglichen und daher die Berechtigung zu ihrer Verurteilung deduziert worden ist, ergibt sich von selbst. Das ist grade das spezifische Übel der griechischen Philosophie, daß sie in einem Verhältnis zum nur substantiellen Geiste steht; in unsrer Zeit sind beide Seiten Geist und wollen beide als solcher anerkannt sein.

Die Subjektivität tritt in ihrem unmittelbaren Träger als sein Leben und sein praktisches Wirken hervor, als eine Bildung, durch die er die einzelnen Individuen aus den Bestimmtheiten der Substantialität in die Bestimmung in sich selbst führt; diese praktische Tätigkeit abgerechnet, hat seine Philosophie keinen Inhalt als die abstrakte Bestimmung des Guten. Seine Philosophie ist sein Hinüberführen aus den substantial bestehenden Vorstellungen, Unterschieden etc. in die In-sich-selbst-Bestimmung, die aber weiter keinen Inhalt hat, als das Gefäß dieser auflösenden Reflexion zu sein; seine Philosophie ist daher wesentlich seine eigne Weisheit, sein eignes Gutsein in bezug auf die Welt [14] ist die alleinige Erfüllung seiner Lehre vom Guten, eine ganz andre Subjektivität, als wenn Kant seinen kategorischen Imperativ aufstellt. Da ist es gleichgültig, wie er als empirisches Subjekt sich zu diesem Imperativ verhält.

Die Bewegung wird bei Plato eine ideelle; wie Sokrates das Bild und Lehrer der Welt, so Platos Ideen, seine philosophische Abstraktion, die Urbilder derselben.

Im Plato wirft sich diese abstrakte Bestimmung des Guten, des Zwecks in eine extensive, die Welt umfassende Philosophie auseinander. Der Zweck, als die Bestimmung in sich, das wirkliche Wollen des Philosophen ist das Denken, die realen Bestimmungen dieses Guten sind die immanenten Gedanken. Das wirkliche Wollen des Philosophen, die in ihm tätige Idealität ist das wirkliche Sollen der realen Welt. Plato schaut dies sein Verhältnis |89| zur Wirklichkeit so an, daß ein selbständiges Reich der Ideen über der Wirklichkeit (und dies Jenseits ist die eigne Subjektivität des Philosophen) schwebt und in ihr sich verdunkelt abspiegelt. Wenn Sokrates nur den Namen der Idealität, die aus der Substanz in das Subjekt übergetreten ist, entdeckt hat und selbst noch diese Bewegung mit Bewußtsein war, so tritt die substantiale Welt der Wirklichkeit nun wirklich idealisiert in das Bewußtsein Platos ein, aber damit ist diese ideale Welt selbst ebenso einfach in sich gegliedert, wie es die ihr gegenüberstehende wirklich substantiale Welt ist, wovon Aristoteles aufs treffendste bemerkt:

(Metaphysik I. Kap. IX) »Denn die Ideen sind fast ebenso und nicht weniger zahlreich als die Dinge, von denen die, die nach ihren Ursachen suchten, zu den Ideen fortschritten.«

Ihre Bestimmtheit und Gliederung in sich ist daher dem Philosophen selbst ein Jenseitiges, die Bewegung ist aus dieser Welt hinausgefallen.

»Und wenn auch die Ideen existieren, entsteht trotzdem nicht das, was an ihnen teilhat, wenn das, was bewegt, nicht da ist [...].« Aristoteles a.a.O.

Der Philosoph als solcher, d.i. als der Weise, nicht als die Bewegung des wirklichen Geistes überhaupt, ist also die jenseitige Wahrheit der substantialen Welt, die ihm gegenübersteht. Plato bringt sich dies aufs bestimmteste zur Anschauung, wenn er sagt, entweder müßten die Philosophen Könige oder die Könige Philosophen werden, damit der Staat seine Bestimmung erreiche. In seiner eignen Stellung [zu] einem Tyrannen ist ein solcher Versuch seinerseits gemacht worden. Sein Staat hat auch als besondren und obersten Stand den Stand der Wissenden.

Zwei andere Bemerkungen, die Aristoteles macht, will ich hier noch erwähnen, weil sie über die Form des platonischen Bewußtseins die wichtigsten Aufschlüsse geben und zusammenhängen mit der Seite, nach welcher wir es in bezug auf den σοφος betrachten.

Aristoteles sagt von Plato:

»Im ›Phaedon‹ aber heißt es, Ursachen sowohl des Seins wie des Entstehens seien die Ideen. Und wenn auch die Ideen existieren, entsteht trotzdem nicht das, was an ihnen teilhat, wenn das, was bewegt, nicht da ist [...] .« a.a.O.

Es sind nicht nur Seiende, es ist die Sphäre des Seins, die Plato in die Idealität hinaustragen will: diese Idealität ist ein verschloßnes, spezifisch unterschiednes Reich im philosophierenden Bewußtsein selbst: weil es dies ist, fehlt ihm die Bewegung.

|91| Dieser Widerspruch im philosophierenden Bewußtsein muß sich ihm selbst objektivieren, es muß diesen Widerspruch aus sich herauswerfen.

»Ferner wären die Ideen nicht nur Vorbilder für die sinnlichen Dinge, sondern auch für die Ideen selbst, z.B. die Gattung als Gattung von Ideen, so daß dasselbe Vorbild und Abbild zugleich wäre.« [a.a.O.]

Lucretius über die alten jonischen Philosophen:

»[...] manch trefflichen Fund vom göttlichen Geiste getrieben
Öfter sie haben getan und aus ihrem innersten Herzen
Sprüche verkündet, die uns weit hehrer und wahrer erklingen,
Als was die Pythia spricht von Apollos Lorbeer und Dreifuß.«

V. 737-740. Buch I.

Wesentlich zur Bestimmung der epikureischen Naturphilosophie ist:

1. Die Ewigkeit der Materie, die damit zusammenhängt, daß die Zeit als Akzidens der Akzidenzien [15], als nur den Zusammensetzungen und ihren zufälligen eventis |Ereignissen; Wirkungen| zukommend betrachtet, also außerhalb des materialen Prinzips, des Atoms selbst verlegt wird. Dies hängt weiter damit zusammen, daß die Substanz der epikureischen Philosophie das nur äußerlich Reflektierende, die Voraussetzungslosigkeit, Willkür und Zufälligkeit ist. Die Zeit ist vielmehr das Schicksal der Natur, des Endlichen. Die negative Einheit mit sich, ihre innerliche Notwendigkeit.

2. Das Leere, die Negation ist nicht das Negative der Materie selbst, sondern da, wo sie nicht ist. Sie ist also auch in dieser Beziehung in sich selbst ewig.

Die Gestalt, die wir am Schlusse aus der Werkstätte des griechisch-philosophischen Bewußtseins hervortreten sehn, aus dem Dunkel der Abstraktion und in ihre dunkele Tracht gehüllt, ist dieselbe, in welcher die griechische Philosophie lebendig über die Weltbühne schritt, dieselbe Gestalt, die selbst im brennenden Kamin Götter sah, dieselbe, die den Giftbecher trank, dieselbe, die als der Gott des Aristoteles der höchsten Seligkeit, der Theorie, genießt.


Reaktionelle Anmerkungen

[1] »zur Seligkeit« kommentierender Zusatz in Gassendis lateinischer Übersetzung <=

[2] In der Handschrift folgt hier nach dem Semikolon der Satzteil nochmals in der lateinischen Übersetzung Gassendis <=

[3] Bemerkung von Marx <=

[4] In der Handschrift folgt hier in runden Klammern der letzte Satzteil in Gassendis lateinischer Übersetzung <=

[5] Nicht eindeutig zu entziffern <=

[6] Nicht eindeutig zu entziffern <=

[7] In der Handschrift: seiner <=

[8] In der Handschrift: seiner <=

[9] In der Handschrift: fassen <=

[10] Nicht eindeutig zu entziffern <=

[11] Bemerkung von Marx <=

[12] In der Handschrift immer: Hypothesen <=

[13] Hier folgt der Verweis: (Siehe folgende Seite) <=

[14] »in bezug auf die Welt« in der Handschrift anscheinend gestrichen <=

[15] In der Handschrift immer: Accidenzen <=


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