15. Kapitel. Größenwechsel von Preis der Arbeitskraft und Mehrwert | Inhalt | 17. Kapitel. Verwandlung von Wert resp. Preis der Arbeitskraft in Arbeitslohn
Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 23, "Das Kapital", Bd. I, Fünfter Abschnitt, S. 553 - 556SECHZEHNTES KAPITEL
Verschiedne Formeln für die Rate des Mehrwerts
<553> Man hat gesehn, daß die Rate des Mehrwerts sich darstellt in den Formeln:
I.
Mehrwert
/Variables Kapital (m/v)Die zwei ersten Formen stellen als Verhältnis von Werten dar, was die dritte als Verhältnis der Zeiten, worin diese Werte produziert werden. Diese einander ersetzenden Formeln sind begrifflich streng. Man findet sie daher wohl der Sache nach, aber nicht bewußt ausgearbeitet in der klassischen politischen Ökonomie. Hier begegnen wir dagegen den folgenden abgleiteten Formeln:
II.
Mehrarbeit
/Arbeitstag <In der autorisierten französischen Ausgabe setzt Marx diese erste Formel in Klammern, "weil sich der Begriff der Mehrarbeit in der bürgerlichen politischen Ökonomie nicht klar ausgedrückt findet".>Eine und dieselbe Proportion ist hier abwechselnd ausgedrückt in der Form der Arbeitszeiten, der Werte, worin sie sich verkörpern, der Produkte, worin diese Werte existieren. Es wird natürlich unterstellt, daß unter Wert des Produkts nur das Wertprodukt des Arbeitstags zu verstehn, der konstante Teil des Produktenwerts aber ausgeschlossen ist.
In allen diesen Formeln ist der wirkliche Exploitationsgrad der Arbeit oder die Rate des Mehrwerts falsch ausgedrückt. Der Arbeitstag sei 12 Stunden. Mit den andren Annahmen unsres früheren Beispiels stellt sich in diesem Fall der wirkliche Exploitationsgrad der Arbeit dar in den Proportionen:
6 Stunden Mehrarbeit
/6 Stunden notwendige Arbeit<554> Nach den Formeln II erhalten wir dagegen:
6 Stunden Mehrarbeit
/Arbeitstag von 12 StundenDiese abgeleiteten Formeln drücken in der Tat die Proportion aus, worin der Arbeitstag oder sein Wertprodukt sich zwischen Kapitalist und Arbeiter teilt. Gelten sie daher als unmittelbare Ausdrücke des Selbstverwertungsgrades des Kapitals, so gilt das falsche Gesetz: Die Mehrarbeit oder der Mehrwert kann nie 100% erreichen.(17) Da die Mehrarbeit stets nur einen aliquoten Teil des Arbeitstags oder der Mehrwert stets nur einen aliquoten Teil des Wertprodukts bilden kann, ist die Mehrarbeit notwendigerweise stets kleiner als der Arbeitstag oder der Mehrwert stets kleiner als das Wertprodukt. Um sich zu verhalten wie 100/100, müßten sie aber gleich sein. Damit die Mehrarbeit den ganzen Arbeitstag absorbiere (es handelt sich hier um den Durchschnittstag der Arbeitswoche, des Arbeitsjahrs usw.), müßte die notwendige Arbeit auf Null sinken. Verschwindet aber die notwendige Arbeit, so verschwindet auch die Mehrarbeit, da letztre nur eine Funktion der ersten. Die Proportion Mehrarbeit/Arbeitstag = Mehrwert/Wertprodukt kann also niemals die Grenze 100/100 erreichen und noch weniger auf 100+x/100 steigen. Wohl aber die Rate des Mehrwerts oder der wirkliche Exploitationsgrad der Arbeit. Nimm z.B. die Schätzung des Herrn L. de Lavergne, wonach <555> der englische Ackerbauarbeiter nur 1/4, der Kapitalist (Pächter) dagegen 3/4 des Produkts (18) oder seines Werts erhält, wie die Beute sich immer zwischen Kapitalist und Grundeigentümer usw. nachträglich weiter verteilt. Die Mehrarbeit des englischen Landarbeiters verhält sich danach zu seiner notwendigen Arbeit = 3 : 1, ein Prozentsatz der Exploitation von 300%.
Die Schulmethode, den Arbeitstag als konstante Größe zu behandeln, wurde durch Anwendung der Formeln II befestigt, weil man hier die Mehrarbeit stets mit einem Arbeitstag von gegebner Größe vergleicht. Ebenso, wenn die Teilung des Wertprodukts ausschließlich ins Auge gefaßt wird. Der Arbeitstag, der sich bereits in einem Wertprodukt vergegenständlicht hat, ist stets ein Arbeitstag von gegebenen Grenzen.
Die Darstellung von Mehrwert und Wert der Arbeitskraft als Bruchteilen des Wertprodukts - eine Darstellungsweise, die übrigens aus der kapitalistischen Produktionsweise selbst erwächst und deren Bedeutung sich später erschließen wird - versteckt den spezifischen Charakter des Kapitalverhältnisses, nämlich den Austausch des variablen Kapitals mit der lebendigen Arbeitskraft und den entsprechenden Ausschluß des Arbeiters vom Produkt. An die Stelle tritt der falsche Schein eines Assoziationsverhältnisses, worin Arbeiter und Kapitalist das Produkt nach dem Verhältnis seiner verschiednen Bildungsfaktoren teilen.(19)
Übrigens sind die Formeln II stets in die Formeln I rückverwandelbar. Haben wir z.B. Mehrarbeit von 6 Stunden/Arbeitstag von 12 Stunden, so ist die notwendige Arbeitszeit = Arbeitstag von zwölf Stunden minus Mehrarbeit von sechs Stunden, und so ergibt sich:
Mehrarbeit von 6 Stunden
/Notwendige Arbeit von 6 Stunden = 100/100.<556> Eine dritte Formel, die ich gelegentlich schon antizipiert habe, ist:
III.
Mehrwert
/Wert der ArbeitskraftDas Kapital ist also nicht nur Kommando über Arbeit, wie A. Smith sagt. Es ist wesentlich Kommando über unbezahlte Arbeit. Aller Mehrwert, in welcher besondern Gestalt von Profit, Zins, Rente usw. er sich später kristallisiere, ist seiner Substanz nach Materiatur unbezahlter Arbeitszeit. Das Geheimnis von der Selbstverwertung des Kapitals löst sich auf in seine Verfügung über ein bestimmtes Quantum unbezahlter fremder Arbeit.
Fußnoten
(17) So z.B. in "Dritter Brief an v. Kirchmann von Rodbertus. Widerlegung der Ricardo'schen Theorie von der Grundrente und Begründung einer neuen Rententheorie", Berlin 1851. Ich komme später auf diese Schrift zurück, die trotz ihrer falschen Theorie von der Grundrente das Wesen der kapitalistischen Produktion durchschaut. - {Zusatz zur 3. Auf. - Man sieht hier, wie wohlwollend Marx seine Vorgänger beurteilte, sobald er bei ihnen einen wirklichen Fortschritt, einen richtigen neuen Gedanken fand. Inzwischen hat die Veröffentlichung der Rodbertusschen Briefe an Rud. Meyer obige Anerkennung einigermaßen eingeschränkt. Da heißt es: "Man muß das Kapital nicht bloß vor der Arbeit, sondern auch vor sich selbst retten, und das geschieht in der Tat am besten, wenn man die Tätigkeit des Unternehmer-Kapitalisten als volks- und staatswirtschaftliche Funktionen auffaßt, die ihm durch das Kapitaleigentum delegiert sind, und seinen Gewinn als eine Gehaltsform, weil wir noch keine andre soziale Organisation kennen. Gehälter dürfen aber geregelt werden und auch ermäßigt, wenn sie dem Lohn zu viel nehmen. So ist auch der Einbruch von Marx in die Gesellschaft - so möchte ich sein Buch nennen - abzuwehren ... Überhaupt ist das Marxsche Buch nicht sowohl eine Untersuchung über das Kapital als eine Polemik gegen die heutige Kapitalform, die er mit dem Kapitalbegriff selbst verwechselt, woraus eben seine Irrtümer entstehn." ("Briefe etc. von Dr. Rodbertus-Jagetzow", herausgg. von Dr. Rud. Meyer, Berlin 1881, I. Bd., p.111, 48. Brief von Rodbertus.) - In solchen ideologischen Gemeinplätzen versanden die in der Tat kühnen Anläufe der R.'schen "sozialen Briefe". -F. E.}<=
(18) Der Teil des Produkts, der nur das ausgelegte konstante Kapital ersetzt, ist bei dieser Rechnung selbstverständlich abgezogen. - Herr L. de Lavergne, blinder Bewunderer Englands, gibt eher zu niedriges als zu hohes Verhältnis. <=
(19) Da alle entwickelten Formen des kapitalistischen Produktionsprozesses Formen der Kooperation sind, ist natürlich nichts leichter, als von ihrem spezifisch antagonistischen Charakter zu abstrahieren und sie so in freie Assoziationsformen umzufabeln, wie in des Grafen A. de Laborde, "De l'Esprit de l'Association dans tours les intérêts de la Communauté, Paris 1818. Der Yankee H. Carey bringt dies Kunststück mit demselben Erfolg gelegentlich selbst für die Verhältnisse des Sklavensystems fertig. <=
(20) Obgleich die Physiokraten das Geheimnis des Mehrwerts nicht durchschauten, war ihnen doch so viel klar, daß er "ein unabhängiger und verfügbarer Reichtum ist, den er" (der Besitzer davon) "nicht gekauft hat und den er verkauft". (Turgot, "Réflexions sur la Formation et la Distribution des Richesses", p. 11.) <=