MLWerke Marx/Engels - Werke Artikel und Korrespondenzen 1894

Seitenzahlen verweisen auf:    Karl Marx/Friedrich Engels - Werke. (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 22, 3. Auflage 1972, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1963, Berlin/DDR. S. 416-418.
Korrektur:    1
Erstellt:    06.04.1999

Friedrich Engels

Vorwort [zur Broschüre "Internationales aus dem 'Volksstaat' (1871-75)"]

Nach: "Internationales aus dem 'Volksstaat' (1871-75)", Berlin 1894.


|416| Die nachfolgenden Aufsätze haben außer dem Umstand, daß sie alle für den "Volksstaat" geschrieben wurden, noch das gemeinsam, daß sie alle außerdeutsche, internationale Dinge behandeln.

Der erste: "Abermals 'Herr Vogt'", bildet den Abschluß der 1859-1860 zwischen diesem falschen Naturforscher und Republikaner, aber echten vulgärliberalen Bonapartisten und Buchfabrikanten und Marx über den italienischen Krieg geführten Polemik. Dieser Aufsatz hat besagtem Herrn Vogt endgültig den Charakter eines bezahlten bonapartistischen Agenten aufgedrückt, wofür Marx im "Herr Vogt" 1860 selbstredend nur indirekte Beweise beibringen konnte.

Der zweite Aufsatz: "Die Bakunisten an der Arbeit", der die Aktion der Anarchisten während des Aufstandes vom Juli 1873 in Spanien schildert, ist früher als besondre Broschüre erschienen. Wenn auch die anarchistische Karikatur der Arbeiterbewegung längst ihren Höhepunkt überschritten hat, so sind doch die Regierungen in Europa und Amerika viel zu sehr bei ihrem Fortleben interessiert und lassen sich ihre Unterstützung viel zuviel Geld kosten, als daß wir jede Rücksichtnahme auf die anarchistischen Heldentaten beiseite lassen könnten. Daher wird der Artikel hier wieder abgedruckt.

Die "Polnische Proklamation" behandelt eine Seite der Beziehungen Deutschlands zum Osten Europas, die heute nur zu oft übersehn wird, die aber nicht vernachlässigt werden darf, wenn man diese Beziehungen richtig beurteilen will.

Die Kritik des blanquistischen Flüchtlingsprogramms von 1874 hat grade jetzt wieder ein besondres Interesse, wo neben Vertretern der andern sozialistischen Gruppen auch eine kleine Anzahl Blanquisten ihren Einzug |417| in die französische Deputiertenkammer gehalten hat, an ihrer Spitze unser Freund Vaillant. Die Blanquisten haben seit ihrer Rückkehr nach Frankreich 1880 einmal entscheidend in die Ereignisse eingegriffen, nämlich 1887, am Tage der letzten Präsidentenwahl nach Grevys Abdankung. Die Majorität der Nationalversammlung war für Jules Ferry, einen der infamsten unter den infamen Unterdrückern der Kommune und einen der vollendetsten Vertreter jener opportunistischen Bourgeoisie, die Frankreich nur regieren will, um es und seine Kolonien auszusaugen. Damals bereitete sich in Paris ein Aufstand vor, der, im Einverständnis mit den radikalen Deputierten, vom Pariser Gemeinderat geleitet werden sollte; die militärische Organisation aber war in den Händen der Blanquisten, die das Offizierskorps lieferten und deren militärischer Führer, der Kommunegeneral Eudes, das Kommando übernahm und in einem Café neben dem Stadthaus sein Generalstabsbüro etabliert hatte. Vor diesem drohenden Aufstand gaben die Opportunisten nach und wählten Carnot.

Auch neuerdings, während der Anwesenheit der russischen Flottengäste in Paris, zeichnete sich das Wochenblatt der Blanquisten, "Le Parti socialiste", durch eine kühne, allen chauvinistischen Vorurteilen trotzende Haltung ruhmvoll aus. Diese Haltung gibt uns die Garantie, daß die blanquistische Gruppe der Kammer unter Vaillants Leitung dem Zusammenwirken aller dort vertretenen sozialistischen Gruppen und ihrer Vereinigung zu einer starken sozialistischen Fraktion den besten Willen entgegenbringt.

Man wird bemerken, daß in allen diesen Aufsätzen und namentlich in diesem letztem ich mich durchweg nicht einen Sozialdemokraten nenne, sondern einen Kommunisten. Dies, weil damals in verschiednen Ländern Leute sich Sozialdemokraten nannten, die keineswegs die Übernahme sämtlicher Produktionsmittel durch die Gesellschaft auf ihre Fahne geschrieben hatten. In Frankreich verstand man unter einem Sozialdemokraten einen demokratischen Republikaner mit mehr oder weniger waschechten, aber immer unbestimmbaren Sympathien für die Arbeiterklasse, also Leute wie Ledru-Rollin 1848 und die proudhonistisch angehauchten "radikalen Sozialisten" von 1874. In Deutschland nannten sich die Lassalleaner Sozialdemokraten; aber obwohl die Masse derselben mehr und mehr die Notwendigkeit der Vergesellschaftung der Produktionsmittel einsah, blieben die spezifisch lassalleschen Produktionsgenossenschaften mit Staatshülfe doch der einzige öffentlich anerkannte Programmpunkt. Für Marx und mich war es daher rein unmöglich, zur Bezeichnung unseres speziellen Standpunkts einen Ausdruck von solcher Dehnbarkeit zu wählen. Heute |418| ist das anders, und so mag das Wort passieren, so unpassend es bleibt für eine Partei, deren ökonomisches Programm nicht bloß allgemein sozialistisch, sondern direkt kommunistisch, und deren politisches letztes Endziel die Überwindung des ganzen Staates, also auch der Demokratie ist. Die Namen wirklicher politischer Parteien stimmen aber nie ganz; die Partei entwickelt sich, der Name bleibt.

Der letzte Aufsatz: "Soziales aus Rußland", 1875 ebenfalls im Sonderabdruck als Broschüre erschienen, konnte unmöglich wiederabgedruckt werden, ohne ein mehr oder weniger ausführliches Nachwort. Die Frage nach der Zukunft der russischen Bauerngemeinde beschäftigt mehr als je alle Russen, die sich um die ökonomische Entwicklung ihres Landes kümmern. Unter den russischen Sozialisten hat der von mir zitierte Brief von Marx die verschiedenartigsten Deutungen erfahren. Noch neuerdings ist mir mehrfach von Russen des In- und Auslandes die Aufforderung zugekommen, über diese Frage meine Ansicht zu äußern. Ich habe mich lange gesträubt, da ich nur zu gut weiß, wie ungenügend meine Kenntnisse der Einzelheiten der ökonomischen Lage Rußlands sind; wie soll ich den dritten Band des "Kapital" fertigstellen und daneben die wahrhaft kolossale Literatur durchstudieren, worin das alte Rußland, wie Marx zu sagen liebte, vor seinem Ableben sein Inventar aufnimmt? Nun gut, der Wiederabdruck des "Sozialen aus Rußland" wird dringend gewünscht, und dieser Umstand nötigt mich, zur Ergänzung jenes alten Aufsatzes den Versuch zu machen, aus der geschichtlich vergleichenden Untersuchung der heutigen ökonomischen Lage Rußlands einige Schlüsse zu ziehen. Sind sie auch nicht unbedingt zugunsten einer großen Zukunft der russischen Gemeinde ausgefallen, so suchen sie doch auch andrerseits die Ansicht zu begründen, daß die herannahende Auflösung der kapitalistischen Gesellschaft im Westen auch Rußland in die Lage bringen wird, seinen jetzt unvermeidlich werdenden Durchgang durch den Kapitalismus bedeutend abzukürzen.

London, den 3. Januar 1894

F. Engels


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