MLWerke Marx/Engels - Werke Artikel und Korrespondenzen 1886

Seitenzahlen verweisen auf:    Karl Marx/Friedrich Engels - Werke. (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 21, 5. Auflage 1975, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1962, Berlin/DDR. S. 491-509.
Korrektur:    1
Erstellt:    20.03.1999

Friedrich Engels/Karl Kautsky

Juristen-Sozialismus

Geschrieben November bis Anfang Dezember 1886.
Nach: "Die Neue Zeit", Heft 2, Jahrgang 1887.


|491| Die Weltanschauung des Mittelalters war wesentlich theologisch. Die Einheit der europäischen Welt, die nach innen tatsächlich nicht bestand, wurde gegen außen, gegen den sarazenischen allgemeinen Feind, hergestellt durch das Christentum. Die Einheit der westeuropäischen Welt, die eine Gruppe von in steter Wechselbeziehung sich entwickelnden Völkern bildete, wurde zusammengefaßt im Katholizismus. Diese theologische Zusammenfassung war nicht nur ideell. Sie bestand wirklich, nicht nur im Papst, ihrem monarchischen Mittelpunkt, sondern vor allem in der feudal und hierarchisch organisierten Kirche, die in jedem Land als Besitzerin von etwa einem Drittel des Bodens eine gewaltige Machtstellung in der feudalen Organisation innehatte. Die Kirche mit ihrem feudalen Grundbesitz war das reale Band zwischen den verschiedenen Ländern, die feudale Organi- |492| sation der Kirche gab der weltlich-feudalen Staatsordnung die religiöse Weihe. Die Geistlichkeit war zudem die einzige gebildete Klasse. Es war also selbstverständlich, daß das Dogma der Kirche Ausgangspunkt und Basis alles Denkens war. Juristerei, Naturwissenschaft, Philosophie, alles wurde darnach erledigt, ob der Inhalt mit den Lehren der Kirche stimmte oder nicht.

Aber im Schoße der Feudalität entwickelte sich die Macht des Bürgertums. Eine neue Klasse trat auf gegen die großen Grundbesitzer. Die Städtebürger waren vor allem und ausschließlich Warenproduzenten und Warenhändler, während die feudale Produktionsweise wesentlich auf dem Selbstverbrauch der innerhalb eines beschränkten Kreises erzeugten Produkte - teils durch die Produzenten, teils durch die feudalen Tributerheber - beruhte. Die katholische, auf den Feudalismus zugeschnittene Weltanschauung konnte dieser neuen Klasse und ihren Produktions- und Austauschbedingungen nicht mehr genügen. Dennoch blieb auch sie noch längere Zeit in den Banden der allmächtigen Theologie befangen. Die sämtlichen Reformationen und die sich daran knüpfenden, unter religiöser Firma geführten Kämpfe, vom 13. bis ins 17. Jahrhundert, sind nach ihrer theoretischen Seite nichts als wiederholte Versuche des Bürgertums, der Städteplebejer und der im Anschluß an beide rebellisch gewordenen Bauern, die alte, theologische Weltanschauung den veränderten ökonomischen Bedingungen und der Lebenslage der neuen Klasse anzupassen. Aber es ging nicht. Die religiöse Fahne flatterte zum letzten Mal in England im 17. Jahrhundert, und kaum fünfzig Jahre später trat in Frankreich die neue Weltanschauung ungeschminkt auf, die die klassische der Bourgeoisie werden sollte, die juristische Weltanschauung.

Sie war eine Verweltlichung der theologischen. An die Stelle des Dogmas, des göttlichen Rechts trat das menschliche Recht, an die der Kirche der Staat. Die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse, die man sich früher, weil von der Kirche sanktioniert, als durch die Kirche und das Dogma geschaffen vorgestellt hatte, stellte man sich jetzt vor als auf das Recht begründet und durch den Staat geschaffen. Weil der Austausch von Waren auf gesellschaftlichem Maßstab und in seiner vollen Ausbildung, namentlich durch Vorschuß- und Kreditgeben, verwickelte gegenseitige Vertragsverhältnisse erzeugt und damit allgemein gültige Regeln erfordert, die nur durch die Gemeinschaft gegeben werden können - staatlich festgesetzte Rechtsnormen -, deshalb bildete man sich ein, daß diese Rechtsnormen nicht aus den ökonomischen Tatsachen entsprängen, sondern aus der formellen Festsetzung durch den Staat. Und weil die Konkurrenz, die Grundverkehrsform freier Warenproduzenten, die größte Gleichmacherin ist, wurde Gleichheit vor dem Gesetz der Hauptschlachtruf der Bourgeoisie. Die Tatsache, daß der Kampf dieser neu aufstrebenden Klasse gegen die Feudalherrn und die sie damals schützende absolute Monarchie, wie jeder |493| Klassenkampf, ein politischer Kampf, ein Kampf um den Besitz des Staates sein, um Rechtsforderungen geführt werden mußte, trug dazu bei, die juristische Weltanschauung zu befestigen.

Aber die Bourgeoisie erzeugte ihren negativen Doppelgänger, das Proletariat, und mit ihm einen neuen Klassenkampf, der schon ausbrach, ehe die Bourgeoisie sich die politische Macht vollständig erobert hatte. Wie ihrerzeit die Bourgeoisie im Kampf gegen den Adel die theologische Weltanschauung noch eine Zeitlang aus Überlieferung mitgeschleppt hatte, so übernahm das Proletariat anfangs vom Gegner die juristische Anschauungsweise und suchte hierin Waffen gegen die Bourgeoisie. Die ersten proletarischen Parteibildungen wie ihre theoretischen Vertreter blieben durchaus auf dem juristischen "Rechtsboden", nur daß sie sich einen anderen Rechtsboden zusammenkonstruierten, als der der Bourgeoisie war. Einerseits wurde die Forderung der Gleichheit dahin ausgedehnt, daß die rechtliche Gleichheit durch die gesellschaftliche zu ergänzen sei; anderseits wurde aus den Sätzen Adam Smiths, daß die Arbeit die Quelle alles Reichtums, das Produkt der Arbeit aber vom Arbeiter geteilt werden müsse mit dem Grundbesitzer und dem Kapitalisten, der Schluß gezogen, daß diese Teilung unrecht sei und entweder abgeschafft oder doch zugunsten der Arbeiter modifiziert werden müsse. Das Gefühl aber, daß diese Belassung der Frage auf dem bloßen juristischen "Rechtsboden" keineswegs eine Beseitigung der durch die bürgerlich-kapitalistische, und namentlich durch die modern-großindustrielle Produktionsweise geschaffenen Übelstände möglich mache, führte schon die bedeutendsten Köpfe unter den früheren Sozialisten - Saint-Simon, Fourier und Owen - dahin, das juristisch-politische Gebiet ganz zu verlassen und allen politischen Kampf für unfruchtbar zu erklären.

Beide Auffassungen waren gleich ungenügend, die durch die wirtschaftliche Lage geschaffenen Emanzipationsbestrebungen der Arbeiterklasse entsprechend auszudrücken und vollständig zusammenzufassen. Die Forderung der Gleichheit nicht minder wie die des vollen Arbeitsertrages verliefen sich in unlösliche Widersprüche, sobald sie juristisch im einzelnen formuliert werden sollten, und ließen den Kern der Sache, die Umgestaltung der Produktionsweise, mehr oder weniger unberührt. Die Zurückweisung des politischen Kampfes durch die großen Utopisten war gleichzeitig eine Zurückweisung des Klassenkampfes, also der einzig möglichen Betätigungsweise der Klasse, in deren Interesse sie auftraten. Beide Anschauungen abstrahierten von dem geschichtlichen Hintergrund, dem sie ihr Dasein verdankten; beide appellierten an das Gefühl; die einen an das Rechtsgefühl, die anderen an das Menschlichkeitsgefühl. Beide kleideten ihre Forderungen in die Form frommer Wünsche, von denen nicht zu sagen war, weshalb sie gerade jetzt durchgeführt werden sollten und nicht tausend Jahre früher oder später.

|494| Die Arbeiterklasse, die durch die Verwandlung der feudalen Produktionsweise in die kapitalistische alles Eigentums an den Produktionsmitteln entkleidet wurde und durch den Mechanismus der kapitalistischen Produktionsweise stets in diesem erblichen Zustand der Eigentumslosigkeit wieder erzeugt wird, kann in der juristischen Illusion der Bourgeoisie ihre Lebenslage nicht erschöpfend zum Ausdruck bringen. Sie kann diese Lebenslage nur vollständig selbst erkennen, wenn sie die Dinge ohne juristisch gefärbte Brille in ihrer Wirklichkeit anschaut. Hierzu aber verhalf ihr Marx mit seiner materialistischen Geschichtsauffassung, mit dem Nachweis, daß alle juristischen, politischen, philosophischen, religiösen etc. Vorstellungen der Menschen in letzter Instanz aus ihren wirtschaftlichen Lebensbedingungen, aus ihrer Weise zu produzieren und die Produkte auszutauschen, abgeleitet sind. Hiermit war die der Lebens- und Kampfeslage des Proletariats entsprechende Weltanschauung gegeben; der Eigentumslosigkeit der Arbeiter konnte nur die Illusionslosigkeit ihrer Köpfe entsprechen. Und diese proletarische Weltanschauung macht jetzt die Reise um die Welt.

Begreiflich dauert der Kampf der beiden Weltanschauungen fort; nicht nur zwischen Proletariat und Bourgeoisie, sondern auch zwischen frei denkenden und noch von alter Tradition beherrschten Arbeitern. Im ganzen wird hier die alte Auffassung verteidigt durch gewöhnliche Politiker mit den landläufigen Argumenten. Nun gibt es aber auch sogenannte wissenschaftliche Juristen, die aus der Juristerei einen eigenen Beruf machen.(1)

Bisher hatten sich diese Herrn zu vornehm gehalten, sich mit der theoretischen Seite der Arbeiterbewegung einzulassen. Wir müssen es also großen Dank wissen, wenn endlich einmal ein wirklicher Professor der Rechte, Herr Dr. Anton Menger, sich herabläßt, die Geschichte des Sozialismus vom "rechtsphilosophischen" Standpunkt "dogmatisch näher zu beleuchten".(2)

|495| In der Tat, die Sozialisten sind bisher auf dem Holzweg gewesen. Sie haben gerade das vernachlässigt, worauf es ankam.

"Erst wenn die sozialistischen Ideen aus den endlosen volkswirtschaftlichen und philanthropischen Erörterungen ... losgeschält und in nüchterne Rechtsbegriffe verwandelt sind" (S. III), erst wenn die ganze "nationalökonomische Verbrämung" (S. 37) beseitigt ist, kann die "juristische Bearbeitung des Sozialismus ... die wichtigste Aufgabe der Rechtsphilosophie unserer Zeit" [S. III]

in die Hand genommen werden.

Nun handelt es sich in den "sozialistischen Ideen" gerade um volkswirtschaftliche Verhältnisse, vor allem um das Verhältnis zwischen Lohnarbeit und Kapital, und da sind volkswirtschaftliche Erörterungen, so scheint es, doch wohl etwas mehr als bloße loszuschälende "Verbrämungen". Auch ist die Ökonomie eine sogenannte Wissenschaft und obendrein ein wenig wissenschaftlicher als die Rechtsphilosophie, weil sie sich mit Tatsachen beschäftigt, nicht, wie die letztere, mit bloßen Vorstellungen. Aber das ist dem Juristen von Fach total gleichgültig. Die ökonomischen Untersuchungen stehen ihm auf derselben Stufe, wie die philanthropischen Deklamationen. Fiat justitia, pereat mundus. |Dem Gesetz muß entsprochen werden, mag darüber auch die Welt zugrunde gehen.|

Ferner sind die "nationalökonomischen Verbrämungen" bei Marx - und diese liegen unserem Juristen am schwersten im Magen - nicht bloß ökonomische Untersuchungen. Sie sind wesentlich historisch. Sie weisen den Gang der gesellschaftlichen Entwicklung nach, von der feudalen Produktionsweise des Mittelalters bis auf die heutige entwickelte kapitalistische, den Untergang früherer Klassen und Klassengegensätze und die Bildung neuer Klassen mit neuen Interessengegensätzen, die sich unter anderem auch in neuen Rechtsforderungen äußern. Davon scheint auch unserem Juristen eine leise Ahnung aufzudämmern, wenn er S. 37 entdeckt, daß die heutige

"Rechtsphilosophie ... im wesentlichen nichts ist, als ein Abbild des historisch überlieferten Rechtszustandes", die man als "die bürgerliche Rechtsphilosophie bezeichnen" könnte und der sich "in dem Sozialismus eine Rechtsphilosophie der besitzlosen Volksklassen an die Seite gestellt" hat.

Aber wenn dem so ist, was ist die Ursache davon? Woher kommen denn die "Bürger" und die "besitzlosen Volksklassen", die jede für sich eine besondere, ihrer Klassenlage entsprechende Rechtsphilosophie besitzen? Aus dem Recht oder aus der ökonomischen Entwicklung? Und sagt uns Marx etwas anderes, als daß die Rechtsanschauungen der einzelnen großen Gesellschaftsklassen sich nach ihrer jedesmaligen Klassenlage richten? Wie kommt Menger unter die Marxisten?

Doch das ist nur ein Versehen, eine unfreiwillige Anerkennung der Macht der neuen Theorie, die dem strengen Juristen entschlüpft ist und |496| die wir deshalb auch nur registrieren. Im Gegenteil, wo unser Mann des Rechts auf seinem eigenen Rechtsboden steht, ist er ein Verächter der ökonomischen Geschichte. Das sinkende Römerreich ist sein Lieblingsbeispiel.

"Noch nie waren die Produktionsmittel so zentralisiert", erzählt er uns, "wie zu der Zeit, da die Hälfte der afrikanischen Provinz sich im Eigentum von sechs Personen befand ... niemals waren die Leiden der arbeitenden Klassen größer, als in der Zeit, wo fast jeder produktive Arbeiter ein Sklave war. Es fehlte damals auch nicht - namentlich bei den Kirchenvätern - an heftigen Kritiker, des bestehenden Gesellschaftszustandes, die sich mit den besten sozialistischen Schriften der Gegenwart messen können, dennoch folgte auf den Sturz des weströmischen Reiches nicht etwa der Sozialismus, sondern - die mittelalterliche Rechtsordnung" (S. 108). Und warum geschah dies? Weil "der Nation nicht ein klares, von aller Überschwenglichkeit freies Bild des künftigen Zustandes vorschwebte".

Herr Menger meint, zur Zeit des sinkenden Römerreiches seien die ökonomischen Vorbedingungen des modernen Sozialismus vorhanden gewesen, nur dessen juristische Formulierung fehlte. Deswegen kam an Stelle des Sozialismus der Feudalismus, und die materialistische Geschichtsauffassung ist ad absurdum geführt!

Was die Juristen des sinkenden römischen Reiches so schön in ein System gebracht hatten, das war nicht das feudale, sondern das römische Recht, das Recht einer Gesellschaft von Warenproduzenten. Da nach Herrn Mengers Voraussetzung die juristische Vorstellung die treibende Kraft der Geschichte ist, so stellt er hier an die römischen Juristen die ungeheuerliche Forderung, sie hätten statt des Rechtssystems der bestehenden römischen Gesellschaft das gerade Gegenteil, nämlich "ein klares, von aller Überschwenglichkeit freies Bild" eines phantastischen Gesellschaftszustandes liefern sollen. Das also ist die Mengersche Rechtsphilosophie, angewandt auf das römische Recht! Geradezu horrend ist aber die Behauptung Mengers, daß noch nie die ökonomischen Bedingungen dem Sozialismus so günstig waren, als zur römischen Kaiserzeit. Die Sozialisten, die Menger widerlegen will, sehen die Bürgschaft für den Erfolg des Sozialismus in der Entwicklung der Produktion selbst: Auf der einen Seite wird durch die Entwicklung des maschinellen Großbetriebs in Industrie und Landwirtschaft die Produktion immer mehr zu einer gesellschaftlichen und die Produktivität der Arbeit eine enorme; dies drängt zur Aufhebung der Klassenunterschiede und zur Überführung der Warenproduktion in Privatbetrieben in die direkte Produktion für und durch die Gesellschaft. Auf der anderen Seite erzeugt die moderne Produktionsweise die Klasse, welche in immer steigendem Maße die Macht und das Interesse erhält, diese Entwicklung tatsächlich zu machen, ein freies, arbeitendes Proletariat.

Nun vergleiche man damit die Zustände des kaiserlichen Rom, wo von maschineller Großproduktion weder in Industrie noch in Landwirtschaft die Rede war. Allerdings finden wir eine Konzentration des Grundbesitzes, |497| aber man muß Jurist sein, um das für gleichbedeutend mit der Entwicklung gesellschaftlich betriebener Arbeit in Großbetrieben zu halten. Wenn wir Herrn Menger drei Beispiele von Grundbesitz vorlegen: einen irischen Landlord, der 50.000 Acres besitzt, die von 5.000 Pächtern in kleinen Betrieben von durchschnittlich 10 Acres bewirtschaftet werden; einen schottischen Landlord, der 50.000 Acres in Jagdgründe verwandelt hat, und eine amerikanische Riesenfarm von 10.000 Acres, in der in großindustrieller Weise Weizen gebaut wird, so wird er erklären, daß in den beiden ersten Fällen die Konzentration der Produktionsmittel fünfmal soweit vorgeschritten sei, wie in dem letzteren.

Die Entwicklung der römischen Landwirtschaft der Kaiserzeit führte auf der einen Seite zur Ausdehnung der Weidewirtschaft über ungeheure Strecken und zur Entvölkerung des Landes, auf der anderen Seite zur Zerschlagung der Güter in kleine Pachten, welche an Kolonen abgegeben wurden, also zu Zwergbetrieben höriger Kleinbauern, der Vorläufer der späteren Leibeigenen, also zu einer Produktionsweise, in der die Produktionsweise des Mittelalters schon im Keim enthalten war. Und unter anderem schon darum, wertester Herr Menger, folgte auf die Römerwelt "die mittelalterliche Rechtsordnung". Wohl gab es zeitweise in einzelnen Provinzen auch landwirtschaftliche Großbetriebe, aber nicht Maschinenproduktion mit freien Arbeitern, sondern Plantagenwirtschaft mit Sklaven, Barbaren der verschiedensten Nationalitäten, die sich oft untereinander nicht verstanden. Diesen gegenüber standen die freien Proletarier, aber nicht arbeitende, sondern Lumpenproletarier. Auf der Arbeit der Proletarier beruht heute in immer steigendem Maße die Gesellschaft, sie werden für deren Bestand immer unentbehrlicher; die römischen Lumpenproletarier waren Parasiten, nicht nur ohne Nutzen, sondern sogar von Schaden für die Gesellschaft und daher ohne durchgreifende Macht.

Herrn Menger aber erscheinen die Produktionsweise und das Volk noch nie so reif zum Sozialismus gewesen zu sein, als zur Kaiserzeit! Man sieht, welchen Vorteil es hat, wenn man sich von ökonomischen "Verbrämungen" möglichst ferne hält.

Die Kirchenväter wollen wir ihm schenken, da er verschweigt, worin deren "Kritiken des bestehenden Gesellschaftszustandes" sich "mit den besten sozialistischen Schriften der Gegenwart messen können". Den Kirchenvätern verdanken wir manche interessante Mitteilung aus der versinkenden römischen Gesellschaft, aber auf eine Kritik derselben ließen sie sich in der Regel nicht ein, sie begnügten sich damit, sie einfach zu verdonnern und zwar in Ausdrücken von einer Heftigkeit, der gegenüber die heftigste Sprache moderner Sozialisten und selbst das Gezeter der Anarchisten zahm erscheint. Meint Herr Menger diese "Überlegenheit"?

Mit derselben Verachtung der geschichtlichen Tatsachen, die wir eben bemerkt, sagt Menger auf S. 2, daß die privilegierten Klassen ihr Einkom- |498| men ohne persönliche Gegenleistung an die Gesellschaft empfangen. Daß die herrschenden Klassen im aufsteigenden Ast ihrer Entwicklung sehr bestimmte soziale Funktionen zu verrichten haben und gerade deswegen zu herrschenden werden, ist ihm also gänzlich unbekannt. Während die Sozialisten die zeitweilige geschichtliche Berechtigung dieser Klassen anerkennen, erklärt Menger hier ihre Aneignung des Mehrprodukts für einen Diebstahl. Da kann es ihn denn nur wundern, wenn er S. 122, 123 findet, daß diese Klassen täglich mehr die Macht verlieren, ihr Recht auf dies Einkommen zu schützen. Daß diese Macht in der Ausübung sozialer Funktionen besteht und mit dem Untergang dieser Funktionen in der weiteren Entwicklung verschwindet, ist diesem großen Denker ein reines Rätsel.

Genug. Der Herr Professor gibt sich nun dran, den Sozialismus rechtsphilosophisch zu behandeln, das heißt, ihn auf ein paar kurze Rechtsformeln zurückzuführen, auf sozialistische "Grundrechte", eine neue Ausgabe der Menschenrechte fürs 19. Jahrhundert. Solche Grundrechte haben zwar nur

"geringe praktische Wirksamkeit", sind aber "auf dem wissenschaftlichen Gebiet nicht ohne Nutzen" als "Schlagworte" (S. 5, 6).

Also so weit sind wir bereits heruntergekommen, daß wir es nur noch mit Schlagworten zu tun haben. Erst wird der geschichtliche Zusammenhang und Inhalt der gewaltigen Bewegung beseitigt, um einer bloßen "Rechtsphilosophie" Platz zu machen, und dann reduziert sich diese Rechtsphilosophie auf Schlagworte, die eingestandenermaßen praktisch keinen Heller wert sind! Das lohnte in der Tat die Mühe.

Der Herr Professor entdeckt nun, daß der ganze Sozialismus sich juristisch auf drei solcher Schlagworte zurückführen läßt, auf drei Grundrechte. Diese sind:

1. das Recht auf den vollen Arbeitsertrag,
2. das Recht auf die Existenz,
3. das Recht auf Arbeit.

Das Recht auf Arbeit ist nur eine provisorische Forderung, "die erste unbeholfene Formel, worin sich die revolutionären Ansprüche des Proletariats zusammenfassen" (Marx) und gehört also nicht hierher. Dagegen ist die Forderung der Gleichheit vergessen, die den ganzen französischen revolutionären Sozialismus beherrschte, von Babeuf bis Cabet und Proudhon, die aber Herr Menger schwerlich juristisch wird formulieren können, trotzdem oder vielleicht gerade weil sie die juristischste von allen den erwähnten ist. Bleiben als Quintessenz nur die mageren Sätze 1 und 2, die sich noch dazu widersprechen, was Menger auf S. 27 endlich entdeckt, was aber keineswegs verhindert, daß jedes sozialistische System sich dann bewegen muß (S. 6). Es ist aber handgreiflich, daß die Einzwängung der |499| verschiedensten sozialistischen Doktrinen der verschiedensten Länder und Entwicklungsstufen in diese zwei "Schlagworte" die ganze Darstellung fälschen muß. Die Eigentümlichkeit jeder einzelnen Doktrin, die gerade ihre geschichtliche Bedeutung ausmacht, wird hier nicht nur als nebensächlich beiseite geworfen, sondern, weil vom Schlagwort abweichend und ihm widersprechend, geradezu als einfach falsch verworfen.

In der vorliegenden Schrift wird nur Nr. 1, das Recht auf den vollen Arbeitsertrag, behandelt.

Das Recht des Arbeiters auf den vollen Arbeitsertrag, d.h. jedes einzelnen Arbeiters auf seinen speziellen Arbeitsertrag ist in dieser Bestimmtheit nur Proudhonsche Lehre. Ganz verschieden davon ist die Forderung, daß die Produktionsmittel und Produkte der arbeitenden Gesamtheit gehören sollen. Diese Forderung ist kommunistisch und geht, wie .Menger S. 48 entdeckt, über die Forderung Nr. 1 hinaus, was ihn in nicht geringe Verlegenheit setzt. Er muß daher die Kommunisten bald unter Nr. 2 rangieren, bald das Grundrecht Nr. 1 so lange zerren und wenden, bis er sie darunter bringen kann. Dies geschieht S. 7. Hier wird vorausgesetzt, daß nach Abschaffung der Warenproduktion diese dennoch fortbesteht. Es scheint Herrn Menger ganz natürlich, daß auch in einer sozialistischen Gesellschaft Tauschwerte, also Waren zum Verkauf produziert werden, und daß die Preise der Arbeit fortbestehen, daß also die Arbeitskraft nach wie vor als Ware verkauft wird. Die einzige Frage, um die es sich ihm dabei handelt, ist die, ob die historisch überlieferten Preise der Arbeit in der sozialistischen Gesellschaft mit einem Aufschlag aufrechterhalten bleiben, oder ob "eine völlig neue Bestimmung der Arbeitspreise" eintreten soll. Letztere würde nach seiner Ansicht die Gesellschaft noch mehr erschüttern als die Einführung der sozialistischen Gesellschaftsordnung selbst! Diese Begriffsverwirrung ist begreiflich, da unser Gelehrter S. 94 von einer sozialistischen Werttheorie spricht, sich also nach bekannten Mustern einbildet, die Marxsche Werttheorie solle den Verteilungsmaßstab der künftigen Gesellschaft abgeben. Ja, S. 56 wird erzählt, der volle Arbeitsertrag sei gar nichts Bestimmtes, da er nach wenigstens drei verschiedenen Maßstäben berechnet werden könne, und endlich S. 161, 162 erfahren wir, daß er das "natürliche Verteilungsprinzip" und nur möglich sei in einer Gesellschaft mit Gemeineigentum, aber mit Sondernutzung, also einer Gesellschaft, die heute von keinem einzigen Sozialisten als Endziel hingestellt wird! Ein treffliches Grundrecht! Und ein trefflicher Rechtsphilosoph der Arbeiterklasse!

Hiermit hat es sich Menger leicht gemacht, die Geschichte des Sozialismus "kritisch" darzustellen. Drei Worte nenn' ich Euch inhaltsschwer, und wenn sie auch nicht gehen von Mund zu Munde, so sind sie doch vollständig genügend für das Maturitätsexamen, das hier mit den Sozialisten angestellt wird. Also her, Saint-Simon, her, Proudhon, her, Marx, und wie ihr alle heißt: Schwört ihr auf Nr. 1, oder Nr. 2, oder Nr. 3? Herein in |500| mein Prokrustesbett, und was darüber hinaus reicht, hau' ich ab als nationalökonomische und philanthropische Verbrämungen!

Es kommt hier nur darauf an, bei wem sich diese drei dem Sozialismus von Menger aufoktroyierten Grundrechte zuerst vorfinden; wer zuerst eine dieser Formeln aufstellt, der ist der große Mann. Daß es dabei ohne lächerliche Böcke nicht abgeht, trotz des gelehrt tuenden Apparats, ist begreiflich. So glaubt er, daß bei den Saint-Simonisten die oisifs die besitzenden und die travailleurs die arbeitenden Klassen bedeuten (S. 67) und zwar im Titel der saint-simonistischen Schrift: "Les oisifs et les travailleurs. - Fermages, loyers, intérêts, salaires" (die Müßiggänger und die Arbeiter. - Pacht, Miete, Zins, Lohn), wo ihn schon die Abwesenheit des Profits eines Besseren belehren sollte. Auf derselben Seite zitiert Menger selbst eine entscheidende Stelle aus dem "Globe", dem Organ des Saint-Simonismus, in der neben den Gelehrten und Künstlern die industriels, d.h. die Fabrikanten im Gegensatz zu den oisifs als Wohltäter der Menschheit gepriesen werden, und wo nur die Abschaffung des Tributs an die oisifs verlangt wird, das heißt, an die Rentiers, diejenigen, welche Pacht, Miete, Zins beziehen. Der Profit ist in dieser Aufzählung abermals ausgeschlossen. Der Fabrikant nimmt im saint-simonistischen System eine hervorragende Stellung ein als mächtiger und wohlbezahlter gesellschaftlicher Agent, und Herr Menger täte wohl daran, diese Stellung näher zu studieren, ehe er sie fernerhin rechtsphilosophisch verarbeitet.

Auf Seite 73 hören wir, Proudhon habe in den "Contradictions économiques", "allerdings ziemlich dunkel, eine neue Lösung des sozialen Problems" bei beibehaltener Warenproduktion und Konkurrenz versprochen. Was dem Herrn Professor 1886 noch ziemlich dunkel, hat Marx schon 1847 durchschaut, als etwas Altes nachgewiesen und Proudhon den Bankrott vorhersagen gekonnt, den dieser 1849 erlebte.

Doch genug. Alles was wir bisher behandelt, ist ja nur Nebensache für Herrn Menger und auch für sein Publikum. Hätte er nur eine Geschichte des Rechts Nr. 1 geschrieben, seine Schrift wäre spurlos vorübergegangen. Diese Geschichte ist bloß Vorwand der Schrift, ihr Zweck ist der, Marx herunterzureißen. Und nur, weil sie von Marx handelt, wird sie gelesen. Es geht schon seit langem nicht mehr so leicht, ihn zu kritisieren, seitdem das Verständnis seines Systems in weitere Kreise gedrungen ist und der Kritiker nicht mehr auf die Unwissenheit des Publikums spekulieren kann. Nur eines bleibt noch übrig: Um Marx herunterzusetzen, schiebt man seine Leistungen anderen Sozialisten zu, um die sich kein Mensch kümmert, die vom Schauplatz verschwunden sind, die keine politische und wissenschaftliche Bedeutung mehr haben. Auf diese Weise hofft man, mit dem Begründer der proletarischen Weltanschauung und dieser selbst fertig zu werden. Herr Menger hat es unternommen. Man ist nicht Professor für die Katze. Man will auch etwas leisten.

|501| Die Sache macht sich sehr einfach.

Die gegenwärtige Gesellschaftsordnung gibt dem Grundeigentümer und Kapitalisten ein "Recht" auf einen Teil - den größten - des vom Arbeiter erzeugten Produkts. Grundrecht Nr. 1 sagt, daß dies Recht ein Unrecht ist und dem Arbeiter der ganze Arbeitsertrag gebühre. Damit ist der ganze Inhalt des Sozialismus erledigt, soweit nicht Grundrecht Nr. 2 in Frage kommt. Wer also zuerst gesagt hat, daß das heutige Recht der Inhaber der Erde und anderer Produktionsmittel auf einen Teil des Arbeitsertrages ein Unrecht ist, der ist der große Mann, der Gründer des "wissenschaftlichen" Sozialismus! Und das waren Godwin, Hall und Thompson. Nach Weglassung sämtlicher endlosen volkswirtschaftlichen Verbrämungen findet Menger bei Marx als juristischen Rückstand nur diese selbe Behauptung. Folglich hat Marx die alten Engländer, namentlich Thompson, abgeschrieben und seine Quelle sorgfältig verschwiegen. Der Beweis ist erbracht.

Wir geben jeden Versuch auf, dem verbohrten Juristen begreiflich zu machen, daß Marx nirgends die Forderung des "Rechts auf den vollen Arbeitsertrag" stellt, daß er in seinen theoretischen Schriften überhaupt keine Rechtsforderung irgendeiner Art aufstellt. Selbst unserem Juristen dämmert eine entfernte Ahnung davon auf, wenn er Marx vorwirft, nirgends "eine gründliche Darlegung des Rechts auf den vollen Arbeitsertrag" (S. 98) zu geben.

In den theoretischen Untersuchungen von Marx kommt das juristische Recht, das immer nur die ökonomischen Bedingungen einer bestimmten Gesellschaft widerspiegelt, nur in ganz sekundärer Weise in Betracht; dagegen in erster Linie die geschichtliche Berechtigung, die gewisse Zustände, Aneignungsweisen, Gesellschaftsklassen für bestimmte Epochen haben, und deren Untersuchung jeden in erster Linie interessiert, der in der Geschichte einen zusammenhängenden, wenn auch oft durchkreuzten Entwicklungsgang sieht, nicht aber, wie das 18. Jahrhundert, einen bloßen Wust von Torheit und Brutalität. Marx begreift die geschichtliche Unvermeidlichkeit, also Berechtigung der antiken Sklavenhalter, der mittelalterlichen Feudalherren usw., als Hebel der menschlichen Entwicklung für eine beschränkte Geschichtsperiode; er erkennt damit auch die zeitweilige geschichtliche Berechtigung der Ausbeutung, der Aneignung des Arbeitsprodukts durch andere an; er beweist aber auch gleichzeitig, daß diese historische Berechtigung jetzt nicht nur verschwunden ist, sondern daß die Fortdauer der Ausbeutung in irgendwelcher Form, statt die gesellschaftliche Entwicklung zu fördern, sie täglich mehr hemmt und in immer heftigere Kollisionen verwickelt. Und der Versuch Mengers, diese epochemachenden geschichtlichen Untersuchungen in sein schmales, juristisches Prokrustesbett zu zwängen, beweist nur seine eigene totale Unfähigkeit, Dinge zu begreifen, die über den allerengsten juristischen Horizont hinausgehen. Sein Grundrecht Nr. 1 existiert für Marx in dieser Formulierung absolut nicht.

|502| Aber jetzt kommt's!

Herr Menger hat bei Thompson das Wort Mehrwert, surplus value, entdeckt. Kein Zweifel, Thompson ist also der Entdecker des Mehrwerts, Marx nur ein elender Plagiator:

"Man wird in diesen Ansichten Thompsons sofort den Gedankengang, ja sogar die Ausdrucksweise erkennen, die sich später bei so vielen Sozialisten, namentlich auch bei Marx und Rodbertus wiederfinden" (S. 53).

Thompson ist also unleugbar der "hervorragendste Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus "(S. 49). Und worin besteht dieser wissenschaftliche Sozialismus?

Die Ansicht, "daß Grundrente und Kapitalgewinn Abzüge sind, welche die Grund- und Kapitaleigentümer von dem vollen Arbeitsertrag machen, ist keineswegs dem Sozialismus eigentümlich, da manche Vertreter der bürgerlichen Nationalökonomie, z.B. Adam Smith, von der gleichen Meinung ausgehen. Thompson und seine Nachfolger sind nur insofern originell, daß sie Grundrente und Kapitalgewinn als unrechtmäßige Abzüge betrachten, welche mit dem Recht des Arbeiters auf den vollen Arbeitsertrag im Widerspruch stehen" (S. 53, 54).

Der wissenschaftliche Sozialismus besteht also nicht darin, eine ökonomische Tatsache zu entdecken, das hatten nach Menger die Ökonomen vor ihm schon besorgt, sondern einfach darin, sie für unrechtmäßig zu erklären. Das ist Herrn Mengers Ansicht davon. Wenn die Sozialisten es sich in der Tat so leicht gemacht hätten, so hätten sie längst einpacken können und Herrn Mengers rechtsphilosophische Blamage wäre ihm erspart worden. Aber so geht es, wenn man eine weltgeschichtliche Bewegung auf juristische Schlagworte reduziert, die man in der Westentasche unterbringen kann.

Aber der dem Thompson gestohlene Mehrwert? Damit verhält es sich wie folgt:

Thompson untersucht in seiner "Inquiry into the Principles of Distribution of Wealth" etc. Kap. 1, Sekt. 15,

"welchen Verhältnisteil ihres Arbeitsprodukts sollen die Arbeiter" ("ought", wörtlich "schuldig sein", also "sollen von Rechts wegen") "die Arbeiter bezahlen für den, Kapital genannten, Artikel an die Besitzer desselben, genannt Kapitalisten"? Die Kapitalisten sagen, daß "ohne dies Kapital, ohne Maschinerie, Rohstoffe etc. die bloße Arbeit unproduktiv sein würde, und daß es deshalb nur gerecht ist, daß der Arbeiter für dessen Benützung etwas bezahlt". Und Thompson fährt fort: - "Zweifellos muß der Arbeiter für den Gebrauch desselben etwas bezahlen, wenn er so unglücklich ist, es nicht selbst zu besitzen; die Frage ist, wieviel vom Produkt seiner Arbeit für diese Benützung abgezogen werden sollte (ought)" (S. 128 der Pareschen Ausgabe von 1850).

Dies sieht schon gar nicht nach dem "Recht auf den vollen Arbeitsertrag" aus. Im Gegenteil, Thompson findet es ganz in der Ordnung, daß der Arbeiter einen Teil seines Arbeitsertrags für die Benützung des geborgten Kapitals abtritt. Es fragt sich für ihn nur, wieviel? Und da gibt es "zwei |503| Maßstäbe, den des Arbeiters und den des Kapitalisten". Und was ist der Maßstab des Arbeiters?

"Die Zahlung einer Summe, die den Verschleiß des Kapitals ersetzt, seinen Wert, wenn es ganz konsumiert wird, und dazu eine solche zusätzliche Vergütung an seinen Eigentümer und Verwalter (Superintendent), wie sie diesen in gleichem Komfort mit den wirklich arbeitenden (more actively employed) produktiven Arbeitern unterhalten würde!"

Das ist nach Thompson die Forderung des Arbeiters, und wer hierin nicht sofort "den Gedankengang, ja sogar die Ausdrucksweise" von "Marx wiederfindet", der fällt bei Herrn Menger im rechtsphilosophischen Examen ohne Barmherzigkeit durch.

Aber der Mehrwert, - wo bleibt der Mehrwert? Geduld, lieber Leser, gleich geht's los.

"Der Maßstab des Kapitalisten würde der zusätzliche Wert sein, den dieselbe Quantität Arbeit infolge der Benützung von Maschinerie oder anderem Kapital produziert; so daß dieser ganze Mehrwert genossen würde vom Kapitalisten, von wegen seiner überlegenen Intelligenz und Geschicklichkeit, vermöge deren er sein Kapital aufgehäuft und den Arbeitern es oder seinen Gebrauch vorgeschossen hat" (Thompson, S. 128).

Diese Stelle, buchstäblich genommen, ist rein unverständlich. Ohne Produktionsmittel ist keine Produktion möglich. Die Produktionsmittel sind aber hier unterstellt in der Form von Kapital, d.h. im Besitz von Kapitalisten. Produziert also der Arbeiter ohne "Benützung der Maschinerie oder anderem Kapital", so versucht er das Unmögliche, produziert eben gar nichts. Produziert er aber mit Benutzung von Kapital, so wäre sein ganzes Produkt das, was hier Mehrwert heißt. Sehen wir also weiter. Und da läßt Thompson denselben Kapitalisten auf S. 130 sagen:

"Vor der Erfindung der Maschinerie, vor der Errichtung der Werkstätten und Fabriken, was war da der Betrag des Produkts, den die ununterstützten Kräfte des Arbeiters hervorbrachten? Wie hoch dieser auch immer war, er soll diesen auch fernerhin genießen ... aber der Errichter der Gebäude oder der Maschinerie, oder dem, der diese durch freiwilligen Tausch erworben hat, ihm soll der ganze Mehrwert der fabrizierten Waren zufallen als Belohnung", usw.

Thompsons Kapitalist spricht hier nur die alltägliche Illusion des Fabrikanten aus, daß die Arbeitsstunde des mit Hilfe von Maschinerie usw. produzierenden Arbeiters einen größeren Wert produziere als vor der Erfindung der Maschinerie die Arbeitsstunde des einfachen Handarbeiters. Diese Einbildung wird genährt durch den außerordentlichen "Mehrwert", den der Kapitalist einstreicht, der mit einer neuerfundenen und von ihm und vielleicht noch ein paar anderen Kapitalisten monopolisierten Maschine in ein bisher der Handarbeit gehörendes Gebiet einbricht. Der Preis des Handprodukts bestimmt hier den Marktpreis des gesamten Produkts dieses Industriegebiets; das Maschinenprodukt kostet vielleicht nur den vierten |504| Teil der Arbeit, läßt also dem Fabrikanten einen "Mehrwert" von 300 Prozent seines Kostenpreises.

Natürlich macht die Verallgemeinerung der neuen Maschine dieser Art "Mehrwert" bald ein Ende; aber dann sieht der Kapitalist, daß in dem Maß, wie das Maschinenprodukt den Marktpreis bestimmt, und dieser Preis mehr und mehr auf den wirklichen Wert des Maschinenprodukts herabsinkt, der Preis des Handprodukts ebenfalls sinkt und damit unter seinen früheren Wert herabgedrückt wird, daß also die Maschinenarbeit gegenüber der Handarbeit immer noch einen gewissen "Mehrwert" produziert. Diese ganz gewöhnliche Selbsttäuschung legt Thompson hier seinem Fabrikanten in den Mund. Wie wenig er selbst sie aber teilt, sagt er unmittelbar vorher, auf S. 127, ausdrücklich:

"Die Rohstoffe, die Gebäude, der Arbeitslohn, sie alle können ihrem eigenen Wert nichts hinzufügen; der zusätzliche Wert kommt her von der Arbeit allein."

Wobei wir unsere Leser um Entschuldigung bitten, wenn wir zu Nutz und Frommen ausschließlich des Herrn Menger hier noch extra feststellen, daß auch dieser "zusätzliche Wert" Thompsons keineswegs der Marxsche Mehrwert ist, sondern der ganze, dem Rohstoff durch die Arbeit zugesetzte Wert, also die Summe vom Wert der Arbeitskraft und Mehrwert im Marxschen Sinne.

Jetzt erst, nach dieser unumgänglichen "volkswirtschaftlichen Verbrämung", können wir die Kühnheit des Herrn Menger vollständig würdigen, mit der er S. 53 sagt:

"Nach der Ansicht Thompsons ... betrachten die Kapitalisten ... jene Differenz zwischen der Lebensnotdurft des Arbeiters und dem wirklichen Ertrag ihrer durch Maschinen und andere Kapitalaufwendungen produktiver gewordenen Arbeit als einen Mehrwert (surplus value, additional value), der den Grund- und Kapitaleigentümern zuzufallen hat."

Das soll die deutsche "freie" Wiedergabe der von uns oben angeführten Stelle Thompsons S. 128 sein. Bei Thompsons Kapitalisten ist aber einzig die Rede von der Differenz zwischen dem Produkt derselben Arbeitsmenge (the same quantity of labour), je nachdem sie mit Benützung von Kapital und ohne Benützung von Kapital arbeitet, der Differenz zwischen dem Produkt einer gleichen Menge von Handarbeit und .Maschinenarbeit. Die "Lebensnotdurft des Arbeiters" kann Herr Menger nur hineinschmuggeln, indem er Thompson direkt fälscht.

Konstatieren wir also: Der "Mehrwert" des Thompsonschen Kapitalisten ist nicht der "Mehrwert" oder "zusätzliche Wert" Thompsons; noch viel weniger ist einer der beiden der "Mehrwert" des Herrn Menger; und am allerwenigsten ist einer von allen dreien der "Mehrwert" von Marx.

Das geniert Herrn Menger aber nicht im mindesten. Er fährt fort S. 53:

|505| "Grundrente und Kapitalgewinn sind deshalb nichts anderes als Abzüge, welche der Grund- und Kapitaleigentümer vermöge seiner gesetzlichen Machtstellung von dem vollen Arbeitserträge zum Nachteile des Arbeiters zu machen in der Lage ist" - ein Satz, der seinem ganzen Inhalt nach schon in Adam Smith enthalten ist - und ruft dann triumphierend aus: "Man wird in diesen Ansichten Thompsons sofort den Gedankengang, ja sogar die Ausdrucksweise wiedererkennen, die sich später bei so vielen Sozialisten, namentlich auch bei Marx und Rodbertus wiederfindet."

Mit anderen Worten: Herr Menger hat bei Thompson das Wort surplus value (auch additional value), Mehrwert, entdeckt, wobei er nur vermittelst einer direkten Unterschiebung verheimlichen kann, daß surplus value oder additional value bei Thompson in zwei unter sich total verschiedenen Bedeutungen vorkommt, die beide wieder total verschieden sind von dem Sinn, worin Marx das Wort Mehrwert gebraucht.

Das ist der ganze Inhalt seiner gewaltigen Entdeckung! Welch klägliches Ergebnis gegenüber der pomphaften Ankündigung der Vorrede:

"Ich werde in dieser Schrift den Nachweis führen, daß Marx und Rodbertus ihre wichtigsten sozialistischen Theorien älteren englischen und französischen Theoretikern entlehnt haben, ohne die Quellen ihrer Ansichten zu nennen."

Wie traurig hinkt jetzt der Vergleich einher, der diesem Satz vorhergeht:

"Wenn jemand dreißig Jahre nach dem Erscheinen von Adam Smiths Werk über den Nationalreichtum die Lehre von der Arbeitsteilung wieder 'entdeckt' hätte oder wenn heute ein Schriftsteller die Entwicklungstheorie Darwins als sein geistiges Eigentum vortragen wollte, so würde man ihn für einen Ignoranten oder für einen Scharlatan halten. Nur auf dem Gebiete der Sozialwissenschaft, welche eben einer geschichtlichen Tradition noch fast völlig entbehrt, sind erfolgreiche Versuche dieser Art denkbar."

Wir wollen hier absehen davon, daß Menger immer noch glaubt, Adam Smith habe die Teilung der Arbeit "entdeckt", während schon Petty diesen Punkt achtzig Jahre vor Smith vollständig entwickelt hatte. Das in bezug auf Darwin von Menger Gesagte dreht sich aber jetzt einigermaßen um. Der ionische Philosoph Anaximander stellte bereits im sechsten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung die Ansicht auf, daß der Mensch sich aus einem Fisch entwickelt habe, und wie bekannt, ist dies auch die Ansicht der heutigen evolutionistischen Naturwissenschaft. Wenn nun jemand auftreten wollte und erklären, hier sei bereits der Gedankengang und sogar die Ausdrucksweise Darwins zu erkennen, und Darwin sei nichts als ein Plagiator des Anaximander, habe aber sorgfältig seine Quelle verheimlicht, so würde er in bezug auf Darwin und Anaximander gerade so verfahren, wie Herr Menger in bezug auf Marx und Thompson wirklich verfährt. Der Herr Professor hat recht: "Nur auf dem Gebiete der Sozialwissenschaften" darf man auf jene Unwissenheit rechnen, welche "erfolgreiche Versuche dieser Art denkbar" macht.

|506| Da er aber auf das Wörtchen "Mehrwert" solchen Nachdruck legt, einerlei, welcher Begriff damit verbunden wird, sei dem großen Kenner der sozialistischen und ökonomischen Literatur das Geheimnis verraten, das nicht nur bei Ricardo schon das Wort surplus produce |Mehrprodukt| vorkommt (im Kapitel über den Arbeitslohn), sondern daß auch neben dem von Sismondi gebrauchten mieux-value |Mehrwert| der Ausdruck plus-value für jeden Wertaufschlag, der dem Warenbesitzer nichts kostet, in Frankreich seit Menschengedenken im gewöhnlichen Geschäftsleben gang und gäbe ist. Hiernach dürfte es fraglich erscheinen, ob die von Menger vollzogene Entdeckung der Entdeckung des Mehrwerts durch Thompson oder vielmehr durch den Thompsonschen Kapitalisten auch nur in der Rechtsphilosophie Geltung erhalten wird.

Herr Menger ist aber noch lange nicht mit Marx fertig. Man höre:

"Es ist charakteristisch, daß Marx und Engels dieses Fundamentalwerk des englischen Sozialismus" (nämlich Thompson) "seit vierzig Jahren falsch zitieren" (S. 50).

Nicht genug, daß Marx diese seine geheime Egeria seit vierzig Jahren totschweigt, er muß sie auch noch falsch zitieren! Und nicht nur einmal, sondern seit vierzig Jahren. Und nicht nur Marx, sondern auch Engels! Welcher gehäufte Vorbedacht der Verruchtheit! Armer Lujo Brentano, der Du seit zwanzig Jahren vergeblich auf der Suche bist nach einem einzigen falschen Zitat von Marx und Dir auf dieser Hetzjagd nicht nur selbst die Finger verbrannt, sondern auch Deinen leichtgläubigen Freund Sedley-Taylor in Cambridge ins Unglück gebracht hast - hänge Dich, Lujo, daß Du das nicht erfunden hast. Und worin besteht diese horrende, vierzig Jahre lang hartnäckig fortgesetzte und obendrein "charakteristische" Fälschung, die des ferneren durch die böswillige ebenfalls vierzigjährige Mitwirkung von Engels den Charakter eines dolosen Komplotts annimmt?

"... falsch zitieren, indem sie das erste Erscheinen desselben in das Jahr 1827 setzen!"

Und das Buch war schon 1824 erschienen!

"Charakteristisch" in der Tat - für Herrn Menger. Das ist jedoch bei weitem nicht das einzige - aufgepaßt, Lujo! - nicht das einzige falsche Zitat von Marx und Engels, die das falsche Zitieren gewerbsmäßig - vielleicht auch im Umherziehen? - zu betreiben scheinen. In der "Misère de la philosophie", die 1847 erschien, hat Marx Hodgskin mit Hopkins verwechselt, und vierzig Jahre nachher (unter vierzig Jahren tun es diese boshaften Menschen nun einmal nicht) verbricht Engels dasselbe in der Vorrede zur deutschen Übersetzung der "Misère". Bei diesem seinen Feingefühl für Druck- und Schreibfehler ist es in der Tat ein Verlust für die Menschheit, daß der Herr Professor nicht Korrektor in einer Druckerei geworden ist. Doch nein, wir müssen dies Kompliment wieder zurücknehmen. Herr |507| Menger ist auch zum Korrektor nicht zu gebrauchen, denn auch er schreibt falsch ab, zitiert also falsch. Dies passiert ihm nicht nur mit englischen, sondern auch mit deutschen Titeln. So weist er z.B. auf "Engels' Übersetzung dieser Schrift", nämlich der "Misère", hin. Engels hat laut Titelblatt der Schrift die Übersetzung nicht gemacht. Die Stelle von Marx mit Hopkins zitiert Engels in der betreffenden Vorrede wörtlich, er war also verpflichtet, den Irrtum mitzuzitieren, wenn er Marx nicht falsch zitieren wollte. Aber diese Leute können es einmal Herrn Menger nicht recht machen.

Doch genug mit dem Kleinigkeitskram, in dem unser Rechtsphilosoph sich mit solchem Behagen umhertreibt. Es ist "charakteristisch" für den Mann und seine ganze Sorte, daß er, der diese ganze Literatur überhaupt nur aus Marx kennengelernt hat - er zitiert keinen einzigen englischen, nicht schon von Marx zitierten Schriftsteller, außer etwa Hall und weltbekannten Leuten wie Godwin, den Schwiegervater Shelleys -, daß er sich verpflichtet fühlt, nachzuweisen, daß er zwei oder drei Bücher mehr kennt als Marx "vor vierzig Jahren", im Jahre 1847. Wer mit den Titeln allein der von Marx angeführten Werke in der Tasche und mit den jetzigen Hilfsquellen und Bequemlichkeiten des Britischen Museums keine andere Entdeckung in dieser Branche zu machen versteht, als daß Thompsons "Distribution" 1824 erschienen ist und nicht 1827, der braucht mit bibliographischer Gelehrsamkeit wahrhaftig nicht zu renommieren.

Was von manchem anderen Sozialreformer unserer Zeit, das gilt auch von Herrn Menger: Große Worte und nichtige - wenn überhaupt welche - Taten. Der Nachweis wird versprochen, daß Marx ein Plagiator, und bewiesen, daß ein Wort, der "Mehrwert", schon vor Marx, wenn auch in anderem Sinne gebraucht worden!

So geht es auch mit dem juristischen Sozialismus des Herrn Menger. Im Vorwort erklärt Herr Menger, daß er in der

"juristischen Bearbeitung des Sozialismus" die "wichtigste Aufgabe der Rechtsphilosophie unserer Zeit" erblicke. "Ihre richtige Lösung wird wesentlich dazu beitragen, daß sich die unerläßlichen Abänderungen unserer Rechtsordnung im Wege einer friedlichen Reform vollziehen. Erst wenn die sozialistischen Ideen in nüchterne Rechtsbegriffe verwandelt sind, werden die praktischen Staatsmänner zu erkennen imstande sein, wie weit die geltende Rechtsordnung im Interesse der leidenden Volksmasse umzubilden ist."

Er will sich an diese Umwandlung machen durch Darstellung des Sozialismus als eines Rechtssystems.

Und worauf läuft diese juristische Bearbeitung des Sozialismus hinaus? In den "Schlußbemerkungen" heißt es:

"Das unterliegt wohl keinem Zweifel, daß die Ausbildung eines Rechtssystems, welches von diesen fundamentalen Rechtsideen" (Grundrecht Nr. 1 und 2) "völlig beherrscht wird, einer fernen Zukunft angehört" (S. 163).

|508| Was im Vorwort als die wichtigste Aufgabe "unserer Zeit" erscheint, wird zum Schluß einer "fernen Zukunft" zugeschoben.

"Die notwendigen Änderungen" (der geltenden Rechtsordnung) "werden im Wege einer langen historischen Entwicklung erfolgen, ähnlich wie unsere heutige Gesellschaftsordnung das Feudalsystem im Laufe der Jahrhunderte so zersetzt und zerstört hat, bis es schließlich nur eines Anstoßes bedurfte, um dasselbe vollständig zu beseitigen" (S. 164),

Sehr schön gesagt, aber wo bleibt da die Rechtsphilosophie, wenn die "historische Entwicklung" der Gesellschaft die notwendigen Änderungen bewirkt? In der Vorrede sind es die Juristen, welche der gesellschaftlichen Entwicklung ihren Weg vorschreiben; jetzt, wo der Jurist daran ist, beim Worte genommen zu werden, verliert er die Courage und stammelt etwas von historischer Entwicklung, die alles von selbst macht.

"Strebt nun aber unsere soziale Entwicklung der Verwirklichung des Rechts auf den vollen Arbeitsertrag oder des Rechts auf Arbeit entgegen?"

Herr Menger erklärt, das nicht zu wissen. So schnöde gibt er jetzt seine sozialistischen "Grundrechte" preis. Aber wenn diese Grundrechte nicht imstande sind, einen Hund vom Ofen zu locken, wenn sie nicht die soziale Entwicklung bestimmen und verwirklichen, sondern durch sie bestimmt und verwirklicht werden, wozu dann diese Mühe, den ganzen Sozialismus auf die Grundrechte zu reduzieren ? Wozu die Mühe, den Sozialismus seiner ökonomischen und historischen "Verbrämungen" zu entkleiden, wenn wir hinterdrein erfahren müssen, daß die "Verbrämungen" seinen wirklichen Inhalt ausmachen? Warum uns erst zum Schlusse mitteilen, daß die ganze Untersuchung gar keinen Zweck hat, da man das Ziel der sozialistischen Bewegung nicht durch die Verwandlung der sozialistischen Ideen in nüchterne Rechtsbegriffe, sondern nur durch das Studium der sozialen Entwicklung und ihrer treibenden Ursachen erkennen kann?

Herrn Mengers Weisheit läuft schließlich darauf hinaus, daß er erklärt, welche Richtung die soziale Entwicklung nehmen werde, könne er nicht sagen, aber eines sei sicher, man solle "die Gebrechen unserer heutigen sozialen Ordnung nicht künstlich steigern" (S. 166), und er empfiehlt zur Ermöglichung der weiteren Erhaltung dieser "Gebrechen" den - Freihandel und die Vermeidung weiteren Schuldenmachens seitens des Staats und der Gemeinden!

Diese Ratschläge sind das ganze greifbare Resultat der mit so viel Lärm und Selbstanpreisung auftretenden Rechtsphilosophie von Menger! Schade, daß uns der Herr Professor nicht das Geheimnis verrät, wie die modernen Staaten und Kommunen ohne die "Kontrahierung von Staats- und Kommunalschulden" fertig werden sollen. Sollte er dies Geheimnis besitzen, so möge er es ja nicht für sich behalten. Es würde ihm den Weg "nach oben" in den Ministersessel noch schneller bahnen, als seine "rechtsphilosophischen" Leistungen bewirken können.

|509| Welche Aufnahme immer diese an "maßgebender Stelle" finden mögen, auf jeden Fall glauben wir versichern zu dürfen, daß die Sozialisten der Gegenwart und Zukunft Herrn Menger seine gesamten Grundrechte schenken oder auf jeden Versuch verzichten, ihm diesen seinen "vollen Arbeitsertrag" streitig zu machen.

Damit ist natürlich nicht gesagt, daß die Sozialisten darauf verzichten, bestimmte Rechtsforderungen zu stellen. Eine aktive sozialistische Partei ist ohne solche unmöglich, wie überhaupt jede politische Partei. Die aus den gemeinsamen Interessen einer Klasse hervorgehenden Ansprüche können nur dadurch verwirklicht werden, daß diese Klasse die politische Macht erobert und ihren Ansprüchen allgemeine Geltung in Form von Gesetzen verschafft. Jede kämpfende Klasse muß also ihre Ansprüche in der Gestalt von Rechtsforderungen in einem Programm formulieren. Aber die Ansprüche jeder Klasse wechseln im Laufe der gesellschaftlichen und politischen Umgestaltungen, sie sind in jedem Lande verschieden, je nach seinen Eigentümlichkeiten und dem Höhegrad seiner sozialen Entwicklung. Daher sind denn auch die Rechtsforderungen der einzelnen Parteien, bei aller Übereinstimmung im Endziele, nicht zu jeder Zeit und bei jedem Volk völlig die gleichen. Sie sind ein wandelbares Element und werden von Zeit zu Zeit revidiert, wie man das bei den sozialistischen Parteien der verschiedenen Länder beobachten kann. Bei solchen Revisionen sind es die tatsächlichen Verhältnisse, die in Rechnung gezogen werden; dagegen ist es noch keiner der bestehenden sozialistischen Parteien eingefallen, aus ihrem Programm eine neue Rechtsphilosophie zu machen, und es dürfte ihr auch in der Zukunft nicht einfallen. Wenigstens, was Herr Menger auf diesem Gebiete fertiggebracht hat, vermag nur abschreckend zu wirken.

Das ist die einzige brauchbare Seite an seinem Schriftchen.


Fußnoten

(1) Vergleiche über diese den Artikel von Fr. Engels über "Ludwig Feuerbach" in der "Neuen Zeit" IV, S. 206: "Bei den Politikern von Profession, bei den Theoretikern des Staatsrechts und den Juristen des Privatrechts geht der Zusammenhang mit den ökonomischen Tatsachen erst recht verloren. Weil in jedem einzelnen Falle die ökonomischen Tatsachen die Form juristischer Motive annehmen müssen, um in Gesetzesform sanktioniert zu werden, und weil dabei auch selbstverständlich Rücksicht zu nehmen ist auf das schon geltende Rechtssystem, deswegen soll nun die juristische Form alles sein und der ökonomische Inhalt nichts. Staatsrecht und Privatrecht werden als selbständige Gebiete behandelt, die ihre unabhängige geschichtliche Entwicklung haben, die in sich selbst einer systematischen Darstellung fähig sind und ihrer bedürfen, durch konsequente Ausrottung aller inneren Widersprüche." <=

(2) Dr. Anton Menger, "Das Recht auf den vollen Arbeitsertrag in geschichtlicher Darstellung", Stuttgart, Cotta, 1886, X, S. 171. <=


MLWerke Marx/Engels - Werke Artikel und Korrespondenzen 1886