MLWerke Marx/Engels - Werke Artikel und Korrespondenzen 1888

Seitenzahlen verweisen auf:    Karl Marx/Friedrich Engels - Werke. (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 21, 5. Auflage 1975, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1962, Berlin/DDR. S. 360-375.
Korrektur:    1
Erstellt:    20.03.1999

Friedrich Engels

Schutzzoll und Freihandel (1)

[Vorwort zur amerikanischen Ausgabe von Karl Marx' "Rede über die Frage des Freihandels"]

Geschrieben April bis Anfang Mai 1888.
Nach: "Die Neue Zeit", 6. Jahrgang, Heft 7, Juli 1888.


|360| Gegen Ende 1847 fand ein Freihandelskongreß in Brüssel statt.

Es war dies ein strategisches Manöver in der damals geführten Freihandelskampagne der englischen Fabrikanten. Zu Hause siegreich, durch die Abschaffung der Korngesetze 1846, zogen sie nun nach dem Kontinent mit der Forderung, gegen freie Zulassung des kontinentalen Getreides nach England den englischen Industrieprodukten den freien Zutritt zu den kontinentalen Märkten zu gewähren. Auf diesem Kongreß hatte Marx sich in die Rednerliste eingeschrieben; aber wie zu erwarten, ließ sich die Sache so einrichten, daß der Kongreß geschlossen wurde, ehe er zum Wort kam. So war Marx genötigt, das, was er über Freihandel zu sagen hatte, in der Demokratischen Gesellschaft von Brüssel vorzutragen, einem internationalen Verein, dessen Vizepräsident er war.

Da die Frage wegen Schutzzoll oder Freihandel in Amerika augenblicklich auf der Tagesordnung steht, hat man eine englische Ausgabe der Marxschen Rede für nützlich gehalten und mich aufgefordert, sie mit ein paar einleitenden Worten zu versehn.

"Das Protektionssystem war ein Kunstmittel, Fabrikanten zu fabrizieren, unabhängige Arbeiter zu expropriieren, die nationalen Produktions- und Lebensmittel zu kapitalisieren, den Übergang aus der altertümlichen in die moderne Produktionsweise gewaltsam abzukürzen" (Marx, "Kapital", I .Bd., 3. Aufl., S. 783). Das war der Charakter des Schutzzolls bei sei- |361| nem Ursprung im siebzehnten Jahrhundert und so blieb er bis tief in das neunzehnte. Das Schutzsystem war damals die normale Politik jedes zivilisierten Landes in Westeuropa. Die einzigen Ausnahmen bildeten die deutschen Kleinstaaten und die Schweizer Kantone, nicht aus Mißfallen am System, sondern aus Verzweiflung an der Möglichkeit, es auf solche kleine Gebiete anzuwenden.

Gedeckt durch diesen Zollschutz entstand und entwickelte sich in England im letzten Drittel des achtzehnten Jahrhunderts das System der modernen großen Industrie, der Produktion durch Maschinerie und Dampfkraft. Und als ob der gewöhnliche Zollschutz nicht hingereicht hätte, wurden die Kriege gegen die Französische Revolution zu Hilfe genommen, um England das Monopol der neuen industriellen Methoden zu sichern. Während mehr als zwanzig Jahren schnitten englische Kriegsschiffe Englands industrielle Nebenbuhler ab von ihren respektiven Kolonialmärkten und öffneten gleichzeitig diese Märkte gewaltsam dem englischen Handel. Die Losreißung der südamerikanischen Kolonien von ihren europäischen Mutterländern, die Eroberung aller bedeutenderen französischen und holländischen Kolonien durch England, die allmähliche Unterjochung Indiens verwandelten alle diese Länder in Kunden für die englische Industrie. England ergänzte so den zu Hause geübten Zollschutz durch den dem Auslande, wo es nur irgend anging, aufgezwungenen Freihandel. Dank dieser glücklichen Mischung beider Systeme befand es sich am Schlüsse des Krieges 1815 im Besitz des tatsächlichen Monopols des Welthandels, wenigstens für alle entscheidenden Industriezweige.

Während der folgenden Friedensjahre wurde dies Monopol weiter ausgebildet und befestigt. Der während des Kriegs gewonnene Vorsprung vergrößerte sich von Jahr zu Jahr; mehr und mehr schien England alle seine möglichen Nebenbuhler weit hinter sich zu lassen. Und in der Tat wurde die Ausfuhr von Industrieprodukten in stets wachsenden Mengen eine Lebensfrage für England. Nur zwei Hindernisse schienen im Wege zu stehen: Die Einfuhrverbote und Schutzzölle andrer Länder und die Einfuhrzölle auf Rohstoffe und Nahrungsmittel in England.

So kam es, daß die von der klassischen politischen Ökonomie - von den französischen Physiokraten und ihren englischen Nachfolgern Adam Smith und Ricardo - gepredigte Handelsfreiheit im Lande John Bulls populär wurde. Zollschutz im Inland war nutzlos für Fabrikanten, die alle ihre ausländischen Nebenbuhler aus dem Felde schlugen, und deren Existenz geradezu abhing von der fortwährenden Ausdehnung ihrer Ausfuhr. Zollschutz zu Hause war vorteilhaft nur noch für die Produzenten von Nahrungs- |362| mitteln und andern Rohstoffen, für den Ackerbau; das hieß im damaligen England für die Empfänger von Grundrente, den grundbesitzenden Adel. Den Fabrikanten dagegen war dieser Zollschutz direkt schädlich. Soweit er Rohstoffe besteuerte, erhöhte er den Preis des daraus gefertigten Industrieprodukts; soweit er Nahrungsmittel besteuerte, erhöhte er den Preis der Arbeit; in beiden Fällen stellte er den britischen Fabrikanten in Nachteil gegenüber dem ausländischen. Da nun die übrigen Länder nach England hauptsächlich Ackerbauprodukte schickten und von England hauptsächlich Industrieprodukte bezogen, so enthielt die Abschaffung der englischen Schutzzölle auf Getreide und Rohprodukte indirekt schon die Aufforderung ans Ausland, nun auch seine Einfuhrzölle auf englische Industrieprodukte abzuschaffen oder doch zu verringern.

Nach langem und heftigem Kampf siegten die englischen industriellen Kapitalisten; sie waren damals tatsächlich schon die leitende Klasse der Nation, die Klasse, deren Interessen augenblicklich auch die nationalen Interessen waren. Der grundbesitzende Adel mußte kapitulieren. Die Zölle auf Korn und Rohstoffe wurden abgeschafft. Freihandel war nunmehr das Losungswort. Die nächste Aufgabe der englischen Fabrikanten und ihrer Wortführer, der politischen Ökonomen, war nun, den Glauben an das Freihandelsevangelium überall zu verbreiten und so eine Welt zu schaffen, worin England das große Industriezentrum wäre, und die übrigen Länder nur sein abhängiger Ackerbaubezirk. Das war die Zeit des Brüsseler Kongresses, die Zeit der fraglichen Rede von Marx. Während er anerkennt, daß Schutzzoll noch immer unter gewissen Umständen, z.B. im damaligen Deutschland, den industriellen Kapitalisten vorteilhaft sein kann; während er nachweist, daß der Freihandel keineswegs das angepriesene Allerweltsheilmittel ist für alle Leiden der Arbeiterklasse, und im Gegenteil diese Leiden selbst vergrößern kann, spricht er sich in letzter Instanz und im Prinzip zugunsten des Freihandels aus. Für ihn ist Freihandel der Normalzustand der modernen kapitalistischen Produktion. Nur unter dem Freihandel können die ungeheuren Produktivkräfte des Dampfs, der Elektrizität, der Maschinerie sich vollständig entwickeln; und je rascher diese Entwicklung, desto eher und desto vollständiger werden ihre unvermeidlichen Folgen hervortreten: die Spaltung der Gesellschaft in zwei Klassen, Kapitalisten hier, Lohnarbeiter dort; erblicher Reichtum auf dieser, erbliche Armut auf jener Seite; Überschuß des Angebots über die Nachfrage, Unfähigkeit der Märkte, die stets wachsende Masse der Industrieprodukte aufzusaugen; ein stets wiederholter Kreislauf von Prosperität, Überproduktion, Krisis, Panik, chronischer Stauung und allmählicher Wiederbelebung des |363| Geschäfts; diese letztere ein Anzeichen nicht dauernder Besserung, sondern bevorstehender erneuter Überproduktion und Krisis; in einem Wort, die gesellschaftlichen Produktivkräfte zu so riesigen Dimensionen heranwachsend, daß ihnen die gesellschaftlichen Institutionen, unter denen sie in Betrieb gesetzt worden, zu unerträglichen Fesseln werden, nur eine mögliche Lösung: eine gesellschaftliche Umgestaltung, die die gesellschaftlichen Produktivkräfte von den Fesseln einer veralteten gesellschaftlichen Ordnung und die wirklichen Produzenten, das heißt die große Volksmasse, von der Lohnsklaverei befreit. Und weil der Freihandel die natürliche und normale Atmosphäre ist für diese historische Entwicklung, das ökonomische Medium, worin die Bedingungen dieser unvermeidlichen Lösung am raschesten ins Leben treten - deswegen und nur deswegen erklärte sich Marx für den Freihandel.

Indes schienen die nächsten Jahre nach dem Sieg des Freihandels in England die Erfüllung zu bringen selbst der übertriebensten Erwartungen von der nun folgenden Prosperität. Der britische Handel stieg auf eine fabelhafte Höhe; das industrielle Monopol Englands auf dem Weltmarkt schien fester gegründet als je; neue Hochöfen, neue Fabriken erstanden an allen Enden; neue Industriezweige wuchsen überall empor. Allerdings kam 1857 eine schwere Krisis, aber sie wurde überstanden, und bald war der Vormarsch auf dem ganzen Gebiet des Handels und der Industrie wieder in vollem Gange, bis 1866 eine neue Panik ausbrach, die diesmal in der Tat eine neue Epoche der ökonomischen Weltgeschichte anzuzeigen scheint.

Der unerhörte Aufschwung der Industrie und des Handels in England von 1848 bis 1866 war unbedingt großenteils die Folge der Beseitigung der Schutzzölle auf Rohprodukte und Nahrungsmittel. Aber keineswegs allein. Andere gleichzeitige Ereignisse trugen mächtig dazu bei. Die erwähnten Jahre umschließen die Entdeckung und Ausbeutung der kalifornischen und australischen Goldfelder und damit eine enorme Vermehrung der Austauschmittel auf dem Weltmarkt; sie bezeichnen eine allgemeine Umwälzung der Transportmittel für Menschen wie Waren; auf dem Ozean die Verdrängung der Segelschiffe durch Dampfer, und auf dem Lande, so weit die zivilisierte Welt reicht, der Chausseen durch die Eisenbahnen, so daß der Schienenweg jetzt die hauptsächliche, der makadamisierte Weg die untergeordnete Verbindungslinie wird. Kein Wunder, daß unter so günstigen Umständen die mit Dampf getriebene englische Industrie ihre Herrschaft ausdehnte auf Kosten ausländischer, auf Handarbeit beruhender Hausindustrien. Was aber sollten die anderen Länder tun? Sollten sie still- |364| sitzen und es sich demütig gefallen lassen, wenn sie so degradiert wurden zu bloßen ackerbauenden Anhängseln von England, "der Werkstatt der Welt"?

Die anderen Länder taten eben nichts der Art. Frankreich hatte seit fast zweihundert Jahren seine Industrie gedeckt hinter einer vollständigen chinesischen Mauer von Schutzzöllen und Einfuhrverboten und hatte in allen Luxus- und Geschmacksartikeln eine Überlegenheit erlangt, die England zu bestreiten nicht einmal versuchte. Die Schweiz, unter vollständigem Freihandel, besaß eine verhältnismäßig bedeutende Industrie, der die englische Konkurrenz nichts anhaben konnte. Deutschland, mit einem weit liberaleren Tarif als der irgendeines anderen großen kontinentalen Landes, entwickelte seine Industrie verhältnismäßig rascher als selbst England. Amerika endlich wurde durch den Bürgerkrieg von 1861 plötzlich auf seine eigenen Hilfsmittel angewiesen, hatte eine plötzliche Nachfrage nach Industrieprodukten aller Art zu befriedigen und konnte dies nur durch Schaffung einer eigenen inländischen Industrie. Die Kriegsnachfrage hörte auf mit dem Krieg; aber die neue Industrie war da und hatte der englischen Konkurrenz die Spitze zu bieten. Und der Krieg hatte in Amerika die Einsicht zur Reife gebracht, daß ein Volk von fünfunddreißig Millionen, mit der Fähigkeit, seine Zahl in längstens vierzig Jahren zu verdoppeln, mit fast unbeschränkten Hilfsquellen aller Art, umgeben von Nachbarn, die auf Jahre hinaus wesentlich ackerbautreibend sein müssen, daß solch' ein Volk "die offenbare Bestimmung" habe, für seine Hauptverbrauchsartikel von fremden Industrien unabhängig zu werden, und zwar im Frieden sowohl wie im Krieg. Und daraufhin führte Amerika den Schutzzoll ein.

Vor ungefähr fünfzehn Jahren reiste ich im Eisenbahnwagen mit einem intelligenten Glasgower Geschäftsmann, der ein besonderes Interesse an Eisen nahm. Die Rede kam auf Amerika. Er gab mir die altbekannten Freihandelsredensarten zum besten: Sei es nicht unbegreiflich, daß geriebene Geschäftsleute wie die Amerikaner ihren einheimischen Hüttenbesitzern und Fabrikanten Tribut zahlen, wo sie doch denselben oder gar einen besseren Artikel für den halben Preis von hier aus beziehen können? Und dann folgten Beispiele, wie wahnsinnig hoch die Amerikaner sich selbst besteuerten, um ein paar geldgierige Besitzer von Eisenhütten zu bereichern. "Nun", sagte ich, "die Sache scheint auch eine andere Seite zu haben. Sie wissen, daß in Kohlen, Wasserkraft, Eisen- und andern Erzen, wohlfeilen Nahrungsmitteln, einheimischer Baumwolle und andern Rohstoffen Amerika Hilfsquellen und Vorteile besitzt, worin ihm kein europäisches Land das Wasser reicht; und daß diese Hilfsquellen nur dann vollständig |365| entwickelt werden können, wenn Amerika ein Industrieland wird. Sie werden ferner zugeben, daß heutzutage ein großes Volk wie die Amerikaner nicht ewig bloß ackerbauend bleiben kann; daß das eine Verurteilung zu ewiger Barbarei und Unterordnung wäre; heutzutage kann kein großes Volk bestehn ohne eigene Industrie. Nun gut. Wenn Amerika ein Industrieland werden muß, und wenn es alle Aussicht hat, hierin seine Nebenbuhler nicht nur zu erreichen, sondern selbst zu schlagen, dann stehn ihm zwei Wege offen: Entweder bei freiem Handel wahrend meinetwegen fünfzig Jahren einen äußerst kostspieligen Konkurrenzkampf zu führen gegen die englische Industrie, die ihr um hundert Jahre voraus ist; oder aber durch Schutzzölle die englische Konkurrenz auf meinetwegen fünfundzwanzig Jahre auszuschließen mit der fast absoluten Gewißheit, daß am Ende der fünfundzwanzig Jahre die amerikanische Industrie auf dem offenen Weltmarkt ihren Platz behaupten wird. Welcher der beiden Wege ist der wohlfeilste und der kürzeste? Darum handelt es sich. Wenn Sie von Glasgow nach London reisen, so können Sie den gesetzlich vorgeschriebenen Bummelzug (parliamentary train) nehmen; Sie zahlen einen Penny die Meile und fahren zwölf Meilen in der Stunde; aber das fällt Ihnen nicht ein, dazu ist Ihnen Ihre Zeit zu lieb. Sie reisen Expreßzug, zahlen zwei Pence die Meile und machen vierzig Meilen die Stunde. Nun gut, die Amerikaner ziehen vor, ein Expreßbillett zu nehmen, um so viel rascher vorwärts zu kommen." Mein schottischer Freihändler hatte kein Wort der Erwiderung.

Da das Protektionssystem ein Kunstmittel ist, Fabrikanten zu fabrizieren, kann es nützlich erscheinen nicht nur einer halbentwickelten Kapitalistenklasse, die noch mit dem Feudalismus ringt. Es kann der aufkommenden Kapitalistenklasse auch vorwärtshelfen in einem Lande, das, wie Amerika, den Feudalismus nie gekannt hat, das aber auf der Entwicklungsstufe steht, wo der Übergang vom Ackerbau zur Industrie eine Notwendigkeit wird. Amerika, in diese Lage gebracht, entschied sich für den Schutzzoll. Seit jener Entscheidung sind die fünfundzwanzig Jahre, von denen ich meinem Reisegefährten sprach, so ziemlich verflossen und wenn ich mich nicht täuschte, so muß der Schutzzoll jetzt in Amerika seine Arbeit so ziemlich getan haben und muß deshalb entbehrlich sein.

Das ist auch schon seit einiger Zeit meine Ansicht. Vor zwei Jahren sagte ich einem amerikanischen Schutzzöllner: "Wenn Amerika Freihandel einführt, so bin ich überzeugt, daß es in zehn Jahren England auf dem Weltmarkt schlagen wird."

Der Schutzzoll ist im besten Falle eine Schraube ohne Ende und man weiß nie, wann man mit ihm fertig ist. Wenn wir einen Geschäftszweig |366| schützen, so schädigen wir direkt oder indirekt alle anderen und müssen sie demzufolge ebenfalls schützen. Dadurch schädigen wir aber wieder die zuerst geschützte Industrie und geben ihr Anspruch auf Entschädigung; aber diese Entschädigung wirkt wiederum auf alle anderen Geschäftszweige zurück und berechtigt sie zu neuen Ansprüchen - und so fort ins Unendliche. In dieser Beziehung bietet uns Amerika ein schlagendes Exempel, wie man eine wichtige Industrie durch Zollschutz töten kann. 1856 betrug die Gesamteinfuhr und Ausfuhr der Vereinigten Staaten zur See 641.604.850 Dollar; von diesem Betrage wurden 75,2 Prozent in amerikanischen und nur 24,8 Prozent in ausländischen Schiffen verladen. Damals schon fingen englische ozeanische Dampfer an, amerikanische Segelschiffe zu verdrängen; trotzdem führten 1860 von einem Gesamtseehandel von 762.288.550 Dollar amerikanische Schiffe noch immer 66,5 Proz. Der Bürgerkrieg kam und in seinem Gefolge Zollschutz für den amerikanischen Schiffsbau; und dieser Zollschutz war so erfolgreich, daß er die amerikanische Flagge fast ganz von der hohen See vertrieben hat. 1887 war der gesamte Seehandel der Vereinigten Staaten auf 1.408.502.979 Dollar gestiegen; aber nur noch 13,8 Prozent waren mit amerikanischen Schiffen und 86,2 Prozent mit fremden Schiffen verladen. Der in amerikanischen Schiffen verladene Warenwert betrug 1856 482.268.274 Dollar; 1860 507.247.757 Dollar; 1887 nur noch 194.356.746 Dollar.(2) Vor vierzig Jahren drohte die amerikanische Flagge der englischen auf dem Ozean den Rang abzulaufen; jetzt ist sie fast verschollen. Der Zollschutz für den Schiffsbau hat Schiffahrt und Schiffsbau ruiniert.

Ein anderer Punkt. Verbesserte Produktionsmethoden folgen heutzutage so rasch aufeinander und verändern die Natur ganzer Industriezweige so plötzlich und so vollständig, daß, was gestern noch ein billig ausgleichender Schutztarif war, heute in das Gegenteil umschlägt. Hiefür bietet uns derselbe Bericht des Schatzsekretärs auf S. XIX ebenfalls ein Beispiel:

"Verbesserungen der Wollkämm-Maschinerie haben in den letzten Jahren in den sogenannten Kammgarntuchen solche Veränderungen hervorgerufen, daß diese Tuche das gewöhnliche wollene Streichgarntuch in der Männerkleidung verdrängt haben. Diese Änderung ... hat unsere inländischen Kammgarnwebereien sehr ungünstig getroffen, da der Zoll auf alle Sorten Rohwolle derselbe ist, während der Zoll auf Streichgarntuche bis zum Wert von 80 Cents per Pfund, 35 Cents per Pfund und 35 Prozent auf den Wert beträgt; dagegen beträgt der Zoll auf Kammgarntuch, bis zum Wert von |367| 80 Cents per Pfund, nur von 10 bis 24 Cents per Pfund und 35 Cents auf den Wert. In einigen Fällen ist der Zoll auf zum Kammgarntuch verwandte Wolle höher als der auf die fertige Ware."

Was also gestern Schutz der heimischen Industrie war, hat sich heute in eine Prämie für den fremden Importeur verwandelt, und wohl mag der Schatzsekretär |Charles Fairchild| sagen:

"Es ist Grund, zu erwarten, daß die Kammgarnweberei im Inland bald aufhören muß, wenn keine Änderung im Tarif eintritt."

Aber um den Tarif zu ändern, muß man sich herumschlagen mit den Streichgarnwebern, die von der jetzigen Lage profitieren, muß man eine regelmäßige Kampagne eröffnen, um die Majorität beider Kongreßhäuser, um schließlich die öffentliche Meinung des Landes herumzubringen, und die Frage ist: Zahlt sich das?

Das schlimmste beim Zollschutz aber ist, daß man ihn so leicht nicht wieder los wird. So schwierig die Herstellung eines nach allen Seiten billigen Schutztarifs ist, die Rückkehr zum Freihandel ist noch unendlich schwieriger. Die Umstände werden nie wiederkehren, die England erlaubten, den Übergang in ein paar Jahren zu vollziehn. Und selbst da datiert der Kampf von 1823 (Huskisson), hatte die ersten Erfolge 1842 (Peels Tarif) und dauerte noch einige Jahre fort nach Abschaffung der Korngesetze. So wurde der Seidenindustrie (der einzigen, die noch fremde Konkurrenz zu fürchten hatte) zuerst verlängerter Zollschutz für eine Reihe von Jahren gewährt und dann in einer andern, geradezu infamen Form bewilligt: die andern Textilindustrien wurden unter das Fabrikgesetz gestellt, das die Arbeitsstunden für Frauen, jugendliche Arbeiter und Kinder beschränkte; die Seidenindustrie wurde durch beträchtliche Ausnahmen begünstigt, durfte jüngere Kinder anstellen und durfte Kinder und jugendliche Arbeiter längere Zeit arbeiten lassen als die andern Industrien. Das Monopol, das die heuchlerischen Freihändler zugunsten der auswärtigen Konkurrenten abschafften, wurde wieder hergestellt auf Kosten der Gesundheit und des Lebens englischer Arbeiterkinder.

Es wird aber nie wieder vorkommen, daß ein Land den Übergang vom Zollschutz zum Freihandel zu einer Zeit machen kann, wo alle oder fast alle Zweige seiner Industrie imstande sind, der fremden Konkurrenz im offenen Markt Trotz zu bieten. Die Notwendigkeit dieses Übergangs wird sich geltend machen, lange bevor ein solcher Zustand nur zu erhoffen ist. |368| Sie wird sich geltend machen in verschiedenen Geschäftszweigen zu verschiedenen Zeiten; aus den widerstreitenden Interessen dieser Geschäftszweige werden die erbaulichsten Zänkereien und parlamentarischen Intrigen erwachsen. Der Maschinenbauer, der Ingenieur und der Schiffsbauer findet vielleicht, daß der Zollschutz auf Roheisen seine Ware verteuert und ihm dadurch, und nur dadurch, die Ausfuhr verschließt; der Baumwollweber wäre vielleicht imstande, den englischen Kaliko im chinesischen und indischen Markt zu schlagen, erhöhte ihm nicht der Zollschutz für den Spinner den Preis seines Garns usw. Im Augenblick, wo ein nationaler Industriezweig den inneren Markt vollständig erobert hat, in dem Augenblick wird ihm die Ausfuhr unentbehrlich. Unter dem kapitalistischen System muß eine Industrie entweder sich ausdehnen oder zusammenschrumpfen. Sie kann nicht stationär bleiben; Hemmung der Ausdehnung ist beginnender Ruin; der Fortschritt der mechanischen und chemischen Erfindungen setzt fortwährend menschliche Arbeit außer Beschäftigung, während er das Kapital gleichzeitig noch rascher vermehrt und konzentriert; er schafft so in jeder stagnanten Industrie einen Überschuß von Arbeitern sowohl wie von Kapital, einen Überschuß, der nirgends einen Abschluß findet, weil derselbe Prozeß in allen anderen Industriezweigen gleichfalls vorgeht. So wird der Übergang vom inländischen zum Ausfuhrhandel eine Lebensfrage für alle diese Industriezweige; aber da treten ihnen die wohlerworbenen Rechte, die eingewurzelten Interessen anderer entgegen, die einstweilen beim Zollschutz noch mehr Sicherheit oder mehr Profit finden als beim Freihandel. So erfolgt ein langer, hartnäckiger Kampf zwischen Freihändlern und Schutzzöllnern, ein Kampf, worin auf beiden Seiten die Führerschaft bald aus den Händen der unmittelbar Interessierten übergeht in die der Politiker von Profession, der Drahtzieher der überlieferten politischen Parteien, deren Interesse ist, nicht, daß die Frage erledigt wird, sondern daß sie möglichst lange offen bleibt; nach einem endlosen Verlust von Zeit, Kraft und Geld erfolgt dann gewöhnlich eine Reihe von Kompromissen zugunsten bald dieser, bald jener Seite, die im ganzen langsam dem Freihandel zutreibt - es sei denn, daß der Zollschutz es inzwischen fertigbringt, sich der Nation absolut unerträglich zu machen, und das ist in Amerika möglich genug.

Von allen Arten Zollschutz ist diejenige die schlimmste, die uns in Deutschland vorgeführt wird. Auch Deutschland spürte bald nach 1815 die Notwendigkeit einer rascheren industriellen Entwicklung. Die erste Bedingung hierfür war die Herstellung des inländischen Marktes durch Beseitigung der zahllosen Zollinien und aparten Fiskalgesetze der Kleinstaaten, kurz, die Bildung eines deutschen Zollvereins. Dieser war herstellbar |369| nur auf Grundlage eines liberalen Tarifs, zugeschnitten mehr auf Steuerzwecke als auf Industrieschutz. Unter keiner anderen Bedingung hätte man die Kleinstaaten zum Eintritt gebracht. So war der neue Zollvereinstarif, wenn auch in geringem Maß einige Industrien schützend, für die Zeit seiner Einführung ein wahres Muster von Freihandel; er blieb dies, obwohl seit 1830 die Mehrzahl der deutschen Fabrikanten den Ruf nach Zollschutz erhoben. Und doch, unter diesem äußerst liberalen Tarif und trotz der unbarmherzigen Erdrückung deutscher, auf Handarbeit beruhender Hausindustrien durch die Konkurrenz der großen englischen Industrie, vollzog sich der Übergang von der Handarbeit zur Maschinerie auch in Deutschland allmählich und ist jetzt fast durchgeführt. Der Übergang Deutschlands vom Ackerbau zur Industrie vollzog sich im selben Maße und wurde seit 1866 noch durch politische Ereignisse gefördert: die Errichtung einer starken Zentralregierung und eines Reichsparlaments, einheitliche Gewerbegesetzgebung sicherstellend; einheitliche Münze, Maß und Gewicht, und endlich die französische Milliardenflut. - So kam es, daß gegen 1874 der deutsche Gesamthandel auf dem Weltmarkt nur noch hinter dem englischen zurückstand (3), und Deutschland mehr Dampfkraft in Industrie und Transport im Betrieb hatte als irgendein anderes europäisches Kontinentalland. So war der Beweis geliefert, daß auch jetzt noch, trotz des enormen Vorsprungs der englischen Industrie, ein großes Land sich zu erfolgreicher Konkurrenz mit England im offenen Markt emporarbeiten kann.

Da auf einmal wurde die Front verändert: Gerade in dem Augenblick, wo mehr als je der Freihandel eine Notwendigkeit für Deutschland schien, gerade da führte es Schutzzölle ein. Das war zweifellos absurd, aber es läßt sich erklären.

Solange Deutschland Korn ausführte, waren sämtliche Grundbesitzer und sämtliche Reeder begeisterte Freihändler. Aber 1874, statt Korn auszuführen, brauchte Deutschland starke Zufuhren vom Ausland. Ungefähr gleichzeitig begann Amerika Europa mit Zufuhren wohlfeilen Korns zu überschwemmen; überall, wohin sie flossen, verringerten sie das Geldeinkommen, das der Boden lieferte, und damit die Bodenrente; von da an erhob der gesamte Grundbesitz in ganz Europa den Ruf nach Zollschutz. Gleichzeitig litt die deutsche Industrie an den Nachwirkungen der heillosen Überproduktion und Überspekulation, die unter dem französischen |370| Milliardenregen emporgeschossen war; während England, dessen Industrie seit der Krisis von 1866 eine chronische Stauung noch immer nicht überwunden hatte, alle zugänglichen Markte überschwemmte mit Waren, unverkäuflich zu Hause und eben deswegen draußen zu Schleuderpreisen weggeschenkt. Obwohl also die deutsche Industrie wesentlich auf die Ausfuhr angewiesen war, sahen die Fabrikanten doch jetzt im Zollschutz ein Mittel, sich den inneren Markt ausschließlich zu sichern. Die Regierung aber war nur zu froh, diesen Umstand benutzen zu können zum Vorteil des grundbesitzenden Adels, indem sie beiden, Grundbesitzern und Industriellen, Schutzzölle gab. 1878 wurde ein hoher Schutztarif eingeführt, sowohl für Ackerbau- wie für Industrieprodukte.

Die Folge war, daß seitdem die Ausfuhr deutscher Industrieprodukte geradezu aus der Tasche des heimischen Konsumenten bezahlt wird. Wo nur immer möglich, bildeten die Fabrikanten Kartelle zur Regulierung des Ausfuhrhandels und der Produktion selbst. Die deutsche Eisenproduktion ist in den Händen einiger wenigen großen Firmen, meist Aktiengesellschaften, die zusammen ungefähr viermal soviel Eisen produzieren wie das Land im Durchschnitt braucht. Zur Vermeidung nutzloser gegenseitiger Konkurrenz haben diese Firmen ein Kartell gebildet, das alle ausländischen Submissionen unter sie verteilt und in jedem Fall die Firma bestimmt, die die wirkliche Offerte zu machen hat. Dies Kartell hatte vor einigen Jahren sogar ein Abkommen mit den englischen Hüttenbesitzern geschlossen, das indes in die Brüche gegangen ist. Ebenso haben die westfälischen Kohlengruben, die gegen dreißig Millionen Tonnen jährlich produzieren, ein Kartell gebildet zur Regulierung der Preise der Submissionsofferten und der Produktion selbst. Überhaupt, jeder deutsche Fabrikant sagt euch, daß der einzige Zweck der Schutzzölle ist, ihm zu erlauben, daß er sich im inneren Markt erholt von den Schleuderpreisen, die er im Ausland zu nehmen hat. Das ist aber noch nicht alles. Um den Preis dieses absurden Systems des Industrieschutzes haben die industriellen Kapitalisten einem noch widersinnigeren Monopol zugestimmt, das der Grundbesitz erhalten hat. Nicht nur sind alle Ackerbauprodukte hohen und noch fortwährend erhöhten Eingangszöllen unterworfen, sondern gewisse ländliche Industrien, die die Herren Junker auf ihren Gütern betreiben, werden aus dem öffentlichen Beutel direkt unterstützt. Die Rübenzuckerindustrie ist nicht nur geschützt, sondern erhält außerdem enorme Summen in Gestalt von Exportprämien. Jemand, der das wissen sollte, ist der Meinung, daß, wenn der ausgeführte Zucker sämtlich in die See geschüttet würde, der Fabrikant immer noch an der Exportprämie ein gutes Geschäft machen muß. Desgleichen erhalten |371| die Kartoffelschnapsbrenner infolge der neuesten Gesetzgebung aus der Tasche des Publikums ein Geschenk von mindestens sechsunddreißig Millionen Mark jährlich. Und da fast jeder große Grundbesitzer im Nordosten Deutschlands entweder Rübenzuckersieder oder Kartoffelschnapsbrenner oder beides ist, kein Wunder, daß die Welt mit ihren Produkten förmlich überschwemmt wird.

Diese Politik, verderblich unter allen Umständen, ist dies doppelt in einem Land, dessen Industrie ihren Absatz auf neutralen Märkten hauptsächlich durch die Wohlfeilheit der Arbeit aufrechthält. Der Arbeitslohn wird in Deutschland selbst in den besten Zeiten dem Hungerpunkt ungebührlich nahe gehalten durch den trotz aller Auswanderung raschen Zuwachs der Volkszahl. Aber er muß steigen infolge der Verteuerung aller Lebensmittel, die der Schutzzoll erzwingt. Der deutsche Fabrikant wird dann nicht mehr imstande sein, wie jetzt nur zu oft, sich für die Schleuderpreise seiner Waren durch einen Abzug vom normalen Lohn seiner Arbeiter zu entschädigen: er verliert die Konkurrenzfähigkeit. In Deutschland schlachtet der Schutzzoll die Henne, die die goldnen Eier legt.

Auch Frankreich leidet an den Folgen des Zollschutzes. Hier ist das System durch zweihundertjährige unbestrittene Herrschaft fast ein Stück vom Leben der Nation geworden. Trotzdem wird es mehr und mehr ein Hindernis. Die große Industrie bedingt fortwährenden Wechsel in den Methoden der Produktion, aber der Schutzzoll verlegt den Weg. Der Rücken von Seidensamt wird heutzutage aus feinem Baumwollgarn gemacht; der französische Fabrikant muß auf dieses entweder den Zollschutz bezahlen oder sich endlosen bürokratischen Amtsschikanen unterziehen, die die ihm dadurch ermöglichte admission temporaire |zeitweise Zulassung| mehr als reichlich aufwiegen, und so kann Krefeld erfolgreich konkurrieren, weil dort der Zollschutz auf feines Baumwollgarn immer noch geringer ist. Die französische Ausfuhr, wie schon gesagt, besteht hauptsächlich aus Luxusartikeln, worin der bis jetzt überlegene französische Geschmack entscheidet; aber die Hauptkonsumenten solcher Artikel sind heutzutage überall unsere modernen kapitalistischen Emporkömmlinge, die weder Bildung noch Geschmack haben, die mit billigen und plumpen deutschen oder englischen Nachahmungen ebensogut bedient sind und die oft genug dergleichen Zeug zu wahnsinnigen Preisen für den echten französischen Artikel einkaufen. Der Markt für die Spezialartikel, die außerhalb Frankreichs nicht gemacht werden können, verengert sich mehr und mehr; die französische Industrie- |372| ausfuhr hält sich nur knapp aufrecht und muß bald abnehmen; welche neuen Artikel kann Frankreich ausführen zum Ersatz derjenigen, deren Ausfuhr abstirbt? Wenn hier etwas helfen kann, ist es ein verwegener Schritt in der Richtung zum Freihandel hin, der den französischen Fabrikanten aus seiner gewohnten Treibhausatmosphäre in die freie Luft der offenen Konkurrenz stellt. In der Tat wäre der französische Gesamthandel schon jetzt zusammengeschrumpft, hätte ihm nicht der schwache und unsichere Schritt zum Freihandel hin, der Cobdenvertrag von 1860, vorangeholfen; dessen Wirkungen sind jetzt so ziemlich erschöpft, und eine stärkere Dosis von diesem Tonikum ist angezeigt.

Es ist kaum der Mühe wert, von Rußland zu sprechen. Dort dient der Schutztarif, dessen Zölle in Gold statt im entwerteten Papiergeld des Landes entrichtet werden müssen, vor allen Dingen dazu, der verpauperten Regierung die klingende Münze zu liefern, deren sie im Verkehr mit auswärtigen Gläubigern leider nicht entraten kann. An dem Tage, wo dieser Tarif seine Schutzbestimmung erfüllt und fremde Waren ausnahmslos ausschließt, an dem Tage ist die russische Regierung bankerott. Trotzdem läßt diese selbe Regierung vor den Augen ihrer gläubigen Untertanen die brillante Hoffnung tänzeln, als sollte dieser Tarif Rußland in ein ökonomisch vollständig unabhängiges Land verwandeln, das vom Ausland nichts, aber auch gar nichts mehr braucht, weder Nahrungsmittel noch Rohstoffe noch Werke der Industrie oder Kunst. Die Leute, die an dieses gespenstige, von der ganzen übrigen Welt abgeschlossene Rußland glauben, stehen auf der Stufe jenes preußischen Gardelieutenants, der im Laden einen Globus verlangte, keinen Erd- oder Himmelsglobus, sondern einen Globus von Preußen.

Doch zurück zu Amerika. Es sind schon Anzeichen genug da, daß der Zollschutz für die Vereinigten Staaten geleistet hat, was er leisten konnte, und daß es Zeit ist, man gibt ihm den Abschied. Eines dieser Anzeichen ist die Bildung von Kartellen zur Unterstützung der geschützten Industrien in der Ausbeutung ihres Monopols. Nun sind Kartelle (Rings, Trusts) echt amerikanische Einrichtungen, und wo sie natürliche Vorteile ausbeuten, muß man sie sich einstweilen gefallen lassen. Die Verwandlung der pennsylvanischen Steinölproduktion in ein Monopol der Standard Oil Company ist ein Verfahren, das mit den Regeln der kapitalistischen Produktion durchaus im Einklang steht. Wenn aber die Zuckersieder den ihnen durch die Nation bewilligten Schutz gegen auswärtige Konkurrenz verwandeln wollen in ein Monopol gegen den inländischen Konsumenten, das heißt, gegen dieselbe Nation, die den Schutz bewilligt hat, so ist das ein |373| anderes Ding. Trotzdem haben die großen Zuckersieder ein Kartell gebildet, das nichts andres erstrebt. Und das Zuckerkartell ist nicht das einzige seiner Art. Die Bildung von solchen Kartellen in geschützten Industrien ist das sicherste Zeichen, daß der Zollschutz sich ausgelebt hat und seinen Charakter verändert; daß er den Fabrikanten nicht mehr gegen den fremden Importeur, sondern gegen den heimischen Konsumenten schützt, daß wenigstens in diesem speziellen Industriezweig er Fabrikanten genug, wo nicht zu viele fabriziert hat; daß das durch den Zollschutz diesen Fabrikanten in den Schoß geworfene Geld einfach weggeworfenes Geld ist - ganz wie in Deutschland.

In Amerika ganz wie anderswo wird der Zollschutz verteidigt mit der Behauptung, daß der Freihandel nur England zugute kommt. Der beste Beweis des Gegenteils ist, daß in England nicht nur die Pächter und Grundbesitzer, sondern selbst die Fabrikanten Schutzzöllner werden. Im Sitz der freihändlerischen Manchesterschule, in Manchester selbst, diskutierte am 1. November 1886 die Handelskammer den Antrag,

"daß, nachdem wir vierzig Jahre umsonst gewartet haben, andere Nationen zur Nachahmung des von England gegebenen freihändlerischen Beispiels zu bewegen, die Kammer die Zeit für gekommen glaubt, diese Lage aufs neue in Erwägung zu ziehen."

Der Antrag wurde allerdings verworfen, aber mit 22 Stimmen gegen 21. Und das geschah in dem Zentrum der Baumwollenindustrie, der einzigen englischen Industrie, deren Überlegenheit im offnen Markt noch unbestritten scheint. Aber freilich, auch in diesem speziellen Industriezweig ist der Erfindungsgeist aus England nach Amerika ausgewandert. Die neuesten Verbesserungen in der Baumwollmaschinerie (Spinnen und Weben) sind fast alle von Amerika gekommen und Manchester hatte sie nur einzuführen. In industriellen Erfindungen aller Art steht Amerika entschieden an der Spitze, während Deutschland den Engländern den zweiten Platz streitig macht. Das Bewußtsein gewinnt Boden in England, daß das englische Industriemonopol unwiederbringlich dahin ist, daß England vergleichsweise immer mehr Terrain verliert, während seine Nebenbuhler vorankommen, und daß es allmählich einer Lage zutreibt, wo es ein Industrieland unter vielen wird sein müssen, statt, wie einst geträumt, die "Werkstatt der Welt". Und um dies hereinbrechende Geschick zurückzudämmen, wird jetzt der Zollschutz, schlecht verhüllt unter dem Schleier des "Fair Trade" und der Kampfzölle, angerufen von den Söhnen derselben Männer, die vor vierzig Jahren kein Heil sahen außer im absoluten Freihandel. Und wenn die englischen Fabrikanten jetzt selbst finden, daß der Freihandel sie ruiniert, und |374| die Regierung angehn, sie gegen fremde Konkurrenz zu schützen, dann ist unbedingt der Augenblick gekommen, das fernerhin nutzlose Schutzsystem über Bord zu werfen und das sinkende Industriemonopol Englands zu bekämpfen mit seiner eigenen Waffe, dem Freihandel.

Indes, wie schon gesagt, man führt den Zollschutz leicht ein, man wird ihn aber sobald nicht wieder los. Indem die Gesetzgebung den Zollschutz annahm, hat sie gewaltige Interessen geschaffen und sich für diese verantwortlich gemacht. Nicht jedes einzelne dieser Interessen, nicht jeder Industriezweig ist gleichmäßig darauf eingerichtet, in einem gegebenen Moment sich der freien Konkurrenz ausgesetzt zu sehen. Während einige keine Schutzbemutterung mehr nötig haben, schleppen andere sich mühsam nach. Dieser Unterschied der Lage wird im Parlament den üblichen Parteiklüngel in Bewegung setzen und ist an sich selbst Sicherheit genug, daß, wenn der Freihandel einmal beschlossene Sache ist, mit den geschützten Industrien fein säuberlich verfahren wird, wie nach 1846 mit der Seidenindustrie in England. Wie die Sache liegt, ist das unvermeidlich und die Freihändler werden sich das gefallen lassen müssen, solange der Übergang nur im Prinzip feststeht.

Die Frage über Freihandel und Zollschutz bewegt sich gänzlich innerhalb der Grenzen des heutigen Systems der kapitalistischen Produktion und hat deshalb kein direktes Interesse für Sozialisten, die die Beseitigung dieses Systems verlangen. Sie interessiert sie aber indirekt so weit, als sie dem jetzigen Produktionssystem eine möglichst freie Entfaltung und möglichst rasche Ausdehnung wünschen müssen; denn damit wird es auch seine notwendigen ökonomischen Folgen entfalten: Elend der großen Volksmasse infolge einer Überproduktion, die entweder periodische Krisen oder chronische Stagnation des Verkehrs erzeugt; Spaltung der Gesellschaft in eine kleine Klasse großer Kapitalisten und eine große Klasse tatsächlich erblicher Lohnsklaven, Proletarier, deren Zahl beständig wächst, während sie ebenso beständig durch neue arbeitsparende Maschinerie überzählig gemacht wird; kurz, Verrennung der Gesellschaft in eine Sackgasse, aus der kein Entkommen möglich ist, außer durch eine vollständige Umgestaltung der der Gesellschaft zugrunde liegenden ökonomischen Struktur. Von diesem Standpunkt aus erklärte sich Marx vor vierzig Jahren im Prinzip für den Freihandel als für den geraderen Weg, also denjenigen, der die kapitalistische Gesellschaft am raschesten in diese Sackgasse führen wird. Wenn aber Marx aus diesem Grunde für den Freihandel ist, ist das eben nicht ein Grund für jeden Verteidiger der gegenwärtigen Ordnung, gegen den Freihandel zu sein? Wenn der Freihandel revolutionär sein soll, müssen nicht |375| alle guten Bürger für den Zollschutz stimmen, der dann notwendigerweise konservativ ist?

Wenn heutzutage ein Land den Freihandel annimmt, so wird es das sicher nicht den Sozialisten zu Gefallen tun, sondern weil der Freihandel eine Notwendigkeit für die industriellen Kapitalisten geworden ist. Verwirft es aber den Freihandel und hält fest am Zollschutz, um die Sozialisten um ihre erwartete soziale Katastrophe zu prellen, so ist niemand mehr geprellt als es selbst. Der Schutzzoll ist ein Mittel, Fabrikanten künstlich zu fabrizieren und deswegen ebenfalls ein Mittel, künstlich Lohnarbeiter zu fabrizieren. Züchtet ihr die einen, so züchtet ihr die anderen mit. Der Lohnarbeiter folgt überall in den Fußstapfen des Fabrikanten; er ist wie die schwarze Sorge des Horaz, die hinter dem Reiter sitzt und die er nicht abschütteln kann. Dem Schicksal, mit anderen Worten, den notwendigen Folgen eurer eigenen Handlungen könnt ihr nun einmal nicht entgehen. Ein Produktionssystem, gegründet auf der Ausbeutung der Lohnarbeit, ein System, worin der Reichtum wächst im Verhältnis zur Zahl der angewandten und ausgebeuteten Arbeiter, solch ein System kann nicht bestehen, ohne die Klasse der Lohnarbeiter zu vermehren und damit einen Klassengegensatz zu steigern, an dem eines Tages das ganze System zugrunde gehen muß. Es ist nun einmal nicht zu ändern: Ihr könnt nicht anders, als das kapitalistische System fortentwickeln, Akkumulation und Zentralisation des Kapitals beschleunigen und gleichzeitig damit die Produktion einer Arbeiterklasse, die außerhalb der offiziellen Gesellschaft steht. Ob ihr den schutzzöllnerischen oder den freihändlerischen Weg einschlagt, wird am Resultat nichts ändern und kaum etwas an der Länge der Frist, die euch bleibt, bis das Resultat eintritt. Denn lange vorher schon wird der Zollschutz eine unerträgliche Fessel geworden sein für jedes Land, das mit Aussicht auf Erfolg eine unabhängige Stellung auf dem Weltmarkt erstrebt.


Fußnoten von Friedrich Engels

(1) Vorrede (übersetzt vom Verfasser) zu der in New York erscheinenden englischen Ausgabe von Marx' Rede über die Frage des Freihandels (deutsch von E. Bernstein und K. Kautsky, Anhang II zu Marx' "Elend der Philosophie", Stuttgart, Dietz, S. 188ff.). - Da diese Vorrede in erster Linie für ein amerikanisches Publikum berechnet ist, konnte die deutsche Schutzzollpolitik nur nebenher berührt werden. Der Verfasser wird indes wohl bald Gelegenheit finden, die Frage auch speziell mit Beziehung auf Deutschland zu behandeln. <=

(2) Annual Report of the Secretary of the Treasury etc. For the year 1887. XXVIII, XXIX. <=

(3) Gesamthandel (Einfuhr und Ausruhr addiert) 1874 in Millionen Mark: Großbritannien 13.380; Deutschland 9.300; Frankreich 6.600; Vereinigte Staaten 4.980. (Kolb, "Statistik", 7. Aufl. Leipzig 1875, S.790.) <=


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