MLWerke Marx/Engels - Werke Artikel und Korrespondenzen 1887

Seitenzahlen verweisen auf:    Karl Marx/Friedrich Engels - Werke. (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 21, 5. Auflage 1975, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1962, Berlin/DDR. S. 344/345.
Korrektur:    1
Erstellt:    20.03.1999

Friedrich Engels

[Brief an das Organisationskomitee des internationalen Festes in Paris]


["Der Sozialdemokrat" Nr. 11 vom 11. März 1887]

|344| Bürger!

Wir befinden uns gegenüber einer außerordentlichen Gefahr. Man droht uns mit einem Kriege, in dem diejenigen, die ihn verabscheuen und die lauter gemeinsame Interessen haben, die französischen und deutschen Proletarier, gezwungen sein werden, sich gegenseitig abzuschlachten.

Was ist die wirkliche Ursache dieses Standes der Dinge?

Der Militarismus, die Einführung des preußischen Militärsystems in allen Großstaaten des Kontinents.

Dieses System behauptet, die ganze Nation zur Verteidigung ihres Bodens und ihrer Rechte auszurüsten. Das ist eine Lüge.

Das preußische System hat das System der beschränkten Aushebung und des den Reichen zustehenden Loskaufrechtes verdrängt, weil es den Herrschenden alle Hilfsquellen des Landes, Personen wie Sachen, zur Verfügung stellte. Aber es ist ihm nicht gelungen, ein Volksheer zustande zu bringen. Das preußische Heer teilt die dienstpflichtigen Staatsbürger in zwei Kategorien. Die erste wird in die Linie eingereiht, während die zweite sofort in die Reserve oder in die Landwehr eingestellt wird. Diese letztere Kategorie erhält keine oder so gut wie keine militärische Ausbildung; die erstere jedoch hält man 2 oder 3 Jahre unter der Fahne, eine Zeit, die ausreicht, aus ihr eine gehorsame, bis zur Willenlosigkeit eingedrillte Armee zu machen, eine zu Eroberungen im Auslande wie zu gewaltsamer Unterdrückung aller heimischen Volksbewegungen stets bereite Armee. Denn vergessen wir es nicht, alle die Regierungen, welche dieses System angenommen, fürchten das arbeitende Volk daheim weit mehr als die mit ihnen rivalisierenden Regierungen jenseits der Grenzen.

|345| Dank seiner Elastizität ist dieses System einer ungeheuren Ausdehnung fähig. Solange noch ein einziger, nicht in die Armee eingereihter wehrfähiger junger Mann existiert, solange sind auch die disponiblen Hilfsquellen noch nicht erschöpft. Daher dies zügellose Wettrennen um die größte und stärkste Armee. Jede Vermehrung der militärischen Kräfte des einen Landes zwingt die andern Staaten, ein gleiches, wenn nicht mehr zu tun. Und alles das kostet ein wahnsinniges Geld. Die Völker werden durch die Last der Militärausgaben zugrunde gerichtet, der Friede wird beinahe noch kostspieliger als der Krieg, so daß schließlich der Krieg, statt als eine schreckliche Geißel, als eine heilsame Krise erscheint, die einer unmöglichen Situation ein Ende macht.

Dies der Grund, warum es den Intriganten in den verschiedenen Ländern, die gern im trüben fischen möchten, möglich wurde, den Krieg heraufzubeschwören.

Und das Heilmittel?

Die Abschaffung des preußischen Systems und die Ersetzung desselben durch ein wirkliches Volksheer, das eine einfache Schule ist, in die jeder Bürger, sobald er fähig ist, die Waffen zu tragen, für die Dauer der zur Erlernung des Soldatenmetiers absolut notwendigen Zeit eingereiht wird; Einstellung der so herangebildeten Leute in stark organisierte örtliche Reservekadres, so daß jede Stadt, jeder Distrikt sein Bataillon hat, zusammengesetzt aus Leuten, die sich kennen und die, wenn es sein muß, in 24 Stunden vollständig ausgerüstet und marschbereit zusammentreten können.

Das bedeutet, daß jeder Wehrfähige sein Gewehr und seine Equipierung bei sich zu Hause hat, wie es in der Schweiz der Fall ist.

Das Volk, welches dieses System zuerst einführt, wird seine wirkliche militärische Kraft verdoppeln und dabei gleichzeitig sein Kriegsbudget um die Hälfte vermindern. Es wird schon durch die Tatsache, daß es alle seine Bürger bewaffnet, seine Friedensliebe beweisen.

Denn diese Armee, welche eins ist mit der Nation, ist ebensowenig zur Eroberung nach außen geeignet, als sie in der Verteidigung ihres heimischen Bodens besiegbar ist. Und dann, welche Regierung würde es wagen, die politische Freiheit anzutasten, wenn jeder Bürger ein Gewehr und fünfzig scharfe Patronen zu Hause zu liegen hat?

London, 13. Februar 1887

Fr. Engels